Archiv für Juni, 2015

Stefan Raab, Ghostwriter, Scheinselbstständigkeit

1. “Raabs späte Rache an ‘Bild’ und Co.”
(stern.de, Jens Maier)
Jens Maier glaubt, die Ankündigung, Stefan Raab werde sich vom Fernsehen zurückziehen, sei um 22:11 Uhr versendet worden, um die Boulevardmedien zu ärgern: “Sein Dogma, nichts über sein Privatleben preiszugeben, wurde von den meisten Journalisten akzeptiert. Recht passen wollte es nie. Ausgerechnet er, der in seiner Sendung ‘TV Total’ wildfremde Menschen wie Lisa Loch durch den Kakao zog, zeigte sich bei Details aus seinem eigenen Umfeld als empfindlich und sensibel, sogar nachtragend. Paradox. Aber so tickt er eben, der medienscheue Stefan Raab.” Siehe dazu auch “Der Ehrgeiz des Stefan Raab” (stefan-niggemeier.de).

2. “Tim Hunt und der Twitter-Mob”
(scilogs.de/relativ-einfach, Markus Pössel)
Markus Pössel hinterfragt die Existenz eines “Twitter-Mobs”: “Eine Äußerung eines Haupt-Vortragenden auf einer Konferenz, zu der nicht zuletzt auch Journalisten geladen sind, ist eine öffentliche Äußerung. Und wer diese Äußerung weitergibt, selbst und gerade wenn sie unangenehm und für viele potenzielle Leser ärgerlich ist, der macht genau das, was sich die FAZ im Zusammenhang mit der Presseratsentscheidung zum Germanwings-Absturz als edelste Aufgabe der Presse auf die Fahnen schreibt: Tatsachen nennen, auch wenn sie unangenehm sind.”

3. “Zersetzung für Anfänger”
(taz.de, Daniel Kretschmar)
Daniel Kretschmar stellt fest, dass sich Medien, “wenn es zu Fragen der Staatssicherheit (der aktuellen, nicht jener aus der DDR) kommt, bisweilen wie Handlanger von Behörden und Diensten aufführen. Kaum bekommt Journalist X ein Zuckerchen im Hintergrundgespräch mit dem Ministerialbeamten Y oder der Geheimdienstkoordinatorin Z, kennt er keine kritische Distanz mehr, keine Nachfrage, keinen Faktencheck.”

4. “Problemfall Scheinselbstständigkeit: Verlage im Visier”
(ndr.de, Video, 5:20 Minuten)
“Zapp” über scheinselbständig angestellte Journalisten in Deutschland.

5. “Liebe Neonazis, verschwindet von unserer Seite!”
(cicero.de, Petra Sorge)
Die “Lübecker Nachrichten” teilen Beiträge über Flüchtlingsthemen nicht mehr auf Facebook. Petra Sorge schreibt: “Mit Zensur hat der Verzicht auf Facebook schon einmal deshalb nichts zu tun, weil dieser Begriff eine staatliche Maßnahme zur Unterdrückung von Meinungsfreiheit voraussetzt. Hier wehrt sich ein privates, an Aufklärung interessiertes Unternehmen gegen einen braunen Mob.” Siehe dazu auch “‘Wer die Regeln bricht, ist raus'” (blog.tagesschau.de, Video) und “‘Abschaum’, ‘Schweine’, ‘Bastard’? So nicht, liebe Leser! – Warum Schweizer Medien beleidigende Leserkommentare löschen” (watson.ch).

6. “Der Ghostwriter-Report”
(zeit.de, Oskar Piegsa)
Oskar Piegsa mit einer ausführlichen Recherche über akademische Ghostwriter: “Die Ghostwriter können nach geltendem Recht nicht belangt werden, doch wer eine fremde Arbeit als seine eigene ausgibt, riskiert seine Creditpoints und seinen Studienplatz. ‘Der eigentliche Täter ist immer der Prüfling, der die Leistung einer Agentur in Anspruch nimmt’, sagt Henning Rockmann von der Hochschulrektorenkonferenz.”

