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Medien sprechen Reisewarnung für Ostdeutschland aus

Große Aufregung in der vergangenen Woche:

Die Regierung in Kanada hat eine Reisewarnung für Ostdeutschland herausgegeben. Darin ist die Rede von extremistischen Jugendbanden, die in Teilen Ostdeutschlands eine Bedrohung darstellten. Mitglieder solcher Gangs seien bekannt dafür, Personen wegen ihrer Rasse oder ihres ausländischen Aussehens zu belästigen oder direkt zu attackieren. Auch habe es schon Brandanschläge auf parkende Fahrzeuge gegeben.

Die „Warnung aus Kanada konkret für Ostdeutschland“ komme „nicht von ungefähr“, schreibt das „Handelsblatt“: “Die ausländerfeindliche Pegida-Bewegung verzeichnet in Dresden in Sachsen weiter Zulauf.”

Darauf habe die kanadische Regierung also reagiert. Und das schmeckt den hiesigen Politikern so gar nicht.

Die Sachsen-CDU reagiert empört auf die Reisewarnung. „Das entspricht nicht der Realität und ist extrem rufschädigend“, sagte der Generalsekretär der sächsischen CDU und Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Kretschmer, dem Handelsblatt. „Deutschland muss dieser Beurteilung entschieden entgegen treten.“

Bevor Deutschland damit loslegt, würden wir ihm raten, sich ein bisschen besser zu informieren als das “Handelsblatt” oder der Herr Generalsekretär. Die Geschichte stimmt nämlich gar nicht.

Kanada hat keine Reisewarnung für Deutschland herausgegeben. Es gelten nach wie vor die „normalen Sicherheitsvorkehrungen“, also die niedrigste Sicherheitsstufe.

Auf der Internetseite der kanadischen Regierung gibt es lediglich einige Sicherheitshinweise für Deutschland. Da wird zum Beispiel vor Taschendieben „an Bahnhöfen, auf Flughäfen und Weihnachtsmärkten“ gewarnt. Oder davor, dass Demonstrationen ohne Vorwarnung in Gewalt umschlagen könnten. Oder eben vor extremistischen Jugendgruppen, die besonders „in einigen kleineren Städten und in Teilen des früheren Ostdeutschlands“ eine Bedrohung seien.

Das „Handelsblatt“ verdreht diesen Vermerk zu einer „Reisewarnung für Ostdeutschland“. Und erweckt den Eindruck, als reagiere die kanadische Regierung damit auf „Pegida“ & Co. – aber auch das ist falsch. Die Hinweise stehen nicht erst seit Neuestem auf der kanadischen Seite (wie auch ein Blick in die Wayback-Machine verraten hätte), sondern seit zehn Jahren.

Was sich vor dem Hintergrund der Angriffe auf Flüchtlingsheime vor allem im Osten der Republik wie eine aktuelle Zustandsbeschreibung liest, stammt allerdings schon aus dem Jahr 2005.

schreibt „Zeit Online“, eines der wenigen Medien, die nicht einfach blind vom “Handelsblatt” abgeschrieben haben.

Nur ein Hinweis zu gestiegenen Flüchtlingszahlen in Europa sei am 28. September neu hinzugekommen, sagt die Sprecherin der kanadischen Botschaft in Berlin, Jennifer Broadbridge ZEIT ONLINE. Dadurch könne es zu Verspätungen an Grenzübergängen und Bahnhöfen kommen, steht in dem Absatz.

Anders gesagt: Das einzig Neue an den der Geschichte ist, dass die kanadische Regierung vor Verzögerungen im Zugverkehr warnt. Alles andere ist entweder falsch oder mindestens zehn Jahre alt.

Das muss jetzt nur noch jemand dem “Handelsblatt” erklären. Und der “Thüringer Allgemeinen”:

Und “Spiegel Online”:

Und stern.de:

Und der “tz”:

Und der “Huffington Post”:

Und den vielen, vielen anderen.

Immerhin: Es gibt noch eine Handvoll Journalisten, die erkannt haben, dass das alles Unsinn ist. Bernhard Honnigfort etwa schreibt auf der Onlineseite der „Frankfurter Rundschau“:

Tatsache ist, Kanada hat nicht vor Reisen nach Ostdeutschland gewarnt, sondern bittet seine Landsleute nur darum, aufzupassen und wachsam zu sein.

Und:

Natürlich ist das lange bekannt und der kanadische Warnhinweis ist nicht neu, sondern nur aktualisiert.

Natürlich. Und dass er das Märchen zuvor selbst ganz empört verbreitet hatte, sowohl in der “FR”

… als auch in der „Berliner Zeitung“

… im „Express“

… im „Berliner Kurier“

… und in der „Mopo“

… das erwähnt Honnigfort – natürlich – nicht.

Bei “Focus Online”, wo ebenfalls eindringlich über den Fall berichtet wird …

… haben sie sich nicht bloß auf die falschen Fakten der Kollegen verlassen, sondern selbst welche erfunden. Das Portal schreibt:

Auch vor in Brand gesteckten geparkten Autos wird gewarnt – das betreffe vor allem Berlin.

Berlin wird in den Hinweisen an keiner Stelle erwähnt.

So zieht die Geschichte munter ihre Kreise und wird mit jedem Mal ein bisschen weniger wahr.

