Autoren-Archiv

Die “leicht zu entlarvende Propaganda-Lüge” der Hamas

Als Anfang der Woche die Hamas bekannt gab, einen israelischen Soldaten gefangen genommen zu haben, und Israel das dementierte, war für “Spiegel Online” unmittelbar klar, wer hier die Wahrheit sagt (Israel) und wer nicht (Hamas). “Leicht zu entlarven” sei sie gewesen, die “Mär”, die “Propagandalüge der schlechteren Art”:

Nur stellte sich dann später heraus, dass es offensichtlich die israelische Seite war, die die Unwahrheit gesagt hatte. Jedenfalls meldete “Spiegel Online” dann plötzlich am Dienstag: “Israel meldet vermissten Soldaten im Gazastreifen”, und die Korrespondentin Ulrike Putz beschrieb nun ausführlich das, was sie tags zuvor noch als leicht zu durchschauende Lüge abgetan hatte: “Vermisster israelischer Soldat: In den Händen der Hamas.”

Von einer “Propagandalüge” auf israelischer Seite war nun allerdings nicht die Rede. Stattdessen hieß es nur:

Es hat gedauert, doch am Dienstag gab die israelische Armee (IDF) bekannt, dass sie seit Sonntag einen ihrer Soldaten im Gazastreifen vermisst.

Wäre es bei einem so heiklen und unübersichtlichen Thema wie dem Gazakrieg nicht entscheidend wichtig, sich nicht die Behauptungen der einen Seite unmittelbar zu eigen zu machen, bzw. offenbar anzunehmen, dass die eine Seite (Hamas) “Propagandalügen” verbreitet, die andere (Israel) aber die Wahrheit sagt? Und wäre es nicht gut, in der Berichterstattung auch auf die eigenen Fehler hinzuweisen bzw. die vorherigen Artikel entsprechend zu ergänzen?

Der stellvertretende Chefredakteur Florian Harms antwortet darauf, dass “Spiegel Online”, “wie es unseren Standards entspricht”, ebenso prominent über das Hamas-Statement berichtet habe wie über das israelische Dementi. Als sich der Fall weiterentwickelte, habe man wieder ausführlich berichtet. “Unsere Leser konnten sich also fortlaufend über den Fortgang des Falles informieren.”

Harms räumt ein:

Das kritisierte Autorenstück hätte am Artikelbeginn sicherlich vorsichtiger und zurückhaltender formuliert werden müssen, und es entspricht ebenfalls unseren Standards, dass wir unsere Leser darauf hinweisen, wenn sich herausstellt, dass die Faktenlage anders ist als beschrieben. Das holen wir nun nach.

Bei den einzelnen Artikeln finden sich seit heute tatsächlich Anmerkungen wie:

Anmerkung der Redaktion: SPIEGEL ONLINE hatte nach einer Meldung über die Mitteilung der Hamas und einer weiteren Meldung über das Dementi Israels in diesem Artikel berichtet, es werde kein israelischer Soldat vermisst, und von einer “Lüge” der Hamas gesprochen. Das entspricht nach aktuellem Kenntnisstand nicht der Faktenlage. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Mit Dank an Peter M.!

Der deutsche Boulevard zu Clooney: Ja, ja, deine Mudder

George Clooney sagt, er sei es gewohnt, dass die britische Zeitung “Daily Mail” Geschichten über ihn erfindet und Lügen über ihn verbreitet. Aber diese eine wollte er nicht hinnehmen, ohne laut zu widersprechen. Die “Daily Mail” hatte geschrieben, dass die Mutter seiner Verlobten Amal Alamuddin aus religiösen Gründen gegen ihre Heirat sei. Sie habe das schon “halb Beirut” erzählt. Weil es keine Drusen-Hochzeit sei, riskiere Amal, dass sie aus der Gemeinschaft ausgestoßen werde, so die “Daily Mail” — mehrere Bräute seien aus ähnlichen Gründen schon umgebracht worden.

