Der VfB Stuttgart hat am Sonntag ein Testspiel beim Drittligisten Hansa Rostock absolviert. Die Leistung der Stuttgarter war wohl nicht so richtig überzeugend, das Spiel endete 1:1 und einer war laut “Bild” besonders schwach:
Der Nationalspieler, der in den vergangenen Tagen laut über seinen Abschied aus Stuttgart nachgedacht hatte, muss wirklich schlecht gespielt haben: Insgesamt drei Mal erwähnt “Bild”, dass “für den enttäuschenden Cacau” “nach 45 Minuten Schluss” bzw. “sein Arbeitstag beendet” gewesen sei.
Doch nicht nur für den: Die gesamte Startelf des VfB Stuttgart wurde in der Halbzeitpause ausgewechselt, wie der Verein auf seiner Internetseite schreibt. Er schreibt allerdings auch:
In der Pause wechselte Cheftrainer Bruno Labbadia, wie vorab angekündigt, komplett durch.
Dadurch wirkte die Auswechslung von Cacau – schwache Leistung hin oder her – natürlich nicht mehr ganz so spektakulär. Das haben sie selbst bei “Bild” eingesehen und in der Nacht die Version bei Bild.de überarbeitet.
Drei- bis viermal im Jahr laden die “Dresdner Neuesten Nachrichten” für einen Tag einen “Gast-Chefredakteur” ein, der gemeinsam mit der Redaktion eine Ausgabe mit einem thematischen Schwerpunkt entwickelt. Darauf ist der Chefredakteur der “Dresdner Neuesten Nachrichten” offenbar so stolz, dass er in einer Stellungnahme gegenüber dem Deutschen Presserat ausführlich über dieses Projekt referiert und auflistet, welche prominenten und nicht-prominenten “Gast-Chefredakteure” es schon gegeben habe und welche Themen diese dabei bearbeitet hätten.
Diese Stellungnahme war nötig geworden, weil sich ein Leser beim Presserat über die “DNN”-Ausgabe vom 15. Februar beschwert hatte, deren “Gast-Chefredakteur” Rolf Steinbronn, Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse AOK Plus, war.
In seinem Leitartikel hatte Steinbronn erklärt, wie viel Geld die AOK Plus (die “größte gesetzliche Krankenkasse in Sachsen und Thüringen”) wofür ausgibt, und dass die AOK Plus allein im vergangenen Jahr 70 Millionen Euro durch Rabattvertäge mit Pharmafirmen gespart habe.
Und solche Einsparungen sind natürlich was Tolles für die Versicherten der AOK Plus:
Vom Spareffekt profitieren letztlich alle Versicherten, indem sie sich darauf verlassen können, bei der AOK Plus bis mindestens 2014 von Zusatzbeiträgen verschont zu bleiben.
Und was die AOK Plus sonst noch tolles macht, konnte der Leser fast überall in dieser Ausgabe der “DNN” erfahren:
Im Lokalteil etwa kamen die Mitarbeiter eines Jugendgästehauses zu Wort, die dank der Gesundheitsförderung der Dresdner AOK jetzt drei Übungsstunden à 60 Minuten mit individuellen, arbeitsplatzbezogenen Rückenübungen bekommen haben.
Im Kulturteil stand ein Artikel über ein Präventionsprojekt, bei dem Musiker des Landesjugendorchesters Sachsen spezielle Übungen zur Stärkung ihres Bewegungsapparats lernen sollten, um Haltungsschäden zu vermeiden. Gefördert von der AOK Plus, wie der Leser erfuhr.
Und im Sportteil erschien ein Interview mit dem Leiter des Betriebssportvereins der AOK in Dresden, das “Entspannung bei Zumba in der Mittagspause” versprach. Man muss aber gar nicht bei der AOK arbeiten, um dort mitmachen zu dürfen: “Unser Sportverein richtet sich aber nicht nur an AOK-Mitarbeiter, sondern ist für alle offen.”
Der Beschwerdeführer fand insgesamt acht Artikel, in denen er das Gebot der klaren Trennung von Redaktion und Werbung verletzt sah.
Der Chefredakteur der “DNN”, Dirk Birgel, betonte in seiner Stellungnahme, dass die Veröffentlichung weder von dritter Seite bezahlt noch durch geldwerte Vorteile belohnt worden sei. Auch ein Kopplungsgeschäft liege nicht vor.
