Der 1. FC Kaiserslautern hat Grund zu Feiern: Nach dem gestrigen 4:0 gegen 1860 München hat der Zweitligist aus der Pfalz 61 Punkte auf seinem Konto.
Und das ist eine sichere Bank, wie der Sportinformationsdienst (sid) gestern Abend gleich zwei Mal tickerte, was entsprechend weitreichende Verbreitung fand:
Denn seit Einführung der Drei-Punkte-Regel in der Saison 1995/96 reichten in der 2. Liga bisher immer 60 Punkte zum Aufstieg.
Das stimmt so nicht: Am Ende der Saison 2006/07 verpasste der SC Freiburg trotz 60 Punkten auf dem Konto den Aufstieg und musste dem MSV Duisburg den Vortritt in die erste Liga lassen.
Möglicherweise ist dieser Fall jemandem beim sid über Nacht wieder eingefallen, denn in einer weiteren Meldung heute Mittag korrigierte der sid seine Behauptung von gestern Abend unauffällig um einen Punkt nach oben:
61 Punkte haben die Lauterer auf dem Konto, das hat seit Einführung der Drei-Punkte-Regel in der Saison 1995/96 stets zum Aufstieg gereicht.
Allein: Das stimmt immer noch nicht. In der Saison 2002/03 haben dem FSV Mainz 05 62 Punkte nicht für den Aufstieg gereicht:
Und in der Saison 2001/02 waren sogar 64 Punkte zu wenig:
Aber das sollte die Anhänger von Kaiserslautern nicht übermäßig beunruhigen: Wer am 28. Spieltag 60 Punkte oder mehr hatte (so wie der FCK jetzt), ist tatsächlich bisher immer aufgestiegen.
Mit Dank an Ronald F.
Nachtrag, 14.55 Uhr: Unser Leser Malte Sch. ergänzt, dass seit der Saison 2008/09 der Drittplatzierte der Zweitliga-Tabelle nicht mehr automatisch in die erste Liga aufsteigt: In zwei Relegationsspielen gegen den 16. der ersten Liga entscheidet sich, wer in der folgenden Saison in der 1. Bundesliga spielen darf.
So gesehen hat auch der 1. FC Nürnberg mit seinen 60 Punkten in der vergangenen Saison nicht den sofortigen Aufstieg geschafft — sondern erst in der Relegation gegen Energie Cottbus.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Die BILD-Geschichte um einen Po” (gregel.com)
Bild.de übernimmt ein YouTube-Video, versieht es mit Werbung und behauptet, eine darin zu sehende Frau würde ein Videospiel mit ihrem Po steuern. Dass das Unsinn ist, klärt sich in den von Bild.de nicht gezeigten Schlußsekunden des Videos auf.
2. “Benzin-Wut – Nunja …” (carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Robin Meyer-Lucht widmet sich der “Bild”-Schlagzeile “Benzin-Wut”.
3. “Missbrauch am Odenwald-Internat” (zeit.de, Jana Simon und Stefan Willeke)
Die “Zeit” versucht aufzuklären, warum der bereits 1999 von der “Frankfurter Rundschau” aufgedeckte Missbrauch an der Odenwaldschule nicht von anderen Journalisten aufgegriffen wurde. “Fehleinschätzungen über die Dimension des Skandals, Desinteresses am Thema, die Unlust zu recherchieren – und gelegentlich das Bedürfnis, die Reformpädagogik gegen Angriffe zu schützen. Das berichten heute Journalisten, die damals für die Berichterstattung über Schulen verantwortlich waren.”
4. “Perfide Wettermacher” (nzz.ch, ras.)
Der Fall Jörg Kachelmann: Rainer Stadler nennt jene “Wettermacher der Öffentlichkeit”, die Behauptungen zu Tatsachen verkürzen, “Henker”. “Am einen Tag zeigt man Empörung über den Wettermann, weil er während eines kurzen öffentlichen Auftritts lachte oder lächelte. Am nächsten Tag gibt irgendein Hobby-Psychologe dem letztlich vieldeutigen Lachen eine simple Erklärung, möglichst mit moralisierendem Unterton.”
