In der vergangenen Woche (5. bis 11. Juli) haben die “Bild”-Medien mindestens 19 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind. Keines der Fotos war verpixelt.
Nur bei einem Foto haben Angehörige der Veröffentlichung laut “Bild”-Angabe zugestimmt (bei einer Frau, die bei einer Bootskollision auf dem Gardasee ums Leben gekommen ist und deren Gesicht “Bild” schon in den vergangenen Wochen immer wieder gezeigt hatte).
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Ohne erkennbare Zustimmung der Hinterbliebenen veröffentlichte Bild.de das Foto eines 12-jährigen Kindes, das erstochen wurde:
(Unkenntlichmachung von uns.)
“Bild” hat das Foto von einer Internetseite, auf der Spenden für die Beerdigung des Kindes gesammelt wurden.
Erschwerend kommt in diesem Fall noch hinzu, dass der getötete Junge durch die Kombination aus Foto und Schlagzeile sogar für den Täter gehalten werden kann. Denn auch von Tatverdächtigen und Tätern zeigt die “Bild”-Redaktion immer wieder unverpixelte Fotos.
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Gezeigt wurde in der vergangenen Woche auch das Gesicht einer jungen Frau, die bei dem Messerangriff in Würzburg getötet wurde (zuvor hatte “Bild” auch das Gesicht eines anderen Opfers aus Würzburg groß und unverpixelt veröffentlicht). In diesem Fall ist es eine nachgedruckte Traueranzeige:
(Unkenntlichmachung von uns. “Bild” hat lediglich den Nachnamen der Frau verpixelt.)
Diese Traueranzeige hatte die Familie in ihrer Heimatzeitung geschaltet; “Bild” hat sie offenbar einfach kopiert. In einem ähnlichen Fall – als “Bild” nach dem Germanwings-Unglück eine Traueranzeige aus einer anderen Zeitung nachgedruckt hatte – wertete der Presserat den Nachdruck als “Verstoß gegen presseethische Grundsätze”, weil “nicht von einer grundsätzlichen Einwilligung zu einer identifizierenden Abbildung für die deutschlandweite Medienöffentlichkeit auszugehen” sei.
Im Fall der Frau aus Würzburg instrumentalisierte die “Bild”-Redaktion die Traueranzeige anschließend noch für ihre politische Agenda:
Genau so waren zuvor auch Islamfeinde und rechte Stimmungsmacher vorgegangen. Zwei Tage vor dem “Bild”-Artikel hatte etwa Erika Steinbach die Traueranzeige getwittert und dazu geschrieben: “Das junge Mordopfer von Würzburg, für das die Kanzlerin bis heute kein Wort der Anteilnahme hatte.”
“Bild” verbreitete die Traueranzeige auch in Sozialen Netzwerken, allein bei Facebook gab es darauf tausende Reaktionen:
Unter dem Post sammeln sich seitdem etliche Kommentare wie …
„Mutti“ hat versagt, mit den Grünen wird es noch schlimmer. Trauriger Verlust, aber die junge Frau wird leider nicht das letzte Opfer sein. R.I.P.
oder
Wenn ihr das verhindern wollt, wählt endlich die Altparteien ab! Bald habt ihr die Möglichkeit dazu! Deutsche, wacht endlich auf!
oder
Raus mit so ein mùll
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In einem anderen Fall veröffentlichte Bild.de das Gesicht einer jungen Frau, die mutmaßlich von ihrem Ex-Freund getötet wurde:
(Unkenntlichmachung von uns. Bild.de hat lediglich dem Verdächtigen einen schwarzen Balken über die Augen gelegt.)
Woher das Foto der Frau stammt, wird nicht angegeben. Es sieht aus, als hätte der “Bild”-Fotograf ein analoges Foto abfotografiert.
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Gezeigt wurde auch das Gesicht einer Frau, die in Russland von mehreren umstürzenden Bildschirmen erschlagen wurde. Fotoquelle: “privat”.
(Unkenntlichmachung – auch in allen folgenden Screenshots – von uns.)
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Und das Gesicht eines Mannes, der in Honduras von einem Lynchmob getötet wurde.
Quelle: “privat”.
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Und das Gesicht eines Mannes, der in Teheran von seinen Eltern ermordet worden sein soll:
Quelle: “.”
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“Bild am Sonntag” und Bild.de veröffentlichten auch das Gesicht eines obdachlosen Mannes, der auf einer Parkbank getötet wurde.
Dem Anschein nach wurde das Foto (des damals noch lebenden Mannes) aus einiger Entfernung aufgenommen.
Auch in diesem Fall könnte man durch die Kombination von Foto und Schlagzeile das Opfer für den Täter halten:
Eine Verwechslung, die nicht passieren könnte, wenn “Bild” Gesichter verpixeln würde.
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Seit einem Monat beobachten wir diese Praxis nun etwas genauer. In dieser Zeit haben die “Bild”-Medien 124 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind. In 18 Fällen von Minderjährigen.
Nur in vier Fällen haben Angehörige der Veröffentlichung laut “Bild”-Angabe zugestimmt.
In sechs Fällen waren die Augen verpixelt, in fünf Fällen die Gesichter. In 113 Fällen verzichtete “Bild” auf jede Unkenntlichmachung.
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Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.
In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.
“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.
Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:
Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.
Pressekodex Richtlinie 8.2
Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.
In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:
Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.
Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.
Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.