Die “DNN” beharrte auf ihre redaktionelle Unabhängigkeit: Nur der Leitartikel sei vom Chef der AOK Plus verfasst und durch den Chefredakteur selbst geprüft worden. Alle anderen Beiträge seien durch die Redaktion selbst erarbeitet worden. Es sei “naheliegend”, dass sie thematisch im Zusammenhang mit dem Gast-Chefredakteur stünden.
Wenn überhaupt, so der Chefredakteur, dann könnte allenfalls in der Mitteilung, dass die AOK bis 2014 keine Zusatzbeiträge erheben wolle, eine werbliche Wirkung gesehen werden. Er erklärte aber auch eindrucksvoll, warum das eigentlich nicht sein könne: Da die Meldung die überwiegende Anzahl der Leser betreffe, überlagere hier das öffentliche Interesse einen möglichen Werbeeffekt. Auch in allen anderen Artikeln überlagere der Informationswert eindeutig eine mögliche Werbewirkung für die AOK.
Einer der vom Leser kritisierten Artikel mit dem Titel “Last-Minute-Fitness für Wintersportler” gehöre übrigens gar nicht zu den mit dem AOK-Chef vorbereiteten Texten, führte der Chefredakteur weiter aus: Es handele sich dabei vielmehr um den vorletzten Teil der zwölfteiligen Serie “Gesund und aktiv”, die von der AOK lediglich durch die Schaltung einer Anzeige in Form eines Logos begleitet werde. Dieser Text sei aber auch keine AOK-Veröffentlichung, sondern ein von einem Facharzt für Orthopädie verfassten Beitrag zum Thema “Skilanglauf und Abfahrtski” ohne Bezug zur AOK. Auf der Seite finde sich zudem ein Interview mit einer Ernährungsberaterin, in dem der einzige Bezug zur AOK sei, dass diese bei der Krankenkasse arbeite.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Der Beschwerdeausschuss des Presserats konnte sich der Argumentation der “Dresdner Neuen Nachrichten” nicht anschließen und erkannte in der Berichterstattung eine Verletzung des Grundsatzes der klaren Trennung von Redaktion und Werbung. Die gemeinsam mit der AOK Plus entstandenen Beiträge überschritten die Grenze zwischen einer Berichterstattung von öffentlichem Interesse und Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 Pressekodex.
Die Häufung von Beiträgen, in denen über die Krankenkasse und ihr im Wettbewerb stehendes Angebot berichtet wird, sei redaktionell nicht mehr zu begründen. Es entstehe dabei eine Werbewirkung für die AOK, die nicht durch ein Leserinteresse an der Berichterstattung zu rechtfertigen ist.
Der Presserat sprach deshalb eine “Missbilligung” gegen die “Dresdner Neuesten Nachrichten” aus.
ARD und ZDF sind empört. Von Manipulation ist die Rede und von der Missachtung journalistischer Standards, ja sogar ihre Glaubwürdigkeit sehen die Öffentlich-Rechtlichen in Gefahr. Und Schuld an alledem ist die UEFA.
Denn deren internationale Bildregie hatte während der Fußball-Europameisterschaft an manchen Stellen Szenen, die vor Spielbeginn aufgezeichnet worden waren, in die Live-Übertragung geschnitten. So wurde beispielsweise im Halbfinale Deutschland gegen Italien, kurz nachdem die deutsche Mannschaft ein Gegentor kassiert hatte, eine weinende Deutschland-Anhängerin gezeigt. Es entstand der Eindruck, dieses Gegentor habe die Frau so traurig gestimmt — dabei war die Szene gar nicht live, sondern schon vor Beginn des Spiels aufgezeichnet worden. Ebenso hatte es sich einige Tage zuvor mit einer Szene verhalten, die Bundetrainer Löw beim Ärgern eines Balljungen zeigte.
Nachdem die Vorgehensweise der UEFA bekannt geworden war, reagierten ARD und ZDF äußerst erbost. ZDF-Chefredakteur Peter Frey erklärte in einer Pressemitteilung:
Wir haben bei der UEFA moniert, dass tatsächlich der Anschein erweckt wurde, es handele sich um Live-Bilder. Das entspricht nicht unseren journalistischen Standards. Wir erwarten von der UEFA, dass sie uns künftig darauf hinweist, ob sie während einer Live-Übertragung aufgezeichnetes Material verwendet.
