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Woolwich, Warren Buffett, Konformität

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Medien verbreiten Mörder-Video”
(ndr.de, Video, 5 Minuten)
Pro und Contra zur Veröffentlichung des Amateurvideos nach dem Mordanschlag im Londoner Stadtteil Woolwich. Siehe dazu auch “Blut garantiert Öffentlichkeit” (cicero.de, Alexander Kissler).

2. “Schluss mit kostenlos”
(freitag.de, Jakob Augstein)
“Freitag”-Verleger Jakob Augstein wünscht dem neuen Bezahlmodell von “Bild” im Netz Erfolg. “Wenn Journalismus eine Zukunft haben soll, muss der Leser zahlen. Aber der Leser hat im Netz das Zahlen für Inhalte verlernt.”

3. “Prof. Norbert Bolz über ein ‘echt attraktives Angebot’ der BILD-Zeitung”
(carta.info, Peter Ruhenstroth-Bauer)
Auch Medienwissenschaftler Norbert Bolz lobt “das echt attraktive Angebot”, das “viele Interessenten finden” wird. “Prof. Norbert Bolz ist für die Macher der Springer-Medien kein Fremder: Mal wird er dort als ‘Medienwissenschaftler’, mal als ‘profiliertester Kenner der Medienwissenschaft’ dann wieder als ‘Medienphilosoph’ apostrophiert. Im ARD-Beitrag urteilte er jedoch über die BILD-Online-Bezahlschranke nicht als BILD-Autor, als Referent im ‘Salon’ des Axel Springer Verlags oder als ‘Welt’-Interviewpartner. Hier wurde der unabhängige Medienwissenschaftler befragt.”

4. “Der Einfluss der Eliten auf deutsche Journalisten und Medien”
(ruhrbarone.de, Michael Voregger)
Michael Voregger befragt Uwe Krüger zu seiner Doktorarbeit über die Nähe von Journalisten zur Elite: “Je näher sie den Machthabern und Entscheidern kommen, desto weiter entfernen sie sich von Kritik und Kontrolle. Die Nähe ist meist erkauft mit Konformität.”

5. “Since Twitter hasn’t built a correction feature, here are 3 things journalists can do instead”
(poynter.org, Craig Silverman, englisch)
Craig Silverman glaubt nicht mehr daran, dass Twitter eine Korrekturfunktion bauen wird: “We should instead focus our energies on three areas that will help address the core issue at hand: the spread of misinformation on social networks.”

6. “Warrens Warnung”
(medienspiegel.ch, Edgar Schuler)
80 Zeitungen besitzt Investor Warren Buffett inzwischen teilweise oder ganz. “Die Hoffnung, die Warren Buffett der gedruckten Zeitung scheinbar verleiht, kann man also durchaus auch als Warnung sehen: Nur zum Schnäppchenpreis lohnt die Investition in eine Zeitung. Und auch dann wohl höchstens vorübergehend.”

PLO-Chef & Bushido-Kumpel mit 6 Buchstaben

“Focus Online” musste heute folgende Gegendarstellung veröffentlichen:

Unter www.focus.de verbreiten Sie am 10.05.2013 unter der Überschrift “Bewährungsstrafe für Bushidos Freund” unter Bezugnahme auf die “Bild”-Zeitung, ich sei in einem Prozess, in dem ich mich “offenbar wegen Beihilfe bei einer Bedrohung aus dem Jahr 2010 vor Gericht verantworten” musste, zu einer “Bewährungsstrafe von vier Monaten” verurteilt worden.

Hierzu stelle ich fest: Ich wurde nicht verurteilt, sondern auf Antrag der Staatsanwaltschaft freigesprochen.

Berlin, den 14. Mai 2013

Arafat Abou-Chaker

Nun könnte man sagen: Schön blöd von der Agentur SpotOn, das einfach aus der “Bild”-Zeitung abzuschreiben. In diesem Fall müsste es aber heißen: Schön blöd, das falsch aus der “Bild”-Zeitung abzuschreiben. Die schrieb nämlich nicht, dass Arafat Abou-Chaker, der “Boss des Abou-Chaker-Clans”, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, sondern sein Bruder Yasser.

