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Was “Focus Online” dann abschrieb, ist schier unglaublich

Oha, das passiert auch nicht allzu oft: Auf der Startseite von „Focus Online“ steht aktuell eine Nachricht, bei der man nicht (!) klicken muss, um zu erfahren, was passiert ist:

Aber so ganz ohne ihre liebgewonnenen Clickbaiting-Formeln kommen sie dann doch nicht aus, darum lautet der Einstieg in den Text:

Eine gefühlte Ewigkeit mussten die Kunden in einer Lidl-Filiale im irischen Dunboyne darauf warten, dass endlich eine zweite Kasse geöffnet wurde. Was dann geschah, ist schier unglaublich

Das Schöne ist: Vermutlich weiß der zuständige Redakteur nicht mal, wie recht er damit hat. Als Quelle werden nämlich die „Waterford Whispers News“ angegeben. Den Disclaimer, in dem steht:

Waterford Whispers News is a fabricated satirical newspaper and comedy website

… haben sie beim Recherche-Discounter “Focus Online” aber blöderweise übersehen.

Mit Dank an @derhuge, @vierzueinser, Stefan S. und Angelina E.!

Nachtrag, 14.20 Uhr: “Focus Online” hat den Artikel umgeschrieben. Die Überschrift lautet jetzt: “Satirebericht über Massenpanik in Lidl-Filiale begeistert das Netz”, und am Ende steht eine “Anm. der Red.”:

In einer früheren Version des Artikels fehlte der Hinweis, dass es sich um einen Satirebeitrag handelte.

Naja. Aber immerhin.

In 80 Fehlern um die Welt

Rennfahrer Lewis Hamilton und seine Formel-1-Kollegen hatten die vergangenen Wochen frei, nach dem Großen Preis von Bahrain war erstmal Rennpause. Und die hat Hamilton ordentlich genutzt:

Genau genommen ging’s für ihn in Teilstücken und dann aufsummiert “einmal um die Welt”. Wie Bild.de auf Hamiltons 45.000-Kilometer-Trip kommt?

Die genaue Reiseroute kann man auf seinem Twitter-Account nachvollziehen. Hamilton postete von jeder Station mehrere Fotos.

Der Tourplan laut Bild.de: Bahrain — London — Mallorca — Monza — Los Angeles — Las Vegas — New York — Brackley — Barcelona.

Mal davon abgesehen, dass Bild.de vermutlich nicht auf Hamiltons Twitter-Account (wo bis heute Mittag nichts zu sehen war über Aufenthalte auf Mallorca und in Barcelona), sondern auf dessen Instagram-Account nachgeschaut, einen Zwischenstopp in Rom und einen in Monaco vergessen hat und auf keinem der Kanäle Fotos von Hamilton in Brackley zu finden sind, gibt es noch ein ganz anderes Problem:

Die Bild.de-Weltreisen-Rechnung haut also nur dann hin, wenn Hamiltons Pilot beim Flug von London nach Mallorca eine große Schleife über halb Europa gedreht hat und die Strecke Mallorca — Monza gleich mehrfach geflogen ist, bevor er zur Landung ansetzte.

Inzwischen haben sie auch bei Bild.de gemerkt, dass das alles nicht so ganz hinhaut — vielleicht haben die kritischen Leserkommentare unter dem Artikel dazu beigetragen. Text und Überschrift wurden jedenfalls klammheimlich geändert: Aus den 8775 Kilometern nach Mallorca sind 1347 geworden, die 9730 Kilomenter nach Monza sind jetzt nur noch 862. Und aus der 45.000-Kilometer-Weltreise wurde eine 27.606-Kilometer-Halbweltreise:

Nun hat Lewis Hamilton am 30. April — also zwischen seinem Aufenthalt in Kalifornien und dem Boxkampf, den er sich in Las Vegas angeschaut hat — allerdings dieses Foto bei Instagram gepostet:

Sollte er also tatsächlich die 8666 Kilometer von Los Angeles bis ins britische Silverstone und von dort wenig später wieder die 8318 Kilometer nach Las Vegas geflogen sein, wäre Lewis Hamilton in den vergangenen 14 Tagen 44.590 Kilometer geflogen. Also — wie Bild.de vor der Verschlimmbesserung behauptet hatte — einmal um die Welt.

Mit Dank an Bishop und Christian K.

Mergste selbst, ne?

Uh, peinlich!

Den Nachnamen der deutschen Bundeskanzlerin mit “g” statt “k” schreiben — das ist ja so, als würde man am gleichen Tag Ungarns Ministerpräsidenten in einer Überschrift “Victor Orban” statt “Viktor Orbán” nennen:

Mit Dank an Dániel K.

Halbgares über die Herdprämie

Der schnellste und sicherste Weg, einen möglichst fehlerhaften Text zu bekommen, ist, einen Bild.de-Mitarbeiter mit Statistiken jonglieren und anschließend alles aufschreiben zu lassen. Zum Beispiel zum Thema Betreuungsgeld.

Momentan entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob die monatlichen Zahlungen von 150 Euro für Kinder zwischen dem 15. und 36. Lebensmonat mit der Verfassung vereinbar sind.

Aber welche Eltern haben bisher eigentlich vom Betreuungsgeld profitiert?

… fragt Bild.de.

Das Statistische Bundesamt hat nun aktuelle Daten dazu veröffentlicht.

Na, dann mal ran ans Durcheinanderbringen an die Daten!

Nur in Bremen und Berlin war der Anteil der Väter, die die Prämie beantragt haben, mit knapp 11 und 8 Prozent recht groß. Am niedrigsten lag die Väter-Quote in Bayern (3,2 %), Thüringen (3,4 %) und Baden-Württemberg (3,6 %).

Das stimmt schon mal fast. Man müsste bloß die “knapp 11” und die “8 Prozent” für Bremen und Berlin jeweils durch 9,1 Prozent ersetzen, statt der “3,2 %” für Bayern 3,1 Prozent schreiben und anstelle der “3,4 %” für Thüringen 3,6 Prozent nehmen. Steht so auch alles in der Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts (PDF):

Aber weiter im Bild.de-Text:

Die Bezugsdauer ist in den Bundesländern im Osten mit durchschnittlich 13,7 Monaten viel kürzer als in den westlichen Bundesländern mit im Schnitt 19,6 Monaten.

