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Prince Charming

Prinz Harry, Dritter der britischen Thronfolge und von den Boulevard-Medien gern als arger Hallodri beschrieben, weilt ob seiner Pilotenausbildung derzeit im Städtchen Gila Bend in Arizona.

Die britische “Daily Mail”, als Quelle für seriöse Berichterstattung in etwa so tauglich wie die gesammelten Grimm’schen Märchen, berichtete vergangene Woche, der Prinz sei dort etwas reserviert empfangen worden:

Ron Henry, Bürgermeister der 1.700-Seelen-Gemeinde, in der viele Einwohner streng gläubige Christen sind, sagt, Harry solle aufpassen, da ihm sein Ruf als Frauenheld vorauseilt.

“Hier gibt es bestimmt einige Väter, die zu extremen Mitteln greifen würden, um ihre Töchter zu beschützen”, sagte Mr. Henry, 64. “Einige der Väter würden nicht zimperlich mit einem Prinz umspringen, der sich des Nachts vergnügt.”

(Übersetzung von uns.)

Mal mit, mal ohne Nennung der Quelle “Daily Mail” hat sich diese Geschichte in den vergangenen Tagen auch in deutschsprachigen Medien verbreitet — zugegebenermaßen vor allem in solchen, die mit der Seriosität von Grimms Märchen nicht wirklich mithalten können: RTL.de, “Focus Online”, blick.ch, mopo.de oder der “Berliner Kurier” hatten darüber berichtet.

Die Geschichte verliert allerdings ein wenig dadurch, dass die Stadtverwaltung von Gila Bend schon am Tag, als der Artikel in der “Daily Mail” erschienen war, die angeblichen Zitate des Bürgermeisters brüsk zurückgewiesen hatte:

Unglücklicherweise hat die “Daily Mail” am 7. November 2011 eine schäbige und erfundene Geschichte aufgeschrieben. Bürgermeister Henry erklärte: “Ich bin tief betrübt, dass die “Daily Mail” Bemerkungen nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern auch vollständig erdichtet hat. Tatsächlich waren die negativen Bemerkungen die Worte des Reporters, der sich entschieden hat, eine Geschichte lieber aufzubauschen und zu erfinden, als die Wahrheit zu berichten. Ich würde niemals solche seltsamen Äußerungen machen. Wir haben enormen Respekt und Verehrung für Prinz Harry und die königliche Familie. Wir sind aufgeregt, stolz und geehrt, ihn in unserer Gemeinde zu haben, und wir werden alles dafür tun, dass sein Aufenthalt so angenehm wie möglich wird.”

(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an Konstantin K.

Schöner Einbrechen bei Facebook

Es ist eine beunruhigende Meldung, die Bild.de da verbreitet:

Facebook-Zahlen: Hacker knacken 600.000 Konten pro Tag

Die Meldung, die auch auf anderen Nachrichtenwebsites zu finden ist, stammt von der Nachrichtenagentur Global Press, die schreibt:

“Problemfälle” heißen sie offiziell bei Facebook – jeden Tag werden 600 000 Nutzer Opfer eines Identitätsdiebstahls, weil Hacker ihre Konten bei Facebook übernehmen.

Diese Zahl hat das größte soziale Netzwerk nun in einem Blog-Eintrag öffentlich gemacht und zugleich relativiert. Nur 0,06 Prozent aller täglichen Anmeldungen bei Facebook seien illegale Logins, da man jeden Tag rund eine Milliarde Zugänge zu registrierten Konten verzeichne. Das Netzwerk hat weltweit 800 Millionen Mitglieder.

Gehen wir mal der Reihe nach vor: Das Wort “Problemfälle” taucht in der Mitteilung von Facebook, die sich im wesentlichen um neue Sicherheits-Funktionen dreht, gar nicht auf. Auch die Zahl von 600.000 stammt nicht von Facebook selbst, sondern von verschiedenen Medien, die sie auf Grundlage einer Infografik von Facebook ausgerechnet hatten. Das war übrigens schon vergangenen Freitag, also in Internet-Zeit vor ein paar Monaten.