Krautreporter, Ghostwriter, Wikipedia

1. “Wikipedia und der Sexismus – ein Vorwurf, wenig Argumente”
(heise.de/tp, Bettina Hammer)
Bettina Hammer setzt sich kritisch mit dem Artikel “Wikipedia ist eine sexistische Männerwelt” (welt.de, Hannes Stein) auseinander: “Eine flauschige Wohlfühlatmosphäre mit stetem Schulterklopfen ist illusorisch und die Logik, dass Frauen insbesondere durch das Fehlen dieser Atmosphäre vom Schreiben abgehalten werden, degradiert die Frauen zu Hascherln, die erst einmal an die Hand genommen und mit sanftem Lächeln zur Mitarbeit verleitet sowie stetig betreut werden müssen, anstatt sie als selbstbewusste und starke Frauen anzusehen, die selbst einen Schritt wagen und auch bereit sind, mit Kritik und Zurückweisungen umzugehen.”

2. “Krautreporter: In der Ernüchterungs-Zelle”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Nach neun Monaten Krautreporter zieht Christian Jakubetz eine Bilanz: “Das Projekt tut niemandem weh, es sorgt nicht für Debatten, es setzt keine Akzente. Weder formal noch inhaltlich.”

3. “Der Iran verurteilt Atena Faraghdani wegen Karikaturen zu 12,5 Jahren Gefängnis”
(globalvoicesonline.org)
Atena Faraghdani wird von einem Revolutionsgericht in Iran zu 12,5 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie auf Facebook Karikaturen veröffentlicht hatte: “Die Anklagen gegen die Aktivistin sind ‘Versammlung und geheime Absprache gegen die nationale Sicherheit,’ ‘Regierungspropaganda,’ und ‘Beleidigung des Obersten Führers, des Präsidenten, Parlamentsmitgliedern und der IRGC [Revolutionsgarden]-Aufseher [die sie befragt hatten].'”

4. “Video-Interviews mit Adobe Morph Cuts fälschen – Der Videobeweis”
(michaelnetsch.de, Video, 2:10 Minuten)
Michael Netsch führt vor, wie Videoschnitte mit neuer Technik noch leichter kaschiert werden können.

5. “Ich bin Ghostwriter und nicht gerade stolz darauf”
(zeit.de, Wolfgang Klinghammer)
“Bachelorarbeiten und auch Dissertationen werden nicht geschrieben, um gelesen zu werden, sondern um die zugehörigen Titel zu erwerben”, schreibt Wolfgang Klinghammer, der Ghostwriter solche Arbeiten erarbeitet: “Ich persönlich würde lieber tatsächliche Wissenschaft als Ghostwriting betreiben, sehe aber derzeit keine Möglichkeit, dies mit ähnlich guten Arbeitsbedingungen und Honoraren umzusetzen – vor allem, weil der offizielle Weg in der Regel eine mehrjährige Leibeigenschaft bei einem Professor voraussetzt, auf die ich mich nicht eingelassen habe – auch nicht für einen Doktortitel. Ich hatte und habe kein Interesse daran, mich in die universitären Strukturen, ideologischen Vorgaben sowie in die zugehörige Beamtenmentalität einzufügen.”

6. “Everything Wrong With Fifty Shades Of Grey In 18 Minutes Or Less”
(youtube.com, Video, 20:16 Minuten)

Wie die Medien den Tugçe-Prozess behindert haben

Gestern hat das Landgericht Darmstadt das Urteil im Tuğçe-Prozess gesprochen. Der Angeklagte Sanel M. wurde zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt.

Während der gesamten Ermittlungen hatte es immer wieder harsche Kritik an den Medien gegeben, sowohl von der Polizei als auch von der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und dem Richter. Vor allem die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung wurde stark kritisiert: Sie habe ein falsches Bild von Täter und Opfer gezeichnet, Zeugen beeinflusst und die Ermittlungen damit massiv erschwert.

Rückblick. An einem Abend im November schlug Sanel M. der Studentin Tuğçe A. auf einem Parkplatz in Offenbach gegen den Kopf. Die junge Frau stürzte, erlitt schwere Kopfverletzungen, fiel ins Koma und starb zwei Wochen später.

Was in den Minuten vor dem Schlag geschah, ist zwar bis heute nicht eindeutig geklärt. Doch für „Bild“ war die Sache schon drei Tage nach der Tat völlig klar:

Lehramts-Studentin Tugce A. (22) wollte nur helfen – und wurde ins Koma geprügelt. (…) Samstagnacht in einer Offenbacher McDonald‘s-Filiale: Tugce A. greift mutig ein, als zwei Frauen auf der Damen-Toilette von drei Männern belästigt werden. Vor dem Fastfood-Laden eskaliert der Streit: Die junge Türkin wird von einem der Männer angegriffen!

Ein Schlag trifft sie an der Schläfe, sie knallt mit dem Kopf auf den Boden – Schädelbruch, Klinik, künstliches Koma.

