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“Bild” und die Kinderporno-Ermittlungen

Seit gestern berichten die “Bild”-Medien riesengroß über einen ehemaligen Profifußballer, gegen den wegen des Verdachts der Verbreitung von kinderpornografischen Materials ermittelt wird. Gut ein Dutzend Artikel und zwei Titelgeschichten hat “Bild” bereits dazu veröffentlicht, unter voller Namensnennung, mit vielen Fotos und Details aus den Ermittlungen. Zweifel an der Schuld des Mannes lässt das Blatt dabei nur wenige: Die Ermittler seien sich “sicher, dass [M.] über kinderpornografische Fotos verfügt”.

Oder wie es der “Postillon” gestern formulierte:

Mann (38) ohne Verfahren öffentlich hingerichtet

Düsseldorf (dpo) – Ein 38-jähriger Deutscher ist innerhalb der letzten Stunden ohne gerichtliches Verfahren öffentlich hingerichtet worden. Die für die öffentliche Hinrichtung nötige Aussetzung der Unschuldsvermutung wurde zuvor unrechtskräftig von Boulevard-Journalisten und mutmaßlichen Informanten von Staatsanwaltschaft oder Polizei beschlossen.

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Gestern Abend wurde das Thema auch in der ARD-Sendung “Maischberger” angesprochen. Zu Gast war unter anderem FDP-Politiker und Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki.

Maischberger: Es ist heute eigentlich zu früh, darüber zu reden, aber Sie haben vor der Sendung gesagt, dass Sie ihn kennen: [M.], der Mann, der heute auf der großen Titelseite einer sehr großen Zeitung in Deutschland …

Kubicki: Was ich unverschämt finde.

Maischberger: … wegen des Verdachts der Verbreitung von kinderpornografischem Material steht. Dann hat die Staatsanwaltschaft tatsächlich gesagt: Ja, es gibt ein Ermittlunsgsverfahren. Kann man das machen in dem Moment schon?

Kubicki: Nein. Der Begriff Unschuldsvermutung heißt, jemand ist so lange unschuldig, bis die Schuld durch ein gerichtliches Verfahren nachgewiesen ist. Das Problem — ich mache ja Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, das ist einigermaßen harmlos –, aber wenn Sie als Vergewaltiger oder als Kinderschänder gebrandmarkt werden, auch wenn sich hinterher rausstellt, da ist nichts dran, das werden Sie in Ihrem Leben nie wieder los. Die Staatsanwaltschaft hat einen Anfangsverdacht bejaht. Sie ermittelt jetzt logischerweise, das muss sie tun, sie ist zur Legalität verpflichtet. Aber dass eine Zeitung so groß schon so tut, als sei das erwiesen, das zieht mir die Schuhe aus.

Über Kubickis Aussagen berichtet heute auch Bild.de. Und zwar so:

Screenshot BILD.de: Kubicki: [M.]-Ermittlungen sind eine "Unverschämtheit"

Auch im Text heißt es:

Die Ermittlungen gegen den Ex-Nationalspieler [M.], mit dem er persönlich bekannt ist, nennt Kubicki eine “Unverschämtheit!”

Denn: “Wenn Sie als Vergewaltiger oder als Kinderschänder gebrandmarkt werden — auch wenn sich hinterher herausstellt, da ist nichts dran: Das werden Sie in Ihrem Leben nie wieder los!”

So geht “Bild” mit Kritik an “Bild” um: Sie wird einfach weggelogen.

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“Immerhin”, schreibt der “Postillon” noch: “Nach der öffentlichen Hinrichtung soll nun in einem ordentlichen Gerichtsverfahren herausgefunden werden, ob die Anschuldigungen gegen den Hingerichteten gerechtfertigt waren.”

Vielleicht — hoffentlich — wird dabei auch die Rolle der “Bild”-Zeitung näher beleuchtet. Zum Beispiel die Frage, woher die Reporter genau wussten, wann und wo der Verdächtige von den Fahndern aufgegriffen wird (“Bild” war mit mehreren Leuten dabei und hielt dem Mann Kameras vors Gesicht).

Interessant auch die Frage, wie genau die Ermittlungen zustande kamen. “Bild” schrieb gestern:

Nach BILD-Informationen meldete sich vor drei Wochen eine Frau bei der Hamburger Polizei. Sie legte den Ermittlern mindestens 15 kinderpornografische Fotos vor, die ihr per WhatsApp geschickt worden sein sollen. Der mutmaßliche Absender der Bilder: [M.]. [Er] soll seit über einem Jahr eine Beziehung mit der Hamburgerin gehabt haben und vertraute ihr offenbar.

Die Staatsanwaltschaft erklärte gegenüber Medienvertretern später jedoch, dass nicht die Frau, sondern ein Tippgeber die Ermittlungen ins Rollen brachte:

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft erhielt die Polizei von einer dritten Person den Hinweis, dass eine Frau kinderpornografische Dateien von dem Ex-Fußballer erhalten habe. Die Polizei habe die Frau daraufhin kontaktiert und als Zeugin befragt.

Nach unseren Informationen kam dieser Hinweis von: der “Bild”-Zeitung.

Auch der Sprecher der Hamburger Polizei teilte mit: “Die Bild-Zeitung ist an die Polizei Hamburg mit einem Sachverhalt herangetreten, bei dem sofort strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten waren.”

Die “Bild”-Zeitung stößt also Ermittlungen an, über die sie selbst dann exklusiv berichtet, mit mutmaßlich durchgesteckten Infos aus Ermittlerkreisen und ohne große Rücksicht auf die Unschuldsvermutung. Da zieht es nicht nur Wolfgang Kubicki die Schuhe aus.

