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Bild.de bringt veraltetes Zeug in Umlauf

Achtung, Gefahr!

Screenshot Bild.de - Jugendliche in Gefahr - Schon ein paar Joints verändern das Gehirn

Cannabis ist eine der beliebtesten, illegalen Drogen in Deutschland. Oft verharmlost, ist sie viel gefährlicher, als die meisten denken.

… schrieb Bild.de gestern. Denn:

Schon ein oder zwei Joints verändern das Gehirn eines Jugendlichen merkbar, hat jetzt eine internationale Forschergruppe mit deutscher Beteiligung herausgefunden und ihre Ergebnisse im “Journal of Neuroscience” veröffentlicht.

Das “jetzt” ist an dieser Stelle recht großzügig ausgelegt: Die Studie, auf die sich Bild.de bezieht und die das Portal im Artikel verlinkt*, ist bereits am 28. Januar 2015 im “Journal of Neuroscience” erschienen — und damit geschmeidige vier Jahre alt. Noch interessanter aber ist die Überschrift, die die “internationale Forschergruppe mit deutscher Beteiligung” ihrer Untersuchung damals gab:

Screenshot der Überschrift der Studie - Daily marijuana use is not associated with brain morphometric measures in adolescents or adults

“Is Not Associated”.

Schon im “Abstract” steht:

No statistically significant differences were found between daily users and nonusers on volume or shape in the regions of interest. Effect sizes suggest that the failure to find differences was not due to a lack of statistical power, but rather was due to the lack of even a modest effect. In sum, the results indicate that, when carefully controlling for alcohol use, gender, age, and other variables, there is no association between marijuana use and standard volumetric or shape measurements of subcortical structures.

Das übersetzt Bild.de ins Gegenteil:

Die Wissenschaftler beobachteten bei 14-Jährigen, die nur ein- oder zweimal Cannabis konsumiert hatten, mithilfe eines modernen Bildgebungsverfahrens, der sogenannten Voxel-basierten Morphometrie, eine Zunahme der grauen Hirnsubstanz. Bedeutet: Ein Ungleichgewicht zwischen weißer und grauer Hirnsubstanz entsteht.

Dazu steht in der “Discussion” der Studie:

The lack of significant differences between marijuana users and control subjects in the present study is consistent with the observation that the mean effect size across previously published studies suggests no clear effect of marijuana on gray matter volumes.

Bei Twitter haben einige User die “Bild”-Redaktion auf den Fehler hingewiesen. Die juckt das aber ganz offensichtlich nicht.

Mit Dank an @Goettergattin42 für den Hinweis!

*Nachtrag, 19:13 Uhr: Bei FAZ.net ist ein Artikel zum selben Thema mit recht ähnlicher Überschrift erschienen. Im Gegensatz zu Bild.de verlinkt Autor Joachim Müller-Jung dort auf eine aktuelle Studie aus dem “Journal of Neuroscience” (erschienen am 14. Januar 2019). Es gibt die aktuellen Erkenntnisse, von denen Bild.de berichtet, also tatsächlich. Allerdings nennt und verlinkt die Bild.de-Redaktion die falsche, veraltete Studie.

Wir haben daher unsere Überschrift von “Bild.de bringt falsches Zeug in Umlauf” in “Bild.de bringt veraltetes Zeug in Umlauf” geändert.

Einer schrieb über die Sexualität

Zum Film “Einer flog über das Kuckucksnest” soll es bei Netflix bald ein Pre­quel geben, also eine Fortsetzung, die zeitlich allerdings vor den Ereignissen des Films spielt. Nun ist die Besetzung dafür bekannt gegeben worden, und Bild.de schreibt dazu:

Screenshot Bild.de - Vorgeschichte zum Kultfilm - Mega-Besetzung für neue Netflix-Serie

Und wer ist so alles dabei?

Auch die heterosexuelle Judy Davis (63, “Feud”), der heterosexuelle Finn Wittrock (34, “American Horror Story”) , die heterosexuelle Amanda Plummer (61, “Pulp Fiction”) und der heterosexuelle Corey Stoll (42, “House of Cards”) stehen für die neue Netflix-Serie vor der Kamera.