Andererseits: Yasser, Arafat. Wer kann schon ahnen, dass das nicht mehr nur eine Person ist.

Bild  

Auf links gedreht

Anfang der Woche hat das Bundesinnenministerium neue Zahlen zur “politisch motivierten Kriminalität” (PDF) in Deutschland veröffentlicht.

So berichteten deutsche Medien über die Studie:

epd:
Zahl rechtsextremer Straftaten steigt

“Focus Online”:
Zentralrat der Juden besorgt - Rechte Gewalt nimmt in Deutschland zu

Die Welt:
Extremismus - Mehr rechtsextreme Gewalttaten in Deutschland

Auch die Texte von dpa und AFP sowie die Online-Auftritte von “taz”, “Stern”, der “Augsburger Allgemeinen” oder dem “Tagesspiegel” haben ähnliche Überschriften.

Nur die “Bild”-Zeitung setzt einen etwas anderen Schwerpunkt:

Linke Gewalt - Weniger Fälle, aber immer brutaler

Die Zahl links motivierter Straftaten ist 2012 im Vergleich zum Vorjahr (2011) deutlich gesunken. Aber mehr als jede zweite Straftat richtete sich mittlerweile gegen “Leib und Leben” der Betroffenen. Zugleich hat die politisch rechts motivierte Kriminalität 2012 zugenommen, von 16 873 (2011) auf 17 616 Straftaten (plus 4,4 %). (…)

Die Zahl links motivierter Straftaten ist demnach von 8687 (2011) auf 6191 gesunken (minus 28,7 %).

“Bild” schreibt also, “mehr als jede zweite” von diesen knapp 6.000 linksmotivierten Straftaten habe sich gegen “Leib und Leben” von jemandem gerichtet. Das würde bedeuten: Im vergangenen Jahr haben linke Gewalttäter mehr als 3.000 Mal Menschen attackiert oder umgebracht. Doch damit liegt “Bild” ein ganzes Stück daneben: Es waren nicht 3.000 solcher Taten, sondern “nur” etwa 700.

Der Fehler ist simpel: Das Blatt hat die Straftaten mit den Gewalttaten verwechselt. Von den 6.000 Straftaten der Linken werden nämlich “nur” knapp 1.200 als “Gewalttaten” eingestuft — und davon etwa die Hälfte als Angriffe auf Leib und Leben. Der Rest besteht hauptsächlich aus Propagandadelikten (“d.h. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen”) und Sachbeschädigungen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Leute von “Bild” bei der Analyse einer solchen Studie fast ausschließlich nach links schauen. Aber wenigstens haben sie die Gewalt der Rechten diesmal nicht komplett verschwiegen.

Mit Dank an Matthias P.

“Tagesschau”-Ausfall mit Folgen

Wir sind ja nicht die einzigen, die Fehler in deutschsprachigen Medien aufschreiben. Die Medien machen das auch gerne mal selber — wobei sie sich deutlich lieber den Pannen ihrer Mitbewerber widmen, als den eigenen.

Gestern Morgen konnte “Focus online” mit einem spektakulären Problem anderer Leute aufwarten:

7.30-Uhr-Sendung in der ARD: Tagesschau fällt aus – zum ersten Mal in 60 Jahren. Peinliche Premiere für die ARD: Am Freitag ist die Tagesschau ausgefallen – zum ersten Mal in der 60-jährigen Geschichte.

Okay, die Ausgabe der “Tagesschau”, die ausgefallen ist, war die um 8 Uhr und nicht die um 7.30 Uhr. Und es war auch nicht ganz “zum ersten Mal”, dass eine “Tagesschau” nicht gesendet werden konnte, wie der zuständige NDR in einer Pressemitteilung am Vormittag erklärte:

Einen Tagesschau-Ausfall gab es u. a. vor rund zehn Jahren. Damals war an einem Sonntagmorgen ein Verteiler für die öffentliche Stromversorgung in der Nähe des ARD-aktuell-Studios bei Bauarbeiten beschädigt worden.