Sofort waren die Rollen verteilt: hier der brutale Verbrecher, dort die mutige Heldin; Teufel gegen Engel, so einfach, so eindeutig. „Es ist die Geschichte Böse gegen Gut“, schrieb „Bild“-Kolumnist Franz-Josef Wagner Anfang Dezember.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten „Bild“, „Bild Frankfurt“ und die “Bild am Sonntag” schon über dreißig Artikel zu der Sache gedruckt:



Das sind, wohlgemerkt, allein die Artikel, die in den ersten drei Wochen nach der Tat gedruckt wurden (eine Sammlung der Online-Artikel haben wir im Dezember hier zusammengestellt). Dieses Ausmaß ist selbst für „Bild“-Verhältnisse ungewöhnlich. Der Umgang mit dem Täter ist es nicht.

„Koma-Schläger“ und „Totschläger“ nannten ihn die “Bild”-Medien, sie veröffentlichten Details aus seinem Privatleben und zeigten immer wieder Fotos von ihm, meistens unverpixelt oder nur mit winzigem Balken über den Augen.

Eine regelrechte Kampagne, wie auch der Vorsitzende Richter laut „FAZ“ gestern bei der Urteilsverkündung sagte:

„Anfangs hat es eine Kampagne gegeben, das lässt sich gar nicht anders beschreiben“ (…). Da sei ein junger Mann von gerade 18 Jahren gewesen, „der sich mit seinen Mitteln nicht dagegen wehren kann, einer großen Zeitung ausgeliefert zu sein“. (…) Einen „Killer“ und „Koma-Schläger“ habe man ihn dort genannt – das sei er aber nicht.

M. habe mit seinem Schlag „vieles gewollt, was nicht in Ordnung ist, aber sicher nicht den Tod eines Menschen“. Aber gegen das Bild, das von ihm gezeichnet und „von vielen Medien blind“ übernommen worden sei, das sich aber im Prozess „wenn überhaupt nur in Teilen bestätigt“ habe, sei M. nicht angekommen.

(Sogar bei Bild.de haben sie gestern ein paar dieser Sätze zitiert, aber so getan, als wüssten sie nicht, wer gemeint ist: Der Richter habe die Worte “an die Presse” gerichtet, heißt es nur.)

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Punkt, den der “Spiegel” im Dezember erwähnt hat:

Die Ermittler in Offenbach fragen sich inzwischen, ob Sanel M. überhaupt jemals wieder in Deutschland leben kann, wenn er nach der Untersuchungshaft oder einer möglichen Freiheitsstrafe wieder auf freien Fuß kommt. Und die Empörten, die im Internet sein Bild verbreiten und nach einer knallharten Strafe für den “Koma-Schläger”, wie ihn die Bild-Zeitung nennt, verlangen, könnten sogar das Gegenteil bewirken. “Grundsätzlich ist es so, dass solche Auswüchse in Berichten und Kommentaren von Gerichten auch strafmildernd gewertet werden können”, sagt der Offenbacher Oberstaatsanwalt Axel Kreutz.

Je härter also ein Medium auf einen Täter einprügelt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er eine mildere Strafe bekommt. Das haben sie bei “Bild” anscheinend nicht verstanden. Oder es steckt Kalkül dahinter, schließlich lässt sich dann wieder gegen die Weichei-Justiz wettern, und fertig ist der Empörungskreislauf.

Der Oberstaatsanwalt jedenfalls kritisierte die Berichterstattung ebenfalls und sagte laut „FAS“, man habe „am Anfang“ den Eindruck haben können, „dass Teile der Medien jeden Grauton vermeiden wollten“.

Bei „Bild“ kamen leichte Grautöne erst zum Vorschein, als der „Spiegel“ am 8. Dezember berichtete, dass laut Augenzeugen die Provokation nicht nur von Sanel M. ausging, sondern auch von Tuğçe A. (wovon inzwischen auch der Richter ausgeht). Von da an nahm die Intensität der „Bild“-Berichterstattung stark ab, auch die Darstellung des Geschehens wurde etwas differenzierter. Aber da hatte sich das Schwarz-Weiß-Bild, diese “Geschichte Böse gegen Gut”, längst in den Köpfen der Öffentlichkeit etabliert und schon eine Menge Schaden angerichtet.

