Zitieren und verklagen mit Jörg Kachelmann

Es gibt Worte, die sind klein und unscheinbar, haben aber eine erhebliche Auswirkung auf die Bedeutung des Satzes, in dem sie stehen. Zahlreiche Väter wären ohne “wenn” längst Millionäre, die Welt wäre eine andere ohne “nicht”.

Auch das Wort “auch” kann einen entscheidenden Unterschied bedeuten:

Das ist etwas, was ich niemandem wünschen möchte, niemandem auf der Welt, was dieser Mensch mir auch angetan hat.

sagt etwas ganz anderes aus als

Das ist etwas, was ich niemandem wünschen möchte, niemandem auf der Welt, was dieser Mensch mir angetan hat.

Der obere Satz drückt aus, dass der Sprecher die gemachte Erfahrung niemandem wünscht — was auch immer ein Mensch ihm angetan haben könnte. Er wünscht die Erfahrung nicht mal seinem ärgsten Feind, wie man so schön sagt.

Der untere Satz drückt aus, dass der Sprecher niemandem die Erfahrung dessen wünscht, was ihm eine dritte Person (“dieser Mensch”) angetan hat.

Der obere Satz ist ein Zitat des Fernsehmoderators Jörg Kachelmann, der Untere der Versuch von FAZ.net, Kachelmann zu zitieren.

FAZ.net befindet sich damit ganz in der Nähe von Bild.de, die vergangene Woche bereits an dem Zitat gescheitert waren (BILDblog berichtete).

Unterdessen hat die Axel Springer AG bestätigt, dass Jörg Kachelmann sie (genauer: “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de) auf mehr als 2 Millionen Euro verklagt hat. Kachelmanns Strafverteidiger Reinhard Birkenstock spricht im “Spiegel” von 2,25 Millionen Euro Schmerzensgeldforderungen und begründet diese wie folgt:

Es geht um zahlreiche Persönlichkeitsverletzungen, die begangen wurden, darunter Fotos, die Kachelmann beim Hofgang zeigen. Dies wurde bereits in einer früheren Entscheidung gerichtlich untersagt. Die Verletzung der Persönlichkeitsrechte Kachelmanns sind beispiellos in der deutschen Pressegeschichte.

(Link von uns)

Die Axel Springer AG hat Kachelmanns Forderungen laut handelsblatt.com als “durchsichtige Aktion” zurückgewiesen. Gleichzeitig stehen vermutlich auch weiteren Verlagen (“mit Ausnahme des ‘Spiegels'”, so handelsblatt.com) Klagen ins Haus. Heißer Kandidat für hohe Forderungen: Der “Focus”. Das Blatt, das in der Vergangenheit bereits ausführlich aus den Ermittlungsakten zitiert und dafür eine Einstweilige Verfügung kassiert hatte (BILDblog berichtete), plaudert in seiner aktuellen Titelstory weitere Details aus und arbeitet sich dabei auch an den angeblichen sexuellen Vorlieben des Moderators ab. Letzteres tat auch der “Stern” am vergangenen Donnerstag.

Mit Dank auch an Jens Sch.

Wenn das Heidi wüsste

Auf einem Tisch in Mainz steht ein Kalender, auf dem der 1. August rot umkreist ist, daneben steht “Schweizer Nationalfeiertag”. Die drum herum sitzende Redaktion sinniert: “Kennen wir die Schweiz wirklich?” Geht so, kommt heraus. Warum also nicht die Leser fragen?

Kühe, Berge und Kantone - Wie gut kennen Sie die Schweiz?

Oder etwas poetischer: “Sind Ihre Welt die Berge?”

Es findet sich ein großes Bild eines bekannten Produkts aus Schokolade — daneben stellt sich diese Frage:

Weltbekannt ist dieser dreieckige Riegel, der den höchsten Berg der Schweiz im Logo hat

Dumm nur, dass das als richtige Lösung verkaufte Matterhorn gar nicht der höchste Berg der Schweiz ist.