Nichts davon sei wahr, sagt George Clooney. Amals Mutter sei keine Druse, ewig nicht in Beirut gewesen, nicht gegen die Hochzeit. Vor allem aber sei es verantwortungslos und gefährlich, in dieser Weise religiöse Differenzen auszubeuten, wo nicht einmal welche bestehen.

Die Meldung, dass Clooney sich so über die “Daily Mail” beschwert, die ihre Geschichte inzwischen zurückgenommen hat, stand in vielen deutschen Medien. Was aber auch in vielen deutschen Medien stand und teilweise noch steht: Die Lügengeschichte der “Daily Mail”.

Der Kölner “Express” brachte sie am vergangenen Mittwoch:

Clooney: Krach mit Amals Mama

Die “Bunte” verbreitete sie online (inzwischen gelöscht), mit einer Fragezeichen in der Überschrift, aber ohne ernste Zweifel am Inhalt der von der “Daily Mail” abgeschriebenen Geschichte:

Ist Amals Mutter gegen die Hochzeit?

So verriet ein Nahestehender der Familie der Familie Alamuddin dem britischen Blatt: “Man würde denken, dass Amal mit George Clooney den Jackpot geknackt hat, aber Baria ist nicht glücklich. Sie denkt, dass sie es besser hätte treffen können.” Weiter habe Amals Mutter in Beirut herumerzählt, dass es schließlich 500.000 Drusen gäbe – warum nur könne ihre Tochter darunter niemanden finden, der gut genug für sie ist?

Die “Abendzeitung” erzählt die Lügengeschichte immer noch:

Bekommt George Clooney ein Schwiegermonster?

Und “Focus Online”:

Mutter der Braut: George Clooney nicht gut genug?

Das “OK!”-Magazin witzelt:

Hören wir nicht richtig? Eigentlich dachten wir, es gäbe kein Mittel, mit dem FRAU dem Charme von Hollywood-Schauspieler George Clooney widerstehen könnte. Doch auch ein Clooney muss hin und wieder die seltene Erfahrung machen, dass er nicht jede um den Finger wickeln kann. 

Und N24 fragt online:

Mehrere deutsche Medien haben die Falschmeldung von der Boulevardagentur “Spot On News” übernommen (Eigendarstellung: “Die Artikel von spot on news beschränken sich nicht auf das Ab- und Umschreiben von Internet-Content. (…) Exklusivität steht bei spot on news ganz weit oben”). Die hat nach den Unwahrheiten der “Daily Mail” nun auch ungerührt die empörte Antwort von Clooney verbreitet — so gesehen profitiert sie doppelt von den Falschmeldungen der Auslandspresse, die sie abschreibt.

Der amerikanische Schauspieler hat über die “Daily Mail” noch gesagt, sie habe — mehr als jede andere “Nachrichten”-Organisation — ein ums andere Mal beweisen, “dass Tatsachen für sie keine Bedeutung haben bei den Artikeln, die sie sich ausdenkt.” Das wird die deutschen Medien auch bei den nächsten “Daily Mail”-Geschichten nicht davon abhalten, sie blind zu übernehmen.

Das Drogengeständnis der eingeweihten Kreise (2)

Der Artikel, den Reinhard Breidenbach am Montag über den unter Drogenverdacht stehenden SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann geschrieben hat, ist nicht mehr online. Die Mainzer “Allgemeine Zeitung”, deren Politikchef Breidenbach ist, hat ihn durch einen anderen Artikel zum selben Thema ersetzt. Die “Allgemeine Zeitung” hat nicht kenntlich gemacht, dass sie den Text komplett überarbeitet und an entscheidenden Stellen verändert hat. Sie hat das auch nicht erklärt. Sie hat einfach die erste Version klammheimlich verschwinden lassen (BILDblog berichtete)

Das ist an sich schon schlechter Stil. Nun aber tut die “Allgemeine Zeitung” auch noch so, als hätte es die erste Version nie gegeben.

