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Wo ein Willis ist, ist auch eine Story

Wer sich im Internet irgendwo anmeldet, bekommt häufig einen Text vorgelegt, der ausgedruckt in etwa die Ausmaße des Telefonbuchs von Chicago aufweisen würde. Solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind in der Regel so lang und sprachlich so ermüdend, dass es gut sein kann, dass man einem Anbieter sein Erstgeborenes abtritt oder der Zerstörung des Planeten Merkur zustimmt, wenn man blindlings einfach auf “OK” klickt.

Der Schauspieler Bruce Willis hat aber, wenn man Medienberichten trauen darf, offenbar irgendwie die Geschäftsbedingungen des iTunes Store, dem Musikportal des Unterhaltungsgeräteherstellers Apple, durchgearbeitet und dabei festgestellt, dass er seinen Töchtern im Falle seines Ablebens gar nicht seine digitale Musiksammlung vererben könnte. Seitdem ist er auf einer Mission, um für die Freiheit der iTunes-Nutzer und gegen Apple zu kämpfen.

Man darf diesen Medienberichten natürlich nicht trauen, auch wenn stern.de ein bisschen naiv referiert:

Das berichten übereinstimmend die britischen Boulevardzeitungen “The Sun” und “Daily Mail”.

Die “Sun” und die “Daily Mail” sind als Quellen ungefähr so seriös wie der Freund des Schwagers einer Arbeitskollegin oder das nordkoreanische Staatsfernsehen.

Die “Daily Mail” schrieb zum Beispiel am Sonntag:

Bruce Willis sieht man eigentlich eher, wenn er Explosionen entkommt und Terroristen bekämpft, um die Welt zu retten.

Sein letzte Kampf allerdings führt ihn in die deutlich leisere Welt des Gerichtssaals — obwohl er sich immer noch einem beeindruckenden Gegner stellt.

Es heißt, der Hollywood-Actionheld überlege, juristisch gegen den Technologiegiganten Apple vorzugehen, weil er seinen Töchtern seine digitale Musiksammlung hinterlassen möchte.

(Übersetzung von uns.)

Das klingt so vage, dass die “Daily Mail” das Gleiche vermutlich über jede andere Person hätte schreiben können, ohne dass sie dabei unkonkreter hätte werden müssen.

Die “Daily Mail” schreibt von verschiedenen Plänen, mit denen Willis “angeblich” sein Vorhaben umsetzen will. Aber woher sie ihre angeblichen Informationen hat, das schreibt sie nicht.

Das einzige wörtliche Zitat im Artikel stammt dann auch gar nicht von Bruce Willis:

Anwalt Chris Walton sagte: “Viele Leute werden überrascht sein, wenn sie erfahren dass all die Lieder und Bücher, die sie über die Jahre gekauft haben, ihnen tatsächlich gar nicht gehören. Es ist ganz natürlich, dass man sie an eine nahestehende Person weitergeben will.”

(Übersetzung von uns.)

Diesen Chris Walton zitiert auch die “Sun”. Außerdem hat sie herausgefunden, dass Willis’ Downloads “Berichten zufolge Klassiker von den Beatles bis zu Led Zeppelin enthalten”.

An dieser Stelle hätte man stutzig werden und sich fragen können, warum die Musiksammlung eines 57-Jährigen eigentlich so viele Downloads mit der Musik seiner Jugend enthalten soll — das dürfte Willis doch noch alles auf Vinyl oder CD haben.

Aber warum nachdenken, wenn “Sun” und “Daily Mail” übereinstimmend über den Fall schreiben?

Bild.de:
WEIL ER SEINE MUSIKSAMMLUNG VERERBEN MÖCHTE: Bruce Willis legt sich mit Apple an

krone.at:
Bruce Willis fordert mehr Rechte an Musiksammlung

oe24.at:
Bruce Willis will iTunes von Apple verklagen

kurier.at:
Bruce Willis will Apple wegen iTunes klagen

heute.at:
Wegen iTunes: Bruce Willis will Apple verklagen

20min.ch:
Verklagt Bruce Willis Apple — wegen iTunes?

