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Süddeutsche.de fällt auf satirischen May-Ehemann rein

Bei Süddeutsche.de schreiben sie gerade auf der Startseite zu den Entwicklungen rund um den Brexit in Großbritannien:

Screenshot Süddeutsche.de - Brexit - London am Tag danach - Es gibt einen Brexit-Deal, aber in Großbritannien freuen sich nur wenige darüber. Zwei Minister treten zurück, May hält eine Rede im Ich-lasse-mich-nicht-aufhalten-Modus und ihr Ehemann verbreitet auf Twitter negative Stimmung

Im Artikel greift Korrespondentin Cathrin Kahlweit das angebliche Twitter-Verhalten von Mays angeblichem Ehemann noch einmal auf:

Selbst Mays Ehemann Philip war am Tag nach der Sensationsnachricht negativ gestimmt. Er twitterte, dies werde “ein langer Tag”. Wahrscheinlich war der Kurznachrichtendienst der einzige Weg, auf dem er seine Frau im Westminster-Chaos erreichen konnte.

Es gibt tatsächlich einen Tweet, in dem so etwas steht, sogar von heute:

Screenshot eines Tweets des Twitter-Accounts @PMHusband - It's going to be a very long day.

Der Twitter-Account @PMhusband beschreibt sich selbst allerdings so:

Screenshot des Twitter-Accounts @PMHusband - In der sogenannten Twitter-Biografie steht Husband of @theresa_may, Prime Minister of the United Kingdom. Parody.

Das Wort “Parody” könnte ein entscheidender Hinweis sein. Das gilt übrigens auch für diesen Account, liebe “Süddeutsche”.

Mit Dank an Fabian P. für den Hinweis!

Nachtrag, 23:24 Uhr: Die Redaktion von Süddeutsche.de hat auf unseren Hinweis reagiert und den Text korrigiert. Im Sinne der Transparenz steht am Ende des Artikels nun dieser Hinweis:

In einer früheren Version des Textes wurde ein Tweet zitiert, den wir dem Ehemann von Theresa May zugeordnet haben. Dabei handelte es sich jedoch um einen Satire-Account. Deshalb haben wir die Passage gelöscht.

Und auch auf der Startseite ist der falsche Hinweis auf Theresa Mays Ehemann nun verschwunden.

Schülerzeitung entlockt Julian Reichelt “tiefe innere Wahrheit”

Julian Reichelt war auch mal Schüler. Der heutige “Bild”-Chef besuchte als Jugendlicher ein Gymnasium in Hamburg-Othmarschen. Dort, am Gymnasium Othmarschen, war Reichelt bereits Chefredakteur — der Schülerzeitung. Darüber hatten Isabell Hülsen und Alexander Kühn unter anderem in ihrem Reichelt-Portrait im “Spiegel” geschrieben.

Diesen Text hat auch Johann Aschenbrenner gelesen, der in gewisser Weise Julian Reichelts Nachfolger ist, als aktueller Chefredakteur der Schülerzeitung am Gymnasium Othmarschen. Zusammen mit seiner Mitschülerin Emma Brakel und seinem Mitschüler Arvid Bachmann hat Aschenbrenner “Bild”-Chef Reichelt im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin besucht. Herausgekommen ist ein lesenswertes Interview, das meilenweit entfernt ist vom despektierlichen Prädikat “Schülerzeitungsniveau”:

Aschenbrenner, Brakel und Bachmann haben einige schöne Details in Julian Reichelts Büro und Arbeitsalltag beobachtet. Und Reichelt äußert in dem Gespräch einige bemerkenswerte Dinge.

Er sieht “Bild” beispielsweise “natürlich in einer Liga” mit der “Washington Post” und der “New York Times”:

Wir sind da, wo die “Post” oder die “New York Times” sind, oder umgekehrt: Die sind da, wo wir sind. In dieser Liga halten wir uns, auch durch strategisch kluge Entscheidungen, wie zum Beispiel die Umsetzung von Paid-Content.