Ja, gut, so steht das nicht bei Bild.de. Die merkwürdigen, unerheblichen Zusätze zur Sexualität der Schauspielerinnen und Schauspieler haben wir eingefügt. Am folgenden Absatz aber haben wir nicht herumgedoktert — der steht eins zu eins so im Artikel von Bild.de-Autor Roman Scheck:

Mit dabei sind Stars, die so manchen Fan begeistern dürften: Die offen lesbische Schauspielerin Cynthia Nixon (52, “Sex and the City”), die bekennende bisexuelle Kult-Schauspielerin Sharon Stone (60, “Basic Instinct”) und der offen schwule Schauspieler Charlie Carver (30, “Desperate Housewives”).

Mal abgesehen davon, dass das alles völlig unwichtig ist: Die sind also nicht nur lesbisch, bisexuell und schwul, sondern das auch noch “offen”, “bekennend” und “offen”.

Mit Dank an @WayneSchlegel_ für den Hinweis!

Nachtrag, 15:36 Uhr: “Bild”-Redakteur Timo Lokoschat weist bei Twitter darauf hin, dass der Artikel “im LGBT-Bereich von Bild.de” erschienen ist. So ganz verstehen wir aber nicht, warum aufgrund der Sexualität einiger beteiligter Schauspielerinnen und Schauspieler über die neue Serie im LGBT-Bereich berichtet wird (und warum deshalb die Sexualität eine solche Rolle spielt, dass sie genannt werden muss). Inhaltlich hat “Einer flog über das Kuckucksnest” nichts mit LGBT zu tun.

Das Wort “bekennend” findet auch Lokoschat unangebracht.

Das “meistzitierte Medium Deutschlands” zitiert nicht

Bescheidenheit ist nicht gerade die Sache der “Bild”-Redaktion. Am vergangenen Montag schlagzeilte sie auf der eigenen Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Bild ist das meistzitierte Medium Deutschlands!

Das Korkenknallen ging im Text weiter:

Es ist die härteste Währung im politischen Journalismus: mit Exklusiv-Nachrichten von der Konkurrenz zitiert zu werden. Niemandem gelang dies 2018 so häufig wie BILD.

1203-mal wurde BILD laut des angesehenen Zitate-Rankings von “Media Tenor” im vergangenen Jahr mit Nachrichten, Berichten, Interviews etc. von anderen Medien zitiert. Eine klare Meinungsführerschaft: vor “Spiegel” (1098), “New York Times” (907) und BILD am SONNTAG (895 Zitate). “Süddeutsche Zeitung” und “Handelsblatt” belegten die Plätze 5 und 6.

In der “taz” wies Steffen Grimberg darauf hin, dass es “schon mehr als etwas verräterisch” sei, “wenn man die Quelle des Freudentaumels selbst mit Attributen wie ‘angesehen’ aufpeppen muss. Denn bei Media Tenor handelt es sich um einen Laden, der mit der Kneifzange anzufassen ist.” Aber das nur nebenbei.

Schauen wir doch mal, wie “Bild” und Bild.de selbst so mit dem Zitieren umgehen. Am Dienstag, da war der “Bild”-Jubel in eigener Sache gerade mal einen Tag alt, erschien dieser Artikel:

Screenshot Bild.de - Facebook-Fotos entlarvten ihn als Betrüger - Motz-Urlauber muss TUI 22000 Euro zahlen

Ein Brite forderte von TUI Schadensersatz, da er bei seinem Urlaub auf den Kapverdischen Inseln wegen der vermeintlich mangelnden Hygiene und des vermeintlich schlechten Essens vermeintlich krank geworden sei. Allerdings zeigten Facebook-Posts des Mannes, was für eine gute Zeit er in dem Fünf-Sterne-Hotel hatte und wie begeistert er vom angebotenen Essen war. TUI ging gegen ihn wegen Betrugs vor, der Mann soll dem Reiseveranstalter nun 20.000 Pfund zahlen.

Mirror.co.uk hatte die Geschichte exklusiv. Doch von dieser Quelle ist bei Bild.de, wo sie so stolz aufs Zitiertwerden sind, kein Wort zu lesen (anders als zum Beispiel bei “Focus Online”). Zugegeben, die Story vom betrügenden Briten ist kein politischer Journalismus. Aber nur weil die Politik fehlt, wird “die härteste Währung” doch nicht dramatisch an Wert verlieren.