Insbesondere die Ermittler klagten immer wieder darüber, dass die Berichterstattung die Untersuchungen massiv erschwere. Schon vor einem halben Jahr schrieb die „FAZ“:

Aus den Behörden ist zu hören, dass es enorm schwierig sei, in einem Fall zu ermitteln, der medial so stark begleitet werde. Mit „medial“ meinen die Beamten auch die Einträge in den sozialen Netzen, die von Anfang an vom Entsetzen über die Tat und Beileidsbekundungen bis hin zu Beschimpfungen und Drohungen gegen den mutmaßlichen Täter reichten. Polizeigewerkschafter Grün sagt, es gebe auch in vermeintlich eindeutigen Fällen kein „Schwarz und Weiß“. Womöglich auch in diesem Fall nicht.

Zum Problem wurde die Schwarz-Weiß-Malerei der Medien auch bei der Befragung der Zeugen. Laut „FAZ“ sagte der Richter gestern, dass eigentlich alle Zeugenaussagen als „vergiftet“ zu betrachten seien, …

weil die Freunde des Täters wie auch die Freundinnen des Opfers vor allem durch die Berichterstattung erheblich beeinflusst gewesen seien. Die dichotomische Fixierung der Medien auf M. und [A.] habe dazu geführt, dass Zeugen besonders M. Handlungen zugeschrieben hätten, deren Urheber er nicht gewesen sein könne.

Auch der Reporter der „FAS“ beobachtete, dass sich die Freundinnen des Opfers …

weniger an der eigenen Wahrnehmung orientierten als vielmehr versuchten, diese mit der öffentlichen Stimmungslage in Deckung zu bringen. Bei denjenigen Zeugen, die man zum Lager des Angeklagten rechnen kann, war es nicht besser, nur dass sie in ihren Aussagen, zum Teil erklärtermaßen, versuchten, das Bild, das in der Öffentlichkeit entstanden war, zu konterkarieren. Auch mehrere neutrale Zeugen konnten sich den Umständen offensichtlich nicht entziehen. Besonders deutlich wurde das, wenn sie vermeintlich Belastendes über die Tote sagten und dabei das Wort „leider“ anfügten.

Besonders stark kritisiert wurde die “Bild”-Zeitung für die Veröffentlichung des Überwachungsvideos, auf dem die Tat zu sehen ist:

Sowohl in der Print-Ausgabe als auch bei Bild.de wurden die Szenen der Überwachungskamera — „die letzten Minuten, die Tugce bewusst erlebte!“ — detailliert dokumentiert, die entscheidenen Momente hatte die Redaktion sogar extra von einem Illustrator nachzeichnen lassen:

Schon kurz nach der Veröffentlichung äußerten Staatsanwaltschaft und Polizei die Befürchtung, dass die Zeugen dadurch beeinflusst werden könnten:

Durch die Veröffentlichung des Videos werde das Beweismittel zwar nicht wertlos für den Gerichtsprozess, allerdings bestehe die Gefahr, dass dadurch Zeugen in ihrer Aussage manipuliert werden könnten. “Man muss damit rechnen, dass sich Zeugen vor ihrer Vernehmung das Video anschauen und ihre Aussage dann damit abgleichen”, so [Oberstaatsanwalt] Kreutz. Dadurch könnten unter anderem subjektive Erinnerungen an das Geschehen eingefärbt werden.

Auch Interpretationen des Videos, die im Vorfeld eines Prozesses über die Medien verbreitet würden, könnten einen Einfluss auf Zeugenaussagen haben — womöglich auch auf die Schöffen in einem Gerichtsverfahren.

Und so kam es dann auch: Laut „FAS“ hatten „im Grunde alle Zeugen“ das Video vor ihrer gerichtlichen Einvernahme “und zum Teil schon vor ihrer Aussage bei der Polizei gesehen”.

Eine Vernehmungsbeamtin sagte deshalb vor Gericht, es sei schwer gewesen, überhaupt eine objektive Aussage zu bekommen.

Von all der Kritik ist in der “Bild”-Zeitung von heute natürlich kein Wort zu lesen. Die titelt:

Belege finden sich im Artikel keine. Dafür aber ein großes Foto der Mutter des Täters — ohne jede Unkenntlichmachung.

Mit Dank an alle Hinweisgeber!