Man will sich gar nicht vorstellen, was die kanadische Botschaft inzwischen denkt. Auf Anfrage gibt sie sich aber, klar: diplomatisch. Dem Evangelischen Pressedienst sagte die Sprecherin, man könne die ganze Aufregung zwar nicht nachvollziehen, jedoch würde die Ostdeutschland-Passage „angesichts der aktuellen Debatte” nun “geprüft und möglicherweise in den kommenden Tagen geändert“.

In den Sicherheitshinweisen schreibt die Regierung übrigens, dass man, wenn man in Deutschland unterwegs sei, „die lokalen Medien verfolgen“ solle. Auch ein Ratschlag, über den man mal nachdenken könnte.

Mit Dank an Holger S.

In nur vier Stunden vom Obdachlosen zum Perser

Helge Schneider hat für seine Zivilcourage mal ordentlich Prügel kassiert. Das hat er vergangenen Woche in einem Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” (mit Bezahlschranke) erzählt:

Aber viele Künstler sind sehr verliebt in die Regel: Die Politik ist hilflos, wir müssen jetzt ran.

Wenn einem etwas direkt im Alltag begegnet, muss man schon ran. Das nennt man Zivilcourage, hab’ ich auch schon mal gemacht.

Was war passiert?

Das waren zwei Typen, die wollten einen Perser verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen. Der konnte wegrennen. Dann hab’ ich das abgekriegt.

Wurden Sie verletzt?

Es hielt sich im Rahmen. Ich hatte den Kiefer angebrochen. […]

Schneider, Schlägerei, angebrochener Kiefer — klar, dass das auch andere Medien aufgreifen. Zum Beispiel “Spiegel Online”

… oder stern.de

… oder welt.de:

Und auch “Focus Online”. Doch dort klingt die Geschichte schon in der Überschrift etwas anders:

Und Helge Schneider erzählt auf einmal eine ganz neue Version des Vorfalls:

“Das waren zwei Typen, die wollten einen Penner verkloppen. Da bin ich dazwischengegangen”, erzählte der Komiker und Musiker der “Süddeutschen Zeitung” vom Samstag.

Bei morgenpost.de ist ebenfalls von einem “Penner” die Rede.

Der Protagonistenwechsel dürfte durch eine fehlerhafte dpa-Meldung entstanden sein. Die Nachrichtenagentur hatte am Samstagmittag den “Penner” ins Spiel gebracht und erst vier Stunden später eine Korrektur verschickt, mit dem Hinweis: “Berichtigung: Wort im zweiten Satz berichtigt”.

Das interessierte offenbar weder “Focus Online” noch morgenpost.de: Ihre falschen Artikel veröffentlichten beide Redaktionen erst, als die dpa-Korrektur schon Stunden raus war.

Dass ein Medium durchaus auf Agentur-Berichtigungen reagieren — und das auch noch der Leserschaft transparent präsentieren — kann, beweist diepresse.com:

Anmerkung der Redaktion: Quelle dieses Artikels ist die Nachrichtenagentur DPA. Diese hat in einer ersten Meldung von einem “Penner” geschrieben, später allerdings auf “Perser” korrigiert. Wir bedauern den Irrtum.

Mit Dank an Hansi!

Ein Stürmer in Gerüchteabwehr

Vergangene Woche wurde der HSV-Fußballer Artjoms Rudnevs bei einem Streit mit seiner Frau verletzt. Es hieß, sie habe ihm in die Zunge gebissen.

Viele Medien stürzten sich mit fröhlicher Empörung auf die Story um die „höchst pikante Verletzung“ (Bild.de), schrieben Sätze wie “Erst verlor er seinen Torriecher und nun fast seine Zunge” (welt.de) und waren sich schnell einig, dass dem Vorfall ein „bizarrer Ehe-Streit“ (“Focus Online”) zugrunde liegen müsse. Doch weil sich der Fußballer zunächst nicht äußerte, oder wie Bild.de es formulierte:

… malten sich die Journalisten die Hintergründe kurzerhand selbst aus.

Die „Hamburger Morgenpost“ brachte nach investigativer Recherche bei “engen Vertrauten” “krankhafte Eifersucht” ins Spiel, „Bild“ vermutete irgendeine peinliche Geschichte (schließlich wollte Rudnevs ja partout nichts dazu sagen und habe sich im Krankenhaus sogar “unter falschem Namen behandeln” lassen) und zitierte einen „Mental-Coach“, der dem Ehepaar zu einem „professionellen Coaching“ riet.

Der “Social-TV-Sender” joiz (der Rudnevs’ Frau Santa konsequent „Santana“ nennt) machte sich einen besonderen Spaß aus der Sache und lieferte am Freitag „fünf Theorien, wie es zu diesem ‘Streit-Zungen-Ungeschick’ gekommen sein könnte“:

Die Privatsphäre des Fußballers wurde zur lustigen medialen Spekulationsspielwiese. Wer hat noch nicht, wer will noch mal?

Artjoms Rudnevs selbst hat gestern auf der HSV-Seite eine Erklärung abgegeben:

Meine Damen und Herren, liebe Fans, 
 
in den letzten Tagen haben Medien viele falsche und leider auch schädliche Informationen über mich und meine Familie verbreitet. Hinter der ganzen Angelegenheit steckt eine sehr persönliche familiäre Tragödie, die bis zu diesem Zeitpunkt von keinem in Zusammenhang mit diesem Vorfall erwähnt worden ist. Daher wollte ich hiermit einiges aufklären, denn die Angelegenheit wurde bislang nur auf Grundlage von Spekulationen dargestellt, die die Familie Rudņevs in einem sehr schädlichen Licht erscheinen lassen. Die mir nahestehenden Familienmitglieder durchleben gerade sehr schwere Zeiten. 
 
