Archiv für Juli, 2015

Fotojournalismus, Karte der Schande, Hitlergruß

1. „Fotojournalismus: Zwischen Fakten und Empörung“
(rolandtichy.de, Heike Rost)
Heike Rost zeigt anhand von bekannten Beispielen der letzten Jahre, wie eindrücklich Fotojournalismus wirken kann: schockieren, Gefühle von Abscheu bis Tränen hervorrufen. „Es ist ein Ausschnitt der Realität, nicht die Realität. Aber sie [die Bilder] werden zum wirkmächtigen Symbol“, deshalb sei es wichtig, die Geschichte dahinter zu erzählen.

2. „Zornige junge Männer“
(nzz.ch, Urs Hafner)
Was für Typen waren die ersten Redakteure der „Neuen Zürcher Zeitung”? Urs Hafner macht eine Zeitreise zu seinen Vorgängern ins 18. Jahrhundert.

3. „Zukunft des Journalismus: Was Leser wollen und was sie sollen“
(derstandard.at, Michael Freund)
Der Sammelband „Die Idee des Mediums“ führt Reden deutscher Journalisten wie Hans Leyendecker und Cordt Schnibben zur Zunkunft ihrer Branche zusammen. Eine schlüssige Antwort darauf, wie diese aussehen mag, gebe das Buch nicht; es stecke aber „zumindest das Feld ab”, rezensiert Michael Freund.

4. „Bang Bang“
(taz.de, Cigdem Akyol)
In der Türkei wurde eine 28-jährige Frau festgenommen, die ihren „offenbar übergriffigen Ehemann“ erschossen haben soll. Im Netz bekomme sie unter dem Hashtag #cilemdogan Zustimmung, schreibt die „taz“-Autorin Cigdem Akyol. Bereits im Februar habe es einen Aufschrei in der Türkei und im Netz gegeben, als eine Studentin von einem Minibus-Fahrer ermordet wurde.

5. „The Royal family could not possibly have known the true wickedness of Hitler“
(telegraph.co.uk, Tim Stanley, englisch)
Tim Stanley, Historiker und Journalist, widmet sich der „The Sun“-Veröffentlichung eines Videos Films aus den 1930ern, das die heutige Queen als kleines Mädchen beim Hitlergruß zeigt. „We should not judge“, schreibt Stanley, denn historische Ereignisse müsse man immer im Kontext betrachten. Die Folgen der Machtergreifung habe man damals nicht absehen können. Dazu auch: „Die peinliche Vergangenheit der britischen Königsfamilie“ (berliner-zeitung.de, Sebastian Borger).

6. „Karte der Schande: Straftaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte“
(trueten.de, Thomas Trueten)

Bratkartoffel-Aerobic und blaue Blutkörperchen


Scheint sich um Vertreter des Hochadels zu handeln.
Danke an Florian S.

***


Toll, wie Oberbürgermeister Rebhan der Redaktion unter die Arme greift!
Danke an Melanie B.

***


Danke an Anett F.

Medien spielen mit Schäubles Rücktritt

Heute große Aufregung in den Politikredaktionen:


(Bild.de)

(rp-online.de)

(t-online.de)

(manager-magazin.de)

(„Focus Online“)

(„Huffington Post“)

Grund ist ein Interview mit Finanzminister Wolfgang Schäuble im aktuellen „Spiegel“, in dem steht:

SPIEGEL: Die Koalition hätte ein Problem, wenn die Kanzlerin und ihr wichtigster Minister in einer so großen Frage wie der Griechenlandhilfe unterschiedlicher Auffassung sind.

Schäuble: Es gehört zur Demokratie, dass man auch einmal unterschiedliche Meinungen hat. Und dann ringt man gemeinsam um Lösungen. Dabei hat jeder seine Rolle. Angela Merkel ist die Bundeskanzlerin, ich bin der Finanzminister. Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern. Zwingen kann sie niemand. Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten.

Der letzte Satz ist es, der den Medien die Idee von Schäubles Rücktrittswünschen in den Kopf gesetzt hat.