Mit Dank auch an den anonymen Hinweisgeber!

Kampf der “NZZ” gegen PC, Staatshumor, Klarnamenpflicht

1. Verteidigung der Missionarsstellung
(tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
Andreas Tobler hat bei der “NZZ” so etwas wie ein eigenes Genre entdeckt: den Artikel gegen die “politische Korrektheit”. Allein im vergangenen Jahr seien in der “NZZ” über hundert dieser Anti-PC-Beiträge erschienen. Tobler kommentiert: “Gehegt und gepflegt wird das Phantasma der politischen Korrektheit nicht zuletzt, um sich ja nicht mit der schlichten Tatsache zu beschäftigen, dass Normalität schon immer einer gesellschaftlichen Aushandlung unterlag.”

2. Zuhause ist, wo die Männer sind
(tagesspiegel.de, Gerrit Bartels)
Das kommende Herbst- und Winterprogramm des Rowohlt-Verlags bestehe zu 90 Prozent aus Titeln von Männern, kritisiert Gerrit Bartels. Sein Unmut darüber mündet in einem langen Satz: “Man muss kein Feminist sein, um das seltsam und unbedacht zu finden, gerade in Zeiten, in denen der Verlag Klett-Cotta in seiner Vorschau bei der Ankündigung eines Buches von Lady Bitch Ray das “Trendthema Feminismus” entdeckt hat; in denen in den sozialen Medien alle halbe Jahre sorgfältig gezählt wird, wieviel Titel die Verlage von Frauen und Männern veröffentlichen; in denen, genau, das interessiert Verlage, junge Feministinnen nicht nur wie Stokowski, sondern auch wie Sophie Passmann oder Jagoda Marinic mit “Alte weiße Männer” und “Sheroes” gerade Bestseller veröffentlicht haben; in denen, auch das ist bekannt, Frauen mehr zu Büchern greifen als Männer, zu Belletristik überdies.”

3. Rezo-Video: Trend vom Lesen weg zum Vorlesen wie im Mittelalter
(infosperber.ch)
“Infosperber” greift ein “Deutschlandfunk”-Interview des Medienwissenschaftlers Christoph Engemann auf, das dieser anlässlich des Rezo-Videos (“Die Zerstörung der CDU”) gegeben hat. Wie ist diese Art der “Vorlesung” einzuordnen, was bedeutet dies für die Kommunikationskultur, und wie soll man darauf reagieren? Der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer erklärt, warum sich die CDU so schwer mit einer Reaktion tut: “Das ganze politische System ist stark formalisiert und strukturiert. Man kennt sich. Das war bisher eine gut geölte Maschine. Wenn da plötzlich irgendein Akteur aus dem Nichts kommt, den man auch nicht richtig einordnen kann, nicht ein Parteiakteur, keiner der für irgendwelche Interessengruppen steht, eher so ein Halbprominenter in einer bestimmten Generation, der sehr massiv, sehr fundiert und eben sehr gut sichtbar seine Meinung äussert — das irritiert die Politiker natürlich.”

4. Was soll der Müll
(freitag.de, Hannah Schlüter)
Hannah Schlüter beschäftigt sich mit dem erfolgreichen Genre der Aussteiger- und Reisefilme. Die Protagonisten seien oft Influencer oder würden es durch ihre Filme werden wollen: “Der blinde Fleck der Filme bleibt die eigene Herkunft, die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Protagonisten auf ihre Reisen gehen können (und anschließend auf Kinotour durch Deutschland). Und der große Unterschied zwischen ihnen und den Leuten, die sie auf ihren Reisen treffen: Sie können am Ende wieder nach Hause. Sich doch wieder den Ballast eines Hauses gönnen und sesshaft werden.”

5. Das Problem heißt Hass
(taz.de, Johanna Roth)
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert. Eine derartige Pflicht wäre jedoch wenig hilfreich, findet “taz”-Redakteurin Johanna Roth: “Eine Klarnamenpflicht verhindert keine Hasskommentare. Facebook fordert seine User schon lange dazu auf, sich mit echten Namen zu registrieren, auch wenn eine entsprechende Verpflichtung im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt wurde. Das hält Nutzer aber nicht davon ab, Beleidigungen und Morddrohungen zu posten. Das Problem heißt nicht Anonymität, das Problem heißt schlicht: Hass.”

6. Hoch lebe der Staatshumor
(heise.de, Wolf Reiser)
Wolf Reiser hat einen Artikel über die Humor- und Kabarettsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender geschrieben und dabei reichlich Ohrfeigen verteilt. Den ARD-Satiriker Dieter Nuhr beschreibt er wie folgt: “Die Marke Nuhr ist eine seltsam konturlose Gestalt, ein wenig Disko-Türsteher, einem auch bei Lehrern beliebten Klassenclown, einem durchreisenden Jahrmarkt-Jakob und einer sprechenden Parkuhr.” Das ZDF mit seiner “heute show” kommt nur wenig besser weg: “Natürlich ist das frech, keck und oft auch richtig lustig, hat seinen Reiz wie eine gewisse Berechtigung und verärgert mitunter sogar ungelenke Parlamentarier, die sich für ein Drehverbot unter der Glaskuppel stark machen. Letztlich endet der Klamauk aber bei dem Bubenhumor im Pausenhof einer Waldorfschule, wo sich die Raucher von den Strebern trennen und sich als elitäre Sekte feiern.”
Nachtrag: Der Beitrag ist ein wildes Rumgebashe in viele möglichen Richtungen, manchmal auch in die falschen. Eine Leseempfehlung in den “6 vor 9” bedeutet nicht automatisch, dass der Kurator sich die Aussagen in den verlinkten Texten zu eigen macht. Dies gilt für diesen Text ganz besonders.