Diese Nachricht hat sich im Laufe des Vormittags auch zu “Focus Online” rumgesprochen. Dort lautet die Formulierung inzwischen:

Heute Morgen um 8 Uhr ist die Tagesschau ausgefallen – zum ersten Mal in ihrer 60-jährigen Geschichte aus redaktionsinternen Gründe [sic!].

Auch die Deutsche Presse Agentur (dpa), die sich in ihrer ersten Meldung weitgehend auf die Angaben von “Focus Online” verlassen hatte, musste die falsche Uhrzeit der ausgefallenen Sendung korrigieren.

Anfangs hatte dpa geschrieben:

Laut “Focus” ist es das erste Mal in der 60-jährigen Geschichte der “Tagesschau”, das [sic!] eine Sendung ausgefallen ist.

Später schrieb die Agentur:

Ausfälle der “Tagesschau” sind selten. Unter anderem konnte nach Angaben des NDR vor etwa zehn Jahren eine Nachrichten-Sendung wegen eines Stromausfalls nicht gesendet werden. Damals war bei Baggerarbeiten in der Nähe des Sendezentrums ein Verteiler geschädigt worden.

“Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke konnte diesen Ausfall uns gegenüber dann auch noch konkretisieren:

Am 26.11.2006 fiel eine Kurzausgabe am Sonntagvormittag aus, weil die Stromversorgung für das gesamte Stadtviertel durch einen Bagger lahmgelegt wurde.

Womit diese Überschrift von “Spiegel Online” im Nachhinein auch eher halbrichtig ist:

"Tagesschau" erstmals seit zehn Jahren ausgefallen. Schuld war der Kollaps einer Mitarbeiterin: Am Freitag konnte die 8-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" nicht gesendet werden - erstmals seit zehn Jahren. Die Angestellte wurde ärztlich versorgt und wird inzwischen im Krankenhaus behandelt.

In seinem Blog schreibt Gniffke:

Dann lese ich auf einer News-Website von einem “peinlichen Moment für die ARD”. Ehrlich gesagt fand ich das nicht peinlich, sondern habe mich um die Mitarbeiterin gesorgt. Ihr galt meine erste Frage. Sie wurde mit dem Notarztwagen in die Klinik gebracht und untersucht. Glücklicherweise wurde sie mittags entlassen – es geht ihr wieder besser.

(Das mit dem “peinlichen Moment” war auch “Focus Online”.)

Und dann war da natürlich noch jemand, der immer verlässlich zur Stelle ist, wenn bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern irgendwas schief geht.

Bild.de hatte zunächst geschrieben:

Wenige Wochen nach der fiesen Lotto-Panne hat heute Morgen im Ersten schon wieder etwas nicht geklappt. Zum ersten Mal in der 60-jährigen Geschichte konnte die ARD-“Tagesschau” nicht gesendet werden.

Das war ziemlicher Quatsch. Bei der “fiesen Lotto-Panne” vor drei Wochen, auf die Bild.de anspielte, hatte die Ziehung der Lottozahlen wiederholt werden müssen, weil zwei Kugeln nicht in die Lostrommel gefallen waren. Allerdings im ZDF.

Bild.de hat den Satz mit der Behauptung, dass “im Ersten schon wieder etwas nicht geklappt” hätte, ziemlich schnell und sehr unauffällig aus dem Artikel entfernt.

Doch auch der zweite Satz war ja, wie wir inzwischen wissen, so nicht richtig. Und so hat Bild.de den Artikel noch mal unauffällig überarbeitet, jeden Verweis auf einen “historische[n] Ausfall im Ersten” entfernt und sich für diesen eher sachlichen Anfang entschieden:

Die ARD-“Tagesschau” konnte am Freitag um 8 Uhr nicht gesendet werden. Die Sendung im Rahmen des “Morgenmagazins” musste ausfallen, weil eine wichtige Mitarbeitern kurz zuvor zusammengebrochen war!

Verglichen mit der sensationsheischenden Berichterstattung mancher Medien dürfte der Ausfall der “Tagesschau” der am wenigsten peinliche Teil dieser Geschichte gewesen sein.

Mit Dank an Benjamin K., Helge, Benjamin G. und Volker G.

