Umstrittener Verwaltungsrat, Dreck Royal, Stuttgarter Auflösung

1. “Er dürfte nicht mal mehr die nächste Rundfunkratssitzung leiten”
(sueddeutsche.de, Bernd Kastner & Nicolas Richter & Annette Zoch)
Der katholische Geistliche Lorenz Wolf wird wegen seines Vorgehens beim Aufarbeiten von Fällen sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese München und Freising scharf kritisiert. Wolf ist jedoch nicht nur Geistlicher, sondern auch Vorsitzender des Rundfunkrats des Bayerischen Rundfunks, und das wirft Fragen auf: Einige Politikerinnen und Politiker raten ihm zum freiwilligen Rückzug, andere verlangen seinen Rücktritt, wiederum andere wollen erstmal abwarten.

2. Auflösung einer einst stolzen Zeitung
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
Josef-Otto Freudenreich kommentiert den Abbau von mehr als 50 Stellen bei der “Stuttgarter Zeitung” und ist skeptisch, was die soziale Verträglichkeit anbelangt: “Es gibt ein sogenanntes Freiwilligenprogramm, das allen die Freiheit verspricht, zu wählen zwischen Gehen und Bleiben, und dennoch nur ein Scheinangebot ist. Es werden keine 55 sein, die sich abfinden lassen, und dann kommen die Kündigungen.”
Weiterer Lesehinweis: Stimmen zum Kahlschlag im Pressehaus von Personen aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft: “Schmerzen bei der Zeitungslektüre” (kontextwochenzeitung.de).

3. Vom Fachmagazin zum Feuilleton
(tagesspiegel.de, Frederik Hanssen)
“Tagesspiegel”-Redakteur und Klassik-Liebhaber Frederik Hanssen hat seinen Frieden damit gemacht, dass auf dem Sender RBB Kultur nicht mehr nur Klassik gespielt wird: “Wenn es RBB Kultur gelingt, Horizonte aufzureißen – eingefleischte Klassikhörer stellen fest, dass es auch in anderen Stilen interessante Interpreten gibt, während klassikferne Menschen einschalten, weil sie sich für die Wortbeiträge interessieren, und dabei merken, dass niemand ein Fachmann sein muss, um eine Sonate von Scarlatti genießen zu können oder einen Sinfoniesatz von Haydn -, wenn der Sender also zum Sammelbecken aller Kulturinteressierten in Berlin wird, dann ist mehr gewonnen als verloren.”

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4. Dreck Royal
(zeit.de, Holger Stark)
Holger Stark schildert den Fall der libanesischen TV-Journalistin Ghada Oueiss (Al Jazeera), die Opfer einer Cyberattacke ist, bei der von ihrem Handy persönlichen Daten und intime Fotos entwendet und gegen sie eingesetzt wurden: “Die Spur führt in das Königreich Saudi-Arabien und die Emirate, aber auch in die USA, zu einem Netzwerk von Trump-Anhängerinnen. Sie führt in eine Welt von Intrigen, geopolitischen Interessen und Nachrichtendiensten.” Der Fall sei “ein Lehrstück über psychologische Kriegsführung repressiver Regime im digitalen Zeitalter und die Gefahren, die von Cyberwaffen ausgehen.”

5. Slapp! Slapp!
(taz.de, Daniel Zylbersztajn)
SLAPP ist die englische Abkürzung für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Sie sollen dazu dienen, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten. Eine solche Taktik vermuten viele hinter dem Vorgehen des Unternehmers Arron Banks gegen die britische Journalistin Carole Cadwalladr. Banks wiederum behauptet, seine Klage gegen Cadwalladr sei weder ein SLAPP-Fall noch böswillig.

6. Neil Young droht mit Boykott: Spotify als Plattform für Coronaleugner?
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf , Audio: 7:03 Minuten)
Der kanadische Musiker Neil Young ärgert sich über Spotify. Der Musikstreamingdienst hatte sich 2020 den Podcast des US-Amerikaners Joe Rogan für die stolze Summe von rund 100 Millionen Dollar gesichert. Rogan erweist sich als erklärter Coronaleugner und Impfgegner. Young forderte Spotify daher auf, “noch heute” zu handeln und lässt dem Unternehmen die Wahl: “They can have Rogan or Young. Not both”.
Update: Neil Young hat seine Ankündigung anscheinend umgesetzt: Neil Young lässt seine Musik von Spotify entfernen (spiegel.de). Siehe dazu auch die Stellungnahme auf seiner Website.

“Lügenpresse light”, Spekulations-TV, “Exxpress”-Kündigung

1. “Es ist ein ‘Lügenpresse light’-Milieu entstanden”: Medienexperte Pörksen über die Wut auf Journalisten
(rnd.de, Imre Grimm)
“Woher kommt der Hass gegen Journalisten auf ‘Querdenker’-Demos?” Imre Grimm hat sich mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über die zunehmenden Attacken auf Journalistinnen und Journalisten, die “digitale Erregungsindustrie” und die “mediale Wohlstandsverwahrlosung” unterhalten. Ein lohnenswertes Gespräch, das viele Diskussions- und Denkansätze liefert.

2. Den Schuss nicht gehört
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Als “quasi privates Spekulationsfernsehen” bezeichnet Boris Rosenkranz die “heute-live”-Berichterstattung im ZDF rund um den Amoklauf in Heidelberg: “Es war eine größtenteils unnötige Sendung, und sie hätte nicht überrascht, wenn sie in irgendeinem privaten Nachrichtensender gelaufen wäre.”

3. Yücel zum Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs – “Teils erfreut, teils enttäuscht”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Nina Magoley, Audio: 6:40 Minuten)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei wegen der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel zur Zahlung von 12.300 Euro Schadensersatz verurteilt. Deutschlandfunk-Redakteur Michael Borgers hat mit Yücel über das (noch nicht rechtskräftige) Urteil gesprochen, das dieser mit gemischten Gefühlen sieht.

