Suchergebnisse für ‘wie hetze ich gegen ein land auf’

Berichterstattung unerwünscht, Kampfansage an uns alle, Assange

1. Freie Berichterstattung unerwünscht
(taz.de, Gareth Joswig)
“Die AfD schließt unliebsame Medienvertreter aus und zeigt damit, wie ernst sie Pressefreiheit nimmt. Mit rechtextremen Medien spricht sie dagegen gern.” Gareth Joswig kritisiert in seinem Text den Umgang der Partei mit den Medien des klassisch-demokratischen Spektrums sowie ihre teilweise zu beobachtende Verschmelzung mit den sogenannten Alternativmedien.

2. Tik, Tok, Toxisch
(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Als “Kampfansage an uns alle” bezeichnet Richard Gutjahr die neue inhaltliche Gewichtung bei Facebook und Instagram. Offebar in Reaktion auf die Konkurrenz durch TikTok sollen laut Gutjahr bei Facebook Freunde und Nachrichten-Inhalte von der Startseite verschwinden, und Creator-Clips sowie virale Videos stärker gewichtet werden. “Anstatt aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, hat ein Wettrüsten begonnen um die hinterhältigste Manipulation menschlicher Schwächen und die schamloseste Ausbeute unserer Sehnsüchte. Das Ziel: noch mehr App-hängigkeit, noch mehr Daten, noch mehr Profit”, kommentiert Richard Gutjahr.

3. Professorin fürs Querdenken
(jungle.world, Tom Uhlig)
“Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot vertritt inzwischen lupenreine ‘Querdenker’-Positionen und wird dessen ungeachtet von deutschen Medien hofiert. Ob zu Corona oder zur Ukraine – Guérots Meinung ist gefragt.” Tom Uhlig schreibt über die bemerkenswerte Entwicklung einer Politikwissenschaftlerin, die trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer extremen Positionen bei manchen Talk-Shows ein gern gesehener Gast ist.

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4. Medien und ihr schwieriges Verhältnis zu Assange
(deutschlandfunk.de, Bettina Schmieding, Audio: 47:03 Minuten)
Ein Deutschlandfunk-Hörer wirft deutschen Medien vor, das Schicksal des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der in Abschiebehaft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis sitzt, nicht genügend thematisiert zu haben. Der Deutschlandfunk hat ihn in eine Gesprächsrunde eingeladen. Mit ihm diskutieren Bascha Mika (ehemals Chefredakteurin der “taz” und der “Frankfurter Rundschau”), Deniz Yücel (ehemals “taz”, jetzt “Welt”) und Bettina Schmieding aus der Dlf-Medienredaktion.

5. Hass im Netz – zu lange kultiviert durch Clickbait-Journalismus
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Dass sich Hass und Hetze im Internet so stark ausbreiten können, liege auch an der “verantwortungslosen Verwahrlosung von Journalismus”, kritisiert “DWDL”-Chefredaktuer Thomas Lückerath: “Dass Stimmungsmache im Netz – bis hin zur Hetze und Hass – überhaupt die große Bühne bekommen, ist über Jahre hinweg eben auch vielen Online-Redaktionen zu verdanken, deren Chefredaktionen journalistischen Anspruch durch Clickbait ersetzt haben und tausendfach Beihilfe zur Eskalation liefern.”

6. Mach nicht so ein Gesicht
(sueddeutsche.de, Christiane Lutz & Cornelius Pollmer & Johannes Korsche & Aurelie von Blazekovic & Tim Feldmann)
Für Hinweisgeber und Undercover-Reporter gibt es gute Gründe, anonym aufzutreten. Im Fernsehen werden diese Personen gerne hinter Schattenwänden versteckt, in übergroße Hoodies gesteckt oder sonstwie maskiert und verkleidet. Die “Süddeutsche” liefert einen unterhaltsamen Überblick über die kreativen Anonymisierungs-Methoden der TV-Branche.

Fragwürdige Telefonaktion, Youtube-Willkür, Künasts Sieg gegen Hetzer

1. Der WDR und die “jüdischen Wurzeln”
(uebermedien.de, Andrej Reisin)
In der WDR-Doku-Reihe “Unterwegs im Westen” fragte die Reporterin Rachel Patt “Wie jüdisch ist Deutschland?” und führte eine Telefonaktion durch, die bei einigen Zuschauerinnen und Zuschauern für heftiges Kopfschütteln sorgte. Es gibt aber noch weitere Kritikpunkte an der Sendung. Auf “Übermedien” kommentiert Andrej Reisin: “Nicht die Ergebnisse von Patts Recherche sind das Problem, sondern dass sie schlicht zu wenig recherchiert hat, dass sie nach Bauchgefühl agiert, statt simpelste Fakten wie die jüdische Einwanderungsgeschichte nach 1991 auf dem Kasten zu haben. Und kein:e Redakteur:in irgendetwas davon merkt.”

2. Schrecken mit Ende
(kontextwochenzeitung.de, Minh Schredle)
Wie an dieser Stelle vergangene Woche zu lesen war, warb die AfD in der “Frankfurter Rundschau” ganzseitig gegen die Corona-Impfpflicht. Die Verlagsverantwortlichen verteidigten die Schaltung der Anzeige zunächst als “Teil der geltenden Meinungsfreiheit”, ruderten dann jedoch zurück: Geschäftsführer Max Rempel bat um Entschuldigung und versprach, “dass es künftig keine Anzeigen der AfD mehr in der Frankfurter Rundschau geben wird”. Minh Schredle fragt sich, wie es zu dem Vorgang überhaupt kommen konnte, und ordnet den Fall ein.

3. Wider die Willkür
(sueddeutsche.de, Philipp Bovermann)
Wenn Youtube Videos oder ganze Kanäle löscht, kennen die Uploader und Betreiber häufig den Grund dafür nicht. Es gibt oft nur einen lapidaren Hinweis auf einen angeblichen Verstoß gegen die Community-Regeln. Wer sich damit nicht abfinden will, muss gegen den Großkonzern juristisch vorgehen. Die Europäische Union wolle diesen Zustand mit einem “Gesetz über digitale Dienste” beenden. Philipp Bovermann ist skeptisch: “Es sieht also so aus, als dürften die digitalen Plattformen künftig zwar nicht mehr so willkürlich wie bisher agieren, ihre souveräne Macht über die Inhalte aber behalten – auf expliziten Wunsch der EU. Das dürfte noch zu interessanten Debatten führen.”

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4. Renate Künast erringt klaren Sieg gegen Facebook-Hetzer
(spiegel.de)
Das Bundesverfassungsgericht hat der Politikerin Renate Künast im Streit über gegen sie gerichtete Beleidigungen bei Facebook in vollem Umfang recht gegeben: “Facebook dürfte damit in der Folge verpflichtet werden, weitere Daten von Nutzerinnen und Nutzern, die Renate Künast im Netz beleidigt haben, an die Grünenpolitikerin herauszugeben.”

5. Goldene Blogger 2022: weniger Blog, mehr Gold
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Anfang April wird “Deutschlands ältester Social Media-, Creator- und Influencer-Award” verliehen, der noch den Namen aus alten Zeiten trägt: “Die goldenen Blogger”. Mit-Ausrichter Thomas Knüwer ist begeistert von den Nominierten, beklagt aber den abnehmenden Textanteil.
Transparenzhinweis: Der “6-vor-9”-Kurator des BILDblogs ist Bestandteil der Nominierungsliste.

