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“Ein Missbrauch der Pressefreiheit”

Was der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt von der Griechenland-Berichterstattung in “Bild” hält, hat er Giovanni di Lorenzo im aktuellen “Zeit-Magazin” verraten:

ZEITmagazin: Wo ist die Grenze zwischen rhetorischer Überzeugungskraft und purer Demagogie?

Schmidt: Ich kann das an einem Beispiel festmachen: Wenn ich lese, wie die auflagenstärkste europäische Tageszeitung, genannt Bild, in den letzten Wochen beinahe jeden Tag den Lesern klargemacht hat, dass man sein eigenes Geld nicht dafür verwenden sollte, dem aus eigener Schuld in Not geratenen Nachbarstaat Griechenland zu helfen, dann ist das in Wirklichkeit Demagogie oder, wenn Sie so wollen, ein Missbrauch der Pressefreiheit.

ZEITmagazin: Es ist auch ein Indiz dafür, dass Zeitungen in Versuchung geraten, solche Positionen einzunehmen, wenn es im Parteienspektrum niemanden gibt, der das tut.

Schmidt: Für Demagogie, sei es seitens einzelner Politiker oder politischer Parteien, einer Zeitung oder einer Fernsehanstalt, gibt es niemals eine Entschuldigung. Es gibt immer eine Erklärung, aber keine Entschuldigung.

Mit Dank an Martin Sch. für den Hinweis.

Streifenwagen, Altpapier, Lotterleben

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie Deutschlands Polizei mit Fernsehsendern kooperiert”
(dradio.de/dlf, Klaus Deuse)
In Hessen und Sachsen gibt es eine “Tarifliste für polizeiliche Filmdienste”, in der vom Polizeihund über den Streifenwagen bis zum Schlagstock alles aufgeführt ist. “Für das Engagement eines Polizeimeisters verlangt das hessische Innenministerium um die 70, für das eines echten Kommissars an die 90 Euro pro Stunde.”

2. “Aktuelle NRW-Wahlergebnisse? Bei @popkulturjunkie”
(medialdigital.de, Ulrike Langer)
Ulrike Langer vergleicht die aktuelle Ergebnisberichterstattung des ZDF zur NRW-Wahl mit jener von @popkulturjunkie Jens Schröder. “Es bleibt die interessante Frage, warum das ZDF mit seinem gesamten Apparat, seinen direkten Drähten nach Düsseldorf und wesentlich mehr Rechenleistung nicht schaffte, was ein einzelner Journalist mit Bordmitteln und Engagement hinbekam: Zuverlässig und auf dem aktuellen Stand berichten.”

3. “Der Aufstand der Radios”
(tagblatt.ch, Nick Joyce)
Alternative Radios verzichten auf eine Promotionsplattform – im Gegenzug werden sie von den grossen Labels nicht mehr mit Interviews und Presse-CDs beliefert. Sie überlegen nun, “verstärkt auf das Repertoire jener Labels zuzugreifen, die ihnen Neuveröffentlichungen auflagenfrei zur Verfügung stellen.”

4. “Und alle so: Whiskey!”
(evangelisch.de, Klaus Raab)
“Das Altpapier” ist zurück. In der ersten auf evangelisch.de erschienen Ausgabe geht es um fehlenden Whiskey “in den Konferenzen der Wochenzeitung Die Zeit”.

5. “Spiegel kritisiert guten Journalismus von Stefan Niggemeier”
(frankfurter-magazin.de, Heiner Hänsel)
Heiner Hänsel über die “Spiegel”-Spalte “Kritiker in der Kritik”.

6. “Lotterleben”
(titel-magazin.de, Isabel Bogdan)
Isabel Bogdan beschreibt die Arbeitssituation jener, die nicht das Haus verlassen, um zu arbeiten. “Sich immer wieder selbst zu motivieren, sich zusammenzureißen, zu arbeiten, obwohl man noch schnell die Fenster putzen könnte oder noch ein Stündchen schlafen, das Dokument auf- und das Internet zuzumachen, obwohl einem kein Chef über die Schulter guckt, all das ist verdammt harte Arbeit. Und das ist mein Ernst.”