“Digitales Vermummungsverbot”, Seitenwechsler, Politisches Verfahren

1. Österreich bekommt “digitales Vermummungsverbot”
(sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta)
Nach Informationen der “Süddeutschen Zeitung” will die österreichische Bundesregierung die Anonymität im Netz einschränken. Am Mittwoch würde sich das Kabinett in Wien mit einer entsprechenden Gesetzesvorlage befassen. Demnach könnten Nutzerinnen und Nutzer zwar weiterhin unter Pseudonym posten, sie müssten jedoch identifizierbar sein. Dem Vernehmen nach soll es auf eine Registrierungspflicht per Handynummer hinauslaufen.

2. Können aus Journalisten gute Pressesprecher werden?
(journalist-magazin.de, Robert von Heusinger)
Robert von Heusinger hat die Seiten gewechselt: Zwei Jahrzehnte war er Journalist, jetzt ist er Kommunikationschef. Beim DJV-Kongress “Brückenschlag” hat sich von Heusinger zu den Vor- und Nachteilen beider Tätigkeiten geäußert. In seiner Keynote erinnert er die Journalistinnen und Journalisten daran, “wie gut sie es doch hätten”, warum ein Wechsel in die PR aber dennoch lohnen könnte. Und das liest sich ganz unterhaltsam und lebensnah.

3. Die Ablehnung von “Gendersprache” – medial produziert
(scilogs.spektrum.de, Henning Lobin)
Henning Lobin kritisiert den Verein Deutsche Sprache, die “FAZ” und in Teilen das ZDF für ihre Stimmungsmache in Sachen geschlechtergerechter Sprache: “Die mediale Produktion von Ablehnung ist hier in Reinkultur zu besichtigen: Ein propagandistisch geschickt agierender Interessenverband, ein Netzwerk von Stiftungen und Unterstützenden im Vorfeld, eine als seriös angesehene Zeitung, die verdeckt Politik betreibt, und ein öffentlich-rechtlicher Sender, der es sich, anstatt zu recherchieren, mit Grobschlächtigkeit und witzelnder Verhöhnung leicht macht.”

4. Axel Springer reicht Urheberrechtsklage gegen Eyeo ein
(horizont.net, David Hein)
Der Springer-Konzern war mit seiner Klage gegen den führenden Adblocker-Anbieter Eyeo vor Gericht gescheitert und unternimmt nun einen weiteren juristischen Anlauf. Nachdem der Hebel “unlauterer Wettbewerb” nicht funktioniert hat, argumentiert man nun mit dem Urheberrecht: “Werbeblocker verändern die Programmiercodes von Webseiten und greifen damit direkt in das rechtlich geschützte Angebot von Verlagen ein”, erklärt Claas-Hendrik Soehring, Leiter Medienrecht bei Axel Springer: “Dadurch beschädigen sie langfristig nicht nur eine zentrale Finanzierungsgrundlage von digitalem Journalismus, sondern gefährden auf Dauer auch den offenen Zugang zu meinungsbildenden Informationen im Internet. Das werden wir nicht hinnehmen.” Bei “heise online” entgegnet Eyeo-Unternehmenssprecherin Laura Dornheim: “Es braucht nicht viel technisches Verständnis, um zu verstehen, dass es durch ein Browser-seitiges Plugin gar nicht möglich ist, irgendetwas auf Springers Servern zu modifizieren.”

5. Ermittlungsverfahren gegen Zentrum für politische Schönheit wird eingestellt
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Nur eine Woche nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens gegen die Künstler des “Zentrums für Politische Schönheit”, wurde das Verfahren eingestellt. Davor hatte die Staatsanwaltschaft 16 volle Monate gegen die Aktionskünstler ermittelt. Der Verdacht: “Bildung einer kriminellen Vereinigung”. Nun stellt sich zu allem Überfluss heraus, dass der ermittelnde Staatsanwalt ein Spender der AfD ist und es sich demnach um ein politisch motiviertes Verfahren gehandelt haben könnte.
Weiterer Lesetipp: Der Rechts-Staatsanwalt: “Gegen ein Künstlerkollektiv wird ermittelt, weil es eine Aktion gegen den AfD-Politiker Björn Höcke veranstaltete. Der Ermittler steht der AfD nahe. Wie neutral ist er?” (zeit.de, Christian Fuchs & Luisa Hommerich).

6. Barometer der medialen Welt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Seit nunmehr 70 Jahren existiert der kirchliche Nachrichtendienst epd medien. Anlass für einige, zum Ende hin sogar sakrale, Lobesworte von Steffen Grimberg: “Auch heute ist epd medien unverzichtbares Barometer der medialen Welt und der Berichterstattung über sie. Ganze egal, wie viele meedias oder DWDLs noch kommen und gehen: Die immense Erfahrung (und das Archiv, siehe Grimme), die Unabhängigkeit (dank Kirchensteuer) und die unaufgeregte Professionalität von epd medien sind — wie so ziemlich alles, was in der Bibel steht — für die Ewigkeit. Amen.”