6. ABC suspendiert Whoopi Goldberg nach Holocaust-Aussagen
(dwdl.de, Alexander Krei)
Die US-amerikanische Schauspielerin Whoopi Goldberg hat in einer Talkshow, an der sie als Co-Moderatorin teilnimmt, gesagt, dass es beim Holocaust “nicht um Rasse”, sondern um “Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen” gegangen sei. Trotz ihrer hintergeschobenen Entschuldigung ist sie vom TV-Sender für zwei Wochen suspendiert worden.

Strafverfahren-Lawine, Feindbild Presse, Twitter nicht nur Rattenloch

1. Bundeskriminalamt erwartet 150.000 neue Strafverfahren pro Jahr
(zeit.de)
Das Bundeskriminalamt (BKA) bereitet sich wegen der Neufassung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) gegen Hass in Sozialen Netzwerken auf Zehntausende zusätzliche Strafverfahren im Jahr vor. “Nach derzeitiger Schätzung ist jährlich mit rund 250.000 NetzDG-Meldungen zu rechnen, die etwa 150.000 neue Strafverfahren nach sich ziehen werden”, so ein BKA-Sprecher. Zum Hintergrund: Laut der neuen Regelung müssen Betreiber Sozialer Netzwerke ab dem 1. Februar den Behörden sämtliche strafbaren Inhalte melden.

2. Feind­bild Presse: Bedrohungen von Journalisten durch “Querdenker” nehmen zu
(rnd.de, Imre Grimm)
Mit einem neuen Flyer (PDF) will der Deutsche Journalisten-Verband die Polizei dabei unterstützen, falsche Journalistinnen und Journalisten von echten unterscheiden zu können, und stellt dafür eine digitalen Schnellcheckliste bereit. Imre Grimm erklärt, warum die Initiative derzeit besonders notwendig ist.
Weiterer Lesetipp: Nur mit Bodyguards: “Die Stimmung gegen Jour­na­lis­t:in­nen wird rauer. Dabei werden sie von Quer­den­ke­r:in­nen an ihrer Arbeit gehindert. Aber auch von der Polizei.” (taz.de, Volkan Ağar)

3. Ippen Media kramt veraltete ADAC-Studie raus, um E-Autos schlechtzureden
(volksverpetzer.de, Jan Hegenberg)
Jan Hegenberg ärgert sich über die negative Berichterstattung der Ippen-Medien (unter anderem “HNA”, “Münchner Merkur”) über E-Autos. Die Artikel seien in Überschrift und Anreißer irreführend, würden auf einer veralteten ADAC-Studie beruhen und sich bei näherer Betrachtung als billiges Clickbaiting herausstellen: “Dass der Ippen-Verlag derartig alte und umstrittene Studien wie diese ADAC-Studie immer wieder bringt, um Menschen an einer alten Technologie festhalten zu lassen, wird tragischerweise auch am ehesten diesen Menschen schaden. Sie werden so im Glauben gelassen, E-Autos seien nur ein vorübergehender Trend und bekommen mutmaßlich in ein paar Jahren zunehmend Probleme, wenn ihr Vehikel auf dem Gebrauchtmarkt ähnlich beliebt ist wie heute ein Röhrenmonitor oder eine Schreibmaschine.”

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4. Gettr – Die neue Rechtsaußen-Filterblase
(belltower.news, Stefan Lauer & Veronika Kracher)
Seit die großen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter verstärkt gegen Hass, Hetze und Desinformation vorgehen, weichen viele Rechtsradikale und “Querdenker” auf Gettr aus. Dieses Netzwerk spiele vor allen in den USA eine große Rolle, werde aber auch zunehmend von den entsprechenden Kreisen in Deutschland genutzt.

5. “Gerade auch über Missstände berichten”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Bettina Schmieding, Audio: 7:01 Minuten)
Der Sportjournalismus befindet sich im Wandel. Konzentrierten sich viele Medien früher nahezu ausschließlich auf die sportlichen Aspekte und blendeten alles Negative aus, wird heutzutage zunehmend auch über Missstände und die politischen und gesellschaftlichen Aspekte berichtet. Eine Herausforderung für den Sportjournalismus, wie beim Hören des Deutschlandfunk-Gesprächs klar wird.

6. Twitter ist nicht nur ein Rattenloch
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
“Ich hasse Twitter und Instagram auch manchmal. Aber stellen Sie sich mal vor, es wäre Pandemie und wir hätten das alles nicht. Das wäre wirklich die Hölle.” Margarete Stokowski freut sich in ihrer Kolumne, dass die Sozialen Netze nicht nur aus Hass, Hetze und schlechten Menschen bestehen, wie man manchmal vielleicht denken könnte.

“Klima Update”, Muslimfeindlichkeit, Genderdebatte und Sportjournalismus

1. “Der Rechtsstaat im Herzen getroffen”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 5:55 Minuten)
In Amsterdam wurde am Dienstagabend der bekannte niederländische Kriminalreporter Peter de Vries auf offener Straße niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Sebastian Wellendorf hat mit der Korrespondentin Kerstin Schweighöfer über die Hintergründe der Tat gesprochen. De Vries habe in mehreren spektakulären Fällen recherchiert und an der Aufklärung mitgewirkt: “Er ist nicht nur Reporter, er hat sich auch als eine Art Privatdetektiv einen Namen gemacht – spezialisiert auf ‘cold cases’. Zum Beispiel hat er einen 20 Jahre alten Mord an einem elfjährigen Jungen gerade erst aufgelöst.” Zudem herrsche gegenüber Journalistinnen und Journalisten in den Niederlanden schon seit Jahren ein feindliches Klima.

2. Türkischer Exiljournalist in Berlin angegriffen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Am Mittwochabend ist in Berlin ein regierungskritischer türkischer Journalist von drei Männern angegriffen und verletzt worden. Für Reporter ohne Grenzen kommentiert Christian Mihr: “Wir kennen die Hintergründe der Tat noch nicht, aber dass ein regierungskritischer Journalist aus der Türkei in Berlin angegriffen wird, ist besorgniserregend und könnte andere Exiljournalistinnen und -journalisten im Land einschüchtern. Die Behörden müssen dem Verdacht nachgehen, dass der Angriff mit seiner journalistischen Arbeit zusammenhängt. Medienschaffende im Exil sind vor Repressionen in ihren Heimatländern geflohen. Sie müssen sich hier sicher fühlen können.”

3. Olympiahoffnung: Mehr Frauen im Sport und im Sportjournalismus
(genderleicht.de, Anna E. Poth)
Angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele in Tokio hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) die Medien in einem offenen Brief (PDF) dazu aufgerufen, mehr über Sportlerinnen zu berichten: “Unsere Forderung ist: das Gewährleisten einer ausgewogenen und gleichwertigen Sportberichterstattung – ohne stereotype und diskriminierende Darstellungen von Sportlerinnen in Wort und Bild.” Die Initiative “Genderleicht” hat sich mit verschiedenen Fachfrauen über den Einfluss der Genderdebatte auf den Sportjournalismus unterhalten: mit Ulrike Spitz, Pressesprecherin des DOSB, mit Susanne Opitz, langjährige Sportjournalistin und Reporterin für das ZDF, und mit Nina Probst, Chefredakteurin des Sportblogs Sportfrauen.net.

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4. “Klima Update” bei RTL: “Zeichen der Zeit erkannt”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Lange hatten sich die Verantwortlichen der “Klima-vor-acht”-Initiative für ein regelmäßiges Klimaformat im Ersten eingesetzt, waren dort jedoch regelmäßig abgeblitzt. Konkurrent RTL hat die Gunst der Stunde genutzt und bringt das Format als “Klima Update” auf Sendung, das künftig immer donnerstags und samstags im Anschluss an die Nachrichtensendung “RTL Aktuell” zu sehen sei.

