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Indiras Heiße-SMS-Ausschlachtung gestoppt

Gestern hatten wir noch berichtetet, dass der TV-Moderator Jörg Kachelmann vor dem Kölner Landgericht gegen weitere Medien vorgehen wollte, heute wissen wir, wen es diesmal erwischt hat:

Eine einstweilige Verfügung erging gestern gegen Bild.de, das unter Berufung auf den “Focus” (dem diese Art der Berichterstattung schon vor zehn Tagen verboten worden war) Details aus den Ermittlungsakten wiedergegeben und auf Basis von Aussagen der Frau, die Kachelmann der Vergewaltigung beschuldigt, über das mögliche Strafmaß für den Wetterexperten spekuliert hatte.

Eine weitere einstweilige Verfügung erging gegen die gedruckte “Bild” und ihre gestrige Titelgeschichte:

50 heiße Flirt-SMS: So baggerte Jörg Kachelmann Popstar Indira an

Die Sängerin Indira Weis, die seit längerem ihr Privat- und Berufsleben in “Bild” ausbreitet, erklärte in einem halbseitigen Artikel und einem Video auf Bild.de, sie könne sich nicht vorstellen, “dass so ein charmanter und liebevoller Mann wie Jörg Kachelmann eine Frau vergewaltigt haben soll.”

Und wie charmant und liebevoll Jörg Kachelmann ihrer Ansicht nach ist, meinte die vor sieben Jahren aus der Castingband Bro’Sis ausgestiegene Sängerin mit einigen ihrer angeblich “50 heißen Flirt-SMS von Kachelmann” im Wortlaut belegen zu können bzw. müssen.

Die Pressekammer des Landgerichts Köln entschied gestern auf Antrag Kachelmanns, dass es “Bild” und Bild.de verboten ist, derart private SMS weiter zu verbreiten. SMS, “die zudem in keinerlei Zusammenhang mit den strafrechtlichen Vorwürfen gegen Herrn Kachelmann stehen”, wie Kachelmanns Anwalt Prof. Ralf Höcker betont.

Das Rechtsmittel der einstweiligen Verfügung kommt zum Einsatz, weil Bild.de bzw. die Axel Springer AG auf eine vorherige Abmahnungen hin keine Unterlassungserklärung abgegeben hatten. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung droht ihnen nun ein Ordnungsgeld von bis zu* 250.000 Euro. Zur Zeit sind die beanstandeten Artikel noch online.

*) Nachtrag / Korrektur, 12. April: Ein mögliches Ordnungsgeld muss nicht automatisch 250.000 Euro betragen. Dies ist vielmehr die festgelegte Obergrenze.

Mozart, Patalong, Westphal

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die dpa als Gschichtldrucker über Mozart”
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Angeregt durch eine Bucherscheinung feiern die Medien altbekannte Fakten über Wolfgang Amadeus Mozart als Neuigkeiten. Mit dabei: Die Nachrichtenagentur dpa, die Online-Portale krone.at, tt.com, heute.at sowie die Tageszeitungen “Die Presse” und “Tagesspiegel”.

2. “Brustwarzen-Content”
(peterbreuer.wordpress.com)
Peter Breuer denkt nach über die “Bild”-Berichterstattung zu den Vorwürfen an Jörg Kachelmann: “Die Vergewaltigung selbst – ob sie stattgefunden hat oder nicht – wird zu einer harmlosen Spielart degradiert.”

3. “Der Militärzensor am Werk”
(andremarty.com)
André Marty liefert ein Bild der israelischen Zeitung “Yedioth Ahronot”, die ihre Seite 9 der Ausgabe vom 6. April an vielen Stellen schwärzen musste. Mehr zu den Hintergründen im Artikel “Enge Pressefreiheit in Israel” (nzz.ch, George Szpiro).

