Suchergebnisse für ‘foto opfer’

Die Anschläge von Paris in den Medien – eine Linksammlung

In den vergangenen Tagen gab es reichlich Kritik an den deutschen TV-Sendern und ihrer Berichterstattung über die Anschläge in Paris. Viel zu spät seien sie gewesen, hieß es in den sozialen Medien, statt Live-Schalten zu Korrespondenten habe es lange Zeit nur Fußballzusammenfassungen und Krimis gegeben. Es meldeten sich aber auch Fürsprecher, die sagten, die Ruhe und das Sich-Zeitnehmen seien genau richtig gewesen.

Wir haben einige Beiträge zu der Diskussion gesammelt.

***

Eine größere Übersicht, “wie das Fernsehen über den Terror in Paris berichtet”, bieten Markus Ehrenberg und Joachim Huber auf tagesspiegel.de

***

Terrorismus in Paris — und eine unerfüllbare Anspruchshaltung
(udostiehl.wordpress.com)
Udo Stiehl bloggte noch in der Nacht von Freitag auf Samstag, dass er “so viele absurde Forderungen” noch nie gelesen habe: “Wirklich schockierend waren neben den stetig steigenden Opferzahlen in den Meldungen die Reaktionen, die auf Twitter formuliert wurden. Es entstand eine Erwartungshaltung gegenüber der übertragenden ARD und auch den Medien insgesamt, die schlicht nicht mehr realistisch ist.” Sein Kernargument: Seriöser Journalismus brauche Zeit.

Paris und die Medien: Warum Journalisten nicht so schnell sind wie die Wirklichkeit
(stefanfries.tumblr.com)
Stefan Fries unterstreicht und ergänzt Udo Stiehls Gedanken: “Das Bizarre war in diesem Fall, dass das Ereignis nebenan passierte und sogar im Stadion hörbar war. Daraus resultierte vermutlich die Vorstellung, die Kameramänner im Stadion könnten mal eben nach draußen laufen und dort Aufnahmen machen. Allerdings ist es weder technisch noch journalistisch so ohne Weiteres möglich, von einer Fußballübertragung auf die sogenannten Elektronische Berichterstattung (EB) umzuschalten. Auch Sportjournalisten sind zwar Journalisten, aber in der Regel weder Experten für Terror noch kennen sie sich an den Orten aus, von denen sie über Fußball berichten. Zumal man ihnen aus Sicherheitsgründen auch nicht zumuten kann, an die Tatorte von laufenden Terrorangriffen zu kommen.” Im Medienmagazin “Breitband” spricht Fries darüber, wie beim “Deutschlandfunk” mit der Situation umgegangen wurde (ab Minute 4:20).

Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right
(journalismus-handbuch.de, Paul-Josef Raue)
Paul-Josef Raue reagiert ebenfalls auf Udo Stiehls Blogeintrag (er macht Stiehl versehentlich zum “Tagesschau-Sprecher” und seine Website versehentlich zum “Tagesschau-Blog”), allerdings kritischer: “Stiehls Hinweis ist richtig: Das Fernsehen lebt von Bildern. Nur: Wenn es die nicht gibt, reichen Sätze, als Laufband ins laufenden Programm eingeblendet, so wie es an Wahlabenden passiert, wenn der Ausgang unklar ist und der ‘Tatort’ läuft.”

“Was ich hier sage, sind Vermutungen”
(blogmedien.de, Horst Müller)
Horst Müller schreibt über die “Hilf- und Rat­lo­sig­keit öffentlich-rechtlicher Kor­re­spon­den­ten in Krisensituationen”. Er liefert eine Komplettabschrift des Gesprächs zwischen Susanne Daubner und Ellis Fröder in der “ers­ten Tagesschau-Sondersendung am spä­ten Frei­tag­abend”, die seiner Meinung nach zeige: “Wenn die ‘Mut­ter aller deut­schen Fern­seh­nach­rich­ten’ als erste Son­der­sen­dung nach der­ma­ßen dramatischen Ereignissen wie am Frei­tag­abend in Paris, ledig­lich ein sechs Minu­ten lan­ges Geplän­kel zweier in die­ser Situa­tion offensichtlich über­for­der­ter Fern­seh­frauen zustande bringt, dann ist das schon fast eine Bank­rott­er­klä­rung gegen­über den Zuschauern.” Felix Schwenzel antwortet (siehe letzer Link): “ich finde das gespräch, im gegenteil zu horst müller, allerdings beispielhaft gut: keine spekulationen, bzw. vermutungen klar als solche kennzeichnen, keine übereiligen schlussfolgerungen, dafür aber ein paar hintergründe die als gesichert gelten können.”

Medien in Extremsituationen: Abwarten? Live drauf?
(falk-steiner.de)
Falk Steiner findet, das Warten von ARD, ZDF, n-tv und N24, “bis die Studioschminke sitzt, bis die Korrespondenten anrufbar sind”, lasse die Zuschauer allein: “Es muss nicht jede aufgeregte Meldung aufgegriffen werden. Aber soll Journalismus die Menschen nicht genau dann erreichen, wenn sie sich Fragen stellen? Ich meine: ja.”

Paris
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff könnte sich für den Ernstfall und bei unklarer Nachrichtenlage “eine Vertrauensperson” vorstellen, die im TV auch mal sagen könne, dass sie nichts wisse, aber immerhin da wäre: “Vielleicht wäre es für alle Sender richtiger, sich nicht nur als reines Informationsmedium zu begreifen, sondern auch als zentrales Lagerfeuer, an dem jemand sitzt und einfach redet, eine kluge Frau, ein weiser Mann, eine Vertrauensperson.”

Wie ich die Attentate von Paris in der heute+ Redaktion erlebte
(danielbroeckerhoff.de)
Daniel Bröckerhoff erwartete am Freitagabend eine ruhige Moderation von “heute+”, dann die ersten Eilmeldungen, komplette Programmumplanung und zweieinhalb Stunden Livestream: “Als ich im Auto sitze fühle ich mich als hätte ich gerade eine Breaking-News-Simulation mit VR-Brille gespielt. Ist das heute Abend wirklich passiert?”

ARD-Mann Bartels: “Mir haben die Knie gezittert”
(sueddeutsche.de, Filippo Cataldo)
Filippo Cataldo wundert sich, dass das Erste am Freitagabend lange Zeit weiter aus dem Stade de France berichtete, während im ZDF, bei n-tv und N24 bereits Sondersendungen liefen: “Und in der ARD? Wurde man das Gefühl nicht los, dass die Sportreporter da ziemlich im Stich gelassen wurden von der Zentrale und den News-Spezialisten. Während des Spiels war nicht mal ein Lauftext mit Hinweis auf die Attentate eingeblendet worden. Auch innerhalb des Senders gab es dafür Kritik.”

Zum Menschen werden
(faz.net, Tobias Rüther)
Tobias Rüther resümiert den TV-Abend (und die TV-Nacht) im Ersten und denkt über die medienkritischen Fragen bei Twitter nach, was denn die ARD da mache: “Sportfritzen, really? Aber man sitzt nur da und denkt: Quatsch, Leute, schaut doch nur mal in die Gesichter von Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl — aus denen etwas gewichen ist, was sonst immer da ist; jetzt steht in diesen Gesichtern etwas geschrieben, was sie selbst gar nicht in Worte fassen können, obwohl sie ständig darum gebeten werden.”

Wenn die Realität den Journalisten überholt
(ksta.de, Joachim Frank)
Joachim Frank über die “schier nicht zu stämmende Herausforderung” für Printjournalisten, die Ereignisse von Freitagnacht “umfassend in der Samstagsausgabe abzubilden”, und Produktionsbesonderheiten beim “Kölner Stadt-Anzeiger”: “Wir möchten unsere Leser so aktuell wie möglich informieren. Aber auch glaubhaft, durch seriöse Quellen bestätigt. Die vorschnelle Weitergabe ungeprüfter Informationen, die sich im Minutentakt überschlagen – das kann und darf unsere Sache nicht sein.”

DJV dankt Journalisten
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der DJV-Vorsitzende Frank Überall findet, die Medien hätten “eine großartige Leistung” gezeigt: “‘Die Journalistinnen und Journalisten haben sich bewusst die Zeit genommen, um das zu tun, was ihre Aufgabe ist: sauber recherchieren'”.

Durch die Nacht mit dem Wolf
(taz.de, Jürn Kruse)
Jürn Kruse schaut sich an, wie CNN, Moderator Wolf Blitzer und die ihm zugeschalteten Experten die Anschläge in Paris zu einer Livesendung verwursten: “In einer Folge der Fernsehserie ‘Die Simpsons’ fragt der Nachrichtensprecher Kent Brockman einen Experten: ‘Würden Sie empfehlen, dass alle in Panik geraten?’ Man hielt diese Frage aus dem Mund Blitzers an diesem Abend nicht für ausgeschlossen. Der Experte bei den Simpsons antwortet übrigens: ‘Allerdings, Kent.’ Man hielt diese Antwort aus dem Mund des CNN-FBI-CIA-Experten für ebenso wenig ausgeschlossen.”

News Media Scrambles to Cover Paris Shootings
(nytimes.com, John Koblin, englisch)
John Koblin fasst zusammen, wie die US-Sender CNN, Fox News und MSNBC aus Paris berichteten: “For news organizations, one difference between the Paris attacks and breaking stories like the racial unrest in Ferguson, Mo., or Baltimore was the ability to send out a wide team of reporters instantly. That was far more difficult in this case, as the organizations had to rely on foreign networks for video feeds in the early hours. Even showing messages from social media was difficult because many of the initial postings on Twitter and Facebook were in French.”

Kommentar: Gerüchteküche soziale Medien
(indertat.info, Mika Beuster)
Mika Beuster mit einigen Beispielen von verbreiteten falschen Infos in den sozialen Medien und dem Fazit: “Professioneller Journalismus und traditionelle Medien werden gebraucht. Verlässliche, nüchterne und einordnende Informationen, die aber nicht zynisch oder unempathisch aufbereitet werden, sind gerade in Krisenzeiten wichtig, damit sich die Öffentlichkeit ein Bild machen kann. Wer sich am Freitagabend nur über soziale Medien über die Geschehnisse in Paris informiert hat, lief Gefahr, ein recht schiefes Bild zu erhalten.”