Auch fast richtig. Nur dass die durchschnittliche voraussichtliche Bezugsdauer “in den Bundesländern im Osten” (einschließlich Berlin) 14,4 Monate beträgt und die “in den westlichen Bundesländern” 19,9:

Weiter:

Etwa jedes zweite Kind (51 %), für das Betreuungsgeld bezogen wird, ist derzeit ein Einzelkind.

Und wieder ein Volltreffer — also im Sinne von voll daneben. Denn nicht 51, sondern 49,5 Prozent aller Kinder, für die Betreuungsgeld gezahlt wird, sind Einzelkinder:

Und irgendwas mit Ausländern gibt’s doch sicher auch noch:

15 Prozent der Bezieher des Betreuungsgeldes besaßen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.

Um es kurz zu machen: Es sind 16,6 Prozent:

Wie Bild.de auf all die wirren Zahlen kommt, wissen wir auch nicht*. Sie haben — entgegen der Behauptung im Artikel — jedenfalls nichts mit der aktuellsten Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts zu tun, das hat uns eine Mitarbeiterin dort auf Nachfrage bestätigt.

Aber das hindert die Leute von Bild.de natürlich nicht, den Artikel so zu überschreiben:

Joar.

Mit Dank an Christof D. und Joachim L.

*Nachtrag, 26. April: Inzwischen wissen wir, wie das Zahlen-Durcheinander zum Betreuungsgeld entstanden sein dürfte. Bild.de hat nämlich drauf gepfiffen, dass das Statistische Bundesamt “nun aktuelle Daten dazu veröffentlicht” hat, und stattdessen die Zahlen aus dem zweiten Quartal 2014 (Stand: August 2014, PDF) verwurstet.

Dirk Hoerens Hartzer-Käse

Stellen Sie sich vor, Sie sind Dirk Hoeren von der „Bild“-Zeitung und sollen tun, was Sie auch sonst tun, nämlich Stimmung machen, aber diesmal nicht gegen Rumänen und Bulgaren, sondern, wie früher, gegen die „faulen“ Hartz-IV-Empfänger.

Passenderweise hat die Bundesagentur für Arbeit jüngst eine Statistik veröffentlicht (Excel-Datei), in der es um die Sanktionen geht, die Hartz-IV-Empfänger bekommen, wenn sie zum Beispiel eine Arbeit verweigern oder einen Termin verpassen; eine seit jeher willkommende Hetzgrundlage für die Leute von “Bild”.

Ein kleines Problem ist nur: Eigentlich gibt die Statistik diesmal nichts her, womit man die „Hartzer“ (O-Ton Hoeren) schlechtmachen könnte. Im Gegenteil:

  • Die Zahl der Sanktionen ist in den vergangenen zwei Jahren kontinuierlich gesunken; 2014 waren es über 23.000 weniger als 2012.
  • Auch die durchschnittliche Sanktionsquote (in Bezug auf alle Leistungsberechtigten) hat sich verringert: von 3,4 im Jahr 2012 auf 3,2 im Jahr 2014.
  • Und vor allem: Die Anzahl der sanktionierten Leistungsberechtigten war im vergangenen Jahr mit grob 440.000 so niedrig wie seit 2007 nicht. Anders gesagt: Es wurden noch nie so wenige Hartz-IV-Empfänger bestraft wie im vergangen Jahr.

Damit lässt sich das Bild des faulen Hartzer-Packs natürlich nur schwer untermauern. Also was machen Sie? Klar: Einfach alles Positive ignorieren — und weiter nach einer Zahl suchen, die man den Schmarotzern um die Ohren hauen kann:

Schon eine Idee?

Dirk Hoeren hatte eine. Sein Artikel beginnt so:

Die Zahl säumiger Hartz IV-Empfänger, die Arbeit ablehnen oder Termine beim Jobcenter verpassen, geht einfach nicht zurück!

Hoeren pickt sich kurzerhand die Spalten 4 und 5 (Meldeversäumnisse) heraus, addiert sie — und behauptet dann, die Zahl „säumiger Hartz IV-Empfänger“ gehe „einfach nicht zurück!“ Das ist zwar nicht falsch. Aber eben nur ein Teil der Wahrheit.

Und während andere Medien titeln: “Zahl der Hartz-IV-Sanktionen weiter gesunken”, lautet die “Bild”-Überschrift:

Hoeren schreibt:

Drei Viertel der Strafen (747793) wurden wegen vergessener Termine beim Jobcenter oder ärztlichen Dienst ausgesprochen. Höchststand seit Einführung von Hartz IV 2005! Dabei erinnern Jobcenter die Hartzer seit April 2013 auf Wunsch per SMS an Termine.

Nur darf man dabei nicht vergessen: Diese Zahl bezieht sich auf ein ganzes Jahr — und verteilt sich auf sämtliche Hartz-IV-Empfänger. Um das mal in Relation zu setzen: Im Dezember 2014 beispielsweise gab es insgesamt 4.322.022 Leistungsberechtigte in Deutschland. Gut 90.000 Sanktionen wurden in diesem Monat ausgesprochen, davon 68.000 wegen Meldeversäumnissen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass jede Sanktion gegen eine andere Person ausgesprochen wurde (und nicht mehrere Sanktionen pro Person), macht das eine „Faulen“-Quote von sage und schreibe 1,6 Prozent.

Auf das ganze Jahr bezogen (insgesamt 441.686 sanktionierte Personen, egal aus welchem Grund) ergibt sich eine Quote von gut 10 Prozent, was bedeutet, dass sich immerhin 90 Prozent aller Leistungsberechtigten nichts hat zu Schulden kommen lassen.

Darüber verliert Dirk Hoeren freilich kein Wort. Stattdessen zitiert er am Ende des Artikels noch Vertreter aus der Politik Union:

CDU-Wirtschaftsexperten halten Sanktionen gegen säumige Hartzer weiter für nötig. Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates: „Die hohe Zahl der Verstöße zeigt, dass sich zu viele Empfänger von Sozialleistungen in ihrer Lebenslage eingerichtet haben.“ Der Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann: „Bei gut 700 000 Sanktionen allein wegen Meldeverstößen sehen wir, dass ‘Fordern und Fördern’ untrennbar zusammengehören.“

Vertreter der SPD, die die Sanktionen entschärfen wollen, kommen nicht zu Wort. Auch die Grünen, die die Sanktionen ebenfalls kritisch sehen, oder die Linke, die die Sanktionen ganz abschaffen will, werden mit keinem Wort zitiert.