4. Interview mit Frank Patalong
(ruhrbarone.de, Stefan Laurin)
Frank Patalong, Redakteur bei “Spiegel Online”, glaubt, dass sich der “meinungsfreudige, beschreibende Journalismus aus den Online-Redaktionen positiv auf alle Medien ausgewirkt” hat. Zum Einsatz von Werbung sagt er: “Aufdringliche Werbeformen wünschen sich nicht die Medienmacher, sondern die Werbewirtschaft. Auch die muss lernen, dass sie sich mit solchen Formen selbst schadet.”

5. “Wikileaks und das Video”
(ndr.de, Video, 3:48 Minuten)
Deutsche Medien berichten nur zögerlich über den “US-Angriff auf zwei Journalisten vor drei Jahren”, der auf Wikileaks veröffentlicht wurde. Rüdiger Ditz von “Spiegel Online” und Kai Gniffke von der “Tagesschau” erklären, warum.

6. “Die Frank-Schirrmacher-Maschine”
(magda.de, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal porträtiert Frank Westphal, den Macher des Aggregators Rivva.

Bild  

Hinter Gittern

12 Tage sitzt der Fernsehmoderator Jörg Kachelmann nun schon in Untersuchungshaft, weil er seine Ex-Freundin vergewaltigt haben soll. “Bild” hat die Zeit genutzt, um detailliert über die Vorwürfe gegen ihn zu berichten, sein Privatleben von allen Seiten auszuleuchten, um über Einstellung des Verfahrens und Kachelmanns mögliche Strafe zu spekulieren, um eine Rasur zu deuten, um zu erklären, was Kachelmann im Gefängnis zu Essen bekommt und wie er sich die Zeit vertreibt.

Und gerade, als es möglich erschien, dass “Bild” angesichts der unverändert dünnen Nachrichtenlage so langsam aber sicher die Ideen für weitere Kachelmann-Aufmacher ausgehen könnte, überraschte die Zeitung gestern mit dieser massiven Titelgeschichte:

Ausrisse: "Bild"

Auch ohne den Schweizer Kachelmann mitzuzählen, hat “Bild” genug Prominente (bzw. Menschen, die auch vorher schon mal in “Bild” erwähnt wurden) gefunden, um die 50 voll zu machen. Einzige Voraussetzung dabei war wirklich, dass die jeweilige Person mal mindestens “einige Stunden” (Fotomodell Veruschka von Lehndorff) hinter irgendwelchen Gittern verbracht hat.

Alles weitere war relativ egal:

BILD hat 50 Prominente mit Knasterfahrung gefunden. Einige saßen zu Recht im Gefängnis, andere unschuldig.

Und bei manch einem war’s einfach nur eine verzeihliche Jugendsünde…

Und so prangt das Foto des TV-Moderators Eduard Zimmermann, der wegen angeblicher Spionage vier Jahre im berüchtigten DDR-Gefängnis von Bautzen saß, fast direkt neben dem des früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz, der wegen Totschlags an vier DDR-Flüchtlingen verurteilt wurde.

Der Schauspieler Günther Kaufmann, der nach einem falschen Geständnis im Gefängnis saß, wird ebenso gezeigt wie Günter Wallraff, der in “Bild” sonst eigentlich nur Erwähnung findet, wenn gerade Stasi-Gerüchte um seine Person kursieren oder er von einem der Kommentatoren für irgendwas abgewatscht wird.

Zwischen “Bubi” Scholz (zwei Jahre wegen fahrlässiger Tötung) und Peter Graf (inkl. Untersuchungshaft zwei Jahre wegen Steuerhinterziehung eingesessen), Arabella Kiesbauer (eine Nacht wegen Angriffs auf zwei mallorcinische Polizisten) und Jürgen Brähmer (laut “Bild” insgesamt sechs Jahre wegen verschiedener Vergehen) war sogar noch Platz für Johann Sebastian Bach (“Streitigkeiten mit seinem Dienstherren”), Friedrich Schiller (Anstiftung zur Aufruhr, 14 Tage Gefängnis) und Karl May (zwei Diebstahlsfälle, vier Jahre Zuchthaus).