5. Muslimfeindlichkeit: Medien unter Druck
(verdi.de, Bärbel Röben)
Beim Interkulturellen Mediendialog in Frankfurt am Main wurde unter anderem über die Studie “Mediale Wahrnehmung des Islam bei Politiker*innen und Journalist*innen” diskutiert. Bärbel Röben fasst den Vortrag und die anschließende Diskussion zusammen.

6. Donald Trump klagt gegen Twitter, Facebook und Google
(zeit.de)
Der frühere US-Präsident Donald Trump will sich seine Socia-Media-Verbannung nicht gefallen lassen und hat Twitter, Facebook und Google auf Wiederherstellung seiner Accounts verklagt.
Weiterer Lesehinweis in Sachen Twitter: “Ein französisches Gericht ordnet an, dass Twitter seine Moderationspraktiken bei Hassrede offenlegen muss. Geklagt hatten französische Organisationen, die zuvor in einer Studie den nachlässigen Umgang des sozialen Netzwerks mit hetzerischen Inhalten angeprangert hatten.” – “Twitter muss endlich Verantwortung übernehmen” (netzpolitik.org, Denise Stell).

Rechte Hetze beim Kirchenschloss, Balders Abschied, Erzwingungshaft

1. Duldet das Bistum Augsburg völkisches Denken?
(br.de, Johannes Reichart)
BR-Reporter Johannes Reichart ist einem äußerst verstörenden Fall nachgegangen: Ein im Besitz der katholischen Kirche befindliches Schloss werde zur Verbreitung von rechter Hetze und völkischem Denken genutzt. Unter anderem werde dort das sogenannte “Schloss-Kultur-Magazin” publiziert. Darin mische sich unter allerlei Artikel über Gartenarbeit und Strickkleidung auch abstruses Gedankengut und Esoterik, das Magazin verbreite Weltverschwörungserzählungen und traditionalistisch-religiöse Extrempositionen: Ein Erzbischof warnt vor dem “Great Reset”, der von den “Dienern Satans” betrieben werde, Priester der erzkonservativen Piusbruderschaft hetzen gegen Abtreibung, Homosexualität und Klimaschutz. Das Bistum bemühe sich als Vermieterin der Immobilie seit Längerem “um Klärung”.

2. “Viel konsequenter digital ausrichten”
(journalist.de, Anna Paarmann)
Anna Paarmann ist Online-Chefin bei der “Landeszeitung” für die Lüneburger Heide und dort für Redaktionsprojekte zuständig. In einem Gastbeitrag für den “journalist” macht sie sich Gedanken darüber, wie der Journalismus widerstandsfähiger gemacht werden kann. Wer noch nicht auf “Digital First” setze, möge dies schleunigst tun: “Es gilt, historisch gewachsene Strukturen und Denkweisen ad acta zu legen: feste Ressortgrenzen, Einzelbüros, die Skepsis gegenüber Online, autonome Themenplanung, den Anspruch, dass ein guter Redakteur von 10 bis 19 Uhr ‘den Laden hüten muss’.”

3. Neues aus der Anstalt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Bei den Gegnern des Rundfunkbeitrags wird derzeit ein Mann gefeiert, der seit drei Monaten in Erzwingungshaft sitzt. Dort befinde er sich jedoch nicht wegen ausstehender Gebühren, sondern wegen einer verweigerten Vermögensauskunft, erklärt Steffen Grimberg. Derlei Details scheinen den Leuten, die immer noch auf die (längst abgeschaffte) GEZ schimpfen oder die sich, wie die AfD, mit der Forderung “ARD abschaffen” an den Fall hängen, jedoch egal zu sein. Grimberg rät: “Damit endlich Ruhe im Erzwingerclub einkehrt, müssen alle Anstalten und die Vollstreckungsbehörden zu besseren Lösungen kommen. Denn pro 100 Euro, die ARD, ZDF und Deutschlandradio geschuldet werden, entsteht ein Imageschaden von locker 100.000 Euro.”

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4. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 198 vom 24.6.2021
(netzwerkrecherche.org, Daniel Drepper & Albrecht Ude)
Pflichtlektüre, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des “Netzwerk Recherche”. Die neueste Ausgabe liefert wie immer einen guten Überblick über aktuelle Nachrichten, Veranstaltungen Seminare, Stipendien und Preise. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

5. Gute Medienpraxis für städtische Quartiere der Vielfalt
(netzwerk-medienethik.de, Jessica Heesen)
Das “Netzwerk Medienethik” weist auf einen interessanten Forschungsbericht der Initiative “Migration und Sicherheit in der Stadt” hin. In dem Papier geht es um “Aspekte einer guten Medienpraxis für städtische Quartiere der Vielfalt” (PDF). Der Forschungsbericht gebe einen Überblick “über die rechtlichen und normativen Anforderungen an den Journalismus, die mit dem öffentlichen Integrationsauftrag der Medien verbunden sind.”

6. “Sender in die Grütze gefahren”: Hugo Egon Balder nimmt Abschied von Sat.1
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Hugo Egon Balder kann auf eine lange Zusammenarbeit mit dem TV-Sender Sat.1 zurückblicken. Anfang der 2000er-Jahre fing es für Balder dort mit “Genial daneben” an, einer Sendung, die sich erstaunlich lange hielt und nach einer Sendepause 2017 neu aufgelegt wurde. Doch nun steigt der mittlerweile 71-jährige Balder aus. Im Interview spricht er offen über seine Gründe und erzählt, welche Versäumnisse er beim Sender sieht. Außerdem kommentiert er den angestrebten Imagewandel des Sat.1-Konkurrenten RTL: “Es scheint mir so, als wollte man hier eher den Öffentlich-Rechtlichen Konkurrenz machen. Vermutlich kein ganz falscher Schritt: Zuletzt war die Devise bei den Sendern immer ‘Wir müssen verjüngen’. Das ist aus meiner Sicht aber ein Trugschluss. Von den Jungen kommt keiner mehr zurück. Wer seinen Sender verjüngt, hat irgendwann gar keine Zuschauerinnen und Zuschauer mehr.”

ZDF als Reputations-Waschanlage, Instanzenweg, Gegendarstellung

1. Das ZDF als Reputations-Waschanlage
(uebermedien.de, Christian Schwägerl)
Der Wissenschaftsjournalist Christian Schwägerl hat sich die aktuelle Corona-Doku des ZDF angeschaut (Untertitel: “Fakten mit Hendrik Streeck”). Er kommt zu einem vernichtenden Urteil: “Wenn diese Sendung ein Ziel hatte, dann kann das nicht gewesen sein, das Publikum zu informieren, wie es dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechen würde. Es ging offenbar darum, das Publikum für einen Mann zu gewinnen, über dessen Aussagen sich Spitzenfunktionäre der deutschen Wissenschaft schon seit Längerem mehr als nur ärgern.”

2. “Der Stern hatte mich gestern gebeten …”
(twitter.com, Jörg Kachelmann)
Der Moderator Jörg Kachelmann schreibt, er sei vom “Stern” darum gebeten worden, etwas zu den aktuellen Entwicklungen um Julian Reichelt und “Bild” zu verfassen. Weil die Sammelgeschichte nicht erschienen sei, veröffentliche er seinen Beitrag dazu nun auf Twitter. Wie man es von Kachelmann gewohnt ist, fallen deutliche Worte: “Erst wenn alle den Mut haben, nicht mehr übers Bild-Stöckchen zu springen, den Mut haben, sich nicht mehr nötigen zu lassen und Friede Springer und Mathias Döpfner für ihr bösartig kalkuliertes Geschäft mit der Menschenverachtung gesellschaftlich ausgrenzen, kann Deutschland ein besseres Land werden.”