Die Macht und Gefahr der sozialen Medien im Angesicht des Terrors
(felixbeilharz.de)
Felix Beilharz über die Vor- und Nachteile der sozialen Medien in extremen Situationen wie Freitagnacht: “In jedem Fall hat der Tag gezeigt, welche Rolle die sozialen Medien für unsere Gesellschaft spielen. Als Kanal für Information, Hilfe und Berichterstattung — aber auch für Missinformation, Verängstigung und im schlimmsten sogar zur Unterstützung der Ziele der Terroristen.”

#Paris: The power, the horror, and the distortions
(bbc.com, Dave Lee, englisch)
Dave Lee über “the power”, “the horror” und “the lies” der sozialen Medien in Krisensituationen: “But during a crisis social media becomes the single most significant platform for news to be spread, eyewitness experiences to be shared and official statements to be made. And inevitably, these same channels amplify misinformation, allowing rash judgements and prejudices to boil to the surface, fuelling fear and ignorance.”

Darf ich mich weigern bestimmte Dinge sehen zu wollen
(dasnuf.de, Patricia Cammarata)
Patricia Cammarata schreibt über sich selbst, sie sei “empfindlich. Sehr.” Und: Es gebe Dinge, “die will ich persönlich nicht sehen. Denn ich brauche sie nicht, um Empathie zu empfinden. Ich brauche sie nicht, um mir vorzustellen, wie schlimm bestimmte Ereignisse sind. Meine abstraktes Vorstellungsvermögen war bislang ausreichend.” Felix Schwenzel antwortet Cammaratas Frage, ob sie sich weigern dürfe, bestimmte Dinge sehen zu wollen: “du darfst. du sollst. du kannst.”

Paris. Paris.
(anneschuessler.com)
Anne Schüßler zog sich nach all den Nachrichten in klassischen und sozialen Medien zurück, kochte Gulasch und hörte Hörbücher: “Geredet habe ich über die Anschläge mit meinem Mann und den Menschen im Techniktagebuchredaktionschat, denn irgendwo musste es hin, aber es wollte dieses Mal nicht in die Öffentlichkeit. Die schnelle Berichterstattung voller Gerüchte und Annahmen, die ich schon am Abend vorher auf Twitter mitbekam und die mich zwei Stunden nicht losließ, war mir zu viel.”

Je suis … moi — über die Ehrlichkeit der Anteilnahme
(stern.de, Micky Beisenherz)
Micky Beisenherz über ein selbstverordnetes 24-Stunden-Schweigegelübde sowie den verlockenden “Klickkuchen”. Und über Markus Söder, Matthias Matussek und all die anderen, die “ihr Gift ins Netz” twittern: “Es gibt sie nicht mehr, die kurze Zeit des Luftanhaltens, ja, Schnauzehaltens. Noch in das kollektive Entsetzen hinein fangen die ersten an, das Unfassbare auszuschlachten, für ihre Anteilnahme umzumünzen, Stimmung zu machen. Sie werfen Hashtags aus wie Schleppnetze für ihre zersetzenden Gedanken.”

***

Und zum Abschluss noch ein Hinweis: Die “New York Times” hat ihre Paywall geöffnet und bietet die “coverage of Paris attacks” nun kostenlos an. Die “NZZ” hat nachgezogen.

Update, 17. November: Es sind noch ein paar Links dazugekommen:

Trauernd am Lagerfeuer
(zeit.de, Lenz Jacobsen)
Lenz Jacobsen über “fünf Stunden Terror-Sondersendungen mit ARD und ZDF”: “Heute, Tagesschau, Sondersendungen, Plasberg, Tagesthemen, Illner: Wer am Samstagabend ein paar Stunden zusah, wie ARD und ZDF die Ereignisse vom Vorabend zu verarbeiten versuchten, traf auf eine merkwürdige Mischung aus Informationsvermittlung und Trauerritual, aus Bericht und Beschwörung.”

Säbelrasseln auf Papier
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm schreibt, dass die Berichterstattung mit ihren Eilmeldungen und Livetickern längst “Teil des Terrors geworden” sei: “Aber auch handwerkliche Standards leiden. Im hyperventilierenden Onlinegeschäft geht es um Minuten. Da verwischt schon mal die Genauigkeit, da muss schon mal das Zweiquellenprinzip leiden, da werden Kleinigkeiten zu Nachrichten aufgeblasen, und da nimmt man es nicht so genau mit der journalistischen Aufgabe der Reduktion von Komplexität.”

Presserat: 60 Beschwerden gegen “Bild”-Bericht
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Sonja Álvarez über ein Foto aus dem Bataclan, das “Bild” und Bild.de veröffentlicht haben — wofür bereits 60 Beschwerden beim Deutschen Presserat eingegangen seien: “Wer das Bild gesehen hat, bekommt es nur schwer wieder aus dem Kopf, es zeigt den Musikclub ‘Bataclan’ nach den Anschlägen am Freitag in Paris: Leichen liegen auf dem Boden, Blutlachen finden sich neben ihnen und auf dem ganzen Boden. Alle großen deutschen Medien haben sich gegen eine so explizite Darstellung entschieden, die “Bild”-Zeitung aber hat das Foto am Montag auf ihrer zweiten Seite gedruckt. Offensichtlich zum Entsetzen vieler Leser. ”

Liberale im Krieg
(tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Constantin Seibt schreibt mit Blick auf zwei Leitartikel aus der Chefetage, die “NZZ” zeige nach den Attentaten in Paris, dass sie ihre liebralen Wurzeln verloren habe: “Wenn etwas noch gefährlicher ist als fremde Terroristen, sind es die eigenen Liberalen. Sie haben Kopf und Kompass verloren. Und sie haben vergessen, wo sie herkommen.”

ARD-Aktuell-Chef verteidigt Paris-Berichterstattung
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Kurt Sagatz mit einer Stellungnahme von ARD-Aktuell-Chef Kai Gniffke: “Kritik hatte es vor allem daran gegeben, weil das Erste am Freitagabend sogar auch dann noch vom Fußball-Freundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland berichtet hatte, als die ersten Anschläge bekannt geworden waren. ‘Es hat eine sehr intensive Diskussion darüber geben, ob es in der ersten Stunde richtig war, im Fußballstadion zu bleiben, dort wo alles begann. Ich habe das nachhaltig am Freitagabend unterstützt, denn nirgendwo war, meiner Meinung nach, in diesen Moment authentischer der schockierte Zustand dieser Stadt zu transportieren, als in diesem Stadion’, sagte dazu nun Kai Gniffke.”

Mit “Borsalino” gegen den Weltuntergang
(persoenlich.com, Matthias Ackeret)
Matthias Ackeret wundert sich über das Fernsehprogramm des SRF am Freitagabend: “Als am Freitag in Paris der ‘Krieg’ ausbrach, handelte das Schweizer Fernsehen standesgemäss. Es sendete die französische Gaunerkomödie ‘Borsalino’ mit den Staatshelden Belmondo und Delon. Französischer geht es nicht. Zugegeben: Das mag angesichts der grauenhaften Ereignisse in Paris zynisch klingen. Aber die Informationsleistungen der einzelnen Medien kann man an solchen Tagen messen. Das gute alte CNN machte einen hervorragenden Job, viele andere Sender mit ihren Sonderprogrammen auch. Nicht zu vergessen die privaten Internetdienste, die bei solchen Ereignissen zu Höchstleistungen auflaufen. Aber ‘Borsalino’? Hallo SRF!”

Too little too late: The horror of Paris proves the media need to debunk rumours in real time
(medium.com, First Draft, englisch)
First Draft findet, es müssen einen “live ‘service'” geben “where debunking happens in real-time on Facebook, Twitter, and Instagram”: “Certainly, around these events, there have been more efforts by news organisations to debunk information than I’ve seen previously. In the 24 hours after the Paris attacks, I counted at least five articles with titles along the lines of ‘The online rumours about Paris you shouldn’t believe’. (…) While I don’t want to be churlish, this isn’t good enough. These reflective round-up pieces published after the fact are too late.”

Wenn Terrorismus zu Social-Media-Terror führt
(blog.gilly.ws, Gilly)
Gilly beschreibt die typischen fünf Stufen der “Empörungs- und Fehlinformations-Maschinerie” in den sozialen Medien: “Ein kurzer Blick auf Twitter und Facebook offenbarte: da ist wieder der gleiche Mist am Laufen, wie immer bei solchen Vorkommnissen. Ich will das hier mal am Fall der Pariser Terrorattacken aufdröseln, grundsätzlich passiert das aber genau in dieser Form bei jeder Katastrophe.”

Satirezeitschrift “Charlie Hebdo”: “Sie haben die Waffen. Wir den Champagner!”
(spiegel.de)
“Spiegel Online” über die morgen erscheinende Titelseite von “Charlie Hebdo”, auf der die Satirezeitschrift Bezug auf die Attentate in Paris nimmt: “Sie zeigt einen tanzenden und trinkenden Franzosen, dessen Körper von Kugeln durchsiebt ist. Dazu der Text: ‘Sie haben die Waffen. Aber Scheiß drauf, wir den Champagner!'”

Update, 19. November:

“Ich steh direkt hinter den Polizisten mit gezogener Waffe”: Der Terror-Porno des “Stern”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier über ein Video von “Stern”-Reporter Philipp Weber, der mit seinem Handy Polizisten verfolgt, als die gestern mit gezogener Waffe durch den Pariser Vorort Saint-Denis jagen: “Nichts erfährt der Zuschauer aus diesem Video darüber, was hier los war, wer von den Polizisten gesucht wurde und warum, ob die Situation wirklich so gefährlich war oder warum womöglich nicht. Es ist ein reiner Terror-Porno, den der ‘Stern’ seinen Zuschauern zum gemeinsamen Aufgeilen zur Verfügung stellt.”

