Archiv für Juli 25th, 2012

Milchmädchen verlieren mehr Geld

Statt auf “Pleite-Griechen” einzudreschen, befasste Bild.de sich gestern zur Abwechslung einmal mit den Folgen einer möglichen “Griechen-Pleite”. Dabei wurde unter anderem folgende Rechnung angestellt:

• Wie viel Geld verliert Deutschland bei einer Griechen-Pleite?
Aus Deutschland sind bislang nach Berechnungen des ifo-Instituts 50,4 Mrd. Euro nach Griechenland geflossen – das Geld wäre weg. Hinzu kommen 27 Mrd. Euro, mit denen Griechenland bei der Europäischen Zentralbank in der Kreide steht – für die haftet Deutschland teilweise. Macht zusammen 119,7 Milliarden Euro!

Die 50,4 Milliarden Euro tauchen tatsächlich in einer aktuellen Berechnung des ifo-Instituts (pdf, Summe der Posten 1 bis 5) auf. Das gleiche gilt für die 27 Milliarden Euro (Posten 6). Wie jedoch die Summe aus 50,4 Milliarden und 27 Milliarden stolze 119,7 Milliarden Euro betragen kann, das wissen wohl nur die Milchmädchen.

Das ifo-Institut jedenfalls kommt – je nachdem ob Griechenland in der Eurozone verbleibt oder nicht – auf 88,7 bzw. 82,2 Milliarden Euro. Und so steht es heute auch in “Bild” sowie in einer Agenturmeldung auf Bild.de.

Mit Dank an Katrin H.

Bild  

Bis sich die Balken biegen (4)

Das Dr.-Sommer-Team hat es immer schon gewusst: “Sechs ist nicht immer gleich!”

Im Balkendiagramm, das “Bild” auf Grundlage eines “INSA-Meinungstrends” erstellt hat, ist das jetzt erstmals grafisch festgehalten:

Mit Dank an die vielen andern Hinweisgeber.

Nachtrag, 22.25 Uhr: Auf Bild.de ist die Grafik inzwischen korrigiert — offenbar sogar schon kurz bevor wir unseren Artikel freigeschaltet hatten.

Abwärts

Die “Bild”-Zeitung, größte deutsche Tageszeitung, hat ihren Auflagenrückgang gestoppt. (…) Ulrike Fröhling von der “Bild”-Verlagsgeschäftsführung führte die aktuelle Entwicklung am Dienstag auf die Veränderungen bei dem Blatt seit dem Wechsel in der Chefredaktion zurück. Neuer Chefredakteur von “Bild” ist seit Anfang des Jahres Kai Diekmann (…).

dpa, 17. April 2001

Der Jubel hielt nicht lange an. Und als es mit der Auflage der “Bild”-Zeitung kurz danach wieder bergab ging, sollte es nicht mehr am Chefredakteur liegen.

Im April 2002 hatte Kai Diekmann noch eine originelle Erklärung dafür, warum deutlich weniger Leute die “Bild”-Zeitung kauften. Der “Tagesspiegel” gab sie damals so wieder:

Seien früher die Leute morgens zum Kiosk gegangen, hätten eine Mark für “Bild” hingelegt und automatisch vom Verkäufer den vorbereiteten Groschen rübergeschoben bekommen, würden sie nun auf der Suche nach Münzen im Portmonee fummeln. An der Kasse bilden sich Schlangen, der Kaufvorgang sei im Gegensatz zu früher kein unbewusster mehr.

Schuld seien außerdem das Gefühl der Verbraucher, dass alles teurer geworden sei, die hohe Arbeitslosigkeit und die sinkende Zahl von Verkaufsstellen.

Das war vor knapp zehn Jahren.

Und so haben sich die Auflagen von “Bild” und “Bild am Sonntag” weiter entwickelt, nachdem die Menschen sich an das neue Geld gewöhnt hatten und die Arbeitslosigkeit gesunken war:

Als sich Anfang 2011 abzeichnete, dass das Blatt bald keine drei Millionen Exemplare mehr verkaufen würde, sagte er dem “Focus” wie zur Erklärung:

Schauen Sie mal raus. Es ist kalt, es schneit, da gehen weniger Menschen zum Kiosk.

Es hörte auf zu schneien, es wurde Sommer, die Auflage der “Bild”-Zeitung sank weiter.

Diekmann hat aber noch eine andere Ausrede, auf die er seit Jahren zurückgreift: Sein Blatt verliere zwar Käufer, aber nicht so viel wie die anderen Blätter. Im Verhältnis zum schrumpfenden Markt gewinne “Bild” also sogar an Auflage.

Im Gespräch mit dpa, 2012:

dpa: “Wenn wir die Verkaufskurve weiterziehen, gibt es in 15, 20 Jahren keine “Bild” mehr…”

Diekmann: “Da wir kontinuierlich Marktanteile gewinnen, würden vorher sehr viele andere Zeitungen und Zeitschriften vom Markt verschwinden. Im Ernst, diese Rechnung ist Quatsch.”