Er glaubt beispielsweise nicht, dass “Bild” Stimmung mache, und meint, dass “Bild” auch nicht Stimmung machen sollte. Aschenbrenner, Brakel und Bachmann halten dagegen:

Schlagzeilen schaffen Stimmungen. Die “BILD”-Zeitung beruft sich häufig darauf, was dann auf der Seite 2 steht. Wenn man die Schlagzeile “Islam-Rabatt” liest, dann kreiert das doch eine gewisse Stimmung. Sie sind sich der Bedeutung der Eins doch sicher bewusst?

Reichelt antwortet, dass solche Schlagzeilen “eine tiefe innere Wahrheit und Berechtigung” hätten. Dieses Geschwafel nimmt Johann Aschenbrenner in einem gesonderten Text auseinander:

“Bild am Sonntag” lässt Wehrmachtslied grölen

Mitglieder der Jungen Union (JU) haben am vergangenen Freitag in einer Berliner Kneipe das sogenannte Westerwaldlied gesungen. Eine Videoaufnahme zeigt Vertreter der CDU-Nachwuchsverbände aus Limburg und Rheingau-Taunus beim Grölen des einst bei der Wehrmacht sehr beliebten Textes. Deutsche Soldaten hatten das Westerwaldlied im Zweiten Weltkrieg unter anderem bei ihren Einmärschen in Luxemburg, Holland und Frankreich gesungen. Dass die JUler den Wehrmachtsschlager am 9. November, dem 80. Jahrestag der Reichspogromnacht, anstimmten, sorgt für zusätzliches Entsetzen, auch wenn das Singen des Liedes nicht verboten ist.

Bei Bild.de berichten sie heute auch über den Vorfall:

Screenshot Bild.de - Eklat in Berliner Kneipe - Junge Union grölt Wehrmachtslied

Die Redaktion schreibt dazu unter anderem:

Die zufällig anwesende jüdische Künstlerin Mia Linda Alvizuri Sommerfeld war eine der ersten, die ihr Handy zückte, um das bittere Treiben aufzuzeichnen. Ihre Aktion sorgte nach Angaben des “Tagesspiegels” dafür, dass die Gruppe das “Westerwaldlied” (mit den für sich genommen harmlosen Zeilen: “Heute wollen wir marschier’n/einen neuen Marsch probier’n/in dem schönen Westerwald/ja da pfeift der Wind so kalt”) intonierte.

2012, da war die Wehrmachtstradition des Westerwaldliedes lange bekannt, brachte “Bild am Sonntag” einen Sampler mit den “größten Oktoberfest-Hits” auf den Markt. Auf CD 2, zwischen “Ich War Noch Niemals In New York”, gesungen von Willi Herren, und “Das geht ab” von den Atzen, findet man das Lied “Oh — du schöner Westerwald (Eukalyptusbonbon)”:

Screenshot von Spotify, der das Cover das Bild-am-Sonntag-Samplers zeigt und den Song Oh du schöner Westerwald

Das Volksmusik-Trio Heidis Erben singt dort unter anderem:

Heute wollen wir marschier’n
einen neuen Marsch probier’n
in dem schönen Westerwald
ja da pfeift der Wind so kalt

Und auch sonst ist der Text des Songs auf dem “BamS”-Sampler deckungsgleich mit dem des beliebten Wehrmachtsliedes. Einzige Ausnahme: Ballermann-Größe Mickie Krause ruft zwischendurch immer mal wieder “Eukalyptusbonbon”.

Wie schreibt Bild.de gleich noch mal? Was für ein “bitteres Treiben”.

Mit Dank an Max S. für den Hinweis!

Kurz korrigiert (522)

Entweder kennen die Leute bei “Auto Bild”, einem Magazin über Autos und das Autofahren (“EUROPAS NR. 1”), die Straßenverkehrs-Ordnung nicht oder sie kennen den Unterschied zwischen einem Nebelscheinwerfer und einer Nebelschlussleuchte nicht:

Ausriss Auto Bild - Erkennen Autos Nebel? Mein Auto hat eine Lichtautomatik - bei Dunkelheit schalten sich die Scheinwerfer selbstständig ein. Erkennt diese Komfortfunktion auch Nebel? Frage von Martin de Buhr, per E-Mail - Antwort der Auto-Bild-Redaktion: Nein, auch die neuesten Sensoren erkennen Nebel nicht. Autofahrer müssen bei Nebel deshalb die Scheinwerfer weiterhin selbst einschalten. Aktivieren Sie dann nur das Abblendlicht. Mit Fernlicht verschlechtert sich die Sicht, weil diese Scheinwerfer in den Nebel hineinstrahlen und ihr Licht von der Wand aus Wassertropfen reflektiert wird. Nebelscheinwerfer sind besser, weil sie die Straße flach ausleuchten. Sie sind aber erst bei einer Sichtweite unter 50 Metern erlaubt. Sonst droht ein Verwarnungsgeld von 20 Euro. Außerdem gilt 50 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit.

Das ist eine der Antworten in der Service-Rubrik “Fragen an die Redaktion” in der aktuellen “Auto Bild”-Ausgabe. Und sie ist schlicht falsch: Die Nebelschlussleuchte darf man nur dann verwenden, wenn die Sichtweite weniger als 50 Meter beträgt. Andernfalls gibt es ein Verwarnungsgeld von 20 Euro. Den Nebelscheinwerfer darf man auch schon bei Regen, Schneefall oder leichterem Nebel einschalten. Die Straßenverkehrs-Ordnung regelt das in Paragraph 17, Absatz 3:

Behindert Nebel, Schneefall oder Regen die Sicht erheblich, dann ist auch am Tage mit Abblendlicht zu fahren. Nur bei solcher Witterung dürfen Nebelscheinwerfer eingeschaltet sein. Bei zwei Nebelscheinwerfern genügt statt des Abblendlichts die zusätzliche Benutzung der Begrenzungsleuchten. An Krafträdern ohne Beiwagen braucht nur der Nebelscheinwerfer benutzt zu werden. Nebelschlussleuchten dürfen nur dann benutzt werden, wenn durch Nebel die Sichtweite weniger als 50 m beträgt.

Mit Dank an Peter H. für den Hinweis!

“Familie Porno” bei Bild.de, “Familie Porno muss ausziehen”

Im bayerischen Waldkraiburg hat eine fünfköpfige Familie eine Kündigung für ihre Wohnung erhalten, bis zum 20. November soll sie raus. Das allein ist noch nicht unbedingt der Stoff, der bei der Bild.de-Redaktion für Interesse sorgt. Nimmt man aber den Beruf der beiden Eltern dazu, sieht das schon ganz anders aus:

Screenshot Bild.de - Kündigung kurz vor Weihnachten! Familie Porno muss ausziehen - Anna (33) und Christian (37) drehen erotische Clips in ihrer Wohnung - das passt dem Vermieter nicht

Die Dreifach-Eltern, die ihre Brötchen als “Vika Viktoria” und “Bayernsepp” mit Pornos verdienen, haben die fristlose Kündigung für ihre Vier-Zimmer-Wohnung (100 qm) bekommen!

Die Vorwürfe des Vermieters: Ruhestörung und gewerbliche Nutzung. “Wir haben nicht lauter Sex als andere Mieter im Haus auch”, rechtfertigt sich Christian L. (37, gelernter Koch). “Und wenn das Hochladen von Clips schon als gewerbliche Nutzung gilt, dürfte ja auch kein YouTuber in seiner Wohnung arbeiten.”

Nun kann man von dem Vorgehen des Vermieters halten, was man will. Dass “Vika Viktoria” und “Bayernsepp” ihre Videos, mit denen sie ihr Geld verdienen, in der privaten Wohnung drehen, könnte aber tatsächlich ein Problem sein, erklärt bei Bild.de Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund:

Grundsätzlich habe der Vermieter aber nicht ganz unrecht: “Jede Tätigkeit, mit der Geld verdient wird, kann als gewerbliche Nutzung ausgelegt werden, die eine Kündigung dann rechtfertigt, wenn es hierdurch zu Beeinträchtigungen für die Nachbarn kommt.”

Bleibt noch die Frage, wie der Vermieter überhaupt rausfinden konnte, was seine Mieter hinter der Wohnungstür so treiben.