Meine Frau Santa und ich hatten die Geburt unseres dritten Kindes erwartet. Am Samstag, den 29. August 2015, wenige Tage vor dem beschriebenen Vorfall auf einer der Straßen Hamburgs, erlitt meine Frau Santa eine Fehlgeburt. Keine Tragödie im Leben einer Frau kann mit dem Tod des eigenen Kindes auch nur annähernd verglichen werden. 
 
Meine Frau Santa kann dies nur schwer verarbeiten, wie übrigens jede andere Mutter nach einem derart dramatischen Erlebnis. Am unglückseligen Abend in Hamburg hat meine Frau daher zwischenzeitlich aufgehört rational zu denken und wurde hysterisch, weil sie zutiefst bestürzt über den Verlust unseres Kindes war.

Ich mache meiner Frau keinerlei Vorwürfe, für das was passiert ist. Wir sind seit elf Jahren zusammen und seit sechs Jahren sind wir ein sehr glückliches Ehepaar, niemals hatten wir Ehekrach und es gab nie Gewalt in unserer Ehe. Das was passiert ist, ist die für viele schwer nachvollziehbare Reaktion einer Mutter nach dem Tod ihres Kindes. Ich habe keinerlei Absicht, meiner Frau Vorwürfe zu machen. Unsere Familie wird zusammenhalten, vor allem in diesen schwierigen Zeiten.

Angesichts der oben genannten Tatsachen bestreite ich vehement Unterstellungen, wonach der Grund für die besagte Meinungsverschiedenheit eine Affäre mit einer anderen Frau gewesen sein soll, wie fälschlicherweise von Medien berichtet. Laut dem Verfasser eines Artikels soll ich zum Zeitpunkt des Vorfalls in Anwesenheit einer angeblichen Liebhaberin gewesen sein. Dies ist absolut erdacht und erlogen. Die besagte Frau, die uns an diesem Abend begleitet hat, war die Tante von Santa, die einige Tage vorher zu Besuch kam, um uns bei der Betreuung unserer zwei Kinder zu helfen, während wir nach dem tragischen Verlust unseres Kindes zu uns kommen wollten.

Es ist zudem unwahr, dass ich nach dem Einliefern ins Krankenhaus, angeblich unter falschem Namen registriert worden sein soll.

Körperlich geht es mir von Tag zu Tag immer besser. Der Schmerz der Zunge schwindet langsam und stört immer weniger beim Verzehr von normaler Nahrung und beim Sprechen. Laut den Ärzten werde ich zudem bereits nächste Woche das Training wieder aufnehmen können. Ich kann jetzt nicht detailliert sagen, an welchem Tag dies passieren wird. Ich will meine Familie in diesen schwierigen Momenten unterstützen und Santa darin helfen, zur Normalität zurückkehren zu können. Ich liebe meine Familie über alles, und ich tue auch alles, damit alles wieder gut wird.

Darüber hinaus möchte ich allen Medienvertretern mitteilen, dass ich mich zu diesem Thema nicht mehr äußern werde. Ich werde keine Stellungnahmen mehr zu diesem Vorfall abgeben. Ich bitte mit Nachdruck darum, die Privatsphäre meiner Nächsten zu respektieren und zu wahren.

Artjoms Rudnevs mit seiner Familie

Man kann nur erahnen, wie schwer es dem 27-Jährigen und seiner Familie gefallen sein muss, diese Zeilen zu veröffentlichen und so viel von dem preiszugeben, was sie eigentlich schützen wollen. Aber offenbar ist selbst dieser Weg erträglicher, als die Spinnereien der Journalisten und Leser auszuhalten, die sich ihre Dramen zur Not einfach munter selbst ausdenken.

Über das Statement wird natürlich auch wieder berichtet, zum Beispiel so:

Die medienkritischen Passagen der Erklärung hat Bild.de aber lieber nicht erwähnt.

Mit Dank an Jonas K., @WobTikal, @max_migu, @maxro39 und @V_83.

St. Pauli löscht RB-Leipzig-Logo – vor drei Monaten

Am kommenden Sonntag spielt der FC St. Pauli gegen den RB Leipzig, doch schon jetzt, kurz vor dem Spiel, …

… provozieren die Hamburger auf der Vereins-Homepage

(sueddeutsche.de)

… geht [St. Pauli] auf Attacke-Kurs

(Bild.de)

… haben [die Hamburger] das Duell auf ihrer offiziellen Klub-Homepage gestartet

(welt.de)

… probieren es [die Hamburger] mit Psycho-Tricks

(sportnet.at)

Denn:

St. Pauli löscht RB-Leipzig-Logo von Vereinsliste - Sonntag treffen RB Leipzig und der FC St. Pauli im Spitzenspiel der 2. Liga aufeinander. Die Hamburger haben das Duell schon jetzt gestartet. Auf der Klub-Homepage strich man das Logo des Brauseklubs.
St. Pauli verbannt Logo von RB Leipzig - Vor der Partie gegen RB Leipzig entfernt St. Pauli das Logo des Rivalen von der eigenen Homepage. Es ist den Hamburgern zu werblich.
Duell am Sonntag - Stunk vor Zweitliga-Kracher: St. Pauli zeigt das Logo von RB Leipzig nicht
RB Leipzig gegen St. Pauli: Provokation? Logo!