Dieter Gruschwitz, Leiter der ZDF-Sportredaktion, bekräftigte:
Es wird dazu noch Gespäche geben. Ich habe so etwas auch noch nicht erlebt. Bei dem zweiten Vorgang wurde durch diese bildliche Montage dem Zuschauer suggeriert, dass das Bild der weinenende Frau eine Reaktion auf das Tor der Italiener ist. Das ist eindeutig Manipulation! Wir sehen durch diese Vorgänge, die allein in der Verantwortung der UEFA liegen, unsere Reputation bei den deutschen Fernsehzuschauern beschädigt.
Die Intendantinnen und Intendanten von ARD und ZDF halten fest, dass die nicht ausreichend gekennzeichnete Einspielung von aufgezeichneten Szenen in ein Live-Spiel durch die UEFA nicht akzeptabel ist. Die beiden Vorfälle bei der EURO 2012 seien als Manipulation einzustufen.
Und ZDF-Intendant Thomas Bellut forderte:
Die UEFA muss dafür sorgen, dass Vorfälle dieser Art in Zukunft ausgeschlossen sind. Ansehen und Glaubwürdigkeit von ARD und ZDF dürfen nicht beschädigt werden.
ARD und ZDF kämpfen also. Für Glaubwürdigkeit, für sauberen Journalismus, für ihr Ansehen, und nicht zuletzt für ihre Zuschauer, die ein echtes Produkt erwarten, ohne Tricks, ohne Täuschung, ohne manipulierte Bilder.
Denkste. Denn das, was die Öffentlich-Rechtlichen der UEFA vorwerfen, hat zumindest das ZDF ziemlich genauso gemacht.
Das Rahmenprogramm um das Finale zwischen Spanien und Italien sendete das ZDF wie immer live vom “ZDF-Fußballstrand” auf Usedom. Etwa eine Dreiviertelstunde nach dem Schlusspfiff wurde nach Madrid geschaltet:
Wie im Video zu sehen, kündigt Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein die Schalte so an:
Wir wollen Emotionen abrufen, direkt im Land des Europameisters, denn Natalie Steger ist für uns in Madrid.
Dort berichtet dann eine Reporterin vor der Kulisse jubelnder Fans über die tolle Stimmung im Land des Europameisters (“Und hier hinter mir, da tanzt Madrid!”).
Danach wird die Reporterin verabschiedet:
Dankeschön, Natalie Steger, und viel Spaß bei der Party!
Was Frau Müller-Hohenstein jedoch mit keinem Wort erwähnt und was auch sonst in keiner Weise angemerkt wird: Die Bilder waren direkt nach Spielende aufgezeichnet worden. Zwar wird nicht explizit von einer Live-Schalte gesprochen, doch für den Zuschauer, der ja immerhin eine Live-Sendung verfolgt, entsteht der Eindruck, als sei auch der Blick nach Madrid live.
Einer unserer Leser erkundigte sich beim ZDF und erhielt folgende Antwort:
Die Liveschaltung nach Spanien erfolgte direkt nach dem Spielende und wurde aufgezeichnet, um den Zuschauern einen Eindruck von der Stimmung mitgeben zu können.
Wir sind sehr dankbar, wenn unsere Zuschauer das Programmangebot nicht kritiklos hinnehmen, sondern uns ihre Gedanken und Ideen mitteilen. Ihre kritischen Anmerkungen zu unseren Übertragungen und Sendungen von der Fußball-EM 2012 in Polen und der Ukraine haben wir der zuständigen Sportredaktion gerne zur Kenntnis gebracht. (…)
Bitte vergessen Sie jedoch nicht, dass sich ein Millionenpublikum in seinen Wünschen und Erwartungen unterscheidet. Leider ist es unmöglich, nur annähernd allen Vorstellungen gerecht zu werden, auch wenn es immer einmal zu kleineren Fehlern und Missverständnissen kommen kann. Hier sind alle Beteiligten stets um Verbesserung bemüht. Von daher danken wir Ihnen für Ihre Rückmeldung.
