Archiv für März 27th, 2014

Am Undercut herbeigezogen

So ganz sicher sind sich die Medien ja nicht, ob es wirklich stimmt, was da gerade wieder Verrücktes über Nordkorea berichtet wird. Die dpa hat am Ende ihrer Meldung sogar extra geschrieben:

Es ist sehr schwierig, Angaben aus Nordkorea zu überprüfen.

Aber wie immer in solchen Fällen, hält das die Journalisten natürlich auch diesmal nicht davon ab, die Geschichte trotzdem zu verbreiten.

Und wie!

Screenshots: diverse

In fast allen Überschriften und Teasern wird der angebliche “Frisurenzwang” kurzerhand zur Tatsache erklärt, auch in einigen Artikeln ist kaum ein Zweifel an der Story zu spüren.

Als erstes großes Medium hatte die BBC über die Geschichte berichtet, aufgeschnappt hatte die sie wiederum bei “Radio Free Asia”. In Deutschland war “Focus Online” zuerst darauf angesprungen, später dann dpa und Dutzende andere Medien.

Wie aber die Seite “NK News” bereits gestern berichtet hat, ist auch an dieser Story offensichtlich nicht allzu viel dran. Das in den USA ansässige Nachrichtenportal hat sich auf Nordkorea spezialisiert; Quellen sind oftmals NGO-Mitarbeiter, im Ausland lebende Nordkoreaner oder Menschen, die erst kürzlich von einer Nordkorea-Reise zurückgekehrt sind. So wie auch in diesem Fall:

“Ich bin mir ziemlich sicher, dass [die Geschichte vom Frisurenzwang] Quatsch ist. Letzte Woche hatten alle noch typische Haarschnitte”, sagte Andray Abrahamian, Executive Director der NGO “Choson Exchange” in Singapur, der regelmäßig mit jungen Nordkoreanern arbeitet.

Gareth Johnson, General Manager der “Young Pioneer Tours” in Peking, sagt NK News ebenfalls, dass — Stand: letzte Woche — keiner seiner Kollegen Beweise für die neue Frisurenverordnung entdeckt habe. “Wir waren letzte Woche in Nordkorea und haben niemanden mit besagtem Haarschnitt gesehen. Es scheint, als müsse die BBC jede Woche eine neue Nordkorea-Geschichte finden”, sagte Johnson […].

(Übersetzung von uns.)

Das Portal zitiert noch weitere Quellen, die in Nordkorea leben oder arbeiten und ebenfalls davon ausgehen, dass an der Meldung nichts dran ist. Zwar habe sich der Staat in der Vergangenheit bei diesem Thema tatsächlich eingemischt, indem er bestimmte Haarschnitte empfohlen habe, doch inzwischen seien die Mode-Richtlinien gelockert worden. Außerdem würden Verstöße gegen solche Richtlinien nur selten geahndet.

Auch eine andere haarige Geschichte, über die in diesem Zusammenhang (auch von deutschen Medien) gerne berichtet wird, entspricht laut “NK News” nicht der Wahrheit: Seit einiger Zeit geistere der Mythos umher, dass

Frauen aus einer bestimmten Palette von zugelassenen Haarschnitten auswählen müssen. Doch die Fotos, die in der Regel genutzt werden, um diese Behauptung zu untermauern, zeigen oft Poster mit einer Auswahl von Haarschnitten, die in Friseurläden in Pjöngjang hängen — und die den Kunden in Wirklichkeit nur eine Idee von den möglichen Optionen geben sollen, keine verpflichtende Auswahl.

Aber wie das nun mal so ist:

Gerüchte über Nordkorea, die auf anonymen Quellen basieren, tauchen oft in den Maintream-Medien auf — und führen zu einem “echo chamber effect”.

Mit Dank an Stefan S., Marvin S. und Christoph A.

Scotusblog, Daniel Bröckerhoff, Webradio

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Warum die NASA nicht sagt, dass die Welt untergeht”
(scilogs.de, Thomas Grüter)
Eine Studie, die angeblich von der NASA stammt, soll gemäß Medienberichten den Untergang der Menschheit prophezeien. “Nach einigen Recherchen wurde mir klar, dass in den meisten Berichten kaum etwas stimmt.”

2. “Die Erfüllung muss das Honorar ersetzen”
(faz.net, Patrick Bahners)
Patrick Bahners berichtet über das Scotusblog: “Scotusblog ist für alle Interessierten und Beteiligten die wichtigste Informationsquelle über den Supreme Court of the United States (Scotus) – für alle, das heißt: auch für die Anwälte, für die Zuarbeiter der Richter und mutmaßlich auch für die Richter selbst.”