Vielleicht hatte Dirk Hoeren einfach keine Zeit mehr dafür, schließlich musste auch noch einen Kommentar schreiben — in dem er fordert:

Die Jobcenter sollten sich endlich mit voller Energie um die Willigen kümmern können. Um diejenigen, die sich aus der Hartz-Misere herausarbeiten wollen. (…) Hunderttausende Hartz-Bezieher wollen lieber eine Stelle statt Stütze. Genau denen gehört die volle Aufmerksamkeit.

Die von Dirk Hoeren natürlich ausgenommen.

Quelle: Pizzabäcker

Die „Spurensuche“ läuft auf Hochtouren: Dutzende, vielleicht Hunderte Journalisten durchforsten gerade das private Umfeld von Andreas L., dem Co-Piloten, der unter Verdacht steht, die Germanwings-Maschine 4U9525 absichtlich zum Absturz gebracht zu haben, und versuchen vor allem, mit Menschen zu sprechen, die (fast) mal was ihm zu tun hatten.

Als erfahrene Katastrophenjournalisten sind die Leute von „Bild“ im Auftreiben solcher Zitategeber natürlich besonders talentiert, darum konnte die „Bild“-Zeitung zum Beispiel schon diesen Mann hier präsentieren:

Und diesen:

Und sie veröffentlichte ein Interview mit Frank Woiton, einem weiteren Piloten, der in den sozialen Netzwerken von einigen als Held gefeiert wird, weil er, als er zwei Tage nach dem Unglück freiwillig als Pilot einsprang, alle Passagiere vor dem Flug persönlich begrüßte und in einer Ansage versprach, dass er alles dafür tun werde, sie sicher ans Ziel zu bringen, und dass auch er eine Familie habe, die er abends wieder in die Arme schließen wolle. Ein Fluggast hatte sich via Facebook bei dem Piloten bedankt, darum wurde er ein bisschen berühmt und von “Bild” interviewt. Das Interview trägt die Überschrift:

Hö?

Dachte sich vermutlich auch Frank Woiton, der noch in der Nacht bei Facebook schrieb:

Derweil versuchen viele Journalisten fiebrig, auch mit Verwandten, Freunden und Kollegen des Co-Piloten Andreas L. zu sprechen, aber weil zurzeit offenbar die meisten von denen mit so albernen Dingen wie Trauern beschäftigt sind, ziehen viele Reporter durch den Heimatort des Co-Piloten und befragen halt den Pizzabäcker um die Ecke.

Im Ernst:

Dass sich [Andreas L. und seine Freundin] getrennt haben könnten, schließt auch Pizzabäcker Habib Hassani (53) nicht aus. Zu ihm kamen die beiden immer ein- bis zweimal die Woche. “Sie waren immer freundlich und nett und bestellten meistens das gleiche: Pizza mit Schinken, Brokkoli und Zwiebeln.” Doch in den Wochen vor dem Absturz sei fast nur noch Andreas L. zu ihm gekommen – aber auch das nur noch sehr selten.

Erschienen ist dieser Absatz in der „Rheinischen Post“ und auf dem dazugehörigen Internetportal „RP Online“.

Die RP-Leute waren aber nicht die einzigen, die es für eine gute Idee hielten, den Pizzabäcker als Informanten heranzuziehen: Inzwischen ist er sogar eine der am häufigsten zitierten Quellen, wenn es um den Beziehungsstatus und den psychischen Zustand des Co-Piloten Andreas L. geht.

Er wurde bereits von „Bild“ zitiert …

Habibalah Hassani (53), der die Pizzeria in Düsseldorf betreibt, die ganz in der Nähe [von Andreas L.s] Zweitwohnung liegt, sagt, er habe ihn öfter mit einer Freundin gesehen.

… vom „Berliner Kurier“ …

Pizzabäcker Habib Hassani (53) erinnert sich an L. als einen gut gelaunten, freundlichen Kunden. „Ich habe ihn manchmal zweimal die Woche gesehen, er kaufte Pizza und Tiramisu.“

… vom „Stern“ …

Es ist eine ruhige Gegend mit Apotheke und Bäcker und der Pizzabude Da Paolo, 210 Meter entfernt von seiner Wohnung. Der Besitzer Habib Hassani hat [L.] oft bedient, machte ihm Pizza, immer mit Brokkoli, Schinken, Paprika, Zwiebeln, zum Mitnehmen. Zwei Stück. Eine für [L.] und eine für seine Freundin. Manchmal begleitete ihn die Freundin auch. Dunkelhaarig sei sie gewesen, kräftig und nett. Herr Hassani sagt: „Das war ein guter Junge. Manchmal hat er vom Fliegen erzählt. Hat gesagt: ‘Für mich scheint immer die Sonne – über den Wolken.’ Und dass er es liebt.“

… von der „Westdeutschen Zeitung“ …

Pizzabäcker Habib Hassani (53): “Ich habe ihn manchmal zweimal die Woche gesehen, er kaufte Pizza und Tiramisu. Er war immer freundlich, gut gelaunt.” Die letzten zwei Monate sei er aber nicht mehr gekommen.

… von der „Hamburger Morgenpost“ und dem „Express“ …

Pizzabäcker Habib Hassani (53) erinnert sich an [L.] als einen freundlichen Kunden, der einen älteren Fiat fuhr. “Ich habe ihn manchmal zwei Mal die Woche gesehen, er kaufte Pizza und Tiramisu.”

… von „Mail Online“ …

Habibalah Hassani, 53, who runs a pizza restaurant close to their flat said he had often seen them together. 
‘They were a very nice, friendly young couple. She was a polite and attractive woman. They would come in once maybe twice a week. ‘He used to tip well, he was very generous. He had told me about his trip to San Francisco. I hadn’t seen them for a couple of months before this happened.’ 