Autorin des Bild.de-Artikels ist Silke Hümmer, die bereits im vergangenen September im BILDblog auftauchte, nachdem sie, ohne Nennung der Quelle, bei einem anderen Portal abgeschrieben hatte.

Mit Dank an anonym für den Hinweis!

Ziemlich billig, Bild.de

Bild.de gestern auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Brasilien, Schweden, Sri Lanka - Billig reisen dank Wechselkurs - dazu ein Foto, das zwei Frauen, vermutlich brasilianische Samba-Tänzerinnen, von hinten zeigt

Wie, wenn nicht mit zwei Frauen-Hintern, sollte man das Thema “Billig reisen dank Wechselkurs” auch sonst bebildern?

Bringt Julian Reichelt Fußball-Manager-Familien in Gefahr?

Julian Reichelt will ja bekanntermaßen nicht, dass man sein Gehalt öffentlich schätzt. Das könne schließlich seine Familie in Gefahr bringen, so der “Bild”-Chef. Aber was laut Julian Reichelt für Julian Reichelt gilt, gilt bei “Bild” längst nicht für alle Menschen.

Screenshot Bild.de - Top-Verdiener kommt nicht aus Bayern - Die Manager-Gehälter der Bundesliga

Reichelts Redaktion kündigt in ihrer Überschrift an: “Das kassieren die Manager der 18 Bundesliga-Klubs”. Im Artikel folgen recht konkrete Angaben zu den Gehältern von Michael Zorc (BVB), Jörg Schmadtke (VfL Wolfsburg), Ralf Rangnick (RB Leipzig), Hasan Salihamidzic (FC Bayern München), Christian Heidel (FC Schalke 04), Rudi Völler (Bayer 04 Leverkusen), Horst Heldt (Hannover 96), Max Eberl (Borussia Mönchengladbach), Frank Baumann (Werder Bremen), Fredi Bobic (Eintracht Frankfurt), Stefan Reuter (FC Augsburg), Michael Preetz (Hertha BSC), Rouven Schröder (Mainz 05), Alexander Rosen (TSG Hoffenheim), Michael Reschke (VfB Stuttgart), Andreas Bornemann (1. FC Nürnberg), Jochen Saier (SC Freiburg) sowie Lutz Pfannenstiel (Fortuna Düsseldorf).

Spricht man Julian Reichelt auf die Diskrepanz zwischen dem, was er für sich selbst beansprucht, und seinem Handeln an, antwortet er, dass die Bundeskanzlerin zum Beispiel “eine Angestellte der Menschen in diesem Staat” ist, und es daher selbstverständlich sei, dass ihr Gehalt öffentlich ist:

In der Privatwirtschaft ist das eben nicht so, weil da kein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Denn die Öffentlichkeit bezahlt mein Gehalt ja nicht.

Dass die Öffentlichkeit auch nicht das Gehalt von Michael Zorc, Jörg Schmadtke und all den anderen oben Genannten zahlt, muss Reichelt übersehen haben.

Und wer will am In-Gefahr-bringen-von-Fußball-Manager-Familien auch noch etwas verdienen? Julian Reichelts Bild.de — es handelt sich schließlich um einen “Bild plus”-Artikel.

Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

“Es war eine regelrechte Flut, die nicht zu bewältigen war”

Am Sonntagmorgen klingelten Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) bei Jan Schürlein, durchsuchten anschließend seine Wohnung und befragten den 19-Jährigen zum großen Datenklau. Schürlein hatte nach eigener Aussage Kontakt zu der Person, die das BKA wenige Tage später als geständigen Tatverdächtigen präsentierte.

Als die BKA-Beamten verschwunden waren, klingelte es wieder an Schürleins Tür, dieses Mal standen Journalisten davor. Sie hatten von der Durchsuchung gehört und vermuteten nun die große Story. Manche machten Schürlein flugs zum Tatverdächtigen oder titelten: “Spur des Politiker-Leaks führt zu 19-Jährigem in Heilbronn”. Das BKA stellte später klar, dass es sich bei Schürlein um einen Zeugen handelt.

Wir haben mit Jan Schürlein über den Medienrummel vor seiner Wohnung und um seine Person gesprochen.

Wann hast du die erste Medienanfrage bekommen?
Die kam bereits, soweit ich mich erinnere, am Samstag. Also noch bevor das BKA bei mir war. Zuvor hatte ein alter Kollege in TV-Interviews und über Soziale Medien auf mich aufmerksam gemacht.

