Suchergebnisse für ‘fakten’

Distanzloser Sportjournalist, Kampf der Fußkranken, Wahlhelfer Facebook

1. Der distanzlose Sportjournalist
(taz.de, Jürn Kruse)
Ein Sportmoderator eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders richtet ein Sportevent aus, über das er oder sein Arbeitgeber später eventuell berichten wird. Diese Entwicklung zeichnet sich gerade beim MDR ab. Jürn Kruse kommentiert: “Fassen wir zusammen: Einer der bekanntesten Moderatoren des MDR, der regelmäßig über Wintersport berichtet, lernt bei dem Verband, über den er doch kritisch berichten soll, wie man ein solches Event organisiert, macht das dann — und beim MDR finden das die EntscheiderInnen völlig okay.” Weiterer Lesetipp: “Vom Sportjournalist zum Sportveranstalter” (“Deutschlandfunk”).

2. Facebook als mächtiger Helfer
(faktenfinder.tagesschau.de, Max Muth)
In Zukunft werden Wahlkämpfe verstärkt digital stattfinden. Eine immer wichtiger werdende Rolle spielt dabei Facebook. Spezialisierte Firmen helfen den Parteien bei der Gestaltung ihrer Kampagnen. Dabei geht es um “Lookalike Audiences”, “Microtargeting” und umstrittene Werbeformen wie die “Dark Ads”.

3. Mit weniger Wortanteil den Journalismus retten
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz kommentiert das Gerangel von Öffentlich-Rechtlichen und Verlagen um Wortanteile und Leistungsschutzrecht: “Verlage und öffentlich-rechtliche Sender, zwei, bei denen es in den kommenden Jahren vor allem um Existenzgrundlagen und Legitimationsdebatten gehen wird — ausgerechnet die zwei also spielen Kleinkrieg gegeneinander, anstatt darüber nachzudenken, dass sie sich möglicherweise gemeinsam gegen ganz andere Bedrohungen wappnen müssten”. Weiterer Lesetipp: “‘Ich wollte nicht warten, bis der WDR verklagt wird'” (“Deutschlandfunk”).

4. Weltkarte und Schaukelstuhl
(sueddeutsche.de, Caspar Busse)
Über Jahrzehnte versorgte der Filmhändler Leo Kirch die Fernsehsender mit Inhalten und baute damit ein Medienimperium auf. Doch auf den rasanten Aufstieg folgte der jähe Absturz. Der heute Abend ausgestrahlte Film (ZDF, 22:45 Uhr) geht dem Phänomen Leo Kirch nach und lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Caspar Busse findet es bemerkenswert, dass gerade das ZDF diese Dokumentation zeigt. Mit dem öffentlich-rechtlichen Sender habe der eigentliche Aufstieg Kirchs begonnen: “Er kam “wie ein fahrender Händler” und verkaufte den Mainzern das, was die so dringend brauchten: Filme und Serien. Die Abhängigkeit war hoch, zeitweise stammte ein Drittel des ZDF-Programms aus dem Hause Kirch, der daran wiederum sehr, sehr gut verdiente.”

5. Journalismus direkt vom Erzeuger
(journalist-magazin.de, Kathi Preppner)
Das Projekt “RiffReporter” will freien Journalistinnen und Journalisten eine Publikationsplattform für ihre Inhalte bieten, samt Community und Erlösmodell. Die Finanzierung soll über eine Umsatzbeteiligung sowie über private und institutionelle Förderer erfolgen. Die Gründer haben dafür den “#Netzwende-Award” erhalten, einen Medienpreis, der von “Vocer” in Kooperation mit dem “Spiegel”, der August-Schwingenstein-Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung und der “Zeit”-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius verliehen wird.

6. Das waren die erfolgreichsten Instagram-Werbeposts im November
(horizont.net, Katharina Brecht)
“Horizont” hat 50.000 deutsche Instagramkanäle auf Werbe-Postings durchsuchen lassen und die ermittelten Werbe-Posts ausgewertet. Die Rangliste zeigt, wie wichtig der Einsatz von zufällig eingestreuten Emojis ist und bietet einen guten Überblick über den derzeitigen Stand in Sachen photoshopgestützte Bildmanipulation in der Porträtfotografie.

Klüngel-Glückwünsche, Symmetrische Reaktionen, “Einfaches” Leben

1. Wo man sich lieb hat
(taz.de, Jürn Kruse & Peter Weissenburger)
Dem Anwalt für Urheber- und Medienrecht Markus Kompa ist es mitzuverdanken, dass die Klüngelposse um die “Wahl” des SPD-Politikers Marc Jan Eumann zum neuen Direktor der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt bekannter wurde: Kompa hatte sich per Videobewerbung zu Wort gemeldet, seine Bewerbung blieb jedoch — erwartungsgemäß — unberücksichtigt.
Weiterer Lesetipp: In einem Interview mit dem “Deutschlandfunk” möchte der frisch geklüngelte Eumann, dass ihm Interviewerin Isabelle Klein gefälligst erstmal zur Wahl gratuliert, anstatt kritische Fragen zu stellen. Woran sich Stefan Niggemeier natürlich augenblicklich hält. Daniel Fiene wünscht sich Glückwünsche als Sprachnachrichten, die er am Donnerstag in seiner Sendung “Was mit Medien” (20 Uhr, “Deutschlandfunk Nova”) an den glücklichen Klüngelsieger übermitteln will.