Bitte ausschneiden und aufhängen: “Indymedia” ist keine seriöse Quelle

Screenshot Welt.de - Attacke auf AfD-Politiker - Bekennerschreiben im Fall Magnitz aufgetaucht

… steht seit heute Mittag bei Welt.de. Und auch auf ihrem Twitter-Kanal lässt die Redaktion es so wirken, als wäre im Fall des am Montag angegriffenen AfD-Politikers Frank Magnitz ein Bekennerschreiben “aufgetaucht”, also so ein richtiges:

Screenshot eines Tweets der Welt-Redaktion - Bekennerschreiben im Fall Magnitz aufgetaucht

Das Problem dabei, und das kommt erst später im “Welt”-Text: Es gibt erhebliche Zweifel an der Authentizität des Schreibens, das von einer bisher unbekannten Gruppe namens “Antifaschistischer Frühling Bremen” stammen soll. Diese Zweifel liegen vor allem an der Quelle: Das “Bekennerschreiben” ist nämlich bei “Indymedia” aufgetaucht, wo jeder anonym solche Texte veröffentlichen kann. Noch einmal, weil Redaktionen das offenbar gerne vergessen: Jeder kann bei “Indymedia” unter irgendeinem Namen ein angebliches “Bekennerschreiben” veröffentlichen. Welt.de schreibt zur aktuellen (und inzwischen wieder gelöschten Veröffentlichung bei “Indymedia”) dennoch: “Es wurde von einer Antifa-Gruppe im Internet veröffentlicht”.

Wie falsch das sein kann, haben nun schon mehrere Fälle gezeigt. 2016 etwa tauchte nach zwei Sprengstoffanschlägen in Dresden, einer davon auf eine Moschee, bei “Indymedia” ein vermeintliches Bekennerschreiben einer Antifa-Gruppe auf, das sich als Fälschung entpuppte. Dennoch berichteten mehrere Medien, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle. 2017, nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB, tauchte bei “Indymedia” ein vermeintliches Bekennerschreiben einer Antifa-Gruppe auf, das sich als Fälschung entpuppte. Und wieder berichteten Medien, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle.

Nun taucht bei “Indymedia” also ein angebliches Bekennerschreiben zum Angriff auf AfD-Mann Magnitz auf, und Welt.de veröffentlicht eine Überschrift, als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle. (Man kann durchaus dafür plädieren, dass ein anonymes Posting auf “Indymedia” überhaupt “keinen Bericht wert” ist.)

Genauso die Redaktion von “Der Westen”:

Screenshot Derwesten.de - AfD-Politiker Magnitz schwer verletzt: Dieses Bekennerschreiben taucht jetzt im Netz auf

Kein distanzierendes “angeblich” in der Titelzeile (wie beispielsweise bei tagesschau.de und RTL.de), kein “Zweifel” (wie beispielsweise bei FAZ.net und stern.de). Als wäre es sicher, dass es sich um ein authentisches Bekennerschreiben handelt. Und als wäre “Indymedia” eine ganz normale, seriöse Quelle.

Goldkartoffel Reichelt, Selfie-Journalismus, Never ending Maaßen

1. Neue deutsche Medienmacher zeichnen “Bild”-Chefredakteur für “unterirdische” Berichterstattung aus
(deutschlandfunk.de)
“Bild”-Chef Julian Reichelt ist der erste Preisträger der “Goldenen Kartoffel”. Der Negativpreis wurde ihm von den “Neuen deutschen Medienmachern” für seine “unterirdische Berichterstattung über Aspekte unserer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft” verliehen. BILDblog gratuliert!

2. Österreich: Rekordland bei Morden
(noemix.wordpress.com)
Wenn man den Schlagzeilen österreichischer, aber auch deutscher Medien wie “Focus Online” glaubt, ist Österreich das Rekordland bei Morden. Dabei ist es umgekehrt: Österreich ist das Land mit der niedrigsten Mordrate in ganz Europa. Michael Nöhrig erklärt das Phänomen.

3. Ein bisschen anonym? Wie Selfie-Journalismus Informanten gefährdet
(uebermedien.de, Peter Welchering)
Wenn Journalisten ihre anonym bleiben wollenden Informanten vor laufender Kamera befragten, reichte es früher, das Aussehen der Hinweisgeber oder Kronzeugen zu verändern und einen Stimmverzerrer einzusetzen. Dass dieser Schutz heute unzureichend ist, müssten Journalisten spätestens seit dem Frühjahr 2014 wissen. Da sei auf einer Forensiker-Tagung nämlich eine Methode bekannt geworden, schreibt Peter Welchering, mit der Ermittler durch Analyse der elektrischen Netzfrequenz vermummte und verkleidete Informanten enttarnen können, auch wenn deren Stimme verzerrt wurde. Deshalb lasse man Aussagen von Informanten vor der Kamera inzwischen häufig von Schauspielern nachstellen. In einem “Panorama”-Beitrag unterblieb dies, was am “Selfie-Journalismus” der Beitragsmacher liege: “Journalistische Arbeit wird zur Aufführung, die Enttarnung eines Informanten zum Kollateralschaden des Schauspiels.”

4. Presseteam der Polizei darf keine Demonstranten fotografieren
(sueddeutsche.de)
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat entschieden, dass die Polizei keine Demonstranten fotografieren darf, um die Aufnahmen später für PR-Zwecke zu verwenden: “Schon dass die Polizei Demonstranten wahrnehmbar fotografiert hatte, sei rechtswidrig, urteilten die Richter. Es dürfe bei Kundgebungen erst gar nicht der Eindruck von staatlicher Überwachung entstehen. Fotografierende Polizeibeamte könnten einschüchternd wirken und Demonstranten von der Ausübung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abhalten.”

5. Maaßen wiederholt Medienschelte
(spiegel.de, Wolf Wiedmann-Schmidt)
Der (vielleicht irgendwann einmal) scheidende Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hat seine Kritik an der Berichterstattung der Medien bekräftigt und dem “Tagesschau”-Chef Kai Gniffke einen vierseitigen Brief zukommen lassen. Es sei ein “kritischer Blick” auf “die Maßstäbe der medialen Darstellung des Rechtsextremismus erforderlich”.

