Das war’s für 2017 beim BILDblog — im Januar geht es weiter.
Bevor wir uns nun für ein paar Tage in eine Höhle verziehen, in der uns nicht mal das “Bild plus”-Abo erreicht, wollen wir ganz herzlich allen Unterstützerinnen und Unterstützern (ohne die es dieses Projekt nicht gäbe), allen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (ohne die es hier viel weniger zu lesen gäbe) und allen Leserinnen und Lesern danken. Ihr seid die Besten!
Zum Jahresabschluss soll es noch einen Jahresrückblick geben: falscher Toter, falscher “Sex-Mob”, falscher Adenauer im Puff — eine kleine Auswahl von all dem, was bei den “Bild”-Medien Monat für Monat schiefgelaufen ist.
Januar
Nun, wer das Jahr nicht in irgendeiner Höhle verbracht hat, weiß: Das war falsch.
Julian Reichelt will nicht über Geld reden. Über sein eigenes jedenfalls nicht. Über das Geld anderer Leute reden und schreiben Reichelt und seine “Bild”-Kollegen liebend gern: So viel verdient Bundesliga-Star XY, das bekommt DAX-Manager Soundso, lesen Sie mal, wie viel Moderator Trallala kassiert. Kaum eine Woche, in der “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de nicht über das hohe Einkommen und das immense Vermögen einzelner Personen berichten.
Geht es allerdings um seine eigenes Gehalt, findet Julian Reichelt dieses Verhalten hochgradig gefährdend. Als das Medienmagazin “kress pro” in der Titelgeschichte seiner Oktoberausgabe über die Jahresgehälter von Verlagsmanagern und Chefredakteuren schrieb, kam darin auch der “Bild”-Oberchef vor:
Im nationalen Geschäft liegt die Schallmauer inzwischen bei 500.000 Euro, die aber nur eine Handvoll erreichen. “Spiegel”-Chef Klaus Brinkbäumer dürfte geschätzt in dieser Liga spielen, auch “FAZ”-Digitalchef Mathias Müller von Blumencron gilt als Kandidat. “Stern”-Chef Christian Krug und die “SZ”-Doppelspitze liegen geschätzt 50.000 bis 100.000 Euro darunter. Deutlich darüber liegen müssten Julian Reichelt, Chef der “Bild”-Gruppe, und “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo. Reichelt verantwortet den umsatzstärksten Titel und offenbar zahlt Springer mit einem guten Anteil variabler Vergütung. Reichelts Vorgänger Kai Diekmann soll nach seinem Abgang eine deutlich siebenstellige Summe bekommen, was auf ein siebenstelliges Gehalt hinweist. Diekmann dürfte jahrelang der bestbezahlte Chefredakteur gewesen sein. Reichelt müsste also irgendwo zwischen 500.000 Euro und 1 Million liegen.
Diese wenigen, nüchtern gehaltenen Zeilen passten Reichelt offenbar überhaupt nicht. In der November-Ausgabe von “kress pro” schreibt Chefredakteur Markus Wiegand über “die Widersprüche des ‘Bild’-Chefs”:
Einige der Betroffenen kommentierten die Schätzung informell, die meisten verzichteten jedoch auf einen Kommentar.
Julian Reichelt war der einzige Chefredakteur, der uns bat, auf eine Schätzung zu verzichten. Er argumentierte, dass eine Schätzung seines Gehalts das Risiko finanziell motivierter Straftaten gegen seine Familie erhöhen würde.
Wir konnten die Argumentation nicht nachvollziehen, boten aber ein informelles Gespräch an, um den Fall zu klären. Reichelt lehnte dies ab.
Die Logik hinter Reichelts Argumentation scheint zu sein: Kriminelle, die bisher dachten, dass der Chef von “Bild”, “Bild am Sonntag”, Bild.de und “B.Z.” vielleicht 3000 oder 4000 Euro im Monat verdiene, dürften durch die Veröffentlichung einer groben Schätzung seines Gehalts verstanden haben, dass bei ihm deutlich mehr zu holen sein könnte.
Sollte dieser Gedanke stimmen, ergibt sich automatisch die Frage: Bringen Julian Reichelt und die “Bild”-Medien seit Jahren regelmäßig die Familien anderer Menschen in Gefahr?
Zum Beispiel die Familie von WDR-Intendant Tom Buhrow. Vor etwas mehr als zwei Monaten titelte Bild.de:
Im dazugehörigen Artikel steht:
Angeführt wird die Liste von WDR-Intendant Tom Buhrow. Sein Verdienst: 399 000 Euro im 2016 — umgerechnet auf 12 Monate wären das 33 250 Euro!