Auch der TV-Schauspieler, der wegen des Vorwurfs der zweifachen Vergewaltigung “in U-Haft auf seinen Prozess” “wartet”, ist wieder mit Foto und voller Namensnennung dabei. Wir erinnern uns: Qualifiziert für die Liste ist, wer überhaupt mal “im Knast” saß — rechtskräftig verurteilt muss niemand sein.

Etwas irreführend ist vor allem, was “Bild” über Rudolf Augstein schreibt:

Rudolf Augstein († 79), "Spiegel"-Gründer. Verdacht des Landesverrates ("Spiegel-Affäre"), Festnahme am 28.10.1962, 103 Tage U-Haft, Verfahren eingestellt wegen Beweis-Mangel

Als “Spiegel-Affäre” gilt eigentlich weniger der Verdacht des Landesverrats als viel mehr die Verhaftung von Augstein und einigen seiner Kollegen und die Durchsuchung der “Spiegel”-Redaktion. Die Affäre kostete Franz Josef Strauß sein Amt als Bundesverteidigungsminister und gilt als “Anfang vom Ende” der Kanzlerschaft Konrad Adenauers.

Eigentlich überraschend, dass ein Mann fehlt, der auch mal für neun Monate inhaftiert war — ist Adolf Hitler doch sonst gern gesehener Stammgast in “Bild”.

Mit Dank auch an Marc E. und kpep.

Odenwald-Internat, Henker, Philip Roth

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die BILD-Geschichte um einen Po”
(gregel.com)
Bild.de übernimmt ein YouTube-Video, versieht es mit Werbung und behauptet, eine darin zu sehende Frau würde ein Videospiel mit ihrem Po steuern. Dass das Unsinn ist, klärt sich in den von Bild.de nicht gezeigten Schlußsekunden des Videos auf.

2. “Benzin-Wut – Nunja …”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Robin Meyer-Lucht widmet sich der “Bild”-Schlagzeile “Benzin-Wut”.

3. “Missbrauch am Odenwald-Internat”
(zeit.de, Jana Simon und Stefan Willeke)
Die “Zeit” versucht aufzuklären, warum der bereits 1999 von der “Frankfurter Rundschau” aufgedeckte Missbrauch an der Odenwaldschule nicht von anderen Journalisten aufgegriffen wurde. “Fehleinschätzungen über die Dimension des Skandals, Desinteresses am Thema, die Unlust zu recherchieren – und gelegentlich das Bedürfnis, die Reformpädagogik gegen Angriffe zu schützen. Das berichten heute Journalisten, die damals für die Berichterstattung über Schulen verantwortlich waren.”

4. “Perfide Wettermacher”
(nzz.ch, ras.)
Der Fall Jörg Kachelmann: Rainer Stadler nennt jene “Wettermacher der Öffentlichkeit”, die Behauptungen zu Tatsachen verkürzen, “Henker”. “Am einen Tag zeigt man Empörung über den Wettermann, weil er während eines kurzen öffentlichen Auftritts lachte oder lächelte. Am nächsten Tag gibt irgendein Hobby-Psychologe dem letztlich vieldeutigen Lachen eine simple Erklärung, möglichst mit moralisierendem Unterton.”

5. “Counterfeit Roth”
(newyorker.com, Judith Thurman, englisch)
Der italienische Zeitungsjournalist Tommaso Debenedetti erfindet Interviews mit den Schriftstellern John Grisham und Philip Roth. Ans Licht kommt das erst, als Roth von einer italienischen Journalistin auf seine in “Libero” publizierten Aussagen angesprochen wird. “But I have never said anything of the kind!”

6. “Quotendruck macht Fernsehen dumm”
(youtube.com, Video, Nico Semsrott, 2:45 Minuten)
“Der Hauptfeind des Fernsehens ist die Realität.”

Reuters  etc.

Wer Storm sät, muss Gewitter ernten

— von Jörg Kachelmann —

Englisch ist ja für viele Menschen eine blöde Sprache. Oft denkt man, man wüsste, was das Zeug heißt, und dann stimmt’s gar nicht. Pathetic. Eigentlich ‘ne klare Sache. Aber heißt auf deutsch erbärmlich, nicht pathetisch. Mist. Eventually wird man’s dann lernen. Aber das heißt gar nicht eventuell, sondern am Ende, schlussendlich. Blöd.