3. Schönenborn über “Letzte Instanz”: “Kollektiv tiefrote Linien übersehen”
(dwdl.de, Alexander Krei)
WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn hat sich im “Tagespiegel” selbstkritisch zu der verunglückten Rassismus-Ausgabe der Talkshow “Die letzte Instanz” geäußert, dabei aber auch die in seinen Augen schnelle Reaktion des Senders gelobt. Alexander Krei ist anderer Meinung: “Allein, ‘schnell’ ist in diesem Zusammenhang relativ, denn was aus dem Interview im ‘Tagesspiegel’ nicht hervorgeht: Die Entschuldigung des WDR und die genannten Reaktionen erfolgten erst nach der Wiederholung im Januar – und damit zwei Monate nach der Erstausstrahlung, die offensichtlich weitgehend unbemerkt über den Sender ging.”
Weiterer Lesehinweis: Heute soll es im WDR einen Schwerpunkt zum Thema Rassismus geben, zu dem man auch die Comedy-Künstlerin Enissa Amani eingeladen hatte. Amani hatte als Reaktion auf die misslungene WDR-Sendung “Die letzte Instanz” auf eigene Kosten selbst einen Talk auf die Beine gestellt: “Die beste Instanz”. Auf Twitter macht sie ihrem Ärger über die Umstände der Einladung Luft: “Der WDR, hat sich am 20. Februar bei mir gemeldet, PER SMS, (Nummer über einen Comedian rausgefunden, ich war sehr sauer, dass man nicht die Courtesy hat zu mailen bei einer Person der Öffentl.) und wollte mich zum grossen ‘Reinwaschungs-Talk’ einladen. Ich habe abgelehnt.” Im sich daran anschließenden Thread geht es um ihre konkreten Ablehnungsgründe.

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4. Der aktuelle Zustand ist sehr bitter: Warum sich Datenjournalisten über das RKI und die Politik ärgern
(kress.de, Henning Kornfeld)
Die Datenjournalistin Christina Elmer (“Spiegel”) und ihr Kollege Johannes Schmidt-Johannsen (SWR) haben unter dem Dach des Netzwerk Recherche eine Fachgruppe gegründet, die bereits 70 Mitglieder habe. Das Ziel: Auf “eine höhere Verlässlichkeit der Daten zu drängen, zum Beispiel der des Robert Koch-Instituts. Wenn das gelänge, müssten die Kolleg:innen nicht dauernd ihre Skripte umstellen oder Daten händisch einpflegen. Der aktuelle Zustand ist sehr bitter, weil der Datenjournalismus viel mehr leisten könnte, wenn die Daten und Zugänge besser wären. Wir wollen als Fachgruppe darauf aufmerksam machen, dass es da einen großen Nachholbedarf gibt.”

5. Der Cancel-Culture-Strohmann
(taz.de, Malte Göbel)
Das Landgericht München hat die “Süddeutsche Zeitung” dazu verpflichtet, eine Gegendarstellung des Berliner Publizisten und Bloggers Johannes Kram (“Nollendorfblog”, einst auch als BILDblog-Kolumnist tätig) abzudrucken. Das Gericht urteilte, die “Süddeutsche”, konkret der “SZ”-Autor Andrian Kreye, habe Kram falsch wiedergegeben. Malte Göbel dröselt auf, worum es bei dem Konflikt geht, und erklärt, warum die Schlussfolgerung des, seiner Ansicht nach, ansonsten um Ausgewogenheit bemühten “SZ”-Textes falsch sei: “Johannes Kram hat das nie so gesagt oder geschrieben. Er taugt nicht als Hetzer. Kreye hat einen Cancel-Culture-Strohmann aufgebaut und niedergestreckt.”
Weiterer Lesehinweis: Johannes Kram erwirkt einstweilige Verfügung gegen die “SZ” (queer.de, Micha Schulze).

6. Beschwerdestelle verzeichnet Rekord bei gemeldeten Rechtsverstößen
(spiegel.de)
Die Zahl der berechtigten Beschwerden über kriminelle Inhalte im Internet in Deutschland sei weiter angestiegen, so der Internetverband eco in seinem Jahresbericht (PDF). Es habe knapp 19 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr gegeben. Wer der eco Beschwerdestelle etwas melden will, kann dies unter beschwerdestelle.eco.de oder internet-beschwerdestelle.de tun.

Steilvorlage für Rechtsaußen, Spahns Privates, Männliche Regionalzeitungen

1. Die dpa liefert Steilvorlage für rechte Verschwörungshetzer – die “Welt” nimmt dankend an
(volksverpetzer.de, Tobias Wilke)
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg fragte beim Bundesinnenministerium nach dem Anteil der Asylerstantragstellenden, die bei der Antragstellung keine gültigen Identitätspapiere vorweisen konnten. Der Anteil habe bei mehr als der Hälfte gelegen, so das Ministerium. Über eine dpa-Meldung gelangte die Zahl zu allerlei rechten Postillen und der NPD, die sie in ihre Erzählung einpflegten. Aber auch die “Welt” stürzte sich auf die Meldung. Tobias Wilke erklärt, wie die Zahl zustande komme und warum der Skandal an ganz anderer Stelle liege. Lesenswert, weil es eine Falschargumentation dekonstruiert, auf die viele aus Unkenntnis hereinfallen.

2. Das Private ist politisch
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die Immobiliengeschäfte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn werfen Fragen auf. Fragen, mit denen sich Redaktionen beispielsweise ans Grundbuchamt gewandt haben. Spahn scheint dies sehr zu missfallen: Laut “Tagesspiegel” hätten seine Anwälte erfahren wollen, wer denn da von welchen Medien was genau wissen wollte. Steffen Grimberg kommentiert: “Alles Private ist immer noch politisch. Und was Spahn verbergen wollte, interessiert plötzlich alle Welt. Er sollte sich schleunigst bessere Be­ra­te­r*in­nen besorgen, sonst geht’s am Ende noch auf die Gesundheit.”

3. Tipp: So klappt es mit der Filmförderung
(fachjournalist.de, Ralf Falbe)
Was nicht alle wissen: Die Filmförderung springt nicht nur bei aufwändigen Kinoproduktionen, sondern auch bei Kurzfilmen, Dokus und Multimedia-Projekten ein. Ralf Falbe gibt Tipps für die Antragstellung und Kostenzusammenstellung. Nicht nur für Produzenten und Filmemacherinnen lesenswert, weil der Text einen ganz anderen Blick hinter die Kulissen liefert.

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4. Männerdomäne Regionalzeitungen: ProQuote Medien stellt neue Studie vor
(pro-quote.de)
Der Verein ProQuote hat eine “qualitative Studie zu Machtbeteiligung und Aufstiegschancen von Journalistinnen bei Lokal- und Regionalzeitungen” angestoßen (PDF). In der Untersuchung geht es auch um die Fragen, warum in deutschen Regional- und Lokalzeitungen so wenige Frauen in Führungspositionen kommen und wie man dem entgegenwirken kann: “Der Frauenmachtanteil in den Chefredaktionen liegt bei rund zehn Prozent – und damit niedriger als in jeder anderen Mediengattung.”

