Heinze, Tatort, Ditz

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Suspendierte ‘Tatort’-Chefin kaufte auch eigene Drehbücher ein”
(spiegel.de, Markus Brauck)
NDR-Fernsehfilmchefin Doris Heinze kaufte Drehbücher von sich selbst ein und machte sich dabei jünger. Ein fiktiver Lebenslauf von Heinze steht im ARD-Presseheft: “Marie Funder-Donoghue, geboren 1981 in Heidelberg, studiert Wirtschaftswissenschaften und Jura in Dublin, lebt mit Ehemann David und Sohn Sean an der Ostküste, schreibt Kurzgeschichten.”

2. “Wird der Tatort abgesetzt?”
(cicero.de, Josef Girshovich)
Josef Girshovich macht sich Gedanken über die Zukunft des ARD-Krimis “Tatort”: “Wie soll man es, lieber NDR, mit Heinzes Kreationen halten? Heinze ist Spiritus Rector von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) und Borowski & Jung (Axel Milberg, Maren Eggert). Können aber diese Kommissare nach einem solchen Skandal noch rechtschaffen ermitteln?”

3. “German Viewers Love Their Detectives”
(nytimes.com, Michael Kimmelman, englisch)
Auch die “New York Times” schreibt über den “Tatort”: “Crimes happen in distinctly German locales like the little city garden plots called schrebergarten, where nature-loving Germans grow their own tomatoes and show off their odd taste for plastic gnomes. The ‘Tatort’ detectives in Cologne invariably stop at their favorite büdchen, the little beer and bratwurst stands typical of the Rhineland.”

4. “Autorisierung: DJV mahnt fairen Umgang an”
(djv.de)
Der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken erklärt in einem (autorisierten?) Zitat, dass eine Autorisierung nur sachliche Darstellungsfehler korrigieren sollte: “Das nachträgliche Glätten von Interviews schadet dem kritischen Journalismus. Interviewpartner aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dürfen das Instrument der Autorisierung nicht missbrauchen, um aus Interviews nachträglich Werbebotschaften in eigener Sache zu machen.”

5. Interview mit Rüdiger Ditz
(onlinejournalismus.de, Michael Soukup)
Spiegel.de-Chefredakteur Rüdiger Ditz fragt sich, warum sein Medium ein Vorreiter von Bezahlinhalten sein soll: “Wir sind das Erfolgsmodell im deutschsprachigen Raum. Für Spiegel Online hat sich das reine Werbefinanzierungsmodell bisher ausgezahlt, wir können uns ohne Gebührenpflicht sehr gut refinanzieren.”

6. “I Love Free Food!”
(probablybadnews.com)
Manchmal scheitert kontextbezogene Werbung.

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“Wer hat geil Krebs?”

Der “Spiegel” hat ein langes Gespräch mit der Fernsehmoderatorin (und BILDblog-Freundin) Charlotte Roche geführt, in dem es am Rande auch um die “Bild”-Zeitung geht:

SPIEGEL: Über die private Charlotte Roche weiß man kaum etwas von Belang.

Roche: Ich bin ein riesenaggressiver Beschützer meiner Privatsphäre. Ich will nicht, dass die “Bild”-Zeitung über meine Familie schreibt. Ich klage gegen alles. Wenn “Bild” schreibt, Charlotte Roche ist 29, dann erstreiten wir eine Gegendarstellung, dass ich 31 bin. Ich gehe gegen wirklich alles vor, was die machen. (…)

SPIEGEL: Wie finden Sie die aktuelle “Bild”-Werbekampagne mit Prominenten?

Roche: Widerlich. Es gibt eine Liste in meinem Kopf, und da werden Personen gestrichen: Supernanny – fand ich nett, ist jetzt gestorben. Werbung für “Bild”, völlig untendurch, egal, was die noch sagt. Es sind ja auch Leute darunter, die selbst viel gegen “Bild” klagen. Das ist doch eine fiese Doppelmoral. Ich bin da viel nachtragender.

SPIEGEL: Alice Schwarzer?

Roche: Gestorben.