Bild  

Heiko Herrlich abgehakt

Vielleicht kam dieser dumpfe Knall, den man am Donnerstagmittag in Teilen des Ruhrgebiets hören konnte, von den Sektflaschen, die sie in der lokalen “Bild”-Sportredaktion entkorkt haben.

Denn der abstiegsbedrohte Fußballbundesligist VfL Bochum hatte sich von Trainer Heiko Herrlich getrennt (eine Nachricht, die Bild.de kurzzeitig und wohl eher versehentlich mit “Bochum feiert Heiko Herrlich” überschrieb) — “endlich”, wie man bei “Bild” gedacht haben wird, denn der Aufwand war hoch gewesen:

Über Wochen hatte sich “Bild” mit teils berechtigter Kritik, teils persönlichen Angriffen auf Heiko Herrlich eingeschossen. Und nachdem der sich dann letzte Woche auf einer Pressekonferenz gegen “Bild” gestellt hatte (BILDblog berichtete), waren bei der Zeitung alle Dämme gebrochen.

Michael Makus, NRW-Sportchef bei “Bild”, schrieb letzten Montag:

Die Frage nach der Bochumer Bundesliga-Tauglichkeit beantwortet Herrlich mit Schweigen. Seine eigene Erstligareife ist mehr als zweifelhaft.

Das ist nur teilrichtig, denn Herrlich hatte dem längeren Schweigen auf Makus’ Frage noch etwas hinzuzufügen, wie das Blog Fantastic Supporters dokumentiert:

Wissen Sie, bei Ihrer Zeitung wissen wir auch, dass Sie nicht unbedingt Interesse daran haben, den VfL Bochum in der Bundesliga zu haben. Es reicht, das wissen wir ja von Ihrem Chef, dass Schalke 04 und Borussia Dortmund für Auflagen sorgen. Und deswegen brauche ich Ihnen die Frage überhaupt nicht zu beantworten, weil ihr sowieso schreibt was ihr wollt.

Ebenfalls für die Montagsausgabe fand “Bild”-Mann Joachim Droll, der letzte Woche Herrlichs Zorn zu spüren bekommen hatte, ein paar Ex-Bochumer, die Herrlich explizit oder impliziert kritisierten und ihm so das gewünschte Fazit ermöglichten:

Bochums Legenden fassungslos. Und niemand zieht die Notbremse…

Am Dienstag präsentierte “Bild” dann die “10 größten Herrlich-Fehler” (von denen einzelne auch objektiv nachvollziehbar sind) und illustrierte den Artikel mit Plakaten enttäuschter Fans:

Enttäuschte Fans: Mit Plakaten am Trainingsplatz zeigen die VfL-Anhänger den Profis ihre Unzufriedenheit.

Außen vor blieb in “Bild” (natürlich) ein Plakat, das in der letzten Woche mindestens einmal beim Training zu sehen war. Darauf stand: “Die Bild-Zeitung lügt”.

Oder wie Heiko Herrlich es am Freitag zuvor formuliert hatte:

Das haben schon einige mehr jetzt festgestellt, auch die Fans und deshalb muss vielleicht auch ein Reporter von Ihnen mal schneller vom Trainingsgelände weg, weil die Fans schon gemerkt haben, wie der Hase hier läuft. Was in den letzten Wochen hier los war, was hier an Unwahrheiten passiert ist, das ist eine Frechheit.

Zu den “Unwahrheiten” zählen laut VfL-Pressestelle zahlreiche Informationen, die “Bild” in den vergangenen Wochen über das Innenleben der Mannschaft verbreitet habe. So seien die Berichte, nach denen Herrlich Stars systematisch “rasiert” und “demontiert” habe, schlicht falsch. Und tatsächlich hat Philipp Bönig, den “Bild” vor zwei Wochen “auf dem Absprung” sah, noch kurz vor Herrlichs Rauswurf einen Vertrag für weitere zwei Jahre unterschrieben.

Die Pressestelle des VfL Bochum hatte uns am Mittwoch auf Anfrage erklärt, man plane keinen “Bild”-Boykott, aber man werde die Arbeit der Zeitung durchaus kritisch beobachten und kooperativ sein, ohne sich zu verbiegen. Die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit sei aber kaum noch vorhanden.