5. Lie­bes­grüße von der Medi­en­auf­sicht
(lto.de, Frederik Ferreau)
Unlängst verschickten Landesmedienanstalten “Hinweisschreiben” an verschiedene Onlineportale, in denen sie auf Ungenauigkeiten in der Berichterstattung aufmerksam machten. Medienrechtler Frederik Ferreau wirft einen juristischen Blick auf die neue Praxis und kommentiert: “Das ist in der Anfangsphase ein begrüßenswertes, weil grundrechtsschonenderes Vorgehen. Bedenklich werden solche Schreiben aber, sollten darin geringfügige Mängel der Online-Portale thematisiert werden, die gar nicht das Potential einer Tatbestandserfüllung besitzen: Dann überdehnte die Aufsicht ihre Befugnisse und könnte schlimmstenfalls ‘chilling effects’ in Form einer Einschüchterung der Anbieter hervorrufen. Im sensiblen Spannungsfeld zwischen Medien und Medienaufsicht gilt es, solche Effekte unbedingt zu vermeiden.”

6. ServusTVs Corona-Quartett gleicht einem Verschwörungskabinett
(kobuk.at, Lena Wechselberger)
Lena Wechselberger analysiert die Sendereihe “Corona-Quartett” des österreichischen Privatsenders ServusTV, die zum Stelldichein von “alternativen Experten” wurde. Ihr Fazit: “Diskussionen über COVID-19 und die Regierungsmaßnahmen dürfen natürlich durchaus kritisch und kontrovers sein, das ist keine Frage. Polarisierung zum Selbstzweck einer gesamten Sendreihe zu machen, ist jedoch höflich ausgedrückt: Mehr als fraglich. Das Ergebnis ist die Konstruktion einer Parallelrealität fernab jeglicher wissenschaftlichen Fakten. Das Corona-Quartett wurde so zur österreichischen Speerspitze verharmlosender (Falsch-)Information während einer weltweiten Pandemie.”

Beschwerderekord, Haftbefehl gegen Hildmann?, Behäbige Fernseh-Zeiten

1. 2020: Beschwerderekord beim Presserat
(presserat.de)
Der Deutsche Presserat stellt seinen Jahresbericht 2020 (PDF) vor, der eine traurige Rekordmarke bereithält: Noch nie habe es so viele Beschwerden wie im vergangenen Jahr gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich fast doppelt so viele Personen an die freiwillige Selbstkontrolle der Print- und Onlinemedien gewandt.

2. Attila Hildmann wird offenbar per Haftbefehl gesucht
(tagesspiegel.de, Alexander Fröhlich & Julius Geiler)
Kochbuchautor und Verschwörungsideologe Attila Hildmann ist für seine wüsten Tiraden und Hetzereien bekannt. Nachdem die großen Social-Media-Plattformen ihm den Zugang gesperrt haben, hat er sich auf den Messengerdienst Telegram zurückgezogen. Wo er sich jedoch gerade örtlich aufhält, sei nicht bekannt. Möglicherweise habe er sich ins Ausland abgesetzt, um einem drohenden Haftbefehl zu entgehen. Derweil seien die Berliner Ermittler mit einer wahren Sisyphos-Aufgabe beschäftigt: Sie würden mehr als 1000 Hildmann-Aussagen auf strafrechtliche Relevanz hin überprüfen.

3. Boulevard-Medien gehen unfair mit Frauen um
(jetzt.de, Nhi Le)
Manche Medien würden die immer gleichen toxischen und misogynen Bilder bedienen, wenn es um die Berichterstattung über prominente Frauen geht, so die Journalistin Nhi Le: “Rabenmutter, Heilige oder Hure, Zicke, Goldgräberin, Homewrecker. All diese und weitere Narrative beruhen auf sexistischen Vorwürfen und Ansprüchen, denen Frauen nie gerecht werden können und nie gerecht werden sollten. Denn sie sind rückschrittlich, heuchlerisch und teilweise einfach bösartig.”

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4. “Geschäftsmodell von Google und Facebook in den Blick nehmen”
(deutschlandfunk.de, Magdalena Neubig, Audio: 5:01 Minuten)
Der Softwarehersteller Microsoft will gemeinsam mit europäischen Presseverlagen ein Bezahlsystem für Verlagsinhalte im Internet entwickeln. Dahinter steckt der Wunsch der Verlage, die großen Tech-Firmen für die direkte und indirekte Nutzung ihrer Inhalte zur Kasse zu bitten. Alexander Fanta, Brüssel-Korrespondent von netzpolitik.org, erklärt im Interview mit dem Deutschlandfunk die verschiedenen Interessenlagen und überlegt, wie eine europäische Haltung aussehen könnte.

5. Bis unter die Dusche
(taz.de, Wilfried Urbe)
Bei den großen Streaming-Plattformen trenden seit einiger Zeit unterhaltsame Sport-Dokus. Die Filme bieten den Zuschauenden Spannung und Emotionalität und verschaffen den Protagonisten und Vereinen Aufmerksamkeit. Wilfried Urbe stellt einige Beispiele aus dem Portfolio von Amazon und Netflix vor, denen das Ganze teilweise viel wert ist. So soll der englische Fußballklub Manchester City laut Branchenexperten für den Blick hinter die Kulissen 10 Millionen Pfund erhalten haben.
Und passend zum Thema “Sport in den Medien”: Mehr als 6500 Gastarbeiter starben seit der WM-Vergabe nach Katar (spiegel.de).

6. Im Fernsehen der Vergangenheit
(sueddeutsche.de, Fabian Dombrowski)
Fabian Dombrowski hat sich auf einen Bummel durch das Retro-Angebot der ARD gemacht, geleitet von Neugier, Zufall und Algorithmus. Anscheinend kann der Ausflug in das Filmangebot der 50er- und 60er-Jahre therapeutisch wirken, wenn man sich denn darauf einlässt: “Sich durch die Video-Exponate zu klicken, wirkt nach einer Weile entschleunigend bis ermüdend, man ist diese Behäbigkeit in der Berichterstattung ja gar nicht mehr gewohnt. Teils vergeht mehr als eine halbe Minute, bis überhaupt mal jemand zu sprechen beginnt, und wenn es dann jemand tut, macht er Pausen zwischendrin, die irrwitzig lang wirken.”

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“Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt”

Günter Wallraff recherchierte einst investigativ und verdeckt als “Hans Esser” bei “Bild” und sorgte mit seinen Büchern “Der Aufmacher” (1977) und “Zeugen der Anklage” (1979) für viel Aufsehen. Jakob Buhre hat für BILDblog Wallraff am 12. Dezember in Köln getroffen und mit ihm einige Passagen der neuen Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” angeschaut.

Protokoll/Interview: Jakob Buhre

***

Heiko Maas nach einem “Bild-Live”-Interview in der “Bild”-Redaktion, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eines der größten Printmedien in Deutschland, sie vermittelt einem Zugang zu der breiten Masse der Öffentlichkeit, und Politiker sind darauf angewiesen, dass sie kommunizieren können, in die Öffentlichkeit, mit dem was sie tun, mit dem was sie für richtig halten. Und dafür ist die ‘Bild’ ein richtig gutes Instrument.”

Wallraff: Man kann es schon fast als Unterwerfung deuten, wie staatstragende Politiker hier bei “Bild” ihre Aufwartung machen und antichambrieren. Aber hat unser Außenminister so etwas wirklich nötig?

Peter Tschentscher, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eine konservative Zeitung, ich bin ein konservativer Mensch und die Sozialdemokraten in Hamburg sind sehr bodenständig. Insofern passt das gut zusammen.”

Wallraff: Da bekennt ein Sozialdemokrat vor dem Springer-Hochhaus: “ich bin konservativ”. Ehrlich gesagt hat mich das jetzt erstmal verunsichert, ob Tschentscher nicht am Ende CDU-Mitglied ist. Warum dieser Kotau? Was passt denn da so gut zu zusammen?