5. “Counterfeit Roth” (newyorker.com, Judith Thurman, englisch)
Der italienische Zeitungsjournalist Tommaso Debenedetti erfindet Interviews mit den Schriftstellern John Grisham und Philip Roth. Ans Licht kommt das erst, als Roth von einer italienischen Journalistin auf seine in “Libero” publizierten Aussagen angesprochen wird. “But I have never said anything of the kind!”
Es war ein Skandal erster Güte, eine Geschichte über kulturelle Differenzen und über den ewigen Machtkampf zwischen Vater und Sohn, der in den letzten Wochen diverse deutsche und türkische Boulevardblätter beschäftigte: Der deutsche U21-Nationalspieler Baris Özbek, derzeit Spieler des türkischen Erstligisten Galatasaray Istanbul, wird von seinem Vater zur Heirat einer 16-Jährigen aus der Verwandtschaft seiner Familie gezwungen. Weigert er sich, wird er aus der Familie verstoßen.
So stand es zumindest im “Express”.
Die Geschichte klingt in der Tat äußerst dramatisch und so, als wären dies schwierige Tage für den jungen Baris Özbek — wenn, ja wenn die gesamte Geschichte nicht einen Haken hätte: Sie stimmt nicht.
Dabei hatten sich die deutsche und türkische Boulevardpresse Zitate und Gerüchte so lange im Doppelpass zugespielt, bis jeder eine Quelle hatte und besten Gewissens auf andere Medien als Urheber verweisen konnte.
Özbek soll laut türkischen Medienberichten zwangsverheiratet werden. Die Zeitung Star berichtet, Özbeks Vater Sinasi verlange von Baris (23) die Heirat mit einem 16-jährigen Mädchen aus dem Verwandtenkreis.
Eben diese Zeitung “Star” berichtete nun genau einen Tag später ebenfalls von der angeblichen Zwangsheirat und hatte dafür überraschende Quellen aufgetan:
Gerüchten zufolge soll Baris von seinem Vater Sinasi Özbek zur Ehe mit einer 16-jährigen mutmaßlichen Verwandten gezwungen werden. Nach Berichten deutscher Medien soll Baris, der sich seiner Familie und insbesondere seinem Vater gegenüber außerordentlich verbunden fühlt, in dieser Angelegenheit nicht in der Lage gewesen sein, zu widersprechen.
(Übersetzung von uns)
Die Meldung von der angeblichen Zwangsheirat verbreitete sich in Windeseile. “Bild” und Bild.de berichteten ebenso wie die großen türkischen Boulevardzeitungen “Hürriyet” und “Milliyet”. Und als sei die Gemengelage aus sich gegenseitig zitierenden Quellen, Spekulationen und Gerüchten nicht schon unübersichtlich genug, ergänzten die verschiedenen Redakteure ihre Beiträge hier und da und malten sich aus, wen und warum Özbek heiraten könnte, sollte, müsste.
Arno Schmitz, der Redakteur des “Express”, verstieg sich gar zu einer knappen Zusammenfassung dessen, was er ganz grundsätzlich für die “türkische Kultur” hält: Zwangsheirat mit Minderjährigen und verstoßene Söhne.
Auf die naheliegende Idee, Özbek selbst zu der Angelegenheit zu befragen, kam offensichtlich keiner der Redakteure der beteiligten Boulevardzeitungen. Verärgert schreibt Baris Özbek auf seiner eigenen Homepage:
Die Nachricht auf den Sportseiten der heutigen Hürriyet mit dem Titel “Wenn Du nicht heiratest, verstoße ich Dich” ist vollkommen aus der Luft gegriffen. (…) Dass diese unwahre Nachricht heute mit Bezug auf deutsche Medien als Quelle nochmals in unsere Zeitungen getragen wird, bedeutet nicht, dass die Inhalte wahr sind; dass darüber hinaus noch neue Details hinzuerfunden wurden, ist nicht zu rechtfertigen.
(Übersetzung von uns)
Ja, es war ein Skandal erster Güte und es waren schwierige Tage für Baris Özbek. Dafür haben “Express” und “Bild”, “Star”, “Milliyet” und “Hürriyet” selbst gesorgt.