Überall Blut

Früher konnten Eltern ihren Kindern noch die Augen zuhalten, wenn in der “Tagesschau” Beiträge über den Bürgerkrieg in Jugoslawien, Anschläge der IRA oder ähnliche, mutmaßlich blutige Themen angesagt wurden. Heute surfen die Kinder im Internet rum und auch wenn die wenigsten von ihnen freiwillig auf Nachrichtenseiten gehen dürften, ist die Chance, auf verstörende (Bewegt-)Bilder zu stoßen, allgegenwärtig.

Nachdem es am Montag an der Ziellinie des Boston Marathons zu zwei Explosionen gekommen war, tauchten innerhalb kürzester Zeit im Internet Fotos und Videos auf, bei denen sich viele sicherlich die schützende Hand der Eltern zurückgewünscht haben — und das nicht nur bei Facebook, Twitter & Co. (vgl. “6 vor 9” von heute), sondern auch auf mehr oder weniger seriösen Nachrichtenseiten.

Bild.de zeigte (natürlich) Bilder, die mit “Blutüberströmt wird diese verletzte Frau in einem Rollstuhl zum Krankenwagen gefahren”, “Eine junge Frau wird vor Ort am Boden verarztet”, “Ein verletzter Mann liegt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einer Trage”, “Auch dieser schwer verletzte Mann muss im Rollstuhl zum Krankenwagen gebracht werden” und “Eine Frau mit einem verwundeten Bein wird auf eine Trage verlagert” einigermaßen treffend umschrieben sind. “Focus Online” präsentierte eine Bildergalerie unter der Überschrift “Terror auf der Ziellinie – Schreckens-Bilder aus Boston”, stern.de zeigte Fotos, auf denen “deutlich […] die Blutflecken zu erkennen” waren, oder sich Menschen “schreiend auf der Erde wälzen”, und “RP Online” betextete seine Bildergalerie durchaus treffend mit: “Diese Läuferin läuft weinend durch die Gegend” und “Überall waren Blutlachen zu sehen”. Auf amerikanischen Nachrichtenseiten waren mitunter noch heftigere Fotos zu sehen, noch mehr Blut — teils ohne jede Vorwarnung direkt auf der Startseite.

Auf sueddeutsche.de erschien gestern ein Artikel über die “Macht der Bilder”, in dem es heißt:

Egal, wer für den Anschlag verantwortlich ist, die Täter haben ein erschreckendes Gespür für die Symbolik eines Terroranschlags gezeigt. Nirgendwo waren mehr Kameras, nirgendwo haben mehr Menschen das Ereignis verfolgt. Und an keiner anderen Stelle wäre die unmittelbare Aufmerksamkeit höher gewesen, als an der Ziellinie. Jede Sekunde des Anschlags ist in zahllosen Clips aus allen nur denkbaren Einstellungen zu sehen. Jedes kleinste Detail wurde mit Smartphones festgehalten und hat sich innerhalb weniger Minuten auf der ganzen Welt verbreitet. Ungefiltert, nahezu in Echtzeit. Wer will, kann das Grauen mit all seinen Facetten ansehen. Und genau das ist es, was die Terroristen bezwecken.

Das ist sicher richtig.

Insofern ist es konsequent und lobenswert, dass sueddeutsche.de diesem und anderen Artikeln einen Kommentar hinzugefügt hat:

Im Zuge der Berichterstattung über den Anschlag in Boston verzichtet Süddeutsche.de bewusst auf die Veröffentlichung von Fotostrecken und Videos mit blutigen Bildern der Opfer. Uns ist bewusst, dass andere News-Seiten, auf die wir – nach sorgfältiger Prüfung – in unseren Texten verlinken, derartige Fotos möglicherweise zeigen. Wir glauben jedoch, dass in diesen Fällen der Informationsgehalt der verlinkten Artikel so hoch ist, dass Verweise dennoch gerechtfertigt sind.

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Ein Fall für den “Hartz-IV-Inspektor”

Vor einigen Jahren hat “Bild”-Autor Dirk Hoeren noch selbst Jagd gemacht auf die “Hartz-IV-Schmarotzer”. Heute schaut er offenbar lieber zu.