Und wie viele waren es seitdem?
Insgesamt fast bis in den dreistelligen Bereich, wenn nicht sogar mehr. Ganz genau kann ich das nicht sagen. Es war auf jeden Fall eine regelrechte Flut, die nicht zu bewältigen war. Die erste Anfrage für ein TV-Interview kam dann auch direkt von RTL.

Gab es Unterschiede bei der Art und Weise, wie die Anfragen formuliert waren?
Ja, natürlich. Die meisten waren sehr freundlich und höflich. Ein paar sehr wenige aber auch ziemlich arrogant, sehr aufdringlich und unverschämt. Zum Beispiel diese Anfrage, die von “Bild” kam:

Screenshot eines Tweets von Jan Schürlein - Bild per E-Mail: Hallo Herr Schürlein, kommen Sie kurz runter? Oder sollen wir zu Ihnen hochkommen? - Wie kann man so unverschämt sein? Viel Spaß die Nacht über in deinem schwarzen Auto im Halteverbot, ich bin leider nicht oben

Du hast getwittert, dass Journalisten das Haus deiner Familie und Nachbarn belagerten, nachdem das BKA bei Dir war. Was war da genau los?
Ich war zum Glück die ganze Zeit nicht zu Hause, stand aber mit Personen von vor Ort und meiner Familie, die auch da wohnt, natürlich immer wieder in Kontakt. Die ersten, die am Haus waren, kamen von der “Heilbronner Stimme”. Später wurden Kamerastative auf der Straße aufgebaut, das Haus wurde von RTL, aber vermutlich auch von anderen Sendern gefilmt. Ein Kamerateam wollte wohl auch in das Haus meiner Nachbarin. Geschätzt wurde die Zahl an Personen, die über den Tag verteilt anwesend waren, auf um die zwanzig.

“Bild”-Reporter haben das Haus auch noch länger belagert, vermutlich in der Hoffnung, mich irgendwann abzufangen. Die saßen mehrere Stunden in einem schwarzen Auto mit Stuttgarter Kennzeichen vor dem Haus.

Wie haben Deine Verwandten und Nachbarn reagiert?
Die waren verärgert. Die Nachbarn haben unter anderem mit einem Rechtsanwalt gedroht.

Manche Journalisten sind auch Angehörigen von mir hinterhergelaufen. Selbst meinem jüngeren Cousin, der gerade mal 8 Jahre alt ist. Geklingelt haben sie natürlich auch. Nach meiner Information hat aber niemand versucht, irgendwie ins Haus zu gelangen.

Hast Du inzwischen wieder Deine Ruhe?
Durch die aktuelle Medienpräsenz nicht, aber früher oder später sollte sich hoffentlich alles beruhigen.

Das Interview haben wir schriftlich geführt.

Datenkauf im Darknet: BKA-Präsident widerspricht “Bild”

Es ist schon ein bisschen beeindruckend, wie die “Bild”-Redaktion es momentan schafft, beim Thema Datenklau immer wieder danebenzuliegen. Erst Redakteur Julian Röpcke, der behauptet, Fälle von “bad political scandals” in dem Material gefunden zu haben — was sein Chef Julian Reichelt später völlig anders sah:

Meine große Schlussfolgerung daraus ist, dass in enorm vielen Daten enorm wenig, so gut wie gar kein wirklich brisantes, skandalöses Material dabei war

Und dann “Bild”-Chef Reichelt, der, kurz bevor ein 20-jähriger Schüler, der noch bei seinen Eltern wohnt, vom Bundeskriminalamt (BKA) als geständiger Einzeltäter präsentiert wird, sagt:

Ich glaube, was relativ klar ist: Das waren nicht ein oder zwei Jungs, die bei Pizza und Cola light im Keller gesessen haben, bisschen Computerspiele, bisschen Youtube und dann bisschen was gehackt haben und das dann aufbereitet haben. Das muss eine größere Struktur gewesen sein.

Heute ist “Bild” der nächsten ganz kalten Sache auf der Spur:

Ausriss Bild-Zeitung - Hacker kaufte Passwort-Daten illegal im Darknet

Daten-Dieb Johannes S. (20) hatte nach BILD-Informationen teilweise Passwörter der gehackten Promis und Politiker im sogenannten „Darknet“ gekauft, um illegal Zugang zu ihren Daten zu bekommen!

