Ein spanischer Pornodarsteller soll positiv auf HIV getestet worden sein, was in der Branche, in der der Mann tätig ist, natürlich für größere Unruhe sorgt. Von einem spanischen Onlineportal auf das angebliche Testergebnis angesprochen, sagte er:
“Ich weiß nicht woher ihr die Info habt, aber sie ist geschmacklos. Ich werde dazu nichts sagen, danke.”
Dieses Zitat bringt auch Bild.de heute in einem Artikel. Und dazu den Künstlernamen des Mannes sowie Fotos, die ihn unverpixelt zeigen. Eines davon aktuell auch auf der Startseite:
(Die Unkenntlichmachung der Gesichter durch uns, die der Brüste durch Bild.de)
Ein positiver HIV-Test ist Privatsache, auch bei Pornodarstellern. Sicher müssen in einem solchen Fall Maßnahmen ergriffen werden, aber dazu gehören keine Berichte auf Boulevardstartseiten. Es ist auch nicht so, dass nun Pornodarstellerinnen gewarnt oder frühere Drehpartnerinnen aufgeklärt werden müssten — das ist bereits passiert. Die spanischen Behörden sollen Bescheid wissen und das übliche Prozedere in Gang gesetzt haben: alle Sexualpartnerinnen aus der jüngsten Zeit informieren und ihnen Termine für HIV-Tests vermitteln.
Mit zwei großen Ausrufezeichen, aber ohne erkennbaren Grund oder Zusammenhang richtet sich die “Bild”-Redaktion heute in ihrem Blatt “an alle BILD-Leser-Reporter”:
(Draufklicken für größere Version.)
Unter anderem auch mit diesem Absatz:
Wahren Sie die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen, verletzen Sie niemals die Privatsphäre oder die Intimsphäre anderer Menschen.
Und diesem:
Senden Sie nur Fotos an BILD, die Sie selbst gemacht haben. Nur, wenn Sie die Urheberrechte an einem Foto besitzen, können Sie damit BILD-Leser-Reporter werden.
Was angeblich für “BILD-Leser-Reporter” gelten soll, scheint nicht für die “Bild”-Mitarbeiter selbst zu gelten. In dem noch jungen Jahr haben sie jedenfalls schon zahlreich diese Grundsätze missachtet. Nachdem zum Beispiel ein 7-Jähriger zu Tode gequält wurde, zeigte Bild.de ein unverpixeltes Foto auf der Startseite:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Nachdem zwei Jugendliche auf ein Bahngleis geschubst und von einer S-Bahn überfahren wurden, zeigte “Bild” auf der Titelseite unverpixelte Fotos der beiden:
Dass solche Schweinereien nicht in Ordnung sind, egal, ob “BILD-Leser-Reporter” oder bigotte “Bild”-Redakteure dafür verantwortlich sind, zeigt schon ein Blick in den Pressekodex. Dort steht:
Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.
Und speziell zu Kindern und Jugendlichen:
Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.
Im US-Bundesstaat Maryland sind bei einem Autounfall fünf Kinder gestorben. Bild.de berichtet über den tragischen Vorfall und zeigt im Artikel als Aufmacherbild ein unverpixeltes Foto, auf dem zwei der Kinder, eine Fünf- und eine Achtjährige, zu sehen sind:
(Unkenntlichmachung durch uns.)
In der dazugehörigen Bildunterschrift steht:
[…] (5, l.) und […] (8) starben, weil sie nicht angeschnallt waren
Die Redaktion nennt also auch die Vornamen der beiden verstorbenen Kinder und dazu im Text Vor- und Nachnamen der Mutter, die am Steuer des Autos saß und verletzt überlebte.
Als Quelle des Fotos, das die beiden Mädchen zeigt, gibt Bild.de an: “Foto: privat”.
In Nürnberg sind am vergangenen Wochenende zwei Jugendliche von einer S-Bahn überfahren worden. Die beiden 16-Jährigen waren in einer Disco und warteten am Bahnsteig der Haltestelle Frankenstadion auf ihren Zug nach Hause. Sie wurden dann offenbar, das zeigen laut Polizei Überwachungsvideos, von anderen Jugendlichen auf die Gleise gestoßen. Eine einfahrende S-Bahn konnte nicht mehr rechtzeitig stoppen, die zwei Jugendlichen starben noch am Unfallort.