2. „Wenn alles gut geht, starten wir mit einer Rakete“
(journalist-magazin.de, Catalina Schröder)
Kein anderes Crowdfunding-Projekt im Journalismus konnte jemals so viel Geld einsammeln wie das von Constantin Seibt initiierte Schweizer Onlinemagazin “Republik”. Am 15. Januar 2018 startet das mit vielen Erwartungen und 7,5 Millionen Schweizer Franken versehene Digitalprojekt. Textchef Ariel Hauptmeier erzählt, wie es kurz vor dem Start in der Redaktion zugeht und was den Leser am ersten Tag erwartet: “‘Wenn alles gut geht, starten wir mit einer geheimnisvollen Kiste — und mit einer Rakete.'”

3. Wer ist “ausländischer Agent”?
(faktenfinder.tagesschau.de, Silvia Stöber)
Die vom russischen Staat finanzierten Auslandsmedien “RT” und “Sputnik” haben sich in den USA auf Weisung der US-Regierung als “ausländische Agenten” registrieren lassen. Die Retourkutsche, pardon “symmetrische Reaktion” folgte prompt: Russland stufte seinerseits neun US-Medien als “ausländische Agenten” ein, darunter “Voice of America” und “Radio Free Europe/Radio Liberty”. Silvia Stöber erklärt im “Faktenfinder”, welch unterschiedliche Auswirkungen die Regelungen haben.
Weiterer Lesetipp: “Reporter ohne Grenzen” mit “Russland erklärt US-Auslandssender zu ‘Agenten'”

4. Social-Media-Trends 2018: Das wird nächstes Jahr wichtig
(t3n.de, Cornelia Dlugos)
Welche Social-Media-Trends werden das Jahr 2018 bestimmen? Cornelia Dlugos wagt für “t3n” einen Blick in die Kristallkugel. Die Online-Marketing-Redakteurin prognostiziert einen besseren Kundenservice durch Chatbots und sieht einen wachsenden Schwerpunkt bei temporären Inhalten sowie Augmented Reality, Live Streaming und Video-Inhalten.

5. Jugendliche erkennen Native Advertising nicht als Werbung
(medienwoche.ch, Dominique Zeier & Céline Külling)
Eine Befragung von Schweizer Schülern hat ergeben, dass Jugendliche schlecht zwischen redaktionellen Inhalten und Journalismus-ähnlichen Werbeformaten wie Native Advertising unterscheiden können. In der Studie konnten nur 40 Prozent den Unterschied zwischen journalistischen und gesponserten Beiträgen erkennen. Das liege nach Aussagen eines Medienpsychologen daran, dass Jugendliche noch nicht über dieselben kognitiven Kompetenzen zu analytischem Hinterfragen verfügen wie Erwachsene. Die Autorinnen appellieren an die Verantwortung der Medien: “Das Bewusstsein, dass Jugendliche leichter hinters Licht zu führen sind, darf nicht ausgenützt werden — im Gegenteil. Verlage täten gut daran, Werbeformate offensiver und unmissverständlich — und vor allem: einheitlich, zu deklarieren.”

6. Das “einfache Leben” bleibt ein Leben in der Komfortzone
(sueddeutsche.de. Silke Burmester)
Aktuellen Frauenzeitschriften gelinge eine Umdeutung, wie sie nur der Kapitalismus ausbrüten könne, findet Silke Burmester: Der Weg zum Weniger führe über das Mehr: “Das ‘einfache Leben’ bleibt ein Leben in der Komfortzone. Es ist ein neuer, aufs Private und Häusliche ausgerichteter Lifestyle einer satten Wohlstandsgesellschaft. Wirklichen Verzicht will hier keiner. Es sind Brot und Spiele für eine Generation von Frauen, die gegen die Umstände ihrer Erschöpfung, den Verursacher der Überforderung nicht rebelliert.”

Bezahl-Reputation, Wumpehaftigkeit der AfD, Männer-Journalistenpreis

1. Wirtschaftspreise: Positive PR gegen Geld?
(ndr.de, Stefanie Groth & Inga Mathwig)
In der Wirtschaft ist es verbreitet, dass sich Unternehmen mit allerlei dekorativen Siegeln und Auszeichnungen schmücken. Ob “Beste Sales Performance”, “innovativstes Unternehmen im Mittelstand” oder “Top100”: All diese Auszeichnungen samt Gala und Promiauftritt kann man erhalten, wenn man die Teilnahmegebühr von bis zu 9900 Euro berappt. “Zapp” berichtet anhand eines Praxisbeispiels, was solche Auszeichnungen wert sind. Spoiler: Der ausgezeichnete Unternehmer sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft, wegen Verdachts auf Untreue und Betrug.

2. Unabhängiger Journalismus oder PR? Greenpeace-Magazin-Chef Stukenberg verteidigt Nominierung für Reporterpreis
(meedia.de, Kurt Stukenberg)
Als ein Beitrag des “Greenpeace Magazins” für den “Deutschen Reporterpreis” nominiert wurde, kam der Vorwurf auf, dass sich damit der Journalismus der interessengeleiteten PR öffne. In einem Gastbeitrag bei “Meedia” verteidigt der Chefredakteur die Nominierung und wehrt sich gegen einen kritischen “taz”-Beitrag. Das “Greenpeace Magazin” sei keine Mitgliederzeitschrift und sei redaktionell, inhaltlich und finanziell unabhängig.

3. Warum die AfD den Medien gerade wumpe ist
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
Es ist ein Phänomen: Vor der Bundestagswahl berichteten die Medien ausführlich über die AfD und sprangen teilweise über jedes noch so kleine hingehaltene Stöckchen. Nun, da die AfD im Bundestag sitzt, ist es erstaunlich ruhig. Arno Orzessek ordnet das Phänomen in seiner Glosse ein und erklärt, warum den Medien die AfD gerade “wumpe” ist.