Behindert, Sturmhorst, EGMR

1. “‘Lübecker Nachrichten’ kapitulieren vor Trolls”
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Sonja Álvarez kommentiert den Entscheid der “Lübecker Nachrichten” “Berichte in Sachen Flüchtlinge in Lübeck” zukünftig nicht mehr auf Facebook zu teilen: “In Richtung der Trolls ist das ein fatales Signal: Je heftiger sie hetzen, um so größer ist offensichtlich die Wirkung. Statt sich künftig sachlicher zu verhalten, wie es die Redaktion offenbar erreichen will, dürften sie künftig nur noch mehr pöbeln – in der Hoffnung, dass auch über andere für sie unliebsame Themen nicht mehr berichtet wird. Das Nachsehen haben all die Leser, die sich über die Facebook-Seite über aktuelle Themen informieren und austauschen wollen.”

2. “Pöbeln gilt nicht!”
(faz.net)
Ein Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) “hat die Verantwortung eines Internetportals für beleidigende Kommentare seiner Nutzer bekräftigt. Wenn diese beleidigende und unflätige Einlassungen absetzen oder gar Hetze betreiben, ist das Portal zu Schadensersatz verpflichtet.” Die Medienmitteilung dazu ist als PDF-Datei via echr.coe.int einsehbar.

3. “Die neuen Online-Kundenmagazine – ein Überblick”
(upload-magazin.de, Klaus Eck)
“Konzerne blicken verzückt auf das elektronische Magazin und entdecken seine vielfältigen Möglichkeiten im Content-Marketing”, schreibt Klaus Eck und stellt eine “Renaissance der eZines” fest: “Bislang fällt mir vielen deutschsprachigen Magazinen auf, dass viele Online-Artikel nur selten geteilt werden. Vielleicht erreichen sie bislang noch nicht wirklich ihre Stakeholder.”

4. “‘Behindert’ als Schimpfwort”
(blog.zeit.de/stufenlos, Christiane Link)
Die Anwendung des Worts “behindert”: “Neulich sagte mir ein junger Mann in einer Mitarbeiterschulung, die ich gehalten habe, er würde das Wort ‘behindert’ gar nicht nutzen, denn das sei ja ein Schimpfwort. Er kannte das Wort als neutrale Beschreibung von Menschen mit Behinderungen überhaupt nicht. Er kannte es nur als Schimpfwort.”

5. “China and Russia Almost Definitely Have the Snowden Docs”
(wired.com, Bruce Schneier, englisch)
“Do countries like China and Russia have copies of the Snowden documents?”, fragt Verschlüsselungsfachmann Bruce Schneier. Und antwortet: “I believe the answer is certainly yes, but that it’s almost certainly not Snowden’s fault.”

6. “Der mediale Irrsinn von #Sturmhorst: Die aSozialen Medien”
(flurfunk-dresden.de, gast)

Claire Danes, Tatort, Heftig.co

1. “Author of That Horrible Snowden Article Has Even Worse CNN Interview”
(gawker.com, Adam Weinstein, mit Video, 4:02 Minuten, englisch)
Ein Interview mit Tom Harper, einem der Autoren der aus namenlos bleibenden Regierungskreisen stammenden Story in der “Sunday Times” über einen angeblichen Zugriff von Russland und China auf die Snowden-Leaks: “So, to summarize: We have no proof that there was any harm, except what the British government has said; there’s no way to back up what they’ve said; if you want to know what’s going on in the intelligence world, well… you’ve gotta have a leak like Snowden’s.” Siehe dazu auch “Britischer Medienbericht: Dubioser Angriff auf Edward Snowden” (spiegel.de, Christian Stöcker) und “Snowden files ‘read by Russia and China’: five questions for UK government” (theguardian.com, Ewen MacAskill, englisch).

2. “Claire Danes will Schmerzensgeld von der ‘Bild'”
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Schauspielerin Claire Danes fühlt sich in Berlin von “Bild” verfolgt. Sie verlangt Unterlassungserklärungen und fordert Schmerzensgeld.

3. “Montagmorgen-Diarrhöe: Deutsche Medien leiden unter akuter Tatorteritis”
(zeitgeisterjagd.de, Matthias Heitmann)
Matthias Heitmann beschäftigt sich mit den zahlreichen “Tatort”-Begleitmedien: “Nahezu keine deutsche Tageszeitung meint heute, dass ihre Website ohne eine eigene ‘Tatort-Kolumne’ auskommen könne – und zwar nicht nur eine feuilletonistische, sondern eine harte und investigative.”