Die “Bild”-Zeitung berichtete am Dienstag über den Fall und zeigte auf ihrer Titelseite unverpixelte Fotos der beiden:
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns.)
Im Innenteil waren diese Bilder noch einmal groß zu sehen.
Die Familien der Verstorbenen haben der “Bild”-Redaktion allerdings nicht erlaubt, die Fotos zu verwenden und die zwei Jugendlichen zu zeigen. Daher gehen sie nun gegen die Veröffentlichung vor, wie nordbayern.de berichtet. Und sie waren damit offenbar auch schon erfolgreich, denn die Titelseite im “Bild”-E-Paper sieht nun so aus:
Die Seite im Innenteil, auf der die Aufnahmen ebenfalls zu sehen waren, ist komplett aus dem E-Paper verschwunden. Genauso lief es neulich bei einem ganz ähnlichen Fall.
Dass sich die Familien wehren, ist aus unserer Sicht völlig richtig. Dass sie sich wehren müssen, ist schrecklich. Denn natürlich haben sie derzeit viele andere Sorgen, und dann kommt eben noch eine rücksichtslose “Bild”-Redaktion obendrauf, mit der man sich, neben der Trauer, rumschlagen muss.
Wir hatten bereits am Montagabend, als das E-Paper erschienen war, bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob die Familien der verstorbenen Jugendlichen der Redaktion erlaubt haben, die Fotos unverpixelt zu drucken, und wenn nicht: warum sie es dann dennoch macht. Trotz mehrerer Nachfragen und drei Tagen Zeit haben wir bis heute keine Antwort bekommen.
Ebenfalls nordbayern.de berichtet, dass die Menschen aus Heroldsberg, wo die Jugendlichen wohnten, entsetzt seien über das Verhalten der Medien vor Ort. Reporter hätten Jugendliche bis vor die Haustür verfolgt, Kamerateams hätten Trauernde beschimpft. Und einen “Bild”-Comic, der die Szene am Bahnsteig nachstellte, hätten Schülerinnen und Schülern als Lächerlichmachen der Opfer empfunden.
1. Nach tödlichem S-Bahn-Streit: Familien mahnen “Bild” ab (nordbayern.de)
Nach Angaben von nordbayern.de haben die beiden Familien der bei dem Unglück an der Nürnberger S-Bahn-Station Frankenstadion ums Leben gekommenen Jugendlichen einen Medienanwalt beauftragt und die Axel Springer SE abgemahnt. “Bild” hatte unverpixelte Fotos veröffentlicht, auf denen die beiden verstorbenen 16-Jährigen gut zu erkennen waren.
2. Sich mit den Tätern anlegen (kontextwochenzeitung.de, Oliver Stenzel)
Die “Kontext Wochenzeitung” hat sich mit dem Enthüllungsjournalisten und langjährigen “Stern”-Autor Arno Luik über dessen Spezialgebiete Stuttgart 21 und Deutsche Bahn unterhalten. Luik kommentiert das Versagen von Politik und Medien. Schon der Einstieg sei nicht einfach gewesen: “(…) als ich KollegInnen vorgeschlagen hatte, etwas über S 21 zu machen, da hieß es zunächst sinngemäß: S 21, was ist denn das? Interessiert doch kein Schwein. Sollen die Stuttgarter unter sich ausmachen. Es hat auch deswegen niemanden interessiert, weil Stuttgart von Hamburg aus gesehen so sexy ist wie ein überfahrener Frosch.”
3. Die Macht der Geschichten (spektrum.de, Theodor Schaarschmidt)
Diplompsychologe und Wissenschaftsjournalist Theodor Schaarschmidt hat sich Gedanken gemacht, warum wir immer wieder auf Hochstapler hereinfallen und warum packende Geschichten eine derartige Sogwirkung entfalten: “Offenbar brauchen wir narrative Strukturen, um uns die Welt zu erschließen. Wo keine Geschichten zu finden sind, halluzinieren wir manchmal sogar welche herbei!”