SPIEGEL: Richard von Weizsäcker?

Roche: Gestorben.

SPIEGEL: Johannes B. Kerner?

Roche: Auch gestorben. Sind die denn alle echt so eitel und denken: Toll, so viele Plakate in ganz Deutschland mit meinem Gesicht drauf?

SPIEGEL: Es gab einen langen Rechtsstreit mit “Bild” über die Berichterstattung zum Tod Ihrer drei Brüder bei einem Verkehrsunfall. Bekommen Sie nach wie vor Anfragen von “Bild”?

Roche: Ja, da weiß eine Hand nicht, was die andere tut. Es arbeiten sicher ganz nette und unschuldige Menschen dort. Sie kommen trotzdem alle in die Hölle. Ich rede mit denen niemals. Das ganze Blatt basiert nur auf Esoterik, auf Fragen wie: “Wer ist gestorben?”, “Wer hat geil Krebs?” und “Wer hat sich getrennt?”

(Das ganze Gespräch steht im aktuellen “Spiegel”.)

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Von Außerirdischen und Unterirdischem

Man kennt das von Kindern, wenn sie sich hinstellen und mit “Komm doch! Komm doch!”-Rufen provozieren — entweder weil sie sich in Sicherheit fühlen oder auch aus reiner Lust, es einmal drauf ankommen zu lassen, was in die Fresse zu bekommen.

Ungefähr in einer solchen Stimmung müssen sie in der vergangenen Woche bei “Bild” gewesen sein, als sie sich entschieden, als Teil einer rekordverdächtig dummen Serie des “Bild”-Außerirdischen-Beauftragten Attila Albert über Ufos und anderen Mystery-Quatsch den Anwalt Johannes Eisenberg zu zeigen und als “Alien” zu bezeichnen:

(Genau dieselbe Witz-Idee hatte “Bild” schon einmal im Frühling 2005; damals präsentierte das Blatt ebenfalls unter der Überschrift “Sind die Aliens schon unter uns?” Daniel Küblböck, Djamila Rowe, Michael Jackson, Reiner Calmund, Prinz Charles, Tatjana Gsell und Susan Stahnke als Indizien für außerirdisches Leben auf der Erde. Aber das nur am Rande.)

Jedenfalls kann es niemanden bei “Bild” überrascht haben, dass Eisenberg juristisch gegen die Veröffentlichung seines Fotos und Beschreibung als “Alien” vorgeht. Den Anwalt und die Zeitung verbindet eine lange Geschichte. Eisenberg hat viele Politiker, Prominente und Nicht-Prominente, die sich gegen falsche oder unzulässige “Bild”-Berichte wehrten, vertreten. Er verteidigte auch die “taz”, als “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann Schmerzensgeld für eine Satire über eine (erfundene) missglückte Penis-Verlängerungs-Operation forderte. Vor allem aber ließ er “Bild” schon einmal gerichtlich untersagen, sein Foto zu zeigen, und erstritt ein “empfindliches Schmerzensgeld”.

Eisenberg hatte 1998 einen libanesischen Straftäter, dessen Fall in Berlin Aufsehen erregte, presserechtlich vertreten und u.a. mehrere Gegendarstellungen von “Bild” gefordert. Die Zeitung reagierte darauf demonstrativ mit der Veröffentlichung von Eisenbergs Foto und suggerierte, dass er mit seinem Mandanten sympathisiere. Das Landgericht Berlin sah darin eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung: “Bild” habe Eisenbergs Recht am eigenen Bild “mit besonderer Hartnäckigkeit verletzt”, und zwar “in der Absicht, den Kläger davon abzuhalten, für seinen Mandanten A. Gegendarstellungs- und Unterlassungsansprüche geltend zu machen, obwohl ihre Angriffe auf Herrn A. äußerst scharf und teilweise unter Behauptung falscher Tatsachen geführt wurden.” Eisenberg habe nach der Veröffentlichung Morddrohungen erhalten, die “nur mit der Berichterstattung der Beklagten über den Kläger erklärt werden” könnten, so das Gericht.

