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KW 19: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Till Eckert im Podcast zu Kein Filter für Rechts
(stern.de, Steffen Gassel, Audio: 44:05 Minuten)
“Correctiv”-Faktenchecker Till Eckert spricht bei “Stern nachgefragt” über die Instagram-Recherche “Kein Filter für Rechts” und erklärt, wie Rechtsextreme das Netzwerk nutzen, um Nachwuchs zu rekrutieren. Die vollständige Geschichte kann man hier nachlesen.

2. Wie entsteht das NDR Coronavirus Update?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:16:00 Stunden)
Der Podcast “NDR Coronavirus-Update” mit dem Virologen Christian Drosten und dessen Kollegin Sandra Ciesek erfreut sich großer Beliebtheit und wurde bereits vielfach ausgezeichnet. Doch das Format wird nicht nur von den zwei Fachleuten getragen. Im Hintergrund arbeitet eine zehnköpfige Redaktion. Korinna Hennig und Katharina Marenholtz gehören seit Beginn an zum Podcast-Team. Bei “Was mit Medien” geben sie einen Einblick in ihre Arbeit: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Drosten und Ciesek? Wie sieht die Qualitätskontrolle aus? Was haben sie in den letzten Monaten über Medien gelernt?

3. Ulrike Meinhof: Von der Journalistin zur Terroristin
(youtube.com, Zapp, Caroline Schmidt, Video: 29:14 Minuten)
Für “Zapp” begibt sich Caroline Schmidt auf die Spur der ehemaligen Journalistin und späteren Terroristin Ulrike Meinhof – einer der Köpfe der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe beziehungsweise der Roten Arme Fraktion aus den 70er-Jahren. Schmidt hat sich dazu mit Zeitzeugen unterhalten wie dem ehemaligen “Konkret”-Redakteur und heutigen “Welt”-Herausgeber Steffan Aust und dem Schriftsteller Peter Schneider: “Es ist die Geschichte einer dramatischen Radikalisierung, von Meinhofs großer Zeit als Kolumnistin bei ‘Konkret’, über die Jahre im Untergrund und dann im Gefängnis bis hin zu einer letzten Geiselnahme, mit der Meinhofs Anhänger sie freipressen wollten – und scheiterten.”

Bildblog unterstuetzen

4. ARD-Zukunftsdialog und Radio nur für Frauen
(wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 43:27 Minuten)
Das WDR5-Medienmagazin behandelt in der Sendung folgende Themen: Tom Buhrow: “Da hingehen, wo die Leute sind”; Angriff auf den App-Store; Serie über Schwule – bitter nötig?; DAB+ kommt, UKW geht?; “Femotion” – Radio nur für Frauen; Medienschelte – Gepriesen sei der Lanz! Und Achtung, Tipp in eigener Sache: das neue Buch unserer BILDblog-Autoren Mats Schönauer und Moritz Tschermak.

5. Auf gelb gesetzt – Pressefreiheit in Deutschland und Spanien
(sr-mediathek.de, Isabel Sonnabend & Thomas Bimesdörfer, Audio: 17:29 Minuten)
Im Medien-Podcast des Saarländischen Rundfunks geht es um die Pressefreiheit in Spanien und die Frage, warum es dort an der Situation mehr auszusetzen gibt als in Deutschland. Beide Länder werden von den Reportern ohne Grenzen mit gelb (zufriedenstellend) eingestuft. Deutschland taucht in der 180 Staaten umfassenden Rangliste der Pressefreiheit derzeit an Platz 13 auf, Spanien liegt an 29. Stelle.

6. Warum Youtube jetzt immer mehr Werbung zeigt
(youtube.com, Walulis Story, Video: 15:08 Minuten)
Für Youtube kann es in letzter Zeit gar nicht genug Werbeclips geben, findet Philipp Walulis, egal wie dumm sie seien: “Hauptsache viel!” Walulis fragt sich, woher der Massenangriff der Werbeanzeigen kommt und welche Strategie dahinter steckt. Die habe etwas mit den Monetarisierungsmöglichkeiten für “Creator” und die zunehmende Konkurrenz durch Mitbewerber TikTok zu tun.

Ein Jahr Corona in “Bild”

Der folgende Text sollte eigentlich in unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” erscheinen, hat aus Platzgründen aber einfach nicht mehr reingepasst. Darum freuen wir uns, ihn nun exklusiv hier zu veröffentlichen.

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Unser Buch ist ab heute überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.

Kein Thema hat die Berichterstattung der “Bild”-Medien in der jüngeren Vergangenheit so sehr bestimmt wie die Corona-Pandemie. Aber wie genau sah diese Berichterstattung aus? Wie hat sich die Redaktion positioniert? Was war gut und was schlecht? Schaut man sich an, wie “Bild” im Jahr 2020 über das Coronavirus berichtet hat, lassen sich neun Phasen erkennen. Diese sind nicht komplett trennscharf, sie überlappen sich teilweise oder laufen parallel.

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Die Kennenlernphase (Januar 2020)

Es ist nur eine kurze Meldung, gerade mal 18 Zeilen lang, unauffällig platziert auf Seite 10 neben einem Ratgeberbeitrag, der erklärt, wie die Vorsätze für das neue Jahr “wirklich zu schaffen sind”. Überschrift: “SARS in China ausgebrochen?”

In der chinesischen Großstadt Wuhan ist eine mysteriöse Lungenkrankheit ausgebrochen. Bislang seien 27 Erkrankte identifiziert worden. Laut Experten sei die Ursache der Erkrankung derzeit noch unklar. Das chinesische Parteiorgan “Volkszeitung” spricht von “schweren Lungenentzündungen”. Beobachter befürchten jedoch, das SARS-Virus könnte die Ursache für die Erkrankung sein.1

An diesem 2. Januar 2020 schreibt “Bild” erstmals über das, was sich zur weltweiten Pandemie entwickeln wird.

In den folgenden Tagen passiert erst mal: nichts. Fast drei Wochen dauert es, bis in “Bild” zum ersten Mal von “Corona” die Rede ist. Am 22. Januar erscheint ein Artikel über einen “Berliner Professor”, der das “Corona-Virus” entschlüssele. Gemeint ist der Virologe Christian Drosten. Zu diesem Zeitpunkt gebe es “schon 6 Tote in China”, schreibt die Redaktion auf Seite 6:

Das neue Corona-Lungenvirus breitet sich auf dem asiatischen Kontinent aus.

Die Zahl der Infizierten stieg in China auf 291. Dazu kommen Fälle in Thailand, Japan, Südkorea, Taiwan und sogar in den USA. Sechs Menschen starben bereits.

Noch wird das Risiko einer Ausbreitung auch in Deutschland als gering gewertet.2

“Bild” zitiert Drosten mit: “Wir müssen uns in Deutschland darauf vorbereiten, dass es zumindest in Einzelfällen auch zu Einschleppungen der Erkrankung kommt.”

Von nun an geht es ganz schnell, exponentiell sozusagen. Bereits einen Tag später fragt “Bild”: “CORONA-VIRUS – Panikmache oder echte Gefahr für die Welt?”3 Schon jetzt haben die Layouter den Artikel in das Gelb getunkt, das sie traditionell bei Seuchen verwenden4 und das die Berichterstattung des kommenden Jahres optisch prägen wird. Am 27. Januar sind laut “Bild” “Europas Flughäfen in Alarm-Bereitschaft”, denn: Das “Corona-Virus breitet sich rasant aus – viele weitere Fälle”.5 Zwei Tage später dann die erste Corona-Titelseite: “Bundeswehr rettet Deutsche aus der Seuchen-Zone +++ Sondermaschine startet heute nach China +++ Schon vier Corona-Fälle in Deutschland +++ Botschaft organisiert Krisentreffen +++ Ansturm auf Schutzmasken +++ Was Sie jetzt wissen müssen”. Ein “Bild”-Redakteur schreibt im Kommentar: “Keine Panik!”, schließlich gelte: “Fast so schlimm wie ein Virus ist die Angst davor.”6

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Die Angst- und Alarmphase (Januar bis März 2020)

Nur einen Tag nach diesem Versuch, die Leserschaft etwas zu beruhigen, titelt “Bild”: “Deutsche China-Rückkehrer auf Isolier-Station – Corona-Angst!”7 Auch einen Tag später: “Corona-Angst – China-Rückkehrer werden HIER isoliert!” Im Blatt schlägt die Redaktion “Corona-Alarm auf Kreuzfahrtschiff” und schreibt von der “Sorge um Weltwirtschaft”.8 Wiederum einen Tag später steht auf Seite 1: “CORONA-ALARM in Deutschland, Vater und Tochter (5) erkrankt – Hier holen sie die erste Familie ab”. Dazu zeigt “Bild” ein großes Foto einer (immerhin verpixelten) Familie, die von Menschen in Schutzanzügen in Rettungswagen gebracht wird.9 “Bild am Sonntag” bietet am Tag darauf eine Übersicht über die “Seuchen der Angst” der vergangenen Jahre.10

Auch auf der Bild.de-Startseite herrscht zu dieser Zeit vor allem Verunsicherung, Ungewissheit und Angst: “CORONAVIRUS KAM DIREKT AUS DER SEUCHENZONE”11, “VIRUS-ANGST IN DEUTSCHLAND! Apotheken gehen die Schutzmasken aus”12, “Schlangen sollen das Coronavirus auf uns übertragen haben”13, “Ist es gefährlich, Pakete aus China anzunehmen?”14

Nachdem ein erster Corona-Ausbruch in Bayern15 unter Kontrolle zu sein scheint, verschwindet das Virus fast vollständig wieder von der “Bild”-Titelseite. Andere Themen sind wichtiger: “AKK gegen Merkel – Bitterböser Machtkampf”16, “Nach AKK-Abgang – MERZ KÄMPFT UM DIE MACHT IN DER CDU”17, “Deutschlands schlimmste Rentner-Abzocker gefasst!”18 Die Corona-Meldungen, die es nach ganz vorne schaffen, klingen fast schon hoffnungsvoll: “CORONA-Rückkehrer aus Quarantäne entlassen!”19, steht am 17. Februar auf Seite 1.