“Focus Online”:
Rechtsstreit um iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis will Apple verklagen

“Focus Online” hatte es sogar geschafft, sich nicht auf “Sun” und/oder “Daily Mail” zu berufen, sondern auf das Trashmeldungaufbereitungsportal pressetext.com, wo sie den britischen Anwalt, den die “Daily Mail” (etwas undeutlich) als Experten befragt hatte, gleich zu “Willis’ Rechtsanwalt” gemacht hatten.

Dann passierte gestern etwas Unvorhergesehenes: Ein Twitter-User gab Bruce Willis’ Ehefrau Emma einen Rat, wie er seinen Töchtern ganz leicht den Zugang zu den iTunes-Songs sichern konnte — und Emma antwortete schlicht, die ganze Geschichte sei gar nicht wahr:

Einige Medien wie stern.de, 20min.ch und zdnet.de aktualisierten daraufhin ihre Artikel, andere wie “Focus Online” veröffentlichten einfach einen weiteren Artikel zur Frage, was eigentlich nach dem Tod mit der iTunes-Bibliothek passiert.

Wiederum andere Medien wie “Welt Online” veröffentlichten nach dem Dementi heute einfach irgendwelche feuilletonistischen Aufsätze, als sei nichts geschehen:

Warum Bruce Willis Apple verklagen will: Der Actionstar will seine Musiksammlung einmal vererben. Doch nach seinem Tode gehören die Dateien wieder Apple. Nun erwägt Bruce Willis eine Klage. Sein Tun ist von erhabener Sinnlosigkeit.

Am Nachmittag brachte “Welt Online” dann dieses “Update”:

Update: Inzwischen hat sich die Ehefrau von Bruce Willis, Emma Heming-Willis, bei Twitter zu Wort gemeldet und die Meldung, Bruce Willis würde Apple verklagen wollen, wörtlich als “nicht wahre Geschichte” bezeichnet.

“Inzwischen” im Sinne von “gestern”.

Charles Arthur hat die Geschichte der offensichtlichen Falschmeldung für das Technikblog des “Guardian” aufgeschrieben und hat eine gleichermaßen alberne wie plausible Erklärung:

Lasset also die Suche für den Ursprung dieser Geschichte beginnen. Es gibt einen Artikel vom 23. August auf Marketwatch, der eine seltsame Ähnlichkeit aufweist — aber es gibt dort keine Erwähnung einer Anfechtungsklage. Es geht nur um Nachlässe und Testamente (“Estates and Wills”).

Was uns zum erschaudernden Innehalten bringt: könnte es sein, dass jemand die Erwähnung von “Estates and Wills” sah und dachte, es seien “estates and Willis”?

(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 18.10 Uhr: Am späten Nachmittag, als die Geschichte so richtig schön “durch” war, legte die “Financial Times Deutschland” in ihrem Internetauftritt nach:

iTunes-Musiksammlung: Bruce Willis trickst Apple aus

Der Text erzählt die bekannte Mär, nach der Bruce Willis Apple verklagen wolle, und endet mit diesem bemerkenswerten Absatz:

Seine Ehefrau Emma Heming ließ auf Twitter zwar dementieren, Willis selbst wolle Apple verklagen. Ein User schlug ihr daraufhin eine denkbar simple Lösung vor: “Sag Bruce doch einfach”, schreibt RichieD, “er soll seinen Töchter seine iTunes Passwörter geben. Dann wird er ewig leben.”

Ein “doch” folgt auf das “zwar” nicht mehr.

Mit Dank an Stefan G.

General Knowledge

Als Medium hat man zwei Möglichkeiten, was man mit Agenturmeldungen macht: Entweder unverändert veröffentlichen (gerne gemacht bei “bunten Meldungen” in Tageszeitungen und bei Onlinemedien) oder selber noch dran rum arbeiten.

Die Meldung, dass der Bundeswehr-Oberst Georg Klein (“bekannt geworden durch die Kundus-Affäre”) zum General befördert werden soll, endete bei der Deutschen Presseagentur so:

Auf dem neuen Posten, den er vermutlich im Frühjahr 2013 übernimmt, wird Klein wie ein Brigadegeneral bezahlt. Die Ernennung zum General wird vermutlich gegen Ende nächsten Jahres erfolgen. Die Bundeswehr hat derzeit etwa 200 Generäle.