Bild.de vor zwei Wochen:

Screenshot Bild.de - Anna und Christian verdienen ihr Geld mit Porno-Filmen - Wenn die Kinder zur Schule sind, gehen die Rollläden wieder runter

Das Paar aus dem oberbayerischen Waldkraiburg (23 000 Einwohner) lernte sich vor 17 Jahren kennen — und begann 2017, zusammen erotische Clips zu drehen und sie im Internet zu teilen. Inzwischen lebt die Familie davon: SIE bekam als “Vika Viktoria” kürzlich den Venus-Award für die beste Newcomerin. ER spielt als “Bayernsepp” vorzugsweise den Klempner oder den Hausmeister. (…)

Dann werden die Rolladen wieder heruntergelassen — die 4-Zimmer-Wohnung (100 qm) verwandelt sich in ein Porno-Set

Das ist wirklich praktisch: Bei Bild.de schaffen sie mit dem einen “Bild plus”-Artikel die Grundlage für den nächsten.

“Wie erkläre ich’s meinem Kind”? So am besten nicht!

Bei FAZ.net gibt es die Rubrik “Wie erkläre ich’s meinem Kind?”, die Redaktion verspricht dort “einfache Antworten auf kniffelige Fragen”. Zum Beispiel: “Warum wir eine Gänsehaut bekommen”. Oder: “Wann die Menschen zu lesen begannen”. Die aktuellste Ausgabe der “einfachen Antworten” hat FAZ.net bei Twitter gestern Abend so angekündigt:

Screenshot eines Tweets von FAZ.net - Bei der Reichspogromnacht vor achtzig Jahren war es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof: In der Gruppe werden selbst friedlichste Menschen manchmal brutal. Warum Gewalt ansteckend sein kann

Die Reichspogromnacht, bei der “es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof” gewesen sein soll? Ein Nazi-Verbrechen mit vielen Todesopfern, Verhaftungen Unschuldiger, brennenden Synagogen und zerstörten Geschäften jüdischer Mitbürger, bei dem “es ein bisschen wie bei jeder Prügelei auf dem Schulhof” gewesen sein soll? Die FAZ.net-Redaktion hat den Tweet später aus guten Gründen gelöscht und “für die verkürzte Darstellung und den ungewollten Vergleich” um Verzeihung gebeten (wobei wir uns durchaus fragen, was an einem Vergleich von Schulhofprügeleien und Novemberpogrom eine “verkürzte Darstellung” sein soll und wie ein “ungewollter Vergleich” in einem per Hand verfassten Tweet landet).

Tweet gelöscht, um Entschuldigung gebeten — also wieder alles in Ordnung? Leider nicht. Denn erstens findet man den grausigen Vergleich noch immer auf FAZ.net.* Und zweitens ist der dazugehörige Text zwar längst nicht so schlimm wie die Ankündigung bei Twitter, diskussionswürdig ist er trotzdem.

Im Artikel von Julia Schaaf geht es hauptsächlich um Gruppendynamiken, um Mitläufer und Mittäter und um die Frage, “warum Gewalt ansteckend sein kann”. So steht es auch in der Überschrift:

Screenshot FAZ.net - Wie erkläre ich es meinem Kind? Warum Gewalt ansteckend sein kann

Schon klar: Schaafs Text richtet sich an Kinder und muss allein daher etwas vereinfachen. Zur Veranschaulichung hätte sie sicher einige konkrete Beispiele finden können. Etwa die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel, wo wohl auch Menschen an Plünderungen teilgenommen haben, die vermutlich nicht mit dieser Absicht ins Hamburger Schanzenviertel gefahren sind und sich erst vor Ort dazu entschieden haben mitzumachen. Oder die Prügeleien bei Fußball-Welt- beziehungsweise -Europameisterschaften.

Stattdessen wählte Schaaf die Reichspogromnacht. Und da liegt bereits das Problem: Die Wahl dieses Beispiels für eine Erläuterung des Phänomens Gruppendynamik reduziert eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Geschichte auf diesen Teilaspekt. Dadurch verschiebt sich der Fokus bei der Betrachtung der Reichspogromnacht im Artikel. Schaaf schreibt, “dass sich unter die plündernden Horden ganz normale Jugendliche mischten” — ihr Hauptthema lautet schließlich: Gruppendynamik. Doch das trifft den Kern nicht: Die Reichspogromnacht war eine staatlich organisierte Aktion, landesweit konzertiert, propagandistisch vorbereitet, antisemitisch motiviert, mit einer menschenverachtenden Ideologie versehen. Gruppendynamiken haben bestimmt auch eine Rolle gespielt, aber nicht die entscheidende.