Eine Woche später ist es mit der Hoffnung allerdings vorbei. Die Schlagzeilen der Woche lauten:

• CORONA-ALARM! Italien riegelt Städte ab
• Minister Spahn schlägt CORONA-ALARM – “Die Epidemie ist in Europa angekommen”
• CORONA-AUSBRUCH im Rentner-Paradies – Deutsche Touristen im Hotel auf Teneriffa gefangen
• CORONA – So schützen Sie sich JETZT!
• Regierung beruft Expertenrunde ein – Der Krisen-Plan gegen Corona
• Corona-Verdacht im Regierungs-Flieger
• Wochenende im Bann von CORONA – Weltgrößte Tourismus-Messe in Berlin abgesagt +++ Konzerte, Fußballspiele auf der Kippe +++ Schon 54 Infizierte +++ Dax rauscht ab +++ Autogramm-Verbot für Bayern-Spieler +++ ERSTER HUND positiv +++ WHO löst “höchste Alarmstufe” aus +++ BILD sagt, was Sie jetzt beachten müssen20

Bei Bild.de ist die Stimmung dieselbe. Obendrauf kommen Fotos von leeren Supermarktregalen und Anleitungen zu “Hamsterkäufen”: “FAMILIENVATER ZEIGT SEINEN VORRATSKELLER – Wegen Corona! Das habe ich für 420 Euro eingekauft”.21 “Hohe Verkaufszahlen bei Aldi und Lidl – Hamsterkäufe wegen Coronavirus!”22 Die “Bild”-Redaktion treibt ihre Leserschaft in die schon teilentleerten Supermärkte: “CORONA-ANGST IN DEUTSCHLAND – Diesen Vorrat brauchen Sie für zehn Tage Quarantäne!”23 Und damit es auch schmeckt, erzählt Koch Johann Lafer bei “Bild-TV”: “Das können Sie aus Ihren Corona-Vorräten kochen”.24 Nur eine Woche später meldet “Bild”: “TAFELN SCHLAGEN ALARM – Wegen Hamstereinkäufen! Weniger Essen für Bedürftige”.25

Die Redaktion macht (nicht nur) in dieser Zeit aus der Angst der Leser Geld. Sie eröffnet mit fragenden Überschriften teils ganz alltägliche Schreckensszenarien und gibt die Antworten nur hinter der “Bild-plus”-Paywall: “BILD fragte bei Hersteller Hakle nach – Kann Klopapier wirklich knapp werden?” (Antwort: Nein).26 Oder: “ITALIEN SCHLIESST ZAPFSÄULEN – Machen auch bei uns die Tankstellen dicht?” (Antwort: Nein).27 Und: “Fast 100 Milliarden Euro fehlen – GEHT DEUTSCHLAND PLEITE?” (Antwort: Nein, “Deutschland kann kaum pleite gehen”).28 Es scheint “Bild” nicht darum zu gehen, die Leserschaft ordentlich und gewissenhaft zu informieren, sondern um den Verkauf von Abos: In der “Amazon”-Doku “BILD.Macht.Deutschland?” sagt Julian Reichelt in einer Redaktionskonferenz mit Blick auf die Corona-Krise: “Es geht darum, dass wir in einer Zeit, in der unsere Auflage morgen um die Hälfte einbrechen kann, eine wirtschaftliche Perspektive haben.”29

Wie folgenreich die “Bild”-Berichterstattung in einer derart angespannten Situation sein kann, zeigt sich am 22. März. Im Corona-Liveticker bei Bild.de erscheint eine Meldung zum Ortenau-Klinikum in Offenburg. Überschrift: “Das Klinikum Offenburg sucht händeringend Helfer!”30 Im Text steht:

Das Klinikum Offenburg (Baden-Württemberg) ist am Limit – und richtet diesen Appell an die Öffentlichkeit: Dringender Appell an euch!

Wir benötigen im Klinikum Offenburg dringend helfende Hände. Ob mit oder ohne medizinische Erfahrung spielt keine Rolle. Es gibt Bedarf in der Küche, an der Pforte, Essen verteilen, Betten schieben. Und wer medizinische Kenntnisse hat im pflegerischen Bereich.

Wer jemand kennt, der jetzt zum Beispiel in Kurzarbeit ist, bitte melden. Per E-Mail: […] oder telefonisch […].31

Die “Bild”-Redaktion nennt eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer, die man anschreiben beziehungsweise anrufen soll, wenn man helfen möchte. Nur: Das Klinikum sucht gar nicht “händeringend Helfer”. “Bild” scheint blindlings aus einer kursierenden WhatsApp-Nachricht abgeschrieben zu haben. Die Redaktion von “Hitradio Ohr” fragt hingegen mal beim Klinikum nach:

Auf HITRADIO OHR-Anfrage hieß es heute (Sonntag) vom Ortenau Klinikum, das sei wohl Fake News.

Es gebe Überlegungen, ob das irgendwann nötig sei und intern gebe es beim Ortenau Klinikum die Überlegung, ob man sich – wenn sich die Situation verschlechtere – auch an die Öffentlichkeit wende. Das sei aber nur eine Idee und momentan KEIN Aufruf an die Bevölkerung. Beim Klinikum stehe wegen des “Fake-Aufrufs” das Telefon nicht mehr still.32

Nun ist es eine Sache, dass die Mitarbeiter des Klinikums auch dank “Bild” auf “rund 1000 Anfragen” reagieren müssen und damit nicht ihrem eigentlichen Job nachgehen können. Dazu kommt, dass die Meldung in dem Liveticker den Eindruck vermittelt, dass ein Krankenhaus die Situation nicht mehr im Griff hätte und bereits “am Limit” wäre. Das Ortenau Klinikum sieht sich genötigt, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Es veröffentlicht eine Stellungnahme und betont, dass man “bestens ausgestattet” sei.33

Erst nach mehreren Stunden löscht Bild.de die Falschmeldung und schreibt in einer späteren Liveticker-Meldung, dass ein gefälschter Appell des Klinikums Offenburg im Umlauf sei. Die eigene Rolle bei dieser Geschichte bleibt unerwähnt.

Von solchen Fehltritten abgesehen, macht die “Bild”-Redaktion in den ersten Monaten des Jahres 2020 aber gar keinen schlechten Job. Viele Artikel sind stark boulevardesk und emotional aufgeladen; die Berichterstattung ist rückblickend im Umfang und in ihrer Dringlichkeit der Bedrohung und der potenziellen Entwicklung allerdings durchaus angemessen. Selbst “Bild”-Chef Julian Reichelt klingt ungewohnt versöhnlich. Am 9. März kommentiert er:

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass es nicht auf jede Frage eine gute Antwort, nicht für jede Sorge sofortige Beruhigung gibt.

Aber eben auch, dass wir als Land in dieser Situation in bestmöglichen Händen sind: Unsere medizinische Versorgung ist überragend, unsere Ärzte sind pflichtbewusst und engagiert, deutsche Experten und Virologen genießen weltweit einen exzellenten Ruf und die Politik mit Gesundheitsminister Jens Spahn reagiert konsequent, aber besonnen.34

Bei einer Person scheinen sich Reichelt und “Bild” hingegen nicht “in bestmöglichen Händen” zu fühlen: bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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Die Anti-Merkel-Phase (ab Ende Februar 2020, seitdem andauernd)

Am 28. Februar schreibt Bild.de: “Nur Merkel kneift in Sachen Corona-Krise”. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, Italiens Premier Guiseppe Conte und US-Präsident Donald Trump mit Reden ihre Bürger beruhigen würden, sei von Angela Merkel nichts zu hören oder zu sehen: “Deutschland in der Corona-Krise. Und wo steckt die Kanzlerin?”35 Am 11. März, also zwei Tage nach Julian Reichelts Lobeshymne auf die “bestmöglichen Hände”, in denen sich Deutschland befinde, titelt “Bild” groß: “Kein Auftritt, keine Rede, keine Führung in der Krise – Die Kanzlerin und das CORONA-CHAOS”. Merkel sei kaum zu sehen und äußere sich zu Corona nur wenig, kommentiert der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer: “Sie lässt die Bevölkerung allein. Dabei müsste sie jetzt Führung zeigen!”36

Wie wichtig eine Stellungnahme der Kanzlerin in den entscheidenden Fragen für “Bild” ist, zeigt sich einen Tag später. Merkel sitzt mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher in einer Pressekonferenz, die anwesenden Journalisten können Fragen stellen. Als erster ist der Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros dran. Er fragt, welche Auswirkungen das alles jetzt “auf die Wiesn in Bayern” habe.37

Die TV-Ansprache, die Angela Merkel am 18. März hält38 und die viele Menschen bewegt39, reicht “Bild”-Chef Julian Reichelt nicht. In einem langen Kommentar schreibt zwar auch er, dass Merkel “den richtigen Ton getroffen” habe, “doch inmitten emotionaler Appelle zum Ernst der Lage blieb sie der Bevölkerung das Wichtigste schuldig: eine Erklärung, was SIE persönlich in ihrem Amt für die Menschen tun wird.” Reichelt feuert daraufhin eine lange Reihe von Vorwürfen ab, die als Fragen formuliert sind, in denen er die Kanzlerin attackiert und sich als Kämpfer für all jene inszeniert, “die seit Jahren die Steuerkassen füllen”. Auf dem Spiel stehe “alles, was wir uns seither aufgebaut und erarbeitet haben”. Merkel solle endlich sagen, wie sie den Menschen helfen wolle, “mit dem Geld, das wir alle erarbeitet haben”. Er schreibt Sachen wie:

Wo bleibt das Versprechen der Kanzlerin, dass deutsche Kernindustrien wie der Autobau und die Luftfahrt auch nach der Corona-Krise international wettbewerbsfähig bleiben werden? Wenn am Ende dieser Gesundheitskrise Massenarbeitslosigkeit steht, überlassen wir das Land mit Ansage den Extremisten.

Oder er fragt, wo das Versprechen der Kanzlerin bleibe, “dass China, das aus der selbst verschuldeten Epidemie nun Profit schlagen will, keine deutschen Unternehmen erwerben und keinen Zugang zu deutscher Infrastruktur bekommen wird”.40 Solche Dinge will er wissen, zu einem Zeitpunkt, an dem man noch nicht mal sicher sagen kann, ob die Wiesn nun stattfinden können oder nicht.

Einer macht es aus “Bild”-Sicht deutlich besser als Angela Merkel. Nachdem Österreichs Kanzler Sebastian Kurz laut “Bild” “CORONA-KLARTEXT” gesprochen hat, schreibt die Redaktion sehnsüchtig: “So einen brauchen wir auch!” Es seien “nur 520 Kilometer zwischen Berlin und Wien. Aber in der Corona-Krise fühlt sich Österreich an wie eine andere Welt”:

Während Kanzlerin Angela Merkel (65, CDU) angeschlagen wirkt, sich mit den Ministerpräsidenten auf keine gemeinsame Linie einigen kann, zeigt Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (33) Führungsstärke.

Fast täglich steht er kerzengerade vor den TV-Kameras, präsentiert eine Knallhart-Maßnahme nach der anderen: Kaffeehäuser nur noch bis 15 Uhr geöffnet. Alle nicht dringend benötigten Läden sind geschlossen. Die Ski-Orte St. Anton und Ischgl abgeriegelt. Schulen sind längst dicht.

Kurz zeige: “SO geht der Shutdown eines ganzen Landes!”41

Die Idee, Deutschland herunterzufahren, findet bei “Bild” Unterstützung. In einem “DAS-MEINT-BILD”-Kommentar schreibt die Redaktion, dass “wir beweisen” müssten, “dass wir nicht nur 82 Millionen Einzelpersonen sind, sondern eine Gemeinschaft”:

Jetzt muss jeder von uns ein Vorbild sein!

Die Politik darf bei harten Maßnahmen gegen das Virus nicht zögern. Wenn Gesundheitsminister Jens Spahn und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vorübergehend Schulen schließen wollen, dann verdient das die Unterstützung der Bevölkerung. Dies dient unserem Schutz.42

Bei “Bild-TV” warnt ein Arzt: “Deutschland braucht den kompletten Shutdown!”43 Am 22. März beschließen die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten tatsächlich umfangreiche Kontaktbeschränkungen.44 Und die “Bild”-Berichterstattung legt eine bemerkenswerte Kehrtwende hin.

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Die Wieder-öffnen-Phase (März bis Mai 2020)

Bis hierhin hat “Bild” wiederholt und eindringlich klargemacht, welche “Angst” man vor dem Coronavirus haben müsse, wie schrecklich untätig Angela Merkel sei, wie sehr es “unserem Schutz” diene, wenn beispielsweise die Schulen geschlossen werden, und wie führungsstark Sebastian Kurz “eine Knallhart-Maßnahme nach der anderen” präsentiere. Nun machen Merkel und ihre Regierung ziemlich genau das, was “Bild” fordert – und das ist nun auch wieder falsch.