6. Eine Branche stirbt: Nur noch 600 Videotheken in Deutschland
(heise.de, Wolf von Dewitz & dpa)
Es gibt nur noch (oder soll man sagen immer noch?) 600 Videotheken in Deutschland. Von 2015 bis 2017 sank nach Angaben eines Branchenverbands die Kundenzahl von 4,8 Millionen auf 2,6 Millionen. Der Verband sehe vor allem die Piraterie und deren unzureichende Bekämpfung als Wurzel allen Übels.

Plagiatsvorwurf gegen Gauland, Augstein und #metoo, Rechenkünstler

1. Plagiatsvorwurf gegen Gauland: “Das ist wie ein Fingerabdruck”
(t-online.de, Jonas Mueller-Töwe)
Der Gastbeitrag Alexander Gaulands für die “FAZ” hat für einige Aufregung gesorgt, auch weil bestimmten Aussagen eine Nähe zu Adolf Hitler unterstellt wurde. Nun erhebt der Kulturwissenschaftler Michael Seemann Plagiatsvorwürfe: Gaulands Text enthalte mit leichten Abwandlungen eins zu eins Sätze aus einem älteren Seemann-Text für den “Tagesspiegel”, die Gauland jedoch sinnentstellend verwendet habe. Michael Seemann im Interview: “Herr Gauland reißt meine Beschreibung einer Sozialstruktur aus dem Kontext und vereinfacht sie. Das ist typisch für Verschwörungstheorien.”
In diesem Zusammenhang auch nochmal der Verweis auf unseren Beitrag: Verwechselt “Tagesspiegel” Hitler mit “Tagesspiegel”?

2. EU-Projekt gegen Fake News
(taz.de, Steffen Grimberg)
Mit dem sogenannten “Disinformation Code of Practice” will die EU-Kommission gegen Desinformation, Fake News und Manipulationsversuche mit gesponserten Inhalten vorgehen. Eine theoretisch gute Idee, die jedoch ihre Schwächen bei der praktischen Umsetzung hat, wie Steffen Grimberg in der “taz” erklärt.

3. Wir müssen über Augstein reden
(spiegel.de, Susanne Beyer)
Susanne Beyer arbeitet seit mehr als 20 Jahren für den “Spiegel” und ist mittlerweile Teil der Chefredaktion. In einem längeren Text blickt sie im Rahmen der allgemeinen #metoo-Debatte auf das Thema sexuelle Belästigungen im eigenen Haus, von den Anfängen des Nachrichtenmagazins unter Rudolf Augstein bis in die Jetztzeit. Dazu hat sie sich bei den Kolleginnen umgehört: “In den anonymisierten Berichten lese ich über Praktikantinnen, die von immer wieder denselben Redakteuren nach Dienstschluss in die Bar gebeten werden. Von jungen Kolleginnen, die nach ihren Beziehungen gefragt werden und sich dann Andeutungen gefallen lassen müssen, dass der Freund ja nichts wissen müsse von Affären. Von zweideutigen nächtlichen SMS, die wiederum junge Frauen hier bekommen. Von Kolleginnen, die an ihrem Schreibtisch erstarren, wenn sich Männer über sie beugen und dann das tun, was die Kolleginnen An-der-Wange-entlang-Hauchen nennen.”

4. Ich habe die ARD/ZDF-Onlinestudie 2018 gelesen, damit ihr es nicht müsst
(blog.wdr.de, Dennis Horn)
Dennis Horn hat die wichtigsten Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2018 zusammengefasst. Mittlerweile seien mehr als 90 Prozent der Deutschen online. Die Internetnutzung der 14- bis 29-Jährigen sei im Vergleich zum vergangenen Jahr um ganze 79 Minuten auf durchschnittlich 353 Minuten am Tag gestiegen. Man fragt sich, wie es zu einem derart starken Anstieg kommen konnte. Die Antwort findet sich vielleicht in der Komplettversion der Studie.

5. Journalistenverbände kritisieren “hart aber fair”
(ndr.de, Daniel Bouhs & Andrej Reisin)
Frank Plasbergs ARD-Talkshow “hart aber fair” hat Beispiele zusammengestellt, wie Besserverdiener den Staat durch Steuerhinterziehung “austricksen” und dazu ausgerechnet freie Journalisten als Beispiel angeführt. Die Berufsverbände der Journalisten reagieren mit Empörung. So weist der Deutsche Journalistenverband darauf hin, dass das Durchschnittseinkommen von Journalisten bei etwas über 2000 Euro liege, und zwar vor Steuern. In der Tat wenig Spielraum für Steuertricks, es sei denn, man spielt in der Einkommensklasse eines Frank Plasberg. Zudem hätten sich die “hart aber fair”-Anprangerer auch noch tüchtig verrechnet und die Betriebskosten mit der Steuerersparnis verwechselt.

6. Wie mich der Hass verändert, den ich als Frau im Internet erlebe
(vice.com, Alexandra Stanic)
Die Journalistin und Redaktionsleiterin von “Vice Austria” Alexandra Stanic war im Juli in der TV-Sendung “Pro und Contra” von Puls 4 und hat dort über sexuelle Belästigung gesprochen. Dies wirkt noch heute nach, und zwar auf höchst unerfreuliche Weise: Nachdem sie ins Visier von Youtube-Hetzern geriet, bekam sie Hunderte beleidigende und bedrohende Nachrichten. “Der Preis, den ich für meine Meinung bezahle, ist geballter, gnadenloser Hass. Ich habe oft darüber nachgedacht, alle Social-Media-Kanäle zu löschen. Aber von der Bildfläche zu verschwinden, würde all jene, die mich beschimpfen, zu Siegern machen.”
Weiterer Lesehinweis: “Ohne das Internet hätte die #MeToo-Debatte nie eine solche Wucht entfaltet. Gleichzeitig werden Frauen gerade dort mit Hass überschüttet.” Ein Interview mit der Autorin Ingrid Brodnig (spiegel.de, Angela Gruber).