Und woher stammen diese “BILD-Informationen”?

Auch einige der von ihm auf “Twitter” veröffentlichten Social-Media-Daten hatte der Arzt-Sohn im “Darknet” zuvor erworben, wie BILD aus Ermittlerkreisen erfuhr.

Ah, die Ermittler. Was sagt denn zum Beispiel BKA-Präsident Holger Münch dazu?

Einem Bericht der “Bild”-Zeitung, wonach der mutmaßliche Täter Daten wie Passwörter im Darknet gekauft haben soll, hat BKA-Chef Münch in der Sondersitzung widersprochen.

Das steht heute bei “Spiegel Online”. Und der Absatz geht noch weiter:

Das passt zu Aussagen der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT): “Uns liegen nach derzeitigem Stand der Ermittlungen keinerlei Erkenntnisse darüber vor, dass der Beschuldigte Daten im Zusammenhang mit dem Leak im Darknet gekauft hat”, hieß es von dort auf SPIEGEL-Nachfrage. “Weder was Passwörter angeht noch ganze Datensätze. Es gibt dahingehend keinen neuen Sachstand.”

Die “Bild”-Redaktion kommt wohl auch auf die Sache mit dem Darknet, weil die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ihr gegenüber bestätigt habe, dass sie auch wegen Datenhehlerei ermittle. “Bild” schreibt:

Woher genau, beziehungsweise aus welcher früheren Hacker-Attacken [sic], die im Darknet zum Kauf angebotenen Daten-Sätze stammen, ist noch unklar.

Aber auch dazu steht etwas bei “Spiegel Online”:

Zwar ermittele man von Anfang an auch wegen Datenhehlerei, weil immer die Möglichkeit bestehe, dass Teile eines Leaks auf Datenausspähungen Dritter beruhen. “Im aktuellen Fall gibt es diesbezüglich aber weder Hinweise auf Darknet noch auf Ankauf”, so die ZIT.

Viele Medien übernahmen heute die Darknet-Geschichte und nannten “Bild” als Quelle. Julian Reichelt und sein Team sind gerade zum meistzitierten Medium Deutschlands gekürt worden. Das klappt auch dank solcher Geschichten. Der “Bild”-Chef kann wirklich stolz sein auf seine “leidenschaftliche Redaktion, die nichts mehr liebt als die harte exklusive News, an der niemand vorbei kann.”

Mit Dank an @MKTuningDO für den Hinweis!

Bitte ausschneiden und aufhängen: “Indymedia” ist keine seriöse Quelle

Screenshot Welt.de - Attacke auf AfD-Politiker - Bekennerschreiben im Fall Magnitz aufgetaucht

… steht seit heute Mittag bei Welt.de. Und auch auf ihrem Twitter-Kanal lässt die Redaktion es so wirken, als wäre im Fall des am Montag angegriffenen AfD-Politikers Frank Magnitz ein Bekennerschreiben “aufgetaucht”, also so ein richtiges:

Screenshot eines Tweets der Welt-Redaktion - Bekennerschreiben im Fall Magnitz aufgetaucht

Das Problem dabei, und das kommt erst später im “Welt”-Text: Es gibt erhebliche Zweifel an der Authentizität des Schreibens, das von einer bisher unbekannten Gruppe namens “Antifaschistischer Frühling Bremen” stammen soll. Diese Zweifel liegen vor allem an der Quelle: Das “Bekennerschreiben” ist nämlich bei “Indymedia” aufgetaucht, wo jeder anonym solche Texte veröffentlichen kann. Noch einmal, weil Redaktionen das offenbar gerne vergessen: Jeder kann bei “Indymedia” unter irgendeinem Namen ein angebliches “Bekennerschreiben” veröffentlichen. Welt.de schreibt zur aktuellen (und inzwischen wieder gelöschten Veröffentlichung bei “Indymedia”) dennoch: “Es wurde von einer Antifa-Gruppe im Internet veröffentlicht”.