GEHEIMPLAN - Jagd auf kranke Hartz-IV-Empfänger
(…) Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sucht ganz gezielt nach Blaumachern unter Hartz-IV-Empfängern, die sich krankgemeldet haben!! Eine neue interne Weisung der BA (liegt BILD vor) fordert die Jobcenter zu schärferen Kontrollen der Arbeitsunfähigkeit der Arbeitslosen auf.

Nachdem die Agenturen gestern Morgen eine Zusammenfassung des “Bild”-Artikels über die Ticker geschickt hatten, berichteten auch andere Medien über die Pläne der Bundesagentur – wobei sich viele von ihnen ausschließlich auf die Informationen der “Bild”-Zeitung beriefen. Hätten sie stattdessen selbst ein wenig recherchiert, wären sie schnell darauf gestoßen, dass der “Geheimplan” so geheim nicht sein kann.

Denn die “interne Weisung” liegt nicht nur “Bild” vor, sondern jedem, der Internet hat. Wie uns die Bundesagentur auf Anfrage bestätigte, sind die Pläne seit fast drei Wochen öffentlich einsehbar.

Mit Dank an Thorsten V.

“Bild” lässt Merkel keine Privatsphäre

Am Mittag veröffentlichte die Deutsche Presse Agentur (dpa) eine Meldung, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel “verärgert” sei über Fotos von ihr und ihrer Familie, die während ihres Oster-Urlaubs in Italien entstanden seien:

Alle Fotos seien ohne ihr Wissen entstanden und ohne ihre Billigung veröffentlicht worden, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. “Das sind alles Fotos, die aus irgendwelchen Verstecken heraus gemacht worden sind (…) Sie können sich vorstellen, dass es nicht immer entspannt ist, wenn man irgendwo Urlaub macht und das Gefühl hat, aus jeder Ecke lugt ein Objektiv hervor.” Es sei bekannt, dass die Kanzlerin keine große Neigung zur Pose habe. Merkel war sowohl mit den Kindern und Enkelkindern ihres Mannes Joachim Sauer beim Wandern als auch im Badeanzug beim Schwimmen gezeigt worden.

Nachlesen können Sie das etwa bei “Spiegel Online”, “RP Online”, “Focus Online”, stern.de und im “Westen” (wo die Redaktion die erstaunliche Transferleistung erbracht hat, die Meldung mit einem der besagten Paparazzi-Fotos zu bebildern).

Nicht nachlesen können werden Sie das vermutlich auf Bild.de und in der morgigen “Bild”. Was natürlich mit der heutigen “Bild” zusammenhängen könnte:

Kanzlerin privat: Merkels geheimes Familien-Leben
(Kindergesichter im Original verpixelt, vollständige Anonymisierung von uns.)

Im Badeanzug zeigt “Bild” die Kanzlerin zwar nicht, aber auf der Seite 2 sind weitere fünf Fotos von Angela Merkel, die “wir” “so entspannt” “noch nie gesehen” haben:

SIE ist die meistfotografierte Frau Deutschlands.

Wenn SIE im Dienst ist. So gut wie nie gibt es dagegen Fotos, Berichte aus dem Privaten, aus Angela Merkels Familienleben.

Dabei hat sie eines. Sie zeigt es nur nicht gern her – wie ein gut gehütetes Geheimnis.

Wie gemein von ihr.

Übergriffe, Drachen, SWR3-Topthema

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wenn Politiker übergriffig werden”
(welchering.de)
Journalist Peter Welchering berichtet nach Recherchen über die Verwendung von Steuergeldern von Übergriffen durch Politiker: “Vollends irritiert hat mich, dass die vier Kollegen, die ähnliche Erfahrungen mit übergriffigen CDU-Politikern gemacht haben wie ich, von diesen Amtsträgern mit Bananenrepublikverständnis so eingeschüchtert waren, dass sie dringend um Anonymität gebeten haben.”