Der “Sturm”

Reuters:
“Air-France-Maschine nach Sturm über Atlantik vermisst”

dpa:
“Möglicherweise seien im Sturm auch die Antennen und das Radar der Maschine zerstört worden.”

Schön, daß es so einfache Dinge gibt wie das Wetter. Schließlich sieht und hört man auf CNN und liest in den englischen Agenturen häufig das Wort storm. Klare Sache, oder? Das muss ein Sturm sein, der das Space Shuttle beim Landen behindert. Oder womöglich bei aktuellen Airbussen schlimme Dinge tut. Aber sonst fliegen die doch auch alle bei Sturm?

Jaja, so ein Sturm ist eben auch gar nie ein Problem, das Problem ist der storm. Ist es kein Theodor, ist es ein Gewitter. Thunderstorm war zu kompliziert, um im amerikanischen Englisch zu überleben, also wurde der Thunder einfach weggelassen. Stürme sind high winds, gales und anderes mehr, aber erst Blitz und Donner machen den storm. Aber es gibt so viele Stürme in den Medien, dass es einen langen Marsch geben wird, bis die vielen Stürme aus dem Ausland zum Gewitter werden. Kann man eigentlich Englisch beim deutschen Abitur immer noch abwählen? Das wär’ ja pathetic.

Jörg Kachelmann ist der Oberwettererklärer in der ARD und Chef Gründer des Wetterdienst-Unternehmens Meteomedia.

Die 1,50-Euro-Frau von “Bild”

Prof. Dr. Claudia Kemfert ist eine der “100 tollsten deutschen Frauen”. Das befand die “Bild”-Zeitung im März dieses Jahres anlässlich des Weltfrauentags, weil sie “als erste und einzige Frau im Spitzenforscher-Team der EU-Kommission für unsere Umwelt kämpft”.

Zahlenspiele

In “Bild” und “BamS” hieß es auf Grundlage von Kemferts Prognosen:

“BENZIN-ABZOCKE NOCH DREISTER Normal bald 1,50 Euro!”
(“BamS” vom 4.9.2005)

“Benzin bald über 1,50? Iran-Krise bedroht unsere Wirtschaft”
(“BamS” vom 5.2.2006)

“Benzinpreis bald 1,50 Euro!”
(“Bild” vom 15.7.2006)

“Kostet Super bald mehr als 2 Euro?”
(“BamS” vom 23.7.2006)

“Sprit bald wieder bei 1,50 Euro?”
(“BamS” vom 7.1.2007)

“Schock für Autofahrer: Spritpreis bald über 1,50 Euro”
(“BamS” vom 6.5.2007)

“Benzin bald 1,50 Euro (…) WO SOLL DAS NOCH ENDEN?”
(“Bild” vom 20.10.2007)

In erster Linie ist Kemfert “Bild”- und “BamS”-Lesern jedoch als Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bekannt. In dieser Funktion gibt sie nämlich, meist wenn die Benzin-Preise steigen, Prognosen darüber ab, wie teuer es noch werden könnte. “Bild” und “BamS” machen daraus dann griffige Überschriften (siehe Kasten).

Erst gestern wurde Kemfert wieder von “Bild” zitiert:
"Der Dieselpreis wird in den nächsten Wochen bis auf 1,40 Euro pro Liter steigen, Super auf über 1,50 Euro"
Das wurde von einigen Medien prompt weiterverbreitet.

Da die offenbar magische Grenze von 1,50 Euro schon seit Jahren erbitterten Widerstand zu leisten scheint und erst jetzt endlich zu fallen droht, haben wir uns an Claudia Kemfert selbst gewandt, um aus erster Hand zu erfahren, wie sinnvoll ewig neue und doch gleiche Benzinprognosen sind, ob sie von “Bild” auch schon mal zum Umstieg auf alternative Energieträger befragt wurde und wie man sich eigentlich so fühlt als Kachelmann der Benzinpreise für “Bild”-Leser. Im E-Mail-Interview mit BILDblog rechtfertigt Kemfert ihre Prognosen, kritisiert, dass Medien aus “fast allem Horror- oder Katastrophenszenarien” machen und überrascht ein wenig mit der Aussage, sie glaube nicht, dass der Preis für Superbenzin über 1,50 pro Liter steigen werde.