Wie falsch das sein kann, haben nun schon mehrere Fälle gezeigt. 2016 etwa tauchte nach zwei Sprengstoffanschlägen in Dresden, einer davon auf eine Moschee, bei “Indymedia” ein vermeintliches Bekennerschreiben einer Antifa-Gruppe auf, das sich als Fälschung entpuppte. Dennoch berichteten mehrere Medien, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle. 2017, nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB, tauchte bei “Indymedia” ein vermeintliches Bekennerschreiben einer Antifa-Gruppe auf, das sich als Fälschung entpuppte. Und wieder berichteten Medien, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle.

Nun taucht bei “Indymedia” also ein angebliches Bekennerschreiben zum Angriff auf AfD-Mann Magnitz auf, und Welt.de veröffentlicht eine Überschrift, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle. (Man kann durchaus dafür plädieren, dass ein anonymes Posting auf “Indymedia” überhaupt “keinen Bericht wert” ist.)

Genauso die Redaktion von “Der Westen”:

Screenshot Derwesten.de - AfD-Politiker Magnitz schwer verletzt: Dieses Bekennerschreiben taucht jetzt im Netz auf

Kein distanzierendes “angeblich” in der Titelzeile (wie beispielsweise bei tagesschau.de und RTL.de), kein “Zweifel” (wie beispielsweise bei FAZ.net und stern.de). Als wäre es sicher, dass es sich um ein authentisches Bekennerschreiben handelt. Und als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle.

“Bild” lässt Familie und Freundin noch einmal alles mit ansehen

Am vergangenen Sonntag ist ein 32-Jähriger aus Baden-Württemberg beim Ski-Fahren ums Leben gekommen. Eine erste Lawine überlebte der Mann noch dank eines Airbags. Während er bis zu den Knien im Schnee feststeckte, verschüttete ihn allerdings eine zweite Lawine. Die Bergretter konnten den Mann nicht wiederbeleben.

Die “Bild”-Redaktion berichtete gestern über den tragischen Vorfall. Aber nicht etwa rücksichtsvoll irgendwo weiter hinten im Blatt komplett ohne Foto oder wenigstens mit Verpixelung, sondern riesig auf der Titelseite, über dem Bruch, mit unverpixeltem Bild:

Ausriss Bild-Titelseite - Seine Freundin sah alles mit an - Doppel-Lawine töte Mathe-Lehrer - Die erste überlebte er noch, die zweite begrub ihn - dazu ein unverpixeltes Foto des Verstorbenen
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)

Auf Seite 3 zeigte sie dann noch ein weiteres Foto des Verstorbenen …

Ausriss Bild-Zeitung - Seine Freundin konnte ihn nicht mehr retten - Die zweite Lawine tötete ihn - dazu ein unverpixeltes Foto des Verstorbenen

… das auch Bild.de veröffentlichte, bereits vorgestern Abend auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Seine Freundin sah alles mit an - Doppel-Lawine tötet Mathe-Lehrer - Die erste überlebte er noch, die zweite begrub ihn - dazu ein unverpixeltes Foto des Verstorbenen

Die Aufnahmen haben sich die “Bild”-Medien offenbar vom Facebook-Profil des Mannes gezogen. Eine Person aus dessen engerem Freundeskreis sagte uns, dass die Familie einer Veröffentlichung nie zugestimmt hat und sich nun rechtlich dagegen wehren wird.

Nachtrag, 11. Januar: Wir hatten auch bei “Bild” nachgefragt, woher die Redaktion die Fotos hat und ob sie vor Veröffentlichung bei der Familie des Verstorbenen nachgefragt hat, ob sie die Fotos unverpixelt verwenden darf. Wir haben bisher keine Antwort auf unsere Fragen erhalten.

Julian Reichelts “investigative journalistische Handwerkskunst”

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat heute bei einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass es einen Tatverdächtigen zum Diebstahl der Daten zahlreicher Prominenter und Politiker gebe. Der Mann sei geständig.

Wenige Stunde vor der Pressekonferenz des BKA ist die aktuelle Folge des Podcasts von Gabor Steingart erschienen. Sein Gast: Julian Reichelt. Mit ihm sprach Steingart gestern Abend über den Datenklau. Und der “Bild”-Chef zeigt in knapp 22 Minuten eindrucksvoll, wie häufig man treffsicher mit Mutmaßungen und Behauptungen danebenliegen kann.