Gaulands Text & Hitlers Rede, Vorbild Sigmar, Body-Shaming

1. Twitter-User entdeckt Parallelen zwischen Gauland-Text und Hitler-Rede
(tagesspiegel.de, Tilmann Warnecke & Anja Kühne)
Die “FAZ” veröffentlichte am Wochenende einen Gastbeitrag von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland zum Thema Populismus und wurde dafür vielfach kritisiert. Nun entdeckte ein Twitter-User Parallelen zwischen dem Gauland-Text und einer Hitler-Rede. Der “Tagesspiegel” dokumentiert beide Textauszüge im Vergleich.
Wichtiger Nachtrag: Verwechselt „Tagesspiegel“ Hitler mit „Tagesspiegel“? (bildblog.de, Ben Hoffmann)

2. Vorbild für freie Journalisten
(taz.de, Anne Fromm)
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) geht unter die Journalisten und kassiert dafür als Autor der Holtzbrinck-Gruppe zwischen 15.001 und 30.000 Euro — pro Monat. Anne Fromm hat dies in der “taz” mit dem Tarifgehalt von Neueinsteigern verglichen und befindet: “Gut verhandelt.”

Anmerkung des 6-vor-9-Kurators: Lieber Sigmar, falls Du hier mitliest, sei doch bitte so solidarisch und gib Dein Honorar auf der Website Wasjournalistenverdienen.de ein (gerne auch anonym). Dort bauen die Freischreiber eine Datenbank der Gehälter und Honorare deutschsprachiger Journalistinnen und Journalisten auf und stellen sie allen zur Verfügung. Damit diese zukünftig fairer und gerechter bezahlt werden.

3. Neun Minuten “Body Shaming” im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
(nw.de, Matthias Schwarzer)
In einem berühmten Ausspruch von Kurt Tucholsky heißt es, dass Satire alles dürfe. Abgesehen davon, dass dies Juristen vermutlich anders sehen, ist nicht alles Satire, wozu es die “Darf alles”-Fraktion erklärt. In diesem Spannungsfeld spielt der Streit um ein Webvideoformat des öffentlich-rechtlichen Angebots “funk”, bei dem sich Youtuber mehr oder weniger heftigen Hass-Kommentaren stellen müssen.

4. “Gedanken über meine Arbeit als Journalist in Verbindung mit der Autoindustrie”
(facebook.com, Don Dahlmann)
Der Journalist und Autor Don Dahlmann beschäftigt sich hauptsächlich mit den Themen Technologie, Internet und Mobilität. Ein Schwerpunkt: das Thema Auto. Auf Facebook hat sich Dahlmann seinen Frust über die diversen Skandale und den damit einhergehenden Vertrauensbruch von der Seele geschrieben: “Die Produkte der Autoindustrie, so dachte ich, sind doch keine zusammengepanschte Suppen, wo jemand wegen ein paar Zehntel Cent bedenkliche chemische Zusätze rein ballert. Dafür sind die Margen in der Industrie zu groß um wegen ein paar Euro so einen Blödsinn zu betrieben. Das lag ich wohl gründlich falsch.”

5. Im “Ghetto”
(der-rechte-rand.de, Ernst Kovahl)
Heute beginnt in Frankfurt die Buchmesse. Damit stellt sich, wie bereits in den vergangenen Jahren, die Frage, welche rechten Verlage und Autoren die Messe diesmal mit ihrer Anwesenheit beehren werden. Die Webseite “der rechte rand” berichtet, wer alles am Start ist: von Höcke bis Sarrazin.

6. Sensation! Postillon interviewt Großnichte des Schwippschwagers der Nachbarin von Hitlers Steuerberater
(der-postillon.com)
Nachdem “Bild” die Sensation gelungen ist, irgendwelche unschuldigen Menschen aufzustöbern, denen die Redaktion aufgrund verwinkelter Stammbaumverzeigungen den Namen “Hitler” verpasst hat, hat sich nun auch “Der Postillon” auf historische Spurensuche gemacht: “Hilda W. (71), die Großnichte des Schwippschwagers der Nachbarin von Hitlers Steuerberater wohnt zurückgezogen in einem unscheinbaren Reihenhaus in Dinslaken. Der Einfachheit halber nennen wir sie Hilda Hitler.”

“Bild” belästigt “letzte Hitlers”, die gar nicht Hitler heißen

Alexander Hitler heißt nicht Alexander Hitler, und dennoch nennen “Bild” und Timo Lokoschat ihn Alexander Hitler, denn andernfalls käme ihre Titelgeschichte von heute noch ein Stück dünner daher:

Ausriss Titelseite der Bild-Zeitung - Bild traf den Groß-Neffen in den USA - Letzter Hitler bricht sein Schweigen! Mit zweitem Namen heißt er Adolf

Ihre komplette Seite 3 hat die Redaktion für die Story freigeräumt:

Ausriss Bild-Zeitung - Was Alexander Hitler über Merkel und Trump denkt
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Bei Bild.de, dort hinter der Bezahlschranke, prangte sie heute lange Zeit ganz oben auf der Startseite:

Screenshot Bild.de - Bild traf den Groß-Neffen in den USA - Letzter Hitler bricht sein Schweigen! Mit zweitem Namen heißt er Adolf

Und auch online ist fast ausschließlich von Alexander Hitler die Rede, was — das möchten wir hier gern noch mal betonen — falsch ist, da der Mann, den Lokoschat und “Bild” aufgestöbert haben, gar nicht Alexander Hitler heißt: Er ist tatsächlich mit Adolf Hitler verwandt, um einige Ecken, laut “Bild”-Medien soll er dessen Großneffe sein. Aber den Nachnamen des Diktators trägt er nicht, hat er nie. Das schreibt auch Lokoschat:

Ihren Namen hat die Familie 1946 verändert. Zuerst in Hiller, später in einen englischen Doppelnamen.