Am Donnerstag, wenige Stunden vor Herrlichs Entlassung, wusste “Bild” dann mit zahlreichen angeblichen Interna aufzuwarten, die “mehrere Spieler und VfL-Insider unabhängig voneinander gegenüber BILD” bestätigt hätten. Bei seinem letzten “Gaga-Auftritt” vor der Mannschaft habe sich “Heiko Selbstherrlich” gar mit Louis van Gaal verglichen — weil er sich “genauso mutig mit den Medien” anlege wie der Bayern-Trainer.

Der Vortrags-Nutzen für die Mannschaft? Gleich NULL.

Kaum war Herrlich weg, der einen Grund der “Bild”-Angriffe gegen sich darin sah, dass er der Zeitung einmal kein Interview geben wollte, druckte “Bild” am Freitag etwas, was auf den ersten Blick wie ein Interview mit Interimstrainer Dariusz Wosz aussieht, in Wahrheit aber vielmehr ein Remix seiner Antworten bei der Pressekonferenz des Vortages ist:

Wosz: "Dürfen keinen Köttel in der Hose haben!"

Die Rolle von “Bild” beim Trainer-Rauswurf wurde diskutiert, zum Beispiel im Forum von transfermarkt.de — bis die Diskussion auf der mehrheitlich zur Axel Springer AG gehörenden Website erst geschlossen und dann ganz gelöscht wurde.

Herrlichs Haltung gegenüber “Bild” hat ihm nicht nur Sympathien und Respekt eingebracht. Michael Krumm offenbarte etwa ein irritierendes Verständnis von Demokratie und Presse, als er im VfL-Blog auf reviersport.de schrieb:

Jedem Kind dürfte es bekannt sein, dass man sich in Deutschland nicht mit der Zeitung mit den vier großen Buchstaben anlegt, erst Recht nicht dann, wenn sich Erfolglosigkeit eingestellt hat.

Wenn sich diese Einstellung und der Glaube, Herrlich sei tatsächlich nur auf Druck von “Bild” entlassen worden, durchsetzen sollten, war der Donnerstag tatsächlich ein großer Tag für die “Zeitung mit den vier Buchstaben”.

Mit Dank auch an Jens L., Stephan U., Daniel H., Stefan B., Basti, Christian M., Annika Sch., Martin Sch. und Fabian.

Dramatik, Sex und George Clooney

Jeder Journalistenschüler weiß, was eine Nachricht zur Nachricht macht: Prominenz, Nähe, Gefühl, Sex, Fortschritt, Folgenschwere, Konflikt, Kampf, Dramatik, Kuriosität. Je mehr dieser Nachrichtenfaktoren in einer Meldung zu finden sind, desto mehr Leser interessieren sich dafür, Auflagen steigen, Klickzahlen schnellen in die Höhe.

Und so erschien es fast wie ein Sechser im Boulevard-Lotto, als die Nachricht bekannt wurde, dass am Karfreitag eine Frauenleiche in der Nähe von George Clooneys Villa am Comer See gefunden wurde. Am 4. April titelt der Schweizer “Blick” in seiner Online-Ausgabe:

Ihr wurde beim Sex die Kehle durchgeschnitten

Dicht gefolgt von der Redaktion von Bild.de, die sich die Recherche gleich spart und kurzerhand die “Blick”-Geschichte nacherzählt:

Beim Sex ermordet?  Wasserleiche vor George Clooneys Villa entdeckt

Allein — zu dem Zeitpunkt hatte sich die Hälfte der Nachrichtenfaktoren bereits in heiße Luft aufgelöst: Die Frau war identifiziert, die meisten Spekulationen von der Polizei widerlegt. Und George Clooney, dessen Villa laut italienischen Medien “weniger als einen Kilometer”, laut Blick.ch und Bild.de nur “wenige Meter” vom Fundort entfernt steht, hatte offensichtlich rein gar nichts mit dem Fall zu tun. Die Leiche war mehrere Tage von der Strömung des Sees getrieben worden. Wie kann man also die Prominenz in der Meldung halten?

Der “Blick” wählt diesen kreativen Weg:
Sie ist jung und schön. Langbeinig mit Model-Massen, der Busen chirurgisch vergrössert. Ein George Clooney-Typ. Doch vor dieser Schönen grauts dem Hollywood-Star.