4. “Erstmals live: Heftig.co-Gründer erzählt, wie sie das Portal groß gemacht haben”
(onlinemarketingrockstars.de, Martin Gardt)
Peter Schilling von Heftig.co “auf der Rockstars-Bühne”: “‘Wir haben keine Jour­na­lis­ten und das war von Anfang an ziem­lich gut. Online-Redakteure funk­tio­nie­ren für uns oft nicht, die haben oft eine bestimmte Art zu schrei­ben, einen fest­ge­leg­ten Blick­win­kel. Wir gehen viel daten­ge­trie­be­ner an die The­men’, sagt Schil­ling. Die inten­si­ven Tests von Bil­dern und Über­schrif­ten sind eines der Mar­ken­zei­chen von Heftig.co, hier zäh­len Klicks und keine sprach­li­chen Bon­bons. Mit Copyright-Problemen habe das Por­tal bis­her keine Pro­bleme gehabt. Die Arbeits­weise ähnele ja auch der klas­si­scher Medien: Geschich­ten erken­nen, auf­neh­men, anpas­sen und ver­öf­fent­li­chen.”

5. “Schwule in den Schlagzeilen”
(de.ejo-online.eu, Yulia Grineva)
Wie deutsche und wie russische Medien über Homosexualität berichten.

6. “Merkels E-Mail und andere angebliche Hacks”
(blog.alvar-freude.de)

The Sunday Times, NZZ, taz

1. “The Sunday Times’ Snowden Story is Journalism at its Worst — and Filled with Falsehoods”
(firstlook.org/theintercept, Glenn Greenwald, englisch)
Glenn Greenwald ärgert sich über die unkritische Aufnahme eines Artikels in der “Sunday Times” durch Journalisten: “The whole article does literally nothing other than quote anonymous British officials. It gives voice to banal but inflammatory accusations that are made about every whistleblower from Daniel Ellsberg to Chelsea Manning. It offers zero evidence or confirmation for any of its claims. The ‘journalists’ who wrote it neither questioned any of the official assertions nor even quoted anyone who denies them.” Siehe dazu auch “Five Reasons the MI6 Story is a Lie” (craigmurray.org.uk, englisch).

2. “Berichtigung: gefürchtete Konsequenz eines journalistischen Fehlers”
(fachjournalist.de, Frank C. Biethahn)
Frank C. Biethahn klärt auf über Berichtigungsansprüche und unzulässige Tatsachenbehauptungen.

3. “NZZ verbreitet irreführende Statistik”
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Urs P. Gasche kritisiert die NZZ, weil sie bei einer Kriminalitätsstatistik das Bevölkerungswachstum nicht einbezogen hatte: “Im konkreten Fall gab es im Jahr 1984 eine Verurteilung pro 105 Einwohner, im Jahr 2014 eine Verurteilung auf 60 Einwohner. Das ist immer noch eine starke Zunahme, jedoch nicht um 138 Prozent, sondern um 75 Prozent.”

4. “Die Kasachstan-Connection: Wie der SPIEGEL ins Visier der Nasarbajew-Lobby geriet”
(spiegel.de, Walter Mayr)
Walter Mayr liest E-Mails, die “in seltener Eindringlichkeit die Versuche der Nasarbajew-Lobbyisten, sich Teile der Presse dienstbar zu machen”, beleuchten.

5. “Wirtschaftsförderung auf Abwegen”
(nzz.ch, Christoph Eisenring)
Die “taz” erhält 3,8 Millionen Euro Fördergelder aus der “Gemeinschaftsaufgabe ‘Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur'”. Wie sie auch im eigenen Hausblog transparent macht: “Die taz braucht keine staatlichen Subventionen, um auch Ihr Handeln weiterhin kritisch verfolgen zu können. Die 3,7 Mio. ‘Subvention’ dienen der taz Verlagsgenossenschaft eG ausschließlich dazu, ein neues Haus zu bauen. Hier wird also nicht irgendwas subventioniert, sondern investiert – in die Zukunft.”

6. “Tim Hunt: ‘I’ve been hung out to dry. They haven’t even bothered to ask for my side of affairs'”
(theguardian.com, Robin McKie, englisch)
Wissenschaftler Tim Hunt tritt nach Aussagen an einem Vortrag von seiner Honorarprofessur zurück: “‘I was very nervous and a bit confused but, yes, I made those remarks – which were inexcusable – but I made them in a totally jocular, ironic way. There was some polite applause and that was it, I thought.’ (…) Hunt may have meant to be humorous, but his words were not taken as a joke by his audience. One or two began tweeting what he had said and within a few hours he had become the focus of a particularly vicious social media campaign.”

Dunkel war’s, der Mond schien helle

Einfach volle Möhre abgehauen.

Danke an Verena C.

***

Was will man mehr?

Danke an Kimberly D.