So und ähnlich heute zu lesen unter anderem bei der dpa, “Spiegel Online”, “RP Online”, “Focus Online”, stern.de, Bild.de, sport1.de, spox.com, sportal.de, auf den Seiten der “Welt”, der “Süddeutschen”, der “Abendzeitung”, der “Berliner Zeitung”, der “Leipziger Volkszeitung”, des “Express”, des “Hamburger Abendblatt”, der “Mopo”, der “FAZ”, also im Grunde überall.

Doof nur: Das Logo wurde nicht erst jetzt entfernt, wie alle glauben, sondern schon vor Monaten. Nach BILDblog-Informationen bereits im Mai.

Mit einem Blick in die “Wayback Machine”, in der frühere Versionen von Internetseiten gespeichert werden, hätten die Journalisten das auch ganz schnell selbst herausfinden können:

Datiert ist diese Version auf den 8. Juni 2015 — schon damals gab’s anstelle des RB-Logos nur einen „Leipzig“-Schriftzug.

In die Welt gesetzt wurde die Geschichte heute übrigens, klar, von der “Bild”-Zeitung:

St. Pauli entfernt Leipzig-Logo

Mit Dank an Ananyma.

Korrektur, 22.05 Uhr: Wir hatten zunächst geschrieben, das Logo sei vor fünf Monaten gelöscht worden. Das war Quatsch; richtig sind mindestens drei. Entschuldigung!

Die 19 Jahre alte Hetzvorlage



Das haben Sie vielleicht mitbekommen, es war ja überall zu lesen; bei „Focus Online“, stern.de, web.de, news.de, berliner-kurier.de, welt.de, rtl.de, heute.at und vielen anderen.

Gestreut wurde die Story hierzulande von der Nachrichtenagentur AFP, die sie im Portal “Emirates 24/7” gefunden hatte.

Eine junge Frau ist laut Medienberichten in Dubai ertrunken, weil ihr Vater die Rettungsschwimmer zurückhielt, damit diese nicht seine Tochter anfassen und so ihre Ehre “beschmutzen”. Der asiatische Mann, dessen Identität nicht bekanntgegeben wurde, wurde von der Polizei festgenommen, wie das Internet-Nachrichtenportal Emirates 24/7 am Montag berichtete.

Wann das Ganze passiert sein soll, schreiben weder AFP noch die deutschen Medien, und wenn sie sich (wie etwa der “Guardian”) die Mühe gemacht hätten, den Zeitpunkt des Vorfalls zu recherchieren, hätten sie die Geschichte wohl gar nicht erst angepackt. Denn die Sache liegt nicht bloß ein paar Tage zurück — sondern 19 Jahre.

Das hat die Polizei in Dubai am Mittwoch bestätigt:

Unter dem “Emirates 24/7”-Artikel, den die AFP abgeschrieben hatte, steht inzwischen:

The incident happened many years ago.

Auch die AFP stellte am Mittwoch klar:

Polizei von Dubai: Fall von Ertrinkenlassen der Tochter ist alt

“Das ist eine alte Geschichte”, teilte am Mittwoch die Polizei des Emirats über den Kurznachrichtendienst Twitter auf Anfrage mit. Das Internet-Portal Emirates 24/7 hatte am Montag über den Fall berichtet. Die Meldung wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen, auch von AFP. In den sozialen Netzwerken sorgte der Fall für scharfe Kritik.

„Scharfe Kritik“.

Wie hier auf “buzz.at”:

Oder auf „Focus Online“:


Wobei das mit dem “umfassend” ja auch im Internet so eine Sache ist. Bisher hat es nur eine Handvoll Medien geschafft, die Sache klarzustellen. Krone.at, Blick.ch und n24.de haben ihre Artikel ganz gelöscht.

Alle anderen, darunter stern.de, “Focus Online” und der “Berliner Kurier”, haben gar nichts geändert und sorgen damit weiterhin für “scharfe Kritik” von besorgten Bürgern. Dabei könnten gerade die ein bisschen Aufklärung doch wirklich gut gebrauchen.

Mit Dank an Eva R.!

Nachtrag, 17. August: stern.de und berliner-kurier.de weisen jetzt darauf hin, dass der Vorfall lange her ist. “Focus Online” und web.de haben ihre Artikel gelöscht.

“Internetblogger”, Schleichwerbung, Afghanistan-Papiere

1. Unglaublich: SO macht “Focus Online” Stimmung gegen Flüchtlinge
(stefan-niggemeier.de, Stefan Niggemeier)
“Focus Online” auf Dumpfbacken-Klickfang: Anfang der Woche hat das Portal einen Artikel, in dem sachlich dargestellt wird, welche Ansprüche Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben, bei Facebook mit dem Satz anmoderiert: “Unglaublich: DAS bekommt jeder Flüchtling monatlich!” “Rassistisches Clickbaiting” sei das, findet die “taz”-Journalistin Helke Ellersiek. Und Stefan Niggemeier schreibt: “Wenn es darum geht, aus Scheiße Klicks zu machen, macht ‘Focus Online’ so schnell keiner was vor”.