… von der „Mail on Sunday“, die es sogar schafft, die Wahl des Pizzabelags als Symptom einer angeblichen Kontrollsucht zu deuten …

His obsessive need to be in charge extended even to fast food. Habib Hassani, who runs a pizza restaurant near [L.]’s Dusseldorf home, said: ‘He was extremely particular about pizza toppings. He wasn’t interested in what was on the menu. It was often paprika, ham, onion and broccoli. He had to have it his way. He was compulsive about it.’

… von Telegraph.co.uk …

Local pizza shop owner Habibalah Hassani who knew [L.] refused to accept that he could have had a serious psychological condition […].

… von der „Financial Times“ …

Habib Hassani, owner of a pizza parlour close to [L.]’s home, was baffled as to why his regular customer might have taken such a step. “He was completely normal, always laughing, always nice,” he said.

… sowie von amerikanischen, kenianischen, ecuadorianischen, malaysischen, spanischen, neuseeländischen, indonesischen, französischen, honduranischen, estnischen, vietnamesischen, polnischen und unzähligen weiteren Medien.

Der „Financial Times“ sagte er übrigens noch:

“It’s impossible to believe he did this. But you can never know what’s happening inside someone’s head.”

Tja. Noch nicht mal als Pizzabäcker.

PS: Ziemlich genau eine Stunde bevor bei „RP Online“ die Aussagen des Pizzamanns erschienen waren, hatte RP-Chefredakteur Michael Bröcker „In eigener Sache“ geschrieben:

Glaubwürdigkeit bleibt gerade im Dauerfeuer der elektronischen Eilmeldungen das höchste Gut des Journalismus. Deshalb diskutieren wir bei jedem Foto, bei jeder Nachricht, bei jeder noch so kleinen Information: Kann das stimmen? Können wir das schon veröffentlichen? Trägt das Bild zum Verständnis des Unfassbaren bei oder ist es bloß voyeuristisch? Wir wägen ab, wir ringen mit uns. Eine tägliche Herkulesaufgabe. Sie gelingt sicher nicht immer.

In der Tat.

Mit Dank auch an Martin F., Christoph W., und S.!

Bild  

Einzelhändler sagen Nein zu “Bild”

Vor drei Wochen haben wir hier ein Interview mit Winfried Buck veröffentlicht, der in seinem Hamburger Kiosk seit fünf Jahren keine “Bild”-Zeitung mehr verkauft.

Inzwischen gibt es noch mehr Verkaufsstellen, die sich dazu entschlossen haben, “Bild” aus dem Sortiment zu nehmen:

Eine Tankstelle in Bendorf (Rheinland-Pfalz):

Ein Zeitschriftenladen in Rutesheim (Baden-Württemberg):

Eine Tankstelle in Papenburg (Niedersachsen):

Und ein Supermarkt in Chemnitz:

Nachtrag, 31. März: Dieser Späti in Marburg ist fortan ebenfalls “Bild”-frei:

In diesem Laden in Stuttgart wird schon länger keine “Bild”-Zeitung verkauft:

Und dieser Kiosk in Hannover boykottiert “Bild” seit 2010:

Nachtrag, 1. April (keine Sorge, ist ernst gemeint): Auch dieser Supermarkt in Bremen ist nun “Bild”-frei (und hier hat der Besitzer ein paar Gedanken zum Boykott aufgeschrieben). Nachtrag, 13. April: Inzwischen hat er “Bild” wieder ins Sortiment genommen.

Nachtrag, 2. April: Im Wittener Stadtteil Bommern haben sich gleich vier Einzelhändler dazu entschlossen, “Bild” bis auf Weiteres zu verbannen: ein Supermarkt (Edeka Schwalemeyer), zwei Kioske (Trinkhalle Bonema & Kiosk Auf dem Brenschen) und eine Bäckerei (Elberfelder Straße).

Ein Supermarkt in Lübz (Mecklenburg-Vorpommern) tut sich derweil etwas schwer mit dem Boykott-Gedanken, hat sich aber einen anderen Weg überlegt, gegen die Berichterstattung zu protestieren:

Mit Dank an Chris W., Thomas, Henning M., Michael, Michael B., Michael S., Sandra H., Björn H., Klaus W., Jascha G., Raphael F. und Daniel D.!

Sollten Sie noch mehr Geschäfte kennen, die keine “Bild”-Zeitung mehr anbieten, freuen wir uns über einen Hinweis.

Andreas L.

Vorab eine kurze persönliche Anmerkung. Ich bin jetzt seit drei Jahren beim BILDblog und habe schon viele krasse Sachen gesehen. Aber die letzten Tage haben mich wirklich fertiggemacht. Gerade gestern*, als ich mitansehen musste, wie sich immer mehr Medien reflexartig und bar jeden Anstands auf einen Menschen und dessen Familie stürzten, habe ich mich so ohnmächtig und verzweifelt gefühlt wie lange nicht mehr. Dennoch, oder gerade deshalb, will ich versuchen, mich im Folgenden einigermaßen sachlich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen, und ich hoffe sehr, dass diese ganze Tragödie wenigstens dazu führt, dass einige Journalisten ihr eigenes Handeln zumindest ein kleines bisschen überdenken.

***

Was in den vergangenen Tagen passiert ist, ist in weiten Teilen, in sehr weiten Teilen kein Journalismus mehr, sondern eine Jagd. Eine Jagd nach Informationen und Bildern, die für das Verständnis des Geschehens komplett irrelevant sind.

Um eines gleich ganz klar zu sagen: Selbstverständlich muss über ein solches Geschehen berichtet werden. Meinetwegen auch schnell und laut und in hoher Frequenz. Aber es gibt eine Grenze zwischen der Versorgung mit relevanten Informationen und dem Bedienen voyeuristischer Interessen. Diese Grenze wurde in den letzten Stunden und Tagen auf übelste Weise überschritten, und ich glaube, dass die allermeisten Journalisten ganz genau wissen, wann sie das tun — was es nur noch viel trauriger macht.

Ob die identifizierende Berichterstattung über den Co-Piloten eine solche Grenzüberschreitung ist, darüber sind sich die Medien bemerkenswert uneinig. Viele Journalisten diskutieren derzeit darüber, ob man seinen vollständigen Namen nennen und sein Foto unverpixelt zeigen darf und soll, einige Medien haben (was so gut wie nie vorkommt) Begründungen für ihre jeweiligen Entscheidungen veröffentlicht, das Portal watson.ch ließ sogar seine Nutzer darüber abstimmen, ob es den Namen nennen solle (die meisten stimmten für Nein, das Portal nennt ihn trotzdem), und Kai Biermann von „Zeit Online“ hat sich beim Presserat über sich selbst beschwert, um herauszufinden, ob er mit der Nennung des Namens gegen den Pressekodex verstoßen hat.

