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Darf man das Gesicht eines mutmaßlichen Täters zeigen?

Viele Leser haben uns heute empört auf die Berichterstattung über ein Verbrechen in Norddeutschland hingewiesen. Es geht um diese Geschichte:




(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Der Mann ist gestern festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Mord aus.

Unsere Hinweisgeber kritisieren nun vor allem, dass die Medien ein unverpixeltes Foto des mutmaßlichen Täters zeigen und seinen Klarnamen nennen, also identifizierend über ihn berichten. Auch unser erster Gedanke war: Das dürfen die doch nicht!

Aber: Sie dürfen es. Oder besser gesagt: Sollte der Mann rechtlich gegen die Berichterstattung vorgehen, stünden seine Erfolgschancen nur sehr schlecht.

Das liegt zum einen daran, dass er Politiker ist. Und für die gelten andere Maßstäbe als für Nicht-Politiker, denn: “Personen, die ein öffentliches Amt bekleiden oder eine herausgehobene gesellschaftliche Position innehaben, müssen sich bereits bei geringen Verfehlungen öffentlicher Kritik stellen.” So schreibt es der Medienrechtler Udo Branahl in seiner Einführung ins Medienrecht — und gibt dazu folgende Beispiele:

Über den Ladendiebstahl eines Landesministers darf zutreffend berichtet werden.

Auch ein Polizeibeamter, der als “Hüter von Recht und Ordnung” in besonderer Weise öffentlicher Kontrolle und Kritik ausgesetzt ist, muss die Nennung seines Namens selbst bei weniger schweren Delikten eher dulden als ein vergleichbarer Arbeiter oder Angestellter. (…)

Ein Mitglied des Gemeinderats kann sich gegen die Veröffentlichung eines Fotos, das zeigt, dass er während einer Ratssitzung “eingenickt” ist, nicht erfolgreich zur Wehr setzen.

Und wenn die Gerichte schon bei solch vergleichsweise kleinen Vorwürfen eine identifizierende Berichterstattung erlauben, würden sie es bei einem Mordverdacht wohl nicht anders sehen.

Aber was ist mit der Unschuldsvermutung? Auf Anfrage erklärte uns Udo Branahl: Wenn es so gewesen sei, wie es die Medien schildern — angeblich schoss der Mann aus Wut über seinen Steuerbescheid (niedrige Beweggründe), war während der Tat mit dem Opfer allein in einem Raum und wurde noch am Tatort festgenommen –, spreche einiges für die Täterschaft des Mannes, also auch in diesem Punkt hätte er vor Gericht wahrscheinlich keine guten Chancen.

Kurzum: Aus juristischer Sicht kann man den Medien zum jetzigen Zeitpunkt keinen großen Vorwurf machen.

Und der Pressekodex? Auch der gestattet in bestimmten Fällen die identifizierende Berichterstattung über Tatverdächtige. Voraussetzung ist aber ein erhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Dafür, dass ein solches Interesse vorliegt, spricht zum Beispiel, wenn “eine außergewöhnlich schwere (…) Straftat vorliegt” oder “ein Zusammenhang bzw. Widerspruch besteht zwischen Amt (…) einer Person und der ihr zur Last gelegten Tat”. Beides trifft, wenn man der Darstellung der Medien glaubt, in diesem Fall zu. Auch halten sich die meisten Medien daran, den Mann als “mutmaßlichen” Täter zu bezeichnen, die Beschreibungen sind zudem überwiegend sachlich. Sollte sich der Presserat also demnächst mit den Artikeln befassen, wäre es nicht überraschend, wenn er zu dem Entschluss käme, dass kein Verstoß gegen den Kodex vorliegt.

Doch auch wenn die Berichterstattung weder gegen das Gesetz noch gegen den Pressekodex verstößt — ob man sie als Medium so prominent bringen muss, ist natürlich eine andere Frage.

Gerade die Verdachtsberichterstattung ist ein Gebiet, auf dem Journalisten extrem sorgfältig vorgehen müssen. Schon viel zu oft wurden Tatverdächtige von den Medien verurteilt, obwohl sie, wie sich dann später herausstellte, mit der Sache nichts zu tun hatten. Und selbst wenn sie etwas damit zu tun hatten und das sogar gestehen:

Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines “Medien-Prangers” sein. (Pressekodex, Richtlinie 13.1)

Mit Dank an Anonym, Torsten K. und T.D.!

Unverpixelte Propaganda

Nach der mutmaßlichen Enthauptung des US-Journalisten James Foley durch die Terrorgruppe “Islamischer Staat” haben sich die meisten deutschen Medien dazu entschlossen, das Video der Hinrichtung nicht zu zeigen, auch keine Ausschnitte davon.

Damit handeln sie so, wie es auch der Presserat empfiehlt, dessen Geschäftsführer Lutz Tillmanns im Gespräch mit der dpa zu einem respektvollen Umgang mit den Bildern aufgerufen hat:

Die Medien sollten zurückhaltend mit der Veröffentlichung von Fotos umgehen und sich nicht als Propagandainstrument der Terroristen missbrauchen lassen.