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4. “Exxpress” trennt sich von Redakteurin nach Tweet über Holocaust-Planer als “Sozialisten”
(derstandard.de)
Das österreichische Onlinemedium “Exxpress” hat sich von seiner stellvertretenden Chefredakteurin Anna Dobler getrennt. Diese hatte zur Wannseekonferenz, auf der der Holocaust geplant wurde, getwittert: “Das waren nicht nur Mörder, sondern durch und durch Sozialisten.” Die “Exxpress”-Leitung hat dem auf Twitter scharf widersprochen: “Nein, die Nationalsozialisten, die den Holocaust planten und ausführten, waren keine ‘Sozialisten’, wie Anna Dobler dies in ihrem Posting nachweislich falsch behauptet hat.”

5. DAZN und die Illusion vom billigen Sport-Streaming
(dwdl.de, Alexander Krei)
Der Sportstreamingdienst DAZN erhöht seine Preise: Von ursprünglich 9,99 Euro im Monat geht es nach einer zwischenzeitlichen Steigerung auf 14,99 Euro bald rauf auf stolze 29,99 Euro pro Monat. Angesichts massiver Investitionen in teure Sportrechte erscheine der Schritt nachvollziehbar, doch er offenbare auch ein großes Dilemma, so Alexander Krei: “Für einen Zehner verzeiht man einiges, nicht aber für das Dreifache.”

6. Die vielleicht poetischste Stellenanzeige der Welt
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
“Wer hätte gedacht, dass uns Gabor Steingarts Medienunternehmen die vielleicht poetischste Stellenanzeige der Welt beschert?” Thomas Knüwer bespricht ein Poem des Lyrikers Steingart, der auf einem Schiff voller gedrechseltem Wortwust und schiefer Bilder lebt.

“Bild” im Umbruch, dpa kuratiert für Facebook, Falscher Attentäter

1. Wohin zieht es Ex-Chef Julian Reichelt?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Bei “Bild” ist einiges im Umbruch, und das nicht nur an der Redaktionsspitze: Die verkaufte Auflage beträgt erstmals seit 1953 weniger als eine Million Exemplare. Und auch “Bild TV” sendet an nicht wenigen Tagen unter der messbaren Wahrnehmungsgrenze. Nach dem Weggang von Ex-Chefredakteur Julian Reichelt wird an der Programmstruktur gebastelt. Beispielsweise wird die auf Krawall ausgelegte Sendung “Viertel nach Acht”, der “Talk, der Schlagzeilen macht”, von 20:15 Uhr in den späten Abend verlegt. Um Reichelts Zukunft ranken sich derweil Gerüchte: Er soll neulich mit einem milliardenschweren Fernsehsender-Besitzer gesehen worden sein.

2. Für dpa wird das Desinformationsproblem von Meta zum Geschäftszweig
(uebermedien.de, Alexander Fanta)
Die Nachrichtenagentur dpa beschäftige ab April ein 15-Leute-Team, das für Facebook deutsche Nachrichten kuratieren soll. Wie die Nachrichtenauswahl erfolgt, sei unbekannt, das rund 30-seitige “Redaktionsstatut” werde geheim gehalten. Alexander Fanta kommentiert: “Facebooks Desinformationsproblem wird für dpa zum Geschäftszweig. Das Kerngeschäft, unabhängig für Leserinnen und Leser zu berichten, könnte ins Hintertreffen geraten. Die Agentur, die die deutsche Medienlandschaft prägt, muss wachsam sein, sich nicht im Gewirr von Facebooks undurchsichtigen Geschäftsinteressen zu verlieren.”

3. Assange darf vor den Supreme Court ziehen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen begrüßt, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange gegen seine drohende Auslieferung in die USA vor den britischen Supreme Court ziehen darf: “Dieses Verfahren ist ein Präzedenzfall mit enormen Auswirkungen auf den Journalismus und die Pressefreiheit in der ganzen Welt. Wir wünschen uns, dass die neue deutsche Bundesregierung die Tragweite erkennt und sich ebenfalls dafür einsetzt, Julian Assange freizulassen.”

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4. Heidelberg: Medien nennen falschen Attentäter
(dw.com)
Als es am gestrigen Montag auf dem Gelände der Universität Heidelberg zu einem Amoklauf kam, nutzte ein anonymer Twitter-User die Aufmerksamkeit, bezichtigte einen vollkommen Unbeteiligten der Tat und verbreitete Fotos und Videos des Unschuldigen. Doch damit nicht genug – internationale Medienportale übernahmen den Namen ungeprüft und sorgten so dafür, dass sich die Falschnachricht weiter verbreitete.

5. MDR fresh, das Nachwuchs-Talente-Programm
(mdr.de)
Der MDR bietet ein neunmonatiges, bezahltes Nachwuchs-Talente-Programm an, das sich aus Workshops und verschiedenen Stationen beim MDR in Halle, Leipzig und Erfurt zusammensetzt: “Wir suchen nach Nachwuchs-Talenten, die mehr Diversität in die Redaktionen bringen. Ausdrücklich möchten wir mit diesem Programm Menschen ansprechen, die sonst nicht den Weg zum MDR finden. Du brauchst kein abgeschlossenes Studium. Wir möchten gern Menschen mit einer Migrationsgeschichte zu einer Bewerbung ermuntern.”

6. ZDF erklärt: Darum gibt es keine “Mainzelfrauchen” – verschweigt aber einen Fakt
(rnd.de)
Warum gibt es eigentlich keine “Mainzelfrauchen”? Auf diese Frage eines Zuschauers gab das ZDF in einem Facebook-Post Antworten, die jedoch nicht die ganze Wahrheit abbilden.

Ist “Bild” toxisch?, Verrat am Journalismus, Ungeimpft-Inserate

1. Wie gefährlich ist Bild?
(journalist.de, Michael Kraske)
Ist “Bild” toxisch? Michael Kraske beschäftigt sich in einer ausführlichen Analyse mit der Entwicklung der “Bild”-Medien in den vergangenen Jahren. Er hat dazu bei Medienwissenschaftler Volker Lilienthal und dem aktuellen “Bild”-Chef Johannes Boie nachgefragt. Der ebenfalls um eine Stellungnahme gebetene Springer-Chef Mathias Döpfner wollte nicht antworten, was Kraske wie folgt kommentiert: “Döpfners Wort hat Gewicht. Er hat eine doppelte Vorbildfunktion, weil er eben nicht nur der Kopf des Springer-Verlags, sondern auch der journalistischen Medienhäuser im Land ist. Döpfner lässt über einen Sprecher mitteilen, dass er es vorzieht, die journalist-Anfrage nicht zu beantworten. Das sagt dann auch einiges.”