4. Die frustrierend falsche Berichterstattung zu Implantaten, Prothetik und Wissenschaftsthemen (ennopark.de)
Forscher und Forscherinnen der New Yorker Columbia University haben mit einem Hirnimplantat gemessen, was im Hörzentrum des Gehirns passiert, wenn Menschen gesprochener Sprache zuhören. Über ein KI-System sei es gelungen, die gehörte Sprache während des Zuhörens aus dem Hörzentrum zu rekonstruieren. Mit “Gedankenlesen” habe dies ausdrücklich nichts zu tun, doch genau das behaupteten viele internationale Medien in ihrer Berichterstattung. Enno Park, Vorsitzender des Vereins Cyborgs e.V., kommentiert: “Manchmal sind die Artikel schlicht falsch, manchmal haben die Autor:innen völlig korrekt abgeliefert aber Redakteur:innen offenbar den Inhalt des Textes ignoriert und eine Clickbait-Überschrift drübergetackert. Der Verantwortung der Medien wird ein solches Vorgehen jedenfalls nicht gerecht.”
5. «Aus Frust schlug er zu!» (infosperber.ch, Barbara Marti)
Immer wieder wird in der Berichterstattung über Gewalttaten gegen Frauen die Täterperspektive übernommen. Dann ist vom “Flirt-Frust” die Rede, vom “Beziehungsdrama” oder der “Eifersuchtstat”. Dadurch werden die Taten bagatellisiert, den Opfern wird eine Teilschuld zugeschoben. Auch Heute.at berichtete in dieser Form und korrigierte sich erst nach zahlreichen Protesten im Netz.
6. Geistige Umnachtung an der Falkenstrasse (nureinefrage.blogspot.com, Benjamin Blume)
Die “NZZ am Sonntag” veröffentlichte ein “Quiz” über die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg, in dem verschiedene Krankheitsformen zur Auswahl gestellt wurden. Mittlerweile hat sich der Chefredakteur der “NZZ am Sonntag” bei Twitter mit einem knappen “Wurde geändert. Danke für die Hinweise” gemeldet. Für ein Wort des Bedauerns oder eine Entschuldigung reichte es augenscheinlich nicht …
7. “Abtreibungsärzte” (twitter.com, Lorenz Meyer)
Als siebter und damit zusätzlicher Link, weil vom “6 vor 9”-Kurator: “Abtreibungsärzte”…. Müssen wir wirklich solche Vokabeln framen, lieber Spiegel Online?
Am vergangenen Sonntag ist ein 32-Jähriger aus Baden-Württemberg beim Ski-Fahren ums Leben gekommen. Eine erste Lawine überlebte der Mann noch dank eines Airbags. Während er bis zu den Knien im Schnee feststeckte, verschüttete ihn allerdings eine zweite Lawine. Die Bergretter konnten den Mann nicht wiederbeleben.
Die “Bild”-Redaktion berichtete gestern über den tragischen Vorfall. Aber nicht etwa rücksichtsvoll irgendwo weiter hinten im Blatt komplett ohne Foto oder wenigstens mit Verpixelung, sondern riesig auf der Titelseite, über dem Bruch, mit unverpixeltem Bild:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag stammen von uns.)
Auf Seite 3 zeigte sie dann noch ein weiteres Foto des Verstorbenen …
… das auch Bild.de veröffentlichte, bereits vorgestern Abend auf der Startseite:
Die Aufnahmen haben sich die “Bild”-Medien offenbar vom Facebook-Profil des Mannes gezogen. Eine Person aus dessen engerem Freundeskreis sagte uns, dass die Familie einer Veröffentlichung nie zugestimmt hat und sich nun rechtlich dagegen wehren wird.
Nachtrag, 11. Januar: Wir hatten auch bei “Bild” nachgefragt, woher die Redaktion die Fotos hat und ob sie vor Veröffentlichung bei der Familie des Verstorbenen nachgefragt hat, ob sie die Fotos unverpixelt verwenden darf. Wir haben bisher keine Antwort auf unsere Fragen erhalten.