2. Echte und unechte Journalisten
(taz.de, Kai Schlieter)
Zynisch ausgedrückt: Bessere Öffentlichkeitsarbeit als die Bundesanwaltschaft hätte wohl keine PR-Agentur für netzpolitik.org leisten können. Seit ein paar Tagen tauchen die “Internetblogger” (s. Link 5) in jeder Nachrichtensendung auf, und sowohl Spenden als auch Klickzahlen steigen stetig. Doch wer sind die beiden vermeintlichen Landesverräter Markus Beckedahl und Andre Meister, wer arbeitet sonst noch bei Netzpolitik und wie reagiert das Team auf die Vorwürfe? Kai Schlieter portraitiert die Redakteure, die “stolz darauf [sind], Blogger zu sein, die journalistisch arbeiten.”

3. Urheberrecht an Lageberichten: WAZ nimmt Afghanistan-Papiere vom Netz
(irights.info, David Pachali)
Die WAZ hatte Ende 2012 Tausende interne Dokumente zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan veröffentlicht. Diese sogenannten “Afghanistan-Papiere” waren als Verschlusssache eingestuft, allerdings nur mit der niedrigsten Stufe (“Nur für den Dienstgebrauch”). Die Bundesregierung klagte gegen die Veröffentlichung und bekam im Juni vor dem Oberlandesgericht Köln recht. Da eine Zwangsvollstreckung drohte, hat die Funke Mediengruppe die Papiere nun kurzfristig von ihren Online-Portalen entfernt. Allerdings hat die nordrhein-westfälische Piratenfraktion die Website gespiegelt, dort sind die Dokumente weiterhin online. Im WAZ-Rechercheblog äußert sich der Online-Chefredakteur: “Wir gehen weiterhin davon aus, dass die Veröffentlichung der Papiere rechtens war und ist.” Die Funke-Gruppe werde vor den BGH ziehen, um den Fall klären zu lassen – das allerdings könne “ein bis zwei Jahre dauern”, bis dahin würden die Papiere offline bleiben.

4. Die Champions League der Schleichwerbung
(opinion-club.com, Falk Heunemann)
Gestern und vorgestern zeigten das ZDF und ZDFinfo eines der vielen Fußball-Vorbereitungsturniere. Das fuchst Falk Heunemann. Denn die Veranstaltung sei ohne jeglichen sportlichen Wert gewesen, wodurch die TV-Übertragung des “Audi-Cups” nichts anderes gewesen sei als eine “insgesamt viereinhalbstündige Dauerwerbesendung”,”die Wok-WM des ZDF”: “Kaum eine Einstellung vergeht, in der nicht der Schriftzug des Autoherstellers zu sehen ist, der dieses ‘Turnier’ ausrichtet. Auf den Werbebanden im Stadion steht sein Name, rechts und links der Tore und natürlich auch auf allen Wänden, vor denen Trainer und Spieler interviewt werden. Die Eckfahnen sind damit bedruckt, die Leibchen der Ersatzspieler und die Kapitänsbinde von Manuel Neuer. Die Kameraleute fangen sogar regelmäßig Zuschauer mit Audi-Flaggen ein. Wahrscheinlich halten sie die für engagierte Fans.”

5. Hört auf mit “Internetblogs” und “Bloggern”!
(wdrblog.de, Dennis Horn)
WDR-Blogger Dennis Horn ärgert sich, dass derzeit mal wieder über den Unterschied zwischen Bloggern und Journalisten debattiert wird. “Zurzeit fühlt es sich an, als habe das Jahr 2005 angerufen und wolle seine Blogger-gegen-Journalisten-Diskussion zurück.” Horn fragt sich, warum man nicht einfach von den Machern von netzpolitik.org spricht – statt sich mit den anderen Bezeichnungen bemüht abgrenzen zu wollen. Genauso despektierlich würden Medien den Begriff “Internetblog” benutzen – statt nach einem passenderen Wort zu suchen.

6. Zum Schutz der Allgemeinheit: BILD darf nur noch verpixelt erscheinen
(eine-zeitung.net)

Das “Kollaps”-Drama von Bayreuth: Merkel fällt vom Stuhl

Sie müssen sich sehr beeilt haben bei der “Bild am Sonntag”. So schafften sie es noch, die dramatische Meldung vom späten Samstagabend in einem Teil ihrer Auflage unterzubringen:

Das Drama in Bayreuth spielte sich in diesem Jahr nicht nur auf der Bühne ab. Nach Informationen von bild.de erlitt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei den Bayreuther Festspielen einen Kollaps!

(…) Um 16 Uhr beginnt “Tristan und Isolde”. Gegen 17.20 Uhr ist der erste Akt zu Ende. Während der Kaffeepause fällt die Kanzlerin in Ohnmacht, rutscht von ihrem Stuhl. Zwei Minuten soll es gedauert haben, bis Merkel wieder auf die Beine kommt. Die Menschen an ihrem Tisch kümmern sich um sie. Unter anderen Bundestagspräsident Norbert Lammert und Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

Offenbar war es ein ähnlicher Kollaps wie beim CDU-Parteitag in Köln, damals ging man von Stress und Dehydrierung aus. Auch diesmal zeigte Merkel Nehmer-Qualitäten, ließ sich den Empfang nach der Aufführung nicht nehmen!

Um 22:59 Uhr hatte Bild.de das unter der Überschrift “Schock in Bayreuth: Angela Merkel – Kollaps!” gemeldet.