Bild.de ist weniger kreativ, aber plakativer:
Schauspieler George Clooney: Noch ist unklar, ob er während des Leichenfundes in seiner Villa war

In Punkto “Sex” gibt sich die “Blick”-Autorin besser informiert als alle anderen: Sie zitiert einen anonymen Ermittler, wonach das Opfer vermutlich “beim Sex” getötet worden sei — in der Überschrift wird aus der Spekulation flugs ein Fakt gemacht. Der ist dazu noch sehr exklusiv: In der italienischen Presse findet sich kein Hinweis auf den Geschlechtsverkehr, aber immerhin ein Hinweis, dass die offizielle Obduktion noch gar nicht stattgefunden hatte, als die grausamen Details in der Schweizer Boulevardzeitung (und unter Berufung darauf auch bei Bild.de) zu lesen waren.

Ausriss: Bild.de

Weniger einfallsreich zeigen sich die Boulevard-Journalisten bei den Nachrichtenfaktoren Dramatik und Gefühl – denn was ist dramatischer und nahegehender als die Bilder einer echten Leiche? Dass die Fotos nur zu Fahndungszwecken veröffentlicht worden waren und nach der längst erfolgten Identifizierung nicht mehr verwendet werden sollten, interessiert – wie gewohnt – weder Blick.ch, noch Bild.de. Schließlich geht es um den Leser die Auflage.

Mit Dank an Carlotta R.

Die Rente mit 74 und andere Überforderungen

Man weiß nicht, ob es eine gute oder eine schlechte Nachricht für Kai Diekmann ist, aber wenn es nach dem Onlineportal der von ihm verantworteten Zeitung geht, hätte er noch etwa 29 Jahre bis zur Rente:

Bevölkerungsforscher fordert Rente mit 74

Herwig Birg, “Deutschlands bekanntester Bevölkerungsforscher”, hat also laut Bild.de die Rente mit 74 gefordert:

Birg rechnet vor: Um in Zukunft das System der gesetzlichen Rente zu erhalten, muss “das Renteneintrittsalter im Jahr 2045 bei 74 Jahren liegen”, so Birg. “Eine Rente mit 67 würde diesen Trend nur abmildern, nicht aufhalten.”

Sieht man sich das Interview in der “Braunschweiger Zeitung”, auf das sich Bild.de beruft, mal genauer an, stößt man schnell auf die Passage im Wortlaut:

Kann die Rente mit 67 diese Entwicklung stoppen?

Nein, um diesen Effekt auszugleichen, müsste das Renteneintrittsalter im Jahr 2045 zum Beispiel bei 74 Jahren liegen. Eine Rente mit 67 würde diesen Trend nur abmildern, nicht aufhalten. Von weitaus größerer Bedeutung wäre es, wenn wir die Massenarbeitslosigkeit in den Griff bekämen. Da wir dann wesentlich mehr Beitragszahler und weniger zu Versorgende hätten, brächte das viel mehr Gewicht in die Waagschale.

Nun könnte man auch vorrechnen, dass wenn “Bild” am Kiosk weiterhin so viel Geld umsetzen will wie heute, bei der aktuellen Auflagenentwicklung im Jahr 2045 eine einzelne Ausgabe etwa 1,8 Millionen Euro kosten müsste — aber man hätte damit wohl kaum “gefordert”, diese absurd hohe Summe als Kaufpreis zu etablieren.

So ein bisschen hat das auch Bild.de verstanden, wo Birgs eigentliche (wenn überhaupt) Forderung dann ein bisschen scheu nachgetragen wird:

Einziger Ausweg aus der Renten-Falle wäre, wenn wir die Massenarbeitslosigkeit in den Griff bekämen. Dadurch hätten wir “wesentlich mehr Beitragszahler und weniger zu Versorgende”, so Birg weiter.

Mit Dank an Dominic I.

Quotenwettbewerb, UBS, Backwaren

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Holger Kreymeier
(planet-interview.de, Tobias Goltz)
Der Macher von fernsehkritik.tv im Gespräch: “Es müsste meiner Meinung nach verboten werden, die Quote bei ARD und ZDF zu messen. Es dürfte gar nicht mehr öffentlich gemacht werden. Weil es im Grund genommen egal ist, wie viele gucken. Es ist Quatsch, in einen Quotenwettbewerb mit den Privaten zu treten.”