Offenbar zu unkonkret für “Focus Online”, wo sie den Schluss deshalb mit eigenen Recherchen anreichern wollten:

Auf dem neuen Posten, den er vermutlich im Frühjahr 2013 übernimmt, wird Klein wie ein Brigadegeneral bezahlt. Laut Besoldungsliste der Bundeswehr wären dies ohne Zuschläge etwa 11 000 Euro (B10). Die Ernennung zum General wird vermutlich gegen Ende nächsten Jahres erfolgen. Die Bundeswehr hat derzeit etwa 200 Generäle.

Nun ist es allerdings so, dass ein Brigadegeneral laut Bundesbesoldungsordnung (und sogar laut Wikipedia) in die Besoldungsgruppe B6 fällt und Klein damit laut Besoldungsliste der Bundeswehr ohne Zuschläge “nur” 8248,04 Euro bekäme.

Dann doch lieber eine unkonkrete Agenturmeldung als ein selbst gemachter Fehler.

Mit Dank an Stephan K.

Nachtrag, 16.55 Uhr: Nachdem “Focus Online” einen Leserkommentar mit Verweis auf die korrekte Besoldungskategorie nicht veröffentlichen wollte, wurde dort immerhin der fehlerhafte Satz entfernt — und sicherheitshalber der direkt davor stehende dpa-Satz gleich mit.

Faktor, Faktor, Faktor

Gestern vor einem Jahr trat in Deutschland das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergie in Kraft. Diesen Jahrestag nahm “Focus Online” zum Anlass, um mal zu schauen, was sich seitdem so alles geändert hat. Im Text ziehen die Redakteure “eine erste Bilanz” — oder versuchen es zumindest.

Zum Thema Windkraft hieß es in der ursprünglichen Version des Artikels:

Aus den Zahlen des Bundesverbands der Windenergie geht hervor, dass von Juli 2011 bis Juni 2012 allein mögliche Spitzenleistung der installierten Windkraft-Anlagen von knapp 28 Megawatt auf 30 Megawatt gestiegen ist – also um gut sieben Prozent.

Das müssten aber ganz schön kleine Windräder sein. In Wirklichkeit liegt die Spitzenleistung der Windkraftanlagen in Deutschland nämlich nicht bei 30 Megawatt, sondern bei 30 Gigawatt — was immerhin das Tausendfache dessen ist, was “Focus Online” ursprünglich behauptet hatte. Im Laufe des heutigen Nachmittags haben die Redakteure den Fehler offenbar selbst entdeckt — und heimlich korrigiert.

Nicht korrigiert haben sie hingegen die Passage mit dem Strompreis. Dort liegen die Redakteure zwar nicht um den Faktor 1.000 daneben, aber immerhin um den Faktor 100:

Laut Statistischem Bundesamt stieg der Haushaltsstrompreis von 0,2528 Cent pro Kilowattstunde im ersten Halbjahr 2011 auf 0,2531 Cent im zweiten Halbjahr.

Schön wär’s! Doch in der Realität kostete Ende 2011 eine Kilowattstunde Strom nicht 0,2531 Cent, sondern 0,2531 Euro.

Mit Dank an Jochen D.

Darauf einen Absacker!

Als die Boeing 757 von United Airlines am Sonntag von Washington, D.C. nach London von der Startbahn abhob, ahnten die 50 Passagiere an Bord vermutlich noch nicht, dass sie Zeugen und Opfer einer Beinahe-Katastrophe werden würden, die in deutschen Medien so aufbereitet wurde:

Bild.de:

Flugzeug sackt 6000 Meter ab – Notlandung!

“Bild”:

“B.Z.”:

United-Jet sackt 6000 Meter ab: Notlandung

“Focus Online”:

United-Airlines-Maschine muss notlandenBoeing 757 stürzt 6000 Meter in die Tiefe...
United-Airlines-Maschine muss notlanden: Boeing 757 stürzt 6000 Meter in die Tiefe

“Berliner Kurier“:

Flug-Schock
Notlandung! Flugzeug fällt 6000 Meter in die Tiefe

Die deutschen Medien berufen sich dabei auf Artikel ihrer englischen Kollegen, denn zuvor hatten etwa die “Daily Mail” und der “Daily Mirror” über den Zwischenfall berichtet.