  

“Ich bleibe dabei: Super kostet maximal 1,50 Euro”

BILDblog: Wenn die Benzinpreise mal wieder steigen, wendet die “Bild”-Zeitung sich häufig an Sie als unabhängige Energieexpertin, um eine Prognose zu bekommen. Wie läuft das ab? Führen Sie ein längeres Gespräch, in dem mehrere Szenarien angesprochen werden, und “Bild” pickt sich dann eines heraus? Oder werden Sie direkt gefragt, auf welche Summe der Benzinpreis steigen könnte?

Claudia Kemfert
Professor Dr. Claudia Kemfert (38) ist Energieökonomin und Leiterin der Abteilung “Energie, Verkehr und Umwelt” des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professorin für Umweltökonomie an der Humboldt Universität Berlin.

Claudia Kemfert: Die “Bild”-Zeitung fragt, wie im übrigen viele andere Medien — Print, Hörfunk oder TV –, warum der Preis so hoch ist. Dies erkläre ich ausführlich: Der Ölpreis ist derzeit aus unterschiedlichen Gründen hoch. Neben hoher Nachfrage reichen die zusätzlichen Förderkapazitäten zur Abdeckung von Nachfragespitzen derzeit nicht aus. Allerdings ist Öl derzeit nicht knapp, es gibt genügend Öl am Markt. Auch denke ich nicht, dass der “peak oil” Punkt, also der Punkt, wo das Ölangebot nicht mehr ausreicht, um die weltweit steigende Nachfrage zu decken, schon heute erreicht ist. Diesen erreichen wir frühestens in 10 Jahren. Der hohe Ölpreis hat zudem die Ursache, dass geopolitische Risikofaktoren überbewertet werden — also die Sorge vor Angebotsengpässen, zudem treiben die Spekulanten den Preis. Der Ölpreis ist heute nahezu bei 100 Dollar pro Barrel. Hätten wir einen “normalen” Wechselkurs zum Dollar (1,20 Dollar), dann läge der Benzinpreis schon heute bei 1,90 Euro pro Liter Superbenzin. Die Spekulationsblase kann platzen, dann würde der Benzinpreis sinken. Allerdings deuten alle Faktoren darauf hin, dass der Benzinpreis eher steigt. Heute liegt der Benzinpreis bei 1,48 pro Liter Superbenzin. Meine Einschätzung ist damit sogar fast Realität geworden.

Für “Bild”-Leser sind Sie so was wie der Kachelmann der Benzinpreise. Ist das ein angenehme Rolle?

Ehrlich gesagt wäre ich lieber “Claudia Kleinert der Benzinpreise”. ;-) Scherz beiseite: Von der “Bild” Zeitung werden stets viele andere kompetente Kollegen befragt, auch diese Einschätzungen werden regelmäßig in der “Bild”-Zeitung oder in anderen Medien veröffentlicht.

Seit Jahren prognostizieren Sie laut “Bild” und “BamS” immer wieder einen Benzinpreis von über 1,50 Euro. Dennoch liegen wir nach wie vor darunter. Woran liegt das? Sind solche Prognosen womöglich gar nicht so sinnvoll, weil man den Benzinpreis nicht voraussagen kann?