Allerdings funktioniert das nur, wenn man ignoriert, wie das Gespräch weitergeht:

Vermutlich haben die oben zitierten Medien aber nicht das ganze Gespräch im „Spiegel“ gelesen (online bisher nur auf Englisch verfügbar), sondern den Artikel auf „Spiegel Online“ oder die fast wortgleiche “Spiegel”-Vorabmeldung. Denn auch dort gibt’s lediglich die halbe Wahrheit.

Das Portal bewirbt das Interview der Print-Kollegen heute so:

Im Streit mit Kanzlerin Angela Merkel über die Griechenlandrettung ist Finanzminister Wolfgang Schäuble im äußersten Fall zum Rücktritt bereit. “Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern”, sagte er dem SPIEGEL. Niemand könne sie zwingen, gegen ihre Überzeugungen zu handeln. “Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten”, sagte Schäuble. (Lesen Sie hier das ganze Gespräch im neuen SPIEGEL.)

(Link im Original.)

Die entscheidende Stelle – dass Schäuble eben nicht über Rücktritt nachdenkt — erwähnt „Spiegel Online“ nicht.

Andere Medien tun das zwar, wollten aber trotzdem unbedingt irgendwie den Rücktritt ins Spiel bringen:

(tagesspiegel.de)

(stern.de)

(welt.de)

(faz.net)

Mit Dank an Konrad A.!

Stell dir vor, es droht Krieg, und nur chip.de berichtet darüber

Passen Sie auf, verrückte Geschichte: Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un hat den USA wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung (!) mit Krieg (!) gedroht.

Demnächst soll nämlich Windows 10 erscheinen, und weil der Diktator meint, dass Microsoft bei einem nordkoreanischen Betriebssystem geklaut habe, fordert er Barack Obama nun auf, den Release zu stoppen, sonst gebe es drastische Konsequenzen.

Aber was mindestens genauso verrückt ist: Enthüllt wurde diese Geschichte nicht etwa von einem koreanischen oder amerikanischen Medium, sondern vom deutschen Technikportal chip.de.

Vor knapp einer Woche berichtete die Seite aus dem Burda-Verlag exklusiv:

Windows 10 erscheint am 29. Juli – es sei denn, Nordkorea verhindert das. Denn offenbar will der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un den Release um jeden Preis stoppen, weil Microsoft beim nordkoreanischen [Betriebssystem] Red Star OS geklaut haben soll – und droht für Zuwiderhandlung mit drastischen Konsequenzen.

Anscheinend hat sich auch Kim Jong-un (oder einer seiner Untergebenen) eine Preview von Windows 10 besorgt und ist nun der Meinung, dass Microsoft sich bei Red Star OS bedient hat, berichtet der nordkoreanische Staats-Fernsehsender KCTV. Der Machthaber fordert nun: US-Präsident Obama müssen den Release von Windows 10 verhindern, da Microsoft das Urheberrecht verletzt. Schreitet Obama nicht ein, werde man nicht zögern, mit aller Macht die diebische US-Gesellschaft zur Rechenschaft zu ziehen, heißt es.

Sehr interessant. Vor allem, weil außer chip.de offenbar niemand sonst davon weiß.

Nicht mal die staatliche Nachrichtenagentur KCNA, die als Teil der nordkoreanischen Propagandamaschinerie normalerweise sofort berichtet, wenn das Regime mit den Säbeln rasselt, hat etwas zu der angeblichen Kriegsdrohung gebracht. Im Gegensatz zum Staatssender KCTV verfügt die Agentur über ein Archiv, in dem man zwar allerlei beklopptes Zeug findet, aber nicht ein einziges Wort zu der Windows-Story.

Auch in amerikanischen Medien ist nichts darüber zu lesen, auch nicht in südkoreanischen oder japanischen, nicht einmal bei Bild.de, wo sonst wirklich jeder NordkoreaSchrott verbreitet wird.