Mit Dank an Erhan S. für den Hinweis und besonderem Dank an Baris Ü. für die Übersetzung aus dem Türkischen.
Vergangenen Montag tickerte Associated Press gleich zwei Mal eine Meldung (unredigiert u.a. von “RP Online” und der “Hersfelder Zeitung” übernommen), die vor allem im zweiten Satz Rätsel aufgibt:
Oscar-Preisträger Peter Jackson will nach der “Herr der Ringe”-Trilogie den Regie-Stab für sein “Hobbit”-Projekt an Guillermo del Toro weiterreichen. Das kündigte Jacksons langjähriger Mitarbeiter und Kunstdirektor, Richard Taylor, am Montag der Nachrichtenagentur AP in Hongkong mit.
Da ist zunächst die Berufsbezeichnung des Mannes, der etwas “mitgekündigt” haben soll: Richard Taylor, der “Kunstdirektor”, leitet nicht etwa ein Museum oder eine Galerie, er ist “Art Director”, also künstlerischer Leiter des Projekts.
Außerdem ist es keineswegs eine Neuigkeit, dass Guillermo del Toro bei den beiden “Hobbit”-Filmen Regie führen wird — das ist viel mehr schon seit April 2008 bekannt.
Im ersten Satz eines längeren Artikels über “Kunstdirektor” Richard Taylor erklärt die amerikanische AP, warum Peter Jackson nicht Regie führt:
Einer von Peter Jacksons regelmäßigen Mitarbeitern sagt, der “Herr der Ringe”-Regisseur hat die Fackel an den mexikanischen Filmemacher Guillermo del Toro weitergereicht, um dem zweiteiligen Trilogie-Prequel “Der Hobbit” ein neues Aussehen zu geben.
(Übersetzung von uns)
Womöglich haben die deutschen Kollegen nur die erste Hälfte dieses Satzes gelesen.
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1. “Der Verdacht” (faz.net, Harald Staun)
Harald Staun über Vorverurteilungen und Ferndiagnosen im Fall Jörg Kachelmann. “Welche Details aus Kachelmanns Biographie man in Zusammenhang mit dem Verdacht bringt, ist rückblickend völlig egal: im Zweifelsfall wird jede Freundlichkeit als Täuschung interpretiert.”
2. “Sind wir Putzerfische?” (sueddeutsche.de, Sonia Seymour Mikich) Sonia Mikich hat gelernt, sich für vieles fremdzuschämen, das als Journalismus durchgeht, “auch für die Fälle von Themenplacement im öffentlich-rechtlichen Fernsehen”. “Während Journalisten an ihrem Selbstverständnis herumrätselten, blühte die organisierte Meinungsmache, die Wachstumsbranche bevölkert von Consultants, Werbegurus und Spin-Doktoren.”
3. “Immer! Mehr! Untergang!” (welt.de, Matthias Wulff)
Matthias Wulff liest jede Woche “Artikel, an die man sich über den Tag hinaus erinnern wird” und mag die dauernde Klage über den Verfall des Journalismus nicht mehr hören. Die Arbeitsbedingungen hätten sich “dank Google und E-Mail” deutlich verbessert. “Ich möchte mich nicht daran erinnern, wie viel Lebenszeit ich am Kopierer verbracht habe, wie oft ich vom Archivar gehört habe, der gesuchte Ordner komme erst am Nachmittag, wie mühsam es bei der Recherche war, mit den richtigen Leuten schnell in Kontakt zu treten.”
5. “Warum wird die junge Frau geschont?” (cicero.de, Max Goldt) Max Goldt über YouTube-Videos, in denen “Ausraster” zu sehen sind und über die Sendung “Germany’s Next Topmodel” mit Heidi Klum (“dieser eisige Beauty-Apparatschik”). In einem zweiten Beitrag geht es um Blogs, empfohlen wird “German Joys” von Andrew Hammel.
6. “The Daily Mail song” (dananddan.com, Video, 2:47 Minuten)
Dan and Dan widmen den Schlagzeilen der britischen Zeitung “Daily Mail” einen Song.