Sie tut, als hätte sie von Anfang an geschrieben, dass bloß irgendjemand aus dem Umfeld des Politikers ihr gegenüber gesagt hat, Hartmann habe “geringe Mengen Crystal Meth” genommen, und nicht Hartmann selbst. Hartmann hat den Drogenkonsum am Mittwoch über seine Anwälte öffentlich zugegeben. Aber den Eindruck, dass er sich schon am Montag gegenüber der “Allgemeinen Zeitung” offenbarte, den ließ er sofort dementieren.

Den Ablauf schilderte Breidenbach in der “Allgemeinen Zeitung” gestern wie folgt:

Seit dem 2. Juli: Warten auf eine Erklärung Hartmanns. Am 7. Juli sagt jemand aus Hartmanns engstem Umfeld gegenüber dieser Zeitung dies: Es sei davon auszugehen, dass Hartmann eine sehr geringe Menge Crystal Meth konsumiert, dann aber die Finger davon gelassen habe. Hartmann dementiert sofort, was nie behauptet worden war: dass er persönlich gegenüber irgendeinem Medium eine Erklärung abgegeben habe; er rede zuerst mit der Staatsanwaltschaft. Das ist nun geschehen. Der wichtigste Satz seiner Erklärung: Er bedauert und bereut.

Hartmann dementierte, “was nie behauptet worden war”?

Wie sonst hätte man etwa Breidenbachs Formulierung verstehen sollen: “Hartmann wies gegenüber unserer Zeitung auch Gerüchte zurück, …” ? Oder Halbsätze wie: “Hartmann ließ gegenüber unserer Zeitung auf Anfrage erklären” oder: “Hartmann trat auch Spekulationen entgegen”? Oder die Überschrift seines Artikels, die mit Doppelpunkt und Anführungszeichen keinen Zweifel daran ließ, dass es sich um ein wörtliches Zitat Hartmanns handelte?

Die “Allgemeine Zeitung” hat am Montag den falschen Eindruck erweckt, der SPD-Politiker habe ihr gegenüber eine Art Geständnis abgelegt. Nun erweckt sie auch noch den Eindruck, sie hätte nie diesen falschen Eindruck erweckt.

Mit Dank an Boris R.!

Das Drogengeständnis der eingeweihten Kreise

Es war ein Knaller, den die Mainzer “Allgemeine Zeitung” am Montagnachmittag verkündete. Michael Hartmann, der SPD-Bundestagsabgeordnete, gegen den wegen Drogenverdachts ermittelt wird, habe ihr gegenüber zugegeben, Crystal Meth konsumiert zu haben:

Michael Hartmann: 'Sehr geringe Menge Crystal Meth konsumiert' 
Von Reinhard Breidenbach
MAINZ/BERLIN - Michael Hartmann, wegen Rauschgift-Ermittlungen zurückgetretener ehemaliger innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hat erstmals den Erwerb und Konsum einer 'sehr geringen Menge' der Droge Crystal Meth eingeräumt.

Die Nachrichtenagenturen und Online-Medien verbreiteten die Meldung sofort weiter. Bild.de berichtete:

SPD-Mann Hartmann: Ja, ich habe Crystal Meth genommen

AFP:

Hartmann räumt Konsum von Crystal Meth ein

dpa:

Zeitung: Hartmann gibt Konsum von geringer Crystal-Menge zu

Noch am selben Abend ließ Hartmann im Südwestrundfunk und gegenüber “Spiegel Online” den Bericht der “Allgemeinen Zeitung” dementieren. Er habe sich nirgendwo gegenüber den Medien geäußert. “Ich äußere mich erstmals gegenüber der Staatsanwaltschaft. Nirgendwo sonst”, zitiert ihn “Spiegel Online”.

Die “Allgemeine Zeitung” erklärte daraufhin: “Wir haben nicht mit Hartmann direkt gesprochen, aber diesen Anschein auch nicht erweckt.” Sollte der Eindruck entstanden sein, bedauere er dies.

Tja, wie mag dieser Eindruck wohl entstanden sein?