Kim Jong-un droht Barack Obama also wegen eines Betriebssystems mit Krieg und von allen Medien auf der Welt findet nur chip.de, dass man darüber berichten sollte?

Ah, nee:

Drei Tage nach der weltexklusiven Enthüllung durch chip.de entdeckte stern.de die Geschichte und schrieb:

Absurde Anschuldigung, drastische Drohung: Nachdem sich Kim Jong Un zuletzt gut gelaunt bei der Eröffnung des Pjöngjang-Airports präsentierte, war es für Nordkoreas Machthaber nun offenbar wieder an der Zeit, die Welt an seinen – sagen wir: eigenwilligen – Gedanken teilhaben zu lassen – Kriegsdrohung inklusive.

Demnach stört sich der Staatschef am für den 29. Juli geplanten Release des Microsoft-Betriebssystems „Windows 10″, wie unter anderem das Technikportal „chip.de“ berichtet.

„unter anderem“, schreibt der Autor, was aber geschummelt ist, denn wörtlich genommen hat er zwar recht: Neben chip.de haben auch andere darüber berichtet. Bloß: Auch die gaben nur eine Quelle an — chip.de.

Weiter schreibt stern.de:

Und das kann der Diktator natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Wie Nordkoreas Staatssender „KCTV“ vermeldet, will Kim Jong Un die Veröffentlichung mit allen Mitteln verhindern – und fordert in diesem Zug nicht weniger als ein persönliches Handeln von US-Präsident Barack Obama. Sollte dieser nicht gegen den Release einschreiten, werde man nicht zögern, die diebischen Bewohner der Vereinigten Staaten mit aller Macht zur Rechenschaft zu ziehen, wird Kim Jong Un in dem Bericht zitiert.

Man kann also davon ausgehen, dass der Autor den Bericht selbst gesehen hat. Oder davon, dass er schwindelt.

Auch „Focus Online“ hat die Geschichte inzwischen aufgegriffen und schreibt:

Zwar beruft sich der Autor ebenfalls auf chip.de, aber auch er tut so, als läge ihm die Originalquelle vor:

Dies berichtet der nordkoreanische Staats-Fernsehsender KCTV.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder es gibt diesen Bericht tatsächlich, Nordkorea hat wirklich eine Kriegsdrohung ausgesprochen, und nur ein paar deutsche Medien haben Notiz davon genommen — oder irgendwer hat sich die Story ausgedacht und alle anderen verbreiten sie ungeprüft weiter.

Am Donnerstag haben wir die Redaktionen von chip.de, stern.de und focus.de gebeten, ihre Geschichten zu belegen. Bisher kam keine Antwort. Die Artikel sind unverändert online.

Mit großem Dank an Tobias D. und Bruno B.

Nachtrag, 21. Juli: Chip.de hat den Artikel inzwischen gelöscht. Auf Nachfrage von „Meedia“ sagte eine „Chip“-Sprecherin, dass sich der Beitrag „als nicht ausreichend belegbar herausgestellt” habe und „daher offline genommen“ wurde. „Die Veröffentlichung des Artikels war ein Fehler, den wir bedauern“. (Siehe auch hier.)

Auch „Focus Online“ hat die Story gelöscht. Bei stern.de und anderen ist sie dagegen immer noch zu finden.

Wir haben übrigens mal bei der deutschen Botschaft in Nordkorea nachgefragt, und, Überraschung: Auch dort gibt es “keine weiterführenden Erkenntnisse” zu der angeblichen Kriegsdrohung.

Nachtrag, 22. Juli: Heute haben wir zum dritten Mal bei stern.de nachgefragt, ob wir denn noch mit Belegen für die Story rechnen können. Kurz darauf ist der Artikel von der Seite verschwunden.