Und wenn sie die Bilder doch unbedingt zeigen wollen, etwa die Szenen kurz vor der Ermordung, dann sollte das Opfer dabei “auf jeden Fall unkenntlich gemacht werden”, sagt Tillmanns. “Wer Bilder veröffentlicht, auf denen der Journalist erkennbar wird, macht sich ethisch angreifbar”. Die Würde Foleys stehe im Mittelpunkt. Letztlich müsse sich aber jede Redaktion selber die Frage stellen, wie sie mit solchen Fotos konkret umgehen wolle.

“Spiegel Online” beantwortete sie so: “Die Bilder zu zeigen, wäre reine Propaganda für den IS” — darum zeige das Portal sie nicht. Weder Videoausschnitte noch Fotos. Ähnlich argumentieren auch die ARD, das ZDF, die “Süddeutsche Zeitung”, die “FAZ”, die “taz”, “Zeit Online”, RTL und die dpa. Selbst die Online-Portale von “Bild” und “Berliner Kurier” haben das Gesicht des Mannes verpixelt.

“Focus Online” nicht.

“Focus Online” haut mal wieder alles raus und zeigt in mehreren Artikeln sowohl Standbilder als auch Sequenzen des Videos vor der Enthauptung. Das Gesicht des Opfers ist in keinem Fall unkenntlich gemacht worden.

Dabei schreibt das Portal selbst:

Unterstützer riefen dazu auf, das Video nicht anzuschauen oder zu teilen

Der Satz steht, fettgedruckt, genau unter dem eingebetteten Video.

Mit Dank an Karsten B.

Nachtrag, 22. August: Wir haben gestern Abend bei “Focus Online” nachgefragt, warum das Portal die Bilder unverpixelt zeigt — eine Antwort haben wir bislang nicht bekommen. Inzwischen sind sie aber gelöscht worden.

Das “heute journal” hat vorgestern ebenfalls ein Standbild aus dem Video gezeigt, Claus Kleber moderierte es aber mit klarer Einordnung an. Er sagte:

Es gehört zu den perversen Praktiken dieser Milizen, Videos von solchen Gräueltaten als Propaganda zu nutzen. Deshalb zeigen wir davon allenfalls unbewegte Bilder, bei denen die Opfer verdeckt bleiben, um ihre Menschenwürde zu schützen.

Dieses eine Mal haben wir anders entschieden, weil wir die gefasste Haltung von James Foley angesichts seines Todes eine Würde ausstrahlt, die dem fanatischen Killer neben ihm unbegreiflich geblieben sein muss.

Auch “Spiegel Online”, FAZ.net und “Zeit Online” zeigen — entgegen ihren Ankündigungen — Standbilder aus dem Video. Zumindest indirekt. Sie haben ein Reuters-Video übernommen, in dem britische Zeitungen abgefilmt werden, die die Fotos gedruckt hatten. Das Gesicht Foleys ist nicht unkenntlich gemacht worden — weder von den englischen Zeitungen noch von Reuters noch von den deutschen Medien.

Danke an Christian S., Sascha, Christoph S. und Andreas!

Rügen, Thomas Helmer, Ignoranzallianz

1. “Jede vierte Rüge des Presserats betraf ‘Bild'”
(ndr.de, Fiete Stegers)
Fiete Stegers wertet Rügen des Deutschen Presserats aus: “Mit 157 Rügen seit 1986 liegen Deutschlands auflagenstärkste Zeitung und ihre Ableger unübersehbar vorn. (…) Im Auswertungszeitraum gab es nur 1989 und 1990 keine Rüge für einen ‘Bild’-Titel. In fast jedem anderen Jahr war ‘Bild’ dagegen negativer Spitzenreiter und kassierte manchmal mehr als 40 Prozent der insgesamt ausgesprochenen Rügen.”

2. “‘Jetzt kann ich die blöden Fragen selbst stellen, statt sie beantworten zu müssen'”
(abzv.de, Mario Müller-Dofel)
Thomas Helmer berichtet von seinen Erfahrungen mit “Bild” und “Spiegel”: “Der Spiegel-Beitrag war leider die größte Fehleinschätzung, die ich je über mich lesen musste. Da wurden zum Beispiel Aussagen von mir verdreht und in falschen Kontexten zitiert, sodass sie nachteilhaft für mich waren. Und es wurden stilistische Mittel benutzt, um Thesen zu belegen, die nur der subjektiven Sicht des Journalisten entsprachen, ohne meine Sicht der Dinge ausgewogen einzubeziehen.”

3. “Stellungnahme der Redaktion”
(daserste.de)
Eine Stellungnahme zur vielfältigen Kritik (“mehrere Tausend Briefe, Mails und Anrufe”) an der Sendung “Mission unter falscher Flagge – Radikale Christen in Deutschland” (daserste.de, Video, 43:20 Minuten).

4. “Die Presse echauffiert sich”
(opalkatze.wordpress.com, Vera Bunse)
Vera Bunse nennt die Reaktion auf die Vorwürfe an die deutsche Presse, sie sei “gleichgeschaltet”, “eine wahre Ignoranzallianz”: “Hinter scheinbar unsachlichem Meckern vermuten die Beleidigten nicht einmal begründete Kritik. Den ernsten Hintergrund nehmen sie nicht wahr.”