Auf den folgenden Plätzen liegen:
• Ulrich Wilhelm, der Intendant des BR, mit 367 000 Euro
• NDR-Intendant Lutz Marmor, welcher 348 000 Euro verdiente.
Das niedrigste Gehalt der ARD-Bosse bezog bei 237 000 Euro Jahresvergütung der SR-Chef Thomas Kleist.
Oder die Familie von “Radio Bremen”-Intendant Jan Metzger.
Als Sender ist Radio Bremen der kleinste unter den neun ARD-Anstalten. Doch sein Chef ist beim Verdienen ganz vorne mit dabei.
242 000 Euro erhielt Intendant Jan Metzger im Jahr 2011. So zumindest steht es im Branchen-Nachrichtendienst “Funkkorrespondenz”.
Oder die Familie von TV-Moderator Günther Jauch.
Und wie viel verdient Jauch wirklich? Fakt ist: Ein Vielfaches vom jährlichen Bruttogehalt der Kanzlerin. Angela Merkel erhält 194 000 Euro im Jahr.
Die ARD überweist Jauchs Produktionsfirma “I & U” nach BILD-Informationen allein für die Talk-Sendungen 10,5 Mio. Euro im Jahr. Nach Branchenschätzungen sollen ihm davon mehr als 1 Million bleiben. Dazu kommen TV-Honorare für die RTL-Shows “Wer wird Millionär?” und “5 gegen Jauch”. Außerdem produziert er mit seiner Firma bis zu 130 weitere Sendungen im Jahr.
Oder die Familien verschiedener BBC-Moderatoren und -Moderatorinnen.
Das höchste Gehalt bei der BBC bezieht demnach der Moderator Chris Evans: Er bekam im vergangenen Jahr ein Gehalt von umgerechnet rund 2,5 Millionen Euro.
Der ehemalige Fußballstar und Sportmoderator Gary Lineker verdiente umgerechnet rund 2 Millonen Euro.
Die am besten verdienende Frau bei der BBC ist die TV-Moderatorin Claudia Winkleman — sie erhält ein jährliches Salär zwischen umgerechnet rund 509 000 und 565 000 Euro.
Oder die Familie von Fußballer Matija Nastasic.
Schalkes Neuer verdient 250 000 Euro im Monat!
BILD enthüllt die Details des Nastasic-Vertrages:
► Der Nationalverteidiger erhält ein monatliches Grundgehalt von exakt 250 000 Euro, für das halbe Jahr also fixe 1,5 Mio Euro.
► Dazu kommt noch eine Prämie, wenn er mit Schalke die Champions League erreicht.
Oder die Familie von Daimler-Boss Dieter Zetsche.
Erfolg zahlt sich für ihn buchstäblich aus: Daimler-Chef Dieter Zetsche streicht erneut mehr Gehalt ein.
Nach mehr als 8,2 Millionen Euro im Vorjahr kassiert der Konzernlenker für 2014 knapp 8,4 Millionen Euro.
Oder die Familie von Zetsches Pendant bei BMW, Harald Krüger.
Oder die Familie von Tennisspieler Alexander Zverev.
Oder die Familie von Fußballer Franck Ribéry.
Oder die Familie von Burkhard Jung, Oberbürgermeister in Leipzig.
Oder die Familie von Fußballtrainer Jürgen Klopp.
Oder die Familie von Sängerin Taylor Swift.
Oder die Familie von SAP-Chef Bill McDermott.
Wir könnten diese Liste noch ewig weiterführen. Mit Bundesliga-Torwart René Adler, mit “Deutschlands Top-Managern”, mit HSV-Profi Bobby Wood, mit Fußballtrainer Carlo Ancelotti, mit den “wichtigsten Berlin-Managern”, mit “Promis in Politik, Wirtschaft, Show und Sport” und mit vielen, vielen anderen.
Einen Widerspruch zwischen dem, was er für sich selbst einfordert, und dem, was er und seine Kollegen Tag für Tag, Woche für Woche produzieren, scheint Julian Reichelt nicht erkennen zu können.
Am vergangenen Wochenende haben sich die Mitarbeiter der “Bild”-Medien mal wieder ihre Sheriffsterne an Hemden und Blusen gepinnt, sind auf Verbrecherjagd gegangen und auf rechtsstaatlichen Prinzipien rumgetrampelt.