Alexander wurde 1949 geboren. Und dennoch heißt es in dem Artikel unter anderem:

“DEAD END” steht auf dem Schild vor der Straße, in der Alexander Hitler wohnt.

Alexander Hitler lebt in einem Holzhaus

Gepflegt sind dafür die vielen Topfpflanzen, die hier stehen. Fleißiges Lieschen, Bartnelken, Eisbegonien, Funkien. Die amerikanischen Hitlers haben einen grünen Daumen.

Herr Hitler fährt Hyundai.

Er ist groß, zirka 1,85 Meter, trägt ein türkis-weiß-kariertes Hemd und eine beigefarbene Cargohose. Alexander Hitler.

“Deutsche Politik?”, wiederholt Alexander Hitler ungläubig und zieht die Augenbrauen hoch.

Und so weiter. Mehrere Dutzend Mal fällt der Name Hitler. Auch wenn seit 72 Jahren niemand mehr so heißt.

Zum Aufplustern der “Bild”-Titelgeschichte gehört auch: Es handelt sich gar nicht, wie auf Seite 1 behauptet, um den “letzten Hitler”. Es gibt noch mindestens zwei weitere — die allerdings auch nicht Hitler heißen. Bei den beiden Brüdern von Alexander, die wohl zusammenleben, stand Timo Lokoschat ebenfalls vor der Haustür. Einer von ihnen öffnete die Tür, schloß sie sehr schnell wieder, als der “Bild”-Mann sein Anliegen schilderte, und schaltete die Rasensprenger an. Viel deutlicher kann man nicht sagen: “Lass uns in Ruhe”.

Alexander sprach hingegen mit Lokoschat. Was aber nicht das rechtfertigt, was “Bild” und Bild.de mit ihm anstellen. Mal abgesehen von der hingebogenen Schlagzeile, penetrant genutzten falschen Nachnamen und den ganzen Belanglosigkeiten (Lokoschat klammert sich nicht nur an die bahnbrechenden Entdeckungen von grünen Daumen und Automarken, sondern auch an solche “kuriosen Zufälle”: “Kurioser Zufall: Die Nachbarin kommt aus Österreich!” Große Enttäuschung direkt im nächsten Satz: “Aber auch sie weiß nichts.”) ist das eigentlich Grässliche an dem Artikel: Das Eindringen in die Privatsphäre eines Menschen, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen; der nichts dazu beigetragen hat, dass die “Bild”-Redaktion sich für ihn interessieren könnte; der einfach nur das verdammte Pech hat, dass es sich bei einem entfernten Verwandten um eine der schlimmsten Personen der Menschheitsgeschichte handelt.

Und das gilt für Alexander genauso wie für seine zwei Brüder. Von dem einen — Alexander — haben “Bild” und Bild.de ein Foto veröffentlicht, ohne Verpixelung, das ganz offensichtlich aus größerer Entfernung aufgenommen wurde. Man sieht darauf noch den Maschendrahtzaun des Grundstücks, vor dem der Fotograf steht. Wir haben bei Lokoschat nachgefragt, ob der Mann wusste, dass er fotografiert wird, und ob er eingenwilligt hat, dass dieses Foto veröffentlicht wird. Der “Bild”-Redakteur wollte uns darauf nicht antworten.

Von den zwei Brüdern, von denen der eine Lokoschat per Rasensprenger deutlich gemacht hat, dass er nichts mit ihm zu tun haben will, haben die “Bild”-Medien eine Außenaufnahme des Hauses veröffentlicht. Zu ihnen steht im Text:

Sie sind die letzten Hitlers.

Das weiß in der 20 000-Einwohner-Stadt fast niemand.

Mit etwas Pech wissen es dort bald ganz viele. Die “Bild”-Redaktion feiert sich jedenfalls schon dafür, dass ihre Geschichte auch international Widerhall findet:

Screenshot Bild.de - So kommentiert die internationale Presse den Besuch bei den Hitler-Nachfahren

Bei Twitter erklärt Timo Lokoschat, dass er in seinem Text “aus Prinzip” nicht den richtigen Nachnamen von Alexander und dessen Brüdern (natürlich erst recht nicht in anonymisierter Form) verwendet hat:

Screenshot eines Tweets von Timo Lokoschat - Der Nachname ist eigentlich auch weithin bekannt, auch der Ort lässt sich leicht herausfinden. Wollte beides trotzdem aus Prinzip nicht hineinschreiben. Macht die Story nicht besser.

Was so eine Story offenbar “besser” macht: Leute immer wieder Hitler nennen, die gar nicht Hitler heißen und auch nicht Hitler heißen wollen, und Fotos von ihnen und ihren Häusern in Millionenauflage unter die Leute bringen. Julian Reichelt, der schon dann sauer wird, wenn jemand öffentlich nur sein Jahresgehalt schätzt, und dadurch seine Familie bedroht sieht, scheint kein Problem mit der Veröffentlichung all dieser Details zu haben.