5. “Verletzte Gefühle”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de, Thomas Steinschneider)
Wie steht es um den Vorwurf, “deutsche Journalisten beteiligten sich an einem Propagandafeldzug”? Thomas Steinschneider prüft “drei kleine Einzelfälle”: “Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie bei einem tragischen Versehen ums Leben gekommen sind, wurden laut Spiegel also ‘ermordet’. Menschen, bei denen davon auszugehen ist, daß sie ermordet wurden, sind laut Tagesschau ‘ums Leben gekommen’. Und eine ‘unstreitig demokratisch legitimierte’ Regierung ist in der Tagesschau auch mal ein ‘Regime’.”

6. “Wer beim Tagesspiegel die Befehle erteilt”
(tagesspiegel.de, Johannes Schneider)
Johannes Schneider skizziert “einen hyperrealistischen Tagesablauf” der “Tagesspiegel”-Redaktion, “für alle Verschwörungsfans”.

Gefährlicher Journalismus

Journalisten sollten den Werther-Effekt kennen. Jene Tatsache also, dass sich mehr Menschen das Leben nehmen, wenn zuvor ausführlich über einen Suizid berichtet wurde. Dieser Effekt ist schon in vielen Untersuchungen bestätigt worden: Je länger und prominenter über einen Suizid berichtet wurde, desto größer war der folgende Anstieg der Selbstmordrate.

Darum fordern viele Institutionen — darunter der Deutsche Presserat, die Weltgesundheitsorganisation und die Deutsche Depressionshilfe –, dass Medien zurückhaltend über Suizide berichten sollen. Insbesondere dann, wenn es sich um einen Prominenten handelt.

Journalisten wissen also, dass sie eine große Verantwortung tragen, wenn sie über solche Fälle berichten. Dass sie ganz genau abwägen sollten, was und wie sie berichten — weil sie im schlimmsten Fall dazu beitragen könnten, dass sich Menschen das Leben nehmen.

Doch vielen scheint das egal zu sein.

Nach dem Tod von Robert Enke hatten etliche Medien tagelang ohne jede Rücksicht über dessen Suizid berichtet. Die Zahl der Selbsttötungen stieg daraufhin massiv an. „In Anbetracht früherer Befunde zum Werther-Effekt scheint sich dieser Zusammenhang ohne Einfluss der Medienberichterstattung kaum zu erklären“, schrieben Kommunikationswissenschaftler der Uni Mainz später in einer Analyse der Enke-Berichterstattung. Auch sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich in der Berichterstattung über Selbstmorde einiges ändern muss, um Nachahmungstaten zu verhindern.

Nur leider ist das vielen Journalisten immer noch egal.

Gestern wurde bekannt, dass sich der Schauspieler Robin Williams das Leben genommen hat.

Genügt das nicht schon an Informationen? Ist es für das Verständnis dieses Ereignisses wirklich erforderlich zu erfahren, wo, wie und womit er sich umgebracht hat, was er dabei anhatte, wie er aufgefunden wurde? Reicht es nicht, wenn die Leser erfahren, dass es ein Suizid war?

Offenbar nicht:




Viele Überschriften wollen wir gar nicht zitieren, weil sie einzig aus der Beschreibung der Suizidmethode bestehen. Und es sind nicht nur die Boulevardmedien, die ausführlich auf die “traurigen Details seiner letzten Minuten” eingehen. Beschrieben werden die Begleitumstände unter anderem bei den Agenturen AFP und AP, in der “Berliner Morgenpost”, im “Südkurier”, im “Express”, bei “RP Online”, “Focus Online” und der “Huffington Post”, auf den Internetseiten der “Tagesschau”, der “Welt”, der “FAZ”, der “Deutschen Welle”, der “tz”, des “Hamburger Abendblatts”, der “Mopo”, der “Gala”, der “Bunten”, der “inTouch”, von N24, RTL, der österreichischen “Krone”, dem Schweizer “Blick” und vielen, vielen mehr.

Aber es gibt zum Glück auch positive Entwicklungen. Ein paar Medien halten sich tatsächlich zurück, etwa die dpa, die nicht auf die Begleitumstände von Williams’ Tod eingegangen ist. Eine bewusste Entscheidung, wie uns dpa-Sprecher Christian Röwekamp auf Anfrage mitteilte. Es habe “intensive Gespräche” gebeben, auch mit den Kollegen in den USA, woraufhin die Agentur beschlossen habe, “eine sehr zurückhaltende Linie zu fahren”.

Und die “Bild”-Zeitung nennt unter ihrem heutigen Artikel immerhin die Nummer der Telefon-Seelsorge. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass ihr wirklich etwas daran liegt, die Zahl der Nachahmer gering zu halten — ein paar Zeilen weiter oben beschreibt auch sie ganz ausführlich, wo und wie sich Williams das Leben genommen hat.

“NZZ” zieht blank

Jetzt hat auch die Schweiz ihren eigenen Sommerloch-Twitter-Porno-Skandal. Die “Neue Zürcher Zeitung” berichtete heute Morgen über …

Nach “Recherchen der NZZ”, heißt es dort, mache eine Sekretärin des Bundeshauses in ihrem Büro regelmäßig Nacktfotos von sich und veröffentliche diese auf ihrem Twitter-Profil.

Dass diese Bilder früher oder später jemand sehen könnte, mit dem sie beruflich zu tun hat, ist ihr bewusst. «Das Thema beschäftigt mich ständig», sagt die Frau, der auf Twitter über 11 000 Nutzer folgen, auf Anfrage. Da die Aufnahmen jedoch Teil ihres Privatlebens seien, sehe sie keinen Interessenkonflikt mit ihrer beruflichen Funktion.