2. Erst Dummheit, dann Mutwillen
(taz.de, Silke Burmester)
Das Verlagshaus Gruner + Jahr geht in den Medienkonzern RTL auf. Für Silke Burmester Anlass für eine ganz persönliche Schlussbetrachtung: “Ich habe mich über die Jahre an Gruner + Jahr abgearbeitet. In meiner taz-Kolumne ‘Die Kriegsreporterin’ verging kaum eine Woche, in der ich nicht etwas aufgespießt habe, das für die leise Verabschiedung vom hehren Journalismus stand. Es sind nicht einmal die Hitler-Tagebücher, die ich dem Verlag ankreide. Das hätte wohl jedem der Häuser passieren können. Nein, was ich dem Verlag bzw. seinen Verantwortlichen übel nehme, ist der Verrat am Journalismus, den das Haus begangen hat. Zunächst durch Dummheit, dann durch Mutwillen.”

3. Stellengesuche ungeimpfter Pflegekräfte führen ins Leere
(rbb24.de, Andreas Rausch)
“Ich dachte, das ist ja krass …” Als Andreas Rausch ein Bautzener Anzeigenblatt in die Hände nahm, entdeckte er darin mehr als einhundert angebliche Stellengesuche von impfunwilligen Angehörigen der Gesundheitsberufe. Er beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen, und versucht in mehreren Fällen, die Männer und Frauen, die die Inserate geschaltet haben sollen, anzurufen. Doch die angegebenen Nummern sind entweder nicht vergeben oder es ist dauerbesetzt oder es folgen anonyme Mailbox-Ansagen.
Weiterer Lesetipp: Laut Lars Wienand tritt dieses Phänomen auch in anderen Städten auf: Ungeimpfte: Der große Schwindel mit Stellengesuchen (t-online.de).

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4. Wenn Internetwerbung Demokratie gefährdet
(verdi.de, Bärbel Röben)
Der Werbeexperte Thomas Koch ist auf der digitalen “Konferenz zur Medienzukunft” mit der Werbebranche ins Gericht gegangen. Fünf Prozent aller Werbegelder deutscher Unternehmen würden auf Websites wie dem rechtsextremistischen “Breitbart”-Portal landen. Damit würden die Firmen sowohl den guten Ruf der Marke als auch die Demokratie gefährden. Bärbel Röben fasst die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen Kochs zusammen, der Mitgründer der Kampagne “StopFundingHateNow” ist.

5. Sie sind so frei
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Jürgen Schmieder berichtet über die Übernahme der “Chicago Sun-Times” durch die Non-Profit-Organisation Chicago Public Media. Der Vorgang zeige, dass US-amerikanischen Medien eine Chance haben können, ohne Milliardär-Mäzen oder Hedgefonds zu überleben: “Der Deal, dessen Einzelheiten wie zum Beispiel Kaufpreis noch nicht bekannt sind, dürfte nicht nur die Medienlandschaft in Chicago verändern, sondern auch höchste Aufmerksamkeitswellen durch die komplette Branche senden.”

6. US-Behörden ermitteln nach Flugzeugabsturz von YouTuber
(spiegel.de, Jörg Breithut)
Es deutet vieles darauf hin, dass ein US-amerikanischer Youtuber Ende November absichtlich einen Flugzeugabsturz herbeigeführt hat, den er wie einen Unfall aussehen lassen wollte. Experten im Netz haben dafür jedenfalls einige Hinweise gefunden. “Spiegel”-Autor Jörg Breithut hat sowohl das Absturzvideo als auch ein skeptisches Reaktionsvideo in seinen Artikel eingebettet.

KW 03/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. “Corona-Demos” in der Region: Berichten, wo jeder jeden kennt
(ndr.de, Amelia Wischnewski & Aaron Moser, Video: 7:08 Minuten)
Immer öfter finden die Proteste gegen Corona-Maßnahmen auch in kleinen Orten statt, wo sich Medienschaffende und Protestierende womöglich kennen. Das wirft vielerlei Probleme auf und kann für die Journalistinnen und Journalisten sogar riskant sein. “Zapp” ist dem Thema nachgegangen und hat unter anderem mit Chelsy Haß von der “Nordwest-Zeitung”, Jann-Luca Künßberg vom “Harz Kurier” und Ole Kracht vom “Katapult”-Magazin gesprochen.

2. #18 Was hast du studiert? Nichts!
(hinterdenzeilen.de, Niklas Münch & Tobias Hausdorf, Audio: 46:17 Minuten)
Die Macher des Podcasts “Hinter den Zeilen” beschreiben sich selbst als Nachwuchsjournalisten und Arbeiterkinder, die einen kritischen Blick auf den Journalismus und die Branche aus Nachwuchssicht werfen. In der aktuellen Folge sind zwei Personen zu Besuch, die es auch ohne Studienabschluss geschafft haben, in der Medienbranche Karriere zu machen: Mareice Kaiser, Chefredakteurin des feministischen Onlinemagazins “Edition F”, und Investigativjournalist, “Panorama”-Mitarbeiter und Autor Oliver Schröm.

3. Rheingehört! #89 – Wege in den Journalismus Teil 2
(wiesbadener-kurier.de, Laura Harff, Audio: 34:54 Minuten)
Nach der ersten Folge des Podcasts “Wege in den Journalismus” geht es im zweiten Teil um das Volontariat bei der VRM, einem regionalen Medienunternehmen mit Sitz in Mainz. Laura Harff unterhält sich mit Stefan Schröder, Chefredakteur des “Wiesbadener Kuriers”, über den praktischen Teil der Ausbildung “ohne Schonfrist”.

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4. Themen u.a. Medienfeindlichkeit der Impfgegner und Luca-App
(wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 45:04 Minuten)
Im WDR5-Medienmagazin geht es dieses Mal um Tipps für Polizei und Presse bei Demos, den Umgang mit der Medienskepsis der Impfgegner, die Luca-App und ihr eventuelles Aus, das gute Geschäft mit Apotheken-Blättern und die Frage, wie Instagram Essstörungen befeuert.

