Archiv für März 18th, 2014

“Gekonnt ins falsche Licht gerückt”

Gestern Abend lief im ZDF ein Film über ein Mädchen, das an Leukämie erkrankt. “Jeder Tag zählt” heißt er, das Mädchen wird gespielt von der 17-jährigen Lilian Prent.

Die “Bild”-Zeitung hatte sich schon tagsüber mit dem Film und seiner Hauptdarstellerin beschäftigt — und zwar so:Für ZDF-Drama - Lilian (17) hungerte bis zum Kollaps

In dramatischen Worten schildert die Autorin, wie sehr Lilian für die Rolle “ihre Gesundheit aufs Spiel setzen musste”:

Sie hungerte für ihre erste große TV-Rolle. Damit sie auf dem Bildschirm überzeugt. Dann brach Lilian (17) zusammen …

[…] Um die Rolle authentisch spielen zu können, sollte die ohnehin schon schlanke Schülerin (50 Kilo bei 1,60 Meter Körpergröße) massiv Gewicht verlieren!

[…] IN SECHS WOCHEN NAHM SIE SIEBEN KILO AB!

[…] Doch die Diät ist zu heftig für ihren jungen Körper. KOLLAPS!

Zwar erfährt der Leser noch, dass die Diät natürlich mit Lilians Eltern, dem ZDF und der Produktionsfirma abgesprochen war und dass Lilian inzwischen “wieder ihr Normalgewicht” erreicht hat, doch gerade mit ihrer Überschrift vermittle die “Bild”-Zeitung einen völlig falschen Eindruck, findet die Schauspielerin. Nachdem der Artikel erschienen war, schrieb sie auf ihrer Facebook-Seite:

Liebe Leute, falls irgendwer von euch heute zufällig eine BILD Zeitung in die Hände bekommen sollte, möchte ich hiermit klar stellen, dass diese “Zeitung” es mal wieder geschafft hat, alle Vorurteile zu bestätigen und Worte und Aussagen gekonnt ins falsche Licht zu rücken. Also hiermit: DIE ROLLE IN JEDER TAG ZÄHLT HAT MEINE GESUNDHEIT NICHT BELASTET! Das ZDF, die Regisseurin und die Produktionsfirma haben mich nie zu etwas gezwungen was ich nicht wollte und ich wurde nie unter Druck gesetzt. Wie reißerisch und dramatisch die BILD meinen Gewichtsverlust auch darstellt, ES GING MIR IMMER GUT! Ich konnte zu jedem Zeitpunkt auf die volle Unterstützung von seiten des ZDF rechnen. SCHWINDELGEFÜHL IST KEIN KOLLAPS! UND SCHON NACH DIESEN GERINGEN KREISLAUFPROBLEMEN WURDE DIE DIÄT SOFORT ABGEBROCHEN! Also Bitte, nehmt diesen Artikel nicht ernster als es war!

Zuerst, erzählte uns Lilian heute am Telefon, wollte sie der “Bild”-Zeitung eigentlich gar kein Interview geben, “da bin ich lieber ein bisschen vorsichtig”. Doch um Werbung für den Film zu machen, habe sie schließlich doch zugestimmt.

Etwa eine Stunde lang habe sie sich mit der “Bild”-Reporterin unterhalten – hauptsächlich über den Film und über ihre Karriere – und dabei auch immer wieder betont, dass eine solche Diät “bei Schauspielern nun mal vorkommt”. Und dass von Seiten des ZDF und der Produktionsfirma keinerlei Druck aufgebaut wurde; dass sie völlig frei in ihren Entscheidungen war. Sie habe auch eingeräumt, dass sie am Ende hin und wieder Kreislaufprobleme gehabt habe und – wenn überhaupt – kleine Schwindelattacken, dass aber jederzeit die Möglichkeit bestand, die Diät abzubrechen.

Später habe ihr die Autorin alle Zitate zur Autorisierung geschickt. “Da habe ich mir keine großen Sorgen gemacht”, sagt Lilian, “denn anhand der Zitate kann man ja schon abschätzen, in welche Richtung der Artikel gehen wird.” Und diese Richtung schien ganz in Ordnung zu sein.