2. “Die UBS in der Gratispresse”
(medienheft.ch, Steffen Kolb)
Die Universität Fribourg hat untersucht, ob sich die Einflussversuche der Werbekunden in der Berichterstattung widerspiegeln. Als konkretes Beispiel dient die Berichterstattung in den Schweizer Gratiszeitungen “.ch” und “20 Minuten” über die Bank UBS.

3. “Tageszeitungen”
(aktuell.nationalatlas.de, Volker Bode)
Zwei Karten und eine Grafik zeigen die Kooperationen sowie die Auflagen- und die Verkaufsentwicklung der deutschen Tagespresse.

4. “Meinungsfreiheit, unbedingt. Warum Brender poltern darf”
(epd.de, Michael Ridder)
Für Michael Ridder gehören die von Nikolaus Brender über ZDF-Redakteure getätigten Aussagen zur Meinungsfreiheit: “Erst wird jemand ohne triftigen Grund aus dem Amt gejagt, dann wird ihm auch noch das Recht auf Meinungsfreiheit aberkannt, schließlich sein Anspruch auf Pensionszahlungen infrage gestellt. Brender muss sich im Angesicht solcher Volksvertreter wie ein kurdischer Redakteur fühlen, der vor einem gnadenlosen türkischen Richter gelandet ist.”

5. Interview mit Feridun Zaimoglu
(sueddeutsche.de, C. Schmidt)
Schriftsteller Feridun Zaimoglu über die Literaturkritik im Fall Axolotl Roadkill: “Warum halten sich bemerkenswert viele Damen und Herren in der Literaturkritik so gerne am Rande der Schmutzlache auf, in der das Fräulein der Saison badet? Was ich in einigen Zeitungen las, war Schund aus der Feder derer, die sich der Literaturkritik zuschlagen. Was führen die eigentlich für ein ödes Leben? Aber das war ja bei einem ähnlich gelagerten Buch auch schon der Fall.”

6. “Wer ist dran?”
(revierflaneur.de, Manuel Heßling)
“Gestern Vormittag vorm Backwarenstand.”

Gefährliche Lidlschaften

Die Geschichte hat alles, was Auflage macht: Tote! Die Nachbarn im Süden! Eine Alliteration in der Überschrift!

Killer-Käse aus Österreich tötet zwei Deutsche

Gut, die zwei toten Deutschen verblassen vielleicht am Ende des ersten Absatzes etwas …

Ein neuer Lebensmittel-Skandal hält Deutschland in Atem. Nach dem Verzehr eines Harzer Käses aus Österreich sind zwei Deutsche an einer Listeriose (Bakterieninfektion) gestorben. In Österreich kamen sechs Menschen ums Leben.

Aber sonst?

Na ja, so richtig neu ist der Skandal auch nicht — neu ist die Erkenntnis, dass es Tote (übrigens insgesamt sechs und nicht sechs in Österreich und zwei Deutsche) gegeben hat.

Über die Rückrufaktion hatten verschiedene Medien bereits vor drei Wochen berichtet. Allerdings war der Käse mit den gefährlichen Bakterien im Sortiment des Discounter Lidl aufgetaucht — und weil Lidl und “Bild” eine lange und innige Geschäftsbeziehung verbindet (s. Kasten), war die Meldung bei Bild.de zunächst etwas kleiner ausgefallen.

Auch die Meldung in der gedruckten “Bild” vom 25. Januar war eher unauffällig platziert gewesen und nur vier Tage später war Lidl (gemeinsam mit dem Konkurrenten Aldi) bei “Bild” schon wieder “Gewinner” — weil die Discounter in England beliebter seien als die heimischen Supermarktketten. “Bild” “meinte” damals:

Sorry, das ist eben deutsche Wertarbeit!

Jetzt aber gibt es die Opfer des österreichischen “Killer-Käses” (der aus deutschem Quark hergestellt wird) und Bild.de muss quasi über den Fall berichten.

Und das klingt dann so:

Eine große deutsche Handelskette reagierte sofort und verbannte die Produkte (Foto oben) aus den Regalen!

Als im vergangenen Jahr ein anderer Discounter eine große Rückrufaktion hatte starten müssen, stand sein Name gleich fünf Mal im Artikel auf Bild.de.

Mit Dank an Patrick S. und ceggis.