Kriegs-Headlines nach #ParisAttacks
(ndr.de, Sinje Stadtlich, Bastian Berbner und Janina Kalle, Video, 6:50 Minuten)
“Zapp” schaut auf französische und internationale Schlagzeilen, in denen aktuell häufig das Wort “Krieg” zu lesen ist: “Alle Welt berichtet. Aber schießen die Medien beim Abbilden und Bewerten der Taten übers Ziel hinaus? Der ‘Figaro’ schreibt von ‘Krieg mitten in Paris’, viele andere Zeitungen ziehen mit. Auch international ist in Medien von Krieg die Rede. Sachliche und kritische Berichterstattung ist schwer in Extremsituationen, doch wichtig.”

Exklusiv: Die Stunde der Kreiszeitung
(meyview.com, Olaf Meyer)
Olaf Meyer mit einer Dokumentation der Exklusiv-Nachricht der “Kreiszeitung” (und den Reaktionen darauf), dass am Dienstagabend vor dem Stadion in Hannover ein “Rettungswagen mit Sprengstoff” entdeckt worden sei.

Was jetzt passiert und sofort berichtet wird
(konradlischka.info)
Konrad Lischka blickt — mit einer Kolumne von Sascha Lobo im Hinterkopf — auf die Berichterstattung von gestern und sieht überall nur Polizisten im Einsatz: “In der Wucht der Berichterstattung wirkt diese Verengungen auf Polizeieinsätze wie die von Lobo gemeinte Abkürzung. Es geht jetzt sofort und zeigt eine Reaktion und Handlungsbereitschaft. Die Ursachen und die lösbaren Probleme analysiert das nicht.”

Nach den Pariser Anschlägen: Zensiert sich das Fernsehen selbst?
(blog.ekkikern.com)
Ekki Kern kann nicht nachvollziehen, warum auf der einen Seite von überall zu hören ist, “dass es gerade jetzt wichtig sei, so weiterzumachen wie bisher”, auf der anderen Seite Fernsehsender Thriller mit Terror-Bezug rigoros aus dem Programm nehmen und das mit dem “Respekt vor den Opfern” der Anschläge in Paris begründen: “Ich bin der Meinung, dass jeder, der bereits im Akt der Ausstrahlung eines solchen Films Respekt gegenüber Opfern vermissen lässt, die Wahl hat, den Sender zu wechseln. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass kaum jemand das tun würde.”

Das war Nachrichten-Fernsehen wie vor 30 Jahren — einfach schlecht
(stern.de, Jens Maier)
Jens Maier hat am Dienstagabend, als in Hannover die Absage des Fußballländerspiels bekannt wurde, Fernsehen geguckt und findet, die “Öffentlich-Rechtlichen haben an diesem denkwürdigen TV-Abend versagt”: “Liebes ZDF, das war Nachrichten-Fernsehen wie vor 30 Jahren — einfach schlecht. Während die kleinen Nachrichtensender N-TV oder N24 seit kurz vor halb acht, also seit Bekanntwerden der Spielabsage, live aus Hannover berichten und Reporter in unmittelbarer Nähe des Stadions live zugeschaltet sind, zeigen die Mainzer mit ihrer Schar an Mitarbeitern vor Ort, eine Sportmoderatorin im Studio vor einem Archivfoto. Das wirkt nicht nur wie aus der Zeit gefallen, sondern ist es auch. Nur in HD.” Maiers Kollege Carsten Hedböhmer sieht das anders.

CNN anchor blames French Muslims for failure to prevent attacks
(washingtonpost.com, Erik Wemple, englisch)
Erik Wemple über zwei CNN-Moderatoren, die Yasser Louati, einen Vertreter eines Kollektivs gegen Islamophobie, fragen, warum die muslimische Community nichts gegen die Attentäter von Paris gemacht hätte: “In the year 2015, a Muslim rep hearing that question would be excused for simply unplugging from the interview and allowing the host to languish in his own ignorance. Louati, however, did his best to combat bigotry”.

Did the media ignore the Beirut bombings? Or did readers?
(vox.com, Max Fisher, englisch)
Max Fisher reagiert auf die Vorwürfe (samt falschem Explosionsfoto) in den sozialen Medien, über das Attentat in Beirut hätte niemand berichtet, und dreht den Spieß um: Nicht die Medien hätten die Geschichte ignoriert, sondern die Leser, Zuhörer und Zuschauer: “Yet these are stories that, like so many stories of previous bombings and mass acts of violence outside of the West, readers have largely ignored. It is difficult watching this, as a journalist, not to see the irony in people scolding the media for not covering Beirut by sharing a tweet with so many factual inaccuracies — people would know that photo was wrong if only they’d read some of the media coverage they are angrily insisting doesn’t exist.”

“Was ist mit Beirut?”: Viele Tote ≠ viel Berichterstattung — es kommt darauf an, wo es passiert
(watson.ch, Leo Helfenberger)
Leo Helfenberger ist in den sozialen Medien ebenfalls auf zahlreiche Klagen gestoßen, dass über die Anschläge in Paris extrem ausführlich berichtet werde, über die in Beirut hingegen kaum. Das nahm er zum Anlass mal auszuzählen, wie ausführlich in der Schweiz “über 10 schreckliche Ereignisse” (von den Anschlägen in Mumbai bis Srebrenica) berichtet wurde.

Jetzt kommen wir!
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Markus Ehrenberg mit einer Vorschau auf anstehende Satiresendungen und der Frage, ob “jetzt Witze über Hass und Gewalt sein” dürfen: “Die Satiresendung ‘Die Anstalt’ lief bereits am Dienstagabend wieder nach Plan. Komiker Alfons ging darin auf den Terror von Paris ein. ‘Satire möchte Bezug auf die aktuelle politische Entwicklung nehmen’, sagt ein ZDF-Sprecher. ‘Deshalb versuchen wir in allen Formaten angemessen auf die Situation nach den Anschlägen zu reagieren.’ Der Chefredakteur des Satiremagazins ‘Titanic’, Tim Wolff, betont: ‘Satiriker dürfen in Zeiten des Terrors so weit gehen, wie sie es für angemessen halten, aber nicht so weit wie Terroristen.'”

IS bedankt sich bei Medien für Hilfe bei Verbreitung von Angst und Schrecken
(der-postillon.com)
“Der Postillon” hat exklusiv die neueste Videobotschaft des sogenannten “Islamischen Staats” gesehen, in der die Terrormiliz sich ausgiebig bei deutschen und europäischen Medien bedankt: “Einen besonderen Dank sprach der IS-Kämpfer an Bild.de aus. ‘Der gesamte obere Teil der Seite ist für uns reserviert. Überschrift: ‘Terror-Angst in Europa’ Danke! Vielen Dank! Schöner hätten wir das nicht formulieren können.'”

Update, 24. November:

ARD World Service
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm geht in Anbetracht der Berichterstattung über die Anschläge in Paris der Frage nach, ob “wir einen öffentlich-rechtlichen 24-Stunden-Nachrichtensender” brauchen: “Hätte in dieser Situation nicht ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtenkanal geholfen? Ein Sender, der auf das weltweite Korrespondentennetz zugreifen kann, dessen Moderatoren geschult sind, schnell und souverän zu reagieren, und der live gehen kann, sobald in der Welt etwas passiert. Die BBC hat so einen Sender: BBC World Service. In den USA gibt es CNN. In der arabischen Welt Al-Dschasira. In Frankreich France24, in Israel I24. Warum leisten sich die Öffentlich-Rechtlichen so einen Kanal nicht?”

Im Interview die Pariser Journalistin Suzanne Krause
(br.de, Daniel Ronel, Audio, 7:07 Minuten)
Daniel Ronel spricht mit der “Pariser Journalistin” Suzanne Krause über die Reaktionen der französischen Medien auf den Terror in Paris.

Lektionen in Hasspropaganda
(erbloggtes.wordpress.com)
“Erbloggtes” hat sich einzelne Berichte aus Israel und Palästina zu den Attentaten in Paris angeschaut und leitet aus den darin konstruierten “Wir” und “Die” einige “Lektionen in Hasspropaganda” ab: “Erlaubt es ein Blick in fremde Deutungen der Pariser Anschläge, besser wahrzunehmen, was bei der Betrachtung der eigenen Deutungen verborgen bleibt? Dies soll hier unternommen werden, und zwar ausgehend von Deutungen aus Israel/Palästina über amerikanische bis hin zu deutschen Interpretationen von ISIS, seinen Gegnern und seinen Verbündeten.”

Neue Töne von der Falken-Strasse
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Nick Lüthi liest einen Kommentar von “NZZ”-Chefredakteur Eric Gujer und bemerkt, dass “der Begriff der Freiheit kein einziges mal” vorkomme, “Sicherheit dagegen sechs mal”: “Wenn Eric Gujer beim Amtsantritt angekündigt hatte, das liberale Profil der NZZ schärfen zu wollen, dann lag die Betonung wohl stärker auf schärfen und weniger auf liberal.”

Die NZZ ruft zum Krieg der Religionen auf
(infosperber.ch, Christian Müller)
Christian Müller über einen “NZZ”-Feuilleton-Artikel, der “von Einseitigkeit, Einäugigkeit, von historischer Verkürzung und Simplifizierung” strotze: “Der nicht etwa als Gastbeitrag auf der täglichen Seite ‘Meinung & Debatte’ abgedruckte, sondern als Feuilleton-Seitenaufmacher platzierte Leitartikel von Necla Kelek schliesst mit dem Satz: ‘Es besteht kein Generalverdacht gegen die Muslime, aber die Unschuldsvermutung gilt auch nicht mehr.’ Eine juristische Glanzleistung. Es ist zu befürchten, dass auch die Unschuldsvermutung gegenüber der NZZ-Redaktion nicht mehr angezeigt ist. Oder in Necla Keleks bildhaften Worten: Die NZZ ist — mittlerweile — ein rauchender Colt.”

Hört auf mit dem Terror-Porno
(ankerherz.de, Stefan Kruecken)
Stefan Kruecken über “eine durchgedrehte Medien-Welt”, die sich darin überbiete, die Angst vor Terror weiterzutreiben: “Gut für die Auflage, gut für die Klick-Zahl. Aber sonst? Wenn die Satire-Seite ‘Postillon’ vermeldet, dass sich der IS für die Verbreitung von Angst und Schrecken bedankt, kann man darüber kaum noch lachen. Es ist leider wahr.”

