Archiv für Oktober 12th, 2012

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Das ist keine Strafe!

Wenn eine, dem breiten Volk eher unbekannte PR-Managerin juristischen Ärger hat, ist das keine Meldung, mit der man als Zeitung punkten kann. Wenn die Frau aber zufälligerweise unter anderem für einen Mann arbeitet, dessen Verhältnis zu deutschen Boulevardmedien einigermaßen angespannt ist, dann kann das schon der richtige “Dreh” für eine Geschichte sein:

Bevor Sie sich wundern, warum Stefan Raab so komisch aussieht: Das ist gar nicht Stefan Raab, sondern seine Wachsfigur. Es gibt offenbar kein anderes “gemeinsames” Bild.

In der Überschrift in der Kölner Regionalausgabe heißt es, die PR-Managerin Gaby Allendorf müsse eine Geldstrafe zahlen, im ersten Satz, es sei ein Strafbefehl gegen sie ergangen. Ein Strafbefehl ergeht ohne mündliche Hauptverhandlung, quasi nach Aktenlage, und kann als Geldstrafe festgesetzt werden. Es gab aber in diesem Fall weder einen Strafbefehl noch eine Hauptverhandlung, in der Frau Allendorf hätte “verurteilt” werden können.

Um das Begriffschaos komplett zu machen, schreibt “Bild”:

Das Verfahren wurde jetzt vorläufig eingestellt — aber nur gegen Zahlung einer Geldbuße in fünfstelliger Höhe an gemeinnützige Einrichtungen.

Diese Zahlung ist allerdings auch keine “Geldbuße”, die bei Ordnungswidrigkeiten fällig würde.

Auf den Fall von Frau Allendorf trifft das alles nicht zu: Das Verfahren gegen sie wurde gegen eine Geldauflage eingestellt (endgültig, übrigens), sie wurde nicht verurteilt oder “bestraft”.

Im Laufe des Tages änderte sich die Online-Version des Artikels bei Bild.de dann Stück für Stück, bis dort nun zutreffend steht:

Das Verfahren wurde jetzt eingestellt – aber nur gegen Zahlung einer Summe in fünfstelliger Höhe an gemeinnützige Einrichtungen.

Gaby Allendorfs Anwalt Christoph Meyer-Bohl teilte uns auf Anfrage mit, er habe die “Bild”-Juristen “höflich darum gebeten, sachliche Fehler zu korrigieren”, da ihn immer wieder Anfragen von anderen Medien erreicht hätten, die sich auf “Bild” beriefen.

Mit Dank an Daniel K., Karsten H. und Kinga H.

Nachtrag/Korrektur: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir bei der Erklärung der Begriffe “Geldstrafe” und “Strafbefehl” einen Fehler gemacht, der nun korrigiert ist.
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Eine “persönliche Katastrophe”

Das war “Bild” dann sogar eine Meldung oben auf der Titelseite wert:

Andreas Türck: Fernseh-Comeback!

Es ist aber auch eine dramatische Geschichte, um die es da geht:

Er ist über Nacht vom Bildschirm verschwunden – als ihm gekündigt wurde, weil er vor Gericht stand. Doch er war unschuldig.

Jetzt, acht Jahre später, endlich das TV-Comeback.

“Bild” erklärt:

Viele hatten nicht mehr mit seiner Rückkehr gerechnet – nach all dem, was damals passierte …

Was damals passierte, umreißt “Bild” eher knapp (“Türck musste sich wegen des Verdachts der Vergewaltigung vor Gericht verantworten. Er verlor alle Jobs, obwohl er ein Jahr später freigesprochen wurde: unschuldig in allen Punkten!”) und bezeichnet es als “persönliche Katastrophe”.