Ob sie damit falschliegt, konnte die “NZZ” nicht sagen. Und auch sonst war sich die Zeitung offensichtlich nicht sicher, was sie der Frau nun eigentlich vorwerfen soll. Sie schreibt lediglich, dass “der Sachverhalt” nicht “ganz so einfach” sei — “immerhin sind auf den Bildern die Büroräumlichkeiten erkennbar”.

Das Eidgenössische Personalamt (EPA) wollte sich gegenüber der Zeitung nicht dazu äußern, weil jede Verwaltungseinheit die Regeln im Umgang mit den Sozialen Medien selbständig umsetze.

Das EPA verwies jedoch auf den Verhaltenskodex der Bundesverwaltung, der vorsieht, dass Angestellte auch im Privatleben darauf achten sollten, den guten Ruf und das Ansehen des Bundes nicht zu beeinträchtigen. Ob dies durch Nacktaufnahmen am Arbeitsplatz geschieht, ist eine Interpretationssache.

Ein von der “NZZ” zitierter Arbeitsrechtler hegt jedoch starke Zweifel daran, dass die Frau mit einer Kündigung rechnen muss:

«Es sei denn, der Arbeitgeber stuft die Tätigkeit als Sicherheitsrisiko ein» (…). Dies könnte der Fall sein, wenn der Arbeitgeber zum Schluss kommt, die Angestellte könnte durch die Bilder erpressbar werden.

Die Schweizer Boulevardmedien jedenfalls fanden die Sache auch so skandalös genug und sprangen eifrig mit auf. Zum Beispiel die Online-Ausgabe des Gratisblatts “20 Minuten”:

Dass die Fotos “während ihrer Arbeit” veröffentlicht wurden, hatte die “NZZ” übrigens nie behauptet.

Und weil das Blatt auch weder den richtigen noch den Twitter-Namen noch sonst irgendwelche persönlichen Informationen der Sekretärin verraten hatte, begann sogleich die Jagd nach ihrer Identität — und natürlich: nach ihren Fotos.

Kleine Auswahl aus den Kommentaren bei “20min.ch”:

Auch die Journalisten wollten unbedingt mehr wissen, darum bat “20 Minuten” die Leser sogar um sachdienliche Hinweise:

Die “NZZ” versuchte zwar noch, die von ihr ausgelösten Wogen zu glätten…

… doch der Zwischenruf verhallte im tosenden Sturm der Sekretärinnenjäger.

Kurze Zeit später tauchten dann auch die ersten (halbherzig verpixelten) Fotos auf. Der Schweizer “Blick” zeigt sie online, inklusive abgekürztem Namen der Frau:

(Unkenntlichmachung von uns.)

Auch 20min.ch konnte nun endlich verkünden:

… und den Lesern in einer Klickstrecke die lang ersehnten Nacktfotos zeigen.

Inzwischen hat der “Skandal” einen eigenen Namen (natürlich: “Selfiegate”), der Account ist gelöscht, die Identität der “Porno-Sekretärin” weitestgehend bekannt, die ersten Politiker fordern die Kündigung der Dame und Journalisten wie Leser machen sich weiterhin empört aber sabbernd über die Fotos her. Und uns bleibt nur der Verweis auf den Schweizer Presserat, der mal geschrieben hat:

Auch Amtspersonen haben ein Recht darauf, dass ihre Privatsphäre respektiert wird. Wenn Medien darüber berichten, dass von einer solchen Personen Sexbilder im Internet abgerufen werden können, befriedigt das allenfalls die Neugier des Publikums. Ein schützenswertes öffentliches Interesse an solchen Informationen gibt es in der Regel nicht – selbst dann nicht, wenn die Amtsperson eine hohe Stellung hat oder prominent ist.

Mit Dank an Flavio F.

Die Opfer der Medien

Selten verschwimmt die Grenze zwischen den Boulevardmedien und den vermeintlich seriösen Blättern dieses Landes so sehr, wie in den Wochen nach einem großen Unglück.

Nehmen wir allein diese Opfergalerien.

Das Schlimme daran ist ja nicht nur die Selbstverständlichkeit, mit der Journalisten die Facebook-Profile toter Menschen durchwühlen und alles daraus veröffentlichen, was nicht niet- und nagelfest ist. Es ist auch die Feigheit, die sie an den Tag legen, wenn man sie darauf anspricht.

Der “Stern” zum Beispiel hat in der Vergangenheit — etwa nach dem Amoklauf von Winnenden oder einem Flugzeugabsturz im Jahr 2009 — zahlreiche Privatfotos von Opfern gedruckt, aber konsequent jede Aussage darüber verweigert, woher er die Fotos hatte und ob die Angehörigen die Veröffentlichung erlaubt hatten. Auch andere Medien hielten es so. Stefan Niggemeier hat das nach dem Amoklauf von Winnenden in einem erschreckenden Blogeintrag festgehalten. Da klauen die “Bild”-, RTL-, aber auch “Stern”- und “Focus”-Menschen offenbar kurzerhand private Fotos der Opfer von SchülerVZ, veröffentlichen sie ohne Zustimmung der Angehörigen — und sobald man wissen will, wie sie an die Fotos gekommen sind oder wie sie es allgemein mit der Notwendigkeit eines Einverständnisses halten, blocken sie ab.