Ich persönlich finde, dass man durchaus auf die Identifizierung verzichten kann. Es macht für mich keinen Unterschied, ob ich einen Artikel lese, in dem der Mann zu erkennen ist, oder einen, in dem er anonym bleibt. Es lässt mich das Geschehen weder mehr noch weniger begreifen, darum kann man, finde ich, seine Identität auch weglassen.

„Spiegel Online“ sieht sah es ähnlich und schrieb gestern:

FAZ.net hingegen nennt seinen vollständigen Namen und zeigt sein Foto ohne Unkenntlichmachung. In der Begründung, die FAZ.net-Digitalchef Mathias Müller von Blumencron heute veröffentlicht hat, heißt es:

Es ist ein schrecklicher Unfall, ausgelöst durch das Verhalten des Kopiloten. Die Opfer und die Öffentlichkeit haben ein Recht darauf zu erfahren, wer das Unglück ausgelöst hat. […] Im Zentrum der Erklärung steht ein Mensch, genauer sein Kopf, sein möglicherweise irregeleitetes Gehirn. Das ist das Unerklärliche, was uns soviel Schwierigkeiten bereitet: Es ist die Psyche von Andreas [L.], die Unfassbares verursacht hat. Die Lösung ist nach gegenwärtigem Stand nur in der Person des Kopiloten zu finden. Wir müssen uns mit ihm beschäftigen, wir müssen ihn ansehen, wir dürfen ihn sehen.

Deshalb hat FAZ.NET das Foto von Andreas [L.] gezeigt.

Soll, wenn ich das richtig verstanden habe, heißen: Weil der Kopf des Co-Piloten des Rätsels Lösung ist, dürfen wir ihn uns auch angucken. Oder wie?

Dagegen klingt sogar die Begründung der „Bild“-Zeitung nachvollziehbar: Weil Andreas L. einen „Ritualmord“ begangen habe (ja, das steht da wirklich), mache ihn das zu einer Person der Zeitgeschichte, darum müsse er auch im Tod „hinnehmen, dass er mit seiner vollen Identität, seinem Namen und auch seinem Gesicht für seine Tat steht.“

Es kann durchaus sein, dass Gerichte das ähnlich bewerten würden; rechtlich gesehen ist es vermutlich in Ordnung, den Namen auszuschreiben. Medienanwalt Dominik Höch schreibt dazu in einem lesenswerten Beitrag:

Die Gerichte haben in der Vergangenheit entschieden, dass der Name des Betroffenen nicht tabu sein muss, wenn der Verdachtsgrad hoch genug ist und es um eine die Öffentlichkeit besonders berührende Angelegenheit geht. Beides dürfte hier vorliegen.

Er schreibt aber auch, dass man letztlich fragen müsse:

Welcher Mehrwert an Information ergibt sich durch die Namensnennung wirklich? Ist es wirklich zwingend ihn zu nennen?

Denn, und diesen Punkt vermisse ich in den meisten Diskussionen zu diesem Thema:

Durch die Nennung des Namens und des Wohnortes dürften [die Eltern und anderen Angehörigen des Co-Piloten] für eine Vielzahl von Personen erkennbar sein. Sie sind schuldlos an der Katastrophe und müssen nun neben dem Verlust des Kindes mit den neueren Erkenntnissen leben. Sie müssen außerdem erhebliche Anfeindungen befürchten; sie müssen eine – unzulässige – Durchleuchtung ihres Privatlebens durch Medien befürchten. Davor sind sie zu schützen. Ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht verleiht Ihnen das Recht auf Privatsphäre. Sie sind  eigentlich – vereinfacht gesprochen – nicht Teil eines zeitgeschichtlichen Ereignisses. Das ist ein hohes Schutzgut.

Und dieses Schutzgut finde ich wichtiger als das Wissen um den Nachnamen des Mannes. Wenn ich zum Beispiel vom “Amokläufer Tim K.” spreche, wissen Sie sicher alle, wen ich meine und welche Geschichte dahinter steckt — ohne den vollen Namen zu nennen. Und wenn das den Angehörigen viel Leid erspart, dann kann ich getrost auf den Namen verzichten.

Es geht in diesem Fall aber nicht nur um das Ob. Sondern auch — und vor allem — um das Wie. “Bild” und “Express” zum Beispiel bezeichnen den Mann heute als “Amok-Piloten” und zeigen ihn, wie auch andere Medien, riesengroß auf der Titelseite (Ausrisse siehe ganz oben). Wenn man als Medium aber schon von einer “Amok”-Tat ausgeht, darf man, um Nachahmungstaten zu vermeiden, den Täter umso weniger in Postergröße auf der Titelseite abbilden. Schon nach dem Amoklauf in Winnenden zitierte der Presserat in einem Leitfaden für die Berichterstattung über Amokläufe (PDF) einen Psychologen mit den Worten, bei Berichten über den Täter sei Zurückhaltung geboten, weil eine gewisse Form der Berichterstattung mögliche Nachahmungstäter bestärken könne:

“Nicht den Täter und seine Motive in den Vordergrund rücken, sondern die Tat, keine Klischees fördern, keine Bilder vom Täter zeigen und keine Namen nennen”, sagte [Prof. Dr. Herbert] Scheithauer. Bei allem legitimen öffentlichen Interesse sollten sich Journalisten stets die Frage stellen, wie ihre Beiträge auf potenzielle Täter wirken könnten.

Auch im Fall des Co-Piloten besteht eine solche Nachahmungsgefahr. Prof. Dr. Thomas Bronisch vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie sagte heute im “Mittagsmagazin”:

“Man muss damit rechnen, dass bei einem so spektakulären Ereignis es auch Nachahmer findet. Sicherlich ist es eine extreme Form, sich umzubringen, und es werden nur wenige bereit dazu sein, aber es könnte für manche doch dazu gereichen, diese Tat mit diesem spektakulären Aspekt durchzuziehen.”