Gerade mal vier Tage nach dem Beschluss zu den Kontaktbeschränkungen, am 26. März, lässt “Bild” “CORONA-SKEPTIKER FRAGEN: ,Sind Löscharbeiten verheerender als der Brand?‘”45 Am 28. März titelt “Bild” groß: “Riesen-Wirrwarr um Kampf gegen Corona – Maßnahmen lockern oder nicht?”. Im Blatt fragt die Redaktion ungeduldig: “Wann sollen die Corona-Regeln denn nun gelockert werden?”46 Wieder zwei Tage später fragt ein “Bild”-Kolumnist: “WIE LANGE HALTEN WIR DAS DURCH?” Einen Tag später schreibt er: “Wir hören zu viel auf Virologen!” Auf der Titelseite derselben Ausgabe ruft die Redaktion einen “nationalen Kraftakt gegen Corona” aus (als würden Politiker und viele andere Menschen nicht schon seit Wochen kraftakten): “BILD sagt, was SOFORT passieren muss”. Neben der Forderung, dass Kanzlerin Merkel “jeden Tag zum Volk sprechen” müsse, und dem genialen Einfall, dass ein “neues Wirtschafts-Wunder” doch ganz praktisch wäre, ist für “Bild” von besonderer Bedeutung, dass die Fußball-Bundesliga endlich wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen soll.47 Dieser Wunsch könnte nicht ganz uneigennützig sein: Die Sport-Berichterstattung, und dort speziell die Fußball-Bundesliga, ist für die “Bild”-Medien immens wichtig.

In Österreich rückt Kanzler Kurz von seinen “Knallhart-Maßnahmen” ab und beschließt, dass ab Mitte April einzelne Läden wieder aufmachen dürfen. Die “Bild”-Redaktion ist erneut hin und weg: “DER KURZ-PLAN – So was wollen wir auch!” Auf Seite 1 schreibt sie: “NEUSTART NACH CORONA – Ösis machen‘s uns vor – Erste Geschäft in Österreich ab 14. April wieder geöffnet – aber Merkel bleibt hart”.48

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass die “Bild”-Berichterstattung vor allem einem Grundsatz folgt: Hauptsache dagegen. Bis zu den Lockerungen der Kontaktbeschränkungen am 6. Mai49 schreiben die “Bild”-Medien konsequent gegen die Einschränkungen an: “Kanzlerin, machen Sie unser Land wieder auf!”, fordert “Bild” am 15. April auf der Titelseite.50 Es geht um “Chaos um Corona-Regeln”51, die Redaktion lässt einen Chefarzt im Blatt fordern: “MACHT DIE KLINIKEN WIEDER AUF … und zwar FÜR ALLE!”52 Bild.de berichtet über “DIE WUT DER WIRTE”53 und schreibt zu möglichen “CORONA-LOCKERUNGEN”: “Merkel will nicht, aber muss!”54 Die “Bild am Sonntag” titelt am 12. April: “WIR WOLLEN ZU HAUSE BLEIBEN!” Was erstmal wie eine Forderung nach einer Lockdown-Verlängerung klingt, ist das Gegenteil: “Ein Aufruf von 28 Prominenten über 70”, die anbieten, zu Hause zu bleiben, “damit die Jungen eine Zukunft haben und die Wirtschaft nicht kollabiert”. Oder anders gesagt: Die Alten bleiben drin, damit alle anderen wieder raus und loslegen können. Keine dieser 28 Personen dürfte übrigens bei einer Umsetzung des Plans in einer winzigen Wohnung ohne Balkon festsitzen. Die Wir-wollen-zu-Hause-bleiben-Promis auf der “BamS”-Titelseite sind größtenteils Millionäre und Milliardäre wie Dietmar Hopp, Friede Springer und Hubert Burda.55

Personen, die sich nicht auf “Bild”-Linie befinden und sich nicht für Lockerungen, sondern eher für strengere Maßnahmen aussprechen, bekommen von der Redaktion Gegenwind. Auch und gerade Wissenschaftler.

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Die Anti-Drosten-Phase (April bis Mai 2020)

“Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht”, schreibt “Bild” am 26. Mai groß auf Seite 1. Im Blatt lautet die Überschrift: “Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch”. Es seien “FRAGWÜRDIGE METHODEN” zum Einsatz gekommen.56 Im Artikel liefert der Autor allerdings keinen einzigen Beleg für die auf der Titelseite hergestellte Kausalität zwischen Studie und geschlossenen Schulen und Kitas. Stattdessen versucht er, die bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen vorgesehenen kritischen Überprüfungen durch andere Wissenschaftler als eine Art Zoff zwischen Forschern darzustellen.

Die “Bild”-Geschichte wird stark kritisiert. Sogar von den Wissenschaftlern, die “Bild” im Beitrag als Kronzeugen gegen den Virologen Christian Drosten anführt. Sie alle distanzieren sich umgehend von dem Bericht. Einer schreibt bei Twitter, dass er “nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein” wolle.57 Ein anderer stellt klar: “Ich wusste nichts von der Anfrage der BILD und distanziere mich von dieser Art Menschen unter Druck zu setzen auf das schärfste.”58

Bereits einen Tag zuvor veröffentlicht Christian Drosten bei Twitter einen Screenshot einer E-Mail des “Bild”-Autors. Dieser wollte, dass der Wissenschaftler Fragen zu seiner Studie beantwortet, und räumte dafür lediglich eine Stunde ein. Drosten schreibt bei Twitter, er habe “Besseres zu tun”. Anfangs ist in dem Screenshot auch die Handynummer des “Bild”-Mitarbeiters zu sehen. Nach Kritik löscht Drosten diesen Tweet wieder und postet die “Bild”-Anfrage noch einmal, diesmal ohne Handynummer.59

Das Verhalten von “Bild” sorgt für größeres Entsetzen – über die Schärfe des Angriffs, den aufgebauten Druck in der Anfrage, das Hochjazzen einer eigentlich vorsichtigen Formulierung des Virologen, das Unverständnis der Redaktion für wissenschaftliche Abläufe und Diskussionen, die falsche Verknüpfung zwischen Drostens Studie und Schulschließungen.60 Die Medienforscherin Johanna Haberer sagt zur Anti-Drosten-Kampagne von “Bild”: “Der Boulevard lebt von Angst und Unsicherheit. Und natürlich kann man einen Wissenschaftlerkonflikt zu einem persönlichen Kleinkrieg hochkochen. Beim Thema Gesundheit ist das allerdings fahrlässig.”61

Die “Bild”-Kampagne gegen Christian Drosten läuft zu diesem Zeitpunkt schon einige Wochen. In einer Reihe von Beiträgen wird Drostens Autorität als Wissenschaftler untergraben 62, die Redaktion arbeitet genüsslich frühere Fehleinschätzungen heraus63, stellt ihn als Einflüsterer dar, macht ihn zum Kollegenschwein64. Sie reißt Aussagen aus dem Zusammenhang, verfälscht zeitliche Abläufe und erfindet Behauptungen.65 Dazu inszeniert sie eine Art Seifenoper: Es gebe einen “Virologen-Clinch um CORONA-STUDIE”66 zwischen Hendrik Streeck und Christian Drosten, inklusive “zweiter Runde”67. Es ist eine Trivialisierung und Boulevardisierung von Wissenschaft. Die Bild.de-Leser können zum Beispiel abstimmen: “Welchem Virologen vertrauen Sie am meisten?”68 Das Ergebnis ist eine Mischung aus Ranking und Quartettspiel mit Angaben zum “Spezialgebiet”, dem Privatleben und dem jeweils “größten Irrtum”.69

Im Artikel “DREI EXPERTEN, DREI MEINUNGEN – Wie sehr kann man sich auf unsere Virologen verlassen?” erklärt “Bild” Drosten Ende April zum “Corona-Flüsterer der Kanzlerin” und gibt ihm damit etwas Rasputinhaftes.70 Im großen Vertrauen, das Angela Merkel dem Virologen entgegenbringt, und im daraus resultierenden Einfluss Drostens könnte sich der eigentliche Kern der massiven Kritik der “Bild”-Redaktion verstecken: Ihre Anti-Drosten-Kampagne ist im Grunde eine Verlängerung ihrer Anti-Merkel-Kampagne.71

Andere Personen, tatsächliche oder vermeintliche Experten, mit denen “Bild” einer Meinung ist, werden im Vergleich deutlich freundlicher behandelt.

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Die Klügste-Köpfe-Phase (ab Mai 2020, seitdem andauernd)

Am 8. Mai, nur zwei Tage nach der Entscheidung der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten, den Lockdown zu beenden, hat “Bild” im Blatt “Deutschlands klügste Corona-SKEPTIKER” zusammengetrommelt.72 Sie “KRITISIEREN DIE HARTEN MASSNAHMEN”: Der “Lockdown war ein Riesen-Fehler”.73 Einer dieser sechs “honorigen Meister ihres Fachs” ist der Professor Stefan Homburg. Am Tag nach Veröffentlichung des “Bild”-Artikels steht Homburg in Stuttgart auf der Bühne einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen und behauptet, dass die Wissenschaftler, die die Bundesregierung zur Corona-Pandemie zurate zieht, “weitgehend korrumpiert” seien. Außerdem sagt er, dass er inzwischen besser verstehe, was 1933 bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten passiert sei.74 Später verschärft er diese Aussage bei Twitter: “Das hier IST 1933.”75 Schutzmasken hält Homburg für “Sklaven-Masken, mit denen die Bevölkerung psychisch niedergehalten werden soll”.76 Er schürt Ängste vor der Corona-Impfung, indem er twittert: “Selbst wenn nur einer von Tausend an oder mit der Impfung stirbt, macht das bei Durchimpfung der deutschen Bevölkerung rund 80.000 Impftote.”77 Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass “einer von Tausend an oder mit der Impfung stirbt”. In der Phase-III-Studie des Impfstoffs von Pfizer und BioNTech beispielsweise gab es unter den rund 43.500 Probanden keinen einzigen Todesfall.78 Homburgs verschiedensten Behauptungen wurde in zahlreichen Faktenchecks widersprochen.79

Ein weiterer “honoriger” Experte ist Klaus-Dieter Zastrow, den die “Bild”-Medien meist als “Hygiene-Papst” präsentieren.80 Zastrow sagt, die Gefahr einer zweiten Infektionswelle sei “ein Hirngespinst”.81 Auf der “Bild”-Titelseite vom 6. Mai ist ein Foto von ihm zu sehen, dazu die Überschrift: “Hygiene-Papst sicher – Es wird KEINE zweite Welle geben”.82 Ein paar Monate später kommt die zweite Welle doch.83 Am 29. September knöpft sich Zastrow Angela Merkel vor. Die Kanzlerin hatte vorgerechnet, dass es in Deutschland bis Weihnachten 2020 bis zu 19.200 Neuinfektionen pro Tag geben könnte.84 Für Zastrow ist das “purer Alarmismus”, das habe “nichts mit der Realität zu tun.”85 Tatsächlich trat das Szenario der Kanzlerin noch viel früher ein als von ihr prognostiziert.86 Kaum ein anderer Experte kommt zu dieser Zeit in der Corona-Berichterstattung der “Bild”-Medien so häufig zu Wort wie Klaus-Dieter Zastrow.

Neben Homburg, Zastrow und drei weiteren Professoren gehört laut “Bild” auch eine “Journalistinnen-Legende” zu den sechs “klügsten Corona-SKEPTIKERN” des Landes: Patricia Riekel, früher Chefredakteurin des Peoplemagazins “Bunte”.87 “Sie wäre lieber dem schwedischen Weg der Mahnungen statt Verbote gefolgt”, schreibt “Bild” über Riekel. Es ist keine große Überraschung, dass die Redaktion sie dafür lobend erwähnt.