Sicherlich ist eine Vorhersage, wo genau sich der Ölpreis und Benzinpreis entwickelt, mit vielen Unsicherheiten behaftet. Derzeit werden alle von uns bekannten Marktmechanismen außer Kraft gesetzt, daher wird eine Einschätzung noch schwieriger. Meine Einschätzungen beruhen auf “wenn-dann”-Aussagen, die bestimmte Szenarien beinhalten, die eintreten können oder auch nicht. Als ich vor 2 Jahren zum ersten Mal sagte, dass die internationalen Daten belegen, dass der Ölpreis sich in Richtung 100 Dollar pro Barrel bewegen wird, wollte dies Keiner glauben. Derzeit haben wir einen Preis von nahezu 100 Dollar pro Barrel — meine Prognose war also richtig. Selbst das wichtigste internationale Kompetenzzentrum in Energiefragen –- die Internationale Energieagentur (IEA) — hat seine Daten und Angaben nun zweimal korrigiert — in die Richtung, die ich schon vor zwei Jahren vorausgesagt hatte. Sicherlich hätte diese Entwicklung auch später eintreffen können. Nur haben meines Erachtens die Kollegen stets die Nachfragesteigerungen unterschätzt — was nun endlich korrigiert wurde. Im Übrigen: ohne den schwachen Dollar hätten wird derzeit einen Benzinpreis von 1,90 /Liter Superbenzin und 1,50 wurde fast erreicht. Ich finde, das ist eine relativ präzise Einschätzung.

Kemfert in “Bild” und “BamS”:
“Es ist wahrscheinlich, daß der Benzinpreis in den nächsten Wochen die 1,50-Euro-Marke pro Liter Normalbenzin durchbrechen wird.”
(“BamS” vom 4.9.2005)
 
“(…) Wir rechnen für diesen Fall mit neuen Höchstständen an den Tankstellen von mehr als 1,50 Euro je Liter Super.”
(“BamS” vom 5.2.2006)
 
“Der Preis für den Liter Super wird schnell auf 1,50 Euro steigen, wenn es keine Entspannung im Nahen Osten gibt!”
(“Bild” vom 15.7.2006)
 
“Kommt es zu schärferen Wirtschaftssanktionen gegen den Iran und zu Produktionseinbrüchen, kann der Ölpreis schnell wieder auf bis zu 75 Dollar je Barrel steigen. In der Folge könnte der Liter Super sogar 1,50 Euro kosten.”
(“BamS” vom 7.1.2007)
 
“Der Preis für den Liter Normalbenzin wird klar über 1,40 Euro klettern, Diesel verteuert sich auf rund 1,20 Euro und Super auf deutlich über 1,50 Euro.”
(“BamS” vom 6.5.2007)
 
Die Energieexpertin des DIW Instituts, Claudia Kemfert, hält sogar einen Preis von über 1,50 Euro pro Liter für möglich, sollte der starke Euro wieder schwächer werden.
(“Bild” vom 20.10.2007)
 
“Der Dieselpreis wird in den nächsten Wochen bis auf 1,40 Euro pro Liter steigen, Super auf über 1,50 Euro.”
(“Bild” vom 8.11.2007)

Im Juli 2006 sagten Sie der “BamS”: “Bei einem Preis von 100 Dollar pro Barrel über einen Zeitraum von sechs Monaten könnte der Benzinpreis nach der Mehrwertsteuer-Erhöhung auf 2,10 Euro ansteigen.” Die “BamS” machte daraus die Schlagzeile: “Kostet Super bald mehr als 2 Euro?” War Ihnen wohl dabei? Oder direkt gefragt: Kostet Super bald mehr als zwei Euro?

Wenn der Dollar steigen sollte und der Ölpreis bei eben diesen 100 Dollar pro Barrel bleibt, dann wird der Benzinpreis auf 1,90 pro Liter Superbenzin steigen. Ich denke nicht, dass der Dollar so schwach bleiben wird und dass der Ölpreis auf einem derart hohen Niveau bleiben wird. Daher bleibe ich bei meiner Aussage, dass der Benzinpreis maximal 1,50 pro Liter Superbenzin erreichen wird — sollte er weiter steigen, werde ich eines Besseren belehrt.

Sinkende Benzinpreisen kommen in der “Bild”-Zeitung allenfalls in klitzekleinen Meldungen vor, und befragt werden Sie dazu auch fast nie. Entsteht so nicht ein verzerrtes Bild?