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1. “Studie zum Qualitätsjournalismus in Deutschland” (dfjv.de)
Der Deutsche Fachjournalisten-Verband und das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin veröffentlichen eine Studie (PDF-Datei) zum Qualitätsjournalismus. “Die Verdichtung redaktioneller Arbeit könnte systematisch zu Lasten journalistischer Qualitätsroutinen und Recherche gehen.”
2. “Google ist nicht mehr ganz so böse … oder doch?” (spiegelfechter.com, Jens Berger)
“Wer Googles Zensurmaßnahmen im internationalen Vergleich betrachtet, kommt indes nicht um die Feststellung herum, dass Google in Deutschland sehr eifrig zensiert, um nicht mit deutschen Gesetzen in Konflikt zu geraten.”
3. “Selbstversuch mit Stoppuhr” (sueddeutsche.de, Stephan Ruß-Mohl) Stephan Ruß-Mohl schreibt einen Text über die Zukunft des Journalismus mit Stoppuhr, da er als Entgelt ein Online-Honorar erhält, das “nicht der Rede wert” ist. Einer seiner Tipps für die Verleger lautet: “Qualitätsbewusste Verleger sollten die Schleusen für PR eher dicht machen, als sie durch Abbau ihrer Redaktionen weiter zu öffnen. Denn auch die Kommunikationsverantwortlichen auf der Gegenseite sind kühle Rechner: Warum für teure Werbung bezahlen, solange man viele Botschaften kostengünstig und glaubwürdig über Redaktionen an seine Zielgruppen herantragen kann?”
4. “Niiu – individuelle Zeitung auf Wunsch?” (blogpiloten.de, Regine Heidorn)
Regine Heidorn testet die individualisierte Tageszeitung “Niiu”: “Auf der Titelseite meiner Ausgabe vom 9.3.2010 lächelt mir Christoph Waltz mit Oscar entgegen. Der Rest der Seite ist gefüllt mit Blog-Einträgen, z. B. über polyextremophile Tardigrades, die in extremen Umgebungen überleben können. Der Artikel endet mit 3 kryptischen Sätzen – achso, da wären jetzt Bilder online!”
5. “Ein tödlicher Schuss um 14:22 Uhr” (issuu.com/spvgg_bayreuth)
Im offiziellen Fanmagazin der SpVgg Bayreuth steht auf den Seiten 12 und 13 ein Text über die Erfahrungen eines Fotografen mit “Bild” im Jahr 1980.
6. “Was darf Journalismus?” (tvthek.orf.at, Video, 81 Minuten)
ORF-Reporter Ed Moschitz wird vorgeworfen, seine Reportage über zwei junge Neonazis (“Am rechten Rand”) “manipuliert” und “bei einer FPÖ-Wahlkampfveranstaltung zu Nazi-Parolen angestiftet” zu haben. Eine Diskussionsrunde dazu versucht Licht in den Fall zu bringen. Derweil erhielt der ORF Besuch von “Verfassungsschutz und Staatsanwalt”.
Diese Meldung geht gerade um die Welt: In der nordenglischen Stadt Middlesbrough hat sich die Zahl der jährlichen Syphilis-Erkrankungen von unter zehn auf 30 erhöht. Peter Kelly, ein Verantwortlicher der örtlichen Gesundheitsbehörde, warnt deshalb vor ungeschütztem Sex mit wechselnden Geschlechtspartnern.
Das ist in dieser Form natürlich noch kein Anlass für internationale Schlagzeilen. Doch die Medien haben ihre industrielle Entenproduktion inzwischen soweit perfektioniert, dass das als Rohstoff schon ausreicht.
Ausgangspunkt war, wie so oft, das britische Revolverblatt “The Sun”. Es griff einen Satz Kellys aus der Safer-Sex-Warnung auf: “Soziale-Netzwerk-Seiten erleichtern es Menschen, sich mit anderen für zwanglosen Sex zu treffen.” Die “Sun” verknüpfte diese schlichte Beobachtung mit Zahlen aus dem vergangenen Monat, wonach die Menschen (zwar nicht in Middlesbrough, aber in Städten in der Nähe) überdurchschnittlich häufig solche sozialen Netzwerke nutzten. Sie spitzte beides auf “Facebook” zu, erfand einen kausalen Zusammenhang und titelte konsequent: “Sex diseases soaring due to Facebook romps” (frei übersetzt: Geschlechtskrankheiten explodieren wegen Facebook-Sex).