4. Zahlt sich Sensationsmache aus?
(de.ejo-online.eu, Rana Khaled)
Wissenschaftler einer holländischen Universität haben untersucht, ob sich Sensationsmache auf die Sehdauer von Nachrichten-Videos auswirkt. Dazu haben sie 190 Teilnehmer unterschiedlich aufgemachte Nachrichtenbeiträge der niederländischen Hauptnachrichtensendung “Het Journaal” schauen lassen und die Sehdauer pro Beitrag gemessen. Das Ergebnis: Eine boulevardeske Aufmachung bringe die Zuschauer dazu, sich Nachrichtenbeiträge mit neutralen Inhalten länger anzuschauen. Bei negativen Inhalten aber, für die die Zuschauer sich sowieso schon interessierten, mache es keinen Unterschied. Je mehr, desto besser gelte dort also nicht.

5. Faktencheck: Wie Spiegel Online und Der Standard wegen eines Übersetzungsfehlers einer Nachrichtenagentur Fake News verbreiteten
(correctiv.org, Jacques Pezet)
Haben “Spiegel Online” und der österreichische “Standard” Fake News verbreitet, als sie über die Verhaftung einer Gruppe Rechtsradikaler in Frankreich berichteten? Dies behauptete jedenfalls die rechtsradikale Webseite “Breitbart”. In der Tat war die Nachricht falsch, was jedoch an einer Meldung der Presseagentur “AFP” lag. Agentur und Medien hätten sich nach Bekanntwerden des Fehlers entsprechend korrigiert.

6. Es ist 2017 und bei diesem Journalisten-Preis haben 100% Männer gewonnen
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Auf dem Gruppenbild des “Georg von Holtzbrinck Preises für Wirtschaftspublizistik” sieht man ausschließlich Männer. Die Organisation “Pro Quote”, die sich für mehr Frauen an der Spitze der Medien einsetzt, twitterte: “Es entsteht der Eindruck, dass auf diesem Planeten keine Frauen leben.” Und auch sonst hagelte es negative Stimmen im Netz (“Männer feiern Männer”).
Dazu passend ein weiterer Lesetipp: “ARD will Frauenanteil in Filmen und Shows erhöhen” bei “DWDL”. Und was passiert, wenn eine Frau eine Hauptrolle in einem Film spielt (wie gerade Diane Kruger in Fatih Akins neuem Film über den NSU-Komplex), kann man beispielhaft im Magazin “DB Mobil” verfolgen: Dort sei Kruger zu Problemzonen und Schönheits-Ops befragt worden, so die “taz”-Autorin Elisabeth Kimmerle in ihrer heutigen “Geht’s noch”-Kolumne.

Bild.de erfindet Zitat und schickt Frau mit falschen 400 Männern ins Bett

400 Typen gefickt du Schlambe stirb!

Alter wie ekelhaft wie ausgeleihert sie bestimmt bereits ist abartig jeder man der sie nimmt baaah muss jetzt dabei denken das 400 männer oder mehr vor ihn bereits eingelocht haben

400 super 😉 Bist bestimmt stolz drauf ne Muschi wie nen Scheunentor, da freut sich deine Freund bestimmt drauf … ich kotze gleich im Quadrat.

Das kommt dabei raus, wenn Bild.de eine Schlagzeile erfindet, und Bild.de-Leser aufgrund dieser erfundenen, falschen Schlagzeile Schaum vor dem Mund haben.

Es geht um diese Überschrift, die die “Bild”-Onlineredaktion bereits am 17. Oktober veröffentlicht hat:

Screenshot Bild.de - Ilan arbeitete neben dem Studium als Prostituierte - Ich habe mit über 400 Männern geschlafen

Das Zitat, das Bild.de in die Titelzeile gepackt hat, ist nie gefallen, jedenfalls nicht von Ilan Stephani, um die es in dem “Bild plus”-Artikel geht und der die angebliche Aussage von der Redaktion zugeschrieben wird. Es wäre auch merkwürdig, wenn Stephani sagen würde, sie habe “mit über 400 Männern geschlafen”, denn das hat sie nicht. Das Zitat ist also nicht nur erfunden, sondern inhaltlich auch noch falsch.

Ilan Stephani hat zwei Jahre lang in einem Berliner Bordell als Prostituierte gearbeitet. Im Oktober erschien ein Buch von ihr über diese Zeit. Rund um die Veröffentlichung hat Stephani mit mehreren Journalisten gesprochen, darunter auch eine Autorin, die für “B.Z.” und “Bild” schreibt. In einem Artikelentwurf, der Stephani zum Absegnen vorgelegt worden sei, steht dieser Satz:

Dort arbeitete sie zwei Jahre lang im Schnitt einmal in der Woche, betreute bis zu fünf Männer und hatte mindestens 400 Mal bezahlten Sex.

Damit es auch die Leute bei Bild.de verstehen: Wenn man “mindestens 400 Mal bezahlten Sex” hatte, gibt es ganz viele verschiedene und zwei extreme Möglichkeiten, wie diese Zahl zustande gekommen sein kann: Man hat als Prostituierte entweder mit 400 unterschiedlichen Männern jeweils einmal geschlafen. Oder man hat mit demselben Mann 400 Mal geschlafen. Das Ergebnis in beiden Fällen: Man hatte “mindestens 400 Mal bezahlten Sex”.

Die Wahrheit liegt bei Ilan Stephani irgendwo zwischen diesen beiden Extremen, wie sie uns auf Nachfrage bestätigte: Sie habe nach einer gewissen Zeit Stammfreier gehabt, zwischendurch seien neue Männer dazugekommen. 400 verschiedene Männern seien es jedenfalls nicht ansatzweise gewesen. Sie könne allerdings auch keine exakte Zahl nennen und habe dies auch nie getan.