Hätten die Journalisten jedoch selbst ein wenig recherchiert (oder einfach mal in ihren zahlreichen Leserkommentaren nachgeschaut), wären sie schnell darauf gestoßen, dass das Flugzeug nicht “gestürzt”, “gefallen” oder “abgesackt” war, sondern die Piloten – weil es Probleme bei einem Triebwerk gab – aus Sicherheitsgründen bewusst niedriger geflogen sind.

Dementsprechend klingt die Version des “Aviation Herald” auch um einiges nüchterner:

Eine United Boeing 757-200, Kennzeichen N14118, Flug UA-130 von Washington Dulles, DC (USA) nach London Heathrow, EN (UK) mit 50 Passagieren und 9 Crew-Mitgliedern, war auf dem Weg auf Flugfläche 390 über den Atlantischen Ozean etwa 500 Nautische Meilen östlich von St. John’s, NL (Kanada), als die Crew über das Notfallmeldesystem erklärte, dass sie ein Triebwerk (RB211) abgeschaltet habe und auf Flugfläche 280 gesunken sei. Das Flugzeug kehrte um und steuerte St. John’s an, wo es etwa 130 Minuten später sicher auf Landebahn 29 landete.

Der Rest des Fluges wurde gestrichen.

Die Airline teilte mit, es sei ein technisches Problem mit einem Triebwerk aufgetreten. Als Vorsichtsmaßnahme sei das Triebwerk abgeschaltet worden. Die Passagiere wurden auf andere Flüge in Richtung London umgebucht.

(Übersetzung von uns).

Wie uns das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt auf Anfrage erklärte, ist es völlig normal, die Flughöhe zu reduzieren, wenn eines von zwei Triebwerken ausfällt oder abgeschaltet werden muss. Nur so kann in vielen Fällen der nächste Flughafen erreicht werden. Und das ist seit knapp 50 Jahren für zweistrahlige Flugzeuge wie die Boeing 757 sogar Vorschrift.

Davon abgesehen ist das Flugzeug laut “Aviation Herald” von Flugfläche 390 (etwa 39.000 Fuß/11.900 Meter) auf Flightlevel 280 (etwa 28.000 Fuß/8.500 Meter) gesunken – also nicht um 6.000 Meter, sondern um “nur” 3.400.

“Spiegel Online” immerhin hat die ursprüngliche Überschrift “Boeing sackt um 6.000 Meter ab” mittlerweile in “Triebwerksprobleme zwingen Boeing zum Umkehren” geändert.

Unter dem Artikel heißt es:

Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Meldung wurde der Eindruck erweckt, die Boeing sei nach einem Triebwerksausfall um 6000 Meter unkontrolliert abgesackt. Tatsächlich handelte es sich um ein kontrolliertes Manöver des Piloten. Wir bitten um Entschuldigung.

Mit Dank an Chris K., Stephan Sch. und Wolfgang.

Ihr EUmel! (5)

Es ist ja nicht so, dass wir Spaß daran hätten, den gleichen Fehler immer und immer wieder aufzuschreiben.

Wir dachten gestern also, wir erledigen das unbürokratisch:

Vielleicht wollten die Leute von “Focus Online” uns aber auch einfach zwingen, es wieder aufzuschreiben. Jedenfalls steht da immer noch:

Schutz des Eigentums verletztEU-Gerichtshof schränkt deutsches Jagdrecht ein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einen Prozessmarathon über das deutsche Jagdrecht beendet. Ein Landbesitzer hatte Jagden auf seinem Grund geklagt. Jetzt haben Tausende Jäger das Nachsehen.

Und jetzt alle im Chor: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist kein “EU-Gerichtshof”!

Mit Dank an Gerald.

Bild, focus.de, hna.de  etc.

Ihr Reim auf Schmerz

Die Plattenfirma von Matthias Reim hat gestern Mittag Spekulationen über eine Herz-OP des Schlagersängers zurückgewiesen (BILDblog berichtete).

