Archiv für Juni 1st, 2015

“Bild am Sonntag” serviert FIFA-Kaiserschmarrn

In einem Artikel über die FIFA und Franz Beckenbauer schrieb die “Bild am Sonntag” gestern:

Fragen zur Korruption bei der WM-Vergabe an Russland und Katar drohen Beckenbauer erneut, diesmal von der Schweizer Justiz. Die Bundesanwaltschaft ermittelt nun auch in der Sache und hat bereits zehn Mitglieder des Exekutivkomitees von 2010 als Zeugen geladen. Nach Informationen aus Justizkreisen sollen auch die übrigen 14 Mitglieder von damals vernommen werden. Darunter wäre auch Beckenbauer.

Wir haben bei der Bundesanwaltschaft nachgefragt, was an der Geschichte dran ist. Auf eine Antwort mussten wir — wie beim letzten Mal — nur wenige Minuten warten. Der Pressesprecher schreibt:

F. Beckenbauer gehört nicht zu den von der BA zu befragenden Auskunftspersonen. Dies sind explizit KEINE Zeugen, sondern Auskunftspersonen, was juristisch ein wesentlicher Unterschied ist. Weitere Personen sind zur Zeit nicht zur Befragung vorgesehen. Die Geschichte der BamS ist somit mehrfach falsch.

Und das hätte sie mit einem kurzen Anruf bei der Bundesanwaltschaft auch selbst herausfinden können. Nachgefragt hat sie dort aber nie:

Eine entsprechende Anfrage der BamS oder von Bild ist bei der BA nie gestellt worden.

Auch der Sport-Informations-Dienst (sid) hat auf die Recherche verzichtet und sich bei seiner Agenturmeldung lieber blind auf die „BamS“ verlassen:

Schlageile des sid: 'BamS: Schweizer wollen Beckenbauer befragen'

Die Meldung findet sich jetzt unter anderem auf den Seiten des „Handelsblatts“, der „Welt“, der “11 Freunde”, bei „Zeit Online“, „Focus Online“, N24.de, Sport1.de, ran.de, spox.com und vielen mehr.

So verbreitet sich zum zweiten Mal innerhalb von vier Tagen eine FIFA-Falschmeldung, obwohl das Abschreiben der Geschichten länger dauert, als herauszufinden, dass sie Quatsch sind.

Tinte, Familienzwist, Homeland

1. “Anmerkungen mit grüner Tinte”
(sueddeutsche.de, Nico Fried)
Nico Fried beschreibt die Autorisierung von Interviews, “ein Verfahren, das es fast nur in Deutschland gibt: Die Politiker können ihre Aussagen präzisieren, streichen, kürzen”: “Es geht im Zweifel durch viele Hände, durch die zuständigen Fachabteilungen, zu engen Mitarbeitern – und am Schluss noch einmal zu Merkel. Mit grüner Tinte macht sie letzte Anmerkungen, wenn sie noch welche hat.”

2. “‘Ich nenne sie Kopolitiker'”
(taz.de, Anne Fromm und Ines Pohl)
Ein Interview mit Politikwissenschaftler Thomas Meyer: “Politik wird nicht mehr als eine Mischung aus Konflikten, Interessen, Akteuren, Institutionen und als längerer Prozess verstanden, sondern der Einfachheit halber als so eine Art Familienzwist zwischen Promis präsentiert. Das Symbol dafür ist die politische Talkshow. Dort wird das politische Geschehen als Unterhaltung inszeniert, als ein Gezänk, bei dem es eigentlich nur um den persönlichen Streit zwischen Politikern und anderen Promis geht. Das ist ein entpolitisierendes, irreführendes Bild von der Politik.”

3. “Vom Falschen im Echten”
(3sat.de, Video, 5:27 Minuten)
“Störbilder. Schöne Gedanken. Emotionen. Ist das die Zukunft des Journalismus? Nein. Aber die Satiriker zeigen, wie man sperrige Themen verständlich an den Zuschauer bringt. Und wo Meinungsmache wirklich hingehört. Auf ihre Bühnen. Und nicht in die Nachrichten.” Siehe dazu auch “Kulturzeit-Interview mit den Machern von ‘Die Anstalt'” (3sat.de, Video, 6:28 Minuten).

4. “‘Kein Cartoon ist ein Menschenleben wert'”
(schweizamsonntag.ch, Yannick Nock)
Ein Interview mit Jørn Mikkelsen, Chefredakteur der Jyllands-Posten: “Ein Cartoon ist nie ein Menschenleben wert. Schon gar keine 300 Menschen, die im Zuge der Karikaturen mittlerweile ihr Leben verloren haben. Es geht um ein Prinzip, aber auch ein Prinzip kann nie ein Leben Wert sein. Trotzdem sollten wir nicht vergessen, dass Prinzipien wichtig sind für unsere Demokratie. Wir dürfen nicht über die schleichende Zensierung, die momentan leider im Gange ist, hinwegsehen. Wir müssen darüber diskutieren.”

5. “Über das Zurückschlagen von Empörungswellen und eine seltsame Argumentation im Fall Rönne”
(annettebaumkreuz.wordpress.com)
Eine Kontroverse um die Nominierung von Ronja von Rönne als Kandidatin für den diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis: “Man kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Immerhin handelt es sich bei den Diskutanten nicht um irgendwelche ‘Empörten’ von der Straße, sondern um die ‘Social-Media-Koordinatorin von tagesschau.de’, eine Bachmann-Preis-Nominierte, einen FAZ-Blogger und den stellvertretenden Chefredakteur der WELT-Gruppe. Man fragt sich dann schon: Ist das die Diskussionskultur unter den ‘Eliten’, die uns als Vorbild dienen soll?”

6. “Irgendwie persisch”
(freitag.de, Katharina Schmitz)
Katharina Schmitz besucht in Berlin Kreuzberg ein Casting für die US-Serie Homeland: “Ich frage eine junge Türkin, ich sähe nicht so richtig authentisch südländisch oder aus dem Mittleren Osten aus, oder? Es klingt immer noch doof, jedenfalls fühle ich mich unwohl, wir vom Freitag machen uns ja immer so viele Gedanken. In ihrer Antwort liefert sie die Kritik an Homeland gleich mit: ‘Es gibt ja auch Hellhäutige. Aber bei so was will man doch eher Stereotype. Aber du würdest sofort als Araberin durchgehen.'”