Leider hat sich seither — der Amoklauf liegt fünf Jahre zurück — kaum etwas geändert. Zwar hat der Presserat kurz darauf die Regeln zum Schutz der Persönlichkeit überarbeitet, damit sie “für Journalisten einfacher anzuwenden sind”, zudem haben immer wieder Angehörige geäußert, wie schmerzhaft es gewesen sei, die geklauten Fotos in den Medien sehen zu müssen.

Trotzdem sieht es im “Stern” momentan so aus:

(Unkenntlichmachung von uns.)

Eine komplette Doppelseite hat die Illustrierte den Porträts gewidmet. Und auch der “Spiegel” hat eine Opfergalerie gebastelt, hielt es aber offenbar für verkaufsfördernder, sie gleich vorne auf dem Cover abzudrucken und mit einer knalligen Anti-Putin-Schlagzeile zu versehen:


(Unkenntlichmachung von uns.)

Woher stammen die Fotos diesmal? Im “Spiegel” findet sich keinerlei Hinweis darauf, im “Stern” ist für lediglich zwei der 34 Fotos eine Quelle angegeben (“AP”).

Wir haben beide Redaktionen gefragt, woher sie die Fotos bekommen haben, ob eine Zustimmung der Angehörigen vorlag, und wenn nein, warum die Bilder dann trotzdem gedruckt wurden.

Der “Stern” wollte sich — Überraschung — nicht äußern. Warum auch. Geht schließlich nur um so Pipikram wie journalistische Grundsätze, da hat der “Stern” dann doch Besseres zu tun.

Die Chefredaktion des “Spiegel” war immerhin nicht ganz so feige und schrieb uns zur Herkunft der Fotos:

Der SPIEGEL hat sich bei der Auswahl der Fotos aus öffentlich zugänglichen Quellen bedient.

Aha. Soll wohl heißen: Auch der “Spiegel” hat sich durch die Facebook-Profile der Toten geklickt und sich frei bedient.

In einer zweiten Mail schob er dann noch hinterher:

Zahlreiche andere Zeitungen und Zeitschriften im In- und Ausland haben in den letzten Tagen öffentlich zugängliche Quellen benutzt, um Fotos der Opfer zeigen zu können.

Ja — und? Was soll das denn bitte heißen? Dass es okay ist, im Internet auf Beutezug zu gehen, weil die anderen es ja auch machen?

Er schrieb weiter:

Wir halten die Optik für angemessen, denn es handelt sich um Opfer der ruchlosen Machtpolitik des russischen Präsidenten Putin. Dies rechtfertigt nicht nur eine so starke, emotionale Optik, es macht sie geradezu notwendig – und zwar im Interesse der Opfer und ihrer Angehörigen.

Das ist nun wirklich eine Frechheit. Woher will der “Spiegel” denn wissen, was in den Köpfen der Angehörigen vorgeht, wenn er nicht mal mit ihnen gesprochen hat? Was ist, wenn einige oder gar alle Angehörigen einfach nur ihre Ruhe haben wollen? Wenn sie eben nicht wollen, dass ihre toten Familienmitglieder für politische Forderungen instrumentalisiert werden? Was ist, wenn es ihr Leid nur noch vergrößert, wenn die Fotos der Opfer überall auf der Welt zu sehen sind? Ja dann — haben sie Pech gehabt.

Immerhin bekommt das “Spiegel”-Cover gerade ordentlich Gegenwind. Auch der Presserat ist schon eingeschaltet; sieben Beschwerden seien zu dem Titelblatt eingegangen, sagte uns Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns. Er halte solche Opfergalerien aus pressethischer Sicht ohnehin für “bedenklich”. Im Fall des MH17-Absturzes komme aber hinzu, “dass diese Galerie eingebaut ist in die Putin-kritische Berichterstattung, das heißt das unmittelbare Unfallereignis ist gar nicht vorrangiger Anlass für den Beitrag.”

Er verweist auf eine Entscheidung des Presserats, die kurz nach den Anschlägen von Utøya veröffentlicht wurde und seines Erachtens auch heute noch gültig sei. Darin heißt es:

Viele Medien hatten die Fotos [der Opfer] veröffentlicht, weil die Redaktionen den Opfern “ein Gesicht geben” wollten, um den Lesern das Ausmaß dieses schrecklichen Verbrechens begreifbarer zu machen. Diese Intention stößt sich allerdings mit dem Persönlichkeitsrecht der Opfer.

Nur weil Menschen zufällig Opfer eines schrecklichen Verbrechens werden, rechtfertigt dies nicht automatisch eine identifizierende Berichterstattung über ihre Person. Bei der Abwägung gelangte das Gremium zu dem Ergebnis, dass das Persönlichkeitsrecht der Opfer im konkreten Fall ein mögliches Informationsinteresse der Leser überlagert. Die durch die Fotos entstehende Emotionalisierung ist lediglich eine erweiterte Information, die vom ethischen Standpunkt her zum sachlichen Verständnis des Amoklaufs so nicht erforderlich war.

Ob der Presserat das auch im Fall der MH17-Opfer so sieht, wird sich erst in ein paar Wochen zeigen, wenn er über die eingegangenen Beschwerden beraten hat.