5. Welche Innovation erwarten wir 2022, Alexandra Borchardt?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:43:58 Stunden)
Nach dem Jahresrückblick 2021 und der Social-Media-Vorschau auf 2022 geht es bei “Was mit Medien” um den Innovationsausblick für das laufende Jahr. Zu Gast ist Alexandra Borchardt. Sie leitet das Journalism Innovators Program an der Hamburg Media School, berät und betreut Redaktionen als Coach und ist mit dem Reuters Institute for the Study of Journalism an der Universität Oxford verbunden.

6. Viraler Humor – Was Corona-Witze über uns erzählen
(zdf.de, Rudolph Herzog, Video: 51:57 Minuten)
“Im März 2020 traf eine Welle des Corona-Virus mit voller Wucht auf die westliche Welt. Doch inmitten der sich rasch verschärfenden Lage blühte auf einmal der Humor. Die Dokumentation zeigt mit viralen Clips und mit der Einschätzung von Comedians und Fachleuten, wie Humor in der Krise zur Bewältigungsstrategie werden kann.”

Telegram verbannen, “Katapult”-Gespräch, Ein “Querfront-Magazin”?

1. Faeser will Telegram aus den App-Stores werfen lassen
(spiegel.de)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser will Apple und Google auffordern, die umstrittene Messenger-App Telegram wegen nicht gelöschter Gewaltaufrufe und Hetze aus den jeweiligen App-Stores zu verbannen. Sie wolle die dominierenden Anbieter an ihre “gesellschaftliche Verantwortung” erinnern. Der “Spiegel” kommentiert: “Ein Rauswurf aus den App-Stores wäre keineswegs das Ende für die App: Bestehende Nutzerinnen und Nutzer könnten die App weiterhin nutzen, allenfalls an Updates zu kommen, könnte für sie schwierig werden.” Dennoch könne eine Sperrung das Wachstum der App bremsen.

2. “Wir müssen immer die Guten sein!”
(journalist.de, Jan Freitag)
“Katapult” ist in vielfacher Hinsicht ein Phänomen: Das Magazin hat sich mit seinen Karten und Datenvisualisierungen mehr oder weniger aus dem Nichts eine große Fangemeinde aufgebaut, hat mittlerweile fast 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und will nach dem Einstieg in den Lokaljournalismus eine Journalistenschule gründen. Jan Freitag hat sich mit dem umtriebigen Firmenchef unterhalten. Dabei geht es auch um die Frage, was das Unternehmen anders als die Mitbewerber macht.

3. Ein Querfront-Magazin?
(belltower.news, Vinzenz Waldmüller)
Das Onlinemagazin “Rubikon News” wurde von politisch eher links stehenden Personen gegründet, wird aber wegen der Vermischung linker und rechter Positionen oft als “Querfront-Magazin” bezeichnet. Ist diese Zuschreibung zutreffend? Vinzenz Waldmüller hat sich “Rubikon News” näher angeschaut und kommt zu lesenswerten Erkenntnissen.

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4. Unter den Opfern waren Deutsche
(kontextwochenzeitung.de, Minh Schredle)
Der Historiker und Germanist Ladislaus Ludescher hat sich im Rahmen einer Langzeitstudie mehr als 5.000 Folgen “Tagesschau” angeguckt und ausgewertet (PDF). Die Ergebnisse würden deutlich zeigen, “dass sich die Berichterstattung stark auf den sogenannten Westen konzentriert, während die Länder des Globalen Südens (die sogenannte Dritte Welt beziehungsweise die sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer) in der Berichterstattung massiv und konstant vernachlässigt werden”. Minh Schredle hat mit Ludescher über die Ergebnisse der Studie gesprochen, über “vergessene Welten und doppelte Standards”.

5. Lkw-Unfall auf der A 2: Die Klarstellung
(eurotransport.de, Jan Bergrath)
“Dies ist die Geschichte eines furchtbaren falschen Verdachts, den deutsche Medien gegenüber einem Lkw-Fahrer Ende Juni 2021 veröffentlichen. ‘Zwei Tote bei Horror-Unfall auf der A2. Handy beschlagnahmt! War der Lkw-Fahrer abgelenkt?’ So titelte etwa die BILD-Zeitung.” Jan Bergrath klamüsert in seinem Blogbeitrag detailliert auseinander, was in dem Fall medial alles schiefgelaufen ist, und zeigt, wie wichtig gründliche Recherche und verantwortungsvolle Berichterstattung sind.

6. #trending Weekly: The Beginning
(meedia.de, Jens Schröder)
Nachdem sich Jens Schröder Mitte Dezember nach mehr als 1.000 Ausgaben von seinem verdienstvollen, täglichen #trending-Newsletter verabschiedet hat, kommt er nun mit einem wöchentlichen Format zurück. In den Augen des “6-vor-9”-Kurators eine ausgesprochen gute Nachricht, denn die gänzliche Einstellung hätte eine große Lücke hinterlassen. Die aktuelle Ausgabe bietet direkt jede Menge interessanten Lesestoff.

Bis zu 100 Prozent einer “Bild”-Überschrift sind falsch

Manchmal reichen der “Bild”-Redaktion ein besonderer Fokus und zwei kleine Wörter, um die Leserschaft in die gewünschte Richtung zu lenken.

Am späten Montagabend stand ganz oben auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Bild-Umfrage bei den Gesundheitsministerien zeigt - Bis zu 29 Prozent der Corona-Toten starben nicht an Corona

Sowie am Tag darauf auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Viele Corona-Tote starben nicht an Corona! Bis zu 29 Prozent! Sie wurden als Corona-Tote gezählt, aber das Virus war nicht Todesursache - Wie die Bürokratie das Vertrauen der Bürger verspielt

Und in den Sozialen Medien:

Screenshot des Facebook-Posts der Bild-Redaktion
Screenshot des Tweets der Bild-Redaktion

Es geht um die zwei Wörter “Bis zu”. Die hat die “Bild”-Redaktion klug gewählt, klug im Sinne von: manipulativ. Schaut man sich nämlich den dazugehörigen Artikel an – wofür man allerdings entweder die “Bild”-Zeitung kaufen oder ein “Bild-plus”-Abo besitzen muss -, sieht man recht schnell: Mit den 29 Prozent hat “Bild” sich einen extremen Ausreißer rausgesucht. Autor Filipp Piatov listet in seinem Beitrag die Werte aus acht Bundesländern auf: In Baden-Württemberg sind laut dortigem Gesundheitsministerium 6 Prozent der als “Corona-Tote” gemeldeten Personen nicht am, sondern mit dem Coronavirus gestorben, in Bayern 11 Prozent, in Hessen 7 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 9 Prozent, in Niedersachsen 10 Prozent, in Rheinland-Pfalz 17 Prozent, im Saarland 10 Prozent und in Sachsen-Anhalt 29 Prozent.