Gedanken zu Terror: Angst. Macht. Sprache.
(blog.patrickbreitenbach.de)
Patrick Breitenbach schreibt ebenfalls über die Verstärkerfunktion der Medien: “Seit einer Woche ist ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt und zwar mit Hilfe von Taten, Worten und Bildern. Die Tat an sich ist minimal im Vergleich zu den schrecklichen Taten, die in aller Welt stattfinden. Der Aufwand der Tat war minimal und doch so gewählt, dass der Transport der Tat durch Sprache und Bilder eine maximale Dimension annehmen konnte.”

Medien, Polizei und die Inszenierung des Terrorismus
(zeit.de, Yassin Musharbash)
Yassin Musharbash in einer Rede über die Dilemmata (“In der Tat sind Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit der Sauerstoff des Terrorismus. Und mehr als jede andere Gruppe entscheiden Journalisten über die Verteilung dieser beiden Ressourcen.”) und Maxime (“Auch unter Einsatz weniger signifikanter Ressourcen und geringerer Gefahren sind solche Geschichten machbar. Die Erkenntnis ist in jedem Fall dieselbe: Das Gegengift zu Propaganda und Inszenierung lautet Recherche.”) der Terrorismus-Berichterstattung.

Die Terror-PR-Falle
(breitband.deutschlandradiokultur.de, Katja Bigalke, Audio, ab Minute 4:40)
Katja Bigalke spricht mit “Zeit”-Redakteur Yassin Musharbash über die Problematik, die eine ausgiebige Terror-Berichterstattung birgt.

Seltsame Szenen aus der Terror-News-Welt
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler beschreibt “seltsame Szenen” rund um die Berichterstattung über die Paris-Attentate (von 1000-Euro-Forderungen von Hobbyfilmern bis zu Artikeln über die Trauer in den sozialen Netzwerken über einen erschossenen Polizeihund): “Anhand von tragischen Ereignissen kann man auch Wegmarken der Medienentwicklung setzen. Als vor zehn Jahren islamistische Extremisten Anschläge auf die U-Bahn in London verübten, waren wohl erstmals auf den Titelseiten der Presse Fotos zu sehen, welche Passanten mit ihren Mobiltelefonen gemacht hatten. Was damals aussergewöhnlich war, ist inzwischen Alltag. Massenmedien und soziale Netzwerke sind in dauernder Interaktion — zur Unterhaltung, zur Leserbindung. Manchmal sogar zugunsten der Information.”

Sofort so nah
(sueddeutsche.de, Johannes Boie)
Johannes Boie sieht in Periscope-Live-Reportagen und den Dauernachrichten in sozialen Medien ethische Fragen auf die Rezipienten (und die Medien) zukommen: “Die ständige Präsenz von Handys wird in naher Zukunft dafür sorgen, dass ein Anschlag oder eine Geiselnahme aus Opfer- oder Täterperspektive live oder nur wenig verzögert ins Netz übertragen wird. Und dann? Zuschauen? Wegschauen? Es ist nicht die einzige medienethische Frage, vor die einen die technische Entwicklung der Medien stellt.”

Was sollen denn die Kinder denken?
(faz.net, Ursula Scheer)
Ursula Scheer über einen (inzwischen zurückgezogenen) “Logo!”-Beitrag, der Kindern die Anschläge von Paris erklären soll: “Wenn dieser Beitrag etwas lehrt, dann wie man Kindern (und Erwachsenen) die Attentate von Paris nicht erklären kann.”

Kinder im Umgang mit Medien — wie können Eltern helfen?
(sfr.ch, Claudio Fuchs)
Claudio Fuchs sieht Probleme, wenn Kinder und Jugendliche ungeschützt der Dauerterrorberichterstattung dieser Tage ausgesetzt sind: “Die ständige Konfrontation mit solchen verstörenden Bildern kann ernsthafte Konsequenzen auf das Wohlbefinden haben.”

Das wird man ja wohl noch zeigen dürfen!

Die “Bild”-Medien trommeln heute mal wieder kräftig in eigener Sache.

“Das bringt nur BILD”, so lautet der Slogan der großen PR-Kampagne, deren ganzer Wahnsinn sich schon an diesem Video erahnen lässt:

Die Kampagne findet, wie der Axel-Springer-Verlag verkündet:

auf allen analogen und digitalen Kanälen statt. Sie beinhaltet Print- und Online-Motive, Out-of-Home-Plakate und -Kurzvideos, einen Kino- und TV-Spot sowie verschiedene Funk-Spots.

Und auf redaktioneller Ebene das hier:

Eine (nicht ganz neue) Aktion, mit der das Blatt heute viel Aufmerksamkeit erregt hat. „Bild“ schreibt:

Wir wollen damit zeigen, wie wichtig Fotos im Journalismus sind. Und dass es sich lohnt, jeden Tag um das beste Foto zu kämpfen!

Denn Fotos können beweisen, was Mächtige verstecken wollen. Sie wecken Emotionen in uns. Sie zeigen schöne Momente, aber auch grausame. Sie lassen uns mit anderen Menschen mitfühlen. (…)

Darum steht BILD immer wieder für die Veröffentlichung umstrittener Fotos ein – oft gegen harte Widerstände. Die Welt muss die Wahrheit sehen, um sich zu verändern.

So etwas sagen die Menschen von „Bild“ gern, wenn es um die „Veröffentlichung umstrittener Fotos“ geht. Man müsse die Wahrheit „ungeschönt“ zeigen, man müsse die Geschichten und Gesichter der Opfer (und Täter) abbilden, um „die Tragik“ eines Ereignisses „fassbar“ zu machen.

In den meisten Fällen geht es dann aber nicht um solche Fotos, die „Bild“ in dem Artikel als Beispiele anführt — das des Mädchens, das im Vietnamkrieg vor einer Napalm-Wolke flieht und das des ertrunkenen Flüchtlingsjungen am Strand von Bodrum, bei denen es tatsächlich nachvollziehbare Gründe für eine Veröffentlichung gibt –, sondern um Fotos, die nicht als Symbolbilder um die Welt gegangen sind. Fotos, auf denen Menschen hilflos sind oder trauern oder sterben, Fotos von Menschen, die Schlimmes getan haben oder die nur zufällig Teil eines tragischen Geschehens wurden, über das die „Bild“-Zeitung unbedingt unverpixelt berichten muss.

Solche Fotos:

Oder solche:

Oder solche:

So sieht der Umgang mit „umstrittenen Fotos“ bei der „Bild“-Zeitung tagtäglich aus: „Mutig“ und „ungeschönt“, trotz all der „harten Widerstände“ durch den politisch korrekten Verpixelungswahn dieser Gutjournalisten. Alles im Sinne der „Wahrheit“. Und letztlich im Sinne der „Schwachen“, wie „Bild“-Online-Chef Julian Reichelt erklärt:

Diese BILD-Ausgabe ohne Fotos ist eine Verneigung vor der Kraft der Fotos. Ohne Fotos wäre die Welt noch ignoranter, wären die Schwachen verloren, unsichtbar. Ohne Fotos blieben viele Verbrechen nicht nur ungesühnt – sie würden nicht einmal erinnert. Fotos sind der Aufschrei der Welt.

Und wer meint, die „Bild“-Zeitung mache die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens zum zweiten Mal zu Opfern, wenn sie irgendwo private Fotos von ihnen auftreibt oder Fotos, auf denen sie blutüberströmt auf der Straße liegen, und diese dann groß und unverpixelt und ohne Erlaubnis abdruckt, der irrt natürlich gewaltig:

Immer wieder – auch jetzt – hören wir die Forderung, Fotos gar nicht oder nur verpixelt zu zeigen, weil sie menschliches Leid zu drastisch dokumentieren, weil sie Menschen „ihre Würde nehmen“ würden.

Dieses Argument übersieht immer wieder den wichtigsten Punkt: Nicht das Foto stellt die würdelose Situation her, sondern der Krieg oder die Ignoranz der Politik oder unsere Feigheit davor einzuschreiten. Das Foto dokumentiert bloß die Welt. Die Welt ist nicht verpixelt. Wir haben kein Recht darauf, es uns leicht zu machen, wenn Unrecht geschieht. Wir müssen uns zwingen hinzusehen. Der Schmerz, den wir beim Anblick von Leid empfinden, hat nicht das leiseste Recht, sich gleichzumachen oder auch nur zu vergleichen mit dem Schmerz der Abgebildeten.

Der Gedanke, dass auch die Abgebildeten Rechte haben, das Recht am eigenen Bild zum Beispiel, und dass eine Verletzung dieser Rechte ebenfalls Schmerz auslösen kann, ist Julian Reichelt bei seiner Argumentation wohl nicht gekommen, aber er hat ja auch schon genug damit zu tun, sich ständig um die Angehörigen der Abgebildeten zu sorgen:

Das twitterte der Bild.de-Chef vor ein paar Wochen, kurz nachdem die Leiche eines entführten und ermordeten Mädchens entdeckt worden war.

Und weil Reichelt und sein Team den Angehörigen mit einer möglichst unverpixelten Berichterstattung ja im Grunde nur helfen, dokumentieren sie seither akribisch die grausamen Details des Verbrechens, zeigen die Fotos, auf denen das Mädchen in einem Leichensack weggetragen wird, veröffentlichten ihre Todesanzeige und mehrere Fotos von ihrer Beerdigung, fotografierten ihr Grab aus verschiedenen Perspektiven und präsentieren konsequent in jedem Artikel mindestens ein Bild von ihr ohne jede Unkenntlichmachung, „mutig“ und „ungeschönt“ eben, denn es geht ja um die Wahrheit und darum, das Leid „fassbar“ zu machen.

Fotos von Verbrechensopfern, von Leichen, von Menschen, die ums Überleben kämpfen, die von Geiselnehmern oder Vergewaltigern erniedrigt werden, all das zeigt die Zeitung, aber schließlich ist sie ja auch der Chor des Lebens!

So wie es in der griechischen Tragödie des Chors bedarf, der das, was der Zuschauer sieht, beweint, braucht das Leben, braucht das Land jemanden, der es beklagt und besingt.

BILD ist dieser Chor.

… trällert Alexander von Schönburg heute in seinem Beitrag zur „Bild“-Eigen-PR-Kampagne, in dem er vor allem den „einzigartigen Erfolg“ von “Bild” besingt.