Keine halbe Stunde später alarmiert eine Reihe von Online-Medien seine Leser mit Eilmeldungen. “Festspiele in Bayreuth: Merkel offenbar kurzzeitig kollabiert”, berichtet “Spiegel Online”. “Kollaps während der Pause – Schock in Bayreuth: Angela Merkel bricht zusammen”, tickert “Focus Online”. “Zusammenbruch! Sorge um die Kanzlerin”, schreibt Bunte.de.

Um 0:23 Uhr verbreitet die Nachrichtenagentur AFP die “Bild”-Meldung:

“Bild”: Merkel bei Wagner-Festspielen kurzzeitig in Ohnmacht gefallen
– Kanzlerin offenbar schnell wieder auf den Beinen

Berlin (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth laut einem Medienbericht einen Kollaps erlitten. Die 61-Jährige sei am Samstag während der ersten Pause der Oper “Tristan und Isolde” in Ohnmacht gefallen und vom Stuhl gerutscht, berichtete das Nachrichtenportal “Bild Online”. (…)

Eineinhalb Stunden später rudert AFP zurück:

Regierungssprecher: Merkel bei Wagner-Festspielen nicht kollabiert – Kein Schwächefall – Stuhl der Kanzlerin brach zusammen

Berlin (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Eröffnung der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth am Samstag trotz eines Zwischenfalls in der Pause unbeschadet überstanden. Merkel habe keinen Schwächeanfall erlitten, lediglich der Stuhl der Kanzlerin sei zusammengebrochen, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter der Nachrichtenagentur AFP.

Er dementierte damit einen Bericht des Nachrichtenportals “Bild Online”, wonach die 61-Jährige während der ersten Pause der Oper “Tristan und Isolde” kurzzeitig in Ohnmacht gefallen und vom Stuhl gerutscht sei.

Auch die Agentur dpa, die die “Bild”-Behauptung, anders als AFP und viele Online-Medien, nicht ungeprüft verbreitet hatte, vermeldet gegen zwei Uhr früh das Dementi.

Nutzer von “Focus Online” bekommen bald darauf erneut eine “Eilmeldung”: “Nicht Merkel brach zusammen, sondern ihr Stuhl”. Online-Medien löschen ihre alten Meldungen, korrigieren sie eilig oder fügen nur am Ende noch einen kleinen Absatz an.

Und bei Bild.de steht an der Stelle, an der gerade noch über den dramatischen “Kollaps” der Kanzlerin berichtet wurde, nun ein Stück über eine “Panne bei Bild.de”, nee: “bei Festspielen in Bayreuth: “Weshalb Angela Merkel mit ihrem Stuhl zusammenbrach”:

Zunächst hatte es geheißen, die Bundeskanzlerin habe einen Schwächeanfall gehabt und sei kollabiert. Lokale Medien und auch BILD hatten darüber berichtet.

Na sowas: Als “Bild” noch an die Richtigkeit der eigenen Geschichte glaubte, war von anderen, “lokalen Medien” als Quelle noch nicht die Rede gewesen.

PS: In einem großen Artikel über die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Presse hatte die “Bild am Sonntag” zum Tag der Pressefreiheit vor zwei Monaten übrigens erklärt:

Viele Medien, wie auch BILD am SONNTAG, haben zudem einige praktische Regeln für ihre Arbeit. Dazu gehört zum Beispiel das Zwei-Quellen-Prinzip. Das bedeutet: Es genügt nicht, eine Information zu bekommen, sie kann erst verwendet werden, wenn sie durch mindestens eine zweite Quelle bestätigt wurde.

Nachtrag, 12:25 Uhr. “Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Marion Horn schreibt auf Twitter, es habe zwei Quellen für den Merkel-Kollaps gegeben, “nicht unbekannte Menschen, die dort waren”.

Florida-Rolf, Selbstinszenierung, Smoothies gegen Wagner

1. „Die ‘zweite Erde‘ die schon wieder mal keine zweite Erde ist!“
(scienceblogs.de, Florian Freistetter)
Die Nasa gab gestern die Entdeckung des „first near-Earth-size“ Planeten Kepler-452b bekannt. Es handele sich dabei „um eine sogenannte Supererde und keinen erdähnlichen Planeten“, schreibt Florian Freistetter, auch wenn Webseiten wie „Focus Online“ anderes berichten. Freistetter, der seit Jahren auf scienceblog.de Fälle von angeblichen Erd-Entdeckungen dokumentiert, sagt, dass die heutigen Teleskope noch nicht so weit seien:

Wir werden die zweite Erde schon noch finden. Wenn die Erde kein Einzelfall ist und dort draußen noch andere Himmelskörper mit entsprechenden Umweltbedingungen vorhanden sind, dann werden wir sie in den nächsten 20 Jahren entdecken. Aber jetzt geht das eben noch nicht.

2. „Ich will nicht immer alles als Risiko sehen”
(horizont.net, Roland Pimpl)
Soziale Netzwerke wie Facebook, aber auch Google, Apple oder Online-Kioske wie „Blendle“ besetzten weiter klassische Verlagsaufgaben. Stefan Plöchinger, Digital-Chef der „Süddeutschen Zeitung”, sieht in der Zusammenarbeit mit den neuen Vertrieblern journalistischer Inhalte „größere Chancen“. Doch die relevanteste Frage bleibt für ihn, „wie der Journalismus (…) – unabhängig, investigativ, tief und kenntnisreich – den digitalen Medienbruch überleben kann“.