Das ist über zehn Jahre her, aber vielleicht nicht ganz unwesentlich, um zu beurteilen, was es bedeutet, wenn “Bild” ein Foto von Johannes Eisenberg zeigt und behauptet, er sei ein “Alien”, das sich als “Anwalt tarnt” und “gegen investigative Medien kämpft”.

Die “Welt am Sonntag” hingegen, die gestern über das Vorgehen Eisenbergs gegen die Schwesterzeitung berichtete, nennt die Alien-Geschichte von “Bild” eine “Satire” und schließt daraus, dass Eisenberg Humor fehlt (was natürlich nicht falsch sein muss).

PS: Die Provokation des von ihr verhassten Berliner Anwaltes findet sich exklusiv in der Berlin-Brandenburger Ausgabe von “Bild”. Überregional nimmt Dirk Bach seinen Platz in der, äh, satirischen Aufzählung ein (siehe Ausriss links).

Wahl-arithmetische Verrenkungen

Das Ergebnis der thüringischen Landtagswahl hat nicht nur viele Politiker etwas ratlos zurückgelassen — auch einige Journalisten haben den Überblick verloren:

Mit Althaus’ Wunschpartner FDP allein ist eine Koalition nicht möglich. Denkbar wäre ein Dreier-Bündnis mit den Grünen (“Jamaika”).

schreibt etwa Bild.de und übersieht dabei, dass die drei Parteien gemeinsam auf 43 Sitze im Erfurter Parlament kommen. Bei den 88 Sitzen dort bräuchte man aber mindestens 45, um die Mehrheit zu haben.

Genau diese 45 Sitze hätten Linkspartei und SPD zusammen, was Bild.de allerdings nicht davon abhält, mehrfach auf die Option eines rot-rot-grünen Bündnisses einzugehen. Das hätte zwar die komfortablere Mehrheit von 51 Abgeordneten, aber reichen täte eben auch rot-rot.

Die Möglichkeit einer Zweier-Koalition entging zudem nicht nur dem “Heute Journal” (ab 4:45 Min.), auch “Spiegel Online” hat sie übersehen:

Rot-Rot-Grün wird im neuen Parlament eine rechnerische Mehrheit haben, dann wäre die CDU in der Opposition.

Das ist ja nicht falsch, aber die “rechnerische Mehrheit” hätte eben schon Rot-Rot.

Mit Dank an Gerald.

Kluge, Barati, ARD

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1. “Föderaler Wahnwitz ARD”
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Hans Leyendecker fragt sich im Zusammenhang mit dem “aufgedeckten Nepotismus der suspendierten Fernsehfilmchefin des NDR, Doris J. Heinze”, ob es sich um ein System handelt: “Die Staatsanwaltschaft prüft den Fall, aber eigentlich müsste auch das Kartellamt ran. Der freie Wettbewerb der Freien ist praktisch ausgeschaltet, weil Sendeplatzverteiler vorrangig die Tochterfirmen der Sender bedienen und danach die Produktionsfirmen, die willfährig sind.”

2. “Zum Lachen, zum Weinen”
(britcoms.de, Oliver Nagel)
Minu Barati, Ehefrau von Joschka Fischer, behauptet in der “Zeit”, Martin Sonneborn sei eine fiktive Figur. Seine Gefolgschaft rekrutiere sich “aus Menschen, die nicht einmal eine rudimentäre politische Informationsfähigkeit empfinden und deren Konzentrationsfähigkeit auf einen Bierdeckel paßt.”

3. “Das verschmähte Medium”
(taz.de, Ralph Bollmann)
“Politiker finden das Fernsehen unglaublich wichtig” – und nutzen es (wie das Internet) als Konsumenten kaum. Ralph Bollmann denkt nach über “die Selbstgewissheit, mit der Politiker aller Parteien vor laufender Fernsehkamera stundenlang Wahlkampfstanzen von sich geben, die sie als Zuschauer nicht fünf Minuten lang ertragen könnten.”