BILD zielt nicht nur auf den Verstand, sondern tiefer. Aufs Herz.

Insofern hat BILD die Kernidee seines Gründers doch bewahrt. Er schuf eine Zeitung, die unmittelbarer mit dem Leser kommuniziert.

Ein Beispiel:

Jede Zeitung der Welt druckte das Foto von Willy Brandts historischem Kniefall 1970 in Warschau. Aber nur in BILD wurde beschrieben, wie ihm Tränen in die Augen schossen.

Gut, und in der “Süddeutschen Zeitung”.

Ein Alleinstellungsmerkmal gab’s damals aber dennoch: Nur der damalige Chefredakteur von „Bild“ polterte kurz nach dem Kniefall:


Aber das erwähnt Alexander von Schönburg in seiner „Bild“-Hymne natürlich genauso wenig wie die spätere Verwendung des Kniefall-Fotos durch “Bild” – und hebt stattdessen zum großen, schleimigen Finale an:

Durch ihre Zeilen gibt BILD den Fotos emotionale Kraft. Aber ohne diese Fotos ist BILD nicht mehr BILD.

BILD ist täglich erlebte Geschichte. Weil sie Geschichte fühlbar macht.

Und weil Mitfühlen so ziemlich das Menschlichste ist, dessen wir fähig sind, ist BILD eben in allererster Linie vor allem das – menschlich.

Aus der Veröffentlichung von Leichenfotos einen Beleg für die eigene “Menschlichkeit” zu basteln — stimmt: Das bringt tatsächlich nicht jeder.

Mit Dank an alle Hinweisgeber!

Siehe auch: Die Bild zeigt keine Fotos — wie schön! (Jonas Jansen auf medium.com)

“Bild” ohne Bilder, Germanwings, Pressefreiheit in der Türkei

1. Die Bild zeigt keine Fotos — wie schön!
(medium.com, Jonas Jansen)
Die “Bild”-Medien zeigen heute den ganzen Tag lang keine redaktionellen Fotos. Jonas Jansen findet, dass die Aktion nicht nur zeigt, wie wichtig Bilder sind  — “sondern auch, wie skrupellos die BILD sonst operiert”. Er präsentiert Beispiele, bei denen die Zeitung plötzlich auf jene Persönlichkeitsrechte achtet, die ihr vorher noch egal waren.

2. Presserat: Germanwings Co-Pilot durfte genannt werden
(horizont.at, Timo Niemeier)
Ein halbes Jahr nach dem Absturz der Germanwings-Maschine hat der österreichische Presserat ein medienethisches Urteil gefällt. Demnach war die Namensnennung des Co-Piloten rechtens, die Veröffentlichung der Bilder von trauernden Angehörigen verletze aber den Ehrenkodex. Ähnlich hatte im Juni bereits der deutsche Presserat entschieden.

3. “Man wartet immer bis zur Katastrophe”
(ostpol.de, Stefan Günther)
Die Fotografin Merlin Nadj-Torma besuchte bereits 2011 und 2012 ein illegales Flüchtlingscamp an der ungarisch-serbischen Grenze und ist nun wieder dorthin zurückgekehrt. Im Interview mit Stefan Günther spricht sie darüber, wie in Serbien zum Thema berichtet wird, wie sie die Berichterstattung in Deutschland sieht und wie die Flüchtlinge die Berichterstattung über sich selbst wahrnehmen. Siehe dazu auch: Der “innere Ausnahmezustand” von “taz”-Redakteur Marin Kaul am Bahnhof Budapest-Keleti.

4. Informieren aus Verantwortung
(blog.tagesschau.de, Christian Nitsche)
Hunderttausend geflüchtete Menschen wollen nach Deutschland, das ist eine außergewöhnliche Herausforderung. “Außergewöhnlich ist auch, dass Tagesschau, Tagesthemen und tagesschau.de über viele Tage einem Thema fast alle Berichte widmen”, schreibt Christian Nitsche. Angesichts der “Komplexität, Vielschichtigkeit und Bedeutung des Flüchtlingsthemas” hält er das aber für gerechtfertigt. Denn nicht nur Bürger, Verwaltungen und Politik seien gefordert, “auch die Medien tragen Verantwortung, wie mit dieser besonderen Situation umzugehen ist.”

5. Open letter to President Erdogan
(pen-international.org, englisch)
Die internationale Autorenvereinigung “pen” hat einen offenen Brief an Türkeis Präsident Erdoğan geschrieben und beklagt darin “the current crackdown on freedom of expression in Turkey”. Erst vor Kurzem waren zwei britische “Vice”-Journalisten und ihr Übersetzer in der Türkei verhaftet worden. Die beiden Reporter sind inzwischen wieder frei, ihr Übersetzer befindet sich noch in Haft.

6. Wie ich daran scheiterte, bei “Hart Aber Fair” Fotos zu machen
(buzzfeed.com, Philipp Jahner)

Ist es in Ordnung, das tote Flüchtlingskind zu zeigen?

Wenn Sie in den letzten Stunden im Internet unterwegs waren, haben Sie dieses Foto wahrscheinlich gesehen: Ein dreijähriger Junge liegt leblos am Strand, das Gesicht halb im Wasser. Er ist ertrunken, als seine Familie mit ihm nach Europa flüchten wollte.

Viele Medien zeigen das Foto seit gestern Abend, vor allem in Großbritannien und Griechenland, aber auch hierzulande, wo es etwa auf FAZ.net und Handelsblatt.com zu sehen ist.

Und natürlich in “Bild”. Es erschien heute auf der letzten Seite der „Bild“-Zeitung …

… auf der Startseite von Bild.de …

… und auf so ziemlich allen anderen Kanälen:






Wir bekommen seit gestern viele Mails dazu, viele Leser sind “zutiefst schockiert” darüber, dass “Bild” und andere Medien das Foto zeigen.

Doch ähnlich wie bei dem vor Kurzem veröffentlichten Foto der Flüchtlinge, die in einem Lkw in Österreich erstickt sind, sind wir uns nicht sicher, was wir davon halten sollen. Ist es in Ordnung, das Foto zu veröffentlichen? Oder sollte man es lieber verpixeln? Oder ganz darauf verzichten? Wir wissen es nicht. Fühlen uns aber deutlich wohler dabei, wenn wir es hier bei uns unkenntlich machen.

Auch der Deutsche Presserat konnte uns heute noch keine abschließende Einschätzung zu dem Fall geben. Er verweist auf die Ziffern 1 (Achtung der Menschenwürde) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex und erklärt, man müsse immer abwägen zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse auf der einen und dem Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeit auf der anderen Seite. Zum Foto des toten Jungen seien bislang zwölf Beschwerden eingegangen, zehn davon gegen “Bild”.

Damit Sie sich selbst ein Bild machen können, haben wir einige Debatten-Beiträge gesammelt. Wir werden die Liste im Laufe des Tages ggf. erweitern. Sachdienliche Hinweise wie immer gerne an [email protected].

***

Achtung: In einigen der Artikel sind die Fotos unverpixelt zu sehen. Diese Artikel haben wir mit einem * gekennzeichnet.

Presseschauen zum Thema finden Sie unter anderem auf neues-deutschland.de* und bei der „New York Times“*.

Was uns der tote Junge von Bodrum lehrt
(sueddeutsche.de, Stefan Plöchinger)
Stefan Plöchinger, Chefredakteur von sueddeutsche.de, entschied sich mit seinem Team gegen die Veröffentlichung des Fotos: “Zeigen oder nicht? Ist es tatsächlich so, dass Menschen dem Tod erst ins Auge sehen müssen, um das tödliche Potenzial politischer Entscheidungen zu verstehen? Reichen nicht Worte wie zu Beginn dieses Artikels, um begreifbar zu machen, was vor jenem Strand passiert ist, was an vielen Orten gerade vielen Menschen passiert?”

*Hinsehen!
(handelsblatt.com, Rüdiger Scheidges)
Der Internetauftritt des “Handelsblatts” zeigt gleich mehrere Fotos, Autor Rüdiger Scheidges fordert seine Leser auf hinzusehen: “Doch was Berichte und Erzählungen wohl nie schaffen, das bewirkt ein solches Bild, das uns jetzt so sehr schockt. Das Dokument der uns umgebenden Wirklichkeit zeigt uns nämlich aufs drastischste, dass dieser kleine Mensch in seinem hochgerutschten roten T-Shirt, seiner Jeanshose, den kleinen Turnschuhen und seinem zusammengepressten kleinen Händchen einer von uns ist. ”

Endet die professionelle Distanz an einer Wasserleiche
(udostiehl.wordpress.com, Udo Stiehl)
Der Journalist Udo Stiehl fragt mit Blick auf den Pressekodex: “Rechtfertigt es die besondere Nähe und Emotionalität zum Thema, dass plötzlich Bilder einer Kinderleiche die journalistischen Grundsätze und die professionelle Distanz verpuffen lassen? Gilt Ziffer 9 nicht mehr? […] Haben tote Flüchtlingskinder, die am Strand angespült werden, jetzt etwa keine Ehre und Würde mehr? Es steckt sicher eine gute Absicht dahinter, in Verbindung mit dem Foto an die Politik zu appellieren, sichere Zufluchtswege zu schaffen. Aber dazu sollte keine Kinderleiche instrumentalisiert werden.”

Ein Foto, das die Welt erschüttert
(ksta.de)
Der “Kölner Stadtanzeiger” hat eine kurze Presseschau zum Abdruck des Fotos veröffentlicht und diesen Hinweis angehängt: “Unsere Redaktion hat sich in diesem Fall dazu entschlossen, das Foto nur im Anschnitt zu zeigen, damit Sie als Leser selbst entscheiden können, ob Sie sich die Aufnahme ansehen wollen.”

*Das traurigste Foto der Welt: #Kiyiya wird zum Symbolbild der Flüchtlingskrise
(meedia.de, Alexander Becker)
“Meedia” findet, das Foto könne “tatsächlich etwas bewegen. Es erinnert in seiner brutal emotionalen Symbol-Kraft an das berühmte Foto des jungen Mädchens, dass während des Vietnamkrieges vor einer Napalm-Wolke floh. Die Kraft eines solchen ikonischen Bildes kann man nicht hoch genug einschätzen.”