Auf unsere Anfrage hin hielt sich das ZDF deutlich knapper und teilte lediglich mit:
Die Bilder wurden nach dem Abpfiff aufgezeichnet und aus Kostengründen (Leitungskosten) leicht zeitversetzt gesendet.
Zur Frage, ob das nicht genau das sei, was die Intendaten am Vorgehen der UEFA so stark kritisiert hatten, äußerte sich das ZDF uns gegenüber nicht.
Das heißt also zusammengefasst: Wenn die UEFA aufgezeichnete Bilder in eine Live-Sendung einbaut, ohne das kenntlich zu machen, dann ist das Manipulation, eine Missachtung journalistischer Standards und ein Angriff auf die Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender.
Wenn das ZDF aufgezeichnete Bilder in eine Live-Sendung einbaut, ohne das kenntlich zu machen, dann ist das ein Dienst am Zuschauer. Das soll mal jemand verstehen.
Die Axel Springer AG kämpft seit Jahren gegen eine “Kostenlos-Mentalität” im Internet.
Vor drei Jahren gehörte der Verlag zu den Unterzeichnern der sogenannten “Hamburger Erklärung”, in der es hieß:
Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. Gesetzgeber und Regierung auf nationaler wie internationaler Ebene sollten die geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser schützen. Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben.
In letzter Zeit trommelte Springer an vorderster Front für ein Leistungsschutzrecht, das schon das Zitieren kurzer Textpassagen im Internet kostenpflichtig machen soll.
* * *
Und damit zum Wetter: Am Wochenende gab es beinahe im gesamten Bundesgebiet Unwetter, die teils schwere Ausmaße ausnahmen. Der Deutsche Wetterdienst DWD zählte insgesamt mehr als 364.000 Blitze.
Bei wetterpool.de, einem nicht-kommerziellen Portal von Hobbymeteorologen, sah die Blitzkarte entsprechend beeindruckend aus:
Das dachten sich wohl auch die Leute von Bild.de, nahmen eine solche Blitzkarte, entfernten die Legende, zeichneten die deutschen Grenzen nach und stellten sie ins Internet:
Das war offenbar nicht ganz mit dem Rausfeilen der Fahrgestellnummer bei einem gestohlenen Auto zu vergleichen, denn in der Bildunterschrift steht immerhin noch die (aus der Grafik retuschierte) Quelle:
Die Blitz-Karte von Wetterpool.de zeigt, wann und wo sich in Deutschland die Blitze entluden. Blau steht für Freitag, grün für Samstag, Gelb für die Nacht von Samstag auf Sonntag und Rot für den Sonntag
Andererseits haben uns die Betreiber von wetterpool.de geschrieben, das Vorgehen von Bild.de sei “weder erwünscht, noch erlaubt, geschweigedenn abgesprochen” gewesen.
Wir haben die Axel Springer AG, deren hundertprozentige Tochter Bild Digital für Bild.de verantwortlich ist, gestern Mittag mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Falls sie zuträfen, wollten wir außerdem wissen, wie dieses Vorgehen mit der Haltung des Verlags in Sachen Urheberrecht im Internet vereinbaren ließe. Eine Antwort haben wir bisher nicht erhalten.
* * *
Noch eine bunte Meldung vom Sport: Seit der italienische Nationalstürmer Mario Balotelli nach seinem Tor zum 2:0 gegen Deutschland zum etwas unkonventionellen Jubel sein Trikot ausgezogen hatte, ist er die Hauptfigur eines sogenannten Mems, bei dem sein Foto digital in zahlreiche fremde Umgebungen verpflanzt wird.
Der Grafiker und Musiker Friedemann Weise veröffentlichte am Freitag diese Variante auf seiner Facebook-Seite:
Er war sehr überrascht, als er seine Bearbeitung gestern auf der Titelseite von “Bild” erblickte:
Nachtrag, 8. Juli: Bild.de hat die Blitzkarte von wetterpool.de entfernt. Friedemann Weise erklärte unterdessen bei Facebook, dass er lieber kein Geld von “Bild” möchte.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Montierte Tränen” (sueddeutsche.de, Thomas Kistner und Katharina Riehl)
Die Live-Übertragung der Fußball-Europameisterschaft wird erneut mit vorher aufgezeichneten Szenen gemischt. “Die Bilder aus dem deutschen Fanblock wurden vorher aufgenommen und nach dem Tor ohne die mit der Uefa verabredete Kennzeichnung gezeigt.”