Der eine Satz aus dem Artikelentwurf hat es am Ende nicht in den Bild.de-Text und auch nicht in den der “B.Z.” geschafft — er wurde offenbar von den Redaktionen gestrichen. Dafür landete er falsch übersetzt und in Zitatform in der Bild.de-Überschrift und verbreitete sich von dort aus. “Focus Online” hat die falschen “400 Männer” zum Beispiel aufgegriffen:

Wie die “Bild” berichtet, hat die junge Frau in dieser Zeit mit mehr als 400 Männern Geschlechtsverkehr in einem Berliner Bordell gehabt.

Genauso die Onlineredaktion des “Berliner Kuriers”

Screenshot berliner-kurier.de - Studentin pack aus - Ich habe mit über 400 Männern Sex gehabt

Express.de

Screenshot Express.de - Studentin pack aus - Ich habe mit über 400 Männern Sex gehabt

Mopo.de

Screenshot Mopo.de - Studentin pack aus - Ich habe mit über 400 Männern Sex gehabt

… und oe24.at:

Screenshot oe24.at - Studentin pack aus - Ich habe mit über 400 Männern Sex gehabt

Die Unfähigkeit der Bild.de-Redaktion, Fakten sauber zu recherchieren, führt zu vielen weiteren falschen Artikeln und hasserfüllten Kommentaren bei Facebook.

Nachtrag, 17:53 Uhr: Weil die Gefahr besteht, dass dieser Punkt in unserer Kritik untergeht: Was die Kommentatoren bei Facebook geschrieben haben, wäre genauso arschgeigig, wenn Ilan Stephani oder irgendeine andere Frau tatsächlich mit 400 Männern geschlafen hätte. Völlig egal, ob mit vier Männern, mit 400 oder mit 40.000 — es gibt keinen Grund auf dieser Welt, sich derart frauenfeindlich zu äußern.

Julian Reichelt erfindet Richter-Zitat

In der “Bild”-Zeitung von heute kann man mal wieder sehr schön sehen, wie unsauber “Bild”-Oberchef Julian Reichelt arbeitet, wie egal es ihm ist, seine Leserschaft ordentlich zu informieren, wie sehr er auf journalistische Verantwortung und verantwortlichen Journalismus pfeift. Und das alles nur, um mal wieder so richtig losknallen zu können.

Es geht um eine Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main. Das hat gestern Ansprüche eines Studenten aus Israel gegen “Kuwait Airways” auf Beförderung sowie auf Entschädigung wegen Diskriminierung zurückgewiesen. Der junge Mann wollte mit der staatlichen Fluglinie von Frankfurt nach Bangkok reisen, mit Zwischenstopp in Kuwait. Als die Airline von seiner Staatsangehörigkeit erfuhr, stornierte sie sein Ticket. In Kuwait gibt es ein Gesetz, das Geschäftsbeziehungen jeglicher Art mit Staatsbürgern Israels verbietet. Dieses “Einheitsgesetz zum Israel-Boykott” kann man empörend und das Verhalten von “Kuwait Airways” schäbig finden. Genauso kann man es völlig zurecht schrecklich finden, dass einem Menschen aufgrund seiner Staatsangehörigkeit ein Flug verweigert wird.

Das Landgericht Frankfurt gab “Kuwait Airways” gestern allerdings recht — es entschied, dass es den israelischen Studenten nicht befördern müsse. “Bild”-Chefchef Julian Reichelt kommentiert dazu heute in “Bild” und bei Bild.de:

Ausriss Bild-Zeitung - Kommentar von Julian Reichelt - Skandal-Urteil

Screenshot Bild.de - Kommentar von Julian Reichelt - Skandal-Urteil

Der Israeli klagt in Deutschland — und verliert. Der Israeli sei Kuwait Airways — und jetzt kommt ein Zitat — “nicht zumutbar”, so das Landgericht Frankfurt.

Dass Juden in irgendeiner Weise “nicht zumutbar” sein sollen, ist die Sprache der “Nürnberger Rassengesetze”, die wiederum Grundlage für Boykott, Deportation und schließlich “Endlösung” waren.

Dass ein deutscher Richter sich dieser Sprache bedient, um ein Skandalurteil zu rechtfertigen, ist eine Schande für Deutschland.

Erstmal: So ungewöhnlich ist die Wendung “nicht zumutbar” in Gerichtsentscheidungen nicht. Einem Richter aufgrund von zwei regelmäßig verwendeten Worten vorzuwerfen, er bediene sich der “Sprache der ‘Nürnberger Rassengesetze'”, ist bemerkenswert.

Was noch bemerkenswerter ist: Auch wenn Julian Reichelt sich alle Mühe gibt (“und jetzt kommt ein Zitat”), es so aussehen zu lassen, als würde er in seinem Kommentar sauber zitieren, arbeitet er extrem unsauber. Er reißt die zwei Worte “nicht zumutbar” komplett aus dem Zusammenhang.