Revolutionen im Journalismus, eigene Waffen, PR-Unfall

1. „Ein Nachruf, ein Sorgenbrief und ein Glückwunsch“
(opinion-club.com, Falk Heunemann)
Falk Heunemann schaut sich drei Projekte genauer an, die vor einem Jahr den „Journalismus revolutionieren wollten”: „Correctiv“, „Krautreporter“ und das digitale Wissenschaftsmagazin „Substanz“. Heunemann untersucht die Konzepte anhand ihres Erfolgs und weist darauf hin:

Die meisten Leser und Nutzer sind dann eben doch Gewohnheitstiere: Sie bleiben doch lieber beim Alten, auch wenn sie sagen, sie seien für Neues offen – erst recht wenn das Neue Geld kostet.

2. „Abgeschrieben? Nicht so schlimm…“
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Nick Lüthi sieht den Plagiatsfall der „Weltwoche“ als folgenlos: „Das Plagiat hat seinen Schrecken verloren. Es gehört längst zur Normalität des Journalismus.“

3. „Mächtiges Signal?“
(freitag.de, Juliane Löffler)
Juliane Löffler kommentiert die Frauenquote im Journalismus kritisch: „Keinem der zehn großen Leitmedien, welche Pro Quote angibt, steht derzeit eine Frau vor.“ Posten auch mit Frauen zu besetzen, sei möglich, wie es zum Beispiel der „Guardian“ beweist. Die „taz“ habe durch die neue männliche Führungsspitze „ihren Machtquotienten gerade kräftig nach unten korrigiert.“

4. „Mit den eigenen Waffen“
(wienerzeitung.at, Adrian Lobe)
Die „New York Times“ lässt durch das Start-up „Keywee“ (techcrunch.com, englisch) die Leserschaft ihrer „Instant Article“ analysieren. Sie nutzt die Erkenntnisse, um diesen Lesern dann passgenaue Artikel präsentieren zu können — und das mit einer Strategie, die sich finanziell auszahle, so Adrian Lobe.

5. „How Ida B. Wells became a trailblazing journalist”
(vox.com, Phil Edwards, englisch)
Anlässlich ihres 153. Geburtstags porträtiert Phil Edwards die amerikanische Journalistin und Bürgerrechtlerin Ida Bell Wells. „‘Tell the world the facts‘“ war ihre Motivation, um zu schreiben. Wells berichtete vor allem über Lynchmorde an der afroamerikanischen Bevölkerung.

6. „PR-Unfall behoben“
(titanic-magazin.de) 

Vom “beliebtesten Lehrling der Schweiz” zum “faulsten Azubi aller Zeiten”

Gestern ging eine sympathische Geschichte auf Viral-Tour durch die Schweiz. Ergebnis:

Und das kam so: Weil Cyril, der Lehrling einer Werbeagentur, seine Abschlussprüfung bestanden hatte, schrieben ihm seine Chefs ein paar Zeilen auf Facebook …

… und posteten ein paar seiner kreativsten “Entschuldigungen”:

Eine Rache-Aktion der Chefs am verträumten Lehrling? “Nein, im Gegenteil”, erklärte Benjamin Franz (der Empfänger der Ausreden) dem Schweizer Portal “Watson”: Der Post sei …

eine Hommage an einen herzlichen und ehrlichen Lehrling und die spannenden Jahre, die wir mit ihm erleben durften. (…) Cyril ist ein äusserst talentierter junger Gestalter und rundum ein guter und sympathischer Mitarbeiter. Wir haben dem immer mehr Gewicht zugemessen als seiner Pünktlichkeit. Und selbst bei seinen “Entschuldigungen” hat er sich ja noch durch Kreativität hervorgetan. (…) Und wenn er mal wieder zu spät kam, dann blieb er auch tatsächlich immer länger. So ist das mit dem Biorhythmus halt …

Der Lehrling selbst habe die Sache “mit seinem üblichen Humor genommen”.

Was er jedoch nicht mitbekommen hat, ist, dass der Post plötzlich viral ging und er über Nacht zum bekanntesten Lehrling der Schweiz wurde.

Mehrere Tausend Likes bekam der Eintrag, die Kommentare überwiegend positiv. Alles lustig, alles schön.

Bis die deutsche “Huffington Post” kam.