Wenig später dann aber die Überraschung. “Als ich den Artikel gesehen habe, kam ich mir schon ein bisschen verarscht vor”, sagt sie. Von den Zitaten sind nur noch die übriggeblieben, die sich auf die Diät beziehen. Und überhaupt werde mit dem Bericht ein Eindruck vermittelt, der schlicht und einfach falsch sei: “Es klingt so, als wäre ich ein Opfer des bösen ZDF und würde mich jetzt darüber beschweren — aber das stimmt überhaupt nicht”.

Am meisten stört sie sich am Wort “Kollaps”. Davon sei nie und nimmer die Rede gewesen, lediglich über die gelegentlichen Schwindelgefühle habe sie gesprochen. “Meine Aussagen sind journalistisch gekonnt ins falsche Licht gerückt worden”, sagt Lilian. In Zukunft werde sie — Werbung hin oder her — lieber wieder vorsichtig mit Anfragen der “Bild”-Zeitung umgehen.

Mit Dank an René K. und Stefan S.

MH370, Gerichtszeichner, Öffis

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Verbrecher einfangen auf Papier”
(nzz.ch, Robin Schwarzenbach)
Robin Schwarzenbach schreibt über Gerichtszeichner: “Die weniger wichtigen oder gar unbeteiligten Figuren jedoch lassen sich schemenhaft zu Papier bringen. Das ist kein Detail, denn der erwähnte Schutz der Persönlichkeit gilt nicht nur für die Beschuldigten. Er steht auch den unbeteiligten Personen im Saal zu, zum Beispiel den Zuschauern in den hinteren Reihen. Der Gedanke dahinter: Niemand soll mit einem Rechtsverfahren in Verbindung gebracht werden können, mit dem er oder sie persönlich nichts zu tun hat.”

2. “Kritikable Medienkritik”
(vocer.org, Volker Lilienthal)
Im deutschen Medienjournalismus bemerkt Volker Lilienthal “eine ideologische Verengung, ja teilweise Indienstnahme medienjournalistischer Berichterstattung”. “Meine These: Allzu viele Medienjournalisten haben in jüngerer Zeit ihr eigenes, nachvollziehbares Interesse an Arbeitsplatzerhalt und das Mitgefühl für die Eigentümer der privaten Medienorganisationen über die unabhängige Sachverhaltsvermittlung gestellt.”

3. “Unsere Öffis (1): Dokumentationenverstecken mit dem hr”
(stefan-niggemeier.de)
Das TV-Abendprogramm des Hessischen Rundfunks: “Ja: Das hr-Fernsehen zeigt jeden Sonntagabend fünf Rateshows am Stück und kann deshalb leider erst ab 1:30 Uhr schöne, lange, gelegentlich preisgekrönte Dokumentationen zeigen.”

4. “Wozu braucht man eigentlich noch das Fernsehen?”
(abendblatt.de, Dirk Peitz)
Der Exodus der TV-Zuschauer in Richtung Pay-TV habe längst begonnen, glaubt Dirk Peitz: “So also müssen sich DDR-Bürger gefühlt haben, als sie 1989 ein westdeutsches Obstgeschäft betraten, schrieb ein Freund auf Facebook nach einem ersten Rundgang durch Netflix. (…) Ist man erst mal auf Netflix, stellt sich auch die Frage noch mal ganz neu, wozu man eigentlich überhaupt Fernsehen schaut.”

5. “Why the press can’t help but speculate about the missing Malaysia Airlines flight”
(poynter.org, Craig Silverman, englisch)
Die Berichterstattung über das verschollene Flugzeug der Malaysia Airlines mit der Flugnummer MH370. “The story is the fact that the plane is gone. There is nothing to train a live camera on, to tweet in real-time, or crowdsource. This story is about something that has disappeared — and what a terrible mismatch that is for the way the news cycle, social media and the human brain work.” Siehe dazu auch “MH370 story is the new anti-journalism – all data, no real facts, endless theories” (theguardian.com, Michael Wolff, englisch).

6. “My Husband’s Stupid Record Collection”
(alltherecords.tumblr.com, englisch)