Das Landgericht Frankfurt hat — anders als Reichelt es darstellt — nicht gesagt, der Israeli sei “Kuwait Airways” “nicht zumutbar”. Stattdessen schreibt es in einer Pressemitteilung, dass es für die Fluglinie “nicht zumutbar” sei, gegen ein in Kuwait geltendes Gesetz zu verstoßen und damit rechtliche Folgen für die eigenen Mitarbeiter in Kauf zu nehmen:

Das Landgericht hat heute entschieden, dass es der kuwaitischen Fluggesellschaft aus rechtlichen Gründen unmöglich ist, den Kläger aufgrund seiner israelischen Staatsbürgerschaft zu befördern. Das Einheitsgesetz zum Israel-Boykott verbiete es nämlich der kuwaitischen Fluggesellschaft als juristischer Person des Staates Kuwait, einen Vertrag mit einem israelischen Staatsangehörigen zu schließen. Verstöße dagegen würden in Kuwait mit Gefängnisstrafe, harter Arbeit oder Geldstrafe geahndet. Es sei einer Vertragspartei nicht zumutbar, einen Vertrag zu erfüllen, wenn sie damit einen Gesetzesverstoß nach den Regeln ihres eigenen Staates begehe und sie deswegen damit rechnen müsse, dort bestraft zu werden. Das Landgericht hat ausgeführt: “Es geht bei der Beurteilung einer rechtlichen Unmöglichkeit nicht darum, aus Sicht eines deutschen Gerichts zu beurteilen, ob das Gesetz eines fremden Staates — hier das Gesetz (…) des Staates Kuwait — sinnvoll ist und ob es nach den Wertungen der deutschen und europäischen Rechtsordnung Bestand haben könnte.” Eine inhaltliche Bewertung des kuwaitischen Einheitsgesetzes zum Israel-Boykott ist mit dem heute verkündeten Urteil daher nicht — auch nicht mittelbar — verbunden.

Julian Reichelt ist ja nicht doof, er kann lesen. Er ist in der Lage, die Begründung des Gerichts zu verstehen. Er will sie aber nicht verstehen. Ihm ist es offenbar egal, dass er seinen Leserinnen und Lesern falsche Fakten präsentiert.

Auch nach der (noch nicht rechtskräftigen) Entscheidung des Landgerichts Frankfurt kann man das kuwaitische “Einheitsgesetz zum Israel-Boykott” erbärmlich finden. Man kann die Begründung des Landgerichts Frankfurt für völlig falsch halten und von einem “Skandal-Urteil” sprechen. Man kann auch, so wie es Reichelt in seinem Kommentar tut, die Bundeskanzlerin auffordern, “Kuwait Airways” die Start- und Landerechte in Deutschland zu entziehen. Man sollte aber, damit alles zur eigenen Meinung passt, nicht irgendwelche Zitate erfinden.

#Metoo und Kameraschwenks, Rechter Netzjargon, PR-Sprech

1. “Jede Institution hat einen Weinstein”
(spiegel.de, Arno Frank)
Arno Frank kommentiert die “Anne Will”-Sendung, bei der Sexismus als “strukturelles Problem” diskutiert wurde: “Sexismus ist, wenn Laura Himmelreich bei “Anne Will” gerade über Sexismus als “strukturelles Problem” referiert — und der Kameramann auf die rosafarbenen Stilettos von Verona Pooth zoomt, um dann laaangsam die Beine hinaufzufahren. Besser als mit dieser praktischen Übung hätte man #MeToo nicht auf die Meta-Ebene überführen können.”
Mittlerweile hat sich die Pressesprecherin von Anne Will dazu geäußert: “Diese Form der Bildführung widerspricht den redaktionellen und bildlichen Grundsätzen der Sendung. Der zuständige Regisseur bedauert den Fehler.”

2. A wie Alt-Right Netzjargon
(br.de, Tobias Zervos & Julian Wenzel)
Weiße Nationalisten, Anti-Feministen, Trump-Supporter und Verschwörungstheoretiker haben eines gemeinsam: den Alt-Right-Netzjargon. Dabei handelt es sich um “eine Art sprachlichen Erkennungscode der Ultrarechten”, der mit frei erfundenen englischen Begriffen gespickt sei. Bei “BR puls” werden ein paar der Alt-Right-Begriffe vorgestellt und erklärt: vom frauenabwertenden “Femoids” bis zu “Transtrender”, der rechten Spottbeschreibung für Transgender.

3. 7 Gedanken, die ich vom VOCER Innovation Day mitgenommen habe
(stift-und-blog.de, Sonja Kaute)
Die Medienjournalistin Sonja Kaute hat am Wochenende den “Vocer Innovation Day” in Hamburg besucht. Ein Treffen, bei dem “innovative Konzepte für den Journalismus von morgen entworfen und diskutiert werden”. Sie hat sich dort wohlgefühlt: Statt des üblichen Gejammers über den Niedergang des Journalismus hätte dort Aufbruchstimmung und Optimismus, Gründergeist und Tatendrang geherrscht. Wieder zu Hause angekommen, hat sie sieben Gedanken notiert, die sie von der Veranstaltung mitgenommen hat. Dabei geht es um Themen wie Daten und Analyse, Personalisierung und Automatisierung, Diversität und Qualitätssicherung sowie neue Storytelling-Formate.

4. Auf Sansibar leben Menschen
(taz.de, Belinda Grasnick)
Belinda Grasnick kritisiert in der “taz” eine Karikatur auf der Panorama-Seite der “SZ”, die einen Text über den Umgang der Sansibarer mit Sansibars berühmtem Landessohn Freddy Mercury begleitet. Auf der Zeichnung sieht man, wie Affen ein offensichtlich schwules Pärchen mit Steinen bewerfen. Grasnick dazu: “Sansibarer als Affen darzustellen, ist mehr als nur geschmacklos. Derartiges Verhalten kennt man aus rechten Foren und Fußballstadien — und auch dort muss es bekämpft werden. Dass ein solches Bild aber in einer überregionalen Tageszeitung verbreitet wird, ist kaum zu glauben.”

5. Wollen wir Freunde sein?
(sueddeutsche.de Alexandra Föderl-Schmid)
Sexismus in der Medienbranche ist leider auch in Israel ein Thema. Dort sind gleich mehrere berühmte Journalisten involviert. Es geht um Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und Sex-gegen-Job-Angebote. Bei einem der Beschuldigten handelt es sich um den Mitbegründer des größten privaten TV-Senders Israels, der nach Bekanntwerden der Vorwürfe von seinem Posten als Präsident des Senders zurückgetreten ist. “Vorübergehend”, wie er sagt.