“Unglaublich plump” und “frech” und “dreist”, schreibt die “Huffington Post” und clickbaitet:

Das veranlasste die Agentur, den Post zu löschen und eine Stellungnahme zu veröffentlichen:

Immerhin: Inzwischen zitiert die “Huffington Post” unter dem Artikel den Geschäftsführer der Agentur mit den Worten, Cyril habe sich “nie vor der Arbeit gedrückt” und sei keinesfalls faul. Und den “faulsten Azubi aller Zeiten” in der Überschrift hat die Redaktion gnädigerweise in Anführungsstriche gesetzt.

Mit Dank an Andreas für den Hinweis und watson.ch für die Screenshots.

Nachtrag, 28. Juli: Die “Huffington Post” hat den Artikel inzwischen erneut geändert. Die Überschrift lautet jetzt: “Die Ausreden dieses Azubis werden Sie so bald nicht vergessen”, und auch sonst klingt der Text viel versöhnlicher; von “faul” und “dreist” und “plump” ist keine Rede mehr, dafür spricht die “Huffpo” nun von “durchaus charmanten Ausreden”.

Recht auf Vergessenwerden, verärgerte Griechen, Vertrauen

1. „Chatting in secret while we’re all being watched“
(firstlook.org/theintercept, Micah Lee, englisch)
Blogger und Aktivist Micah Lee gibt eine Anleitung, wie mit „Jabber” und „Tor“ Edward Snowden-like private Kommunikation geschützt werden kann.

2. „Vergiss mich, Google!”
(correctiv.org, Sylvia Tippmann)
Das Recherchebüro “Correctiv” wirft gemeinsam mit dem “Guardian“ (Artikel auf Englisch) einen Blick auf die Zahlen hinter das Recht auf Vergessen “Recht auf Vergessenwerden”. Google äußere sich zu den Löschanfragen bisher sehr eingeschränkt und mit „drastischen Beispielen”, die „kontroverse Anfragen, von Kriminellen bis hin zu fragwürdig agierenden Politikern“ bebildern. Der Großteil der Anfragen würde sich aber auf „Privates und Persönliches“ beziehen.

3. „Griechen ärgern sich über deutsche Medien“
(srf.ch, Camilla Alabor)

4. „Deutschland muss für eine Prise Sex und Perversion herhalten“
(meedia.de, Alexander Becker)
Nach dem Motto „Wir zeigen die Welt, wie sie wirklich ist” plaudert Benjamin Ruth, Herausgeber der deutschen „Vice“, im Interview. Anlass ist das zehnjährige Bestehen des Ablegers hierzulande. Dazu auch: „10 unfassbar geile und gute Geschichten, für die wir Vice dankbar sind“ (editionf.com, Nora-Vanessa Wohlert).

5. „Der fragwürdige Erfolg von Restaurant-Coach Rosin“
(ndr.de/zapp, Gita Datta, Video, 7:36 Minuten)
Für „Zapp“ hinterfragt Gita Datta das „Kabel eins“-Coaching-Format „Rosins Restaurants”: „Zahlreiche ehemalige Teilnehmer beklagen sich gegenüber Zapp über fragwürdige Methoden bei den Dreharbeiten, über erfundene Geschichten und gestellte Situationen.“

6. Trau, schau, wem!
(punktmagazin.ch, Ronnie Grob, David Fehr, Boris Gassmann)
Die goldenen 1980er und 1990er des Journalismus sind passé. In einer umfassenden Analyse gehen die Autoren der Frage nach: „Wem kann man noch trauen?“

Auch wenn ein Unternehmen die Rechnung bezahlt: Unabhängiger oder zumindest teilweise unabhängiger Journalismus ist durchaus möglich. Es kommt ganz darauf an, wie viel Freiheit den Journalisten zugestanden wird.

Bild.de, n-tv.de  etc.