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Die Oh-wie-schön-ist-Schweden-Phase (Mai bis Dezember 2020)

Monatelang ist Schweden, wo die Corona-Maßnahmen lange Zeit auf Empfehlungen und Freiwilligkeit basieren88, für die “Bild”-Redaktion das Nonplusultra. “Mehr Schweden wagen!”, fordert ein “Bild”-Kommentator im Juli.89 Der Leiter des Ressorts “Meinung” schreibt im September über “Drei Schweden-Wahrheiten, die niemand hören will”90 und berichtet im Oktober: “Deutschland macht dicht, Schweden auf!”91 Bei “Bild-TV” läuft eine Doku über “SCHWEDENS SONDERWEG DURCH DIE CORONA-KRISE”: “,Wir leben hier unser normales Leben weiter‘”.92 In der “Bild”-Zeitung gibt es zeitweise sogar eine eigene tägliche Rubrik: “Und wie geht‘s SCHWEDEN?” Am 11. Mai ist dort beispielsweise zu lesen, dass Stars in der Hauptstadt Konzerte gäben, “trotz Corona”:

In Schweden finden wieder vermehrt Kultur-Veranstaltungen mit Publikum statt.

Im Mai werden u.a. Burlesque-Star Dita von Teese und Sänger Randy Newman Auftritte in Stockholm absolvieren.

Ein Künstler jedoch sticht besonders hervor: Black-Sabbath-Gründer Tony Iommi will trotz schwerer Krebserkankung am 15. Mai im “Lilla Cirkus” in Stockholm spielen.

Vor lauter Begeisterung für die kulturellen Angebote in Schweden scheint die Redaktion die Recherche93 vergessen zu haben. Dita von Teese gab bereits sechs Wochen zuvor bekannt, dass ihr Auftritt nicht stattfinden kann.94 Dass das Konzert von Randy Newman wegen der Beschlüsse der schwedischen Regierung abgesagt werden muss, teilte der Veranstalter am 27. April mit.95 Und dass Tony Iommi aus demselben Grund nicht auftreten kann, wird an dem Tag bekannt, an dem der “Bild”-Artikel erscheint.96

Zwischendurch werden bei Bild.de zwar auch die vielen Todesfälle in Schweden erwähnt97, in der “Bild”-Zeitung berichtet eine Reporterin, dass Schweden entspannt bleibe, “aber nicht verschont”98. Der Grundtenor aber ist: Die Schweden machen es besser.

Damit ist spätestens am 17. Dezember Schluss. Die “Bild”-Redaktion zitiert in einem Artikel Schwedens König Carl Gustav:

“Wir haben versagt. Eine große Anzahl von Mitmenschen ist gestorben und das ist fürchterlich. Wir leiden alle darunter. Ich finde es schrecklich angesichts all der verstorbenen Menschen. Und die Traurigkeit und die Frustration, die viele Menschen und Unternehmer plagen, die in den Knien liegen und sogar ihr Geschäft verloren haben. Es war ein schreckliches Jahr.”

Der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven sehe die Schuld “bei den führenden Gesundheitsexperten des Landes”. Eine extra eingesetzte Corona-Kommission erklärt, dass man es nicht geschafft habe, ältere Menschen vor dem Virus zu schützen. Die “Bild”-Redaktion schreibt: “Auf die Bevölkerung heruntergerechnet hat das Land mit rund zehn Millionen Einwohnern damit deutlich mehr Infektionen und Todesfälle gehabt als Deutschland oder der Rest Skandinaviens.”99 Der Sehnsuchtsort Schweden verschwindet aus der Berichterstattung.

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Die China-soll-zahlen-Phase (ab April 2020, seitdem andauernd)

Ein anderes Land steht von Beginn an am entgegengesetzten Ende der “Bild”-Beliebtheitsskala: China. Schon früh schreiben die “Bild”-Medien vom “China-Virus”.100 Mitte April veröffentlicht “Bild” eine große Rechnung: “WAS CHINA UNS JETZT SCHON SCHULDET”. Allein für die deutsche Tourismusbranche veranschlagt die Redaktion “24 Mrd. Euro Umsatz-Minus” in zwei Monaten. Für den Einzelhandel schlägt sie “1,15 Mrd. Euro entgangene Umsätze pro Tag” obendrauf. Außerdem noch “55 Mrd. Euro für Pandemiebekämpfung”, “10 Mrd. Euro mindestens für Kurzarbeit” und so weiter. In der “Amazon”-Doku über “Bild” ist die Redaktionskonferenz zu sehen, in der diese Rechnung geplant wird. Einigen Mitarbeitern scheint die Aktion unangenehm zu sein.101

Noch am Tag der Veröffentlichung schreibt eine Sprecherin der chinesischen Botschaft in Berlin einen offenen Brief an Julian Reichelt: “Mit einigem Befremden habe ich heute Ihre Berichterstattung zur Corona-Pandemie im Allgemeinen und zu der vermeintlichen Schuld Chinas daran im Besonderen verfolgt.” Sie betrachte es als “ziemlich schlechten Stil”, ein Land für eine Pandemie verantwortlich zu machen, “unter der die ganze Welt zu leiden hat und dann auch noch eine explizite Rechnung angeblicher chinesischer Schulden an Deutschland zu präsentieren”.102 Reichelt antwortet prompt – mit einem offenen Brief an Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping.103 Er spricht sein Schreiben auch vor laufender “Bild-TV”-Kamera ein. Das Video erscheint mit chinesischen Untertiteln104 und auch auf Englisch.105 Die Resonanz ist riesig. In einer erneuten Redaktionskonferenz zeigt Reichelt per Beamer sichtlich stolz, dass auch Donald Trumps Sohn seinen Videokommentar bei Twitter verbreitet habe, und erzählt dazu sichtlich noch stolzer, dass das wiederum auch der Vater retweetet habe.106

Im September präsentiert Bild.de eine “chinesische Forscherin”, die angeblich das liefert, was es bräuchte, damit China womöglich wirklich zur Rechenschaft gezogen wird:

Ist das Coronavirus von Menschenhand gemacht? Dr. Li-Meng Yan sagt: Ja! “Es kommt aus dem Labor in Wuhan. Die Genomsequenz ist wie ein menschlicher Fingerabdruck.”

In der Überschrift zitiert die Redaktion die Chinesin: “,Das Corona-Virus kommt aus dem Labor‘”. Das habe die chinesische Führung aber erfolgreich vertuscht, sagt die Frau. Und:

In Hongkong habe außerdem jemand ihre Erkenntnisse von ihrem Computer gelöscht, sagte Dr. Li-Meng Yan der “Daily Mail”. Die Beweise bleibt sie bis heute schuldig. Sie wolle diese aber noch vorlegen, so Yan.107

Einen Tag später ist es schon so weit. Bild.de berichtet: “Forscherin zeigt ihr Beweismaterial”. Im Artikel steht:

“Das Virus kommt aus dem Labor.” Eine chinesische Virologin, die lange an der Uni Hongkong arbeitete und das neuartige Coronavirus eigenen Angaben zufolge seit Ende 2019 erforschte, bestätigt mit dieser Aussage, was viele Menschen schon lange glauben.

Jetzt hat Dr. Li-Meng Yan mit drei weiteren Forschern eine wissenschaftliche Arbeit (“Paper”) vorgelegt, die sogar zeigen soll, wie das Virus hergestellt wurde.

Die Redaktion ergänzt noch: “BILD übersetzt prägnante Aussagen ins Deutsche. Es liegt allerdings noch keine Prüfung von Dr. Li-Meng Yans Arbeit durch unabhängige Wissenschaftler vor.”108

Das US-Nachrichtenmagazin “Newsweek” hilft dabei. Es bittet mehrere Wissenschaftler, sich das Paper anzuschauen. Deren Urteil ist verheerend: Li-Meng Yan liefere keine neuen Informationen, sie stelle mehrere unbelegte Behauptungen auf, ihre wissenschaftliche Argumentation sei schwach. Dem Preprint-Bericht könne in dieser Form keinerlei Glaubwürdigkeit verliehen werden, sagt einer der Wissenschaftler.109

Die “Bild”-Redaktion reagiert auf den “Newsweek”-Text und ergänzt in ihrem Artikel: “Mehrere Wissenschaftler widersprechen der Forscherin, kritisieren die Aussagen als Verschwörungstheorien”.110 Der erste Artikel zum Thema (“,Das Corona-Virus kommt aus dem Labor‘”) ist unverändert online.

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Die Nicht-wieder-schließen-Phase (ab Mai 2020, seitdem andauernd)

Mit Blick auf die Situation in Deutschland haben sich die “Bild”-Medien inzwischen offenkundig auf eine Richtung festgelegt: Sie kämpfen gegen die Corona-Maßnahmen. Die Mittel scheinen dabei egal zu sein.

Dem Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery legt Bild.de im September ein erfundenes Zitat in den Mund: “Weltärzte-Chef Montgomery bei Anne Will – ,Grundrechtseinschränkung, eine Maske zu tragen!‘” Das hat der frühere Präsident der Bundesärztekammer bei seinem Fernsehauftritt jedoch nie gesagt. Tatsächlich spricht sich Montgomery dort für das Tragen von Masken aus. Er fragt: “Ist es eine Grundrechtseinschränkung, sich eine Maske aufsetzen zu müssen?” Und erklärt dann, dass selbst ein “feuchter Lappen vor dem Gesicht” zumindest “die anderen schützen kann”.111 Den Artikel hat die “Bild”-Redaktion später gelöscht.

Sie ist augenscheinlich bemüht, die Corona-Maßnahmen als willkürlich oder aberwitzig darzustellen. Bei Auftritten des Zaubererduos “Ehrlich Brothers” beispielsweise herrscht laut Bild.de-Schlagzeile der “Corona-Irrsinn”. Hinter der “Bild-plus”-Paywall klingt die Geschichte schon gar nicht mehr so irrsinnig: “In Düsseldorf durften die Brüder vor 2500 Fans auftreten. In Köln hingegen sorgten gestiegene Infektionszahlen einen Tag vor dem Event am Sonntag für die Absage der Stadt.”112 Der zuvor festgelegte Grenzwert bei der Sieben-Tage-Inzidenz wurde in Köln überschritten. In Düsseldorf nicht. In Düsseldorf durften die “Ehrlich Brothers” auftreten. In Köln nicht.

Am 18. September titelt “Bild”: “Härtere Corona-Regeln in der Kirche als im Puff – Singen verboten, aber Sex ist erlaubt!” Die erkennbare Idee hinter dem Artikel: Dinge vergleichen, die möglichst wenig miteinander zu tun haben, deren Kombination aber im Bestfall für Kopfschütteln und Unmut sorgt. Der Autor versucht es so:

Die Gefahr, abends nach dem Schwimmen von nassen Haaren auf dem Fahrrad krank zu werden, dürfte bei knapp 100 Prozent liegen. Die Gefahr, Corona zu bekommen, liegt im niedrigen einstelligen Bereich, aber die Berliner Bäderbetriebe haben die Benutzung der elektrischen Haartrockner unterbunden – die Aerosole.113

Es ist eigentlich allgemein bekannt114, dass niemand allein durch nasse Haare krank wird, erst recht nicht zu “knapp 100 Prozent”. Durch Aerosole kann man hingegen durchaus krank werden. Überschrieben ist der Artikel mit: “Diesen Corona-Irrsinn versteht niemand mehr”.115

Oder man will es nicht verstehen. Nur einen Tag später erscheint bei Bild.de ein Kommentar, der die Corona-Regeln als “absurd” bezeichnet. Es geht um Bilder und Situationen, die die Maßnahmen hervorrufen und “die wir unseren Kindern nicht erklären können.” Zum Beispiel:

Warum müssen Kinder auf dem Schulhof Maske tragen, im Unterricht dann aber im Klassenzimmer nicht mehr?