Das Wichtigste aber: Die Zahl von 600.000 steht nicht für geknackte Konten, sondern für die Versuche, Facebook-Konten zu knacken. Vereitelte Versuche, wohlbemerkt.

msnbc.com führt dazu aus:

Der Facebook-Blogeintrag enthält eine Infografik, die die erfolgreichen Bemühungen des Netzwerks darlegt, Spam, Konto-Entführungen und andere Übel zu bekämpfen. Darin sagt Facebook, dass nur “nur 0,06% der mehr als 1 Milliarde Logins pro Tag kompromittiert” seien. Die Seite sei in der Lage, die Anzahl der gestohlenen oder anderweitig gefährdeten Logins genau zu bestimmen, denn sie fordere die Möchtegern-Hacker mit zusätzlichen Authentifizierungsfragen heraus, indem sie Benutzer etwa bitte, Freunde auf Fotos zu identifizieren, sagte Sprecher Barry Schnitt.

“Das bedeutet, dass wir 600.000 mal am Tag einen Bösewicht davon abhalten, Zugriff auf ein Konto zu erhalten, obwohl er die Login-Daten und das Passwort eines Kontos erraten, ergaunert oder gestohlen hat”, sagt Schnitt. “Darauf sind wir sehr stolz.”

Eine unbekannte weitere Anzahl von Hack-Versuchen sei erfolgreich, sagte Schnitt, um hinzufügen, dass es sich dabei um “einen extrem geringen Prozentsatz” von Konten handle.

(Übersetzung von uns.)

Korrekterweise müsste die Überschrift also nicht “Täglich werden 600 000 Facebook-Konten geknackt” lauten, sondern “Täglich werden 600 000 Facebook-Konten nicht geknackt”. Denn die Anzahl der tatsächlich geknackten Konten kennt nicht mal Facebook. Sagen sie dort.

Mit Dank an Andreas N. und Josef Sch.

Sehen alle gleich aus (4)

Sehen alle gleich aus

Was liest man nicht so alles über die Promis dieser Welt: So ist seit vergangener Woche auf rtl.de zu lesen, dass die bekannte amerikanische Schauspielerin Lucy Liu in der Talkshow “The View” über ihre Fehlgeburt gesprochen habe.

Lucy Liu: "Ich hatte eine Fehlgeburt"

Tatsächlich handelte es sich aber nicht um Lucy Liu, sondern um die Journalistin Lisa Ling, die früher selbst Co-Moderatorin von “The View” war. Die erwähnte Folge der Talkshow wurde am vergangenen Dienstag (7. Dezember) aufgezeichnet am Freitag (10. Dezember) ausgestrahlt.

Lucy Liu war also weder schwanger, noch hatte sie eine Fehlgeburt erlitten. Auch der ihr von rtl.de zugedachte Ehemann Paul Song ist in Wahrheit der Gemahl von Lisa Ling, Lucy Liu selbst ist nicht einmal verheiratet. rtl.de verweist auf die Webseite “Secret Society of Women”, die Lucy Liu aufgrund ihrer Erfahrungen durch die Fehlgeburt mitbegründet haben soll, bemerkt jedoch nicht, dass auf dieser Seite nur von Lisa Ling die Rede ist. Immerhin das Alter stimmt — also das von Lucy Liu natürlich.

rtl.de ist das erste Medium im deutschsprachigen Raum (bzw. überhaupt), das die falsche Nachricht verbreitete, aber nicht das Einzige: Am 9. Dezember stiegen bunte.de und promiflash.de ein, am 10. Dezember schrieb auch blick.ch von Lucy Lius angeblicher Fehlgeburt. bunte.de machte aus der TV-Talkshow “The View” gleich “The Viewer”.