Ich werde zu jeglichen Preisentwicklungen oft befragt — nicht nur von der “Bild”-Zeitung, Sie haben in Ihrer Recherche übersehen und nicht erwähnt, dass es auch dazu eine Meldung in der “Bild”-Zeitung gab. Die “BamS” machte daraus eine Schlagzeile: “Der Benzinpreis kann wieder unter 1 Euro sinken” — Übrigens: Auch hier wurden einige Experten zitiert.

Inhaltlich laufen die “Bild”-Artikel meist auf die Forderung hinaus, die Mineralölsteuer zu senken und/oder die Ökosteuer abzuschaffen. Oder “Bild” beschwert sich über die “Abzocke” durch die Mineralölkonzerne. Halten Sie derartige Ansätze für sinnvoll?

Ein sehr hoher Benzinpreis hat negative Auswirkungen gerade für einkommensschwache Haushalte. Zudem steigen derzeit fast alle Energiepreise und teilweise auch Lebensmittelpreise drastisch an. Sollte die Belastung für die Volkswirtschaft insgesamt zu hoch sein, könnte es in der Tat eine Lösung sein, zumindest temporär die Steuern zu senken. Die Ökosteuer abzuschaffen halte ich allerdings für falsch. Aus den Einnahmen der Ölsteuer werden die Rentenbeiträge bezahlt. Eine Abschaffung der Ökosteuer könnte kaum aus anderen Beiträgen kompensiert werden, zumindest müssten die Bürger dann an anderer Stelle mehr zahlen. Alle Medien sprechen gern von “Abzocke”, wenn Mineralölkonzerne und Energieunternehmen Milliardengewinne ausweisen, und die “normalen Bürger” derart stark belastet werden. Es ist nicht falsch, dass diejenigen Energiekonzerne, die die gesamte Kette von der Exploration bis hin zu Tankstelle kontrollieren, durch derart hohe Ölpreise satte Gewinne ausweisen können. Aber so funktioniert nun mal die Marktwirtschaft. Die Rolle der Medien ist immer kritisch zu sehen, sei es bei der Berichterstattung zu Benzinpreisen oder Klimawandel etc. Die Medien machen aus fast allem Horror- oder Katastrophenszenarien. Dies ist zwar schade, aber kaum zu ändern. Der substantielle Wissenschaftsjournalismus ist leider nur noch selten vorzufinden.

Der “Passauer Neuen Presse” haben Sie erst im September in einem Interview gesagt, es werde höchste Zeit, dass der Umstieg vom Öl auf andere Energieträger organisiert werde. Außerdem warfen Sie der Automobilindustrie vor, alternative Antriebskonzepte zu wenig in den Fokus zu rücken. Hat die “Bild”-Zeitung Sie dazu eigentlich auch schon mal befragt?

Ich halte es auch für richtig, wir benötigen dringend eine “weg vom Öl” Strategie. Hohe Energiepreise sind volkswirtschaftlich kaum zu verkraften, insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer. Wir hätten schon längst alternative Kraftstoffe auf den Markt bringen können, die Technik ist vorhanden. Deutschland als “Land der Ingenieure” kann hier einen substantiellen Beitrag leisten. Die “Bild”-Zeitung hat mich allerdings zu diesen energiepolitischen Einschätzungen bisher nicht befragt.

Kann man die regelmäßige “Bild”-Frage “wird Benzin noch teurer?” nicht einfach pauschal mit “Ja, alles wird immer teurer. Was dachten sie denn?” beantworten?

Nein, das ist nicht mein Stil, zudem stimmt es auch nicht, wie selbst die “Bild”-Zeitung ab und zu mal selbst feststellt. Nur weil manche Medien einfache Schlagzeilen brauchen, kann und sollte man auf keinen Fall derart plakativ und zudem eine Fehleinschätzung abgeben. Zwar drücken wir Wissenschaftler alles kompliziert und langatmig aus. Dennoch sollte eine Korrektur auf keinen Fall auf Kosten der inhaltlichen Präzision erfolgen.

(Wir haben das Interview auf ausdrücklichen Wunsch von Claudia Kemfert ohne jede Kürzung veröffentlicht.)
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