Kein Kind, das vorher gelernt hat, wie wichtig Vernunft als Grundlage von Entscheidungen ist, kann das verstehen.116

Man könnte den Kindern die Überlegung hinter dieser Regelung erklären. In Schleswig-Holstein etwa ist es das sogenannte Kohortenprinzip:

Das Kohortenprinzip sichert einen regulären Schulbetrieb. Durch die Definition von Gruppen in fester Zusammensetzung (Kohorten) lassen sich im Infektionsfall die Kontakte und Infektionswege wirksam nachverfolgen. Damit wird angestrebt, dass sich Quarantänebestimmungen im Infektionsfall nicht auf die gesamte Schule auswirken, sondern nur auf die Kohorten, innerhalb derer ein Infektionsrisiko bestanden haben könnte.

Innerhalb der Kohorte verzichte man “auf Abstandsregeln und das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen”.117 Daher keine Masken im Klassenzimmer. Auf dem Schulhof hingegen schon, damit sich die verschiedenen Kohorten nicht gegenseitig infizieren.

So geht es – nahtlos an die Kritik von “Deutschlands klügsten Corona-SKEPTIKERN” anknüpfend – monatelang gegen mögliche Einschränkungen und Schließungen: “Top-Virologe Streeck kritisiert Corona-Maßnahmen – Deutschland ist zu schnell in den Lockdown gegangen!”118 “Top-Lungenarzt fordert – Deutschland kann mehr Infektionen zulassen”.119 “WIE TÖDLICH IST DAS VIRUS WIRKLICH? Amtsarzt vergleicht Corona mit Grippe und Hitzewelle”.120 “STERBEN mehr Menschen am Lockdown als an Corona?”121 “EXPERTE WARNT – Mehr Tote durch Lockdown als durch Corona”.122 “So tödlich ist der Lockdown”.123 Im Dezember berichtet Bild.de auf der Startseite von “30 000 Neuinfektionen in Deutschland”. Das seien “NEUE HÖCHSTWERTE”.124 Direkt daneben ärgert sich die Redaktion über den “PSYCHO-KRIEG gegen Weihnachtseinkäufe”, weil Politiker “immer dramatischer” vor dem dicht gedrängten Geschenkeshopping warnen.125

Trotz aller Bemühungen der “Bild”-Redaktion beschließen Kanzlerin und Ministerpräsidenten im Oktober erst einen sogenannten Lockdown light126 und im Dezember einen harten Lockdown127. Am Ende des Jahres, am 31. Dezember, lautet die große Schlagzeile auf der “Bild”-Titelseite “Kanzlerin, so darf es 2021 NICHT weitergehen!”128 In der Berichterstattung der “Bild”-Medien geht es genau so weiter.

Müder Kompromiss, Rassistische Begriffe, Raus aus dem Kaiserreich

1. Nur ein müder Kompromiss
(taz.de, Erica Zingher)
Der Streamingdienst Disney+ hat einige seiner Filmklassiker wie “Das Dschungelbuch”, “Aristocats”, “Peter Pan” oder “Dumbo” mit Warnhinweisen zu rassistischen Stereotypen versehen (weiterführende Erklärungen liefert der Konzern auf seiner auf englischsprachigen Website.) “taz”-Redakteurin Erica Zingher reicht das nicht: “Man kann diesen Weg als müden Kompromiss werten. Als einen Kompromiss zwischen der Fraktion, die ‘Cancel Culture’ schreit und der, die zurecht rassistische Inhalte verurteilt. Müde ist das alles, weil es sich Disney damit zu einfach macht. Die Zielgruppe der Cartoons, also Kinder, wird mit Hinweisen sicher nicht erreicht. Die Verantwortung aufzuklären, überträgt Disney damit auf die Eltern – und ist selbst fein raus.”

2. Sprachforscher erklärt: Darum fällt es manchen Menschen so schwer, nicht mehr “Zigeunersoße” zu sagen
(rnd.de, Geraldine Oetken)
In dem WDR-Talk “Die letzte Instanz” konnte man erleben, wie hochemotional um die Verwendung von diskriminierenden Worten gerungen wird. Woran liegt das? Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch vermutet zwei Gründe: “Zum einen setzen Debatten in den Medien wie auch bei ‘Die letzte Instanz’ stark auf Konfrontation und auf ein Für und Wider. Andererseits fühlen sich viele schnell durch die Diskussion angegriffen. Das merkt man daran, dass die dann gleich verteidigend sagen: ‘Ich bin kein Rassist.’ Aber darum geht es ja gar nicht. Man kann rassistisch handeln, ohne ein Rassist zu sein.”
Weiterer Lesehinweis in eigener Sache: Der “6 vor 9”-Kurator kommentiert auf Twitter das Statement von Moderator Steffen Hallaschka: “In der Politik und der Öffentlichkeitsarbeit kommt es immer wieder zum Phänomen der ‘Nonpology’. Darunter versteht man eine Entschuldigung ohne echte Reue. Das Ziel: Vergebung ohne Schuldanerkenntnis. Dieses Statement zu #DieletzteInstanz ist ein schönes Beispiel dafür.”

3. Clubhouse mag dein Telefonbuch wirklich gern
(zerforschung.org)
Das Team von “Zerforschung” hat sich auf Reverse Engineering spezialisiert: das Auseinandernehmen von bereits bestehenden Systemen, um deren Funktionsweise zu untersuchen. Neuestes Produkt des Interesses: Die Audio-Chat-App Clubhouse, die auch wegen ihres mangelnden Datenschutzes ins Gerede gekommen ist. Nach einem Blick in den Quellcode der Anwendung stehe fest: “Jedes mal, wenn man das Invite-Tab öffnet, werden alle Telefonnummern aus dem Adressbuch hochgeladen.”
Zu den Datenschutzproblemen der App zwei Links aus dem Archiv: “Der Verbraucherzentrale Bundesverband wirft der neuen Social-Media-App gravierende rechtliche Mängel vor. In einer Abmahnung geht es auch um Datenschutz.” – Verbraucherschützer mahnen Clubhouse ab (zeit.de).
“Ein Hamburger Sicherheitsexperte hat dem SPIEGEL eine Reihe von Schwachstellen in der App Clubhouse demonstriert. Sie erlauben es, Nutzer gezielt auszusperren, massenhaft Daten abzufragen und zufällige Konten zu kapern.” – Clubhouse bietet Hackern zahlreiche Angriffsmöglichkeiten (spiegel.de, Patrick Beuth).

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4. RUMS, das Online-Magazin für Münster
(wdr.de, Hilka Sinning, Video: 3:35 Minuten)
In Münster sorgt ein junges Digital-Angebot für mehr journalistische Vielfalt in der Region. Das Online-Magazin “Rums” (für das auch BILDblog-Autor Ralf Heimann arbeitet) startete mitten im ersten Lockdown und konnte sich trotz der erschwerten Bedingungen behaupten. “Westart” hat das ambitionierte Projekt besucht, das bereits als Vorbild für neue Formen von Lokaljournalismus gehandelt wird.

5. Gemeinsam gegen Netflix
(faz.net, Conrad Heberling)
Der Erfolg der Streaming-Plattformen hat dazu beigetragen, die Dominanz der US-amerikanischen Filmwirtschaft zu verstärken: “Es scheint uns gleichgültig zu sein, dass wir mit unseren monatlichen Abogebühren dazu beitragen, dass diese Multis unsere deutsch-europäische Mediengesetzordnung unterlaufen und gigantische Umsätze und Gewinne machen, die sie nicht einmal in Deutschland, geschweige denn in Europa versteuern.” Conrad Heberling hat die Situation analysiert und überlegt, wie eine Lösung aussehen könnte.

6. Raus aus dem Kaiserreich
(sueddeutsche.de, Wolfgang Görl)
Die Bezeichnung der kunstgeschichtlichen Epoche Jugendstil geht zurück auf die von Georg Hirth 1895 in München gegründete illustrierte Kulturzeitschrift “Jugend”. Wolfgang Görl erinnert schwelgerisch an die für damalige Zeiten revolutionäre Kunst- und Literaturzeitschrift: “Von Anfang an begeistert die Jugend ihr Lesepublikum mit anspruchsvollen Layouts, man legt Wert auf preziös illustrierte Seiten und plakative Titelblätter, auf denen oft junge und schicke Menschen zu sehen sind, gestaltet in spielerisch verschnörkelten Linien und umflort von Blütendekor, mal in leichtstoffigen, dem Spiel des Windes folgenden Wallegewändern, mal nackt auf langmähnigen Pferden reitend, und es wimmelt nur so von Seejungfrauen und Sartyrn [sic], deren dekorative Körper sich räkeln und winden, während im verträumten Blick etwas pikant Frivoles aufblitzt.”

Gerangel um 86 Cent, Wende in der Wende, Spotifys Chartsmanipulation

1. Es geht um die Rundfunkfreiheit – und inzwischen um mehr
(mission-lifeline.de, Ruprecht Polenz)
Eigentlich hatten alle Bundesländer der Erhöhung des Rundfunkbeitrags zugestimmt, doch in Sachsen-Anhalt blockieren sowohl CDU als auch AfD das Vorhaben. Der ehemalige Generalsekretär der CDU Ruprecht Polenz kommentiert das Polit-Gerangel um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) und kritisiert dabei nicht nur die AfD, sondern auch das Timing der CDU in Sachsen-Anhalt: “Es bestand vor wenigen Monaten eine gute Gelegenheit, eine umfassende Diskussion über die Struktur des ÖRR zu führen, wenn man Änderungen herbeiführen wollte. Im September 2020 hat Sachsen-Anhalt den Medienstaatsvertrag ratifiziert – ohne größere Diskussionen oder Vorbehalte. Er regelt den allgemeinen Programmauftrag, die Zahl der Anstalten und der Programme. HIER hätte die CDU-Fraktion ihre Vorstellungen einbringen müssen. Das hat sie nicht getan.”

2. Wirkt der “Greta”-Effekt?
(taz.de, Reinhard Wolff)
Klimaaktivistin Greta Thunberg fungierte bei Schwedens auflagenstärkster Tageszeitung “Dagens Nyheter” (“DN”) für einen Tag als Gastchefredakteurin. Dies sorgte in den schwedischen Medien für geteiltes Echo. Einige Zeitungen kritisierten die Aktion, unter anderem als “Niederlage für den Nachrichtenjournalismus”. Thunbergs “DN”-Gastspiel war ein Besuch in der Redaktion vorausgegangen, bei dem sie der Zeitung ordentlich den Kopf gewaschen hatte: “Ihr sagt, ihr berichtet über die Klimakrise, aber das tut ihr nicht. Ihr berichtet über Klimaaktivisten mit Zöpfen und gelber Regenjacke, die ein paar unbequeme Sachen sagen, die Zitate bringen, die sich gut klicken. Aber das hat nichts mit der Klimakrise zu tun.”

3. Die Wende in der Wende – und die BRD-Medien
(medienblog.hypotheses.org, Michael Meyen)
Gabriel Wonn hat in seiner Masterarbeit die Berichterstattung von “Bild”, “Süddeutscher Zeitung”, “Spiegel” und “Tagesschau” zwischen dem 9. Oktober 1989 und der Volkskammerwahl am 18. März 1990 untersucht: “Vor ihnen ein Garten Eden. Hinter ihnen Stasiland: Eine Diskursanalyse über die Rolle der Westmedien im Wandlungsprozess der Wende” (PDF). Professor Michael Meyen kennt die Arbeit besonders gut, er war der offizielle Prüfer: “Wer den mit vielen Zitaten gespickten Ergebnisteil liest, kann gut nachvollziehen, weshalb sich die Stimmung in der DDR-Bevölkerung binnen weniger Monate so drastisch verändert hat – und wie hier der Grundstein für eine Folgeberichterstattung gelegt wurde, die uns die Anschluss-Lösung bis heute meist als selbstverständlich und alternativlos erscheinen lässt.”