In die Welt gesetzt hatte diese Spekulationen die “Bild”-Zeitung — und auch, wenn man auf der Journalistenschule lernt, dass eine Quelle keine Quelle sei, hatten sich andere Medien zu diesem Zeitpunkt schon an die Weiterverbreitung der “Bild”-Version der Ereignisse gemacht.

“Focus Online” verkündete unter Berufung auf “Bild”:

Matthias Reim übersteht schwere Herz-OP. Der Schlagersänger Matthias Reim erholt sich noch immer von seinem Zusammenbruch Anfang des Jahres. Nun wurde bekannt: Reim musste sich einer sechsstündigen Herzoperation unterziehen. Jetzt ändert er sein Leben.

Der Artikel wurde inzwischen unauffällig und halbherzig überarbeitet, so dass er nun folgenden Widerspruch enthält:

Auch dass der Sänger bis Ende März pausieren müsse, sei nicht korrekt. “Die damals aus Gesundheitsgründen verschobenen Konzerte sind schon lange nachgeholt, und inzwischen gab Matthias Reim noch drei weitere Konzerte. Von einer Pause bis Ende März war also nie die Rede”, so das Reim-Management. (…)

Die Konzerte wolle er aber nachholen, hatte Reim der “Bild-Zeitung” erklärt.

Unter dem Foto steht weiterhin:

Zurzeit erholt sich der Sänger von einer schweren Herzoperation.

Die Website der “Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung” hatte berichtet:

Schlagerstar Matthias Reim ist nach einem Zeitungsbericht am Herzen operiert worden. “Ich rauche jetzt weniger und versuche, alles ein bisschen ruhiger anzugehen”, sagte Reim der “Bild”-Zeitung.

Der Artikel ist inzwischen offline, hna.de hat einen Artikel zum Dementi veröffentlicht, in dem sogar Georg Friedrich Reim (“der Vater von Matthias Reim und ehemaliger Schulleiter am Homberger Gymnasium”) zu Wort kommt.

Unbeeindruckt von den Aussagen von Reims Umfeld behauptet das ARD-Boulevardmagazin “Brisant” auch weiterhin auf seiner Website:

Matthias Reim: Herz-OP? Der Zusammenbruch kam Ende 2011. Ein neues Album mit Ex-Freundin Michelle, Stress und ein ungesunder Lebensstil - Matthias Reim kam mit Atemnot und Krämpfen ins Krankenhaus. Nach Berichten über eine baldige Entlassung aus der Klinik hieß es nun, der Schlagersänger habe sich einer Herz-Operation unterziehen müssen.

(Das Fragezeichen in der Überschrift dient nur als dekoratives Element: Der Text lässt wenig Zweifel zu, dass Reim “sechs Stunden” in einer “Hamburger Spezialklinik am Herzen operiert” wurde.)

Die Deutsche Presseagentur (dpa) brachte in ihrer Meldung zwar das Dementi, entschied sich aber für einen kreativen Einstieg:

Schlagersänger Matthias Reim (54, “Verdammt, ich lieb dich”) macht wieder Schlagzeilen mit seiner Gesundheit. Nach seinem Zusammenbruch rund um Weihnachten musste er wegen Herzproblemen in einer Klinik behandelt werden. Allerdings sei er nicht am Herzen operiert worden, teilte seine Plattenfirma EMI Music am Mittwoch mit und dementierte damit einen entsprechenden Bericht der “Bild”-Zeitung. Dem Sänger gehe es gut, er müsse auch anders als berichtet nicht bis Ende März pausieren – tatsächlich stehen Mitte März zwei Konzerte im Tourplan, die nicht abgesagt sind.

Der Auslöser dieser “Schlagzeilen”, die Matthias Reim “wieder mit seiner Gesundheit macht”, nämlich die “Bild”-Zeitung, hat die Behauptungen weder in der heutigen Ausgabe noch auf Bild.de korrigiert.

In 80 Fehlern um die Welt (5)

Vom früheren Nationalspieler Andreas Möller ist der Ausspruch überliefert, es sei ihm ein Stückweit egal, bei welchem Verein er als nächstes spiele: “Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!”

Offenbar arbeitet Möller inzwischen für “Focus Online”:

Italien. Clásico: Real und Özil ausgeschieden. Für die deutschen Fußball-Nationalspieler Mesut Özil und Sami Khedira ist der erste Traum vom Titel nach einem 2:2 (0:2) beim FC Barcelona ausgeträumt.