Der Fall, den sie sich ausgesucht haben: ein Mord an einem zweijährigen Kind in Hamburg. Montag vergangener Woche soll der Vater des Kindes seine Tochter getötet haben und dann geflüchtet sein. Bewiesen ist noch nichts, es gibt allerdings Hinweise, dass der Mann diese schreckliche Tat begangen hat. Gestern wurde er in Spanien von der Polizei festgenommen.
Bereits wenige Stunden, nachdem der Tod des Kindes bekannt wurde, fragte die Bild.de-Redaktion ungeduldig:
Immerhin durfte eine Staatsanwältin im Artikel erklären:
Oberstaatsanwältin Nana Frombach zum Thema Öffentlichkeitsfahndung gegenüber BILD: “Wir führen noch andere Ermittlungen durch, daher liegen die Voraussetzungen für eine Öffentlichkeitsfahndung derzeit nicht vor. Die erste Voraussetzung ist dafür immer eine erhebliche Straftat, die zweite, dass es keine weiteren erfolgreichen Ermittlungsansätze gibt.”
Heißt: Die Ermittler gehen davon aus, Sohail A. zügig zu schnappen. Erst als letzte Maßnahme wird die Polizei mit einem Foto des Täters an die Öffentlichkeit gehen.
Am Wochenende reichte es den Redaktionen von Bild.de und “Bild am Sonntag” dann. Immer noch keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei — da mussten sie handeln. Am Samstagabend veröffentlichte Bild.de diesen Beitrag:
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag von uns.)
Nur zur Erinnerung: Es gab zu diesem Zeitpunkt (und auch später) keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei. Es war noch nichts bewiesen. Es gab noch kein Geständnis. Die Bild.de-Mitarbeiter haben sich mit diesem Artikel nicht nur zu Polizisten gemacht, sondern gleich auch noch zu Richtern.
Dass es zu diesem Zeitpunkt keine offizielle Fahndung per Foto durch die Ermittlungsbehörden gibt, wissen die sechs Bild.de-Autoren ganz genau. Sie schreiben es schließlich selbst:
Noch immer gibt es keine offizielle Foto-Fahndung der Behörde, obwohl Sohail A. dringend tatverdächtig ist.
Eine Öffentlichkeitsfahndung ist für die Polizei das letzte Mittel, wenn alle anderen Ermittlungsansätze keinen Erfolg gebracht haben. Nana Frombach, Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft: “Es gibt noch Ermittlungsansätze.”
Nach BILD-Informationen sind Zielfahnder der Polizei dem Mann, der nach Deutschland 2011 als Flüchtling kam und schon längst hätte ausreisen müssen, sehr dicht auf den Fersen. Ermittler aus Deutschland und auch ausländische Dienste jagen den Killer unter Hochdruck.
Ermittler sollen den Mann “unter Hochdruck” jagen. Zielfahnder sollen ihm “dicht auf den Fersen” sein. Es soll noch immer “Ermittlungsansätze” geben. Und trotzdem entscheidet die Bild.de-Redaktion, sich einfach mal so über rechtsstaatliche Prinzipien hinwegzusetzen, etwa dass Richter oder Staatsanwälte eine Öffentlichkeitsfahndung anordnen müssen.
Einen Tag später zog die Redaktion der “Bild am Sonntag” nach. Auf der Titelseite und im Blatt präsentierte sie das Foto des Mannes wie ein Fahndungsplakat:
Gestern dann die Nachricht, dass der Gesuchte in Spanien gefasst wurde. Es geht keine Gefahr mehr von ihm aus. “Bild” und Bild.de zeigen sein Foto heute dennoch bei mehreren Gelegenheiten ohne irgendeine Unkenntlichmachung — genauso wie ein Bild des getöteten Kindes:
Mit Dank an Daniel K., Frank H., Musti und @postillleaks für die Hinweise!
Hätte Julian Reichelt nicht diese große Macht, wäre seine Show ja eigentlich ganz amüsant. Hier mal populistisch poltern, da mal Fakten komplett falsch darstellen, zwischendurch mittelmäßige Witze. Man muss sich das aber immer wieder klarmachen: Reichelt hat das letzte Sagen bei Bild.de, wo er selbst Chefredakteur ist, bei der “Bild”-Zeitung, bei “Bild am Sonntag” und bei der “B.Z.”, wo er den Chefredakteurinnen Tanit Koch, Marion Horn und Miriam Krekel noch mal vorgesetzt ist. Und wenn man das realisiert hat, ist zum Beispiel seine Faktenfremdheit alles andere als amüsant.