4. Interview mit Jürgen Leinemann
(tagesspiegel.de, Kurt Röttgen und Norbert Thomma)
“Die Medienwelt ist vielfältiger geworden, sehr viel schneller. Und sehr viel oberflächlicher. Ich vermisse bei vielen Journalisten eine Haltung. Damit meine ich: Ernsthaftigkeit. Für irgendetwas Besonderes einzutreten, es wichtig zu finden. Ich vermisse Leidenschaft.”

5. “Faktor 13”
(begleitschreiben.twoday.net, Gregor Keuschnig)
Gregor Keuschnig fragt sich, warum auf tagesschau.de Nordkorea, flächenmässig ungefähr ein Dreizehntel so groß wie der Iran, grafisch gleich groß dargestellt wird.

6. Interview mit Alexander Kluge
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Willi Winkler fragt den Schriftsteller und Regisseur: “Und Sie gehen selber ins Internet?” Kluge antwortet: “Ich schwöre Ihnen, dass online schon eins meiner Ideale gewesen ist, noch ehe ich wusste, dass es online je geben würde. Online ist eine Revolution. Online erreichen Sie eine ungeheure Zuschauermenge, ein Potential an Öffentlichkeit, wie Sie sich das nie träumen ließen.” Winkler wieder: “Aber doch nur für Minuten.”

So macht man einen Zeugen zum Komplizen

Das muss ein ziemlicher Schock gewesen sein für den preisgekrönten Regisseur Torsten C. Fischer, als er gestern in die “Welt” gesehen hat. Denn die Zeitung hat ihn kurzerhand zum Komplizen in einem krimireifen Fall gemacht, der den NDR und die deutsche Fernsehspiel-Branche gerade erschüttert.

Die langjährige NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze hat ihrem Mann offenbar heimlich Drehbuchaufträge verschafft. Er soll in den vergangenen acht Jahren fünf Fernsehfilme unter dem Pseudonym “Niklas Becker” geschrieben haben und bekam für die Pressehefte sogar eine erfundene Biographie. Die “Süddeutsche Zeitung”, die den Fall aufgedeckt hat, sieht viele weitere Ungereimtheiten und spricht davon, Heinze habe “jahrelang ein System der Vetternwirtschaft betrieben”.

Die “Welt”-Chefreporterin Martina Goy aber schreibt in der Samstagsausgabe des Blattes leichthin:

Dass es (…) Mitwisser gegeben haben muss, zeigt die Co-Autorenschaft beispielsweise des Regisseurs und Drehbuchautors Thorsten [sic] C. Fischer am TV-Film “Katzenzungen” aus dem Jahr 2003, den er gemeinsam mit “Niklas Becker” schrieb.

Ja, das könnte man vermuten. Die “Süddeutsche Zeitung” hat sich aber, im Gegensatz zur “Welt”, nicht auf den bloßen Anschein verlassen. Sie schrieb am selben Tag über den Regisseur:

Als er den Film “Katzenzungen” drehte, fand er das Drehbuch des ihm unbekannten Autoren Niklas Becker miserabel, schrieb es völlig um. Kein Satz blieb. Das sei in Ordnung, versicherte Doris Heinze. Auch Fischer wollte mit dem Autoren reden, doch der war nie zu sprechen oder in Übersee verschollen. Wer sich nach Becker erkundigte, hörte oft, Becker lebe sehr einsam und habe kein Telefon.

Das wäre — insbesondere da andere Regisseure ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollen — zumindest eine plausible Erklärung, die die “Welt” nicht zu kennen scheint. Doch nachdem sie Fischer schon für mitschuldig hält, fügt sie noch hinzu:

Pikant dabei: Fischer war zuvor von Doris J. Heinze in einem Brancheninterview als Talent gelobt worden. “Wir haben insbesondere norddeutsche Talente immer gefördert und sehr früh darauf hingearbeitet, ihre Filme primetimefähig zu machen”, sagte sie dort. “Das ist häufiger als gedacht auch gelungen. Angelina Maccarone, Hans-Erich Vieth und Thorsten [sic] C. Fischer sind nur einige Beispiele.”