Wenn Real Madrid gegen den FC Barcelona im sogenannten Clásico spielt, dann natürlich immer noch in Spanien.

Mit Dank an Klaus B.

Nachtrag, 13.35 Uhr: Auch bei 11freunde.de und bei handelsblatt.com fand der Clásico in Italien statt. Sie haben (wie auch “Focus Online”) die dazugehörige Meldung über den Sportinformationsdienst sid bezogen, der allerdings überall “Spanien” geschrieben hatte.

2. Nachtrag, 18.05 Uhr: handelsblatt.com hat die Dachzeile in “Spanischer Pokal” geändert. Bei “Focus Online” steht immer noch “Italien”.

Und 11freunde.de hat sich für diese kreative Lösung entschieden:

Bulgarien: Clásico: Real und Özil ausgeschieden

3. Nachtrag, 27. Januar: “Focus Online” hat die Dachzeile in “Barcelona reicht Remis im Clásico” geändert. Dafür steht beim “Handelsblatt” jetzt wieder “Fußball Italien” über dem Artikel. Wir brechen unsere Beobachtung an dieser Stelle ab.

Kassensturz

Es kommt selten genug vor, dass ein Medium falsch aus der “Bild”-Zeitung abschreibt, wo doch sonst meist umgekehrt ist. Heute ist aber so ein Tag.

“Focus Online” berichtet:

Im kommenden Jahr wird keine gesetzliche Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erheben. Die “Bild”-Zeitung berichtet, sechs Betriebskrankenkassen (BKK) hätten die Abschaffung angekündigt. Bei der BKK Heilberufe entfalle der Zusatzbeitrag aufgrund der Fusion von DAK, BKK Gesundheit und Springer BKK.

Auch ohne Ahnung von der Materie zu haben, könnte die Frage aufkommen, warum denn bitte “aufgrund der Fusion von DAK, BKK Gesundheit und Springer BKK” der Zusatzbeitrag bei der BKK Heilberufe entfallen soll. Tatsächlich macht die BKK für Heilberufe zum Jahresende dicht.

So steht es auch heute in “Bild”:

Die elf gesetzlichen Krankenkassen, die Zusatzbeitrag nehmen, wollen ihn 2012 abschaffen. Durch die Fusion von DAK, BKK Gesundheit und Springer BKK entfällt er dort, sechs BKKen haben die Abschaffung angekündigt, die BKK Heilberufe schließt am 31.12. BILD erfuhr: Auch BKK Hoesch und Publik planen das Aus der Extragebühr.

Mit Dank an Ploegi.

Prince Charming

Prinz Harry, Dritter der britischen Thronfolge und von den Boulevard-Medien gern als arger Hallodri beschrieben, weilt ob seiner Pilotenausbildung derzeit im Städtchen Gila Bend in Arizona.

Die britische “Daily Mail”, als Quelle für seriöse Berichterstattung in etwa so tauglich wie die gesammelten Grimm’schen Märchen, berichtete vergangene Woche, der Prinz sei dort etwas reserviert empfangen worden:

Ron Henry, Bürgermeister der 1.700-Seelen-Gemeinde, in der viele Einwohner streng gläubige Christen sind, sagt, Harry solle aufpassen, da ihm sein Ruf als Frauenheld vorauseilt.

“Hier gibt es bestimmt einige Väter, die zu extremen Mitteln greifen würden, um ihre Töchter zu beschützen”, sagte Mr. Henry, 64. “Einige der Väter würden nicht zimperlich mit einem Prinz umspringen, der sich des Nachts vergnügt.”

(Übersetzung von uns.)

Mal mit, mal ohne Nennung der Quelle “Daily Mail” hat sich diese Geschichte in den vergangenen Tagen auch in deutschsprachigen Medien verbreitet — zugegebenermaßen vor allem in solchen, die mit der Seriosität von Grimms Märchen nicht wirklich mithalten können: RTL.de, “Focus Online”, blick.ch, mopo.de oder der “Berliner Kurier” hatten darüber berichtet.