Am Samstag hatte Julian Reichelt zum Aus von “Air Berlin” und dem großen Spektakel um den letzten Berlin-Flug der Airline mal wieder so viele Gedanken, dass sie nur in zwei Tweets passten:
Irgendwie symptomatisch, dass sich da gleich mehrere Fragen stellen.
Wir würden sagen: nichts, es handelt sich schließlich nicht um Industrie, sondern um ein Dienstleistungsunternehmen.
Und seit wann ist Deutschland das “reichste Land der Welt”?
Es gibt eine Reihe verschiedener Möglichkeit, den Reichtum eines Landes zu messen. Nach dem nominalen Bruttoinlandsprodukt liegen die USA auf Platz eins, nach dem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt ist es China, beim nominalen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt Luxemburg vorn, beim kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist es Katar, beim Privatvermögen sind es laut “Allianz”-Studie dann wieder mal die USA, laut “Credit Suisse” die Schweizer, und beim Wohlstandsindex einer Denkfabrik liegt Neuseeland ganz vorne. Deutschland ist zwar oft weit oben mit dabei, aber nie “das reichste Land der Welt”, wie Julian Reichelt behauptet.
Dass ein “Vorsitzender der Chefredaktionen” seinen Mitarbeitern ein solches Desinteresse an korrekten Fakten vorlebt, ist wirklich alles andere als amüsant.
Egal, wohin man derzeit schaut, ob zu Bild.de oder in die “Bild”-Zeitung, zu stern.de, n-tv.de, stuttgarter-zeitung.de, morgenpost.de, tag24.de, tvmovie.de, Handelsblatt.com, Gala.de, Rollingstone.de, abdenzeitung-muenchen.de, Bunte.de, WDR.de, 3sat.de, “Huffington Post” oder in “Bild am Sonntag” — man kommt nicht am Schlagwort “Sex-Skandal” vorbei:
Die Liste ließe sich noch mit vielen weiteren Screenshots fortführen, auch von anderen Medien als den oben exemplarisch genannten.
Unter dem “Sex-Skandal” subsumieren die Redaktionen die Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein (und neuerdings auch die gegen den Regisseur James Toback). Vermutlich wählen sie das Schlagwort, weil’s so knackig ist, eine Alliteration, und weil sowohl “Sex” als auch “Skandal” immer Klicks bringen und in Kombination erst recht. Dabei ist die Wortwahl sehr bedenklich.
Frauen zu fragen, ob sie einen nackt massieren wollen, bevor man über eine Filmrolle spricht, hat nichts mit Sex zu tun. Einer Frau zwischen die Beine zu fassen, obwohl diese das nicht möchte, hat nichts mit Sex zu tun. Eine Vergewaltigung hat nichts mit Sex zu tun. Und die Skandale darum sind keine “Sex-Skandale”. Jede Redaktion sollte diese Dinge als das bezeichnen, was sie sind: Belästigungen, Missbrauch, Vergewaltigungen. Und wenn bis zur Veröffentlichung noch nichts bewiesen ist und noch niemand verurteilt wurde, sollte man am besten noch ein “mutmaßlich” davorsetzen.
Wie falsch der Begriff “Sex-Skandal” ist, sieht man schon, wenn man sich durch die Archive einiger der oben aufgezählten Medien wühlt und schaut, was dort sonst als “Sex-Skandal” bezeichnet wird.
Wenn das “Erotiksternchen” Aische Pervers am Rande einer Aufzeichnung von “Germany’s Next Topmodel” ihre Brüste in eine Kamera hält und anschließend einen Porno dreht, schreibt stern.de von einem “Sex-Skandal”:
Wenn ein “Polizisten-Pärchen” aus Berlin vor dem Einsatz beim G20-Gipfel in Hamburg einvernehmlichen “Geschlechtsverkehr im Freien” hat, schreibt Bild.de von einem “Sex-Skandal”:
Wenn Comedian Oliver Pocher bei der Eröffnung einer Schönheitsklinik mit einer Frau “in flagranti in einem Patientenzimmer” erwischt wird, schreibt Bild.de von einem “Sex-Skandal”:
Und wenn ein Video aus dem “Disneyland” in Paris auftaucht, in dem zwei Darsteller in Kostümen von Minnie Maus beziehungsweise Goofy sexuelle Handlungen andeuten, schreibt stern.de von einem “Sex-Skandal”:
Liest man heute den Kommentar von Tanit Koch zur Bundestagswahl und den 12,6 Prozent, die die AfD bekommen hat, könnte man fast meinen, dass die “Bild”-Chefredakteurin in den vergangenen Monaten durchgehend im Urlaub war und nichts davon mitbekommen hat, was in ihrem Blatt so passiert ist.