2. “Deutschland ringt um Fassung” (stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier greift den Fall auf: “Die ARD will sich wieder beim Verband beschweren, und das ZDF wird sicher auch noch markige Worte für diese Art der Manipulation finden. Sie werden so laut und empört über diesen unseriösen Einsatz von Symbolbildern protestieren, dass man fast denken könnte, sie hätten einen Ruf zu verlieren, als Journalisten und seriöse Sportberichterstatter.” Siehe dazu auch “Entzieht ARD und ZDF den Live-Fußball!” (ftd.de, Falk Heunemann) und “Mein Fan-Problem” (coffeeandtv.de, Lukas Heinser).
3. “21/22” (zumblondenengel.de, Frédéric Valin)
“Es ist die Geste des stolzen Sklaven, der seinen Körper, nicht aber seinen Geist unterwerfen hat lassen”, schrieb Georg Seeßlen beispielsweise für die “taz” über die Jubelpose des italienischen Fußballers Mario Balotelli nach dem 2:0 im Spiel gegen Deutschland. Frédéric Valin analysiert diesen Feuilleton-Text und zwei weitere dazu: “Fassen wir zusammen: Seeßlen akzuentiert Balotelli als Farbigen, der Widerstand leistet; Poschart ihn als Wilden, der die Grenzen sprengt; Graff ihn als in der Urzeit Erstarrten. Keiner schafft es, sich von der Hautfarbe Balotellis zu lösen, bei allen bleibt er der Schwarze, der sich nur im Verhältnis zu seiner Hautfarbe deuten lässt.”
4. “‘Als hätte man einen Einbrecher zu Hause'” (welt.de, Rüdiger Sturm)
Schauspieler Hugh Grant war letztes Jahr daran beteiligt, das Abhören von Telefonen durch “News of the World” aufzudecken. “Wenn ich in der Öffentlichkeit auftrete, habe ich nichts dagegen, wenn die Medien darüber berichten. Das geschieht ja mit meinem Einverständnis. Aber wenn man in mein Privatleben eindringt, dann ist das so, als hätte ich einen Einbrecher zu Hause. Wer würde da nicht wütend? Aber es geht bei der ganzen Sache nicht in erster Linie um mich und um die Leute aus dem Showbusiness. Viel schlimmer betroffen sind die ganz normalen Bürger, etwa die Angehörigen von Mordopfern.”
6. “Rousseau in der Campagna…” (infosperber.ch, Kurt Marti)
Die Hauptausgabe der Tagesschau des Schweizer Fernsehens illustriert einen Bericht über Jean-Jacques Rousseau mit einem Bild von Johann Wolfgang von Goethe.
Außerdem ließ es sich “Bild” nicht nehmen, die “Memmen” in Einzelkritiken noch ein bisschen deutlicher niederzumachen:
Dass die Kritik weder etwas mit Fußball zu tun haben noch in irgendeiner Weise mit der vorherigen Berichterstattung übereinstimmen muss, dürfte jetzt auch nicht mehr groß überraschen. (Den Spruch über Mario Gomez hat “Bild” sich übrigens nicht mal selbst ausgedacht.)
Und wie das so ist bei Profifußballern: Wenn einem die Argumente blöden Sprüche ausgehen, kann man ja immer noch auf deren Millionen-Gehältern rumreiten:
Man mag es kaum glauben, wie sehr ein deutscher Nationalspieler verwöhnt wird. (…)
Es ist eine Kuschel-Welt, in der unsere Nationalspieler beim DFB leben.
Als die deutschen Fußballer sich vor ein paar Tagen im Mannschaftshotel “gemütlich auf die Couch” lümmelten und im eigenen Heimkino einen “großen Kinospaß in 3D” anschauten, fand Bild.de das übrigens noch “megacool”.