Ausriss Bild-Zeitung - Tabelle mit den oben genannten Werten

Für “Bild” ist der Fokus klar: “Bis zu 29 Prozent”.

Hätte die Redaktion stattdessen plump den Durchschnitt der acht Bundesländer errechnet, hätte sie nur 12,4 Prozent vermelden können. Hätte sie den Durchschnitt anhand der Anzahl der gemeldeten Corona-Toten gewichtet, wären es 14,2 Prozent gewesen.

Das sind nicht so wahnsinnig überraschende Werte. Bereits im April 2021 berichtete “Quarks” beispielsweise:

Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie hat im Jahr 2020 Untersuchungen an 154 Verstorbenen durchgeführt, die zuvor an Covid-19 erkrankt waren. Das Ergebnis: 86 Prozent dieser Todesfälle waren wesentlich oder alleinig auf die direkten Folgen der Infektion zurückzuführen (…)

Die Todesursachenstatistik des Bundesamtes für Statistik bestätigt diesen Befund: Bei den Corona-Todesfällen für das Jahr 2020 wurde bei 83 Prozent der Fälle Corona als hauptsächliche Ursache angegeben. Bei den restlichen 17 Prozent habe Corona demnach als “Begleiterkrankung zum Tod beigetragen”.

(Um die Debatte, ob die Unterscheidung zwischen an und mit Corona verstorben sinnvoll ist, oder den Gedanken, dass niemand an einem Virus stirbt, sondern an den körperlichen Folgen, soll es hier erstmal nicht weiter gehen.)

Das liegt in etwa in dem Bereich der von uns errechneten Durchschnittswerte. Piatov nennt sie nirgendwo in seinem Artikel.

Stattdessen haben er und seine Redaktion sich den Extremwert aus Sachsen-Anhalt rausgepickt. Nicht ohne Wirkung: Bei Facebook und Twitter ist der Ärger der “Bild”-Leserinnen und -Leser gewaltig. In etwa 2.000 Kommentaren wettern sie gegen die Regierung: “Die Politik und Ministerien sind mit dem fälschen von Zahlen schmerzfrei.” Und fragen: “Wann rollen eigentlich mal Köpfe?” Aufgrund der Paywall bei Bild.de dürften viele der Kommentatoren nur die 29 Prozent mitbekommen haben.

Und es gibt noch ein Problem: Die 29 Prozent stimmen gar nicht.

Wir haben am Dienstag beim sachsen-anhaltischen Gesundheitsministerium nachgefragt, ob die in “Bild” angegeben 29 Prozent korrekt sind. Wir hatten Zweifel, weil es sich um einen so deutlichen Ausreißer handelt. Und weil wir uns gewundert hatten, dass es in einem Bundesland mit etwa 2,2 Millionen Einwohnern im selben Zeitraum mehr Corona-Tote gegeben haben soll (laut “Bild”-Artikel 1.455) als in Baden-Württemberg (laut “Bild”-Tabelle 1.236 Corona-Tote), wo es mehr als fünfmal so viele Einwohner gibt.

Der Fehler liegt in diesem Fall allerdings nicht bei “Bild”, sondern beim Gesundheitsministerium. Ein Mitarbeiter antwortete uns:

Die von uns gemachten Angaben basieren auf einer falschen Grundannahme. Der Fehler liegt tatsächlich bei uns.

Richtig ist: Seit Dezemberbeginn 2021 sind bis heute 590 Corona-Todesfälle in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Davon sind 446 an Corona verstorben, 117 mit Corona.

Es sind also nicht 29 Prozent, sondern 19,8. Dadurch ändert sich der einfache Mittelwert auf 11,3 Prozent und der gewichtete auf 10,6.

In der “Bild”-Zeitung ist dazu eine Art Korrektur erschienen, nicht groß auf der Titelseite, sondern klein in der Ecke auf Seite 2:

Ausriss Bild-Zeitung - Corona - Ministerium korrigiert Todeszahlen

Bei Bild.de wurde die Überschrift des Artikels geändert …

Screenshot Bild.de -

… und am Ende des Textes eine “Aktualisierung” hinzugefügt:

Aktualisierung: In der ersten Fassung des Artikels berichtete BILD, dass in Sachsen-Anhalt 29% aller Verstorbenen, die seit dem 1. Dezember 2021 als Corona-Tote gemeldet wurden, nicht an Corona verstorben waren. Dies beruhte auf Angaben aus dem Gesundheitministerium Sachsen-Anhalt. Nach der Veröffentlichung des BILD-Berichts erklärte die Behörde gegenüber BILD: “Die von uns gemachten Angaben basieren auf einer falschen Grundannahme. Der Fehler liegt bei uns.” Richtig sei: “Seit Dezemberbeginn 2021 sind bis heute 590 Corona-Todesfälle in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Davon sind 446 an Corona verstorben, 117 mit Corona.” BILD hat den Bericht daraufhin aktualisiert.

Der Tweet und der Facebook-Post mit den falschen 29 Prozent sowie die ganzen wütenden Kommentare der Leserschaft dazu sind unverändert online.

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RT-Beschwerde, Digital Services Act, Stellenabbau in Stuttgart

1. Streit um Auslandsberichterstattung in Deutschland und Russland
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 7:18 Minuten)
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow beklagte sich eine Reporterin von RT DE (ehemals Russia Today Deutschland): Nirgendwo auf der Welt habe es ihr Sender angeblich so schwer wie in Deutschland. Dem widersprach Baerbock. RT habe für die journalistische Tätigkeit jederzeit ungehinderten Zugang, beispielsweise zu den Bundespressekonferenzen: “Dass es staatliche Einmischung gibt, ist nicht der Fall”.