***

Wer Äpfel mit Birnen vergleicht, mit dem ist nicht gut Kirschen essen.

Danke an Lisa B.

“FAZ” verkalkuliert sich beim unkalkulierbaren Griechen-Risiko

Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” schlägt in ihrer heutigen Ausgabe Alarm:

Eines der Probleme: Das durchschnittliche Renteneinstiegsalter der Griechen soll so verdammt niedrig sein:

Die griechische Regierung von Alexis Tsipras spricht in ihrer Vorlage für die Reformpartner und Gläubiger Griechenlands davon, dass man für das kommende Jahr als Zielgröße ein durchschnittliches Renteneintrittsalter von 56,3 Jahren ansteuern wolle

Okay, dann noch einmal extra für die “FAZ”: Das stimmt nicht.

Die ausführliche Erklärung haben wir gestern hier aufgeschrieben. Zusammengefasst: Die 56,3 Jahre, die die “FAZ” als geplantes “durchschnittliches Renteneintrittsalter” Griechenlands verkauft, beziehen sich nicht auf alle Griechen, sondern nur auf Angestellte im öffentlichen Dienst. Das steht so auch in einer Tabelle (Rententräger “PS Δημóσιο”) der “Vorlage für die Reformpartner” (PDF), auf die sich die “FAZ” beruft. Hätte die Redaktion vier Spalten weiter rechts geguckt, hätte sie gesehen, dass das gleiche Papier das für 2016 geplante Renteneinstiegsalter für Angestellte in der griechischen Privatwirtschaft (Rententräger “IKA-ETAM”) mit 60,6 Jahren angibt.

Schon vor drei Tagen hatte die “FAZ” den Quark mit den 56,3 Jahren verbreitet:

In der heutigen Ausgabe setzt die “FAZ” aber noch einen drauf:

In Deutschland liegt der durchschnittliche Rentenbeginn derzeit bei 64 Jahren.

Auch das stimmt nicht. Eine Statistik der Deutschen Rentenversicherung (PDF) sagt zwar, dass das durchschnittliche Zugangsalter bei Renten “wegen Alters” 64,1 Jahre betrage. Rechnet man jedoch all die Fälle hinzu, die “wegen verminderter Erwebsfähigkeit” früher in Rente gehen (durchschnittlich mit 51 Jahren), sinkt der Wert auf 61,3 Jahre.

Die “FAZ” baut also zwei Schnitzer — zufälligerweise genau die, die auch “Bild” gemacht hat. Und wer klammert sich wiederum an die “FAZ”, um seinen eigenen Mist zu rechtfertigen? Na klar:

Mit “Bild” beim Teenie-Sex im Spaßbad

Fassen wir die Geschichte zur Sicherheit einmal trocken zusammen: Ein junges Pärchen (volljährig) war im vergangenen Winter im Schwimmbad, hatte dort (so eine Art) Sex, wurde erwischt, angezeigt und schließlich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verurteilt.

Und jetzt in den Worten von “Bild”-Mann Jörg Völkerling:

Das war wirklich ungezogen, was diese liebestollen Teenager ausgezogen in der Erlebnisgrotte abzogen …

(kurze Pause, bis sich das Johlen im Publikum gelegt hat … so, weiter geht’s)

Feucht-fröhliche Liebesspiele im Spaßbad […] brachten Paul R.* (18) und seine Freundin Lisa M.* (19, *Namen geändert) jetzt vor das Augsburger Amtsgericht. Wegen (heftiger) Erregung öffentlichen Ärgernisses!

Besonders einsichtig zeigten sich die beiden nicht. Zum Prozess kam das Paar 15 Minuten zu spät, fläzte sich frech auf die Anklagebank. Als Richter Bernhard Kugler nachfragte, antwortete Paul R. lässig: „Ich bin wegen dem Verkehr zu spät.“

Mit dem Verkehr hat der junge Mann offenbar so seine Probleme.

(…)

Paul R. zeigt sich weiter uneinsichtig. Deshalb entschließt sich der Richter, die Videos der Unterwasserkameras zu zeigen.

Dafür schickt er die Öffentlichkeit aus dem Saal (was Völkerling erst in einem späteren Artikel erwähnt) und lässt sie erst danach wieder rein.

Er verurteilt Paul R. zu einem Dauerarrest von zwei Wochen, die Angeklagte zu einem Freizeitarrest und zu 32 Stunden Hilfsdienst – so viel Strafe hatte nicht einmal die Staatsanwaltschaft gefordert. Doch in diesem Fall wollte das Gericht wohl ein (S)Exempel statuieren.