Die Geschichte verliert allerdings ein wenig dadurch, dass die Stadtverwaltung von Gila Bend schon am Tag, als der Artikel in der “Daily Mail” erschienen war, die angeblichen Zitate des Bürgermeisters brüsk zurückgewiesen hatte:

Unglücklicherweise hat die “Daily Mail” am 7. November 2011 eine schäbige und erfundene Geschichte aufgeschrieben. Bürgermeister Henry erklärte: “Ich bin tief betrübt, dass die “Daily Mail” Bemerkungen nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern auch vollständig erdichtet hat. Tatsächlich waren die negativen Bemerkungen die Worte des Reporters, der sich entschieden hat, eine Geschichte lieber aufzubauschen und zu erfinden, als die Wahrheit zu berichten. Ich würde niemals solche seltsamen Äußerungen machen. Wir haben enormen Respekt und Verehrung für Prinz Harry und die königliche Familie. Wir sind aufgeregt, stolz und geehrt, ihn in unserer Gemeinde zu haben, und wir werden alles dafür tun, dass sein Aufenthalt so angenehm wie möglich wird.”

(Übersetzung von uns.)

Mit Dank an Konstantin K.

Stoibers Problem-Mär

Edmund Stoiber hat sich außerhalb Bayerns vor allem mit zwei Aktionen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: Dem Versuch, die Vorzüge einer Transrapidstrecke zwischen Hauptbahnhof und Flughafen in München zu erläutern, und dem Versuch, im Jahr 2002 Bundeskanzler zu werden. Beobachter sind sich immer noch uneins, was ihm gründlicher misslungen ist.

Anlässlich seines gestrigen 70. Geburtstags waren die bestimmenden Themen in den medialen Huldigungen Stoibers entsprechend seine “gestammelten Werke” und jener verhängnisvolle Abend, als er sich schon als strahlender Wahlsieger feiern ließ und später “ein Glas Champagner öffnen” wollte.

“Focus Online”:

Wohl kein Kanzlerkandidat scheiterte so knapp wie Edmund Stoiber. 0,01 Prozent, rund 6000 Stimmen, fehlten ihm am Wahlabend des 22. September 2002 zur Mehrheit, als er sich nach ersten Hochrechnungen bereits zum Sieger erklärt hatte, dann aber doch Gerhard Schröder Kanzler blieb.

“Rheinische Post”:

Ob als Regierungschef in München, als CSU-Chef (1999–2007), ob als 2002 an 6000 Stimmen gescheiterter Kanzlerkandidat der Union: Stoiber spielte immer mit höchstem Einsatz – ein Rackerer auf dem Platz mit bayerischer Kapitänsbinde.

“Bild München”:

Das herausragende Ergebnis war auch ein Trost für die wohl schwerste Niederlage im politischen Leben Stoibers, die er nur ein Jahr zuvor erlitten hatte: gegen Gerhard Schröder (SPD) im Kampf um das Bundeskanzleramt. Mit nahezu lächerlichen 6000 Wähler-Stimmen Unterschied…

“Bild”:

Er war das Gesicht der CSU, der erfolgreichste Ministerpräsident Deutschlands, und mit gut 6000 Stimmen mehr wäre er 2002 auch Kanzler geworden: Heute feiert Edmund Stoiber seinen 70. Geburtstag!

Das Gerücht, dass Stoiber nur rund 6.000 Stimmen gefehlt hätten, um Kanzler zu werden, hält sich seit Jahren hartnäckig in den Medien.

Und tatsächlich hatte die SPD bei der Bundestagswahl 2002 nur “nahezu lächerliche” 6.027 Zweitstimmen mehr erhalten als CDU und CSU zusammen — und doch ist unwahrscheinlich, dass Stoiber Kanzler geworden wäre, wenn er damals nur 6.028 Stimmen mehr bekommen hätte: Die Grünen, die damals mit der SPD die Regierungskoalition stellten, hatten nämlich gleichzeitig 571.540 Stimmen mehr erhalten als Stoibers Wunschkoalitionspartner FDP.

Stoibers Union ist denkbar knapp der SPD unterlegen; aber die Kanzlerschaft hat er deutlich verpasst.

Mit Dank an Tilman Sch.

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