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4. Christian Drosten: Die Stimme der Vernunft
(dwdl.de, Jan Freitag)
In der “DWDL”-Reihe “Bildschirmheldinnen & -helden 2020” geht es diesmal um Deutschlands bekanntesten Virologen Christian Drosten. Jan Freitag merkt an: “Charmante Belehrung mit gesenktem Zeigefinger und fotogenem Dackelblick – wäre Christian Drosten nicht so selbstgenügsam, er hätte das Zeug zum Eckart von Hirschhausen. Zum Glück ist ihm die Forschung wichtiger. SARS-CoV-2 wird nicht die letzte Pandemie bleiben.”

5. EU will Journalisten besser schützen
(verdi.de)
Die Europäische Kommission hat in Brüssel den “Aktionsplan für Demokratie” vorgestellt. Dabei geht es auch um die Rolle von Medien, genauer gesagt um “Maßnahmen zur Förderung freier und fairer Wahlen und einer starken demokratischen Beteiligung, zur Unterstützung freier und unabhängiger Medien und zur Bekämpfung der Desinformation”. Bislang sei der Aktionsplan nur eine umfangreiche Ankündigung. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Initiativen in Entwürfen und Gesetzen niederschlagen.

6. Hör mich an
(zeit.de, Silvia Silko)
“Spotify bietet Musikern an, sich in den Algorithmus des Streamingdienstes einzukaufen, um ihre Songs populärer zu machen. Früher nannte man so etwas Chartsmanipulation.” In ihrer Analyse erklärt Silvia Silko die Funktionsweise von Spotifys umstrittener “Pay-to-play”-Funktion und die daraus entstehenden Konsequenzen für den Musikmarkt.

Höcke-Interview, Abgemahnt, Skrupellose Revolverblätter

1. MDR kündigt Höcke-Interview an
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Sollen öffentlich-rechtliche Sender mit einem AfD-Vertreter sprechen, der für seine extremen Positionen sowie seine rassistische und antidemokratische Agenda bekannt ist? Hat der Grundsatz der Ausgewogenheit seine Grenzen und sollte man deshalb darauf verzichten, derartigen Personen eine Bühne zu geben? Oder müssen wir das in einer Demokratie schlicht aushalten? Das sind ungefähr die Fragen, die sich anlässlich des bevorstehenden Sommerinterviews des MDR mit AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke stellen.

2. Radio Bremen verklagt Medienkritiker wegen Urheberrechtsverletzung
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
TV-Kritiker Holger Kreymeier hat sich in einem Videobeitrag einen Film von Radio Bremen vorgeknöpft und wenig später eine Abmahnung des Senders erhalten. Hat sich Kreymeier falsch verhalten und, wie von der Gegenseite behauptet, das Zitatrecht überreizt? Oder will da ein übermächtiger Sender einen Kritiker juristisch in die Knie zwingen? Matthias Schwarzer ist dem Konflikt nachgegangen, der Mitte November vor dem Landgericht Berlin verhandelt wird.

3. Der Duden im Kreuzfeuer identitärer Sprachpolitik. Eine Randbemerkung
(scilogs.spektrum.de, Henning Lobin)
Kaum etwas steht für die deutsche Sprache wie das Nachschlagewerk Duden. Leider wird es von Ultrarechten gerne für deren nationalidentitäre Politikagenda instrumentalisiert. Sprachwissenschaftler Henning Lobin zeigt anhand von drei markanten Beispielen, dass dafür keine Unterstellung zu grob sein kann.

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4. Embedded Berichterstatter
(djv.de, Hendrik Zörner)
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union hat bereits von der Akkreditierung zur Corona-Demo, die am Wochenende in Berlin stattfinden soll, abgeraten (siehe gestrige “6 vor 9”). Nun äußert sich auch der Deutsche Journalisten-Verband in einem Kommentar: “Kein Journalist und keine Journalistin muss sich in Deutschland zu einer Demonstration im öffentlichen Raum anmelden. Und ‘Deeskalationsteam’ stinkt geradezu nach ‘Embedded Journalism’. Wir sind aber nicht im Irak, wo Kriegsberichterstattung lebensgefährlich war, sondern in Berlin. Für die Sicherheit von Journalisten ist hierzulande immer noch die Polizei verantwortlich. Wer sich auf diesen Unsinn einlässt, ist selber schuld.”

5. Verleger Ippen übernimmt Buzzfeed Deutschland
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Nach Monaten der Ungewissheit ist nun klar: Bei “Buzzfeed Deutschland” kann es weitergehen, es wird Teil des Redaktionsnetzwerks Ippen Digital. Das Verlagskonglomerat von Dirk Ippen ist mit Publikationen wie dem “Münchner Merkur”, der “Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen”, der “tz” und der “Frankfurter Rundschau” die fünftgrößte Zeitungsgruppe in der Bundesrepublik. Anmerkung des “6 vor 9”-Kurators: Das Beitragsbild zeigt rechts Karsten Samland (vormals Schmehl), der bereits Mitte vergangenen Jahres “Buzzfeed” verlassen hat und zu TikTok gewechselt ist.
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter feiert Redaktionsleiter Daniel Drepper die Nachricht: “Wir sollen unter gleichen Bedingungen weiter unsere Unterhaltung und unseren Journalismus machen. Alle Mitarbeiter*innen behalten ihre Jobs und Verträge, ohne Einbußen.”

6. Burda-Zeitschrift retuschiert sich Michael Schumacher zurecht
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer berichtet von einem perfiden Geschäftsmodell: In einer Mischung aus Skrupellosigkeit und nahezu krimineller Energie versuchen Blätter wie “Die Aktuelle” (Funke Mediengruppe), “Woche heute” (Bauer Verlag) und “Freizeit Revue” (Burda), mit dem Ex-Rennfahrer Michael Schumacher Geld zu verdienen.

Die kranke Welt der “Bild”-Zeitung

Seit Beginn des Jahres hat die “Bild”-Zeitung über 700 Mal das Wort “Corona” gedruckt.

Dagegen haben es andere Krankheiten schon deutlich schwerer, wenn sie mal in “Bild” landen wollen. Die Tuberkulose zum Beispiel: Mehr als 5.000 Erkrankungsfälle verzeichnete das Robert-Koch-Institut (RKI) 2018 allein in Deutschland. Mindestens 129 Menschen starben im selben Jahr bedingt durch die Krankheit. Weltweit erkrankten nach Angaben der WHO sogar zehn Millionen Menschen, etwa 1,5 Millionen Menschen starben.

Erwähnt wurde die Tuberkulose in sämtlichen “Bild”-Ausgaben des Jahres 2018 ganze acht Mal. Nicht groß und in Panikgelb, sondern meist irgendwo am Rand, in Nebensätzen und historischen Anekdoten:

Der Vater ist Lokomotivheizer, die Mutter Hausfrau, der große Bruder stirbt an Tuberkulose.

Oder das Norovirus: Über 77.000 Erkrankungen in Deutschland im Jahr 2018, mindestens 25 Todesfälle. “Bild” druckte im ganzen Jahr: zwei kleine Meldungen.

Oder das Rotavirus. Erkrankungen: 23.000. Todesfälle: 13. Erwähnungen in “Bild”: null.

Selbst die Grippe kam mit über einer Viertelmillion Erkrankten und mehr als 1.000 Toten auf vergleichsweise magere 191 Erwähnungen im gesamten Jahr.

Um mal einen kleinen Überblick zu geben, haben wir noch ein paar weitere Krankheiten aus dem Infektionsepidemiologischen Jahrbuch des RKI (die neueste Ausgabe bezieht sich auf 2018) herausgepickt und nachgezählt, wie oft “Bild” sie innerhalb eines Jahres erwähnt hat.

Die Zahlen des RKI sind zwar mit Vorsicht zu genießen, weil es natürlich nur die gemeldeten und laborbestätigten Fälle berücksichtigen kann. Außerdem kann bei einigen Krankheiten eine lange Zeitspanne zwischen Erkrankungsbeginn und Tod liegen, so dass diese Fälle nicht als Todesfälle registriert werden. Die Zahlen liefern also kein exaktes Abbild, lassen aber das Ausmaß und die Letalität der Krankheiten einigermaßen einschätzen.

Und klar sind das nicht die einzigen Aspekte, die eine Krankheit für Redaktionen erwähnenswert machen, aber vielleicht helfen sie ein bisschen dabei, die aktuelle Berichterstattung einzuordnen.

Die Anzahl der Erwähnungen bezieht sich auf die gedruckten Ausgaben von “Bild” und “Bild am Sonntag”. Mitgezählt haben wir auch synonym verwendete Begriffe, zum Beispiel “Grippe” (bei Influenza) oder “Krankenhauskeime” (bei MRSA).


(Draufklicken für größere Version.)

Spekulationen zum Täter von Hanau: Warum “Bild live” der letzte Mist ist

Gestern gegen 22 Uhr dringt ein bewaffneter Mann im hessischen Hanau in eine Bar ein und erschießt mehrere Menschen. Dort und an einem weiteren Tatort, zu dem der Täter fährt, sterben neun Personen. Später entdeckt die Polizei in einer Wohnung zwei weitere Leichen: die des Täters und die von dessen Mutter. Die Bundesanwaltschaft soll von einem “Verdacht einer terroristischen Gewalttat” sprechen. Ein Bekennerschreiben spricht dafür, dass es sich bei dem Täter um einen Rassisten handelt.

Gegen 1:30 Uhr startet die erste “Bild live”-Sondersendung zur “Bluttat in Hanau”.

Ein kommentiertes Protokoll.

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Moderator Moritz Wedel sagt zu Beginn der Sendung:

Die Informationen derzeit unübersichtlich. Wir versuchen, das, was wir zur Stunde wissen, für Sie zu dieser späten Stunde zusammenzufassen.

Das Versprechen “was wir zur Stunde wissen” werden er und seine “Bild”-Kollegen in den kommenden knapp 43 Minuten nicht ansatzweise einlösen können.

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“Bild”-Reporter Tobias Bayer ist in Hanau. Er erzählt von seinen Erlebnissen vor Ort. Offenbar hat er ein paar Angehörige der Getöteten belästigt befragt:

Ich habe mit einigen Angehörigen sprechen können. Die Stimmung hier deutlich aggressiv. Man drohte mir, das Handy aus der Hand zu schlagen. Da sind Emotionen im Spiel. Das waren wohl auch Angehörige von mutmaßlich Toten hier. Da muss man das auch, denke ich, verstehen und richtig einordnen können.

Zum “Täterumfeld” sagt er:

Ich habe aus relativ gut unterrichteten Quellen in Hanau hier erfahren — aber ich muss dazu sagen: Das sind nur Spekulationen –, dass es sich hier bei dem Täterumfeld um Russen handeln könnte.

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Moderator Moritz Wedel will wissen: “Beschreib uns das Milieu bitte etwas: Was ist das für ein Stadtteil? Was ist das für eine Straße? Könnte vielleicht das Umfeld dieser Shisha-Bar Schrägstrich Sportsbar auf irgendwelche Motive oder Hintergründe dieser Tat hindeuten?”

Reporter Bayer weiß, dass das, was er nun antwortet “alles nur reine Spekulation” ist — und spekuliert dann wild rum:

Das ist jetzt zu diesem Zeitpunkt alles nur reine Spekulation. Ich habe aber aus mehreren Quellen erfahren, dass es eben bei den Opfern mit ziemlich großer Sicherheit um kurdischstämmige Menschen handeln soll. Das bestätigt auch mein Bild, das ich hier vor Ort sehe. Die Menschen, die hier stehen und weinen. Einige sind zusammengebrochen. Da mussten die Rettungssanitäter noch mal helfen und die Menschen beruhigen. Die Menschen, die ich hier sehe, sind eben vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund, mutmaßlich türkischem, was ich so sprachlich höre: türkische Sprache, aus dem arabischen Sprachraum kommend. Also türkische und kurdische Menschen, die unter den Opfern sein sollen. Und eben es gibt auch Quellen, die behaupten, dass die Täter aus mutmaßlich russischem Umfeld kommen sollen. Es gibt auch Anwohner, aber das halte ich für viel zu früh, zumindest Spekulationen, dass es aus einem sehr rechtsradikalen Milieu eine Tat sein könnte. Einfach aufgrund der Tatsache, dass es um Shisha-Bars geht. Aber ich glaube, das ist viel zu früh, um das einzuordnen.