6. Faktenchecker und Mauerbauer
(tagesspiegel.de, Stephan Russ-Mohl)
Faktencheck-Redaktionen, Paywalls, Entrepreneurial Journalism — dem PR-Sprech sollte nicht nur wegen der Anglizismen entgegengetreten werden, findet Stephan Russ-Mohl im “Tagesspiegel”: “Wenn die Wortwahl den Ernst der Lage eher ver- als erklärt, dann haben wir es, genau besehen, mit PR-Sprech zu tun. Also mit einem Sprachgebrauch von Spin-Doktoren, dem “gute” Journalisten und Wissenschaftler nicht nur wegen der Anglizismen den Kampf ansagen sollten.”

Für “Bild”-Kritik ist in “Bild” kein Platz

Zum Boulevard-Murks von “Bild” gehört nicht nur das Verbiegen und Erfinden von Fakten, sondern auch das gezielte Weglassen von Informationen.

Diese Passage hier zum Beispiel — gibt es an der irgendetwas Offensichtliches auszusetzen?

Immerhin: Torwart Manuel Neuer (31) steht trotz drei Mittelfußbrüchen 2017 hinter Braun, schrieb bei Facebook: “Ihn trifft absolut keine Schuld. Ich kann sogar versichern, dass er die allerbesten Methoden angewandt hat, welche die moderne Medizin ermöglicht.”

Sie stammt aus einem Text, der in der “Bild”-Ausgabe vom Mittwoch erschienen ist. In dem Artikel “Brazzo wollte Bayern-Doc loswerden” geht es um die Trennung des FC Bayern München und Volker Braun, der bis vor Kurzem noch Mannschaftsarzt der Profifußballer war.

Die zwei “Bild”-Autoren lassen es so erscheinen, als hätte sich Manuel Neuer einfach mal so und ohne äußeren Anlass in einem Facebook-Post für Braun starkgemacht. Die Information, die sie weglassen: Neuer äußerste sich nur deswegen öffentlich zum “Bayern-Doc”, weil er keine Lust hatte, sich von den “Bild”-Medien instrumentalisieren zu lassen.

Zwei Tage zuvor, am Montag, hatte Bild.de einen ersten Artikel zum Aus von Volker Braun beim FC Bayern München veröffentlicht. Darin auch dieser Absatz:

Nach BILD-In­for­ma­tio­nen waren Mann­schaft und Klub-Mit­ar­bei­ter über­rascht vom plötz­li­chen Braun-Aus. In­tern al­ler­dings war der Doc seit ei­ni­ger Zeit um­strit­ten. Unter an­de­rem, weil er bei Ver­let­zun­gen nicht die idea­len Be­hand­lungs­me­tho­den ge­wählt hatte, Spie­ler nach Rück­schlä­gen für län­ge­re Zeit aus­fie­len. Bes­tes Bei­spiel: Ma­nu­el Neuer (31). Der Torwart brach sich im Sep­tem­ber zum drit­ten Mal in die­sem Jahr den Mit­tel­fuß.

Das wollte Manuel Neuer so nicht stehen lassen und verfasste am Dienstag einen Facebook-Post:

Screenshot des Facebook-Posts von Manuel Neuer, der die betreffende Bild.de-Passage zitiert. Dazu schreibt Neuer: In den Medien wird heute der Eindruck erweckt, Dr. Volker Braun sei für die Entwicklung meiner Verletzung verantwortlich, da er nicht die idealen Behandlungsmethoden angewandt habe (siehe Foto). Dem möchte ich vehement widersprechen. Den ehemaligen Vereins-Arzt des FC Bayern trifft absolut keine Schuld. Ich kann sogar versichern, dass er die allerbesten Methoden angewandt hat, welche die moderne Medizin ermöglicht.

Einen Tag später nutzte “Bild” dann Neuers “Bild”-Kritik — ohne den “Bild”-kritischen Teil –, um einen neuen “Bild”-Artikel zu füllen. Das schafft auch nur diese Redaktion: Jemanden, der sich nicht von ihr instrumentalisieren lassen will, direkt wieder zu instrumentalisieren.

Mit Dank an Julia F. und @tuschelball für die Hinweise!

Trumps Twitter-Troll, Push it real bad, Facebooks Rache-Pornos

1. Einstweilige Verfügung gegen die FAZ erlassen
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Die “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” hat sich eine einstweilige Verfügung wegen einer falschen Tatsachenbehauptung zur Berichterstattung des ARD-“Faktenfinders” über das Oktoberfest eingefangen. Die AfD hatte suggeriert, dass es seit 2015 Probleme bei der Durchführung von Volksfesten gebe (“Oktoberfest: Gähnende Leere”). Diese Behauptung hatte der “Faktenfinder” überprüft und als falsch zurückgewiesen. Dies wiederum hatte der “FAZ”-Autor Rainer Meyer (“Don Alphonso”) aufgegriffen und der “Tagesschau” vorgeworfen, aus einem “‘Missverständnis’ echte Fake News” gemacht zu haben. Daraufhin beantragte der NDR beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung. Das Gericht gab dem statt, die “FAZ” musste die betreffende Passage entfernen.