Ob es wohl an der Überschrift gelegen hat, in der die Zeitung hinter Hartmanns Namen einen Doppelpunkt und dann ein Zitat in Anführungszeichen gesetzt hat? Oder an Formulierungen wie:

Hartmann ließ gegenüber unserer Zeitung auf Anfrage erklären, er habe “einmal einen Bruchteil der Menge, die derzeit in Rede steht, konsumiert, dann aber die Finger davon gelassen.” (…)

Hartmann trat auch Spekulationen entgegen, …

Hartmann wies gegenüber unserer Zeitung auch Gerüchte zurück, …

… so Hartmann am Montag.

… ließ Hartmann am Montag verlauten.

Inzwischen hat die “Allgemeine Zeitung” stillschweigend ihren Artikel geändert. Nun sieht er plötzlich so aus:

Hartmann-Umfeld: 'Geringe Menge Crystal Meth genommen'
Von Reinhard Breidenbach
MAINZ/BERLIN - Michael Hartmann, wegen Rauschgift-Ermittlungen als innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion zurückgetretener Mainzer Bundestagsabgeordneter, muss laut Darstellung seines engsten Umfelds den Erwerb und Konsum einer 'sehr geringen Menge' der Droge Crystal Meth einräumen.

Aus der Formulierung …

Hartmann ließ gegenüber unserer Zeitung auf Anfrage erklären, er habe “einmal einen Bruchteil der Menge, die derzeit in Rede steht, konsumiert, dann aber die Finger davon gelassen.”

… wurde:

Eine Vertrauensperson Hartmanns sagte dieser Zeitung am Montag, man gehe davon aus, dass er „einmal einen Bruchteil der Menge, die derzeit in Rede steht, konsumiert, dann aber die Finger davon gelassen“ habe.

Und Aussagen, die zuvor noch die Quelle “so Hartmann” trugen, werden nun, ohne eine Erklärung, zitiert mit der Formulierung “verlautet in eingeweihten Kreisen”.

Für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” kam die Korrektur der Mainzer “Allgemeinen Zeitung” zu spät. Sie berichtet heute:

Hartmann selbst, der über seinen Anwalt Johannes Eisenberg zunächst mitteilen ließ, er wolle sich öffentlich nicht äußern, meldet sich am Montag via “Allgemeine Zeitung” zu Wort: Er habe “einmal einen Bruchteil der Menge, die derzeit in Rede steht, konsumiert, dann aber die Finger davon gelassen”.

Bild  

Böses Foul an Schweinifurt!

Stuttgart liegt am Ganges /
Berlin liegt an der Seine …

(Traditioneller “Bild”-Merkreim)

Mit dem Deutschlandbild der “Bild”-Zeitung stimmt was nicht. Gut, das hatten wir in der vergangenen Woche schon festgestellt, aber es ist seitdem nicht besser geworden.

Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft berichtet das Blatt heute, dass “wir” “ab heute ballaballa sind”. Es hat den größten Teil der Titelseite für etwas freigeräumt, das es “die wahre Deutschland-Karte” nennt und als Vorwand für die schlechtesten Wortspiele der Welt nimmt, darunter: “Fifalkensee” statt Falkensee, “DFBeelitz” statt Beelitz, “Pfostsee” statt Ostsee; “Bumm” für Bonn und “Gelsenkonter” für Gelsenkirchen.

Angesichts dessen sind die geographischen Unzulänglichkeiten der Karte, zugegeben, harmlos, aber nicht minder rätselhaft.

Kaiserslautern, zum Beispiel, liegt plötzlich in Sichtweite des Rheins, aus Hof ist Bayreuth geworden, Schweinfurt hat den Platz von Coburg eingenommen, und Bamberg ist über den Main in Richtung Norden gezogen. Dafür hat sich die Fränkische Schweiz auf den Weg in die umgekehrte Richtung gemacht und liegt nun nicht mehr nördlich, sondern südlich von Nürnberg und Fürth.

Auch diese Karte ist ein Geschenk für den Geographieunterricht in der Schule, und wahrscheinlich kann man mehrere Stunden damit füllen, gemeinsam alle Fehler zu entdecken (“Liegt Magdeburg wirklich nördlicher als Berlin?”).