Karl Lauterbach, Folge 3: “Es kommt drauf an, ob ich, um Hetze zu betreiben, kleine Unterschiede hochjazze und damit den Eindruck erwecke, die widersprechen sich alle, oder ob ich das Gemeinsame betone und einräume: an der Spitze gibt es noch unterschiedliche Bewertungen.”

Wallraff: Ich bin mit Karl Lauterbach befreundet. Für mich ist er ein Ausnahme-Politiker. Er hat kein sicheres Bundestagsmandat, redet keinem nach dem Mund und macht sich nicht gemein, sich denen anzubiedern. Er spricht hier davon, dass “Hetze betrieben wird”, das finde ich mutig. Und immerhin zeigen uns die Filmemacher das.


“Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.” (Foto: Christoph Michaelis)

Wie ist denn Ihr Eindruck insgesamt vom Filmischen her?

Wallraff: Da waren gerade sehr viele Zeitungen zu sehen. Können wir nochmal dahin spulen? – Hier, diese Stapel, das sind alles “Bild”-Exemplare. Entweder liegen in den Redaktionen auf den Schreibtischen wirklich keine anderen Zeitungen oder ist es eine plumpe Werbung?

Die Auswahl der Themen und Schauplätze wirkt auf mich sehr beliebig. Man erfährt nur wenig über den Durchschnitt der Artikel, die in der Zeitung erscheinen, welche Themen dort bevorzugt werden. Mir fehlen auch die “Bild”-Leserinnen und -Leser.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das alles sehr im gegenseitigen Einvernehmen von Amazon und “Bild” stattgefunden hat. Wären die Filmemacher unabhängig, hätten sie auch mit Opfern der “Bild”-Berichterstattung oder externen Medienkritikern gesprochen. So ist das die reinste “embedded”-Reportage.

Christian Lindner, von dem “Bild” einen Paparazzo-Abschuss druckte, äußert sich allerdings auch in der Doku.

Wallraff: Na, und. Aber wenn es um die namenlosen Opfer von “Bild” geht, das sehe ich hier nicht, dass die einmal zu Wort kommen. In Folge 7, von der Sie mir gerade Auszüge gezeigt haben, ist die Diskussion der Redaktion über Persönlichkeitsrechte zu sehen, immerhin. Allerdings vermute ich, dass die wenigsten Zuschauer sich diese ermüdende Serie bis zur letzten Folge antun werden.

Auch von Ihren Recherchen bei “Bild” gibt es Filmaufnahmen. Wie sind Sie damals mit Kameras in die “Bild”-Redaktion gekommen?

Wallraff: Das war gar nicht so einfach, es gab ja noch keine versteckten Kameras. Mir half damals ein Freund vom niederländischen Fernsehen, Jan Kuiper. Sein Sender hat vorgegeben, dass sie im Rahmen einer Städtepartnerschaft-Reportage auch in Hannovers Redaktionen filmen wollten. Die erste Anfrage hatte mein Redaktionsleiter abgelehnt. Also hat ein Team zwei bis drei andere Drehs simuliert und so getan, als würden sie zum Beispiel bei der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” Filmaufnahmen machen. Das hat bei “Bild” die Eitelkeit geweckt, und sie sind drauf angesprungen. Meine Freunde kamen schließlich mit zwei Teams. Die einen haben den Chefredakteur in ein Dauer-Interview verwickelt, die anderen haben im Großraumbüro das zynische Treiben gefilmt.


Günter Wallraff 1977 als “Hans Esser” in der “Bild”-Redaktion Hannover. (Foto: Günter Zint)

Zurück zur Amazon-Doku: Wie beurteilen Sie die Aussagen der Blattmacherinnen und Blattmacher, die Sie hier sehen?

Wallraff: Es kommen hier welche zu Wort, wo ich sagen würde: Diesen Typus gab es zu meiner Zeit höchst selten. Durchaus reflektierte, vielleicht auch entsprechend ausgebildete Journalisten, die in anderen Blättern vermutlich einen seriösen Journalismus vertreten würden, ihn hier aber nur schwerlich durchsetzen können.

Zu meiner Zeit gab es viel mehr den Drücker-Typ, der den Opfern halb-betrügerisch ins Haus einfiel. Und dann vor allem Machos: Mein Redaktionsleiter hatte einen Schießstand in seiner Penthouse-Wohnung, es wurde Blitzschach gespielt, und man musste sich als trinkfest beweisen. Es war sehr männerbündlerisch. Hier sehe ich, zumindest zwischendurch, auch vereinzelt Frauen, und die kommen eher nachdenklich zu Wort.

Ein großer Unterschied ist auch: Zu meiner Zeit bei “Bild” wurde dem Chef so gut wie nie widersprochen. Der Redaktionsleiter duzte alle, musste aber gesiezt werden.

Wir hatten damals auch viele Kettenraucher, und Whiskey war in der Redaktion das Leitgetränk. Es scheint doch einiges harmloser geworden zu sein, jetzt kaut der Chefredakteur seine Gummibärchen.

Redaktionskonferenz, Folge 1, Redakteur aus dem Off: “Wir wollen die Rede [von Angela Merkel] vernichten?” – Julian Reichelt: “Nein, ich will sie nicht vernichten.”

Wallraff: “Abschießen, vernichten” waren zu meiner Zeit bei “Bild” Alltagsbegriffe. Es ging oft darum, Menschen “fertig zu machen”. “Bring die Sau zur Strecke!” Es gab auch keine Trennung zwischen Berichterstattung und Meinung.

Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt. Dazu passt ja auch sein Feldbett im Büro. Man weiß von ihm, dass er sich als jemand sieht, der Politik macht – und nicht begleitet.

“Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Alexandra Würzbach in einer Redaktionskonferenz, Folge 4: “Wir haben gesagt ‘Refugees Welcome’ und haben es uns zwei, drei Jahre später anders überlegt.” […] – 
Julian Reichelt: “Wir haben uns ‘Refugess Welcome’ nicht anders überlegt, das ist falsch, das lasse ich so nicht stehen.” Es folgen Filmaufnahmen von Paul Ronzheimer im Flüchtlingslager Moria.

Wallraff: Das überrascht mich und entspricht tatsächlich nicht dem Klischee. Vielleicht liegt es auch daran, dass Reichelt noch unter Kai Diekmann selbst in Kriegsgebieten war, in Afghanistan, in Syrien und im Irak, und sogar Flüchtlingen geholfen haben soll, nach Deutschland zu kommen, wie einst der “Spiegel” berichtete. So etwas prägt. Wenn “Bild” Not und Elend im Flüchtlingslager zeigt, könnte man daraus die Forderung an die Politik ableiten, dass sie sich des Themas annimmt.

Filipp Piatov in Folge 3: “Ich bin bei ‘Bild’, weil mir gewisse Grundlinien des Hauses sehr zusagen: Transatlantische Partnerschaft, gutes Verhältnis zu Israel, klares Verhältnis zur Marktwirtschaft, Ablehnung von linken und rechten extremen Ideologien.”

Wallraff: Naja, das sind so Gemeinplätze. Ein paar Gebetssäulen. Ich finde, das ist ein bisschen wenig.

Alexander von Schönburg in Folge 3: “Ich war früher bei der ‘FAZ’, bin jetzt bei der ‘Bild’ und empfinde das, was ich hier mache, als Aufstieg, auch als intellektuellen Aufstieg. […] Wer Wichtiges zu sagen hat, kann es in kurzen Sätzen sagen, dazu zwingt einen ‘Bild’. Darum habe ich persönlich profitiert, für mein eigenes Schreiben, dass man sich zwingt, kurz und präzise zu schreiben. Und nicht, wie das bei der ‘FAZ’ oder ‘SZ’ zum Teil ist: Du schreibst, um deine Kollegen zu beeindrucken.”