Damit war die Geschichte zwar falsch, aber spektakulär genug, ihre Reise um die Welt anzutreten, wobei die Lügen, die ihr zugrunde lagen, immer weiter ausgeschmückt wurden. Als eine der ersten schrieb die Online-Redaktion des “Daily Telegraph” die “Sun”-Meldung ab und veröffentlichte sie ohne Quellenangabe. Das war praktisch, weil sich weitere Abschreiber nun auf diese vermeintlich seriösere Zeitung berufen konnten. “Facebook ‘linked to rise in syphilis'” (“Facebook ‘mit Syphilis-Anstieg in Verbindung gebracht'”) titelte der “Telegraph” und legte somit gleich dem Gesundheitsbeamten den Zusammenhang in den Mund, den die “Sun” erfunden hatte.
Die britische Zeitung “Daily Mail”, der amerikanische Fernsehsender “Fox News” und viele andere verbreiteten die Falschmeldung der “Sun” weiter. Nach Deutschland schaffte es die Meldung mit tatkräftiger Unterstützung einer Hallenser Firma namens dts (“Deutsche Textservice Nachrichtenagentur”), die dem schon vorhandenen Unsinn weitere Fehler hinzufügte. Auch die einschlägig bekannte Düsseldorfer Agentur “Global Press” mischte mit ihrem Dienst “Medical Press” wieder mit.
Vor allem Online-Redaktionen, die auf irgendeinem Weg mit der offenbar ansteckenden Geschichte in Kontakt kamen, waren sofort von ihr infiziert. Sie breitete sich in Österreich (“Kurier”) ebenso aus wie in der Schweiz (“20 Minuten”), erreichte das deutschen Schwulen-Portal “queer.de” und das Jugendportal der “Süddeutschen Zeitung” “jetzt.de” — und natürlich: Bild.de.
“Facebook wird in Großbritannien als Sex-Kontaktbörse benutzt”, heißt es dort einigermaßen sinnlos in der Titelzeile, um dann erstaunlich skeptisch von einer “gewagten These” zu sprechen. Die Geschichte von Peter Kelly hat auf Bild.de inzwischen folgende Märchenform angenommen:
Nachdem er beobachtete, dass die Zahl der Syphilis-Erkrankungen in den britischen Orten Sunderland, Durham und Teesside um das Vierfache angestiegen sind, schaute er sich das Nutzerverhalten von Facebook an. Das Ergebnis: In den Orten mit hoher Syphilis-Rate nutzten auffällig viele Personen den Online-Dienst.
Macht Facebook krank?
Eine britische Untersuchung lässt vermuten, dass es einen Zusammenhang zwischen häufiger Facebook-Nutzung und der Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an Syphilis gibt. “Diese Seite vereinfacht die Suche nach Sexabenteuern”, so die Forscher.
(“B.Z.”, 25. März)
Nichts davon ist wahr; mit Sunderland und Durham hat Kelly ohnehin gar nichts zu tun, die Städte waren nur die beiden mit den hohen Facebook-Nutzerzahlen, die die “Sun” unauffällig mit in das Gemenge eingerührt hatte, um überhaupt erst einen Schein-Zusammenhang zu konstruieren.
Die Gesundheitsbehörde hat inzwischen klargestellt, dass sie mit ihrer Mitteilung nur die Risiken von Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern herausstellen wollte: “Wir haben nicht behauptet, dass Soziale Netzwerke den Anstieg in der Zahl von Syphilis-Fällen verursachen.”
Und vielleicht lohnt es sich, am Ende den einen Satz von Kelly aus der “Sun” zu zitieren, von dem aus sich die ganze Falschmeldungsepidemie weltweit ausbreitete. Gesagt hatte er bloß: “Ich habe gesehen, dass mehrere der [von Syphilis] Betroffenen ihre Sex-Partner durch solche Sozialen Netzwerke kennen gelernt hatten.”