So bleibt auch im Artikel der unglückliche Dreiklang: Reichspogromnacht – Gruppendynamik – Schulhofkeilerei. Im überarbeiteten Teaser heißt es bei FAZ.net:

In Gruppen kann es manchmal passieren, dass selbst friedliche Menschen brutal werden. Das ist vor achtzig Jahren passiert, und ab und zu passiert es heute sogar auf dem Schulhof.

*Nachtrag, 13:42 Uhr: Die Redaktion von FAZ.net hat reagiert und nun auch diese Stelle aktualisiert.

“Bild” lässt Spanner durch unscharfes Fernrohr gucken

Um den Zustand der Dauererregung in “Bild” und bei Bild.de aufrechtzuerhalten, müssen die Redaktionen auch mal auf kleinere Aufreger und Skandale zurückgreifen. Was bei den kleinen Aufregern aber genauso gilt wie bei den großen: Die Mitarbeiter der “Bild”-Medien arbeiten ausgesprochen schlampig, lassen entscheidende Infos weg und biegen sich die Sache so, dass es zum Skandal/Skandälchen reicht.

Hier zum Beispiel:

Screenshot der Bild.de-Startseite - Das Böse Auge von Stuttgart - Neues Fernrohr zieht Spanner an

“DAS BÖSE AUGE” war gestern auch großes Thema in der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Das Böse Auge von Sillenbuch

Die Stadt Stuttgart hat im Stadtbezirk Sillenbuch ein neues Fernrohr aufgestellt. Es steht an einem neu gestalteten Platz, der nach einem ehemaligen Ortsvorsteher, benannt ist. Der Mann war auch Winzer. Daher wollte das Stuttgarter Gartenamt durch das Fernrohr den Blick auf die umliegenden Weinberge ermöglichen.

Soweit die Idee. Laut “Bild”-Medien aber werde das Rohr von Spannern missbraucht. Denn der Johann-Heinrich-Strauß-Platz befindet sich in einem Wohngebiet. In einer Bildunterschrift schreiben “Bild” und Bild.de zum Beispiel:

Das neue Fernrohr steht mitten in einem Wohngebiet in Stuttgart-Sillenbuch, wo sich die Anwohner jetzt vor neugierigen Blicken fürchten

Im Artikel heißt es:

Aber was sucht dieses Teleskop mitten in einem Stuttgarter Wohngebiet? Das böse Auge von Sillenbuch — es zieht Spanner an!

Spanner, Angst und Furcht in Sillenbuch!

Der Haken: Rund ums Rohr gibt’s fast nur Wohngebäude zu sehen. Hinter Gardinen huschen die Menschen in Deckung, haben Angst vor den neugierigen Blicken aus dem Teleskop.

Die “Bild”-Medien haben sogar eine Anwohnerin gefunden, die erzählt:

“Ständig sehe ich Leute am Rohr, die in Richtung Häuser blicken. Meine Fenster sind zum Glück hinter Büschen.”

Das klingt ja alles so, als würden aktuell reichlich Spanner ihr Unwesen treiben und in die umliegenden Häuser glotzen können.

Wir haben bei der Stadt Stuttgart und beim Stuttgarter Gartenamt nachgefragt. Es kann durchaus sein, dass Leute an dem Fernrohr standen. Dass sie aktuell in die Häuser gucken können, sei hingegen ausgeschlossen. Und das auch schon seit gut eineinhalb Wochen. Die Linse sei seitdem nämlich durch Mitarbeiter der Stadt absichtlich unscharf gestellt worden. Man habe das Fernrohr Anfang September installiert, allerdings komplett verpackt, da es noch nicht verwendet werden sollte, solange es nicht so fixiert wurde, dass man ausschließlich auf die Weinberge schauen kann. Diese Verpackung sei unerlaubterweise von irgendjemandem entfernt worden — woraufhin das Gartenamt das Fernrohr unscharf gestellt habe. Gestern sei es dann komplett abgebaut worden. Nächste Woche sollen die Bauteile eintreffen, die für die Fixierung notwendig seien. Dann werde das Fernrohr wie geplant aufgebaut und fixiert werden.