Am Strand
(friedemannkarig.de, Friedemann Karig)
Der Journalist Friedemann Karig wägt ab zwischen “Pictorial Turn” und “verwerflichem Ausschlachten der letzten Würde”. Letztlich sei er unentschlossen: “Wenn wir das Bild eines ertrunkenen Kindes brauchen, um Menschen nicht ertrinken zu lassen, dann kommt jede Ethik zu spät. Wenn die selbsterfüllende Prophezeiung vieler Medien eintrifft, dass dieses eine Bild ein Umdenken auslöst, dann hat sich die Medienethik selbst abgeschafft. Wenn es wirklich Leben rettet, dann bitte, druckt es, teilt es, plakatiert es, schickt es ins Weltall. Aber dann haben wir wohl ein ganz anderes Problem als dieses Bild.”

Bilder des Grauens
(djv.de, Hendrik Zörner)
Für Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband steht das Foto in der Reihe jener Bilder, “die ein Ereignis von historischer Tragweite zeigen, die es emotional begreiflich machen, die mehr als tausend Worte sagen. Das waren die Leichenberge in den befreiten Konzentrationslagern 1945, die nackten, weinenden Kinder mit herunter hängenden Hautfetzen nach einem Napalm-Angriff in Vietnam, das brennende World Trade-Center am 11. September 2001 in New York. Und das ist seit gestern der ertrunkene dreijährige Junge, angespült an einen türkischen Strand, der zum Symbol für die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer geworden ist.”

Totes Kind am Strand: Warum wir das Foto nicht zeigen
(merkur.de)
Die Onlineredaktion des “Merkur” zeigt das Foto nicht und schreibt: “Wir sagen nicht, dass es falsch ist, dass andere Medien das Foto zeigen. Aber wir haben uns nach kontroversen Diskussionen in unserer Redaktion dagegen entschieden. Der Hauptgrund ist, dass wir uns nicht wohl dabei fühlen, ein totes Kind in aller Deutlichkeit zu zeigen. Zudem sollte jeder selbst entscheiden, ob er dieses traurige Bild sehen möchte oder nicht. Wie schlimm das Flüchtlingsdrama ist, weiß jeder aus den vielen, vielen Berichten auch auf unserem Portal. Und wir werden weiterhin ungeschönt darüber berichten. Aber ohne einen toten Buben zu zeigen.”

Das Bild des toten Ailan – ein medienethischer Kommentar
(netzwerk-medienethik.de, Alexander Filipovic)
Alexander Filipovic erkennt vier Werte bzw. Argumente, die (zum Teil) in Konkurrenz miteinander stehen: Die “Würde des Jungen”, der “Schutz der LeserInnen”, die “journalistische Pflicht zur Berichterstattung” und “Menschen aufrütteln wollen”. Seine Abwägung: “Ich würde das Foto nicht bringen und halte das Vorgehen von, zum Beispiel, Kölner Stadtanzeiger und sueddeutsche.de für beispielhaft. Hier wird deutlich, dass reflektiert und abgewogen wurde und diese Überlegungen wurden publiziert. Und es werden Möglichkeiten angedeutet oder gezeigt, wie das Foto angeschaut werden kann, so dass jeder in Kenntnis von dem, was abgebildet wird, selber entscheiden kann, ob er oder sie es sich anschaut.”

*Zweifelhafter Betroffenheitskult
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Bei Rainer Stadler hinterlässt der massenweise Abdruck des Fotos einen “bitteren Geschmack”: “Die Massenmedien kaschieren ihren Voyeurismus mit einem Betroffenheitskult, dessen Legitimation sie neuerdings daraus ableiten, dass die ohnehin an chronischer Hysterie leidenden sozialen Netzwerke wieder einmal in besonders starke Erregung geraten sind. Man reagiert auf ein angebliches Marktbedürfnis. Doch die Mediengesellschaft schaut nur in den Spiegel und sieht sich selber. Die kurzlebigen Bekundungen von Betroffenheit sind letztlich ebenso sehr ein soziales Zeichen für Abgestumpftheit und ein allgemeines Desinteresse am Geschehen auf diesem Globus. Das moralische Bewusstsein scheint erst jetzt zu erwachen, da das Flüchtlings- und Migrationsdrama näher rückt und bereits in unseren Hinterhöfen und Strassen sichtbar wird.”

*Diskussion um Foto eines toten syrischen Jungen in der “Bild”
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Der “Tagesspiegel” (der ein Foto zeigt, auf dem das tote Kind weggetragen wird) hat die Nachrichtenagentur dpa zum Thema befragt: “dpa gab das Foto verpixelt heraus. ‘Zuerst einmal: Dieses Foto hat uns in der dpa-Redaktion auch schockiert. Gerade auch Tote haben aber eine Würde’, sagt dpa-Chefredakteur Sven Gösmann. ‘Daher haben wir uns dafür entschieden, es vorerst nur gepixelt aufzulegen. Unsere Kunden können es aber auch unverpixelt bestellen beziehungsweise eine Perspektive, in der das Kind nicht so im Zentrum des Bildes steht.’ Bisher habe es jedoch keine Anfragen in dieser Richtung gegeben. ‘Wir sind der Überzeugung, dass auch die Visualisierung menschlichen Leids zur journalistischen Grundversorgung durch die dpa gehört’, so Gösmann weiter. ‘Wir bemühen uns aber in steter Einzelfallabwägung darum, dabei die Würde von Opfern und auch die Gefühle von Nutzern unserer Produkte zu berücksichtigen.'”

Foto mit Kinderleiche zeigen? “Abwägung von Menschenwürde”
(derstandard.at, Oliver Mark)
Politikwissenschaftlerin Petra Berhardt sagte dem “Standard” (der das Foto nicht zeigt), die Abwägung sei auch eine Frage der “ethischen Selbstpositionierung”. Es mache einen Unterschied, “ob ein Bild aufs Cover kommt und somit kein Wegsehen möglich macht oder ob es zum Beispiel online hinter einer ‘graphic content warning’-Schranke abrufbar ist, wo das Publikum selbst entscheiden kann, ob es das Bild sehen will oder nicht.”

Wegsehen wäre die schlimmste Entwürdigung
(kress.de, Heike Rost)
Die Journalistin Heike Rost hat sich gestern dezidiert dafür ausgesprochen, das Foto zu zeigen. Es gehöre “zur Aufgabe von Journalismus, die Seelenruhe von Lesern zu stören”, auch wenn es “unbequem” und “schwer erträglich” sei. “Die Geschichte des Journalismus belegt immer wieder, vom Vietnam-Krieg über 9/11 und den Boston-Marathon bis zu den Erdbeben von Haiti und Japan: Es waren Bilder, die Menschen zutiefst berührten. Und zu Veränderung und Handeln bewogen. (…) Wegsehen bewegt nichts. Und für die Opfer dieser Kriege und Katastrophen wäre genau das die wohl schlimmste Entwürdigung.”

Journalismus und die Schock-Bilder
(presseverein.ch, Janosch Tröhler)
Janosch Tröhler vom Zürcher Presseverein weist auf die “Click-To-View”-Möglichkeit hin: “Die Diskussion ‘Zeigen vs. nicht zeigen’ beschränkt sich tatsächlich auf den Printjournalismus. Doch die digitalen Kanäle bieten die Möglichkeit, die Entscheidung, ob man das Foto sehen möchte oder nicht, den Lesern zu überlassen. Das ist auch die technische Lösung, verantwortungsvollen Journalismus zu machen, der nichts auslässt, aber auch auf billigen Voyeurismus und beim sensiblen Rezipienten keinen Schock auslöst.”

“Die fortgespülte Menschlichkeit”
(detektor.fm, Audio)
detektor.fm hat sich mit dem Fotografen Martin Gommel unterhalten, der selbst schon aus Krisengebieten berichtet hat. Der meint, ethisch bedenklich sei nicht das Zeigen des Fotos, „sondern ethisch bedenklich ist, dass Kinder auf dem Mittelmeer sterben“. Gommel hält es für wichtig, ein solches Bild zu zeigen, weil es uns vor Augen führe, „dass das ganze Thema eine sehr, sehr konkrete Seite hat, die eben Menschenleben kostet“.

***

Zur Geschichte der Familie:
*Family of children found on Turkish beach were trying to come to Canada
(ottawacitizen.com, Terry Glavin)
Die Familie des ertrunkenen Jungen hatte offenbar seit längerer Zeit versucht, nach Kanada zu kommen. Terry Glavin hat all ihre Anstrengungen nachrecherchiert: “Teema, a Vancouver hairdresser who emigrated to Canada more than 20 years ago, said Abdullah and Rehan Kurdi and their two boys were the subject of a ‘G5’ privately sponsored refugee application that was rejected by Citizenship and Immigration in June, owing to the complexities involved in refugee applications from Turkey. The family had two strikes against them — like thousands of other Syrian Kurdish refugees in Turkey, the UN would not register them as refugees, and the Turkish government would not grant them exit visas.”

Ein Hinweis für Twitter:
„Sensible Medien“ bei Twitter
(sebastian-pertsch.de, Sebastian Pertsch)
Sebastian Pertsch hat einen guten Hinweis für Twitter-Nutzer: Wenn man Fotos als “sensibel” markiert, werden sie in der Timeline nicht sofort angezeigt, sondern erst nach einem Klick auf “Foto anzeigen”. Das sei “einfach und schnell erledigt” — und gestatte es “jedem Twitter-Nutzer selber zu entscheiden, die Bilder oder Fotos zu sehen”.

Trotteln, Sarrazin, Bücherverbrennung

1. “Es gibt schon schöne Trotteln”
(facebook.com, Armin Wolf)
Am Ende eines Beitrags der ORF-Nachrichtensendung “ZiB2” war ein Facebook-Posting über Flüchtlinge zu lesen: “An die Wand stellen und einen Kopfschuss verpassen”. Moderator Armin Wolf kommentierte das mit den Worten: “Da graust einer Sau” und “Es gibt schon Trotteln”. Das veranlasste einen Zuschauer zu einer Beschwerdemail an den Publikumsrat, auf die Armin Wolf nun antwortet: “Würde ich es noch einmal sagen? Nein. Ich würde nicht ‘schöne Trotteln’ sondern ‘Es gibt schon feste Trotteln’ sagen. ‘Schöne’ war tatsächlich unpassend.”