Nachtrag, 17. Februar: Bild.de hat die Zahl der Todesfälle in Österreich von sechs auf vier korrigiert, in einem neuen Artikel zum Thema wird Lidl genannt.

Musikmagazine, Bratpfannen, Taliban

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “How To Report The News”
(youtube.com, Video, 1:59 Minuten, englisch)
Charlie Brooker zeigt auf, wie ein zweiminütiger Standardbeitrag des TV-Newsjournalismus aussieht.

2. “Vom Umgang mit Leser-Kommentaren”
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen wundert sich nicht über die Qualität der Kommentare auf den meisten Online-Portalen. “Die Integration der Leser-Kommentare lässt derzeit nicht den Eindruck entstehen, dass hier jemand wirklich an den Äußerungen der Leser interessiert sei.”

3. “Die neuen Herausgeber”
(konitzer.wordpress.com, Michael Konitzer)
Michael Konitzer fragt sich, warum “Produzenten von Bratpfannen (oder anderer hochwertigerer Konsumentenprodukte) nicht in Qualitätsjournalismus investieren” – es würden doch auch Medienunternehmen Wein, DVDs oder Bratpfannen verkaufen. “Warum sollen sie den Kontakt zu ihren Kunden nicht durch gut gemachte Medien – also Journalismus – zurück zu gewinnen versuchen?”

4. “Einerseits die Pest – und anderererseits auch: die Autorisierung von Interviews”
(interviewsfuehren.wordpress.com, Christian Thiele)
Christian Thiele erinnert daran, dass die “Autorisierung von Interviews, also deren Vorlage beim Interviewten vor Abdruck” nicht gesetzlich geregelt ist. Trotzdem ist sie Alltag in deutschen Redaktionen. “Für Interviewer, die dafür bezahlt werden, auch mal am Lack zu kratzen, auch mal einen Blick hinter die Kulissen einer Person zu erhaschen, ist die Autorisierung die Pest. Und für das Publikum auch.”

5. “Nudeln oder Currywurst”
(fr-online.de, Klaus Raab)
Schwierige Zeiten für Musikmagazine: “Der Axel-Springer-Verlag feierte soeben in einem Desinformationsschreiben die im vergangenen Jahr gestiegenen Auflagen. Seit Ende 1999 aber ist die Auflage des Musikexpress von 75.000 auf etwa 55.000 Exemplare gefallen, die des Rolling Stone von 85.000 auf knapp 54.000.”

6. “Zu Gast bei Feinden”
(zdf.de, Video, 15:51 Minuten)
Ein afghanischer Reporter war zehn Tage lang “mitten unter Taliban”. Ein Bericht des ZDF-Auslandsjournals.

Optimierungswahnsinn, Paid Content, Vietnam

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “The Year in Media Errors and Corrections”
(regrettheerror.com, englisch)
Ein sehr ausführlicher Jahresrückblick auf Fehler und Korrekturen der englischsprachigen Medien.

2. Presserat in Österreich
(medienschelte.at)
Medienschelte.at zählt drei Gründe auf, warum der zwischenzeitlich aufgelöste Presserat in Österreich “noch vor seiner Konstituierung eine Farce ist”.

3. “Masse statt Klasse”
(bf-g.de/berkner, Bastian Berkner)
Online-Redakteur Bastian Berkner schreibt, wie er “Texte und Überschriften in Richtung Suchmaschine optimieren” muss: “Langsam aber sicher geht mir der Optimierungswahnsinn aber auf den Keks, denn ich habe immer mehr das Gefühl für eine Maschine zu schreiben anstatt für meine Leser.”

4. “Wegen dieser Paid Content-Geschichte…”
(basicthinking.de/blog, André Vatter)
André Vatter widmet sich dem Zweifrontenkrieg, dem Printmedien ausgesetzt sind: “Schwindende Werbeeinnahmen und sinkende Auflagen”. Und dem Zeitungstauschring von Taxifahrern.

5. “Wie lebt es sich in einem Land mit Zensur? Ein Bericht aus Vietnam”
(blog.kooptech.de, Thomas Wanhoff)
“Ich lebe jetzt seit eineinhalb Jahren in Vietnam. Als ich hierher kam, wusste ich, welche Beschränkungen es für Journalisten gab. Ich wusste nicht, wie wenig man das merkt. Und genau das ist das Problem.”