Auf der “Bild”-Titelseite gab es am Dienstag Torte:
Nun gibt es beim “digitalen Premium-Angebot BILDplus” aber nicht nur “die besten Geschichten, die besten Videos, den besten Service”. “Bild plus” steht auch für ekliges Geldmachen.
Den eher seltenen Namen haben wir unkenntlich gemacht. Das Gesicht die Bild.de-Redaktion — allerdings nicht aufgrund einer ethischen Überzeugung oder aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen. Bild.de versuchte lediglich, mit dem Foto einer Verstorbenen Kohle zu verdienen. Denn hinter der Paywall konnten alle Leserinnen und Leser, die ein Abo hatten, die Frau ohne Unkenntlichmachung sehen. “Bild plus” ist auch das Versprechen: Wer zahlt, kann Opfer in aller Ausführlichkeit anglotzen.
Und nur nebenbei: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Bild.de die Erlaubnis der Eltern hatte, das Foto der 19-Jährigen zu zeigen. Oder dass die Redaktion sie überhaupt gefragt hatte — denn beide Elternteile saßen zur Zeit der Veröffentlichung schon länger in Untersuchungshaft.
Eine andere “Bild plus”-Geschichte: Als eine Frau im Oktober 2016 schon mehrere Tage verschwunden war, und bereits eine Mordkommission ermittelte, schrieb Bild.de auf der Startseite:
Das Gesicht der Frau haben wir verpixelt, das unscharfe Handydisplay kommt von Bild.de. Die Redaktion wollte nämlich mit “Doros letzter SMS” Geld verdienen: Nur wer zahlt, darf alles sehen — in diesem Fall war es die letzte Kurznachricht einer möglicherweise verstorbenen Person (Bild.de: “Wurde sie getötet und verscharrt?”), mit der das “Bild”-Team versuchte, Abos zu verkaufen.
Ein weiteres Beispiel: Im März dieses Jahres berichtete Bild.de über einen schrecklichen Fall, bei dem eine 17-Jährige lebensgefährlich mit einem Messer verletzt wurde:
Der Hinweis “MIT VIDEO” war tatsächlich so gemeint, wie man direkt befürchtet. Bild.de zeigte die Aufnahmen, die die Familie gemacht hatte. Für Leserinnen und Leser ohne “Bild plus”-Abo erschien folgender Teaser:
Mit BILDplus lesen Sie das grausame Protokoll einer Familie ohne Gnade, verhaftet in einem vorsintflutlichen Weltbild. Außerdem dazu, das Video der schrecklichen Tat — von der Familie gefilmt.
Unter welches Qualitätsmerkmal des “Premium-Angebots” “Bild plus” fällt das wohl? “Die besten Geschichten”? “Die besten Videos”? “Der beste Service”? Auf jeden Fall ist das billigster, menschenverachtender Sensationsjournalismus.
Die Bild.de-Mitarbeiter haben das Video übrigens gelöscht, nachdem sich die zuständige Staatsanwaltschaft bei ihnen gemeldet hatte.
Und noch ein Beispiel: Nach dem Terroranschlag in Manchester im Mai 2017, bei dem 22 Menschen getötet wurden, ein Großteil von ihnen Kinder und Jugendliche, brachte Bild.de einen Artikel über die 18-jährige Georgina. Titel: “Ausgelöscht!”. Der Beitrag bestand fast ausschließlich aus Postings des Mädchens in verschiedenen sozialen Netzwerken. Um ihn lesen zu können, brauchte man ein “Bild plus”-Abo.
Manchmal ist auch einfach die Paywall an sich problematisch, weil die Bild.de-Redaktion ganz entscheidende Informationen erst dahinter verrät.
Im März vergangenes Jahres beispielsweise wollte Bild.de wohl sowas wie Aufklärung betreiben und stellte dafür “Fragen, die sich keiner zu stellen traut”:
Das erfuhren auch die Bild.de-Leserinnen und -Leser — blöderweise aber nur jene paarhunderttausend mit “Bild plus”-Abo. Für die anderen Millionen Besucher der Seite hatte die Redaktion an prominenter Stelle ein Schimpfwort reproduziert, ohne die Auflösung zu liefern, dass dessen Verwendung überhaupt nicht in Ordnung ist.