“DAS BÖSE AUGE VON STUTTGART” ist also vor allem ein extrem blindes und inzwischen abmontiertes Auge, das sich für Spanner schon länger überhaupt nicht lohnt. Deutlich ergiebiger als ein Blick durch das Fernrohr in Sillenbuch wäre da schon ein Besuch bei Bild.de. So sah die Startseite gestern rund um die Fernrohr-Geschichte aus:

Screenshot Bild.de - Erneut die Schlagzeile Das Böse Auge von Stuttgart - Neues Fernrohr zieht Spanner an, daneben eine andere Geschichte: Strand-Striptease - Liz Hurley lüftet aus - dazu ein Foto von Liz Hurley in Bikini

Wenn Bild.de (über) Müll schreibt

Der Bio-Müll werde in Deutschland “immer noch stiefmütterlich behandelt”, schreiben sie heute bei Bild.de, und das sei ärgerlich, denn:

Egal, ob Bananenschalen oder welke Schnittblumen, Essensreste oder Gartenabfälle — Bio-Abfälle sind wertvoll.

Rund die Hälfte des anfallenden Restmülls bestehe “aus Stoffen, die eigentlich in der Bio-Tonne entsorgt werden könnten”, schreibt die Redaktion. Damit sich das bessert, gibt sie jetzt mal ein bisschen Nachhilfe:

Screenshot Bild.de - Kleintierstreu, Fleisch und Küchenkrepp - Was gehört in den Bio-Müll?

Richtig getrennt ließe sich der Bio-Abfall verdoppeln. Aber was ist richtig? BILD sortiert für Sie vor.

Na, dann mal los.

In der Regel können Sie Folgendes aber immer in der Bio-Tonne entsorgen:

(…) Küchenkrepp und Papiertaschentücher und -servietten

(Alle Hervorhebungen im Original.)

Alles klar, ist notiert. Und was gehört “nie in den Bio-Müll”?

Achtung: In Bio-Gasanlagen stören auch kompostierbare Tüten und müssen vor Ort aussortiert werden. (…) Außerdem gehören auch diese Sachen nie in den Bio-Müll:

(…) Papier, Pappe, Papierhandtücher, Papiertaschentücher, Servietten (außer kleine Mengen an nicht bunt bedrucktem Zeitungspapier zum Umwickeln von Speiseresten etc.)

Auch bei völlig richtigen Erkenntnissen schaffen sie es bei Bild.de, dämliche Fehler zu produzieren.

Mit Dank an Hauke G. für den Hinweis!

Nachtrag, 15:31 Uhr: Bei Bild.de haben sie offenbar noch einmal in die redaktionseigene Abfallfibel geschaut und meinen nun: “Papiertaschentücher und -servietten” gehören nicht in den Bio-Müll. In der Liste der Dinge, die man “immer in der Bio-Tonne entsorgen” könne, sind sie verschwunden. In der Auflistung mit den Abfällen, die “nie in den Bio-Müll” gehören, sind sie weiterhin zu finden. Ob das nun endgültig korrekt ist, ist allerdings auch wieder fraglich. Die Stadt Frankfurt am Main beispielsweise listet unter der Frage “Was gehört in die Biotonne?” auch auf:

Sonstiges:
Papierhandtücher, -taschentücher, Servietten

Mit Dank an Katharina S. für den Hinweis!

“Bild”-Chef Julian Reichelt schreibt falsche TV-Geschichte

“Bild”-Chef Julian Reichelt schafft es, mit nur einer Randbemerkung in einer Klammer einen beachtlichen Teil der TV-Geschichte falsch umzuschreiben:

Als Bouffier mit dem schlechtesten CDU-Ergebnis seit fünf Jahrzehnten vor die Live-Kameras trat (als die hessische CDU das letzte Mal so schlecht abschnitt, gab es noch keine Live-Kameras und nur drei Fernsehprogramme), wollte der Applaus kaum enden.