Medien lassen John Rambo gegen “IS”-Terroristen kämpfen

Die Comic-Con in San Diego ist für Journalisten immer ein zuverlässiger Lieferant aufregender Schlagzeilen. Auch nach der diesjährigen Messe gibt es wieder heiße Neuigkeiten, diesmal zur geplanten “Rambo”-Fortsetzung.

n-tv.de fragt:

Und Bild.de weiß:

Das könnte die Kino-Sensation des Jahres werden!

John J. Rambo wird gegen die Terrormiliz ISIS kämpfen. Arbeitstitel des fünften Teils der Kult-Filmreihe: „Rambo. Last Blood.“

Das verriet Sylvester Stallone (68) bei einer Fragerunde auf der Comic-Messe in San Diego. Dass er ein letztes Mal als Vietnam-Veteran John Rambo auf die Leinwand zurückkehren würde, war schon im vergangenen Jahr bekannt geworden. Die Produktion sei jetzt in vollem Gange und sein Team würde zurzeit Drehorte im Irak und in Syrien auswählen, erklärte Stallone laut „Washington Times“.

„Wir arbeiten mit der Bevölkerung vor Ort um das intensivste und realistischste Rambo-Film-Erlebnis überhaupt zu schaffen“, sagte Stallone.

Gut, vielleicht ist die „Washington Times“ nicht gerade die glaubwürdigste Quelle, aber es gibt laut n-tv.de ja noch eine andere:

Während einer Frage-und-Antwort-Runde [auf der Comic-Con] habe ein Fan wissen wollen, ob es eine Fortsetzung zum „Rambo“-Film von 2008 geben werde, schreibt die Zeitung „Washington Post“. „Wir arbeiten tatsächlich gerade daran“, antwortete demnach Stallone. „Wir haben Teams, die sich im Irak umgucken und in Teilen von Syrien, wo der Islamische Staat seine Hochburgen hat.“

Wobei … ob “Washington Times” oder “Washington Post” ist im Grunde dann doch ziemlich egal, denn es gibt an dieser Geschichte einen eher generellen Haken: Sylvester Stallone war in diesem Jahr gar nicht auf der Comic-Con.

Sylvester Stallone did not attend Comic-Con 2015, and consequently there was no official remark from him regarding Rambo made there at the event. This is not an accurate report.

… sagte vorgestern ein Sprecher Stallones dem „Rolling Stone“.

Wie sind Bild.de, ntv.de und all die anderen Medien also auf die Story gekommen?

Nun, einige der Journalisten waren so freundlich, ihre Quelle gleich zu verlinken. Bild.de und die „Daily Mail“ zum Beispiel verweisen auf diesen Artikel der „Washington Times“:

… der interessanterweise fast genauso aussieht wie der Artikel der „Washington Post“:

Um zu erkennen, dass es sich hier weder um die echte “Washington Post” noch um die echte “Washington Times” handelt, muss man nicht einmal deren tatsächliche Seiten kennen. Man muss sich bloß diese billige Aufmachung und die URL anschauen (washingtonpost.com.co), um stutzig zu werden, und wenn man dann noch ins einen Klick entfernte Impressum schaut, wo steht:

This website is in no way affiliated with http://washingtonpost.com

… dann dürfte zumindest klar sein, dass hier irgendwas gehörig faul ist.

Klar, die Journalisten hätten auch bis zum Ende des Artikels scrollen …

… und auf den Link zu “National Report” klicken können, und wenn sie dort ins Impressum geschaut hätten, hätten sie gelesen:

National Report is a news and political satire web publication, which may or may not use real names, often in semi-real or mostly fictitious ways. All news articles contained within National Report are fiction, and presumably fake news. Any resemblance to the truth is purely coincidental.

Aber irgendwann ist auch mal gut, sonst müssten die Journalisten ja das tun, was Journalisten tun müssten.

Immerhin: n-tv.de hat den Fehler (nach dem Hinweis einer BILDblog-Leserin) inzwischen bemerkt, in einer Anmerkung das Dementi des Stallone-Sprechers ergänzt — und die Stelle „schreibt die Zeitung ‘Washington Post’“ unauffällig in „hieß es in einem Medienbericht“ geändert.