Änderungen an der Praxis der Medien wird das vermutlich in keinem Fall zur Folge haben.

Online-Kommentare, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus

1. “Im Land der ‘gleichgeschalteten Medien'”
(fr-online.de, Katja Thorwarth)
Nach der FAZ (“Meine Tage im Hass”) schreibt sich auch die FR ihren Frust über pöbelnde Online-Kommentatoren von der Seele. Neben der Wiedergabe vieler, “zum besseren Verständnis in Ansätzen korrigiert[er]” Fäkalausdrücke macht Katja Thorwarth eine wichtige Feststellung: “Der Schrei über Zensur ist vollkommen deplatziert, denn Zensur kann nur dort greifen, wo es um das Grundrecht der Meinungsfreiheit geht. Und an diesem Punkt verwechseln viele User die Kommentarspalten im Internet mit dem Tresen ihrer Stammkneipe.” Auf Twitter sind sich Stefan Plöchinger und Wolfgang Blau einig: Es hilt nur “gescheit moderieren”.

2. “Meinungsfreiheit ja, Beleidigung nein”
(dw.de, Naser Schruf)
Drei Tage und rund 180 Presserats-Beschwerden (derstandard.at) nach dem “herrlichen Shitstorm” (stefan-niggemeier.de) melden sich die von Nicolaus Fest geschmähten Muslime zu Wort. Naser Schruf beleuchtet das laute und überwiegend empörte Echo in der arabischen Presse, Sanjay Patel kritisiert die langjährige “islamfeindliche Marschroute” (migazin.de) der “Bild”, Canan Topçu wünscht “Bayramınız kutlu olsun” (zeit.de), und Koray Yilmaz-Günay spricht in der “taz” über Islamophobie unter Konservativen.

3. “Ton gegen Juden in Deutschland verschärft sich”
(berliner-zeitung.de, Thomas Kröter)
Die Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel untersucht soziale Medien, Online-Kommentare, Chats und Foren auf antisemitische Äußerungen. Während Ausmaß und Intensität zugenommen hätten, sei eines gleich geblieben: “Über 60 Prozent kommen aus der sogenannten Mitte” und leugnen “vehement, antisemitisch eingestellt zu sein”. Weniger Grund zur Besorgnis sieht dagegen der Historiker Wolfgang Benz (tagesspiegel.de).

4. “Wer ist der Kriegstreiber?”
(spiegel.de)
Als hätte der “Spiegel” auf Alexander Becker gehört (meedia.de), steht im “SPIEGELblog” erstmals seit Monaten keine Eigen-PR, sondern eine Rechtfertigung. Und zwar für das von Frank Lübberding kritisierte und vom Postillon bespottete (der “Löschbeirat” vereint Kritik und Spott) Cover. Der Tenor: Weil die Artikel im Heft nicht kriegstreiberisch seien, ist die Titelzeile “Stoppt Putin jetzt!” auf dem Heft ebenso harmlos.

5. “Wir brauchen kein Radio der Zukunft, wir brauchen es jetzt”
(diskurslabor.de, Tom Leonhardt)
Das “National Public Radio” hat mit seiner neuen App “NPR One” die “Idee von personalisierbarem Radio auf eine sehr stilvolle und gut umgesetzte Art und Weise salonfähig gemacht”. Ein Vorbild für deutsche Anstalten sieht Marc Krüger (netzpiloten.de): “Was wäre, wenn alle ARD- und Deutschlandradio-Sender ihre Podcasts in einer App wie ‘NPR One’ anbieten würden? […] Was für eine großartige Möglichkeit, einmal Gesendetes (und Bezahltes) haltbar zu machen!”

6. “Missliebige Offenlegung”
(taz.de, Anne Fromm)
Ja, das ZDF hat eine Folge der Kabarettsendung “Die Anstalt” aus der Mediathek gelöscht. Nein, das ist keine Zensur, sondern eine “Frage der Korinthenkackerei” zweier “Zeit”-Journalisten, wie Max Uthoff es ausdrückt (youtube.com) – eine Darstellung, die Jochen Bittner allerdings zurückweist (twitter.com). Anne Fromm fasst den Streit zusammen und meint: “Das ZDF hat zwar in letzter Zeit Einiges verbockt, steht diesmal aber offenbar ziemlich gut da.” Stellungnahmen von Bittner und Joffe gibt es bei Telepolis.

“Putin, schau in die Gesichter
dieser 100 Opfer!”

Zur postkatastrophalen Berichterstattung in den “Bild”-Medien gehört immer auch eine “Galerie der Trauer”, in der die privaten, oft aus dem Internet geklauten Fotos der Opfer präsentiert werden. Meist auf der Titelseite, meist riesengroß und meist ohne jede Unkenntlichmachung. Dazu allemöglichen Details über ihr Privatleben, woher sie kamen, welche Musik sie gerne hörten, ob sie frisch verliebt waren.

Man konnte das schon nach dem Attentat von Utøya erleben, nach dem Amoklauf in Winnenden, nach dem Loveparade-Unglück in Duisburg, nach dem Busunfall in der Schweiz, nach dem Verschwinden von Flug MH370. Und auch jetzt, nach dem Absturz von MH17:

(Unkenntlichmachung von uns.)