2. Pressefreiheit achten
(djv.de, Paul Eschenhagen)
Der Deutsche Journalisten-Verband und die Europäische Journalisten-Föderation begrüßen den heute im Europaparlament zur Abstimmung stehenden Änderungsantrag zum Digital Services Act. Dieser sehe vor, dass die Geschäftsbedingungen der Internetplattformen wie beispielsweise Facebook, Twitter oder Youtube an die Grundrechte und die Presse- und Meinungsfreiheit gebunden werden müssen.

3. Erweiterung der Farbskala der Corona-Karte der tagesschau
(blog.tagesschau.de)
Die Redaktion der “Tagesschau” sieht sich gezwungen, die Farbskala ihrer Corona-Karte anzupassen. Die Ausbreitung der Omikron-Variante erreiche hinsichtlich der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz neue Höchstwerte, die vor einem Jahr noch undenkbar waren: “Wir brauchen für die Darstellung höherer Inzidenzwerte eine höhergehende Skala und eine in Teilen geänderte Farbgebung.”

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4. Computerspiel-Fachpresse – vom Testmagazin zur kulturkritischen Publikation?
(fachjournalist.de, Rudolf Thomas Inderst)
In seinem Beitrag im “Fachjournalist” skizziert Rudolf Thomas Inderst, Professor für Game Design, die Entwicklung der Computerspiel-Berichterstattung – von den ersten Anfängen über die Hochphase bis zum jetzigen Stand. Zum Schluss hat er noch einen Tipp für den Nachwuchs parat: “Statt auf die Festanstellung als Spielejournalist:in zu spekulieren, scheint es ratsam, einen der benannten thematischen Anknüpfungspunkte der Spielekultur zu nutzen, um sich ein Portfolio aufzubauen bzw. dieses anzubieten.”

5. Massiver Stellenabbau in Stuttgart geplant
(spiegel.de)
“Stuttgarter Nachrichten” und “Stuttgarter Zeitung” wollen bis zum Jahresende etwa 20 Prozent der gesamten Redaktion abbauen. Das betreffe rund 50 redaktionelle Stellen. Bei einer Betriebsversammlung am gestrigen Mittwoch sei die Redaktion über die Pläne informiert worden.

6. Sensationsjubel sorgt für Jubelsensation bei Markus Söder
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer ist der offizielle Regenbogenpressebeauftragte des medienkritischen Portals “Übermedien”. Dort ruft er regelmäßig zum “Schlagzeilenbasteln” auf: “Wir geben Ihnen eine Nachricht, und Sie versuchen zu erraten, welche irre Schlagzeile die Profis daraus gemacht haben. Auf die Plätze – los!”

Sachsen-Anhalts ARD-Abschalter, Telegram-Diskussion, Hammer

1. ARD abschalten? Warum die CDU-Forderung aus Sachsen-Anhalt reiner Populismus ist
(rnd.de, Imre Grimm)
Die CDU in Sachsen-Anhalt hat für ihre Forderung, das ARD-Hauptprogramm “Das Erste” abzuschaffen, viel Aufmerksamkeit bekommen. Natürlich stehe es jedem frei, über eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen zu debattieren, so Imre Grimm, die sachsen-anhaltinische CDU agiere jedoch populistisch und spiele mit den Grundfesten der Meinungsfreiheit: “Gewiss ist nicht jeder radikale Kritiker von ARD und ZDF ein rechtstendenziöser Populist. Dass sich aber auch die CDU klar AfD-Positionen zu eigen macht und dabei auch noch Einfluss auf die Inhalte der Sender nehmen möchte, ist ein Tabubruch, den der designierte CDU-Chef Friedrich Merz schnellstens einhegen muss.”

2. Was tun gegen die App der Corona-Leugner:Innen
(belltower.news, Simone Rafael)
Die Diskussion über Telegram ist in vollem Gange. Der Dienst ist nicht nur Messenger, sondern durch seine Gruppenfunktion eine Art Soziales Netzwerk, in dem Hass und Hetze gedeihen. Was tun? Die App verbieten oder sie mit Anfragen bombardieren, wie das Bundeskriminalamt es vorschlägt? Simone Rafael, Leiterin des Digitalteams der Amadeu Antonio Stiftung, antwortet auf diese und die damit im Zusammenhang stehenden Fragen.

3. Wer berichtet noch aus dem Landtag?
(flurfunk-dresden.de, Christine Keilholz)
“Die Landespolitik hat als journalistischer Centercourt abgedankt. Das hat auch zu tun mit einem Wandel in der Presselandschaft.” Christine Keilholz beschreibt am Beispiel Sachsens, wie schwer es regionaler Parlamentsjournalismus und landespolitische Berichterstattung heutzutage haben.

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4. Aufmärsche sind keine Spaziergänge!
(migazin.de, Clara Herdeanu)
“Haben Sie in den letzten Tagen eine Einladung zu einem Spaziergang ausgesprochen – und dann schnell erschrocken eine Erklärung hinterhergeschickt, dass Sie kein Querdenker seien und nicht der Meinung seien, wir lebten in einer Diktatur. Willkommen im aktuellen Corona-Diskurs!” Die Linguistin Clara Herdeanu erklärt aus sprachwissenschaftlicher Sicht, warum bestimmte Wörter ihre Unschuld verloren haben und andere banalisiert werden.

5. Auf wen kommt es noch an?
(faz.net)
Vor etwa zwei Jahren hat die “FAZ” 30 seinerzeit vielversprechende Youtuberinnen und Youtuber vorgestellt. Nun verrät die Redaktion, wie es bei den jeweiligen Personen weitergegangen ist: “Wenn wir uns diese individuellen Biografien anschauen, erzählen diese nicht nur etwas über einzelne Personen, sondern zeigen uns auch die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre.”

6. Analyse-Hammer: Häufigste “Bild”-Phrase aufgedeckt
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Hammer, was Uwe Mantel da gelungen ist: In seinem Analyse-Hammer deckt er die meistbenutzte Hammer-Phrase der “Bild”-Redaktion auf. Es ist im wahrsten Sinne ein Hammer-Beitrag.