6. “In mobile phone journalism, Africa is ahead of the west”
(guardian.co.uk/media/pda, Mercedes Bunz, englisch)
Mercedes Bunz zeigt journalistische Möglichkeiten mit dem in Afrika eher verbreiteten Mobiltelefon auf, so zum Beispiel über das Open-Source-Projekt Ushahidi, das während Krisen Informationen sammelt.

Märchenstunde

Es war einmal eine Berliner Boulevardzeitung, die hieß “B.Z.” und war im ganzen Land dafür bekannt, dass sie mitunter seltsame Geschichten erzählte. An jenem Tage, als sich der Todestag von Wilhelm Grimm zum einhundertfünfzigsten Male jährte, begab es sich, dass die “B.Z.” schrieb:

Rapunzel, Hänsel und Gretel oder Aschenputtel. Jedes Kind kennt sie, bekam Grimms Märchen vorgelesen, von Eltern, Oma und Opa.

Völlig unbekannt dagegen ist “Der gläserne Sarg”. Fast hätte es diese geheimnisvolle Erzählung nicht in die berühmte Grimmsche Märchensammlung geschafft. […]
B.Z. entdeckte jetzt in der Handschriftensammlung der Staatsbibliothek das erste von Wilhelm Grimm (1786-1859) angefertigte Transkript.

Was die vielen Leser der “B.Z.” nicht wissen konnten: Die Zeitung benutzte eine eigene Sprache. Die meisten Worte klangen der unseren ganz ähnlich, aber sie hatten eine ganz andere Bedeutung. “bisher unbekannt” hieß etwa so viel wie “in fast 160 Jahre alten Büchern enthalten”, “völlig unbekannt” bedeutete ungefähr “seit vielen Jahren von Wissenschaftlern behandelt” und “entdeckte” sollte andeuten, dass man bei der “B.Z.” bisher noch nie von dem “gläsernen Sarg” gehört hatte. (Denn davon hörte man nur in Universitäten.)

Die “B.Z.” lief nun durch die Lande und rief laut aus:

Märchenfund: Unbekanntes Grimm-Märchen aufgetaucht. In der Berliner Staatsbibliothek stieß die B.Z. auf ein bisher unbekanntes Märchen der Grimms.

Das hörte die große Schwester der “B.Z.”, die “Bild” hieß. Sie wusste nicht, dass die “B.Z.” in einer anderen Sprache sprach, die der unseren nur ähnlich war. Und weil “Bild” eine noch lautere und schrillere Stimme hatte als ihre Schwester, rannte sie ins Internet und kreischte:

"Der gläserne Sarg": Verschollenes Märchen der Gebrüder Grimm aufgetaucht

Es ist eine kleine Sensation! In der Staatsbibliothek von Berlin wurde jetzt ein verschollenes Märchen der berühmten Gebrüder Grimm entdeckt, berichtet die “BZ”.

Weil “Bild” aber nicht nur laut, sondern auch faul war, las sie das Märchen nicht selber (obwohl man es von überall aus lesen konnte), sondern erzählte nur weiter, was sie gehört hatte:

Laut “BZ” soll das Märchen zwar nicht so spannend wie “Dornröschen” oder “Rotkäppchen” sein, aber immerhin schaffte es der Text 1837 in die 3. Auflage der “Kinder- und Hausmärchen”.

Da klopfte ein Jüngling namens BILDblog an die Pforte der Berliner Staatsbibliothek und fragte, was es denn mit diesen Nachrichten auf sich habe. Dort saßen kluge Menschen über ihren Büchern und antworteten, sowohl das Märchen als auch das Transkript, von dem die “B.Z.” gesprochen hatte, seien schon lange bekannt. Die Handschrift sei sogar schon in Ausstellungen gezeigt und in Katalogen abgebildet worden.

Da fragte BILDblog, was denn die ganze Aufregung solle, aber obwohl die Staatsbibliothek fast das gesamte Wissen der Welt in sich trug, wusste dort niemand eine Antwort auf diese Frage.

“B.Z.” und “Bild” aber rannten weiter aufgeregt durchs Land und riefen “Märchenfund!” und “Sensation!”. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann rufen sie noch heute.

Wegen ihrer Beiträge sei Rüdiger S., Frank B., Marcus K. und Alex gedankt!

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