Ein ähnliches Problem bei diesem Bild.de-Artikel aus dem Januar 2018:
Nur für “Bild plus”-Kunden gab es die Info, dass gar nicht “4 von 5 Flüchtlingen” bei ihrem Deutsch-Test durchfallen, sondern dass vier von fünf Flüchtlingen, die als Analphabeten in einen Sprachkurs kamen, nicht das Sprachniveau B1 erreichen. Das war gleich ein doppelter Unterschied: Es ging weder um alle Flüchtlinge noch um die Frage “bestehen oder nicht bestehen?”, sondern darum, ein gewisses Niveau beim Bestehen zu erreichen. Alle, die kein “Bild plus”-Abo hatten und nur die Überschrift sehen konnten, wurden von Bild.de falsch informiert.
Nur mit einem “Bild plus”-Abo kann man herausfinden, dass an der “Bild”-Umfrage zum Thema “Zurückweisung von Flüchtlingen”, auf der der Artikel fußt, längst nicht alle 246 Unions-Abgeordneten im Bundestag teilgenommen haben, sondern nur 69 von ihnen. “Merkel ganz allein” also nur im Sinne von “Merkel ganz allein in Bezug auf 69 von 246 Unions-Abgeordneten”. Für Bild.de-Besucher ohne “Bild plus”-Abo wird das nicht klar.
Das waren jetzt nur ein paar Beispiele aus der Geschichte von “Bild plus”. Es gibt noch viele mehr. Es kommen ständig neue dazu. Und das seit fünf Jahren. Glückwunsch!
Es gibt jetzt also dieses Foto von Alexander Gauland in Badehose. Der AfD-Parteichef war vergangene Woche beim Baden im Potsdamer Heiligen See beklaut worden, der Dieb soll “Kein Badespaß für Nazis” gerufen haben und mit Gaulands Klamotten davongerannt sein.
Verschiedene Medien berichten seit gestern über den Vorfall und manche von ihnen zeigen eben auch jenes Foto, auf dem Alexander Gauland von hinten zu sehen ist, nackter Oberkörper, braun-karierte Badeshorts, neben ihm eine Polizistin. Die “Märkische Allgemeine” hat die Aufnahme zum Beispiel veröffentlicht, die “taz”, die “Neue Westfälisch”, “Tag24”, der “Express”.
Die “Welt” und Welt.de haben das Foto hingegen nicht gezeigt. Und “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb bei Twitter:
Nun kann man erstmal anderer Meinung sein und finden, dass ein nicht ganz scharfes Handyfoto, das einen Mann in einer eher schlabbrigen Badehose zeigt und auf dem die abgebildete Person nur von hinten und nicht wahnsinnig groß zu sehen ist, nicht direkt “entwürdigend” ist. Sicher steckte Alexander Gauland in diesem Moment in einer Situation, in der man nicht auch noch jemanden gebrauchen kann, der sein Smartphone zückt. Aber “entwürdigend”? Ist das nicht erstmal nur die Interpretation von Poschardt?
Es ist eine große Errungenschaft, dass jeder Mensch eine Menschenwürde hat, auch jene, die sie anderen Menschen absprechen, und damit auch Alexander Gauland. Und es muss klar sein, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur für auserwählte Personen gilt, sondern grundsätzlich erstmal für alle, auch für jene, die den Nationalsozialismus, das Hitler-Regime und die Ermordung von Millionen Juden als “Vogelschiss” bagatellisieren.
Insofern können wir es nachvollziehen, wenn sich eine Redaktion gegen die Veröffentlichung des Gauland-Fotos entscheidet. Doch die Entscheidung der “Welt”-Redaktion und der Tweet von Ulf Poschardt zeigen vor allem eines: die Bigotterie des “Welt”-Chefs und seines Teams.