Das eigentliche Rätsel aber ist, warum die “Bild”-Grafiker nicht einfach vorhandenes Kartenmaterial verwenden anstatt sich immer wieder vergeblich daran zu versuchen, die Geographie Deutschlands zu erraten.

Mit Dank an Matthias B.!

Deutschland, verknautscht

Das wäre eine schöne Aufgabe für den Geographieunterricht in der Schule: Was stimmt nicht an dieser “großen BILD-Deutschlandkarte”, auf der man angeblich sehen soll, ob man in einer Tiefflugzone lebt?

Gut, die kurze Antwort wäre: “fast alles”, aber dafür gibt es noch keine Punkte.

Am einfachsten zu erkennen ist, dass Bild.de den Bodensee verschoben hat. Österreich und die Schweiz kriegen nichts mehr von ihm ab — er liegt komplett in Deutschland. Auch größere Teile der österreichischen Alpen sind nach Deutschland eingemeindet worden, wobei das Verblüffende ist, dass Bild.de es geschafft hat, nicht die Umrisse und Grenzen des Landes zu verändern, sondern nur den Inhalt zu verschieben.

Und es ist keineswegs alles einfach nur in eine Richtung verrutscht. Aalen zum Beispiel haben die Kartenmacher von Bild.de nach Süden verschoben, Stuttgart dagegen nach Norden. In Wahrheit haben beide Städte ungefähr dieselbe geographische Breite: Aalen liegt einfach östlich von Stuttgart.

Mit irgendeiner komplexen Origami-Technik scheinen sich die Bild.de-Infografiker ein eigenes Deutschlandbild zurechtgefaltet zu haben. Und die Österreicher und Schweizer sollen sich mal nicht so haben mit dem geklauten Stück vom Bodensee: Vermutlich haben sie dafür in der Bild.de-Geographie feine Strände am Mittelmeer.

Mit Dank an Philipp O. und Jürgen F.!

Nachtrag, 12:25 Uhr. Bild.de hat die Karte überarbeitet.

Presserat beanstandet Eigen-Schleichwerbung für Diätprogramm

Manchmal passieren in deutschen Zeitungsredaktionen erstaunliche Fehler. Dass im Kölner “Express” Anfang des Jahres eine große sechsteilige Serie von Artikeln erschien, in denen jeweils, ohne jede Kennzeichnung, ein Fitnessprogramm namens “fitmio” beworben wurde …

… das ist der Ressortleitung bzw. Chefredaktion des Blattes leider erst nach Abschluss der Serie aufgefallen. Natürlich hätte man dem Leser kenntlich machen müssen, dass es sich um ein Programm handelte, das von einem Unternehmen des Verlages M. DuMont Schauberg vermarktet wurde, teilte die Rechtsabteilung dem Presserat mit. Dass dieser Hinweis ausgeblieben sei, betrachte man selbst als ärgerlichen und bedauerlichen Fehler.

Online seien die Berichte sofort nach Bekanntwerden entsprechend gekennzeichnet worden. Der Presserat fasst die Zerknirschtheit mit den Worten zusammen:

Der Fehler sei der Redaktion bewusst und intern mit allen Verantwortlichen erörtert worden. Man gehe davon aus, dass alle Beteiligten daraus gelernt hätten.

Der Presserat, bei dem wir uns beschwert hatten, sah in der Veröffentlichung einen Verstoß gegen das Gebot, Redaktion und Werbung klar zu trennen. Er verwies auf Ziffer 7 des Pressekodex, in der es heißt:

Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Auch im “Kölner Stadt-Anzeiger”, ebenfalls ein Schwesterblatt von “fitmio”, erschienen Anfang des Jahres mehrere scheinbar redaktionelle Beiträge zum Thema Fitness und Abnehmen, die für “fitmio” warben. Die Rechtsabteilung des Verlages argumentierte hier aber anders: In der Beschreibung des Programms sei ausdrücklich erwähnt, dass es “in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule und dem Anti-Diät-Club angeboten” werde. Und den “Anti-Diät-Club” des “Kölner Stadt-Anzeigers” gebe es schon seit 2005; er sei den Lesern bestens bekannt und mit dem “Kölner Stadt-Anzeiger” untrennbar verbunden. Durch die Erwähnung des “Anti-Diät-Clubs” wüssten “Stadt-Anzeiger”-Leser, dass es sich bei “fitmio” um ein Angebot der Zeitung handele.