Seit gestern zeigt Bild.de in dieser Galerie Fotos von 100 (!) Opfern des Unglücks, darunter auch viele Kinder, nennt ihre vollen Namen und viele persönliche Details (die überwiegend mutmaßlich aus sozialen Netzwerken und ausländischen Medien stammen). Nur 20 der 69 Fotos tragen einen Quellennachweis, die meisten davon “Privat”.

Schon am Wochenende hatten “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de einige der Fotos gezeigt und private Informationen veröffentlicht, auch dort größtenteils ohne Quellenangaben.

(Übrigens konnten sie es auch gestern nicht lassen, die Opferporträts für ihre Putin-Kritik zu missbrauchen; bei Facebook und in der URL hieß es zunächst: “Putin, schau in die Gesichter dieser 100 Opfer!” — inzwischen aber nicht mehr.)

Da die “Bild”-Zeitung nicht verrät, wie sie in solchen Fällen an die Fotos kommt (andere Medien im Übrigen auch nicht), können wir über über die Frage, wie sie es diesmal gemacht hat, nur spekulieren. Bei den Angehörigen um Erlaubnis gefragt hat sie aber vermutlich nicht.

Im März 2009, kurz nach dem Amoklauf von Winnenden, wollte das ARD-Magazin “Panorama” vom Axel-Springer-Verlag wissen, wie “Bild” an die Opferfotos gekommen war und ob die Genehmigung der Angehörigen vorlag. Springer-Sprecher Tobias Fröhlich antwortete:

„Entgegen Ihrer Annahme dürfen Fotos von Opfern auch ohne Genehmigung gezeigt werden, sofern es sich um Bildnisse im Zusammenhang mit wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt. Der Redaktion fällt eine solche Entscheidung nicht leicht und sie muss in jedem Einzelfall sorgfältig abwägen, ob das öffentliche Interesse so überragend ist, dass man die Fotos auch ohne Einwilligung zeigen darf. Offensichtlich haben das auch alle anderen Zeitungen und Zeitschriften so beurteilt, die die besagten Bilder veröffentlichten.

Natürlich gehört unser Mitgefühl den vielen Familien in Winnenden, denen der schlimmstmögliche Schicksalsschlag widerfahren ist. Nichts kann den Schmerz und die Trauer über Verlust eines Kindes und eines Angehörigen lindern. Leider gehört es zu den Aufgaben von Journalisten, auch über solch dramatischen Ereignisse und die dahinter stehenden Schicksale zu berichten — sowohl über Täter, als auch über Opfer.“

Der Sprecher gab in einem Fall sogar indirekt den Eltern die Schuld dafür, dass “Bild” das Schicksal ihres Kindes ausgeweidet hatte: Indem sie einem Nachruf im “Tagesspiegel” zugestimmt hatten, hätten sie das Kind zu einer “relativen Person der Zeitgeschichte” gemacht — und in “solch einem Fall”, so der Sprecher, bedürfe es “keiner Zustimmung des Abgebildeten oder der Hinterbliebenen.”

Medienanwalt Christian Schertz entgegnete jedoch:

„Wenn ein Schüler oder ein Student sein Foto bei StudiVZ einstellt [Von dort hatten die Medien einige der Fotos offensichtich geklaut, Anm.], willigt er damit noch lange nicht ein, dass dasselbe Foto im Falle eines Unglücksfalles, an dem er beteiligt ist, auf der Titelseite einer Boulevardseite veröffentlicht wird. (…)

Das Leid von anderen Menschen ist natürlich auch etwas, das die Sensationsgier befriedigt und damit Auflage macht. Und da ist es oft eine Abwägung von möglichen Anwaltskosten und den vielleicht noch zu zahlenden Schmerzensgeldern und dem, was man mit der Auflagensteigerung erreicht. Und dann ist das Ergebnis relativ eindeutig aus Sicht mancher Chefredakteure.“

Damals hatte sich auch ein Vater zu Wort gemeldet, dessen Tochter bei dem Amoklauf in Winnenden getötet wurde und über deren Leben und Sterben “Bild” und andere Medien ebenfalls groß berichtet hatten. Er sagte:

„Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder von [meiner Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. (…)

Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.“

Nachtrag: Bild.de und andere Medien haben für die Veröffentlichung der Opferfotos eine Missbilligung vom Presserat kassiert.

Shitstorms, Spiegel, Stellenkürzungen

1. “Über falsches Shitstormmanagement und Skandale zweiter Ordnung”
(leitmedium.de, Caspar Mierau)
Gestern ging es an gleicher Stelle um eine Karikatur in der FAZ, die viele Leser als rassistisch kritisiert haben. Heute schreibt Caspar Mierau über die seiner Meinung nach falsche Reaktion: “[Mit den Rechtfertigungsversuchen] macht das Shitstorm-Management einen fatalen und häufig gesehen Fehler: Es produziert einen Skandal zweiter Ordnung.” Auch Anne Fromm bezeichnet die FAZ in der taz als “kritikresistent wie eine Teflon-Pfanne”.

2. “Wulff-Interview stammte aus der Konserve”
(berliner-zeitung.de, Ulrike Simon)
Die Medienschelte von Christian Wulff im “Spiegel” ist bereits sechs Wochen alt. Außerdem wurde das Interview nicht von den Redakteuren geführt, die in der Vergangenheit über Wulff geschrieben hatten, da Chefredakteur Wolfgang Büchner eine vergiftete Gesprächsatmosphäre befürchtete. Große Teile der Redaktion kritisieren Büchner nun dafür, “vor Wulff den Kotau zu machen”.