2. “SWR3 Flopthema – Mein Topthema”
(thorstenreimnitz.blogspot.de)
Thorsten Reimnitz kritisiert das “SWR3-Topthema”: “Ich will keine Phrasen (‘blühender Blödsinn’, ‘Neiddebatte’) oder gar Beleidigungen (‘Lügenbaron’) hören, ich will Argumente. Und eine Meinung will ich mir selber bilden, ansonsten kann ich auch eine Boulevardzeitung lesen.”

3. “In eigener Sache: Der Heise Zeitschriften Verlag und das Leistungsschutzrecht”
(heise.de)
Zum vom Bundestag letzte Woche verabschiedeten Leistungsschutzrecht für Presseverleger erklärt der Heise Zeitschriften Verlag: “Die Freiheit der Berichterstattung, der Verlinkung und des Zitierens, wer immer sie auch in Anspruch nimmt, darf keinesfalls gefährdet werden. Oder, um es allgemeiner zu formulieren: Wir akzeptieren keine Einschränkungen der Freiheiten und Möglichkeiten des Internet.”

4. “Ich blogge jetzt 8 Jahre und wollte euch was sagen”
(stadt-bremerhaven.de, Caschy)
Caschy bloggt “seit Jahren so 12 – 14 Stunden am Tag”: “Wie sich dieses Blog mit mir finanziert? Es gibt hier keine Schleichwerbung.”

5. “Die Finanzkrise im Spiegel der Medien”
(nzz.ch, Helena Hamann und Stephan Russ-Mohl)
Eine Gruppe von Forschern untersucht die Medien während der Finanzkrise: “Überraschend war für die Forscher, dass in den Nachrichten zwar von staatlichen Eingriffen berichtet und ihr Nutzen diskutiert worden sei, die Medien jedoch die Einmischung des Staates generell nicht mehr in Frage gestellt hätten. Auch die redaktionellen Linien der untersuchten Medien hätten ihre Gesamtberichterstattung nicht beeinflusst. ”

6. “#6 Chinabildblog: Medien machen Angst”
(doppelpod.com)
China als Drache auf den Titelseiten von “Spiegel” und “Focus”: “Ist das den Korrespondenten denn nicht langsam peinlich, für Magazine zu arbeiten, die mit ihrer Bildersprache da weiter machen, wo Wilhelm II mit seiner Hunnenrede aufgehört hat? Merken die denn gar nicht, dass sie mit diesen Bildern den Verdacht vieler Chinesen, westliche Medien würden anti-chinesische Propaganda betreiben, immer weiter erhärten?”

Rechnen mit Sklaven, Lesen mit Journalisten

Die Überschrift ist ebenso rätselhaft wie vielversprechend:

Mathe-Unterricht in den USA: Schüler sollen Rechenaufgaben mit toten Sklaven lösen

Die Geschichte, die “Focus Online” darunter erzählt, handelt davon, dass Kinder einer amerikanischen Grundschule Rechenaufgaben wie die folgende lösen sollten: “Ein Sklave wird fünfmal am Tag ausgepeitscht. Wie oft wird er in einem Monat ausgepeitscht?”

Das Stück wirkt ungewöhnlich gründlich recherchiert. Gleich drei verschiedene Quellen nennt “Focus Online” (ohne auch nur eine einzige davon zu verlinken): den Online-Auftritt des “New York Magazine”, die Zeitung “Atlanta Journal-Constitution” und CBS News.

Nur dass sich zum Beispiel die Angaben im “New York Magazine” (und in anderen Medien) so gar nicht mit dem decken, was “Focus Online” schreibt. So handelt es sich nicht um “Drittklässler der Beaver Ridge Grundschule im US-Bundesstaat Georgia”, sondern um Viertklässler der Schule PS 59 in New York City. Und auch nicht um neun betroffene Lehrer, sondern um zwei. Und von Ed DuBose, dem Präsidenten der Bürgerrechtsorganisation NAACP ist, anders als “Focus Online” schreibt, auch noch keine konkrete Forderung bekannt geworden, die Verantwortlichen zu feuern.

Des Rätsels Lösung: “Focus Online” hat die aktuelle Aufregung (in New York) mit einem ähnlichen Vorfall vor einem Jahr (in Georgia) verwechselt. Der war damals auch durch die deutsche Presse gegangen.