Aber lassen wir den Punkt erst einmal beiseite.

Sofort nachdem bekannt geworden war, dass der Co-Pilot die Maschine möglicherweise absichtlich in den Berg geflogen hat, begaben sich ganze Heerscharen von Journalisten auf Spurensuche: Sie belagerten das Elternhaus des Mannes, befragten seine angeblichen Freunde („Spiegel Online“), Nachbarn (Stern.de), Bekannten („Focus Online“), Weggefährten („Passauer Neue Presse“), die Mutter einer ehemaligen Klassenkameradin (FAZ.net) und den Besitzer der Pizzeria in der Nähe seiner Zweitwohnung („Bild“), sie durchwühlten sein Umfeld, seine Facebookseite, seine Krankenakte.

Dagegen ist auch erstmal nichts zu sagen. Es kommt darauf an, wie die Medien dabei vorgehen und was sie daraus machen. Wenn aber eigentlich nichts dabei rauskommt, die Nicht-Erkenntnisse aber trotzdem mit übertriebener Bedeutung aufgeladen werden, wenn also beispielsweise FAZ.net schreibt …

„Das war ein lieber Junge“, sagte die Mutter einer Klassenkameradin gegenüber FAZ.NET. Ihre Tochter ist in Tränen aufgelöst und steht für Gespräche vorerst nicht zur Verfügung. „Er hatte gute familiäre Hintergründe“, sagt sie. Allerdings habe sich Andreas [L.] ihrer Tochter vor einigen Jahren anvertraut mit dem Hinweis, er habe in seiner Ausbildung eine Auszeit genommen: „Offenbar hatte er ein Burnout, eine Depression“. Die Tochter habe ihn zuletzt vor Weihnachten gesehen, da habe er ganz normal gewirkt.

… dann trägt das nicht zur Wahrheitsfindung bei, sondern heizt allenfalls die unsinnigen Spekulationen an.

Und ich frage mich jedes Mal: Werden die Ereignisse für mich als Leser in irgendeiner Art greifbarer, wenn ich erfahre, in welchem Haus der Co-Pilot gewohnt hat und was der Schwippschwager der Nachbarin eines Bekannten von ihm hielt? Wenn ich weiß, welche Musik er gerne hörte („Focus Online“), welche Marathon-Zeit er gelaufen ist („Bild“), welchen Beruf seine Eltern ausüben („Blick“) oder in welches Fastfood-Restaurant er am liebsten ging („Welt“)? Und die einzige Antwort, die ich jedes Mal finde, ist: Nein.

In einigen Fällen sind die so zutage geförderten Dinge aber nicht nur belang- und geschmacklos, sondern schlichtweg falsch. In vielen Medien wurde zum Beispiel dieses Foto veröffentlicht, das den Co-Piloten Andreas L. zeigen soll:

Tatsächlich zeigt es aber Andreas G., der mit der Sache gar nichts zu tun hat, wie das Portal tio.ch schreibt:

(Unkenntlichmachung des rechten Fotos von uns. Den Artikel haben wir per Google Translator übersetzt. Da im Original das Gesicht des „echten“ Co-Piloten zu erkennen ist, haben wir auf einen Link verzichtet.)

Neben der „Kronen Zeitung“ hat auch „Österreich“ das Foto heute auf der Titelseite abgedruckt (via Kobuk):

Hierzulande wurde das falsche Foto unter anderem von den „Tagesthemen“ und „ZDF heute“ veröffentlicht (immerhin: verpixelt), beide Redaktionen haben sich inzwischen dafür entschuldigt.

Was für Folgen eine solche Verwechslung haben kann, lässt sich heute in der „Rhein-Zeitung“ (Abo-Link) nachlesen. In einem Restaurant sei die Freundin von Andreas G. von Journalisten förmlich überfallen worden:

„Sie saß bei einem Geschäftsessen“, berichtet Andreas [G.] unserer Zeitung. „Plötzlich kommen 20 Journalisten rein und sie wird vor laufender Kamera mit der Frage bombardiert, wie sie sich fühlt, mit einem Mörder zusammen gelebt zu haben.“ Die Freundin ist offenbar so leicht nicht zu erschüttern: „Sie konnte dann schnell aufklären, dass ich gar nicht Pilot bin“, so der im Stromhandel tätige Deutsche. „Die Journalisten sind dann wieder weg.“

„Witwenschütteln“ nennt man diese furchtbare Praxis (hier ein eindrucksvoller Erfahrungsbericht zu diesem Thema, den wir heute auch bei „6 vor 9“ verlinkt haben), und die Freundin des falschen Piloten war nicht die einzige, die dermaßen von Reportern belästigt wurde. Vor allem die Mitschüler der bei dem Unglück gestorbenen Kinder aus Haltern am See haben in den letzten Tagen unglaubliche Dinge erlebt. In einem Post bei Facebook heißt es:

Wer zum Gedenken eine Kerze abstellen oder einen Moment an der Treppe zum Gymnasium innehalten möchte, fühlt sich wie im Zoo oder auf einem Laufsteg:

Vor einer Front aus teilweise über 50 Kameras wird jeder Emotionsausbruch von den geifernden Kameraleuten schnell eingefangen und geht kurz darauf um die Welt und wird von distanzierten Stimmen kommentiert.

Als ob man nicht sehen würde, dass es den Menschen hier schlecht geht!

Selbstverständlich besteht ein großes Interesse der Öffentlichkeit aufgrund der Dimension dieses Unglücks.
Die internationale Anteilnahme berührt uns natürlich sehr. Es tut gut, so viele Trost spendenden Stimmen aus der ganzen Welt zu lesen und zu hören.

In Momenten aber, in denen Eure Kollegen KINDERN GELD dafür anbieten, Informationen preiszugeben oder VORGEGEBENE SÄTZE in die Kameras zu sprechen ODER sich eine Fotografenmeute auf einen Mann stürzt, der vor Kummer in der Fußgängerzone zusammenbricht, WIRD HALTERN AM SEE ZUSAMMENHALTEN UND EUCH IN EURE SCHRANKEN VERWEISEN!