Koch schreibt:
Für Anstand steht das A in AfD nicht. Dennoch wurde sie gewählt — weil die regierenden Parteien, weil die Kanzlerin Vertrauen verspielt haben. (…)
Angela Merkel ist es nicht gelungen, einer verunsicherten Bevölkerung die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung zu nehmen.
Die Angst davor gab es lange vor der Flüchtlingskrise. Doch man war sich zu fein dafür, sie zu adressieren. Nun hat die AfD die Früchte dieser Angst geerntet.
Es mag stimmen, dass ein Grund für die AfD-Stärke die Schwäche der “regierenden Parteien” ist. Es mag stimmen, dass Angela Merkel Sorgen nicht schmälern konnte. Was aber auch stimmt, und was Tanit Koch nicht mit einer Silbe erwähnt: Die “Bild”-Zeitung hat “die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung” stetig bedient. Um im Bilde zu bleiben: Die fauligen Bäume und dornigen Sträucher, von denen die AfD “die Früchte der Angst” ernten konnte, haben unter anderem Tanit Koch und ihr Team ausgesät, sie haben sie immer wieder gegossen und gepflegt.
Am 17. Juli, also gut zwei Monate vor der Bundestagswahl, veröffentlichte die Redaktion fast auf einer kompletten Doppelseite eine Sammlung aus 25 “ES KANN DOCH NICHT SEIN”-Punkten:
Nur ein Beispiel:
Schon die Entscheidung für diesen Wahlkampfpunkt hat nichts mit Aufklärung zu tun, nichts mit dem Nehmen von Sorgen, sondern ist das reine Bedienen von Sorgen durch ein Scheinproblem. Abgesehen von dem Detail, dass es in der Regel nicht um Burkas, sondern um Niqabs geht, betrifft dies wohl wie viele Menschen in Deutschland? Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln sicher ein paar mehr. In der Fußgängerzone in Görlitz vermutlich deutlich weniger. Sind es insgesamt im ganzen Land überhaupt mehr als 1000 Niqab-Trägerinnen? Dank “Bild” sieht es für mehrere Millionen Menschen wenige Wochen vor der Wahl so aus, als gehöre das Thema Burka/Niqab zu den 25 dringendsten der Bundesrepublik.
Dass ein Teil dieser Leute dann an den Laternen AfD-Plakate hängen sieht, auf denen steht “‘Burkas?’ Wir steh’n auf Bikinis.”, und sich denkt “Och, joar, könnte man vielleicht wählen” — völlig abwegig ist das nicht.
Diese Burka-Forderung, dieses ganze “Bild”-Wahlprogramm voller AfD-Positionen war komplett unnötig. Ja, man kann das machen, wenn man ganz rechten Positionen eine Plattform geben, Ressentiment schüren und ein bisschen zündeln will. Aber man muss es nicht. Und vor allem muss man sich dann nicht einen Tag nach der Wahl verblüfft zeigen über 12,6 Prozent. Bei der AfD waren sie im Juli jedenfalls hellauf begeistert von der kostenlosen Wahlwerbung in der immer noch auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands:
Das “Bild”-Wahlprogramm war nur ein kleiner Baustein der Berichterstattung, die Uwe Junge, Alexander Gauland, Alice Weidel und all den anderen in die Hände gespielt hat. Seit Jahren — auch schon lange vor Gründung der AfD — trägt die Redaktion dazu bei, dass Positionen wie die der rechtesten Partei im kommenden Bundestag millionenfach an Kiosken liegen. Und häufig basieren die empörten und empörenden Schlagzeilen auch noch auf falschen Fakten. Da war beispielsweise der von einem AfD-Sympathisanten erfundene falsche Flüchtlings-“Sex-Mob”, den “Bild” willfährig aufgriff. Die sechsfach falsche Meldung, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die falsche Geschichte, dass Politiker forderten, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen. Die falsche Information, dass Flüchtlinge in Hamburg problemlos schwarzfahren dürften. Oder das falsche Gerücht, dass Sanitäter des Roten Kreuzes wegen Asylbewerbern nun Schutzwesten anhätten. “Bild” schreibt gegen Muslime, gegen Roma, gegen Griechen, gegen Ausländer, noch mal gegen Muslime, ein weiteres Mal gegen Muslime, gegen Migranten, gegen Muslime. Es sei auch noch mal an den hasserfüllten Kommentar von Nicolaus Fest erinnert, der einst Kulturchef bei “Bild” und bis September 2014 stellvertretender Chefredakteur beim Schwesternblatt “Bild am Sonntag” war und der gestern als Direktkandidat der AfD im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nicht den Einzug in den Bundestag schaffte.