2. „Die Eskalation war teilweise inszeniert“
(ostpol.de, Sonja Volkmann-Schluck)
Marco Risovic war als Fotograf an der griechisch-mazedonischen Grenze, als die Regierung dort vergangene Woche den Übergang für Flüchtlinge blockierte. Im Interview spricht er über die Arbeit vor Ort und die Inszenierung von Bildern. Denn dass danach vor allem Fotos von Polizisten zu sehen waren, die mit Tränengas und Blendgranaten auf Flüchtlinge losgehen, war seiner Ansicht nach “von mazedonischer Seite beabsichtigt”.

3. Sarrazins Erbe wirkt weiter
(mediendienst-integration.de, Daniel Bax)
Vor fünf Jahren warnte Thilo Sarrazin schlagzeilenträchtig und begleitet von einem enormen Medienecho vor der Selbstabschaffung Deutschlands. Der “taz”-Journalist Daniel Bax sieht das Buch und die folgende Debatte als Zäsur, die “deutlich gemacht [habe], dass es auch in Deutschland das Potential für eine rechtspopulistische Partei jenseits der Union gibt” und der AfD und “Pegida” den Weg geebnet habe. Sarrazin selbst habe mittlerweile an Popularität verloren, seine Thesen seien jedoch salonfähiger als je zuvor.

4. Wie eine Bücherverbrennung erfunden wurde
(wibkeschmidt.com, Wibke Schmidt)
In einer “Provinzbücherei im Schwarzwald” wurden vor einem Monat 3200 Bücher aussortiert — aus Sicht der “Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen” ein “übliches Vorgehen”, schreibt Wibke Schmidt. Daher wundert sie sich, dass Roland Tichy in seinem Blog die Aktualisierungsaktion in Bad Dürrheim in eine neu aufgelegte Bücherverbrennung umdichtet: “Aus der Aussortierung alter Bücher in einer Gemeindebibliothek eine von höchsten staatlichen Stellen gesteuerte rot-grüne Umerziehungsaktion zu machen — darauf muss man erst mal kommen.”

5. Dramatisches Drama
(udostiehl.wordpress.com, Udo Stiehl)
“Bis zu 50 Flüchtlinge in Schlepper-LKW erstickt” – diese Schlagzeile tauchte gestern in etlichen Medien auf. Udo Stiehl fragt sich, warum so viele Journalisten “die Verlockung [verspüren], eine ohnehin schreckliche Story sofort zu dramatisieren”. Korrekter wäre es gewesen, sich an der Angabe des Ermittlers auf der Pressekonferenz zu orientieren, der von “mindestens 20 Todesopfern” sprach. Wenn man bei Todesmeldungen “mindestens” durch “bis zu” ersetze, “würden Spekulation und Dramatisierung wohl bald zum Standard von Schlagzeilen erhoben”. (Inzwischen hat das österreichische Innenministerium bekanntgegeben, dass in dem LKW mehr als 70 Tote gefunden wurden.)

6. Neues aus der Bildmontage-Bastelstube: Basteln mit Tieren
(noemix.twoday.net)

Bild  

Wenn “Bild” Unschuldige zu Mördern macht

Die „Bild“-Zeitung will um jeden Preis Gesichter zeigen. Sie will, dass ihre Leser den Tätern und Opfern in die unverpixelten Augen sehen können, warum auch immer. Da können die Polizei, die Justiz oder die Angehörigen noch so oft darum bitten, es nicht zu tun.

In den meisten Fällen beschafft sich die Redaktion die Fotos kurzerhand im Internet und schert sich dabei weder um die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten noch um die Rechte der Urheber, und um den Pressekodex erst recht nicht.

Auch gestern zeigte „Bild“ wieder das Foto eines Mannes, der wegen Mordes angeklagt ist (natürlich ohne jede Unkenntlichmachung):

Nun stellt sich heraus: Der Abgebildete ist gar nicht der Angeklagte. Er hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun.


(Online hat “Bild” das Foto inzwischen gelöscht, im ePaper die ganze Seite.)

Es war nicht der erste Fehler dieser Art. Bei weitem nicht.

Im August vergangenen Jahres erklärte die „Bild am Sonntag“ einen jungen Mann zum „Killer“, obwohl er nichts mit der Tat zu tun hatte. Die Fotobeschaffer hatten sich im falschen Facebookprofil bedient.

Ähnlich wie 2012, als Bild.de und die Berliner „Bild“-Ausgabe das Foto einer Frau zeigten, die angeblich von ihrem Mitbewohner getötet worden war. In Wirklichkeit lebte die Abgebildete aber noch und hatte nichts mit der Sache zu tun.

Anfang 2014 druckte die Kölner „Bild“-Ausgabe das Foto eines Mannes und behauptete, er habe seine Oma erschlagen. Später stellte er sich als unschuldig heraus.

Einige Monate später zeigte “Bild” einen Mann, der, so die Bildunterschrift, bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Tatsächlich lebte der Abgebildete noch, “Bild” hatte ihn verwechselt.

2004 bebilderte die Berliner Ausgabe einen Artikel über einen Autounfall mit dem Foto eines Mädchens und schrieb, es sei bei dem Unfall gestorben. In Wahrheit lebte das gezeigte Kind aber noch und hatte nicht mal in dem Auto gesessen.

2012 druckte „Bild“ das Foto eines Schülers und nannte ihn „KILLER“ und „miesen Kindermörder“; auch er stellte sich später als unschuldig heraus (nachdem ein Lynchmob versucht hatte, das Polizeikommissariat zu stürmen, wo der vermeintliche „KILLER“ festgehalten wurde).

2009 veröffentlichte „Bild“ ein riesiges Foto, das den Amokläufer Tim K. zeigen sollte. Tatsächlich war darauf ein ganz anderer – unschuldiger – Junge zu sehen.

Wenige Wochen später präsentierte die „Bild am Sonntag“ auf einem Foto den Tatverdächtigen eines Vierfach-Mordes. Auch in diesem Fall hatte der Abgebildete überhaupt nichts mit der Sache zu tun.

Die Richtigstellung zur aktuellsten Verwechslung hat „Bild“ heute übrigens auf Seite 6 abgedruckt. Direkt unter einem unverpixelten Porträtfoto, auf dem ein „Killer“ zu sehen ist. Behauptet zumindest „Bild“.

Nachtrag, 19. Februar 2016: Vor drei Tagen druckte “Bild” ein Foto, das das Opfer eines Säureangriffs zeigen sollte. Einen Tag später folgte die (winzige) Korrektur: Die Fotobeschaffer hatten sich wieder geirrt; die abgebildete Frau hatte nichts damit zu tun.

Wie “Bild” den Hass gegen Flüchtlinge schürt

Es sind ungewohnte Töne von Julian Reichelt. In letzter Zeit macht sich der „Bild“-Online-Chef immer wieder für Flüchtlinge stark, er erklärt:

Oder:

Auch sonst geben sich „Bild“-Medien sichtlich Mühe, dem lauter werdenden Fremdenhass im Land etwas entgegenzustellen; sie wettern gegen die „Pegida-Idioten“, versuchen sich an entlarvenden Faktenchecks, erzählen rührende Positiv-Geschichten, machen auf das Leid der Geflüchteten aufmerksam und kritisieren das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“.

Dagegen ist auch erstmal nichts zu sagen. Bloß wäre dieses Engagement viel glaubwürdiger und vor allem: wirksamer, wenn „Bild“ nicht gleichzeitig an vielen Stellen genau diesen Hass, die Feindbilder und die Ressentiments gegen Flüchtlinge befeuern würde.

Sie erinnern sich vielleicht an den Artikel, den die Dresdner „Bild“-Ausgabe vor gut einem Jahr veröffentlicht hat:

Obwohl schnell klar war, dass die Schutzwesten nicht aus Angst vor den Flüchtlingen angeschafft wurden, sondern zum generellen Schutz der Rettungskräfte, und obwohl auch „Bild“ weiß, dass es in Wahrheit keine Vier-Sterne-Luxusbude mehr ist, sondern ein ausrangiertes Hotel ohne jeden Schnickschnack, und obwohl der Artikel mit diesen falschen Behauptungen nachweislich die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizt, ist er immer noch online.

Wenn den „Bild“-Leuten und vor allem ihrem Online-Chef so viel daran gelegen ist, den Flüchtlingen zu helfen, warum korrigieren oder löschen sie den Artikel nicht einfach?

Und generell die ganzen Geschichten, die von den „Bild“-Medien in die Welt gelogen wurden und heute genau jenen als Argumentationshilfe dienen, die gegen die „Überfremdung“ unseres Landes zu Felde ziehen.

Also wenn es in diesem Land jemanden gibt, der das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“ beherrscht, dann ist das die “Bild”-Zeitung.

Ein anderes Beispiel. Anfang vergangener Woche erschien in „Bild“ Hamburg und bei Bild.de ein Artikel über den Hamburger Verkehrsbund (HVV):

Aus Angst vor „schlechter Presse“ hat der HVV hat seine Fahrkartenkontrolleure angewiesen, bei Flüchtlingen, die ohne Ticket angetroffen werden, ein Auge zuzudrücken.

Das geht aus einem internen Schreiben des Unternehmens hervor, das BILD vorliegt. Wörtlich heißt es darin: Bei „Asylsuchenden“ müsse man „viel „Augenmaß walten lassen“, da viele von Ihnen „Opfer von professionellen Fahrkartenfälschern“ würden oder „nachvollziehbar kaum Kenntnisse“ von der HVV-Tarifstruktur hätten.

Dann, wie üblich, ein schockierter Politiker:

Das will CDU-Verkehrsexperte Dennis Thering (31) so nicht stehen lassen: „Die ,Augen-zu-Anweisung‘ muss zurückgenommen werden. Es gibt in Hamburg die Möglichkeit, eine vergünstigte HVV-Zeitkarte zu erwerben, explizit auch für Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.“

Und der Artikel schließt mit der Bemerkung:

In der Tat erhält jeder neu ankommende Flüchtling 149 Euro Taschengeld pro Monat. Davon sind nach Angaben der Sozialbehörde 25,15 Euro für Fahrkarten im Nahverkehr vorgesehen.