Welt.de hatte nämlich vor einiger Zeit noch gar kein Problem damit, eine Fotogalerie zusammenzustellen, in der Politiker in Badehosen zu sehen sind:
Welt.de hatte auch kein Problem damit, Joachim Sauer, den Ehemann von Angela Merkel, in Badehose zu zeigen:
Von den Skrupeln, die Poschardt und die “Welt”-Medien vom Veröffentlichen des “entwürdigenden” Gauland-Fotos abhalten, keine Spur. Und die hat die Redaktion auch nicht bei Menschen, die mehr Klamotten tragen. Sie hat zum Beispiel eine Fotogalerie mit Nippel- und Höschen-Blitzern veröffentlicht:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Und sie zeigt Brüste von Frauen, die möglicherweise nicht wollen, dass ihre Brüste gezeigt werden:
Ob die nackten Tatsachen bei dem durchsichtigen, schwarzen Kleid von Slavica Ecclestone (54) beabsichtigt waren? Wer weiß
Poschardts Springer-Kollegen von “Bild” und Bild.de haben das Foto, das Alexander Gauland zeigt, ebenfalls nicht veröffentlicht. Sie sollen allerdings versucht haben, es zu bekommen. Die Fotografin soll die Anfrage abgelehnt haben, weil sie “mit der ‘Bild’ nichts zu tun haben” wolle.
Die Veröffentlichung des Gauland-Fotos ist bei “Bild” jedenfalls bestimmt nicht daran gescheitert, dass die Mitarbeiter in der Redaktion es auf einmal auch verwerflich finden, derartige Aufnahmen zu zeigen. Sie zeigen sonst jede noch so prominente Frau im Bikini am Strand. Sie fotografieren ihnen zwischen die Beine:
Heute erst haben sie dieses “Slip-Blitzer”-Foto veröffentlicht:
Sie zeigen Frauen, denen die Brüste aus den Abendkleider gerutscht sind:
Und auch abseits von nackten Brüsten und Hintern und Oberkörpern jucken sie die Persönlichkeitsrechte und die Würde der Personen, über die sie berichten, kein bisschen. Sie zeigen andauernd unverpixelte Fotos von verstorbenen Menschen, egal ob voll- oder minderjährig, die sie in Sozialen Medien zusammengeklaubt haben:
Sie verfolgen einen offenbar alkoholkranken Hartz-IV-Empfänger durch den Supermarkt und zeigen Fotos von ihm, weil er Wasser wegkippt, um sich vom Pfandgeld Bier kaufen zu können:
Oder kurz gesagt: Die Menschenwürde war den Leuten bei “Bild” und Bild.de nun wirklich schon immer egal. Und natürlich soll das hier alles nicht heißen: Wenn die “Bild”-Leute schon all die anderen Personen so würdelos zeigen, dann sollen sie auch den Gauland so zeigen. Sondern andersrum: In den anderen Fällen sollten sie besser auf würdelose Fotos verzichten.
Bleibt nur noch die Frage: Was hätten die “Bild”- und “Welt”-Medien wohl gemacht, wenn das Foto nicht Alexander Gauland in Badekleidung gezeigt hätte, sondern beispielsweise Sahra Wagenknecht? Oder Schauspieler und Sänger Johnny Depp, der gerade erst in Berlin war? Oder Sängerin Katy Perry, die heute in der Hauptstadt aufgetreten ist? Julian Reichelt und Ulf Poschardt hätten auf ein Foto einer beklauten Katy Perry im Bikini verzichtet, weil sie die Aufnahme “entwürdigend” finden?
Manchmal stehen in der “Bild”-Zeitung auch interessante Sätze. Zum Beispiel am vergangenen Samstag in der Leipzig-Ausgabe:
Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Aber klar sollte auch sein: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.
Oder leicht abgewandelt ebenfalls am Samstag bei Bild.de:
Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Allerdings: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich möglicherweise strafbar machen.
Das, was sich “so bestätigen” könnte, ist ein Vorfall vom vergangenen Dienstag im sächsischen Schkeuditz. Dort soll ein Mann beim örtlichen Reitverein eine Stute mit einem stockähnlichen Gegenstand missbraucht haben. Eine Überwachungskamera lieferte Fotos des Mannes, die eine Pferdewirtin auf Zettel druckte, die sie wiederum in der Region verteilte. Die FDP Nordsachsen verbreitete die Aufnahmen des Mannes, ebenfalls ohne Unkenntlichmachung, auf der eigenen Facebook-Seite und fragte dazu: “Wer kennt diesen Mann?”