Am 17. Juli dann also das “Bild”-Wahlprogramm. Und auch danach ging es weiter mit der AfD-Förderung durch das Boulevardblatt. Mats Schönauer hat sich bei “Übermedien” durch die vergangenen zwei “Bild”-Monate gewühlt. So sahen die Titelseiten und Überschriften aus:
Ich glaube nicht, dass die “Bild”-Redaktion ein Haufen von AfD-Wählern ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Julian Reichelt und Tanit Koch und die meisten anderen “Bild”-Mitarbeiter in ihren Kommentaren öffentlich gegen diese Partei anschreiben und in der Wahlkabine heimlich Kreuze bei ihr machen. Und trotzdem ist die “Bild”-Zeitung ein AfD-Blatt. Mit ihren gewählten Schwerpunkten, mit den Zuspitzungen auf den Titelseiten, mit den verwendeten Begriffen in Überschriften haben Reichelt und Koch und viele ihrer Kollegen die Gesprächsthemen in Büromittagspausen, in Bauwägen und an analogen wie digitalen Stammtischen geprägt. Über die “Burka-Frau” wurde dort diskutiert. Man regte sich über die Bedrohung der Rot-Kreuz-Sanitäter auf. War wütend über schwarzfahrende Flüchtlinge. “Bild” hat nicht direkt für die AfD geworben. “Bild” hat aber den öffentlichen Diskurs im Sinne der AfD vorgegeben.
Bereits nach dem ersten Spieltag in der Fußball-Bundesliga, der am zurückliegenden Wochenende stattfand, gibt es den ersten richtig dicken Skandal: Der FC Bayern München stand am Freitagabend in der Partie gegen Bayer 04 Leverkusen zeitweise mit zwölf Spielern auf dem Platz. Jedenfalls behaupten das indirekt “Bild am Sonntag” und Bild.de, was schon mal ein erstes Indiz dafür ist, dass es sich eher um ausgemachten Unsinn handelt — und nicht um einen Wechselfehler der Münchner.
Das Besondere dabei: In der 62. Spielminute wechselte Bayerns Trainer Carlo Ancelotti Rafinha für Mats Hummels ein. Die beiden Spieler konnten also nicht gleichzeitig auf dem Platz stehen — außer Hummels hätte sich wieder aufs Feld geschlichen.
Nun müssen wir aber alle Leverkusen-Fans enttäuschen, die schon hoffen, ihr Verein könnte die 1:3-Niederlage noch durch eine Beschwerde in einen Sieg ummünzen.
Schaut man sich das zur Bildunterschrift veröffentlichte Foto etwas genauer als die Mitarbeiter der “Bild”-Medien an, sieht man, dass der Bayern-Feldspieler zwischen David Alaba und Mats Hummels nicht der Brasilianer Rafinha ist, sondern der Franzose Franck Ribéry — relativ einfach zu erkennen an der Nummer 7 auf seiner Hose:
Bei der “Bild am Sonntag” hatten sie eine Idee für ein neues Interview-Format:
Für Teil 2 “dieser neuen BamS-Serie” (in Runde 1 befragte Schlagersängerin Andrea Berg CSU-Chef Horst Seehofer) wählte die Redaktion als Politiker Alexander Gauland von der AfD aus und als Star Entertainerin Désirée Nick:
Und welche Fragen an Gauland sind Nick nun “persönlich wichtig”? Solche hier:
Warum sind Sie immer so britisch gekleidet?
Ich dachte, Sie sind Single!!!
Haben Sie einen Künstlernamen? “Gauland” ist ja kein französischer Name.
Haben Sie Frau Merkels Mobilnummer? Für Notfälle?
Wollen Sie meine Telefonnummer haben?
Wir könnten dann auch über Rotwein reden …
Ihre Krawatte mit den Hunden habe ich schon oft im Fernsehen gesehen. Das ist Ihre Lieblingskrawatte, oder?