Nordkoreanische Burrito-Ente, warm serviert

Nordkorea, einst von vielen gefürchtet, taucht in der Berichterstattung heutzutage vor allem in einer Rolle auf: als Lachnummer.

Womit wir auch gleich beim “Stern” wären.

Der macht nicht nur eine ähnliche Entwicklung durch, sondern trägt auch immer wieder dazu bei, dass das niederträchtige Regime Nordkoreas eben nicht gefürchtet oder verachtet wird, sondern belächelt. Mit Geschichten wie dieser:

Nordkorea - Diktator Kim Jong-il wird posthum für eine Erfindung bejubelt: den Burrito

So steht es seit gut einer Woche bei Stern.de*. Im Artikel feixt die Autorin:

Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. Der Vater von Nordkoreas Oberstem Führer Kim Jong-un soll eine Leckerei erfunden haben, deren Ursprung eigentlich in der mexikanischen Küche liegt und liebend gerne von den feindlichen US-Amerikanern verspeist wird – den Burrito.

Denn die nordkoreanische Propagandazeitung “Rodong Sinmun” habe laut Stern.de behauptet, der Burrito sei ursprünglich im Jahr 2011 von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-il erfunden worden. Auch dessen Sohn, der amtierende Diktator Kim Jong-un, habe ein ausgeprägtes Interesse an der Spezialität.

Als Quellen für die Story gibt Stern.de die Boulevardblätter “New York Post” und “The Sun” an.

Tatsächlich waren es zunächst englischsprachige Medien, die behaupteten, nordkoreanische Medien hätten behauptet, der Burrito sei eine Erfindung ihres geliebten Führers:

North Korea is claiming that Kim Jong-il invented the burrito
North Koreans enjoy burritos after paper bizarrely claims Kim Jong-il'invented dish in 2011'
North Korea claims Kim Jong Un's dad invented the burrito
GUAC-POT THEORY - Kim Jong-un's dad 'invented BURRITOS' North Korea bizarrely claims as sales of Western dish 'boom'

Sie alle berufen sich auf das Propagandablatt “Rodong Sinmun”:

The Rodong Sinmun newspaper, seen as a government mouthpiece, reported that the burrito was thought up in 2011 by Kim Jong-il – the father of current supreme leader Kim Jong-un.

Die Geschichte zog sofort große Kreise und landete schnell auch in deutschen Medien, etwa bei Stern.de oder News.de. Die “Südwest Presse” und ihre regionalen Ableger widmeten ihr sogar einen Platz auf der Titelseite:

Inzwischen steht es, unter Berufung auf Stern.de und “Metro”, auch im Burrito-Wikipediaartikel:

Die nordkoreanische Zeitung Rodong Sinmun behauptete 2022, das Gericht sei im Jahre 2011 von Kim Jong-il kurz vor seinem Tod erfunden worden.

Aber was ist dran an der Sache? Nun, auf der Internetseite von “Rodong Sinmun” findet man schnell den Originalartikel, auf den sich alle beziehen. Dort abgebildet: Ein nordkoreanischer Burrito-Stand im Winter, vor dem mehrere Menschen stehen (alle tragen eine Maske und scheinen darunter zu lächeln). Dazu heißt es:

An einem Stand kann man Menschen sehen, die mit Fleisch gefüllte Weizenkuchen essen, und Verkäuferinnen, die die Kunden freundlich über den Nährwert aufklären.

Diese harmonische Szene fügt ihrer Popularität Glanz hinzu.

Wann immer wir Zeuge solcher Szenen werden, erinnern wir uns mit tiefer Ergriffenheit an das Bild des Vorsitzenden Kim Jong Il, der sich bei seiner Führung durch die neu errichtete Werkstatt der Kumsong-Lebensmittelfabrik freute.

Als der Vorsitzende an einem mobilen Servicestand vorbeikam, wies er an, dass die Leute die gefüllten Weizenkuchen aufgewärmt servieren sollten.

Wir erinnern uns noch gut an seine Worte, dass es für unser Volk angenehmer wäre, im Sommer Mineralwasser und im Winter heißen Tee mit Weizenkuchen an den Ständen zu bekommen.

Der verehrte Generalsekretär Kim Jong Un, der die Geschichte der edlen Liebe des Vorsitzenden zum Volk weiterführt, hat ein ausgeprägtes Interesse für die Weizenkuchen, von der Herstellung bis zum Service, und ergriff entsprechende Maßnahmen.

In der Tat: Ein kleiner Stand für gefüllte Weizenkuchen ist mit der mütterlichen Liebe unserer Partei verbunden.

Allem Geschwurbel zum Trotz: Das Blatt behauptet nicht, dass Kim Jong-il 2011 den Burrito erfunden hat. Sondern dass er beim Besuch einer Lebensmittelfabrik (der 2011 stattfand) anwies, den Weizenkuchen lieber aufgewärmt zu servieren, vor allem im Winter.

Dass die amerikanischen und englischen Journalisten daraus etwas völlig anderes machen, und dass deutsche Journalisten den Quatsch einfach abschreiben und sogar auf die Titelseite packen, statt zwei Minuten zu recherchieren, ist aber keine Ausnahme, sondern eine liebgewonnene Tradition. Schauen wir nochmal in den einleitenden Absatz bei Stern.de:

Neues aus Pjöngjang: Nach sagenumwobenen Einhörnern, die man in einer Höhle gefunden haben will, der Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste und ein perfekter Golfspieler gewesen sein soll (gleich bei seinem ersten Versuch sollen ihm elf “Hole in One” gelungen sein), hat die Propagandamaschine nun eine neue Geschichte in Petto. (…)

Nehmen wir die Einhörner, die das Regime laut Stern.de gefunden haben wolle. Eine Geschichte, die seit zehn Jahren immer wieder höhnisch erzählt wird. Dabei steckt dahinter, wie das Wissenschaftsblog “io9” bereits vor zehn Jahren berichtete, wohl schlicht ein Übersetzungsfehler:

Nein, die nordkoreanische Regierung hat nicht behauptet, Beweise für das Einhorn gefunden zu haben. (…) Die Behauptung bezieht sich stattdessen auf einen Ort namens Kiringul [der in Nordkoreas Mythologie eine bedeutende Rolle spielt]. Nordkorea hatte die Entdeckung bereits 2011 verkündet, aber erst vor Kurzem eine Meldung auf Englisch veröffentlicht. In dieser englischen Version wurde der Name des historischen Ortes, Kiringul, irrtümlich als “Einhorn-Höhle” übersetzt – ein sehr anregender Name für Leute aus dem Westen.