Dass Kindern Geld für Informationen angeboten wurde, ist uns von mehreren Quellen aus Haltern am See bestätigt worden. Die „Ruhrnachrichten“ schreiben außerdem:

Bürgermeister Bodo Klimpel berichtet von einer erschreckenden Situation am Bahnhof. Ein ausländisches Reporterteam soll dort einem Jugendlichen ein lukratives Honorar angeboten haben. Als Gegenleistung sollte der Schüler mit seinem Handy Aufnahmen von der internen, nicht-öffentlichen Trauerveranstaltung, die im Joseph-König-Gymnasium stattfindet, machen.

So bleibt für mich am Ende die — aus journalistischer Sicht — traurigste Erkenntnis aus diesem ganzen Unglück: Dass viele Journalisten, die ja eigentlich dazu beitragen sollten, dass wir die Welt besser verstehen und dass in Zukunft weniger schlimme Dinge passieren, im Moment viel eher damit beschäftigt sind, das Leid noch zu vergrößern.

Mit Dank auch an die vielen, vielen Hinweisgeber!

*Nachtrag, 29. März: Hier stand zunächst ein sprachliches Bild (der Co-Pilot sei “zum Abschuss freigegeben” worden), das von einigen Lesern zurecht kritisiert wurde, weil es natürlich nicht besonders glücklich gewählt war. Ich habe es daher gestrichen und bitte um Entschuldigung!

Der Griechen-Teufel mit dem Einzack

Endlich hat die „Bild“-Zeitung ein neues und von nun an bis in alle Ewigkeit gültiges Label für Yanis Varoufakis gefunden.

Bislang war sich das Blatt selbst nicht ganz einig, ob es den griechischen Finanzminister nun als „Griechen-Raffke“ bezeichnen soll oder doch lieber als „Radikalo-Griechen“ oder als „lederbejackten Rüpel-Rocker“ oder als „Posterboy-Finanzminister“ oder als „Griechenlands Radikalo-Naked-Bike-Rider“. Aber jetzt!

Jetzt ist er der Lügen-Grieche. Jeder kann ihn jederzeit darauf reduzieren: „Mister Stinkefinger“.

Ja, das steht da wirklich, und wir können nur erahnen, wie schwer es „Bild“-Reporter Peter Tiede gefallen sein muss, den Artikel nicht noch mit einem „HURRA!“ zu beginnen. Für ihn und „Bild“ steht fest: Varoufakis hat sich mit der Finger-Nummer endlich und endgültig selbst „zur Strecke gebracht“. Darum ist der heutige Artikel auch ein „BILD-Nachruf [!] auf Athens bekanntesten Selbstzerstörer“.

So schnell kann es gehen. Raketen-Aufstieg. Turbo-Abstieg.

Peinliche Nummer statt cooler Typ. (…)

Denn wer Yanis Varoufakis (53) sieht, sieht nun immer auch den Stinkefinger. Wer ihm zuhört, der hört nun auch immer „Stick the Finger to Germany!“ – egal, was er sagt. Er könnte auf ewig schweigen, sich die linke Hand abhacken – der Mittelfinger, den er 2013 auf einer Konferenz in Zagreb gen Deutschland reckte, wäre noch da.

Schließlich hat die „Bild“-Zeitung auch hart daran gearbeitet:

Auch andere Medien und Plattformen – vor allem Günther Jauchs Talkshow im Ersten – haben eifrig dazu beigetragen, den Finger in die Köpfe der Leser und Zuschauer zu prügeln. Seit Tagen wird er nicht wie das behandelt, was er ist — eine banale Randnotiz –, sondern zum wilden „Politikum“ hochgejazzt.

Um es nochmal zusammenzufassen: Vor zwei Jahren, als Varoufakis noch kein Minister, aber scharfer Kritiker der griechischen Regierung war, sprach er bei einer Veranstaltung darüber, dass er drei Jahre zuvor, also 2010, die damaligen Bedingungen, die von Deutschland und Europa für die Griechenland-Hilfe gestellt wurden, abgelehnt hätte. Stattdessen hätte er, so wie Argentinien, den Weg in den Staatsbankrott gewählt und Anfang 2010 erklärt, dass Griechenland pleite ist — und Deutschland damit „den Finger gezeigt“ und gesagt: „Jetzt könnt Ihr das Problem alleine lösen“.

Oder wörtlich:

My proposal was that Greece should simply announce that it is defaulting — just like Argentina did — , within the Euro, in January 2010, and stick the finger to Germany and say: „Well, you can now solve this problem by yourself.“

(Ein längeres Transkript der Rede samt Anmerkungen hat „Spiegel Online“ hier veröffentlicht.)

Anders gesagt: Varoufakis hat „uns“ den Finger gar nicht gezeigt. Also faktisch schon, aber gemeint war er bloß hypothetisch („hätte ihn zeigen sollen“), und zwar nicht in Richtung der deutschen Steuerzahler, sondern der deutschen Banken. Und er bezog sich nicht auf die Gegenwart, sondern auf 2010, als Varoufakis noch gar nicht Minister war und Griechenland noch keine Kredite bekommen hatte. Letzteres ist insofern wichtig, als “Bild” und andere Medien gerne suggerieren, der Finger sei eine Reaktion auf die Hilfspakete gewesen, nach dem Motto: Wir geben denen Milliarden — und kriegen dafür den Stinkefinger! Was Varoufakis aber (vereinfacht gesagt) eigentlich meinte, ist: Wenn man Euch den Finger damals gezeigt hätte, hättet Ihr womöglich gar nicht erst so viele Milliarden ausgeben müssen.

Das alles fanden die Redaktion von „Günther Jauch“ und die „Bild“-Zeitung aber entweder zu kompliziert oder zu unknallig für ihre Zuschauer und Leser, darum erweckten sie den Eindruck, die „drastische Geste“ („Bild“) beziehe sich auf die Gegenwart oder solle Deutschland beleidigen. Womöglich haben sie die Sache auch ganz bewusst verzerrt dargestellt, um Varoufakis schlecht dastehen zu lassen, was zumindest für “Bild” bei Weitem nicht das erste Mal wäre.