2. Der „King Of Fake News“: Jack Posobiec ist Trumps Twitter-Troll
(fearlessdemocracy.org, Gerald Hensel)
Gerald Hensel berichtet bei “Fearless Democracy” über den “King Of Fake News” Jack Posobiec. Dabei handelt es sich um einen erst 31-jährigen Mann aus dem neurechten bis rechtsradikalen Umfeld, der für viele schmutzige Social-Media-Aktionen verantwortlich gemacht wird. So soll er unter anderem ein “Rape Melania”-Poster in eine Gruppe Anti-Trump-Demonstranten eingeschmuggelt haben und maßgeblich an der Verbreitung von “Pizzagate” beteiligt gewesen sein (einem im US-Wahlkampf gestreuten Gerücht, nach dem leitende Demokraten einen Kinderporno-Ring unterhalten würden).

3. Film ab
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
Die “Los Angeles Times” berichtete kritisch über das Geschäftsgebaren der Firma “Disney”. Daraufhin erhob diese einen Bann gegen die Filmkritiker der “Los Angeles Times”, die bei Pressevorführungen ab sofort unerwünscht waren. “Disney” hat jedoch augenscheinlich nicht mit der Solidarität der Filmkritik gerechnet: Als Reaktion kündigten die Kollegen der “New York Times” an, so lange “Disney”-Filmvorführungen fernzubleiben, bis der Bann gegen die Kollegen von der anderen Küstenseite aufgehoben sei. Weitere Filmkritiker schlossen sich an. “Disney” knickte schlussendlich ein und hob den Bann auf.

4. Push-Nachrichten: Eilmeldungen als Daueralarm
(ndr.de, Jonas Mayer)
Push-Nachrichten sind Segen und Fluch zugleich. Verantwortlich und behutsam eingesetzt, können sie durchaus wertvolle Nachrichtenlieferanten sein. Ist dies nicht der Fall, mutieren sie zu lästigen Quälgeistern, die bei nichtigsten Anlässen das Handy zum Vibrieren bringen. Jonas Mayer hat sich mit dem Thema beschäftigt, in einem Selbstversuch das Pushverhalten der Apps der neun größten Nachrichtenseiten untersucht und verantwortliche Journalisten und Kritiker befragt.

5. Wächter des Weltwissens – wie Automaten Wikipedia beschützen
(algorithmenethik.de, Torsten Kleinz)
Die Onlineenzyklopädie “Wikipedia” wird von vielen Freiwilligen getragen, die ohne eigenes Interesse und unentgeltlich daran mitwirken, dass es diese Plattform für freies Wissen überhaupt gibt. Dabei haben sie es leider auch mit Vandalismus zu tun. Das reiche von Artikellöschungen über Beschimpfungen bis hin zu ausgefeilten Manipulationskampagnen, die zum Beispiel den Aktienkurs eines Unternehmens beeinflussen sollen. Zum Glück sind sie bei der Abwehr derartiger Angriffe nicht allein: Der von einem künstlichen neuronalen Netzwerk gesteuerte “ClueBot NG” arbeitet wie ein Spamfilter und hilft fleißig dabei, die “Wikipedia” sauber zu halten. Torsten Kleinz erklärt, was es damit auf sich hat.

6. Schickt Facebook eure Nacktbilder, damit sie niemand sieht
(zeit.de, Patrick Beuth)
Ist es eine gute Idee, seine Nacktbilder an Facebook zu senden, um zu verhindern, dass sie online verbreitet werden? Zum Beispiel als “Rache-Porno” eines Ex-Partners? Was zunächst nach einer Schnapsidee klingt, will Facebook versuchsweise in Australien und anschließend auch in den USA, Großbritannien und Kanada testen. Facebook will die Bilder mit einem digitalen Wasserzeichen versehen und ein weiteres Hochladen Unbefugter unterbinden. Dazu müssten die eingesandten Bilder jedoch von Facebook-Mitarbeitern überprüft werden.

Wühltisch in Orange, Datenhunger, Nicht-Interview mit Mark Forster

1. Er macht uns alle zu Opportunisten
(zeit.de, Adrian Daub)
Noch vor einem Jahr hieß es, dass Donald Trump ein Segen für Journalismus und Satire-Industrie sei. Heute stünden die US-Medien vor einem schier unlösbaren Problem, so Adrian Daub auf “Zeit Online”. Die “zerstörerische Kraft uninformierter, lustloser Inkompetenz” scheine gegen mediale Entlarvung immun: “Donald Trump und seiner Mannschaft genau hinterher zu schnüffeln ist, bei aller Notwendigkeit, auch eine Vermeidungsstrategie. Den Präsidenten als Person immer und immer wieder anzugreifen, kann kein gesellschaftliches Umdenken bewirken. Was sich weder Colbert noch Kimmel, weder Saturday Night Live noch Rachel Maddow, weder die Washington Post noch die New York Times trauen, ist, ihren Mitbürgern ins Gesicht zu sehen und zu fragen “Du hast das gewollt. Wie kannst du das vertreten?”.”

2. Journalismus: Wühltisch statt Swimmingpool!
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Die “Verlagsgruppe Handelsblatt” will mehr junge, wirtschaftsinteressierte Leser erreichen und hat dazu vor einiger Zeit das Portal “Orange by Handelsblatt” gegründet. Für eben jenes Portal sucht man aktuell per Anzeige “motivierte Multimedia-Journalisten”, denen man 50 Euro für einen Beitrag in Aussicht stellt. Der stellvertretende Chefredakteur verteidigt die Anzeige auf Facebook. Keineswegs würden bei ihm “arme Irre” arbeiten, noch wolle man “irgendwen ausbeuten”. Christian Jakubetz hat sich zum aktuellen Vorgang auf seinem Blog geäußert und stellt den Gesamtzusammenhang her: “… was es für Journalismus bedeuten würde, wenn ihn nur noch die machen, die ihn sich leisten können, will man lieber nicht so genau wissen.”