Bei Bild.de glauben und verkünden sie derweil immer noch, John Rambo werde schon bald “gegen die Terrormiliz ISIS kämpfen”.

Mit Dank an Katharina S.

Grexit-Umfrage, Wutschreiber, #NetzFragtPutin

1. „Kritik der Kritik zum LeFloid-Merkel-Interview: Mehr Arroganz geht nicht“
(basicthinking.de, Tobias Gillen)
„Haben Sie schon mal etwas Informatives aus einem Sommerinterview von ARD und ZDF mitgenommen?“, fragt Tobias Gillen. Er zeigt Unverständnis für die harte Kritik am Merkel-Interview von Youtuber LeFloid: „Er verdient Anerkennung, für das, was er erreicht hat.“ LeFloid habe keinen journalistischen Anspruch und sei deswegen kein geschlachteter Hase. Alf Frommer weiß hingegen, wie es weitergeht: #NetzFragtPutin“ (siegstyle.de).

2. „So fällst Du Mädchen auf: Eine satirische Antwort“
(derkeineunterschied.de)
Auf der Webseite von „Bravo“ erschien ein Listicle „So fällst du Jungs auf: 100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlung“ (Artikel wurde gelöscht, Archiv-Link der Artikelversion von 2012). Die Aufzählung bestand größtenteils aus Beautytipps. Die Bloggerinnen von „der keine Unterschied“ fühlten sich daraufhin zu ihrem eigenen Listicle inspiriert. Siehe dazu auch: „Das passive Mädchen oder #flirtennachbravo“ (fraumeike.de, Meike Lobo).

3. „Wer gegen den ‘Grexit‘  ist, muss für Merkel sein: Wie der ‘Stern‘ und Forsa Stimmung für die Union machen“
(stefan-niggemeier.de)
Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag des „Stern” gab es ein überraschendes Ergebnis: Besonders die Anhänger der Grünen seien zufrieden mit Angela Merkels Griechenland-Verhandlungen.

Das scheint erstaunlich. Aber nur, wenn man nicht die besondere Art kennt, wie das Institut Forsa im Auftrag von „Stern“ und RTL die Frage gestellt hat. Forsa fragte nämlich nicht, wie man annehmen könnte, ob man mit Merkels Vorgehen in Sachen Griechenland ganz / ein bisschen / kaum / gar nicht zufrieden ist. Forsa bot als Antwort, dass man entweder Merkels Griechenland-Politik gut findet. Oder meint, dass sie Griechenland aus dem Euro hätte zwingen sollen.

4. „Die Wutschreiber“
(taz.de, Aram Lintzel)
„Die Waffen des Wutschreibers drohen stumpf zu werden, bevor die Zukunft begonnen hat.“ Aram Lintzel wendet sich Georg Diez zu, dem „Drama-King des deutschen Journalismus“. Lintzel beschreibt ihn als „ein Symptom, mit dem man sich als Autor solidarisch erklären sollte“.

5. „Killerzeilen – Wie Angelmagazine ihre Leser ködern“
(kioskforscher.wordpress.com, Markus Böhm)
Kioskforscher Markus Böhm analysiert die aufregend absurde Welt der Angelmagazine: „Den Glauben, Angeln sei ein entspannendes Hobby, habe ich am Bahnhofskiosk verloren.“

6. „Hans Entertainment tobt – und droht dem Reifenhändler“
(fudder.de, Daniel Laufer)
Ein Reifenhändler versucht sich die Namen von Facebook-Star „Hans Entertainment” und Youtuberin „Dagi Bee” als Marken eintragen zu lassen, um daran zu verdienen.