Allerdings trägt Varoufakis auch eine Mitschuld daran, dass die Sache heute immer noch ein Thema ist. Bei Günther Jauch behauptete er sofort, das Video sei gefälscht oder manipuliert („doctored“) worden und sagte: „I’ve never given the finger ever.“

Die Redaktionen von „Jauch“ und „Bild“ ließen das Video daraufhin von sogenannten Experten auf seine Echtheit prüfen. Ergebnis: Kein Hinweis auf eine Fälschung erkennbar. Auch Zeugen wurden aufgetrieben, die bei der Veranstaltung damals dabei waren und bestätigen konnten, dass der Finger zu sehen gewesen sei.

Denkbar ist nun aber auch, dass Varoufakis mit „manipuliert“ nicht das Video an sich meinte, sondern den irreführenden Einspieler bei Günther Jauch. So würde dann auch dieser Tweet Sinn ergeben, in dem Varoufakis einen Tag nach der Sendung das vollständige (und damit “unverfälschte”) Video der Rede selbst veröffentlichte:

Aber eine solche Interpretation kommt für die “Bild”-Zeitung natürlich nicht infrage. Für sie ist Varoufakis’ Reaktion nur eins: der Beweis dafür, dass er ein rotzfrecher Lügner ist.

In diesem Artikel (heute erschienen) gibt sich Peter Tiede dann auch keinerlei Mühe, den Kontext des Stinkefingers auch nur annähernd zu erklären. Der Leser erfährt bloß, dass Varoufakis den Mittelfinger 2013 “gen Deutschland reckte” und hinterher behauptete, das Video sei manipuliert worden. Ach, und natürlich, dass Varoufakis, der “Problem-Minister” und “Lügen-Grieche”, “nicht der sein will, der er ist”, und dass dieser “coole Typ ohne Schlips und mit Hemd über der Hose”, der “statt Dienstwagen 1300er Yamaha fuhr” und sich von “Yannis” in “Yanis” umbenannte (“Weil fast jeder zweite Mann in Griechenland ‘Yannis’ heißt, und Yanis mit einem ‘n’ da schon etwas Besonderes ist”), sich “selbst zu Kopf gestiegen ist”. Umso beruhigender, dass wenigstens die deutschen Journalisten auf dem Teppich bleiben.

Nachtrag, 20. März: Der Stinkefinger ist übrigens nicht von Jan Böhmermann & Crew in das Video hineinmontiert worden, wie sie seit Mittwochabend behaupten. Tatsächlich war #varoufake — zumindest spricht inzwischen alles dafür — ein geschickter Fake-Fake. Und falls Sie sich jetzt nur fragend am Kopf kratzen: Bitte einmal hier oder hier oder hier entlang.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Roaming, Edathy, Wieselspecht

1. “Die Zeitung, die eben kein Kleinkind ist”
(ad-sinistram.blogspot.de, Roberto De Lapuente)
Roberto De Lapuente erklärt, warum er “Bild” nicht ignoriert: “Wir dürfen uns die Bildzeitung nicht als nach Aufmerksamkeit gierendes Kleinkind vorstellen. Sie ist eine Erwachsene, die ganz genau weiß, was sie bezwecken will und wie sie instrumentalisieren muss, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen.”

2. “‘Die letzten Hemmungen scheinen gefallen zu sein'”
(topfvollgold.de, Dennis Klammer)
Boris Kartheuser hat herausgefunden, dass die Funke Women Group “in ihren Zeitschriften redaktionelle Texte beispielsweise zu Gesundheitsthemen veröffentlicht und auf Produkte hinweist, die helfen sollen. Praktischerweise werden eben jene empfohlenen Produkte dann einige Seiten weiter großflächig vom Hersteller per Anzeige beworben. Im Text steht dann etwa: ‘Die können sie auch rezeptfrei in der Apotheke kaufen, zum Beispiel von …’ — und dann kommt immer der Werbepartner. Das tritt so häufig auf, dass es kein Zufall mehr zu sein scheint.”

3. “100 am Tag”
(sueddeutsche.de, Christian Zaschke)
Die Abhörtätigkeiten von Blättern des britischen Verlags Trinity Mirror (“Daily Mirror”, “Sunday Mirror”, “The People”): “Anwalt David Sherborne sagte in dieser Woche vor dem High Court in London, verglichen damit seien die Vergehen von Rupert Murdochs News of the World (NotW) fast harmlos gewesen.”

4. “So this is how the world ends: with us distracted by cute cats”
(theguardian.com, Hadley Freeman, englisch)
Hadley Freeman zählt Nachrichten der vergangenen Woche auf, die bei einigen Mediennutzern keine Aufnahme fanden, weil sie mit dem Anschauen von Katzenfotos beschäftigt waren: “I have a vision – a vision of the apocalypse, and it will consist of Earth being consumed by fire and brimstone, but no one will notice because they’ll be too busy inside looking at a photo on the web of a frog using a leaf like an umbrella. And as their faces melt, they’ll be crying, ‘Wait! But I must tweet a link to this baby panda sneezing!'” Siehe dazu auch “ZDF und Putin reiten den Wieselspecht” (olereissmann.de).

5. “Ein Jahr ohne Roaming-Schikane: So fühlt sich echte Freiheit an”
(t3n.de, Martin Weigert)
Martin Weigert nutzt seit einem Jahr ein Mobilfunkabo, bei dem Daten-Roaming in 120 Ländern inklusive ist: “Ein Zurück wird mir schwerfallen. Ich hoffe, dass auch mindestens ein deutscher Netzanbieter erkennt, wie gut der Abbau der Roaming-Schikanen sich auf Kundenwachstum und Imagewerte auswirken kann.”

6. “Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy”
(zeit.de, Thomas Fischer, 6. März 2014)
Bundesrichter Thomas Fischer schreibt zur Edathy-Affäre: “Das Strafrecht lebt – wie jede andere formelle oder informelle Sanktionierung abweichenden Verhaltens – davon, dass es klare gesetzliche Grenzen zieht zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten. Diese Grenzen sind nicht zu dem Zweck erfunden worden, Staatsanwälten Anhaltspunkte für den Start von Vorermittlungen oder für die Anberaumung von Pressekonferenzen zu geben, sondern allein um der Bürger willen. Die wollen nämlich, seit sie sich als Bürger und nicht als Untertanen verstehen, eine Staatsgewalt, die die Guten und die Bösen voneinander scheidet, ohne zu diesem Zweck zunächst alle des Bösen zu verdächtigen und auch so zu behandeln.”

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