Aber da war die Mannschaft ja auch noch im Turnier.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “ARD und ZDF machen den Fußball lächerlich” (focus.de, Alexander Kissler)
Bei den Interviews mit Fußballern am Spielfeldrand hat Alexander Kissler “noch keine journalistisch relevante Frage” gehört. “Hier wie dort triumphiert die Verwandlung erwachsener Menschen in Wohlfühlautomaten. (…) Es geht einzig darum, auf täppische Weise Emotionen zu inszenieren und Psychologie zu simulieren.”
5. “Wer ernsthaft für seine Zeitung arbeiten will, arbeitet gegen sie” (blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
“Eine kluge Zeitung, eigentlich jede mit Format, zeichnet sich fast definitionsgemäss dadurch aus, dass in ihr möglichst viele Angestellte immer wieder in Opposition gehen: Das garantiert ihre Weite, ihre Neugier, ihre Entwicklung. So sind etwa berühmte bürgerliche Blätter nie durchgehend bürgerlich: die ‘Frankfurter Allgemeine’ etwa leistet sich ein meist linksliberales, verspieltes Feuilleton; die ‘NZZ’ einen oft unideologischen Auslandsteil.”
6. “Alle unter Kontrolle” (datum.at, Julia Niemann und Thomas Trescher)
Ein Bericht über Verschwörungstheoretiker in Österreich: “Was die Protagonisten aber gemeinsam haben, ist ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Politik und Staat. Kevin Mohr glaubt nicht daran, innerhalb des politischen Systems etwas bewegen zu können. Wählen war er noch nie, weil er keine Möglichkeit sieht, dass sich im Großen und Ganzen etwas ändert. Was ihn von vielen anderen unterscheidet, ist der fixe Glaube, dass hinter Trash-TV, der Wirtschaftskrise und der Europäischen Union ein komplexer Masterplan steckt, ausgeheckt von Bösewichten, die die Menschheit unterjochen wollen.”
Ein Mann hat offenbar versucht, auf verschiedenen Internetplattformen ein Auto zu verkaufen, das sich seiner Ansicht nach dadurch hervortat, dass es früher dem Fußballer Robert Enke gehört hatte, der sich im Jahr 2009 das Leben genommen hatte.
Man kann sich diesem Urteil natürlich anschließen — sollte dann andererseits dringend noch einmal daran erinnern, wie “Bild” vier Tage nach Enkes Tod bei Facebook für ihren Online-Auftritt geworben hatte (in dem damals u.a. viele Paparazzi-Fotos von der trauernden Witwe, unter anderem am Grab ihrer Tochter zu sehen waren):
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “Offener Brief an Albrecht Müller” (freitag.de, Jakob Augstein) Jakob Augstein, Herausgeber von “Der Freitag”, schreibt an Albrecht Müller, Herausgeber der “Nachdenkseiten”: “Sie lesen offenbar nicht den Text, der vor Ihren Augen steht, sondern Sie suchen in dem Text Ihre eigenen Vorurteile – und wenn Sie die nicht finden, macht es Ihnen auch nichts aus.” Anlass für die Replik ist diese Kritik (Nachtrag).
3. “How do you tell when the news is biased? It depends on how you see yourself” (niemanlab.org, Jonathan Stray, englisch)
Die Frage, welcher Gruppe man sich zugehörig fühlt, ist entscheidend bei der Beurteilung der Unvoreingenommenheit einer Nachricht. “The same story can make everyone on all sides think the media is attacking them. (…) We might like to think of ourselves as impartial judges of credibility and fairness, but the evidence says otherwise.”
4. “Vorsicht vor der Politik, wenn alles jubelt” (tagesschau.de, Video, 2:41 Minuten)
Die “Tagesthemen” blicken zurück auf wichtige Politikentscheide, die während großer Fußballturniere vorgenommen wurden, “politische Grausamkeiten im Schatten der Spiele”. So zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer während der WM 2006 oder aktuell die Entscheidungen zum Fiskalpakt und zum ESM.
6. “Blond, ledig testet … Frauenzeitschriften” (zdf.de, Video, 29:52 Minuten)
Die 29-jährige Redakteurin Inga Weßling testet während einer Woche aus, was Frauenzeitschriften empfehlen: Sie macht eine Obstdiät, konsultiert eine Astrologin, übt strippen, geht zu einer Tantra-Massage und lässt sich Haare mit Wachs entfernen.