… behauptet Reichelt in seinem Kommentar zur Hessischen Landtagswahl in “Bild” und bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Kommentar - Wie 94 Wähler-Stimmen unser Land verändern - Der Zauber der Demokratie

Es soll hier nicht um den “Zauber der Demokratie”, “94 Wähler-Stimmen” oder Volker Bouffiers Fernsehauftritt gehen, sondern um Reichelts Aussage zu den “Live-Kameras”: 1966 lag die CDU in Hessen mit 26,36 Prozent noch unter dem Ergebnis vom vergangenen Sonntag. Und damals soll “es noch keine Live-Kameras” gegeben haben, wie Julian Reichelt schreibt?

Da wäre zum Beispiel die Fußball-Weltmeisterschaft 1966 in England mit dem berühmten Wembley-Tor, das man in Deutschland live miterleben konnte. Oder zwölf Jahre zuvor die WM 1954 in der Schweiz mit dem Sieg der deutschen Mannschaft um Fritz Walter und Helmut Rahn. Damals übertrug die ARD acht der 26 Spiele live. Noch mal zwei Jahre früher konnte das Publikum das erste Fußballspiel live im Fernsehen verfolgen: das DFB-Pokalspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem Duisburger Klub SV Hamborn. Die erste Live-Übertragung eines Großereignisses fand bereits 1936 statt, also 30 Jahre vor dem Zeitpunkt, zu dem “Bild”-Chef Julian Reichelt sagt, dass es damals “noch keine Live-Kameras” gegeben habe: Bei den Olympischen Spiele 1936 in Berlin konnte man live dabei sein, allerdings kaum im Wohnzimmer, sondern in Fernsehstuben.

Und natürlich gab es auch Ereignisse, die nichts mit Sport zu tun hatten und bereits vor 1966 live gesendet wurden: die Krönung von Queen Elizabeth II. am 2. Juni 1953 etwa. Oder die Bundestagswahl 1965.

Sehen alle gleich aus (17)

Was haben Kabarettist Serdar Somuncu und Komiker Abdelkarim gemeinsam? Beide haben eher wenig Haare, beide tragen einen Bart, beide stehen auf der Bühne. Joar.

Für Bild.de sind Serdar Somuncu und Abdelkarim nicht auseinanderzuhalten.

Nachdem die Klima-Allianz Deutschland im Hambacher Forst Portraitfotos von Prominenten an einzelnen Bäumen angebracht hat, weil diese Prominenten für diese Bäume Patenschaften übernommen haben, zeigt Bild.de in einem Artikel einige der teilnehmenden Personen: Moderatorin Enie van de Meiklokjes zum Beispiel und Schauspieler Benno Fürmann. Und ihn hier:

Screenshot Bild.de - Komiker Serdar Somuncu hat auch eine Baumpatenschaft übernommen - zu sehen ist ein Foto, das mehrere Bäume im Hambacher Forst zeigt, an denen große Fotos von Prominenten hängen, ein Mann und eine Frau hängen gerade das Foto des Komikers Abdelkarim an einen der Bäume

Anders als von Bild.de in der Fotozeile …

Komiker Serdar Somuncu hat auch eine Baumpatenschaft übernommen

… behauptet, hat Serdar Somuncu gar keine Baumpatenschaft im Hambacher Forst übernommen. Und er ist auf dem Bild auch nicht zu sehen: Weder bei dem Mann in der roten Jacke noch bei der Frau mit der Wollmütze noch bei dem Mann, dessen Foto gerade am Baum befestigt wird, handelt es sich um Somuncu. Letzterer ist, ihr ahnt es bereits: Abdelkarim.

Mit Dank an @1Maggie12 und @phillip_bien für die Hinweise!

Nachtrag, 24. Oktober: Bei Bild.de ist Abdelkarim nun Abdelkarim und nicht mehr Serdar Somuncu:

Komiker Abdelkarim hat auch eine Baumpatenschaft übernommen

Auf einen Hinweis, dass die Bildunterschrift mal falsch war, hat die Redaktion verzichtet.

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