3. „Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet“
(sebastian-doerfler.de, Sebastian, Audio, 58:29 Minuten)
„Florida-Rolf“, „Fetti“ oder „Assi“ – in einem „BR”-Radiofeature gehen Sebastian Dörfler und Julia Fritzsche der Frage nach, woher die Bilder vom „faulen Arbeitslosen” und „faulen Griechen” kommen. „Es ist eine kleine Ideologiekritik zum laufenden Sozialstaatsabbau geworden, mit allerhand Beispielen aus Funk, Fernsehen und Politik“, schreibt Dörfler in seinem Blog.

4. „Datenschutz? Ist mir doch egal!“
(eaid-berlin.de, Peter Schaar)
Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, mahnt: „Die meisten datengetriebenen Geschäftsmodelle gleichen einem venezianischen Spiegel, der nur einseitig durchsichtig ist.“ Mit Blick auf die Nachlässigkeit beim Datenschutz sei zu befürchten, „dass wir unsere Ignoranz teuer bezahlen müssen.“

5. „Es ist in Ordnung, dass wir uns online selbst inszenieren“
(blog.neon.de, Angela Gruber)
„Auch mit einem Beme-Video wollen Nutzer Aufmerksamkeit und Zuspruch von anderen“, schreibt Angela Gruber. Die neue Video-App sei im Kern eine weitere Möglichkeit der Selbstdarstellung. Und das Internet brauche egozentrische User, die den Anspruch hätten, ihre online geteilten Inhalte zu inszenieren.

6. „Mit Smoothies gegen Franz Josef Wagner“
(meedia.de)
„Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner meint zu wissen, warum „wir“ jedes Jahr „um 200 000 Menschen ärmer“ werden. Schuld seien Smoothie-trinkende Frauen. „Meedia“ sammelt Reaktionen dazu aus dem Netz. Siehe auch: „11 Beweise, dass berufstätige Frauen Deutschland ruinieren“ (buzzfeed.com, Juliane Leopold).

Medien spielen mit Schäubles Rücktritt

Heute große Aufregung in den Politikredaktionen:


(Bild.de)

(rp-online.de)

(t-online.de)

(manager-magazin.de)

(„Focus Online“)

(„Huffington Post“)

Grund ist ein Interview mit Finanzminister Wolfgang Schäuble im aktuellen „Spiegel“, in dem steht:

SPIEGEL: Die Koalition hätte ein Problem, wenn die Kanzlerin und ihr wichtigster Minister in einer so großen Frage wie der Griechenlandhilfe unterschiedlicher Auffassung sind.

Schäuble: Es gehört zur Demokratie, dass man auch einmal unterschiedliche Meinungen hat. Und dann ringt man gemeinsam um Lösungen. Dabei hat jeder seine Rolle. Angela Merkel ist die Bundeskanzlerin, ich bin der Finanzminister. Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern. Zwingen kann sie niemand. Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten.

Der letzte Satz ist es, der den Medien die Idee von Schäubles Rücktrittswünschen in den Kopf gesetzt hat.

Allerdings funktioniert das nur, wenn man ignoriert, wie das Gespräch weitergeht:

Vermutlich haben die oben zitierten Medien aber nicht das ganze Gespräch im „Spiegel“ gelesen (online bisher nur auf Englisch verfügbar), sondern den Artikel auf „Spiegel Online“ oder die fast wortgleiche “Spiegel”-Vorabmeldung. Denn auch dort gibt’s lediglich die halbe Wahrheit.

Das Portal bewirbt das Interview der Print-Kollegen heute so:

Im Streit mit Kanzlerin Angela Merkel über die Griechenlandrettung ist Finanzminister Wolfgang Schäuble im äußersten Fall zum Rücktritt bereit. “Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern”, sagte er dem SPIEGEL. Niemand könne sie zwingen, gegen ihre Überzeugungen zu handeln. “Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten”, sagte Schäuble. (Lesen Sie hier das ganze Gespräch im neuen SPIEGEL.)

(Link im Original.)

Die entscheidende Stelle – dass Schäuble eben nicht über Rücktritt nachdenkt — erwähnt „Spiegel Online“ nicht.

Andere Medien tun das zwar, wollten aber trotzdem unbedingt irgendwie den Rücktritt ins Spiel bringen:

(tagesspiegel.de)

(stern.de)

(welt.de)

(faz.net)

Mit Dank an Konrad A.!

Stell dir vor, es droht Krieg, und nur chip.de berichtet darüber

Passen Sie auf, verrückte Geschichte: Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un hat den USA wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung (!) mit Krieg (!) gedroht.

Demnächst soll nämlich Windows 10 erscheinen, und weil der Diktator meint, dass Microsoft bei einem nordkoreanischen Betriebssystem geklaut habe, fordert er Barack Obama nun auf, den Release zu stoppen, sonst gebe es drastische Konsequenzen.

Aber was mindestens genauso verrückt ist: Enthüllt wurde diese Geschichte nicht etwa von einem koreanischen oder amerikanischen Medium, sondern vom deutschen Technikportal chip.de.