Gegenüber dem “Focus” 2011:

“Wir haben in Deutschland einen insgesamt rückläufigen Markt. Das Mediennutzungsverhalten ändert sich. Die junge Generation bezieht ihre Informationen nicht mehr automatisch auf Papier, sondern etwa über digitale Kanäle. In diesem Markt ist “Bild” stabiler als andere. Deshalb haben wir unseren Marktanteil bei den Boulevardzeitungen weiter ausgebaut.”

Gegenüber der “Süddeutschen Zeitung” 2010:

“Der Tageszeitungsmarkt ist insgesamt rückläufig, die Auflage fast aller Zeitungen geht zurück. In diesem Umfeld verdienen wir mit Bild so viel wie noch nie. Wir haben mit mehr als zwölf Millionen Lesern die höchste Reichweite und im Einzelverkauf den größten Marktanteil unserer Geschichte.”

Im “Tagesspiegel” 2002:

“In einem Marktumfeld, in dem unseren Wettbewerbern die Hände und Füße abfrieren, niesen wir gerade mal. Das macht mich nicht glücklich. Aber immerhin trotzten wir im letzten Jahr dem rückläufigen Markttrend, gewannen sogar Auflage hinzu. Doch jetzt konnten wir uns dem Markttrend zumindest nicht völlig entziehen.”

Spiegelt die sinkende Auflage von “Bild” (und “Bild am Sonntag”) also wirklich nur den Abwärtstrend bei Zeitungen insgesamt wider? Und schlagen sich die Blätter, wie Diekmann seit vielen Jahren in leicht wechselnden Formulierungen behauptet, innerhalb dieses Trends besser als die Konkurrenz?

Nun. Dies ist die relative Entwicklung der Boulevardzeitungen in Deutschland seit 1998:

Alle haben Auflage verloren, aber “Bild” ragt dabei keineswegs positiv heraus. Sie verliert mit erstaunlicher Konstanz dramatisch Käufer. Wenn man als Bezugspunkt 2001 nimmt, das Jahr des Dienstantritts von Kai Diekmann, hat keine Boulevardzeitung in diesem Zeitraum einen so hohen Anteil an Auflage verloren wie “Bild” (38 Prozent) und “Bild am Sonntag” (44 Prozent). Auch bezogen auf die vergangenen beiden Jahre stehen “Bild” und “Bild am Sonntag” schlechter da als die regionale Konkurrenz mit Ausnahme ihres Berliner Schwesterblattes “B.Z.”

Falls nicht die kleinen regionalen Boulevardzeitungen der richtige Bezugspunkt für “Bild” sind, sondern die anderen überregionalen Blätter:

Und, der Vollständigkeit halber: So gut hat “Bild am Sonntag” im Vergleich zu anderen Sonntags- und Wochenzeitungen ihre Auflage in den vergangenen zehn Jahren gehalten:

Die “Bild”-Zeitung hat es unter anderem dank Preiserhöhungen um insgesamt 100 Prozent seit dem Amtsantritt Diekmanns geschafft, ihre Gewinne trotz sinkender Auflagen zu erhöhen. Misst man den publizistischen Erfolg des Blattes aber an der Zahl seiner Käufer — wie Kai Diekmann es tat, solange die Auflage stieg — ist die Bilanz vernichtend. Und das liegt nicht am Wetter und nicht am Euro.

Kimble, Nervenkrisen, Bauarbeiten

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Nachtrag: Kimble-Report”
(notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
Torsten Kleinz stellt den “Kimble-Report” ein, nachdem Kim Schmitz gegen Artikel von ihm geklagt hatte. Zudem führen inzwischen viele Links ins Leere und auf Wikipedia gibt es “einen recht guten Überblick über die Geschichte von Kim Schmitz” zu lesen.

2. “Gute Reiseblogger, schlimme Reisemagazine? Eine Entgegnung”
(tourististan.de, Bernd Schwer)
Bernd Schwer, Redakteur des Reisemagazins “Geo Saison”, antwortet auf den Text “Warum ich vermutlich nie für ein Reisemagazin schreiben werde…” von Heike Kaufhold auf koeln-format.de. “Sich Reisemagazin zu nennen, ist leicht. Mehr als eine weitere Hochglanzpostille und PR-Schleuder anzubieten, das ist schon eine andere Nummer.”

3. “Wie Paintball zum Computerspiel wird”
(stigma-videospiele.de, Rey Alp)
Ein Artikel auf Focus.de über die Schießerei von Aurora zitiert ausführlich aus einem Artikel der “Daily Mail”.

4. “Don’t Jump to Conclusions About the Killer”
(nytimes.com, Dave Cullen, englisch)
Dave Cullen, Autor von “Columbine”, schreibt auf, warum man nicht zu früh über Motive und Täterprofile spekulieren sollte.

5. “Berliner Nervenkrisen: Ein Aufruf zu mehr Bedächtigkeit”
(novo-argumente.com, Matthias Heitmann)
Matthias Heitmann wünscht sich mehr Bedächtigkeit und Gründlichkeit in der Politik: “Zeit, Fakten ‘gründlich’ zu prüfen, nimmt sich dieser Betrieb kaum mehr. Die überhaupt zu fordern, gilt mittlerweile fast schon als verantwortungslos.”

6. “Leserreporter beobachtet Bauarbeiten in der Währinger Straße”
(vienna.at)