Doch diese “persönliche Katastrophe” hatte auch eine öffentliche Dimension — die vor allem in “Bild” stattfand: “Bild” veröffentlichte damals ein “Protokoll der Sex-Nacht” und eine “Sex-Akte Türck” und “Bild am Sonntag” schrieb über Türck, dass dessen “Rückweg in die vorhersehbare Bedeutungslosigkeit” nur dadurch kurz gestoppt worden sei, dass er “etwas Unvorhersehbares tat”

Noch nachdem Türck freigesprochen worden war, behauptete “Bild”, es handele sich nicht um einen “Freispruch erster Klasse”, weil die Tat bloß nicht mit Sicherheit hätte bewiesen werden können, zählte auf, wie viel “Schmutz” an ihm hängen bleibe und fragte süffisant: “Der schöne Andreas ist 1,93 Meter groß, sportlich, schlank, lächelt gern — aber für was soll er jetzt sein Gesicht ins Fernsehen halten?” Später landete Türck wegen seines Prozesses in einer “Bild”-Kolumne mit der Überschrift “Peinliche Promis”.

Die “Bild”-Meldung von Andreas Türcks TV-Comeback ist also eine gute Gelegenheit, mal wieder auf diesen Text im BILDblog zu verlinken:

Die Kommentarfunktion unter dem Artikel bei Bild.de wurde übrigens deaktiviert. Einer unserer Leser gibt an, dort gestern noch auf die unrühmliche Rolle von “Bild” im Zusammenhang mit Andreas Türck verwiesen zu haben.

Mit Dank auch an Jan S. und Rainer T.

Ein bisschen Friedensnobelpreis

Vermutlich wird “Bild” nicht so unoriginell wie Bild.de sein und morgen auf der Titelseite behaupten “wir” seien jetzt “Friedensnobelpreis”. Aber immerhin: 27 Staaten mit insgesamt 500 Millionen Einwohnern – mithin die Europäische Union – werden in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Bild.de hat dafür ordentlich Platz auf der Startseite freigeräumt und zeigte noch oberhalb vom “Nacktfoto-Klau bei Justin Bieber” dieses Banner:

Bemerkenswert daran ist vor allem die Karte, die Bild.de zeigt:

Das, was da zu sehen ist, ist zwar grob der europäische Kontinent, aber es sind nicht die Länder der Europäischen Union. Die abgebildeten Länder Norwegen, die Schweiz, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Weißrussland, Moldawien, die Ukraine und die russische Exklave Kaliningrad gehören nämlich nicht dazu. Dafür fehlen die EU-Mitglieder Zypern, Malta und Griechenland.

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Die Nachrichtenagentur dapd schreibt in ihrem “Stichwort: Friedensnobelpreis”, das von zahlreichen Medien übernommen wurde:

Das Komitee überreicht den mit acht Millionen schwedischen Kronen (923.000 Euro) dotierten Preis am 10. Dezember, dem Todestag Nobels. Den ersten Friedenspreis erhielten 1901 der Gründer des Roten Kreuzes, Henri Dunant, und der Gründer der französischen Friedensgesellschaft, Frédéric Passy. Bisher wurden zwei Deutsche mit dem Preis ausgezeichnet: Carl von Ossietzky und Willy Brandt.

Diese Formulierungen verbreitet die Agentur (bzw. ihr Vorläufer, der deutsche Dienst der Associated Press) mit leichten Abwandlungen seit mehr als 20 Jahren, aber sie sind falsch: Ebenfalls mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden der frühere deutsche Reichskanzler Gustav Stresemann (1926) und der deutsche Pazifist Ludwig Quidde (1927).

(Albert Schweitzer [1952] und Henry Kissinger [1973] wurden zwar in Deutschland geboren, hatten zum Zeitpunkt ihres Auszeichnung aber bereits die französische bzw. amerikanische Nationalität angenommen.)

Mit Dank an Marc E., Joachim L. und Matthias.

Nachtrag/Korrektur, 14. Oktober: In der ursprünglichen Fassung dieses Eintrags hatten wir angegeben, dass auch Montenegro auf der Karte von Bild.de zu sehen sei. Das stimmt nicht: Dort, wo Montenegro liegen müsste, klafft auf der Karte ein Loch zwischen Bosnien und Herzegowina und Serbien.