Wobei diese Zusammenstellung nicht ganz fair ist, weil das Debakel am Ende gar nicht so groß ist, wie man es erstmal befürchten könnte. Désirée Nick hakt hier und da nach, sie hat sich vor dem Gespräch immerhin die AfD-Wahlplakate angeschaut und bei einzelnen Themen auch eine klare eigene Meinung.
Trotzdem finden wir es fatal, einem erfahrenen, gewieften Politiker wie Alexander Gauland nicht einen mindestens genauso erfahrenen Interviewer gegenüberzustellen; einen, der im politischen Diskurs steckt, der fundiert widersprechen kann, der nicht auf Parolen reinfällt. Stattdessen lässt “Bild am Sonntag” den AfD-Spitzenkandidaten auf zwei kompletten Seiten (plus eine Seite Aufmacher-Foto und Überschrift) gegen Ausländer, gegen den Islam, gegen alles Fremde reden, ohne dass er dabei allzu viel Gegenwind bekommt.
An einer Stelle im Interview wird dieses Problem ganz deutlich. Désirée Nick sagt zu Alexander Gauland:
Sie sagen: Unsere Deutschen machen wir uns selber!
Gauland antwortet:
Na, klar. Wir brauchen keine ausländischen Arbeitskräfte.
Jemand, der es gewohnt ist, in Interviews gut aufzupassen und kritisch nachzufragen, würde diesem Unsinn sicher widersprechen. Man könnte den Fachkräftemangel anführen, man könnte die Situation in der Pflege, im Handwerk ansprechen, man könnte Gauland fragen, wie er sich Deutschland ohne ausländische Arbeitskräfte vorstellt. Désirée Nick macht nichts davon. Sie lässt Gaulands Aussage einfach so stehen, als wäre faktisch daran nichts auszusetzen. Nick will lieber übers Kindermachen sprechen:
Ich spreche von Zeugung.
In der “Bild”-Zeitung erschien gestern dieser kleine “Wahlkampf-Fakten-Check”:
Dass “Bild” etwas korrigiert, was in “Bild am Sonntag” steht, ist gut, auch wenn die “Bild”-Redaktion so tut, als würde das Problem einzig bei Alexander Gaulands Aussage liegen. Es ist aber ebenfalls problematisch, dass der “BILD Wahlkampf-Fakten-Check” überhaupt erst nötig ist, weil “Bild am Sonntag” Micky Maus Désirée Nick zum Interview mit Alexander Gauland geschickt hat und nicht jemanden, der dem AfD-Politiker hätte Paroli bieten können.
Wenn Sie gestern eine Runde auf deutschen Online-Nachrichtenseiten gedreht haben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Sie auch auf diese Schlagzeile hier gestoßen sind:
(“Spiegel Online”)
Oder auf diese:
(Stern.de)
Oder diese:
(Welt.de)
Oder auf eine von diesen:
(FAZ.net)
(“Focus Online”)
(Morgenpost.de)
(“Deutschlandfunk”)
(derstandard.at)
(Express.de)
(FR.de)
(rp-online.de)
(Merkur.de)
(derwesten.de)
(maz-online.de)
(rbb-online.de)
(orf.at)
Die Liste ließe sich noch lange weiterführen — es stand gestern so gut wie überall, auch weil Agenturen die Nachricht übernommen und verbreitet haben: Die AfD prüfe, ob sie die gerade erst im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” vor dem Bundesverfassungsgericht verhindern könne.
Als Ursprung für diese Neuigkeit nennen die Artikel, die hinter den oben aufgeführten Titelzeilen stecken, alle die gleiche Quelle: “Bild am Sonntag”. Die “BamS”-Redaktion hatte die AfD-Info gestern, beziehungsweise online bereits vorgestern am späten Abend, exklusiv:
Die AfD plant, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und die am Freitag im Bundestag beschlossene “Ehe für alle” zu kippen. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland (76) zu BamS: “Wir prüfen derzeit eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. Ich bin für einen solchen Schritt. Die Ehe für alle bedeutet eine Wertebeliebigkeit, die unserer Gesellschaft schadet.”
Nun kann die AfD das so sehr wollen und planen und prüfen, wie sie mag — sie kann nicht wegen der “Ehe für alle” vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Wie Patrick Gensing bereits gestern am Nachmittag beim ARD-“Faktenfinder” schrieb, gibt es verschiedene Wege, die dazu führen, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Gesetz beschäftigt. Im Fall der “Ehe für alle” kommt eigentlich nur die abstrakte Normenkontrolle in Frage. Und die kann nicht von jedem einfach so beantragt werden. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu:
Der Antrag kann nur von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages gestellt werden. Bürgerinnen und Bürger sind in dieser Verfahrensart nicht antragsberechtigt.