3. “ZDF: Mehr Staatsferne für die Gremien”
(ndr.de, Video, 6:28 Minuten)
Ein “Zapp”-Beitrag zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den ZDF-Staatsvertrag: “Dass überhaupt Staatsvertreter über das ZDF wachen, im Verwaltungsrat sogar amtierende oder Ex-Ministerpräsidenten, störte das Gericht aber nicht. Die Politik sei halt Teil des Gemeinwesens.”

4. “Daniel Bröckerhoff: Der Selbstvermarkter”
(vocer.org, Philipp Löwe)
Ein Interview mit “Zapp”-Mitarbeiter Daniel Bröckerhoff: “(…) wenn du vom privaten Fernsehen ins öffentlich-rechtliche wechselst, ist sehr, sehr viel sehr, sehr anders.”

5. “Die neue Webradio-Quote”
(sebastian-pertsch.de)
Die AGMA veröffentlicht erstmals eine Webradio-Quote. Sebastian Pertsch schreibt dazu: “Mit der ma IP Audio hat die agma einen Meilenstein gelegt, der künftig nicht mehr wegzudenken sein wird. Bleibt zu hoffen, dass sich bald deutlich mehr Radios an der Webradio-Quote beteiligen, die Metriken facettenreicher sind, die Quoten vereint werden und endlich die Mobilfunkdaten in die Statistik mit einfließen.”

6. “Eine schrecklich private Familie”
(sueddeutsche.de, Ekkehard Müller-Jentsch)
Die Familie Geiss – bekannt aus “Die Geissens” – streitet sich mit Klatschzeitschriften vor Gericht: “In gleich fünf Prozessen haben sich Robert sowie Carmen Geiss samt ihrer Töchter Davina Shakira und Shania Tyra Maria am Mittwoch vor dem Landgericht München I gegen Berichte von zwei Klatschblättern gewandt, die sich mit vermeintlich dunklen Seiten der Geissens befassten.”

Focus  

“Vorwürfe gegen Tebartz-van Elst ausgeräumt”

Für Leser des “Focus” brachte der Mittwoch überraschende Neuigkeiten. Der Abschlussbericht einer Prüfungskommission für die Deutsche Bischofskonferenz stellte fest, dass Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst beim Bauprojekt auf dem Limburger Domberg systematisch zu niedrige Kosten angegeben, Kontrollen verhindert und kirchliche Vorschriften umgangen habe. Papst Franziskus nahm daraufhin den Amtsverzicht des Bischofs an.

Das hatte das vermeintliche “Nachrichtenmagazin” nicht kommen sehen. Am 26. Januar 2014 hatte es exklusiv gemeldet, der Abschlussbericht der Prüfkommission werde Tebartz-van Elst entlasten: Die Vorwürfe gegen ihn seien weitgehend ausgeräumt.

Verbreitet wurde die Ente nicht nur vom “Focus” selbst und seiner Schwesterpublikation, der “Huffington Post”. Die Nachrichtenagenturen AFP und epd übernahmen die Nachricht, wie bei solchen Vorabmeldungen üblich, ungeprüft unter Berufung auf die Zeitschrift.

AFP:

Kommission sieht Vorwürfe gegen Tebartz laut Bericht ausgeräumt

München, 26. Januar (AFP) – Eine von der Bischofskonferenz eingesetzte Kommission betrachtet die Vorwürfe gegen den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst offenbar als weitgehend ausgeräumt. Das Gremium kam zu dem Ergebnis, dass dem umstrittenen Bischof beim 31 Millionen Euro teuren Bau seiner Residenz weder Geldverschwendung noch das Übergehen von Kontrollgremien vorzuhalten sei, berichtet das Magazin “Focus” in seiner neuen Ausgabe. Angeblich werde in dem aus drei Geistlichen und zwei Wirtschaftsprüfern bestehenden Gremium noch um abschließende Formulierungen gerungen.

epd:

“Focus”: Bischof Tebartz-van Elst angeblich entlastet

Limburg/München (epd). Der umstrittene Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst ist offenbar weitgehend entlastet. Nach einem Bericht des Münchner Nachrichtenmagazins “Focus” hat eine Prüfkommission die Vorwürfe gegen ihn weitgehend ausgeräumt. Die von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Kommission ist nach diesen Informationen zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Bischof beim Bau seiner Residenz weder Geldverschwendung noch das Übergehen von Kontrollgremien vorzuhalten sei.

Die Meldung der evangelischen Nachrichtenagentur epd an jenem Sonntag war von 16:56 Uhr — zwei bis drei Stunden vorher hatten dpa und die katholische Nachrichtenagentur KNA bereits berichtet, dass einen Sprecher der Bischofskonferenz der “Focus”-Meldung widersprach.

Im gedruckten “Focus” stand von dem Dementi bis heute nichts.