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“Bild”-Chefreporter Frank Schneider wird zugeschaltet und erzählt, dass man ja noch gar nicht wisse, ob die Angriffe an den zwei Tatorten nacheinander stattfanden oder gleichzeitig. Und er spricht auch von Organisierter Kriminalität. Da hakt Moderator Wedel nach: “Frank, wenn Du jetzt ein bisschen Hanau einschätzen musst: Ist das, Du hast von Organisierter Kriminalität gesprochen, ist das ein Hotspot in der Region?” Das könne er so nicht sagen, antwortet Schneider, speziell was die angegriffenen Bars angeht. Aber:

Wenn jetzt möglicherweise diese Bars von Menschen betrieben werden, die Streit mit anderen haben, oder es geht da um Vormacht, worum auch immer, oder eben Schutzgelderpressung. Es kann ja auch sein, dass die Betreiber der Bars schlicht und ergreifend kein Schutzgeld bezahlen wollten. Das wäre dann natürlich, wie gesagt, eine Qualität, die hat es in Deutschland so noch nicht gegeben. Aber das wären jetzt alles reine Spekulationen.

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Währenddessen blendet die “Bild”-Redaktion ein:

Screenshot Bild live - Möglicherweise zwei Schießereien gelichzeitig

Auch an anderen Stellen in der Sendung fällt der Begriff “Schießerei”. Das ist wahrlich nicht der schlimmste Aspekt an dieser Sondersendung, die die “Bild”-Redaktion zusammengezimmert hat, aber passend ist das Wort nicht.

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“Bild” hat Hanaus Bürgermeister Claus Kaminsky am Telefon. Er sagt:

Meine Aufgabe sehe ich im Moment eher, dafür zu plädieren, dass wir Ruhe und Besonnenheit an den Tag legen. Und auch wildes Spekulieren, in welche Richtung auch immer, hilft uns im Moment überhaupt nicht weiter.

In welche Richtung ein solche Hinweis wohl zielt? Moderator Wedel will dann gleich Informationen zu den Opfern. Kaminsky sagt, dass er lieber verlässliche Informationen der Polizei abwarten will.

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Reporter Tobias Bayer ist wieder dran:

Ich habe mich ein bisschen weiterbewegt. Hier hinter mir sieht man direkt die gelbe Wand. Ich weiß nicht, ob man es im Dunklen so gut erkennen kann. Da ist wohl die Shisha-Bar, um die es gehen soll. Man sieht sogar eine Aufschrift: […]. Eine kleine Leuchtreklame “Open” leuchtet da. Dieses “Open” gilt nun natürlich nicht mehr.

Moderator Moritz Wedel fragt schon wieder: “Was ist das für ein Viertel, für ein Stadtteil dort, wo sich der Tatort befindet?”

Bayer antwortet:

Hanau ist eine relativ beschauliche Stadt in Hessen. Natürlich bekannt auch ein bisschen für die relativ hohe Kriminalität. Ähnlich wie Offenbach oder Darmstadt gibt es hier gewisse Milieus und soziale Schichten hier. Ich würde mal von einer nicht gutbürgerlichen Stadt sprechen, sonder eher eine etwas prekärere Lage vor Ort und in den Stadtteilen eher eine höhere Arbeitslosigkeit und deswegen sozial eine eher schwache Stadt. Aber die Menschen sind trotzdem irritiert, dass das in ihrem Hanau passiert ist.

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“Bild”-Redakteur Florian von Heintze steht im “Bild live”-Studio. Er sagt: “Die Täter oder der Täter, man kann aber von mehreren Tätern wohl ausgehen, sind flüchtig.”

Und:

Es hat sich noch nicht bestätigt, dass es sich bei der Auseinandersetzung oder bei den Angriffen, muss man schon sagen, auf diese Bars um Auseinandersetzungen im kriminellen Milieu gehandelt hat. Es war zunächst auch die Rede von möglichem rechtsextremen Hintergrund. Das ist aber auch alles noch Spekulation. Es verdichten sich allerdings dann doch wohl die Hinweise darauf, dass es eher im kriminellen Milieu sich abspielt das Ganze.

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Nun erzählt wieder Reporter Tobias Bayer über den möglichen Hergang am Tatort, an dem er gerade steht. Seine Ausführungen beendet er mit: “Aber all das bisher unbestätigte Informationen, ganz wichtig, reine Spekulation.”

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Moderator Wedel will wieder über die Hintergründe sprechen:

Tobi, jetzt ist natürlich die Frage: Welche Hintergründe könnten diese Taten haben? Ist es ein Verbrechen im Milieu? Ist es ein Anschlag aus dem rechten Lager? Was glauben oder was fühlen die Menschen zumindest vor Ort? Glauben oder wissen kann man ja zu dieser Stunde wohl kaum sagen, aber was hörst Du so? Das hat ja auch viel damit zu tun, in welchem Milieu sich diese Straße, dieser Bereich der Stadt befindet.

Bayers Antwort:

Es gab hier die Angst, dass es sich um einen rechtsradikalen, einen rechtsextremen Anschlag handeln könnte, weil eben zwei Shisha-Bars oder Bars mit Shisha-Konsum aufgesucht wurden, wo ja vermehrt auch immer Menschen sind mit, muslimische Menschen öfters auch vorzufinden sind. Aber die meisten Spekulationen, die ich bisher wahrnehmen konnte, gehen eher in die Richtung, dass es sich um eine Milieutat handeln könnte. So soll es sich bei den Tätern mutmaßlich um Russen handeln.

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Die Redaktion zeigt ein Video, auf dem Schüsse des Täters zu hören sein sollen. Moderator Wedel mutmaßt, dass dort “offensichtlich Sanitäter” zu sehen sind, und sagt:

Das Ganze noch nicht verifiziert, aber so verbreiten sich die Videos im Netz jetzt nach dieser schrecklichen Tat und geben einen Einblick auf das, was passiert sein könnte in Hanau

Und “Bild” verbreitet mit.

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Der beste, vielleicht einzige journalistische Moment der “Bild live”-Sendung: Auf die Frage, was er zu einem angeblich gefassten Täter berichten kann, antwortet Reporter Tobias Bayer:

Dazu liegen mir momentan noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Der Polizeisprecher ist noch nicht vor Ort, der Pressesprecher der Polizei, der macht sich gerade hier auf den Weg. Und sobald ich den bekommen kann, werde ich das versuchen, dass wir auch mit ihm sprechen können.

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Frank Schneider ist noch mal dran. Moderator Moritz Wedel will von ihm wissen, “in welchem Milieu” sich die Tat abgespielt haben könnte. Schneider:

Ja, wie ich vorhin schon gesagt habe: Das Milieu kann eigentlich nur sein, dass es möglicherweise um Delikte geht im Drogenmilieu oder es geht um Schutzgelderpressung. Was genau die Hintergründe sind, kann man natürlich momentan noch nicht sagen, weil man nicht weiß, was in diesen Bars genau passiert, welche Kundschaft dort verkehrt, was es für Vorfälle vielleicht in jüngster Vergangenheit gab. Das muss man jetzt im Einzelnen klären.

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Das war’s dann auch.

Natürlich ist es leicht, im Nachhinein schlauer zu sein und zu wissen, dass es nicht “Russen” waren, die da geschossen haben; dass es nicht um “Schutzgeld” oder ums “Drogenmilieu” ging; dass man nicht “von mehreren Tätern wohl ausgehen” kann. Es wäre aber auch leicht, nicht so viel zu spekulieren, wenn man noch nicht so schlau ist. Und vor allem wäre das verantwortungsvoll.

Stattdessen aber kritisieren “Bild”-Mitarbeiter wie Paul Ronzheimer die öffentlich-rechtlichen Sender, die den Ereignissen nicht mit Live-Sendungen hinterherhecheln und mit ihrer Breaking-News-Raterei Falschinformationen verbreiten. Auf die Kritik, dass es bei “Bild” lediglich “pure Spekulation zum Tathintergrund im Livestream” gebe und dass das “kein seriöser Journalismus” sei, antwortete Ronzheimer, dass er diesen ganzen, oben protokollierten Murks für eine tolle Sendung hält:

Sehe ich anders, das war eine hochprofessionelle Sendung, u.a. mit Augenzeugen und Live-Interview des Bürgermeisters.

Weist man ihn dann darauf hin, dass seine Redaktion “hochprofessionell” über völlig falsche Tatmotive spekuliert, entgegnet Ronzheimer nur:

BILD war das erste Medieum, das über den rechtsradikalen Hintergrund berichtet hat heute morgen.

Es ist zu befürchten, dass er das tatsächlich für ein gutes Argument hält.

  • Drüben bei “Übermedien” spricht Stefan Niggemeier die Parallelen zur Berichterstattung über eine Mordserie an, die sich später als die Morde des NSU entpuppten. Außerdem hat er einen Worst-of-Zusammenschnitt der “Bild live”-Sendung erstellt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Keine Neonazis auf den Titel, Corona-Rassismus, Menschenrechtler Melzer

1. Ich war sehr gerne beim SPIEGEL und schätze die Kolleginnen und Kollegen sehr. Dennoch …
(twitter.com, Hasnain Kazim)
Der Autor, Journalist und ehemalige “Spiegel”-Korrespondent Hasnain Kazim kritisiert das aktuelle Höcke-Cover des Nachrichtenmagazins: “1. Wir heben keinen Neonazi auf den Titel, denn das normalisiert diese Leute, macht sie gesellschaftsfähig. 2. Bernd Höcke ist weder ein Dämon noch ein Demokrat. Sondern er ist einfach ein mieser kleiner Faschist. 3. Es ist nicht erst der ‘Flirt mit Höckes AfD’, der die Republik vergiftet, sondern die Tatsache an sich, dass Neonazis seit mittlerweile Jahren als akzeptable Stimme im demokratischen Meinungsspektrum gesehen werden. Aber wer Menschen wie mir wegen meiner Hautfarbe vorwirft, zum ‘schleichenden Volkstod der Deutschen’ und zum ‘Bevölkerungsaustausch’ beizutragen, bewegt sich weit jenseits des zivilisierten Miteinanders. 4. Wir heben keine Neonazis auf den Titel.”
Weiterer Lesehinweis: Der ehemalige “Spiegel”-Kolumnist Georg Diez schließt sich dem an: “Ich sehe das wie @HasnainKazim, ich war auch gern beim Spiegel, aber das, nach dieser Woche, als Belohnung für einen Faschisten, zeigt, wie wenig selbst Menschen in den Medien verstehen oder verstehen wollen, wie Medien, mediale Kommunikation, die mediale Demokratie funktioniert.”

2. Der Mann, der in Assange ein Folteropfer sieht
(sueddeutsche.de, Isabel Pfaff)
Wer ist dieser Nils Melzer, der als UN-Rechtsexperte neulich so deutliche Worte zum Fall des in Großbritannien inhaftierten Julian Assange fand? Isabel Pfaff schreibt über einen Diplomaten und Menschenrechtsexperten, der wohltuend undiplomatisch für Aufklärung sorgt — auch wenn ihn die Staaten immer wieder ohne echte Antworten abspeisen wollen.