Wallraff: Ach, du Schande. Er tut mir richtig leid. Was muss der Mann erlitten haben, dass er sich hier so klein macht? Konnte er sich früher beim Schreiben nicht klar ausdrücken? Es gibt in der “FAZ” und der “SZ” doch genug Artikel, die eine deutliche und klare Sprache benutzen und trotzdem verständlich und differenziert sind.

Früher steckte in der “Bild”-Sprache sehr oft eine Aggression, Verächtlichmachung und Vernichtungswille bis hin zum Rufmord. Für mich benutzt “Bild” immer wieder eine in der Versimplung auch denunzierende Sprache.


“Das ist doch lächerlich und anmaßend.” (Foto: Christoph Michaelis)

Julian Reichelt in Folge 3: “Unser natürlicher Aggregatszustand ist zu hinterfragen. Und wie sehr wir hinterfragen, sieht man uns halt ein bisschen mehr an, weil unsere Überschriften größer sind und unsere Sprache klarer.”

Wallraff: Das ist doch lächerlich und anmaßend. Es klingt so, als würden andere Medien weniger hinterfragen, weil sie kleinere Buchstaben verwenden. Dabei sind es gerade sie, die differenzieren und auch zwischen Kommentar und Bericht zu trennen wissen.

Und zum “Hinterfragen”: Wenn sie Christian Drosten eine Stunde Zeit geben, um eine Anfrage zu seiner wissenschaftlichen Kompetenz abzuverlangen, nennen sie das “hinterfragen”? Ich fand, das war gegenüber Drosten eine Unverfrorenheit, eine Allmachtsallüre. Dass Drosten sich darauf nicht eingelassen hat, das ehrt ihn.

Die Causa Drosten wird in der Doku sehr ausführlich behandelt, mit vielen kritischen Stimmen von innerhalb und außerhalb der Redaktion.

Wallraff: Da blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. Ich habe da jetzt Redakteure gesehen, die sich als Opfer gerieren, keinerlei Reue zeigen, sich auch nicht entschuldigen. Und wenn es Reue gab: Wurde sie in der “Bild” zum Ausdruck gebracht? Ich habe nichts davon gehört.

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Wenn Sie einmal “Bild” 1977 und “Bild” 2020 vergleichen …

Wallraff: Die “Bild” hat heute nicht mehr die zerstörerische Kraft und Macht, auch längst nicht mehr das kriminelle Potential wie damals. “Harmlos” wäre der falsche Begriff, aber sie hat nicht mehr die Relevanz. Damals war es ein beherrschendes, flächendeckendes Medium. Und was ich erlebt habe, war ein Hetzblatt, das auch Menschen mit Falschberichterstattung in den Suizid getrieben hat wie zum Beispiel den Schauspieler Raimund Harmstorf. Ich meine, dass ich mit dazu beitragen habe, dass diese Ära überwunden wurde.

Es gab damals die Rubrik “Bild hilft”, die vielen Menschen aber gar nicht geholfen, sondern hilfsbedürftige Personen bis ins Privateste hinein vorgeführt hat. Ein Junge mit Schulproblemen wurde als “Deutschlands faulster Schüler” und eine Frau, die sich wegen Problemen mit ihrer Fahrschule an “Bild hilft” gewandt hatte, fast kampagnenartig als “Deutschlands schlimmste Fahrschülerin” abgestempelt. Ich habe einen Rechtshilfe-Fonds finanziert, durch den “Bild”-Opfern zu Gegendarstellungen und Unterlassungen verholfen wurde bis hin zu Schadenersatz und Schmerzensgeld: Zum Beispiel für die hinterbliebenen minderjährigen Söhne eines Mannes, der sich nach einem Verleumdungsartikel umbrachte. In seinem Abschiedsbrief rief er zum “Bild”-Boykott auf: “Diese Schande kann ich nicht überwinden, ich wollte zuerst diesen Verbrecher, der K. [der “Bild”-Reporter] heißt, umbringen. Aber ihr solltet keinen Mörder als Vater haben. Durch meinen Tod aber ist er zum Mörder geworden. Wer etwas Ehrgefühl und Verstand hat, der sollte dieses Lügenblatt nicht kaufen!”

Es gibt heute natürlich auch eine andere Gegenöffentlichkeit: Es gibt die Rügen des Presserats, “Bild” liegt hier mit weitem Abstand vorne, lehnt es aber häufig ab, sie abzudrucken. Es gibt die Kollegen vom BILDblog, einige Prominente boykottieren “Bild”, und viele Gerichte betrachten die Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht mehr als Kavaliersdelikt.

Mehmet Scholl, Folge 6: “Die ‘Bild’-Zeitung hat mich ein Jahr lang völlig zerlegt, weil ich nicht mit ihnen gesprochen habe. […] Wenn die “Bild” im Sport alles schreiben würde, was sie wissen … Das tun sie aber nicht, weil sie schlau genug sind, zu wissen: Wir bekommen andere Informationen im Austausch dafür.”

Wallraff: Das sagt natürlich sehr viel aus. Da wird jemand zum Feindbild, weil er nicht mit “Bild” spricht. Und dass man bestimmte Geheimnisse nutzt, um an andere Informationen zu gelangen, das ist eigentlich eine Geheimdienst-Strategie: Wenn bestimmte Dienste Material über Verfehlungen von Politikern besitzen, können sie diese bei Bedarf “gefügig” machen.

Mehmet Scholl: “Ich habe mit der ‘Bild’ die Abmachung: keine privaten Storys. Wenn eine kommt, fragt mich – und dann haben wir es immer gemeinsam entschieden.”

Wallraff: Es gibt Prominente, die der “Bild” bis ins Intimleben hinein Dinge preisgeben, weil sie glauben, dass es ihnen nützt und dass sie geschont werden. Christian Wulff hat sich bis hin zur Home-Story zur Verfügung gestellt, aber es hat ihm nichts genützt. Er war für “Bild” irgendwann fällig, vermutlich aufgrund seiner Äußerung “Der Islam gehört zu Deutschland”. Da ging der Daumen nach unten, und es folgte eine der infamsten Rufmordkampagnen.

Was denken Sie heute über Journalisten, die für “Bild” arbeiten?

Wallraff: Ich differenziere. Wir haben jetzt einen gesehen, der von der “FAZ” zur “Bild” gegangen ist, die Mehrheit hat, glaube ich, eine Journalismus-Ausbildung. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen würde ich mich aber nicht auf ein Interview oder eine Home-Story einlassen. Und denjenigen, die es tun, würde ich einen Warnhinweis mitgeben: “Alles, was Sie fortan sagen oder auch nicht sagen, kann gegen Sie verwendet werden.”

Ich kenne auch Menschen, die, durch meine Aufdeckungen inspiriert, zur “Bild” gegangen sind, weil sie es selber wissen wollten. Sandra Maischberger zum Beispiel erzählte in einem “Tagesspiegel”-Interview [Ausgabe vom 10. Februar 2002], dass sie deswegen bei “Bild” ein Praktikum machte und dann ein bisschen enttäuscht gewesen sei, weil sie das “Über-Leichen-gehen” dort nicht erlebt habe. Sie wurde dann übrigens am Ende gefragt, wie oft sie in dem Interview gelogen habe, worauf sie antwortete: einmal. (lacht)

Sollten Politiker heute “Bild” boykottieren?