Wenn Wirkungen vor der Ursache eintreten

Alexander Kissler, Autor des Buches “Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet”, schreibt in seiner aktuellen “Focus Online”-Kolumne über den “Triumph der Strippenzieher”:

Na bitte, geht doch: Kaum rollt Günther Jauch den roten Teppich aus für Peer Steinbrück, legt dieser in den Umfragen zu. Am Sonntag hielt Steinbrück Hof in der ARD-Talkshow “Günther Jauch”, am gestrigen Mittwoch lasen wir, dass die SPD beim Marktforschungsinstitut Forsa ein Sechs-Jahres-Hoch von 30 Prozent erklommen habe. Auch die persönlichen Zustimmungswerte für Steinbrück verbesserten sich. Wäre Günther Jauch George W. Bush, könnte er nun sagen: “Mission accomplished”, Auftrag erfüllt.

Klitzekleines Logikproblem: Die am Mittwoch veröffentlichte Forsa-Umfrage beruht auf Interviews, die zwischen 1. und 5. Oktober geführt wurden, also spätestens am Freitag vor der Jauch-Sendung. Was auch immer der “Auftrag” Jauchs oder die Wirkung der Sendung gewesen sein mag: An den Forsa-Zahlen, die Kissler zitiert, kann man es ohne größerer Verknotungen des Raum-Zeit-Kontinuums nicht ablesen.

(Solche Verknotungen passieren Journalisten allerdings häufiger.)

Focus Money, Turkmenistan, Buchtapete

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Always believe in your soul”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier nennt “Focus Money” das “Fachblatt für Hysteriker mit Alzheimer” und zeigt zur Veranschaulichung einige Titelblätter der letzten Jahre. Siehe dazu auch “Der Spiegel und die vielen Euro-Tode” (meedia.de, Stefan Winterbauer) und “Der SPIEGEL und die Inflation” (nachdenkseiten.de, Jens Berger).

2. “Die Lehren der ‘Spiegel’-Affäre”
(youtube.com, Video, 5:22 Minuten)
“Zapp” blickt zurück auf die Spiegel-Affäre. 1962 wurden sieben “Spiegel”-Mitarbeiter wegen angeblichem Landesverrat festgenommen, darunter auch Herausgeber Rudolf Augstein. Nach und nach wurden sie wieder entlassen, zuletzt, nach 103 Tagen in Untersuchungshaft, auch Augstein.

3. “Turkmenischer Bückling”
(nzz.ch, René Zeller)
Die Schweiz empfängt Gurbanguly Berdymuchammedow, Staatschef von Turkmenistan, mit militärischen Ehren. Bei der anschliessenden Pressekonferenz werden den anwesenden Schweizer Journalisten lediglich zwei Fragen zugestanden (die sie unter sich absprechen sollen), Nachfragen sind nicht erlaubt. “Es ist unstatthaft, die Presse aufzubieten, um den diplomatischen Händedruck zu orchestrieren – und die Journalisten wie Lemminge zu dressieren.”

4. “‘Warum lese ich das? Vermutlich, um mich aufzuregen'”
(zeit.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein liest in Zeitungen die Rubrik “Leute”. “Und dann lese ich ständig, nur im Internet würden unseriöse Sachen stehen, Gerüchte, belangloses Zeug.”

5. “‘Man kann als Zuschauer gar nicht so viel kotzen'”
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Oliver Kalkofe beschreibt Scripted-Reality-Formate: “Formate mit der Aussage: Guck mal, wie scheiße die Welt ist, wie doof die Leute da draußen alle sind. Programme, die boshaft Menschen vor die Kamera schubsen und zum Auslachen vorführen, damit die Blöden unter den Zuschauern denken können: Cool, die sind ja noch bekloppter als ich!”

6. “Mein letztes Buch”
(freitag.de, Malte Herwig)
Malte Herwig digitalisiert seine rund 4500 Bücher: “Die bürgerliche Buchtapete kenne ich aus meiner Kindheit. Auf den Regalen meines Vaters stehen noch immer Enzyklopädien, Kunstbände, Briefeditionen von Goethe bis Adenauer. In keines dieser Bücher hat er je hineingeschaut. Dafür hat er jeden Abend mit Hingabe Kriminalromane gelesen.”