Der Presserat fand das nicht überzeugend und sah auch hier einen Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodex. “Um dem Leser klar zu verdeutlichen, dass ein Eigeninteresse des Verlages an den Veröffentlichungen vorliegt und somit die Beiträge einen kommerziellen Charakter haben, hätte es eines eindeutigen Hinweises bedurft.” Dieser sei lediglich in einem Artikel vorhanden gewesen (Ausriss rechts), der deshalb auch nicht kritisiert wurde.

Der Presserat erteilte dem “Kölner Stadt-Anzeiger” einen “Hinweis”; beim “Express” sprach er eine “Missbilligung” aus.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Wulff kritisiert Jagdfieber und fehlende Unschuldsvermutung


Screenshot: Phoenix

Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hat der “Bild”-Zeitung vorgeworfen, die Unschuldsvermutung zu ignorieren. Am Nachmittag stellte er in Berlin sein Buch “Ganz oben – Ganz unten” vor, das die Vorgänge rund um seinen Rücktritt aus seiner Sicht schildern soll. Dabei wies er unter anderem auf einen Bild.de-Artikel hin, der am Tag seines Freispruchs über ihn formulierte: “seit dem 27. Februar gilt er als unschuldig”. Wulff sagte wörtlich:

Das ist verkehrte Welt. Bisher galt jeder als so lange unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt wurde. Inzwischen wird man aber von der “Bild” angeklagt, verurteilt, und erlebt, wie auch ich, die Vollstreckung des Urteils und dessen positive Kommentierung. Und danach muss dann erst der Freispruch im gerichtlichen Verfahren durchgesetzt werden, um als unschuldig zu gelten? Das bin ich nicht bereit hinzunehmen. Gegen diese Art, die Macht der Medien, der vierten Gewalt, auszuüben, setze ich mich zur Wehr. Auch in meinem Buch, denn die Unschuldsvermutung ist ein Menschenrecht, und das darf niemandem entzogen werden. Das geschieht durch eine solche Berichterstattung, in der sich Medien an die Stelle der Justiz, unter Missachtung der Justiz als einer der drei anderen Gewalten, setzen. (…)

Mein Buch ist kein Angriff auf die Medien. Wir haben in Deutschland einen Qualitäts-Journalismus, auf den wir stolz sein können, der im internationalen Maßstab spektakulär ist. (…)

Es gibt jedoch von Verstößen gegen die Verhältnismäßigkeit bis zur vollständigen Ignoranz der Unschuldsvermutung Auswüchse, die nach meiner Überzeugung diskutiert werden müssen. Ich habe den Eindruck, dass sie auf Störungen in der Machtbalance zwischen Politik, Presse und auch Justiz hinweisen. Mein Fall ist dafür exemplarisch.

Im “Spiegel” las ich, Jagdfieber sei ein konstituierendes Element dieser Demokratie. Ich bin nicht dieser Ansicht. Ich halte das Bild sogar für gefährlich. Wenn es so viele Jäger gibt, wer hat dann überhaupt noch Lust, das gejagte Wild zu werden, sprich: sich auf Politik einzulassen? Wenn es für das Gejagtwerden durch die Presse nicht einmal ein paar allgemein akzeptierte Spielregeln gibt, eine Bereitschaft der Medien, nicht nur an andere hohe Maßstäbe anzulegen, bis hinein in den privatesten Bereich, sondern auch sich selbst von Zeit zu Zeit einige kritische Fragen vorzulegen, sie zumindest zuzulassen, und darüber zu diskutieren, ob sich aus meiner Geschichte nicht doch etwas lernen lässt für die Zukunft. Denn ich bin der Überzeugung, mein Fall, meine Geschichte, darf sich in dieser Weise in diesem Land nicht wiederholen.