Was ist daran “pikant”? Dass der Mann Talent hat, findet nicht nur Heinze. Torsten C. Fischer ist ein angesehener Regisseur, war Assistent bei Dominik Graf, wurde schon in den Jahren 2000 und 2003 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

So leichtfertig macht die “Welt” offenbar ohne Recherche einen Mann zum Komplizen und erledigt ihn als Regisseur gleich mit.

Mit Dank an Bernd Kling!

Heinze, Finanzen100, Kuba

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Tatort ARD”
(sueddeutsche.de, Nicolas Richter und Hans Leyendecker)
Der NDR trennte sich am Donnerstag von Doris J. Heinze, gemäss “Süddeutscher Zeitung” eine “sehr einflussreiche Leiterin der Fernsehfilmabteilung”: “Die 60-Jährige hatte jahrelang ein System der Vetternwirtschaft betrieben.”

2. “Wir machen es (uns zu) einfach”
(print-würgt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris hat “noch nie so viel Gejammere gehört wie in der letzten Zeit”: “Wir sind nicht auf Kuba. Kein Staat, kein Verleger und keine materielle Not hindern uns daran, geilen Journalismus zu machen. Und wenn ich als Freier mir angucke, wie früh manche festangestellte Redakteure nach Hause gehen, dann fehlt uns nicht einmal die Zeit.”

3. “Sterbende Zeitungen: Verschwindet endlich die Journaille?”
(konkret-verlage.de, Michael Hahn)
“Konkret”, nach eigenen Angaben “die einzige linke Publikumszeitschrift Deutschlands”, schreibt über die Zeitungskrise: “Daß Journalisten massenhaft entlassen werden, hat schon in den boomenden neunziger Jahren begonnen, als immer mehr Verlage an die Börse gingen oder von großen Konzernen aufgekauft wurden. So ist die Redaktion der ‘Los Angeles Times’ heute nur noch halb so groß wie vor 15 Jahren.”

4. “Finanzen100: Was Google kann, können wir auch”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Finanzen100, ein neues Finanzportal der Burda-Tochter Tomorrow Focus, wird als “Kernangebot zunächst aggregierte Informationen aus fremden Quellen” anbieten. Thomas Lückerath fragt nach der Doppelmoral – hatte doch Verleger Hubert Burda noch letzten Monat derartige Vorgehensweisen bei Google angeprangert und sogar Geld dafür gefordert.

5. “Online-Kommentare: Mehr löschen oder nicht?”
(30jahre.taz.de, Sebastian Heiser)
Die “taz” weiß nicht recht, ob sie mehr oder weniger Leser-Kommentare online gehen lassen soll und stellt Meinungen von Lesern dazu zur Diskussion. Eine lautet: “Gustave Flaubert habe einmal gesagt, er sei gegen die Einführung der Eisenbahn, weil sie es noch mehr Leuten gestatte, zusammenzukommen und zusammen dumm zu sein. Womit alles wesentliche zum Internet (und erst recht zu all seinen Mitmachfunktionen) gesagt ist.”

6. Der geduldigste Reporter
(break.com, Video, 2:20 Minuten)
Aus Prag berichtet ein Journalist mit Nerven aus Stahl. Ein echter Profi.

Vor dem Spiel ist nach dem Spiel

Wenn Sie Fan von Hertha BSC Berlin sind, kann man nur hoffen, dass Sie sich heute Abend nicht bei stern.de über den Ausgang des Europa-League-Qualifikationsspiels gegen Bröndby Kopenhagen informiert haben:

Holpriger Start in Bundesliga, tiefe Enttäuschung in der Europa League: Hertha BSC Berlin ist in der Qualifikation zur lukrativen Gruppenphase an Bröndby Kopenhagen gescheitert. Werder Bremen qualifizierte sich dagegen souverän.

Diese Nachricht hat stern.de nicht nur weltexklusiv, sie widerspricht sogar der Überschrift, die direkt darüber steht, und dem Text direkt darunter:

Europa League:  Hertha siegt im Schluss-Spurt, Werder weiter. Erfolg auf der ganzen Linie: Nachdem Werder Bremen sich souverän für die lukrative Gruppenphase der Europa League qualifiziert hat, zog am frühen Abend in einem dramatischen Spiel auch Hertha BSC Berlin nach.