Dabei wäre die Fehlgeburt Lisa Lings hierzulande höchstwahrscheinlich keine Nachricht wert gewesen, da Ling im Gegensatz zu Lucy Liu in Deutschland weitgehend unbekannt ist. Verwechselt werden die beiden aber auch in den USA: In einer Ausgabe von “The View” erklärte Co-Moderatorin Star Jones deshalb den Unterschied zwischen beiden.

Mit Dank an Marlene H.

Nachtrag, 18.40 Uhr: rtl.de hat die Meldung ersatzlos gelöscht. Auf den anderen Seiten ist sie noch zu finden.

Nachtrag, 21. Dezember: promiflash.de hat seine Meldung auf Lisa Ling umgeschrieben.

Aus einer Mücke einen Bayern-Trainer machen

Luca Toni, Mittelstürmer beim FC Bayern, hat in seiner italienischen Heimat ein Interview gegeben. Natürlich ging es dabei auch um die Situation beim FC Bayern und die Diskussion um dessen Trainer Jürgen Klinsmann. Also fragte der Interviewer den Fußballer, wie es denn weitergehe in München, dass es Gerüchte über potentielle Nachfolger gebe und dabei auch der Name eines italienischen Trainers gefallen sei — ob er denn dazu etwas sagen wolle.

So richtig wollte Toni anscheinend nicht, denn sein erster Satz in der Antwort lautet:

“Nein, ich weiß nicht, was passieren wird. Jetzt werden wir sehen, ob sie [die Bayern] mit Klinsmann weiter machen wollen.”

Danach sagt er etwas, was vermutlich sogar jeder Fußball-Laie unterschreiben würde:

“Ich denke, es wird viel vom Ende der Saison abhängen. Dann wird der Verein sehen.”

Und schließlich sagt er noch, so diplomatisch wie es eben geht, über den durchaus renommierten Trainer und Landsmann Mancini folgendes:

“Es ist klar, wenn ein italienischer Trainer kommen würde — so gut wie Mancini — ich denke, es kann dem Ganzen nur gut tun und auch den Bayern!”

Man würde also dem Interview nicht unrecht tun, wenn man es so zusammenfassste: Luca Toni weiß nicht, wie es in der Trainerfrage in München weitergeht. Und er hält Italiener im Allgemeinen und Mancini generell für gute Trainer (was keine sonderlich exotische Meinung ist).

Das liest sich indessen aktuell in vielen deutschen Medien ganz anders. “Bild”, dem Bayern-Trainer in herzlicher gegenseitiger Abneigung verbunden, titelt:

Luca Toni spricht schon über Klinsis Nachfolger

Konsequenterweise lässt Bild.de die User aktuell schon mal über den bevorzugten neuen Bayern-Trainer abstimmen. Die Möglichkeit, für Klinsmann zu votieren, ist dabei erst gar nicht vorgesehen.

Die ‘Bild”-Überinterpretation wird eifrig übernommen:: Bei T-Online behauptet man, Toni habe sich “bereits Gedanken über einen Nachfolger gemacht” und “empfiehlt einen italienischen Landsmann”. Bei sport1.de geht man sogar soweit zu behaupten, Toni habe Mancini als “Ideallösung genannt” (das behauptet nicht mal “Bild”). Und schließlich geriet Toni sogar “ins Schwärmen”, als er auf Mancini angesprochen wurde, zumindest dann, wenn man sport.de (rtl.de) glaubt.

Ziemlich untergegangen ist in der Toni-schwärmt-von-Mancini-Euphorie, dass sich auch noch ein anderer Spieler des FC Bayern zu Wort gemeldet hat. In der “Süddeutschen Zeitung” steht heute:

“Klinsmann macht derzeit eine schwere Phase durch. Die ganzen Attacken treffen ihn persönlich, aber auch uns Spieler und den gesamten Verein (…) In den letzten sieben Partien werden wir uns für ihn zusammenreißen. Um deutscher Meister zu werden, müssen wir alle zusammenhalten.”

Der Spieler heißt übrigens Franck Ribéry.

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