3. Marietta Slomka ist unangenehm – und damit ein Vorbild
(dwdl.de, Hans Hoff)
Medienkolumnist Hans Hoff wünscht sich mehr TV-Moderatorinnen und -Moderatoren wie Marietta Slomka (“heute-journal” im ZDF). Sie sei auf positive Weise “unangenehm, weil sie schlicht und einfach zeigt, wie es zu gehen hat, wenn man als Anchor-Frau einer Nachrichtensendung vorsteht, die mehr will als nur Oberfläche abbilden. Das aber wirft ein trübes Licht auf ihre Mitbewerber. Schließlich stellt sich angesichts der vielen packenden Interviews, die Marietta Slomka führt, schon die Frage, warum das immer nur bei ihr so aufsehenerregend wirkt. Wer kann sich an das letzte wirklich kontroverse Gespräch bei den ‘Tagesthemen’ erinnern? Gab es das? Und wenn ja, warum ist es nicht im Gedächtnis geblieben?”

4. Facebook und Twitter wollen Pelosi-Fake-Video nicht entfernen
(spiegel.de)
Nachdem Donald Trump ein bösartig und irreführend zusammengeschnittenes Video über Oppositionsführerin Nancy Pelosi gepostet hat, verlangt diese von Twitter und Facebook die Löschung. Die Plattformen kommen dem jedoch nicht nach. Der Fall berührt mal wieder die Frage nach der Verantwortung der Sozialen Medien.

5. Rassismus in Corona-Nachrichten: “China ist keine Krankheit”
(derstandard.at, Doris Priesching)
In den Nachrichten über das Coronavirus gebe es oft verdeckten Rassismus, so die in Berlin lebende Autorin und Filmemacherin Sun-Jo Choi: “Viele Bilder, Titel und Aufmacher der letzten Tage spielen mit dem alten Bild der ‘gelben Gefahr aus dem Osten’. Da schlummert ein Rassismus, der aus kolonialen Zeiten des 19. Jahrhunderts stammt. Es wird suggeriert, dass alle Asiatinnen und Asiaten als infiziert gelten. Das ist eine rassistische Annahme.”

6. Und der Oscar für den meisten Dank geht an …
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Wem wurde bei den Oscars am häufigsten gedankt? Aufopferungsvoll ist Mats Schönauer dieser Frage nachgegangen und hat sich unzählige Dankesreden angehört. Das Resultat sind zwei toll aufbereitete Grafiken und ein überraschendes Ranking.

Coronavirus-Berichterstattung, Falscher Preis, “Spiegel”-Standards

1. Die “gelbe Gefahr” ist zurück
(welt.de, Maximilian Kalkhof)
Mit deutlichen Worten kritisiert Maximilian Kalkhof Teile der Berichterstattung über das Coronavirus: “Vorsicht vor dem Virus ist das eine. Sie ist angebracht. Aber Diskriminierung von Menschen, die asiatisch sind oder asiatisch aussehen, ist das andere. Sie ist widerwärtig.”
Weiterer Lesehinweis: Zu einer ähnlichen Feststellung kommt Kira Ayyadi bei Rassismus gegen Asiaten (belltower.news): “Spätestens seitdem das Coronavirus auch in Deutschland gemeldet wurde, tritt der Rassismus gegen Asiat*innen und asiatisch aussehende Menschen so deutlich zutage wie selten. Selbst Medien beteiligen sich an der Stigmatisierung von Menschen nur wegen ihres Aussehens. Das kann für Betroffene ernst zu nehmende Folgen haben.”

2. Die verschenkte Dekade der Tageszeitungen
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz ist sich sicher: “Der Kampf um die Zukunft ist für die meisten Tageszeitungen in Deutschland endgültig verloren.” Das Unangenehme: Man kann ihm nicht leicht widersprechen. Jakubetz ist ein langjähriger Medienbeobachter und hat gute Argumente für seine These.

3. Die Antworten sind vernünftig, die Fragen nicht
(spiegel.de, Nils Minkmar)
“Bild”-Chef Julian Reichelt will in einem neuen Talk-Format (“Hier spricht das Volk”) mit “ganz normalen Menschen” ins Gespräch kommen. Das geht schief, wie Nils Minkmar findet. Reichelts Gäste würden sich einfach nicht empören wollen: “Selbst das Thema Geflüchtete bringt nicht die üblichen Erregungszustände. Eine junge Frau bemerkt, sie sei selbst als Flüchtling aus Russland nach Deutschland gekommen und eine andere meint, wir sollten uns glücklich schätzen, in der Lage zu sein, den armen Menschen helfen zu können. Die Antworten sind also vernünftiger als die Fragen. Darin liegt der konzeptionelle Fehler der Sendung: Das Volk kommt zu Wort, nachdem Julian Reichelt es ihm erteilt hat, um auf eine Frage zu antworten, die ihn interessiert und solange sie ihn interessiert — und das ist arg kurz.”
PS: “Hier spricht das Volk” hat übrigens die absolut gelungene Website hiersprichtdasvolk.de, hihi. PPS: Danke dafür an @schmidtlepp!

4. Nach Relotius: Neue journalistische Standards beim “Spiegel”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Ein Jahr nach Relotius hat sich der “Spiegel” neue Standards (PDF) verpasst. Der neue journalistische Leitfaden ist 74 Seiten lang und sei von insgesamt 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erarbeitet worden.

5. Lieber die taz digital lesen, statt von der taz abgehängt zu sein
(blogs.taz.de, Andreas Bull)
Bei der “taz” macht sich der digitale Wandel samt seiner logistischen Herausforderungen für das Printprodukt bemerkbar. Noch könne die gedruckte “taz” überall im Land zugestellt werden, doch das werde nicht mehr lange der Fall sein: “Wir ahnen, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis (…) sich dann weiße Flecken auf der Landkarte ausbreiten, in denen die taz nicht mehr gelesen werden könnte. Was können die Leute im Thüringer Wald dafür, wenn ihnen weder Post noch lokaler Trägerdienst die taz in den Briefkasten bringen will?”

6. Rassistische Journalistin flog für falschen Preis nach Prag
(kurier.at)
Die Journalistin Katie Hopkins hetzt bevorzugt gegen Muslime, Homosexuelle und Feministinnen und hat es damit in Großbritannien zu trauriger Berühmtheit gebracht. Nun hat sie ein südafrikanischer Youtuber gefoppt und zu einer angeblichen Preisübergabe in ein Prager Luxushotel gelockt: “Als sie den Preis annahm, leuchtete auf einer Leinwand hinter Hopkins der Schriftzug ‘Campaign to Unify the Nation Trophy’ mit gefetteten Initialen auf. Die Abkürzung ‘Cunt’ ist auf Englisch eine üble sexistische Beleidigung.” Hier der Videomitschnitt der würdevollen Verleihung (youtube.com, 10:10 Minuten).

“Bild plus” ist kein Gewinn

Seit ein paar Wochen versuchen die “Bild”-Medien, ihre Leserinnen und Leser zu Wettsüchtigen zu Profi-Wettern zu machen. Vor allem einer soll dabei helfen: “Quotenwilly”. In einem Artikel hat die Redaktion erklärt, wie dieser Mann “mit Sport-Wetten 20.000 Euro im Monat” verdient. In einem anderen verriet “Quotenwilly”: “Mit diesen fünf Schritten wurde ich zum Wett-Profi”. Und dann gab es noch die “TRICKS & TABUS VON QUOTENWILLY” mit dem “häufigsten Fehler beim Wetten”.

Seit gestern dürfte klar sein, dass der allergrößte “Fehler beim Wetten” ist, auf Tipps zu vertrauen, die bei Bild.de erscheinen:

Screenshot Bild.de - Quotenwilly - Meine Tipps für Bayern München gegen Borussia Dortmund

Alle* Drei der fünf Wetten, die “Quotenwilly” und die Redaktion zum Spitzenspiel in der Bundesliga zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund ausgetüftelt haben, gingen in die Hose:

Screenshot Bild.de - Wette: Dortmund verliert nicht

Geld futsch. Die Dortmunder verloren das Spiel gestern Abend.

Screenshot Bild.de - Wette: Unter 3.5 Tore im Spiel

Geld futsch. Die Münchner gewannen 4:0 — also über 3.5 Tore im Spiel.

Screenshot Bild.de - Wette: Mehr als 3.5 Gelbe Karten

Geld futsch. Es gab insgesamt nur drei Gelbe Karten.

Screenshot Bild.de - Wette: Plus 4.5 Ecken für den BVB

Geld futsch. Der BVB bekam nur eine Ecke.** Diese Wette ging auf.

Besonders interessant ist die fünfte Wette, bei der das eingesetzte Geld ebenfalls futsch gewesen wäre, wenn man entsprechend getippt hätte*: Man findet sie nicht mehr in dem Bild.de-Artikel. Dabei schaffte sie es anfangs sogar noch in die Überschrift:

Screenshot Bild.de - Er macht 20.000 Euro pro Monat mit Wetten - Warum ich auf Alcacer-Tore setze

Nun wird sie in dem Beitrag überhaupt nicht mehr erwähnt. Vielleicht war es für eine Redaktion, die sich beim Thema Fußball selbst gern als die am besten informierte inszeniert, dann doch etwas zu peinlich, dass der empfohlene Torschütze Paco Alcácer gar nicht von Anfang an spielte und erst in der 61. Minuten eingewechselt wurde.

Die Anleitung zum Geldverlieren gab es übrigens nur für zahlenden “Bild plus”-Kunden. Oder anders gesagt: Bei Bild.de muss man erst für ein Abo Geld aus dem Fenster werfen, um erfahren zu können, wie man beim Wetten am besten Geld aus dem Fenster werfen kann.

Gesehen bei @fums_magazin. Mit Dank an @Badener21 und @marcozahn für die Hinweise!

*Korrektur, 11. November: Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass die Wette auf Paco Alcácer als Torschütze so konstruiert ist, dass sie nur zählt, wenn der jeweilige Spieler von Anfang an auf dem Platz steht. Tut er das nicht, gibt es den Wetteinsatz zurück — das Geld wäre also nicht futsch, wie von uns fälschlicherweise behauptet.

Mit Dank an Christian L., Sebastian und @crimsonceo für die Hinweise!

**Korrektur 2, 11. November: Den Wett-Tipp mit den BVB-Ecken haben wir offenbar falsch verstanden: Gemeint soll eine sogenannte Handicap-Wette gewesen sein — und nicht eine sogenannten Over/Under-Wette, was wir angenommen hatten. Handicap-Wette bedeutet in diesem Fall: Man wettet darauf, dass der BVB am Ende des Spiels insgesamt mehr Ecken hat als der FC Bayern München, wenn man ihm virtuelle 4,5 Ecken hinzurechnet. Da Borussia Dortmund eine Ecke hatte (mit den virtuellen 4,5 Ecken also 5,5 Ecken) und Bayern München zwei Ecken, ist dieser Wett-Tipp tatsächlich aufgegangen.

Wir bitten, die zwei Fehler zu entschuldigen.

Auch wenn nicht, wie wir anfangs geschrieben haben, alle fünf Wetten in die Hose gingen, sondern drei, finden wir es weiterhin recht problematisch, dass eine Redaktion mit einer so enormen Reichweite wie Bild.de ihre Leserschaft mit Wett-Tipps versorgt — und das alles eingebettet in eine Geschichte eines Mannes, der im Monat 20.000 Euro mit Wetten verdienen soll. Dass auch die Redaktion von einer gewissen Gefahr auszugehen scheint, zeigt ein Hinweis ganz am Ende desselben Artikels:

Spielsucht? Hier bekommen Sie Hilfe!

Wenn Sie Probleme mit Spielsucht haben oder sich um Angehörige oder Freunde sorgen, finden Sie Hilfe bei der “Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung”. Unter der kostenlosen Hilfe-Hotline 0800 1 37 27 00 erhalten alle Informationen zu Hilfsangeboten rund um das Thema Spielsucht!

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