  • Zum möglichen Täter

Julian Reichelt im Podcast:

Ich glaube, was relativ klar ist: Das waren nicht ein oder zwei Jungs, die bei Pizza und Cola light im Keller gesessen haben, bisschen Computerspiele, bisschen Youtube und dann bisschen was gehackt haben und das dann aufbereitet haben. Das muss eine größere Struktur gewesen sein.

Das BKA sagt heute: Der 20-Jährige sei Schüler ohne besondere technische Ausbildung oder Informatikstudium. Er habe sich das nötige Wissen durch Computeraffinität und viel Zeit draufgeschafft. Er lebe noch bei seinen Eltern in Mittelhessen. Immerhin: Von Pizza, Cola light, Keller und anderen Reichelt’schen Hacker-Klischees war nicht die Rede.

(an dieser Stelle beweist auch Gabor Steingart seine Expertise, als er schlussfolgerte: “Sprechen wir noch mal über das Handwerk, die Professionalität. Wenn man sich die Seite selber anschaut, es sieht nicht aus danach, dass Schüler ein paar E-Mails gehackt haben.”)

  • Zu möglichen Komplizen

Julian Reichelt im Podcast:

Der Umfang des Materials einerseits und die Liebe zum Detail, mit der dieses Material aufbereitet worden ist, mit Überschriften versehen worden ist, verschlagwortet ist, geordnet worden ist, deutet schon darauf hin, dass es sich um eine größere Zahl von Personen handelt und vor allem eine professionell vorgehende große Anzahl von Personen, die dieses Material aufbereitet hat.

Steingart fragt nach, wie viele Beteiligte Reichelt vermutet. Der “Bild”-Chef:

Wir haben es hier mit sehr aktuellen Daten zu tun, mit sehr vielen aktuellen Daten, die sehr liebevoll aufbereitet worden sind. Deswegen würde ich, sozusagen als interessierter, hochinteressierte Laie, was die Aufbereitung von Daten angeht, da schon eher auf eine gut zweistellige Zahl von Personen tippen, die sich damit beschäftigt haben muss

Das BKA sagt heute: Alles deute auf einen Einzeltäter hin.

  • Zu einer möglichen staatlichen Unterstützung

Julian Reichelt im Podcast:

Ich glaube nach allem, was wir an Hacks in den letzten Jahren gesehen und erlebt haben, ist das Wahrscheinlichste immer noch, dass es zumindest staatliche Unterstützung, von welcher Seite auch immer, für diesen Hack gab.

Das BKA sagt heute: Es gebe keine Hinweise für staatliche Unterstützung.

  • Zum möglichen Motiv

Julian Reichelt im Podcast:

Meine große Schlussfolgerung daraus ist, dass in enorm vielen Daten enorm wenig, so gut wie gar kein wirklich brisantes, skandalöses Material dabei war, was diese Aussage stützen würde, die ja da betrieben werden soll: Die Politik ist korrupt, die Politik ist verkommen, wir können uns auf unsere Politiker nicht verlassen, es gibt düstere Absprachen hinter den Kulissen, es gibt vielleicht Absprachen zwischen Medien und Politik. All das, was dort forciert werden soll oder routinemäßig bei solchen Hacks und Leaks forciert werden soll, das, muss man sagen, konnten wir dort nicht entdecken.

Das BKA sagt heute: Der Verdächtige habe angegeben, “aus Verärgerung über öffentliche Äußerungen der betroffenen Politiker, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens gehandelt zu haben.”

***

Gabor Steingart kündigte das Gespräch und seinen Gesprächspartner übrigens so an:

Der Datenklau und seine Folgen — dazu habe ich mit dem Mann gesprochen, der auf diesem Datenschatz jetzt sitzt und ihn mit einem Expertenteam derzeit nach allen Regeln der investigativen journalistischen Handwerkskunst auswertet. (…)

Der “Bild”-Chefredakteur, ein erfahrener Enthüller und ehemaliger Kriegsreporter, gibt freizügig Auskunft über seine Arbeit. Und, bei allem Nebel, den der Fall noch umgibt, erkennen wir jetzt in diesem Gespräch die Dimension einer Tat, die womöglich deutlich größer ist als das, was die Bundesregierung uns als Wahrheit zugestehen will.

Schwer zu sagen, was lustiger ist: Steingarts verschwörerisches Geraune oder Reichelts angebliche “investigative journalistische Handwerkskunst”.

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