Und wir nehmen als Anregung für lebensnahe Unterrichtsgestaltung die Rechenaufgabe mit: Ein Redakteur macht pro Artikel, aus dem er zitiert, einen Fehler. Wie viele Quellen sind nötig, um den Qualitätsstandard von “Focus Online” zu halten?

Nachtrag, 22:50 Uhr. “Focus Online” hat den Artikel offen korrigiert.

Die Jagd nach der nackten Wahrheit

Als die Österreicherin Natascha Kampusch im Sommer 2006 nach achtjähriger Gefangenschaft plötzlich wieder auftauchte, begann im deutschsprachigen Journalismus eine Jagd. Eine völlig groteske Jagd, die nur ein einziges Ziel hat: Die Antwort auf die Frage, ob Natascha Kampusch Sex mit ihrem Entführer hatte.

Die Jagd beginnt im Jahr 2006. Am 23. August erfährt die Welt, dass das Mädchen wieder aufgetaucht ist. Acht Jahre lang war sie verschwunden, gefangengehalten von Wolfgang Priklopil, der sich noch am Tag ihrer Flucht das Leben nimmt. Jetzt ist sie frei und wohlauf, es ist eine Sensation. Überall auf der Welt berichten Medien über den spektakulären Fall aus Österreich. Und bereits zwei Tage später wird deutlich, was einige daran am allermeisten interessiert:

(…) Vielleicht hat er das Mädchen zu seiner Sex-Sklavin gemacht, vermuten österreichische Medien.

“Bild”, 25.08.2006

***

(…) HAT DER KIDNAPPER SEIN OPFER SEXUELL MISSBRAUCHT?

“Aus meiner Sicht, ja”, meint die Polizistin. “Aber Natascha ist das noch nicht bewusst. Sie sagt, sie hat immer alles freiwillig gemacht.”

“Bild”, 25.08.2006

***

(…) Die Beamtin geht auch davon aus, dass das Mädchen sexuell missbraucht worden ist – “doch das ist ihr nicht bewusst, sie ist der Meinung, es freiwillig gemacht zu haben”. Natascha schilderte auch den Tagesablauf in Gefangenschaft: Sie frühstückte mit der Sex-Bestie, musste im Haushalt helfen.

***

Seine Sklavin – Sie musste für ihn putzen. Er forderte auch Sex von ihr

(…) Was spielte sich im Keller ab? Eine Polizistin sagt, sie glaube, dass Priklopil Natascha zum Sex zwang: “Aber sie sagt, sie habe das immer freiwillig gemacht.”

“Express”, 26.08.2006

***

Zum Sex gezwungen? Natascha und ihr Entführer hatten intime Kontakte

Die mehr als acht Jahre gefangen gehaltene Österreicherin Natascha Kampusch hatte der Polizei zufolge sexuellen Kontakt zu ihrem Entführer.

“Nürnberger Nachrichten”, 28.08.2006

Nun, bis hierher unterscheidet sich dieser Fall nicht wesentlich von anderen, in denen entführte Kinder wieder aufgetaucht sind. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier über den “sexuellen Kontakt” zwischen Opfer und Entführer spekuliert wird, ist im heutigen BoulevardJournalismus nichts Ungewöhnliches und zum Teil sicherlich unserem eigenen Voyeurismus geschuldet. Detaillierte Schilderungen der durchlebten Qualen sind zum Pflichtprogramm in der Berichterstattung geworden; wer über ein entführtes Kind berichtet, berichtet im selben Atemzug auch über das, was es durchmachen musste. Es scheint, als gehöre das dazu.

Und wenn heutzutage deutsche Journalisten – so wie im Fall von Stephanie R. vor ein paar Jahren geschehen – in einer großen Magazingeschichte die Leiden eines 13-jährigen Mädchens nachzeichnen, das “mehr als 100-mal” missbraucht wurde, gehört es offenbar auch dazu, dass geschildert wird, wo und wann und wie der Entführer das Mädchen vergewaltigt hat – und woran es dachte, “während er in ihr” war. Der “Spiegel” jedenfalls hatte 2006 kein Problem damit, solche Details zu veröffentlichen.

Read On…

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