Wallraff: Das wagt doch kaum noch jemand, aber sie sollten der eigenen Glaubwürdigkeit wegen zumindest Distanz wahren.


Günter Wallraff heute als Günter Wallraff. (Foto: Privat)

Hat man Sie eigentlich für die Amazon-Dokumentation angefragt?

Wallraff: Nein, ich hätte da auch abgesagt. Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.

Sie selbst sagen von sich, dass Sie Amazon boykottieren. Warum kann man dann Ihre Bücher dort kaufen?

Wallraff: Das kann ich leider nicht verhindern. Ich habe meinen Verlag schon vor langer Zeit angewiesen, meine Bücher nicht an Amazon auszuliefern. Mir wurde gesagt, ich würde dadurch zehn bis 15 Prozent Umsatz verlieren – damit kann ich leben. Amazon unterläuft meinen Boykott, indem sie meine Bücher jetzt über Zwischenhändler ordern. Das kann ich nicht verhindern, aber so muss Amazon sie etwas teurer einkaufen, als wenn mein Verlag sie direkt beliefert. Für mich ist Amazon eine globale Seuche, gegen die auch kein Impfstoff hilft.

Seuche ist ein starkes Wort, nicht nur angesichts der aktuellen Situation, wo Menschen froh sind, wenn sie Geschenke online kaufen können.

Wallraff: Das ist das Tragisch-Vertrackte, so ist Amazon auch noch der größte Corona-Krisengewinner, kann seine Umsätze verdoppeln und durch Steuervermeidungsstrategien Milliarden am Staat vorbei einstreichen. Ich verstehe jeden, der keine Möglichkeit hat, in ein Geschäft zu gehen, und deswegen online etwas bestellt. Ich selbst kann und möchte dieses Allmachtstreben von Jeff Bezos nicht unterstützen, der sein Unternehmen ursprünglich “Relentless”, “Gnadenlos” nennen wollte und Konkurrenten als Gazellen bezeichnet, die man jagen müsse. Die Innenstädte sterben aus, die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind miserabel – es ist eine seelenlose, total überwachte Arbeitsorganisation. Ich kenne Menschen, die bei Amazon gearbeitet haben und von unheimlichem Druck erzählen. Wer nicht mindestens im Durchschnitt der übrigen Mitarbeiter liegt, fällt heraus. Und nach dem Weihnachtsgeschäft wird aussortiert. Dafür nutzt Amazon den Begriff “ramp down”, der aus dem Vieh-Transport stammt und so viel bedeutet wie “die Rampe runter treiben”. Diejenigen, die entlassen werden, können sich ja dann später neu bewerben, man will so ihre Festanstellung verhindern.

Zum Schluss: Haben Sie mit “Team Wallraff” aktuell jemanden bei “Bild” eingeschleust?

Wallraff: Kein Kommentar.

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Russische Desinformation, “Bild”-Bollwerk, Klarnamenpflicht

1. Das Netzwerk gefälschter Auslandsmedien
(netzpolitik.org, Daniel Laufer & Alexej Hock)
netzpolitik.org hat in Kooperation mit der “Welt” eine spannende Recherche über vermeintliche Nachrichtenportale durchgeführt, die russische Propaganda verbreiten. Dabei kam ein ganzes Netzwerk von Desinformationsseiten und Fake-News-Schleudern zum Vorschein: “Die fingierten Auslandsmedien sollen die Glaubwürdigkeit der Nachrichten verstärken, wenn sie innerhalb Russlands zitiert werden. Etabliert hat sich noch eine zweite Methode: Die Drahtzieher missbrauchen sogar seriöse europäische Medien, um ihre Verschwörungsmythen zu streuen.”

2. Bollwerk “Bild”
(zeit.de, Daniel Bouhs)
Ab dem 18. Dezember gibt es auf Amazon Prime eine siebenteilige Dokuserie, in der angeblich der Redaktionsalltag bei “Bild” zu sehen ist. Daniel Bouhs hat sich das Werk schon jetzt angeschaut: “So wie Amazon auch sonst all die oft heroisiert, die dem Dienst exklusiv Zugang gewährten, wie etwa der Fußballverein Borussia Dortmund, so inszeniert auch diese Produktion Bild vor allem als Vorkämpfer. Grenzübertritte auf der Suche nach Geschichten und Bildern etwa von Toten wirken aus dem Alltag der Boulevardredaktion wie ausradiert.”

3. Facebook darf Nutzer mit falschem Namen sperren
(spiegel.de)
Das Oberlandesgericht München hat in einem Urteil zur Klarnamenpflicht entschieden, dass Facebook Pseudonyme verbieten darf. “Bei der Verwendung eines Pseudonyms liegt die Hemmschwelle nach allgemeiner Lebenserfahrung deutlich niedriger”, so das Gericht. Dies wird von Expertinnen und Aktivisten jedoch vielfach anders gesehen. Siehe dazu auch den weiteren Lesehinweis: In einem immer noch lesenswerten Gastbeitrag aus dem Jahr 2019 erklärt der Jurist und Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte Ulf Buermeyer, was man statt einer Klarnamenpflicht tun könnte (tagespiegel.de).

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4. Homophobie und Rassismus: Die ARD ist Dieter Nuhrs perfekte Bühne
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Johannes Kram schrieb schon 2014 über Schwulenwitze in Dieter Nuhrs “Satire Gipfel”. Damals ging es um die Frage: Prangert Nuhr eine Geisteshaltung an, wenn er eine ganze Kaskade schwulenfeindlicher Klischees reproduziert, oder weidet er sich an den schalen Witzchen und trägt dazu bei, dass homophobe Vorurteile verstärkt werden? Kram vertrat die letztere Ansicht. Sechs Jahre später fragt sich Johannes Kram, wie es möglich ist, dass Dieter Nuhrs seiner Ansicht nach homophobe und rassistische Pointen in der ARD immer noch auf so wenig Gegenwehr stoßen: “Die ARD könnte sich darum bemühen zu erklären, dass das rechte Rauschen der letzten Jahre die Grenzen des in Deutschland Sagbaren in die Richtung verschoben hat, dass sich das Sagbare vergrößert und nicht verkleinert hat. Dass nicht die Diskriminierten durch ihre angeblichen Denk- und Lachverbote die Aggressoren sind, sondern diejenigen, die sie diskriminieren.”

5. Brauchen ARD und ZDF so viel Geld? Zehn Fragen und Antworten zum Rundfunkbeitrag
(rnd.de, Imre Grimm)
In den vergangenen Tagen wurde viel über die fehlende Zustimmung Sachsen-Anhalts zur geplanten Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent pro Monat geschrieben. Dabei standen oft die politischen Machtspiele im Vordergrund. Für das ganze Bild hat Imre Grimm zehn Fragen und Antworten zum Rundfunkbeitrag zusammengestellt. Anschließend bietet sich die Lektüre seines Kommentars an: Was viel wichtiger wäre als 86 Cent mehr.

6. Aktualisieren!
(sueddeutsche.de, Philipp Bovermann)
Philipp Bovermann philosophiert in der “Süddeutschen” über ein journalistisches Nachrichtenformat, das uns dieses Jahr besonders oft begegnet ist – den Liveticker: “Liveticker halten, so könnte man sagen, der Welt den Atem an, um vom Neuen zu künden. Ihre roten Lämpchen leuchteten viel in diesem Jahr. Alles schien möglich, während die Gegenwart immer wieder ihre Synchronizität mit sich selbst verlor. So viel Dialektik! Halb fürchtet man sich, halb sehnt man sich danach, dass die neue Gegenwart, welche auch immer es sei, endlich beginnen möge.”

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