An einer Stelle im Artikel steht zum Vater der drei von “Bild” besuchten Männer:

Den Fluch des schlimmsten Familiennamens der Weltgeschichte wollte er seinen Söhnen ersparen.

“Bild” und Timo Lokoschat wollen das offenbar nicht.

Dazu auch:

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Kurz korrigiert (512)

Jaja, schön und gut, der Marktwert von Amazon mag heute die Grenze von 1 Billion Dollar überschritten haben. Und bei Apple mag das schon vor einem Monat passiert sein.

Aber Google! Google war 2014 schon 397 Billionen Dollar wert. Das behauptet Bild.de jedenfalls seit gestern Abend:

2014 beträgt der Börsenwert 397 Billionen Dollar ∙ Viele Arbeitnehmer, die von Anfang an dabei waren, werden über Nacht Millionäre

Wir wissen nicht, wo die Redaktion ihre “Chronik” zum Google-Geburtstag abgeschrieben hat. Aber die Quelle dürfte englischsprachig gewesen sein. Und der anonyme Bild.de-Autor dürfte nicht gewusst haben, dass das englische “billion” im Deutschen “Milliarde” heißt, und das deutsche “Billion” im Englischen “trillion”.

Woher auch?

Mit Dank an Patrick B. für den Hinweis!

“Kontext”-Maulkorb, Rechtsdrehende Soundcloud, Fotografierverbot nötig?

1. Magazin “Kontext” wehrt sich gegen Maulkorb
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Die “Kontext Wochenzeitung” ist von einem Mitarbeiter eines AfD-Landtagsabgeordneten verklagt worden, über den das Magazin berichtet hatte, weil er in einem Chat rechtsradikale Nachrichten geschrieben haben soll. Nun will der AfD-ler erreichen, dass entsprechende Berichte anonymisiert oder aus dem Netz genommen werden. Der “Deutschlandfunk” hat mit “Kontext”-Anwalt Markus Köhler über den Prozess gesprochen. Seine Erwartung an das Urteil: “Nun ja, das Gericht wird aus unserer Sicht klarstellen, dass Menschen, die im Landtag politisch arbeiten, sich der öffentlichen Diskussion stellen müssen.”
Weiterer Lesetipp zum Thema: Verdacht im Chat (SZ.de, Wolfgang Janisch) mit einer Prognose des zuständigen Richters, der es für möglich hält, dass es nach dem heute erwarteten Urteil noch lange weitergehen könnte. Eine mögliche BGH-Entscheidung prognostiziert er für das Jahr 2025.

2. Soundcloud ist voll von rechtsextremer Musik und verfassungsfeindlichen Symbolen
(motherboard.vice.com, Nico Schmidt)
“Motherboard” hat auf Soundcloud massenhaft rechtsextreme Musik und verfassungsfeindliche Symbole entdeckt. Der Vorwurf an den Musikstreamingdienst: Er entferne zwar gesetzeswidrige Inhalte, gehe aber nicht proaktiv gegen sie vor. Man habe Soundcloud gefragt, warum dort nicht Filter dafür sorgen, dass zweifelsfrei verbotene, indizierte Lieder wie das Horst-Wessel-Lied gar nicht erst hochgeladen werden können, jedoch keine Antwort erhalten.
Dazu thematisch passend: Bann gegen Hassrede: Spotify nimmt Alex Jones aus dem Programm (faz.de).

3. Gefährliche kremlkritische Recherchen
(taz.de, Simone Schlindwein)
Im Auftrag des vom kremlkritischen Oligarchen Chodorkowski finanzierten Zentrums für Recherchemanagement (ZUR) reisten drei erfahrene russische Reporter in die Zentralafrikanische Republik. Ihr Vorhaben: Material über die dubiose russische Sicherheitsfirma PMC Wagner sammeln, die unter anderem eine Söldnerarmee unterhält. Bei einer nächtlichen Autofahrt gerieten die Reporter in einen Hinterhalt und wurden erschossen. Zentralafrikanische Quellen nennen Raub als Motiv, kremlkritische russische Journalisten spekulieren über andere Gründe.

4. Migration: So will das Auswärtige Amt Menschen von der Flucht nach Deutschland abbringen
(netzpolitik.org, Chris Köver)
Mit der Website “Rumours about Germany” will die Bundesregierung Migranten aufklären und die Gerüchte der Schlepper richtigstellen. Um Abschreckung ginge es dabei ausdrücklich nicht, so die Bundesregierung. Netzpolitik.org berichtet nun von internen Konzepten, die Gegenteiliges vermuten lassen: Die Kampagne verfolge sehr wohl das Ziel, Menschen von der Flucht abzubringen oder zur Rückreise zu bewegen — auch mit Hilfe von Influencern.

5. Universalcast #10: Warum Radio manchmal doch besser ist als Spotify
(soundcloud.com/cjakubetzuser, Christian Jakubetz, Audio, 30:46 Minuten)
Im Rahmen seines “Universalcasts” hat sich Christian Jakubetz mit zwei Radio-Profis unterhalten: der Radio-Legende Werner Reinke (HR1) und Marion Kuchenny, einer der bekanntesten Frauen der aktuellen HR-Moderatorinnen-Riege. Es geht um das Radio von heute und das der Zukunft. Und die Frage, warum Radio manchmal doch besser ist als Spotify.

6. Fordert der Datenschutz ein Fotografierverbot auf Schulfesten?
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Berufen sich Schulen und Kindergärten zu Recht auf die DSGVO, wenn sie zum Beispiel ein Fotografierverbot auf Schulfesten aussprechen, wie jüngst geschehen? IT-Rechtler Thomas Stadler erklärt in einem kurzen Blogbeitrag die Rechtslage.

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