3. “Why show dead people in the news?”
(fabianmohr.de, englisch)
Manche Fotos, die vor 50 Jahren noch einen Pulitzer-Preis bekommen haben, würden heute nicht mehr gedruckt werden; zu schonungslos stellen sie Tod und Gewalt dar. Fabian Mohr macht einen Vorschlag, woran sich Redakteure bei dieser schwierigen Abwägung orientieren sollten. Zum selben Thema: Margaret Sullivan rechtfertigt das umstrittene Titelbild der “New York Times”. Und Reto Camenisch wirft einem Magnum-Fotografen “pornografische Distanzlosigkeit”, einen “moralischen Totalabsturz” vor.

4. “Zur Schau gestellte Absturzopfer”
(medienblog.blog.nzz.ch, Rainer Stadler)
Über pietätlose Fotos ärgert sich auch Rainer Stadler. Der “Blick am Abend” hat auf seiner Titelseite die Portraits von zwölf Kindern abgedruckt, die in der MH17 ums Leben kamen. Diese Bilder stammten von Facebook, wo sie laut Chefredakteur öffentlich zugänglich waren. “Der Presserat würde ihm wohl deswegen die Ohren lang ziehen”, meint Stadler.

5. “Ab und zu kommt mal ein Praktikant”
(kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Modern, zukunftsfähig und für ihre Leser attraktiv”, so möchte Madsack die “Leipziger Volkszeitung” positionieren – indem bei der einzigen Tageszeitung der Stadt 36 Mitarbeiter entlassen werden.

6. “Our 25 Favorite Unlocked New Yorker Articles”
(longform.org, englisch)
Der “New Yorker” hat alle Artikel seit 2007 und viele ausgewählte Fundstücke aus den Archiven kostenlos veröffentlicht – für drei Monate, dann verschwindet die gesamte Webseite hinter einer “metered Paywall”. Neben den 25 Lesetipps von Longform empfehlen auch Slate und der Business Insider Recherchen und Reportagen, die man bis dahin gelesen oder zumindest abgespeichert haben sollte.

Playboy, Peter Röthlisberger, China

1. “‘Ist sie nicht hübsch?'”
(freitag.de, Elke Wittich)
Weibliche Journalisten zum Thema Fußball: “Manchmal allerdings bleibt auch mir nur Sprachlosigkeit. Wie bei einem Interview mit einem Ostberliner Vereinspräsidenten, der die Frage nach dem ‘Wie geht es denn nun weiter mit dem Klub?’ mit einem ‘Nein, wie sind Sie hübsch!’ beantwortete. Auch alle weiteren Versuche, etwas auch nur halbwegs Zitierbares aus ihm herauszubekommen, beantwortete er mit einer Variation des Hübsch-Themas. Er holte sogar seinen Vizepräsidenten dazu und sagte dem: ‘Schau sie dir an, ist sie nicht hübsch?’ Das komplette Interview haben wir dann übrigens ungekürzt abgedruckt, eine Reaktion des Vereins gab es nie.”

2. “Beschwerde gegen den ‘Playboy’: Wie der Presserat seine Missbilligung begründet”
(kress.de, Henning Kornfeld)
Wie der Presserat und der Chefredakteur des “Playboy” mit der Beschwerde eines Lesers umgehen: “Der Chefredakteur bezweifelt, dass der Experte, der in seinem Fach äußerst aktiv und offenbar auch anerkannt sei, seine Glaubwürdigkeit für Gefälligkeits-PR aufs Spiel setze. Nur weil der Hersteller möglicherweise nicht unglücklich über die Feststellung des Experten sei, mache dies den Professor noch lange nicht zum Handlanger des Unternehmens.”

3. “Sack Reis in China”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Die Titelseiten wichtiger überregionaler Zeitungen in Deutschland zeigen alle Angela Merkel beim Kochen.

4. “Bad China Articles: Hall of Infamy”
(theanthill.org, englisch, 27. Juni)
“The Anthill” kürt zehn schlechte Artikel über China: “Business Insider reporter in town on a visit goes out ‘to see the ‘real’ China’. Has lunch, pays a lot for it, writes blog post. Contains the poetic photo caption ‘Beijing from the window of my cab’, which pretty much sums it up.”

5. “A list of search results omitted, erased, or censored due to the ‘Right to be forgotten'”
(hiddenfromgoogle.com, englisch)
Eine Liste von Links, die aufgrund des Rechts auf Vergessenwerden von Suchmaschinen-Resultaten entfernt wurden.

6. “‘Der Leser hat recht'”
(blickamabend.ch, Peter Röthlisberger, 1. Juli)
In einem Beitrag für ein Buch des Verbands Schweizer Medien behauptet Peter Röthlisberger, Chefredakteur der kostenlosen Boulevardzeitung “Blick am Abend”: “Der ‘Blick’ lügt nicht, die Blick-Titel erfinden keine Geschichten. (…) Im Idealfall missionieren Boulevardmedien auch nicht für eine Anschauung, nehmen die Leser und User ernst und erklären nicht die Welt, wie sie sein müsste, sondern beschreiben, was ist.”

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