Darüber berichteten dann auch “Bild” und Bild.de:
Diese Fahndung sei nicht in Ordnung, sagt ein Polizeisprecher in “Bild”:
“Wir fangen erst an zu ermitteln und haben längst nicht alle Mittel ausgeschöpft. Eine Öffentlichkeitsfahndung ist dabei die letzte Maßnahme!”
Im Anschluss weisen die “Bild”-Medien in der bereits zitierten Passage darauf hin, dass man sich mit einem privaten Fahndungsaufruf strafbar machen könne.
Es ist gut und wichtig, dass die “Bild”-Redaktion mal so deutlich Position bezieht zu Fahndungsaufrufen, die nicht durch Gerichte angeordnet wurden. Denn als “Bild”-Leserin oder -Leser könnte man fast meinen, dass derartige Fahndungsaufrufe von Privatleuten oder Privatunternehmen das Geilste sind, wo gibt völlig in Ordnung sind.
Zur Erinnerung: So sah die “Bild”-Titelseite wenige Tage nach den Ausschreitungen rund um das G20-Treffen in Hamburg aus:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Die “Bild”-Redaktion veröffentlichte im vergangenen Juli diesen Fahndungsaufruf in Millionenauflage, Vorverurteilung inklusive. Eine Öffentlichkeitsfahndung der Polizei gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Wir zitieren an dieser Stelle gern die Leipziger “Bild”-Ausgabe vom vergangenen Samstag:
Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.
Anderes Beispiel. Im vergangenen Oktober hat in Hamburg ein Mann seine eigene Tochter getötet und ist dann geflohen. Polizei und Staatsanwaltschaft verzichteten auf eine Öffentlichkeitsfahndung, weil man noch über erfolgsversprechende Ermittlungsansätze verfügte, die am Ende auch zur Festnahme des Mannes führten. Bild.de fragte bereits wenige Stunden, nachdem der Tod des Kindes bekannt geworden war, ungeduldig:
Warum fahndet die Polizei nicht öffentlich nach dem Killer?
Ein paar Tage später — es gab weiterhin keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei — reichte es den “Bild”-Medien. Sie veröffentlichten, ohne irgendeine Verpixelung, ein Foto des damals Tatverdächtigen:
Noch einmal:
Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.
Man muss aber nicht mal ins Archiv schauen, um auf die “Bild”-Bigotterie zu stoßen. Es reicht schon, in derselben Leipziger “Bild”-Ausgabe, aus der die Aussage zu privaten Fahndungsaufrufen stammt, vier Seiten zurückzublättern. Dann landet man im überregionalen Teil und bei dieser Geschichte:
Nicht nur Marianne “kriegt (…) Fotos der Diebe” zu sehen, sondern auch die gesamte “Bild”- und Bild.de-Leserschaft. Sowohl online als auch in der Printausgabe zeigt die Redaktion ein unverpixeltes Foto der zwei Jungen, die die 70-Jährige beklaut haben und laut “Bild” “etwa zehn Jahre alt” sein sollen. Etwa zehn (!) Jahre alt.
Im Artikel sagt ein Polizeisprecher:
“Wir haben die Fotos der Jungen gesichert und fahnden jetzt nach ihnen.”
Es braucht also keine zusätzliche, mediale Fahndung nach zwei Kindern durch “Bild” und Bild.de. Zumal man sich mit dieser “strafbar machen” könnte. Das stand jedenfalls mal in “Bild”.
Mit Dank an Thomas, andreas und Alex F. für die Hinweise!
Es ist eine wirklich positive Entwicklung: Wenn Redaktionen über Suizide berichten, dann binden sie inzwischen fast immer einen kleinen Kasten in ihre Artikel ein, in dem die Leserschaft die Internetadresse der “TelefonSeelsorge” (telefonseelsorge.de) sowie die kostenlosen Telefonnummern (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) der Organisation finden kann.