Ebenso anregend wie die “Erzählung, dass Kim Jong-il niemals auf Toilette musste”, die es bei News.de aktuell auch wieder in die Überschrift geschafft hat:

Kim Jong-un: Vater von Nordkorea-Diktator erfand Burrito und hatte KEINEN Stuhlgang

Im Artikel heißt es:

Bei seiner ersten Golfrunde soll Kim Jong-il, der verstorbene Vater des amtierenden Herrschers, gleich elf Hole-in-ones geschlagen haben. Eine wirklich besch***ene Idee war es wohl, zu behaupten, die Führer des Landes hätten keinen Stuhlgang. Dagegen ist die angebliche Entdeckung von Einhörnern doch direkt süß.

Ok. Also.

Zunächst der (Nicht-)Stuhlgang. Auch diese Behauptung hält sich seit vielen Jahren (nicht erst seit dem Film “The Interview”) hartnäckig in den Medien. Der älteste Artikel, den wir dazu finden konnten, erschien 2008 auf einer amerikanischen Listicle-Website, die sich auf Kim Jong-ils Wikipedia-Artikel berief. Dort fand sich tatsächlich mal eine (mittlerweile gelöschte) Passage, die lautete:

Überläufer werden mit der Aussage zitiert, dass nordkoreanische Schulen sowohl Vater als auch Sohn vergöttern, und lehren, dass sie nicht wie sterbliche Menschen urinieren oder defäkieren.

Als Quelle dafür wurde wiederum ein Buch angegeben, “The Aquariums of Pyongyang: Ten Years in the North Korean Gulag”, in dem ein nordkoreanischer Journalist sein Leben in einem Internierungslager beschreibt. Wirft man einen Blick in das Buch, stellt sich die Sache aber schnell ganz anders dar. Denn der Autor schreibt:

In meinen kindlichen Augen und denen aller meiner Freunde waren Kim Il-sung und Kim Jong-il perfekte Wesen, unbefleckt von jeder niederen menschlichen Funktion. Ich war wie wir alle davon überzeugt, dass keiner von ihnen urinierte oder defäkierte. Wer könnte sich so etwas bei Göttern vorstellen?

Das mit dem Stuhlgang ist also nicht wörtlich zu verstehen, sondern als Umschreibung dafür, wie der Autor die scheinbare Göttlichkeit der Machthaber als Kind empfunden hat.

Dann die Geschichte mit dem perfekten Golfspiel, die Journalisten seit nunmehr fast 30 Jahren supergern erzählen, aber superungern überprüfen. Zurückzuführen ist sie auf einen 1994 im “International Herald Tribune” veröffentlichten Artikel. Dort schrieb der australische Reporter Eric Ellis über seine Reise nach Nordkorea und berichtete unter anderem von seiner (eigentlich eher nebensächlichen) Begegnung mit einem nordkoreanischen Golfer:

Mr. Park, der zugab, noch nie etwas von Arnold Palmer gehört zu haben, erklärte, dass der “Geliebte Führer” über 18 Löcher eine 34 spielte, darunter fünf Hole-in-Ones. “Er ist ein hervorragender Golfer”, sagte Mr. Park.

Im Laufe der Jahre wurde dieser Nebensatz von Journalisten immer weiter aufgeblasen – aus den fünf Hole-in-Ones wurden elf, irgendwann kamen noch 17 Bodyguards dazu, die dabeigewesen seien und alles bezeugen könnten, und vor allem wurden diese Aussagen nicht mehr irgendeinem Golfer zugeschrieben, sondern zu einer offiziellen Verlautbarung der nordkoreanischen Regierung erklärt.

“Ich bin verwirrt darüber, wie sich diese Geschichte verselbstständigt hat”, sagte Eric Ellis, der australische Reporter, im vergangenen Jahr in einem Interview. Eigentlich sei es ein “völlig unschuldiger, entwaffnender Moment” gewesen: Der nordkoreanische Golfer habe einfach Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen, darum habe er sich die absurde Geschichte mit den Hole-in-Ones ausgedacht.

Und knapp drei Jahrzehnte später wird sie immer noch erzählt – von kichernden Journalisten, die glauben, sie würden damit die Lachhaftigkeit der Nordkoreaner belegen, ohne zu merken, wen sie damit eigentlich entlarven.

Insbesondere bei Stern.de erscheinen immer wieder solche Geschichten. So behauptete das Portal 2014 zum Beispiel (neben vielen anderen Medien), dass männliche Studenten in Nordkorea laut staatlicher Verordnung nur noch eine einzige Frisur tragen dürften: die von Kim Jong-un (BILDblog berichtete). 2017 reisten zwei australische Studenten nach Nordkorea, um die Geschichte zu überprüfen. Sie kamen zum gleichen Ergebnis wie wir: völliger Quatsch. Doch bei Stern.de steht die Behauptung bis heute unverändert online.

Im Jahr darauf behauptete Stern.de, Nordkorea wolle den USA den Krieg erklären, sobald Windows 10 auf den Markt komme. Als wir die Redaktion fragten, ob es dafür irgendwelche Belege gebe, antwortete sie nicht. Aus gutem Grund: es gab keine. Denn auch diese Geschichte war völliger Quatsch.

Bei einer Sache hat der “Stern” aber Recht: Tatsächlich wird die Propagandamaschine weiterhin fleißig von Medien betrieben. Allerdings nicht nur von nordkoreanischen.

Nachtrag, 19. Januar: Im Burrito-Wikipediaartikel wurde die Passage gelöscht.

*Nachtrag, 20. Januar: Stern.de hat auf unsere Kritik reagiert und den Burrito-Artikel gestern offline genommen. Außerdem schrieb uns jemand aus der Redaktion, dass man “auch die älteren verlinkten Artikel noch einmal ansehen und in den nächsten Tagen offline nehmen” werde.

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