Die AfD sitzt zwar in einigen Landesparlamenten, sie gehört aber weder der Bundesregierung noch einer Landesregierung an, und keiner ihrer Mitglieder ist aktuell Bundestagsabgeordneter. Über die abstrakte Normenkontrolle kann sie eine Überprüfung der “Ehe für alle” durch das Bundesverfassungsgericht derzeit nicht beantragen.
Eine Verfassungsbeschwerde, die auch einzelne AfD-Mitglieder initiieren könnten, macht bei der “Ehe für alle” auch keinen Sinn. Denn dazu schreibt das Bundesverfassungsgericht:
Die beschwerdeführende Person muss selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten betroffen sein.
Und wer soll schon ernsthaft in seinen Rechten betroffen sein, weil nun auch Frauen Frauen und Männer Männer heiraten können sollen und sonst durch die “Ehe für alle” niemandem etwas weggenommen wird?
All das hätten auch die zwei “Bild am Sonntag”-Autoren herausfinden können, bevor sie (und in der Folge all die anderen Redaktionen, die auch nicht recherchierten) der AfD riesige Werbeflächen für eine Null-und-nichtig-Ankündigung einräumten.
Seit heute kann man aus dem Spanien-Italien-Frankreich-Urlaub bei seiner Familie zu Hause in Deutschland anrufen, sich am Handy über die verdammte EU und den Regulierungswahn der Bürokraten in Brüssel aufregen und muss für diesen Anruf nur so viel bezahlen, wie man in Deutschland für ihn bezahlen würde. Seit heute fallen innerhalb der EU keine Roaming-Gebühren mehr an. Auch dank der regulierungswütigen EU-Bürokraten.
Das Serviceportal Bild.de beantwortet laut Teaser auf der Startseite heute 13 Fragen zum Thema:
… die allesamt aus einem Artikel der “Bild am Sonntag” stammen, wo die Redaktion bereits am vergangenen Wochenende auf einer Doppelseite Antworten auf wiederum 13 Fragen rund um “das neue Roaming” lieferte:
Sowohl bei Bild.de als auch in “Bild am Sonntag” kommt diese Frage vor:
Ich habe einen Auslandstarif, eine sogenannte Auslandsoption, abgeschlossen. Muss ich den jetzt kündigen?
Antwort der “Bild”-Medien:
Nein. Die Auslandsoption ist mit dem 15. Juni hinfällig. Seriöse Unternehmen werden diesen Tarif automatisch beenden. Überprüfen Sie zur Sicherheit Ihre Abrechnung.
Heißt im Umkehrschluss: Bei unseriösen Unternehmen muss man den Auslandstarif selber kündigen.
Auch “Bild” ist im Mobilfunkmarkt aktiv, mit zwei verschiedene Angeboten: bei “Bild mobil” bekommt man nicht mal “das Mindeste”; “Bild Connect” wirbt für die Pakete “FLAT 2000 LTE” und “FLAT 3000 LTE” auch aktuell noch mit einem “EU Roaming-Paket”:
Die “Bild”-Telefonisten werden “diesen Tarif” aber doch sicher “automatisch beenden”? Schauen wir “zur Sicherheit” mal auf eine “Bild Connect”-Abrechnung aus dem Mai:
Zum 15.06.2017 ändert sich die Roaming Regulierung in der EU: Ihre nationalen Mobilfunkkonditionen sind dann ebenfalls in der EU verfügbar. Ein Wechsel in die regulierten Konditionen ist über Ihre Servicewelt jederzeit möglich. Dort können Sie unter “Tarifoptionen” eine bestehende EU-Option oder EU-Tarifinklusivleistung abwählen. (…) Bitte bedenken Sie, dass Ihnen beim Verbleib im alternativen Tarif die Konditionen des regulierten Tarifs — Verfügbarkeit der nationalen Mobilfunkkonditionen in der EU — nicht zur Verfügung stehen. (…)
Mit freundlichen Grüßen
Drillisch Online AG — Ihr BILDconnect Kundenservice
Laut Bild.de und “BamS” scheint es sich bei der Kooperation von “Bild” und der Drillisch Online AG nicht um ein “seriöses Unternehmen” zu handeln.