Bild  

“Bild” druckt freiwillig zu kleine Gegendarstellung

Die heutige Titelseite der “Bild”-Zeitung sieht auf den ersten Blick ganz normal aus: ein bisschen Fußball (“Neuer Zwirn für Schweini”), ein bisschen mehr vom Wir-gegen-die-Griechen-Gefühl (“Merkel rettet Griechenland mit unserem Geld!”), was Kurioses (“Betrunkener Einbrecher schläft im Kofferraum ein”). Oben rechts wird’s aber eher ungewöhnlich, da steht nämlich das hier:

Sie bezieht sich auf die riesige “Bild”-Titelstory vom 17. Juni, in der das Blatt keinen Zweifel daran ließ, was nach der Urteilsverkündung im Tuğçe-Prozess (BILDblog berichtete) passiert ist:

Das Besondere an der Gegendarstellung auf der “Bild”-Titelseite von heute: Sie hätte in dieser Form gar nicht abgedruckt werden müssen.

Vor zwei Wochen hat das Landgericht Berlin zugunsten von Sadija M. eine einstweilige Verfügung erlassen und die “Bild”-Zeitung dazu verdonnert, eine Gegendarstellung abzudrucken. Gegen diese Abdruckanordnung hat “Bild” Widerspruch eingelegt, eine mündliche Verhandlung folgt in der kommenden Woche. Trotzdem hat sie schon heute eine Gegendarstellung veröffentlicht, allerdings nicht entsprechend den Vorgaben des Gerichts.

Warum? Der Grund könnte in eben diesen gerichtlichen Vorgaben liegen: Demnach muss das Wort “Gegendarstellung” in der Größe der Dachzeile der Erstveröffentlichung (“EKLAT NACH DEM HAFTURTEIL”) gedruckt werden, der dazugehörige Text (“In der BILD-Zeitung vom 17.06.2015 haben Sie auf …”) in der Größe der einstigen Überschrift (“Mutter des Schlägers spuckt auf Tugce-Foto!”). Das würde bedeuten, dass die Gegendarstellung am Ende in etwa so aussieht, wie die von Heide Simonis aus dem Jahr 2006.

Felix Damm, Anwalt von Sadija M., vermutet, dass die “Bild”-Zeitung sich mit dem Abdruck der kleinen Version für die mündliche Verhandlung wappnen will:

Es scheint die Hoffnung zu bestehen, das Gericht werde von der verfügten Abdruckanordnung derart abweichen, dass mit dem Abdruck der verkleinerten Version der gerichtlichen Entscheidung genügt wurde. Ich gehe allerdings davon aus, dass die „Bild“-Zeitung die Gegendarstellung noch einmal drucken muss, dann deutlich größer.

Warum “Bild” bei der Position bleibt, Sadija M. habe auf das Tuğçe-Foto gespuckt, steht auf Seite 6 der heutigen Ausgabe:

Dem Gericht legte [M.] eine eidesstattliche Versicherung vor, nach der sie nicht gespuckt habe.

Wir glauben, dass Frau [M.] lügt, und bleiben deshalb bei unserer Darstellung und werden Strafanzeige stellen.

Mehrere Zeugen haben den Vorgang beobachtet und gegenüber BILD bestätigt.

Interessanterweise berichteten auch andere Medien von einem Spucken nach der Verhandlung, sie ordneten es im Gegensatz zur “Bild”-Redaktion aber nicht unmittelbar Sadija M. zu.

Ihr Anwalt Felix Damm sagt, ihn erinnere die Art der “Bild”-Berichterstattung über seine Mandantin an eine “moderne Form der Sippenhaft”:

Als Sanel M. im Gefängnis saß, hat sich die “Bild”-Zeitung dessen Bruder vorgenommen. Als sie damit durch war, kam die Mutter dran. Es wird versucht, der Öffentlichkeit eine schuldige Familie zu präsentieren.

Deswegen gehe Familie M. nun juristisch gegen einzelne Veröffentlichungen vor. Erste Unterlassungserklärungen konnte sie bereits einsammeln. Zum Beispiel hatte “Bild” auch ein unverpixeltes Foto der Mutter abgedruckt. Das Blatt darf es nun nicht mehr zeigen — weiß sich aber natürlich zu helfen und druckt heute einfach ein anderes Foto der Mutter, schon wieder ohne jede Unkenntlichmachung. Auch dagegen wird sie sich nun wehren.„"

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