3. Per Akkreditierung an private Daten?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Wolfgang Wichmann)
Für Journalisten ist es üblich, sich für Veranstaltungen zu akkreditieren, so auch bei Parteitagen. Doch die AfD wich vom normalen Akkreditierungsprocedere ab und forderte Medienvertreter dazu auf, der zusätzlichen Speicherung von “besonderen Daten” zuzustimmen. Im Bundesdatenschutzgesetz sind diese “besonderen Daten” definiert: Es handelt sich um Angaben zur politischen Meinung, zur religiösen Überzeugung oder dem Sexualleben. Nachdem sich dagegen Protest erhob, unternahm die AfD einen Rückzieher und überarbeitete die Anmelde-Maske für den anstehenden Parteitag. Nun tun sich neue Probleme auf.

4. Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt twittert Verschwörungstheoretiker-Blog
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), verbreitete per Twitter einen Artikel des dubiosen, neurechten Verschwörungsportals “Epoch Times”. Markus Beckedahl kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: “Haselhoff, der laut Twitter-Bio selbst twittert, und seine Regierung hatten zuletzt vorgeschlagen, die ARD und die Tagesschau zusammenzusparen. Der Fall macht anschaulich, wo auf keinen Fall gespart darf, sondern massiv investiert werden muss: Bei der Vermittlung von Medien- und Digitalkompetenz.”

5. Rechts-Recherchen gestoppt
(taz.de, Dominik Koos)
Die Grünen-Niederlage in Österreich wirkt sich an unerwarteter Stelle aus: Der antifaschistische Rechercheblog stopptdierechten.at musste offline gehen, weil ihm die finanziellen Mittel fehlen. Die Seite wurde von Karl Öllinger betrieben, einem scheidenden Abgeordneten der österreichischen Grünen. Öllinger sucht nun nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten: “In der aktuellen politischen Situation ist eine kritische Berichterstattung über die schwarz-blauen Koalitionsverhandlungen wichtiger denn je”, so Öllinger.

6. Veto gegen das eigene Wort – eine Mark Forster-Doku
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Anwärter für das “Interview des Jahres” könnte das Nicht-Interview von Jakob Buhre mit dem Popstar Mark Forster sein. Forster wird in der “Wikipedia” als “Sänger und Songwriter” bezeichnet, doch wer schreibt die Songs wirklich? Immerhin werden in den Credits der Lieder 15 Komponisten und Textdichter genannt. Buhre hat den Künstler auch zu diesem Thema befragt. Dies kam anscheinend nicht so gut an: Forster ließ im Nachgang seine Zustimmung zur Veröffentlichung des Interviews zurückziehen. Jakob Buhre hat seine Fragen nun veröffentlicht und dort, wo Forsters Antworten hätten stehen sollen, über die Personen geschrieben, die für den Erfolg von Mark Forster (mutmaßlich) mitverantwortlich sind. Fast ist man Forster dankbar für sein “Veto gegen das eigene Wort”, wie Buhre es nennt: Es ist ein gut durchrecherchierter und spannender Blick hinter die Kulissen der Musikindustrie geworden.

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Erzähl deinem Erdkunde-Lehrer bloß nicht von diesem “Bild”-Quiz

Die “Bild”-Redaktion will ja nicht nur Erwachsene mit falschen Fakten versorgen informieren, sondern auch junge Leute. Deswegen ist sie auch auf den Plattformen aktiv, die junge Leute eben so nutzen, zum Beispiel Snapchat.

Und wie ließe sich Wissen komprimiert besser vermitteln als in einem Quiz?

Screenshot aus dem Bild-Snapchat-Kanal - Erzähl deinem Erdkunde-Lehrer von diesem Quiz

Ähm, ja, nee. Besser du erzählst niemandem von diesem Quiz. Und erst recht nicht deinen Erdkunde- und Politik-Lehrern.

Denn während die “Bild”-Redaktion es noch hinbekommt, den Kölner Dom in Nordrhein-Westfalen zu verorten, Nürnberg als zweitgrößte Stadt in Bayern zu nennen und Helgoland, Föhr sowie Sylt nicht zu den Ostfriesischen Inseln zu zählen, geht bei dieser Usedom-Frage schon mal alles schief:

Screenshot aus dem Bild-Snapchat-Kanal - Frage: Der größte Teil der Insel Usedom gehört zu - die vier Antwortmöglichkeiten: Polen, Niederlande, Österreich, Dänemark - laut Bild richtig: Polen

Es verläuft zwar ein Stück der deutsch-polnischen Grenze auf Usedom — die Insel gehört also zum Teil zu Polen. “Der größere Teil der Insel Usedom gehört” allerdings zu Mecklenburg-Vorpommern — und damit zu Deutschland.

Bei einer anderen Frage in ihrem Erzähl-das-mal-deinem-Lehrer-Quiz gibt die Redaktion ein noch traurigeres Bild ab:

Screenshot aus dem Bild-Snapchat-Kanal - Frage: Der Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten ist ... - die vier Antwortmöglichkeiten: das Berghain, Schloss Bellevue, der Bundestag, Schloss Charlottenburg - laut Bild richtig: Schloss Charlottenburg

In den Jahren 2004 bis 2006 wurde das Schloss Charlottenburg tatsächlich mal vom Bundespräsidenten genutzt, allerdings nur als Zwischenlösung, als der eigentliche Amtssitz, Schloss Bellevue, renoviert wurde.

Wenn das Schloss Charlottenburg aktuell “der Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten” sein soll, dann ist das Axel-Springer-Hochhaus der Berliner Amtssitz versierter Quizmaster.

Mit Dank an @politischernate, @PatKloe und für die Hinweise!

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