Aber nun gut: 75 Minuten lang sah es schlecht aus für die Hertha. In der Zeit kann man so einen Vorspann natürlich schon mal fertig machen.

Mit Dank an Daniel L.

Nachtrag, 23:46 Uhr: stern.de hat den Vorspann durch einen neuen ersetzt:

Drei Teams, drei Erfolge: Werder Bremen, der Hamburger SV und Hertha BSC Berlin sind für die lukrative Gruppenphase der neuen Europa League qualifiziert. Nur Hertha machte es spannend – und kam nur dank eines fulminanten Endspurts eine Runde weiter.

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Die Springers bei der Ackermann-Sause (3)

Wer so flexibel mit der Wahrheit umgeht wie die “Bild”-Zeitung, kann Widersprüche nicht immer vermeiden.

“Bild”, 16. Januar 2009:

Es war einer der gesellschaftlichen Höhepunkte im Leben des Josef Ackermann: Seinen 60. Geburtstag feierte der Deutsche-Bank-Chef im 8. Stock des Kanzleramts – auf Einladung von Angela Merkel. Sogar die 25 Gäste für das Abendessen im April 2008 durfte der Jubilar selber aussuchen. So viel Ehre wurde wohl noch keinem anderen Manager zuteil.

“Bild”, 26. August 2009:

Merkel gab am 22. April 2008 ein festliches Essen — zu Ehren des zwei Monate zuvor 60 Jahre alt gewordenen Josef Ackermann. Und wie das bei Einladungen im Kanzleramt häufiger der Fall ist, durfte der Geladene Vorschläge für die Gästeliste machen. (…)

Essen wie dieses finden häufig statt. Die Kanzlerin trifft sich mit Managern wie Gewerkschaftern, Künstlern wie Autoren. (…) Und öfters bittet Merkel den einen oder anderen Geladenen um Vorschläge für weitere interessante Gäste.

Ein und dieselbe Veranstaltung ist einzigartig, wenn es darum geht, dem Deutsche-Bank-Chef und Springer-Großaktionär zu schmeicheln, und alltäglich, wenn die Kanzlerin aus der Schusslinie gebracht werden muss. Aber das ist ja nicht das erste Mal, dass “Bild” seine Darstellung abrupt ändert, wenn es der guten Sache dient.

Die Online-Ausgabe der “Süddeutschen Zeitung” fügt der Geschichte, wie die Springer-Zeitungen mit dem Fall Ackermann umgehen, noch weitere Details hinzu. Zum Beispiel, was passiert sei, als herauskam, dass an Merkels Empfang für Ackermann nicht weniger als drei hochrangige Springer-Mitarbeiter teilnehmen durften:

Von diesem Zeitpunkt an scheinen sämtliche Springer-Blätter das Interesse an der Geschichte schlagartig verloren zu haben. Ein Abgeordneter der Opposition berichtet, am Dienstagmorgen hätten ihn die Vertreter der Springer-Presse noch “die Bude eingerannt”, als dann aber die Liste mit den Teilnehmern raus war, “wollte keiner mehr was wissen”.

“Welt”, “Berliner Morgenpost”, “Hamburger Abendblatt”* und “B.Z.” haben die Leser ihrer Zeitungen bis heute nicht informiert, dass ihr Vorstandsvorsitzender und ihre Verlegerin bei dem umstrittenen Abend dabei waren — dabei trägt der Kommentar von “Welt”-Chef Thomas Schmidt zum Thema sogar den vielversprechenden Titel “Villa Merkel und ihre Gäste”.

*) Korrektur, 18:15 Uhr. Das “Hamburger Abendblatt” hat die Teilnehmer aus dem eigenen Haus gestern genannt. Entschuldigung!

Millionen: “Kein Schwein ruft mich ab”

Bild.de berichtet heute (vier Tage nach “Welt Online” und fünf Tage nach “Spiegel Online”), dass die Auszahlung der Mittel aus dem Konjunkturpaket II der Bundesregierung laut Bundesrechnungshof nur schleppend anläuft. Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Thüringen hätten bis Mitte August “keinen einzigen Cent” abgerufen.