Die haben also — in der Tat — genug Geld, die Flüchtlinge. Und dann kommt der HVV auf die Idee, sie alle schwarzfahren zu lassen, damit es keine negativen Artikel gibt? Und der arme Deutsche muss wieder blechen?

Soweit — und so verzerrt — die Version der „Bild“-Zeitung.

Was das Blatt nämlich nicht erwähnt: Es sind nicht nur Flüchtlinge, bei denen der HVV „ein Auge zudrückt“, sondern alle Leute, die aufgrund von Sprachproblemen oder aus anderen guten Gründen versehentlich ein ungültiges Ticket dabeihaben.

„Egal ob Hamburger oder Flüchtling oder Tourist“, erklärte uns der HVV-Sprecher auf Nachfrage, “da machen wir keinerlei Unterschied”. Wer zum Beispiel glaubhaft versichern könne, dass er Opfer von Fälschern wurde oder sich beim Fahrkartenkauf vertan hat, dürfe mit der Kulanz der Kontrolleure rechnen, das gelte für alle und sei schon immer so gewesen.

Mit dem internen Schreiben (hier im Wortlaut) habe der HVV lediglich der aktuell hohen Zahl von Flüchtlingen Rechnung tragen und die Mitarbeiter daran erinnern wollen, dass bei den Kontrollen Fingerspitzengefühl gefragt sei. Es sei auch nicht aus Angst vor schlechter Presse verschickt worden, sondern „aus Überzeugung“. Der HVV-Sprecher:

Ich kenne den Kollegen, der das Schreiben verschickt hat. Der hat vor Kurzem miterlebt, wie verängstigt einige Flüchtlinge waren, als sie, umringt von Uniformierten, am Bahnsteig kontrolliert wurden, da dachte er sich einfach: „Da muss man was tun“ und hat dann das Schreiben verschickt, um die Kollegen für die spezielle Situation zu sensibilisieren.

Das alles hätte der „Bild“-Reporter auch erfahren, wenn er beim HVV nachgefragt hätte. Aber das hat er laut HVV nicht.

So reißt “Bild” das Dokument aus dem Zusammenhang und erweckt den Eindruck, die Flüchtlinge bekämen eine ungerechtfertigte Extrawurst.

Die Reaktionen auf den Artikel sehen übrigens so aus:















Das ist nur eine winzige Auswahl. Auf der Facebookseite der Hamburger “Bild” stehen noch über 900 weitere Kommentare, viele davon gehen in die gleiche Richtung. In den Sozialen Medien, in Foren und in analogen Diskussionen ist die “Nachricht”, dass “die Flüchtlinge jetzt sogar offiziell schwarzfahren dürfen”, zu einem weiteren Scheinargument geworden, mit dem der Hass genährt wird.

Auch der HVV habe aufgrund der Berichterstattung Dutzende Hassbriefe und -mails bekommen, sagte uns sein Sprecher, die meisten davon seien „offen rassistisch“.

Die Hütte brennt, “Bild” schüttet Benzin nach, und Julian Reichelt steht davor und tut so, als wolle er löschen.

Mit Dank an Lars W.

Siehe auch: Schlechte Presse, Lügenpresse und der HVV (“Eimsbütteler Nachrichten”)

Nachtrag, 17. August: Julian Reichelt hat auf unsere Kritik reagiert. Nur verstanden hat er sie nicht.

Bild  

“Bild” ist stolz auf Presserats-Rügen

(Screenshot: Meedia)

Die Grafik stammt aus einer internen Selbstanfeuerungs-App der “Bild”-Medien, in der ganz unironisch solche Sätze stehen wie „Wir brennen für die Wahrheit“ oder „Wir respektieren Menschen“.

Auch “Bild”-Mann Paul Ronzheimer ist natürlich zu sehen („Wir berichten auf Augenhöhe. Ungeschönt und mit unverstelltem Blick auf das Wesentliche.“) und eben die Grafik zu den Rügen, mit denen die „Bild“-Zeitung sich brüstet, als wären es in Wirklichkeit Auszeichnungen für ihren „unbequemen“ „Journalismus“. Was tatsächlich dahintersteckt, können Sie unter anderem hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier oder hier nachlesen.

Polizei? Da könnte ja jeder bitten!

Seit knapp eineinhalb Wochen sucht die Polizei Niedersachsen nach einer Familie aus Drage. Mutter, Vater und Tochter waren spurlos verschwunden, die Polizei startete eine öffentliche Fahndung. Dafür hat sie Scans der drei Passfotos auf die eigene Internet- und auf eine Facebook-Fahndungsseite gestellt. Zahlreiche Medien haben die Fotos in der aktuellen Berichterstattung verwendet — macht ja auch Sinn bei einer öffentlichen Fahndung.

Inzwischen haben die Beamten die Leiche des Familienvaters gefunden. Die dazugehörige Pressemitteilung endet mit diesem Absatz:

Medienhinweis: Die Öffentlichkeitsfahndung nach dem 41-jährigen Marco S. ist somit beendet. Es wird darum gebeten, die Fotos aus der Berichterstattung zu nehmen.

Den Hinweis hat die zuständige Polizeiinspektion Harburg spätabends am vergangenen Freitag veröffentlicht.

Und so sieht die Berichterstattung von “Bild”, Bild.de und “Bild am Sonntag” seitdem aus:

Bild.de, 1. August:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)
“Bild am Sonntag”, 2. August:

Bild.de, 2. August:

“Bild”, 3. August:

“Bild”, 4. August:

Nun kann es eine etwas aufwendigere Sache sein, schon publizierte Online-Artikel zu durchkämmen und einzelne Fotos per Hand rauszulöschen. Aber all die aufgeführten Berichte sind eben erst nach der Bitte der Polizei erschienen.

Jan Krüger, Sprecher der Polizeiinspektion Harburg, sagte uns, dass eine Missachtung des Medienhinweises keine rechtlichen Schritte von Seiten der Polizei nach sich ziehe. Familienangehörige müssten sich dagegen wehren und das Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Vaters durchsetzen.

Krüger und sein Team hätten das Foto direkt nach der Identifizierung der Leiche aus dem Internet genommen, online fänden sich nur noch die Bilder der Mutter und der Tochter, nach denen weiterhin gesucht wird. Bei den Medien könne man nur darauf hoffen, dass sie der Bitte nachkommen.

Allerdings haben wir das Gefühl, dass diese Hoffnung bei den Leuten von “Bild” vergebens ist.

Mit Dank an @macerarius.

Die widerliche „IS“-Propaganda bei Bild.de

Bild.de berichtete gestern über „eine neue, zynische Propaganda-Aktion“ der Terrormiliz „Islamischer Staat“ („IS“ oder „ISIS“):

Vermummte Kämpfer führen vier gefesselte Männer auf das Dach eines vierstöckigen Hauses in der Stadt Falludscha (Zentral-Irak). Mit ihren wehrlosen Gefangenen treten sie an die Brüstung des meterhohen Hauses – stoßen dann ihre Opfer nacheinander in den Tod: Der Vorwurf der Terroristen: Die Männer seien homosexuell gewesen.

Bilder der Hinrichtung sind bei Twitter zu sehen. Und bei Bild.de.

Die Redaktion hat in dem Artikel drei Fotos veröffentlicht, die zeigen, wie die Terroristen einen (zumindest halbwegs verpixelten) Mann zum Dach bringen …

… wie sie ihn über die Brüstung schubsen und sogar, wie er vom Dach fällt:

Wieder einmal verbreitet die Terrormiliz im Internet die grausame Propaganda ihres „Gottesstaates“.

Und wieder einmal verbreitet Bild.de fleißig mit.

“Die Medien sollten zurückhaltend mit der Veröffentlichung von Fotos umgehen und sich nicht als Propagandainstrument der Terroristen missbrauchen lassen.”

… sagte der Presserats-Vorsitzende Lutz Tillmanns vor gut einem Jahr, als die Bilder von der Hinrichtung des Journalisten James Foley um die Welt gingen.

Bei Bild.de sieht die Zurückhaltung so aus:

Wenn ein „Neues Schockfoto aus der perversen Welt der Terrormiliz“ auftaucht — Bild.de zeigt es:


(Immerhin: Gesichter von Geiseln und abgetrennte Köpfe macht Bild.de in den meisten Fällen unkenntlich.)

Wenn auf Youtube ein neues „abscheuliches Propagandavideo“ auftaucht, baut Bild.de es oft direkt in den Artikel ein …

… unterlegt es mit einem Off-Kommentar und lädt es als eigenes Video („Copyright BILD“) wieder hoch …

… oder zeigt die „barbarischen“, „widerwärtigen“, „perversen“ und „niederträchtigen“ Szenen als Screenshots (kleine Auswahl):


























Etliche Fotos und Videos hat Bild.de schon veröffentlicht, von posenden, Fahne schwingenden, Panzerfaust schießenden Terroristen; und von gedemütigten, gefolterten und ermordeten Geiseln vor, während und nach ihrem grausamen Tod. Nur in den seltensten Fällen beschränkt sich Bild.de auf die bloße (ausführliche) Beschreibung der “Horrorbilder”.

Dabei schreibt Bild.de selbst:

Für ISIS erfüllt die Veröffentlichung derart abscheulicher Videos mehrere Zwecke. Zum einen dienen die medialen Zeugnisse ihrer Grausamkeit als wichtiges taktisches Mittel. (…)

Zudem erfüllen die Gräuelvideos auch einen Rekrutierungszweck: Bei den Sympathisanten der Terrorgruppe handelt es sich offenkundig um Personen mit ausgeprägter Gewaltaffinität und starken sadistischen Neigungen. Gegenüber konkurrierenden Terrorgruppen, die ihre Mordtaten weniger medial aufbereiten, hat ISIS den Vorteil, die sadistischen Bedürfnisse dieser Personengruppe stärker zu befriedigen.

Kurzum:

Mit ihrer massiven Propagandaschlacht im Internet vermarkten die Terroristen regelrecht ihren Kampf!

Und Bild.de hilft ihnen dabei.

Mit Dank an Christian M. und Stefan F.

Siehe auch:

Blättern:  1 ... 23 24 25 ... 48