In der heutigen Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung gibt es auch einen solchen Kasten. Er ist überschrieben mit “Selbstmordgedanken? Hier bekommen Sie Hilfe” und endet mit den Worten: “Unter der kostenlosen Hotline (…) erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.” Wie gesagt: Das ist gut. Aber es ist fragwürdig, wie ernst die Redaktion es wirklich mit der Suizidprävention rund um ihre Berichterstattung meint.
Der Hinweis zur “TelefonSeelsorge” gehört zu einem Artikel über einen 17-Jährigen, der sich das Leben genommen hat:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
Auch bei Bild.de erschien der Artikel, weit oben auf der Startseite:
Der Junge hatte eine Ausbildung zum Busfahrer begonnen und ist — ohne den nötigen Busführerschein — reguläre Linienbusse mit Fahrgästen durch Wuppertal gefahren. Nach einigen Fahrten ist er aufgeflogen. Die “Wuppertaler Stadtwerke” sollen laut “Bild” daraufhin Schlüssel und Dienstausweis zurückgefordert und dem Jungen Hausverbot erteilt haben. Die “Bild”-Autorin schreibt dazu einen ausgesprochen bedenklichen Satz:
Bis ihn die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) bei einer seiner illegalen Touren erwischten. Da sah B(.) keinen Ausweg — und nahm sich das Leben.
Es gibt verschiedene Leitfäden für Medien, wie sie — wenn sie denn unbedingt wollen — am besten über Suizide berichten sollten. Denn seit Jahrzehnten zeigt sich, dass eine intensive Berichterstattung über Suizide zu weiteren Suiziden durch Nachahmer führen kann (“Werther-Effekt”). Rücksichtslose Schlagzeilen und Artikel können Menschenleben kosten. Einer dieser Leitfäden stammt von der “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” (PDF), ein anderer von der “Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention” (PDF). In beiden Leitfäden wird vor einem solchen Satz, wie ihn “Bild” und Bild.de heute veröffentlichen, gewarnt:
In der Berichterstattung sollte alles vermieden werden, was zur Identifikation mit den Suizidenten führen kann, zum Beispiel den Suizid als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion oder gar positiv oder billigend darzustellen beziehungsweise den Eindruck zu erwecken, etwas oder jemand habe “in den Suizid getrieben”. (“Für ihn gab es keinen Ausweg”)
… schreibt die “Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention”. Und die “Stiftung Deutsche Depressionshilfe” schreibt:
Nachahmung setzt Identifikation voraus. Diese Gefahr steigt, wenn der Suizid als nachvollziehbare Reaktion oder als einziger Ausweg bezeichnet wird
Der so wichtige Ausweg, den es so gut wie immer gibt und mit dem “Bild” die Hotline der “TelefonSeelsorge” bewirbt, fehlt im “Bild”-Beitrag komplett.
Und auch weitere Aspekte, die in den Medienleitfäden gennant werden, missachtet der Artikel:
Die “Bild”-Medien berichten groß und ausführlich und prominent platziert über den Fall (im Leitfaden steht: “Diese Gefahr steigt, wenn durch Titelgeschichten, Schlagzeilen und Fotos Aufmerksamkeit erregt wird”).
“Bild” (im Blatt) und Bild.de (auf der Startseite) zeigen ein unverpixeltes Foto des Jungen, vermutlich mit Erlaubnis der Eltern. Jedenfalls hat die “Bild”-Autorin mit den Eltern gesprochen, Zitate der Mutter kommen im Artikel vor, genauso ein Foto der Eltern (im Leitfaden steht: “In der Berichterstattung sollte vermieden werden, ein Foto der betreffenden Person (besonders auf der Titelseite) zu präsentieren”).
Die “Bild”-Autorin nennt die Suizidmethode, den (anonymen) Ort sowie weitere Details zum Suizid (im Leitfaden steht: “Diese Gefahr steigt, wenn die Suizid-Methode detailliert beschrieben wird”).
Ja, es hat sich einiges verbessert bei der Berichterstattung über Suizide, auch bei den “Bild”-Medien. Es bleibt aber vieles, was sich noch verbessern muss.