Wulff lieferte sich mehrere angespannte Wortwechsel mit Peter Tiede, der für die “Bild”-Zeitung in der Pressekonferenz saß. “Als ich die Griffe der ‘Bild’-Zeitung in die untersten Schubladen erlebte über Monate, da fühlte ich mich ganz unten”, sagte er. Er empfahl dem “Bild”-Mann, mal darüber nachzudenken, für wen er da arbeite. Das Buch sei “vor allem für Sie lesenswert”, sagte er in Richtung “Bild”.

Nachtrag, 18:55 Uhr. In einem frei zugänglichen längeren Auszug aus dem Buch schildert Wulff ausführlich die merkwürdigen Umstände einer entscheidenden vermeintlichen Enthüllung der “Bild”-Zeitung. Er spricht von einer “Manipulation” des Blattes. Die Gründe dafür, dass “Bild” vom Wulff-Freund zum Wulff-Gegner wurde, seien “offenbar in meiner Haltung zum Islam und im persönlichen Ehrgeiz ihres Chefredakteurs zu suchen”, schreibt Wulff.

Nachtrag, 20:15 Uhr. An die Journalisten gerichtet sagte Wulff bei der Pressekonferenz auch:

Unterschätzen Sie Ihre Macht nicht. Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Sondern seien Sie sich Ihrer Macht bewusst, denn zu viel Macht der Medien gehört auch viel Verantwortung. Und ich frage, ob Sie als Medien dieser großen Macht, die Sie haben, auch die Verantwortung gegenüberstellen, die Sie damit haben. Und da sagen mir viele Ihre Kolleginnen und Kollegen: Wir selber sind inzwischen erschreckt.

Ich zitiere auch einen Journalisten, einen bekannten, der sagt, er wollte einen Politiker begleiten, um ein Portrait zu machen. Und dann hat der Chef, der die Dienstreise genehmigen sollte, gesagt: Portrait machen? Das machen wir schon lange nicht mehr, aus welchem Jahrhundert sind Sie denn? — Ja, was machen wir denn? — Wir jagen sie.

Wissen Sie, da ist ne Veränderung innerhalb der Mediengesellschaft, mit immer weniger Leuten und unter immer größerem zeitlichen Druck, die immer schnellere Klicks findende, im Internet findende Schlagzeile. Und diese Problematik, die muss diskutiert werden. Weil: Die macht auch den Menschen Angst, wenn sie sagen, ist denn das alles seriös recherchiert, ist das denn alles überprüft, stimmt das denn alles? Natürlich haben Sie auch ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil Sie quasi Dinge an die Wand gemalt haben, und am Ende neutrale Gerichte nach unendlich viel Verhandlungstagen mit unendlich viel Zeugen ganz klar erklärt haben: Es war nichts dran. Und das, finde ich, muss diskutiert werden. Wer sich der Diskussion entzieht, wird sich nicht wundern dürfen über abnehmendes Interesse auch an seriösen Qualitätsmedien. Ich glaube, diese Fragen kann Ihnen niemand ersparen.

Aus dem Archiv:

B.Z., Bild  

Die “Russen-Panzer” und der Schuss in den Ofen

Erinnern Sie sich an die große Petition, die “Bild” und “B.Z.” gestartet hatten, um die “Russen-Panzer” loszuwerden, die am sowjetischen Ehrenmal in der Nähe des Brandenburger Tors stehen?

Die “B.Z.” hatte dafür unter anderem auf ihrer Titelseite getrommelt; die “Bild”-Zeitung hatte ihre Seite 2 freigeräumt — und am nächsten Tag an derselben Stelle stolz über die “große Zustimmung” berichtet, die die Aktion erfahren habe: “Viele Bundesbürger” hätten unterschrieben.

Stolz wurden prominente und nicht-prominente Unterstützer gezeigt (Wolfgang Joop! Erika Steinbach!). “Bundesliga-Legende” Charly Körbel unterschrieb, weil er “solche Aktionen mit Panzern in Deutschland nicht sehen will”. Die “B.Z.” präsentierte den “ersten” (von mutmaßlich vielen noch zu erwartenden) Bundestags-Abgeordneten, der unterschrieben hatte.