Auch in Hessen ist bisher kaum Geld geflossen. Das Land und die Kommunen haben aus dem Konjunkturpaket bisher gerade einmal 60 000 Euro abgerufen. Das entspricht lediglich 0,02% der für 2009 zur Verfügung stehenden Mittel von 360 000 Euro.

Lassen Sie sich nicht irritieren: 60.000 Euro wären natürlich eher 16,67% von 360.000 Euro. Aber 360.000 Euro wären natürlich auch etwas wenig für ein Land wie Hessen. In Wirklichkeit erhält Hessen 720 Millionen Euro Konjunkturhilfen vom Bund — aber auch davon wären 60.000 Euro keine 0,02%. Dieses Zahlenchaos ist aber für den weiteren Verlauf der Geschichte unerheblich. *

FDP-Verkehrsexperte Patrick Döring darf bei Bild.de erklären, dass die Zahlen zeigten, dass die Konjunkturpakete “generell zu langsam und zu schleppend” wirkten.

Die Agenturen AFP, AP und dpa verbreiteten die Zahlen ungeprüft unter Berufung auf Bild.de, wo man sich ja auf den Bericht des Bundesrechnungshofs bezog, und Onlinemedien wie “Focus Online”, heute.de und stern.de bastelten aus den Agenturmeldungen eigene Artikel. Alle beriefen sich auf Bild.de, viele zitierten den FDP-Mann.

Am Vormittag veröffentlichte das hessische Finanzministerium eine Pressemitteilung, in der Finanz-Staatssekretär Thomas Schäfer erklärte:

Nicht 60.000 Euro wurden in Hessen aus dem Konjunkturpaket II des Bundes bislang abgerufen, sondern 4,5 Mio. Euro. Die unter Berufung auf den Bundesrechnungshof genannte Summe entspricht dem Auszahlungsstand vom 15. Juni 2009. […] Der von “bild.de” erweckte Eindruck, Hessen hinke bei der Umsetzung der Konjunkturpakete hinterher, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

Schäfer gibt den nicht ganz unwichtigen Hinweis, dass die Bundesmittel erst nach Vorlage der Handwerker-Rechnungen rückwirkend vergeben würden. So erklärten auch Vertreter anderer Bundesländer die bisher zögerlichen Auszahlungen: sueddeutsche.de zitiert einen Sprecher des thüringischen Innenministeriums damit, dass in seinem Land bereits ein großer Teil des Geldes verplant sei, und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern stellte auf Anfrage von n-tv.de klar, dass mittlerweile bereits 2,55 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket abgerufen worden seien.

Der Bundesrechnungshof wollte sich auf unsere Anfrage zu keinen Zahlen aus dem nicht-öffentlichen Papier äußern, erklärte aber, dass man über den wahren Erfolg oder Misserfolg des Konjunkturpakets ohnehin erst befinden könne, wenn das Geld auch an die Handwerksbetriebe ausgezahlt sei.

PS: sueddeutsche.de scheint übrigens nicht so ganz verstanden zu haben, worauf sich die Stellungnahme bezieht:

Und auch der hessische Finanz-Staatssekretär Thomas Schäfer stört sich an dem Bericht des Bundesrechnungshof. “Dieser Bericht verzerrt die Umsetzung der Konjunkturpakete des Landes und des Bundes in Hessen völlig.”

Mit “Bericht” meinte Schäfer allerdings den bei Bild.de — nicht den des Rechnungshofs.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

*) Nachtrag/Korrektur, 14:52 Uhr: Aus den “360.000 Euro” hat Bild.de inzwischen “360 Mio. Euro” gemacht — und das scheint auch tatsächlich die Zahl der für 2009 zur Verfügung stehenden Mittel zu sein. Die von uns genannten 720 Mio. Euro bezogen sich auf die Jahre 2009 und 2010. Und so ergeben natürlich auch die 0,02% einen Sinn.

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