So weit Völkerlings Pointenfeuerwerk — erschienen am Dienstagabend in vergleichsweise dezenter Aufmachung:

Im Normalfall hätten die Leute von “Bild” es vermutlich dabei belassen oder höchstens noch die ein oder andere Sammlung heißer Sex-Urteile oder ein paar Promi-Zitate zu pikanten Jugend-Sünden hinterhergeschoben, doch keine vier Stunden später veröffentlichte Bild.de schon den nächsten Artikel zu dem Fall, wieder von Völkerling, aber viel größer aufgemacht. Im Grunde genau der gleiche Text, doch diesmal mit einem ganz speziellen Extra: Fotos!

Von den Teenis!

Beim Sex!


(Verpixelung von uns. Gilt auch für alle folgenden Screenshots.)

Allerdings gab’s die „scharfen Unterwasser-Fotos“ (Bild.de) nur für zahlende Kunden:

Sehen Sie mit BILDplus, wie wild es Paul R. (18) und seine Freundin Lisa M. (19) wirklich trieben!

Am nächsten Morgen dann auch „Porno pur“ für alle Print-Leser, nahezu halbseitig auf dem Titelblatt:

Im Innenteil dann noch mal in aller Ausführlichkeit:

Und am Mittag, endlich:

Über eine Minute lang sind die (unkenntlich gemachten) Sex-Versuche aus mehreren Perspektiven zu sehen — aber wieder nur gegen Bezahlung:

Sehen Sie mit BILDplus die delikaten Videoaufnahmen. Was wirklich geschah, und warum das als Beweismittel so wichtig ist – schauen Sie selbst!

Hereinspaziert, hereinspaziert. Sehen Sie junge Amateure beim Unterwasser-Fummeln, exklusiv bei Deutschlands weltgrößtem News- Informations- Dings-Portal!

Zwischendurch gab’s tatsächlich noch den halbherzigen Versuch einer sinnvollen Annäherung an das Thema, diesmal auch ohne Paywall:

Bebildert — natürlich — so:

Im Text kommt ein Herr “von der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e.V.” zu Wort und erzählt allerlei vom “Recht am eigenen Bild” und Datenschutz, aber unter Wasser muss man das ja alles nicht so eng sehen:

Unproblematisch hingegen seien die Unterwasser-Aufnahmen. Michael Weilandt: „Die Unterwasserkameras zur Aufsicht sind nicht so ein großes Problem, weil die Qualität nicht so gut ist und die Personen ja nicht wirklich erkennbar sind.“

(Man beachte auch, wie Bild.de aus einem nicht so großen Problem gar keins mehr macht.)

Wie es um die anschließende Veröffentlichung solcher Aufnahmen bestellt ist, erklärt der Mann nicht. Aber danach haben ihn die “Bild”-Leute bestimmt auch nicht gefragt.

Die machen auf jeden Fall munter weiter, so lange das Eisen noch feucht, äh, ja. Völkerling, Ihr Stichwort.

Online gibt’s das alles selbstverständlich wieder nur bei “Bild-Plus”:

Wie es zu dem wilden Unterwasser-Sex kam, was die Teenager über ihr Liebesleben sagen und warum sie sich von den Bademeistern schlecht behandelt fühlen – das lesen Sie hier!

Fehlt eigentlich nur noch die Sammlung heißer … ach, schau an:

Selbst einen Brief von Franz-Josef Wagner hat der “liebe Sex im Schwimmbad” inzwischen bekommen (“Sex ist die Nähe zum Glück. Lassen wir doch die beiden Liebenden schwimmen. Herzlichst”).

Woher „Bild“ die Bilder der Überwachungskameras hat, ist indes unklar.

Das Gericht schrieb uns auf Anfrage, es habe „das fragliche Bild- und Videomaterial nicht an die ‘Bild’-Zeitung oder an Bild.de ausgehändigt“. Auch der Geschäftsführer des Schwimmbads erklärte gegenüber BILDblog, das Video nicht weitergegeben zu haben. Zurzeit werde noch überprüft, wie das Blatt an die Bilder kommen konnte. Ein Anwalt sei bereits eingeschaltet.

Warum „Bild“ die Bilder der Überwachungskameras, die das Gericht bewusst nicht der Öffentlichkeit zeigte, seit Tagen bewusst der Öffentlichkeit zeigt, ist allerdings nicht schwer zu erraten:

Mit Dank an Lukas H., Tobias H., Daniel K. und Thomas D.

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