Das war, wie gesagt, Mitte April. Was ist daraus eigentlich geworden? Wie groß wurde die Welle der Zustimmung noch? Welche Wucht entwickelt eine Petition, die in größter Aufmachung und inklusive eines fertigen Vordrucks von zwei Zeitungen angeschoben wird, die gemeinsam angeblich über 12 Millionen Leser täglich erreichen?

Die Antwort lautet: 4101.

4101 Menschen haben die Petition von “Bild” und “B.Z.” unterschrieben. 118 online, 3983 offline. Die Mitzeichnungsfrist endete schon am 21. Mai.

Ausweislich ihrer Online-Archive haben beide Blätter über den Fortgang und Ausgang ihrer Petition kein Wort mehr verloren.

Auf meine Nachfrage (für die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung”), warum das so war und wie man sich die geringe Resonanz auf eine so große Aktion erklärt, antwortete die Pressestelle, mit Bitte um Verständnis:

Alles, was wir über eigene Aktionen zu berichten haben, verhandeln wir auch im eigenen Blatt.

Wenn eine politische Leser-Aktion misslingt, hat sie für “Bild” und “B.Z.” also einfach nicht stattgefunden. Aber immerhin hat man nun mal eine Ahnung, was “Bild” meint, wenn “Bild” von “vielen Bundesbürgern” und “großer Zustimmung” spricht. Konkret also: weniger als 0,35 Promille der Leserschaft.

Bild  

Tempelhofer Feld: Jede Verstimme zählt!

Mit Volksentscheiden in Berlin hat die “Bild”-Zeitung schlechte Erfahrungen gemacht: die Leute wollten partout nicht so wählen, wie es die Zeitung wollte.

Trotzdem findet am kommenden Sonntag schon wieder einer statt. Es geht um die Zukunft des alten Tempelhofer Flughafengeländes. Es gibt zwei Gesetzesvorschläge. Eine Bürgerinitiative fordert, das Feld komplett frei zu halten. Der rot-schwarze Senat will es an den Rändern bebauen lassen.

Viel komplizierter ist die Sache eigentlich nicht.

Aus den Formulierungen auf den Stimmzetteln geht der Unterschied zwischen den beiden widersprüchlichen Vorschlägen leider nicht ganz so klar hervor, weshalb es prinzipiell eine gute Idee ist, dass die “Bild”-Zeitung ihren Lesern heute erklären wollte, worüber sie eigentlich abstimmen.

Es hätte bloß geholfen, wenn der Mensch in der Redaktion, der damit beauftragt wurde, es selbst verstanden hätte. Oder in der Lage gewesen wäre, es so aufzuschreiben, dass …

Aber lesen Sie selbst:

DARÜBER STIMMEN SIE AB

Jeder stimmberechtigte Berliner bekommt am Sonntag zur Europa-Wahl auch einen Zettel für das Tempelhofer Feld.

Abgestimmt werden darf über zwei gegensätzliche Anliegen:

Abstimmungsfrage 1: Das Feld soll mit nichts und nie bebaut werden - an keiner Stelle. Beziehungsweise: Es können an den äußersten Rändern im Westen, Süden und Osten unter anderem Wohnungen, Kitas, Schulen und eine große Bibliothek entstehen.

Abstimmungsfrage 2: Der Großteil, nämlich 230 Hektar der insgesamt 300 Hektar, bleibt trotzdem Freifläche. Auch der Nordosten wir nicht bebaut.

Frage 1 und 2 schließen sich also aus. Trotzdem kann jeder auch beim 'Gegner' ankreuzen.

Nicht nur, um seine eigene Wahl nochmals abzusichern. Sondern auch für taktische Überlegungen. Denn theoretisch könnte es ja das Bürger-Anliegen geben, das ganze Feld für Wohnungen freizugeben. 

Oder den Wunsch, die Zukunft des Feldes möge doch bitte wieder in die Hände des Abgeordnetenhauses gelegt werden.

Noch Fragen?

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