Vor knapp einer Woche berichtete die Seite aus dem Burda-Verlag exklusiv:

Windows 10 erscheint am 29. Juli – es sei denn, Nordkorea verhindert das. Denn offenbar will der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un den Release um jeden Preis stoppen, weil Microsoft beim nordkoreanischen [Betriebssystem] Red Star OS geklaut haben soll – und droht für Zuwiderhandlung mit drastischen Konsequenzen.

Anscheinend hat sich auch Kim Jong-un (oder einer seiner Untergebenen) eine Preview von Windows 10 besorgt und ist nun der Meinung, dass Microsoft sich bei Red Star OS bedient hat, berichtet der nordkoreanische Staats-Fernsehsender KCTV. Der Machthaber fordert nun: US-Präsident Obama müssen den Release von Windows 10 verhindern, da Microsoft das Urheberrecht verletzt. Schreitet Obama nicht ein, werde man nicht zögern, mit aller Macht die diebische US-Gesellschaft zur Rechenschaft zu ziehen, heißt es.

Sehr interessant. Vor allem, weil außer chip.de offenbar niemand sonst davon weiß.

Nicht mal die staatliche Nachrichtenagentur KCNA, die als Teil der nordkoreanischen Propagandamaschinerie normalerweise sofort berichtet, wenn das Regime mit den Säbeln rasselt, hat etwas zu der angeblichen Kriegsdrohung gebracht. Im Gegensatz zum Staatssender KCTV verfügt die Agentur über ein Archiv, in dem man zwar allerlei beklopptes Zeug findet, aber nicht ein einziges Wort zu der Windows-Story.

Auch in amerikanischen Medien ist nichts darüber zu lesen, auch nicht in südkoreanischen oder japanischen, nicht einmal bei Bild.de, wo sonst wirklich jeder NordkoreaSchrott verbreitet wird.

Kim Jong-un droht Barack Obama also wegen eines Betriebssystems mit Krieg und von allen Medien auf der Welt findet nur chip.de, dass man darüber berichten sollte?

Ah, nee:

Drei Tage nach der weltexklusiven Enthüllung durch chip.de entdeckte stern.de die Geschichte und schrieb:

Absurde Anschuldigung, drastische Drohung: Nachdem sich Kim Jong Un zuletzt gut gelaunt bei der Eröffnung des Pjöngjang-Airports präsentierte, war es für Nordkoreas Machthaber nun offenbar wieder an der Zeit, die Welt an seinen – sagen wir: eigenwilligen – Gedanken teilhaben zu lassen – Kriegsdrohung inklusive.

Demnach stört sich der Staatschef am für den 29. Juli geplanten Release des Microsoft-Betriebssystems „Windows 10″, wie unter anderem das Technikportal „chip.de“ berichtet.

„unter anderem“, schreibt der Autor, was aber geschummelt ist, denn wörtlich genommen hat er zwar recht: Neben chip.de haben auch andere darüber berichtet. Bloß: Auch die gaben nur eine Quelle an — chip.de.

Weiter schreibt stern.de:

Und das kann der Diktator natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Wie Nordkoreas Staatssender „KCTV“ vermeldet, will Kim Jong Un die Veröffentlichung mit allen Mitteln verhindern – und fordert in diesem Zug nicht weniger als ein persönliches Handeln von US-Präsident Barack Obama. Sollte dieser nicht gegen den Release einschreiten, werde man nicht zögern, die diebischen Bewohner der Vereinigten Staaten mit aller Macht zur Rechenschaft zu ziehen, wird Kim Jong Un in dem Bericht zitiert.

Man kann also davon ausgehen, dass der Autor den Bericht selbst gesehen hat. Oder davon, dass er schwindelt.

Auch „Focus Online“ hat die Geschichte inzwischen aufgegriffen und schreibt:

Zwar beruft sich der Autor ebenfalls auf chip.de, aber auch er tut so, als läge ihm die Originalquelle vor:

Dies berichtet der nordkoreanische Staats-Fernsehsender KCTV.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder es gibt diesen Bericht tatsächlich, Nordkorea hat wirklich eine Kriegsdrohung ausgesprochen, und nur ein paar deutsche Medien haben Notiz davon genommen — oder irgendwer hat sich die Story ausgedacht und alle anderen verbreiten sie ungeprüft weiter.

Am Donnerstag haben wir die Redaktionen von chip.de, stern.de und focus.de gebeten, ihre Geschichten zu belegen. Bisher kam keine Antwort. Die Artikel sind unverändert online.

Mit großem Dank an Tobias D. und Bruno B.

Nachtrag, 21. Juli: Chip.de hat den Artikel inzwischen gelöscht. Auf Nachfrage von „Meedia“ sagte eine „Chip“-Sprecherin, dass sich der Beitrag „als nicht ausreichend belegbar herausgestellt” habe und „daher offline genommen“ wurde. „Die Veröffentlichung des Artikels war ein Fehler, den wir bedauern“. (Siehe auch hier.)

Auch „Focus Online“ hat die Story gelöscht. Bei stern.de und anderen ist sie dagegen immer noch zu finden.

Wir haben übrigens mal bei der deutschen Botschaft in Nordkorea nachgefragt, und, Überraschung: Auch dort gibt es “keine weiterführenden Erkenntnisse” zu der angeblichen Kriegsdrohung.

Nachtrag, 22. Juli: Heute haben wir zum dritten Mal bei stern.de nachgefragt, ob wir denn noch mit Belegen für die Story rechnen können. Kurz darauf ist der Artikel von der Seite verschwunden.

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