Das Erstaunliche ist, dass die Medien sich überhaupt noch die Mühe geben, von einer Tatsache auszugehen, die sie dann verdrehen, verfälschen und übertreiben, anstatt sich gleich Geschichten komplett selbst auszudenken — wenn ihnen doch so offenkundig egal ist, ob es stimmt, was sie berichten. Aber vielleicht wäre gerade das Selbstausdenken viel mehr Arbeit als die routinierte Methode der Produktion falscher, aber gut verkäuflicher Geschichten.
PS: So illustiert die “Sun” ihren Service-Artikel zur Frage, woran man erkennt, sich mit Syphilis infiziert zu haben:
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Kachelmann 2. Tag” (blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Wie schon am Montag schreibt Kai Gniffke, warum der Vergewaltigungsverdacht gegen Jörg Kachelmann nicht in der Tagesschau auftaucht. Von “Bild”, die ihn für ein Interview mit zahlreichen Fragen konfrontierte, brauche er “keine Nachhilfe in Bezug auf verantwortungsvollen Journalismus, sicher nicht.”
2. “Das ganze verdammte Mediending” (kaliban.de, Gunnar Lott)
Gunnar Lott ist zunehmend gelangweilt von “Qualitätsmedien”, die “Nicht-Nachrichten, die zudem jeder hat”, durchhecheln. “Je häufiger die atemlos eine Sau durchs Dorf treiben, die nächste Woche wieder komplett vergessen ist, desto weniger bin ich bereit, denen mein Geld oder meine Aufmerksamkeit zu widmen.”
3. “blöde klima-panikmache” (benkoe.ch, Thomas Benkö)
“Bild” gibt dem durch den Mensch verursachten Klimawandel die Schuld am Verschwinden der kleinen South Talpatti Island. Thomas Benkö sieht das anders: “wind und wasser haben eine insel erschaffen, wind und wasser haben sie wieder verschwinden lassen.”
5. “Fernsehen am Krawallfreitag” (fernsehkritik.tv)
Ein Text zum Wandel des Fernsehprogramms am Karfreitag: “Manch einer mag meine Kritik als altbacken und nicht mehr zeitgemäß betrachten. Zumindest ein solch religiöser Feiertag sollte aber vom Zeitgeist abgekoppelt sein. Und selbst für Atheisten kann es doch durchaus mal angenehm sein, wenigstens an einem Tag des Jahres ein leiseres und nachdenklicheres Fernsehprogramm zu sehen.”
Die Information mit den Ex-Soldaten haben die meisten Medien von der Deutschen Presse-Agentur, die dieses Detail aus einem eher umfangreichen und thematisch vielschichtigen Interview destilliert hat, das Claudia Schiffers Ehemann Matthew Vaughn der britischen “Sun” gegeben hat.
Allerdings hat dpa auch noch selbst etwas recherchiert:
Schiffers Sprecherin bestätigte der dpa am Mittwoch in London, dass die Gurkhas “seit langem” zum Personal der Familie gehören.
Um dieses “seit langem” genauer zu quantifizieren, hätten dpa oder Teile der weiter verbreitenden Medien nur einen Blick in ihre eigenen Archive werfen müssen:
Andererseits wäre bei so einem Gang ins Archiv vielleicht aufgefallen, dass es eigentlich keinen Grund für die jetzige Meldung gab.
Es ist weder inhaltlich noch optisch erfreulich, das Balkendiagramm, das das Bundesinnenministerium gestern über die Entwicklung politisch motivierter Kriminalität bis zum Jahr 2009 veröffentlicht hat:
Zumindest aus ästhetischer Sicht ist es daher zu begrüßen, dass die “Berliner Morgenpost” selbst noch einmal graphisch aktiv geworden ist. Herausgekommen ist nicht ein Diagramm, nicht zwei, sondern gleich derer drei.
Sie befinden sich bei Morgenpost.de hintereinander in einer Bildergalerie, zum besseren Vergleich haben wir sie mal in in eine Animation gepackt:
Welche Grafik jetzt stimmt (und welche Bildunterschrift zur richtigen Grafik passt), das muss der Leser selbst herausfinden.