Dann klappt es vielleicht mit einer anderen Frage. Wer Doris Leuthard, die 2010 amtierende Bundespräsidentin, erkennt, wird in der Antwort so aufgeklärt:

Seit 2006 ist sie eines der sieben Mitglieder des Nationalrates, aus dessen Kreis der Bundespräsident für ein Jahr kommt

Leider auch falsch. Der dem Bundestag entsprechende Nationalrat umfasst 200 Mitglieder. Leuthard ist eines der sieben Mitglieder des Bundesrats, der regierenden Exekutive.

Mit Dank an Pascal.

Nachtrag, 2. August: Inzwischen wurden beide Fehler korrigiert.

Loveparade, Kutcher, Flattr

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ein einziger Blick in die Zukunft hätte doch gezeigt…”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier thematisiert die Selbstgerechtigkeit von Journalisten, die genau wissen, wie die Loveparade in Duisburg hätte organisiert werden müssen, damit es nicht zu einem Unglück gekommen wäre. Warnungen vor dem Unglück waren allerdings nur vereinzelt zu lesen.

2. “Unglück als Medienereignis”
(dradio.de, Klaus Deuse)
Klaus Deuse beschreibt die “ersten Katastrophenberichte für die Primetime-Sendezeit” nach dem Loveparade-Unglück: “Vor die Kameras geholt wurden wahllos sogenannte Augenzeugen, die zwar nichts gesehen, aber irgendwie was gehört haben wollten und das gar nicht schön fanden, dass deswegen die Loveparade beendet werden musste. Politiker äußerten sich früh fernab des tödlichen Geschehens bereitwillig über Umstände, die sie nicht kannten. Gegen Höchstgebote suchten Medien zudem Handybesitzer, die ein paar nichtssagende Videoaufnahmen gemacht hatten.”

3. “Happy End für einen chinesischen Journalisten”
(nzz.ch, Peter A. Fischer)
Nach einem kritischen Artikel über die Privatisierung einer Firma sieht sich ein chinesischer Wirtschaftsjournalist einem Haftbefehl gegenüber. “Doch nachdem die Empörung darüber nationale Ausmasse angenommen hatte, verfügte die der lokalen Polizei übergeordnete Behörde in Lishui die Aufhebung des Haftbefehls.”

4. “Wer sich entblößt, schützt seine Privatsphäre mitunter am besten”
(leanderwattig.de)
Schauspieler Ashton Kutcher erklärt in der “Neon”, wie er dank Einsatz von Twitter und Facebook wieder ungestört aus seiner Ausfahrt fahren kann. “Wir haben den Markt einfach mit Fotos von uns gesättigt. Paparazzi lauern uns nun nicht mehr auf, weil Schnappschüsse von uns nichts mehr wert sind.”

5. “Twitter, die Hoax-Maschine”
(ennomane.de)
Ein sich als Hoax herausstellender Tweet von @ennomane wird mindestens siebzig Mal re-tweetet, die Korrektur findet weniger Beachtung. “Natürlich lag es nicht in meiner Absicht, Fakes zu verbreiten – und dieser ist auch harmlos. Dass das Bild gefälscht ist, hätte ich selber sehen müssen und bekam innerhalb von Minuten entsprechende Hinweise.”

6. “Perspektiven von Flattr: 125 Praktikanten für Spiegel Online?”
(carta.info, Andreas Grieß)
Andreas Grieß rechnet die monatlichen Flattr-Einnahmen von taz.de auf jene von spiegel.de hoch: “Selbst wenn man an dieser Stelle davon ausgeht, dass Leser der taz deutlich eher bereit sind, eine freiwillige Abgabe zu zahlen, kann man von einem Faktor von – sagen wir 50 – ausgehen, um den die Einnahmen bei Spiegel Online höher ausfallen dürften. Das wären stolze 50.000 Euro.”

Kachelmann: Zitieren für Anfänger

Das ist irgendwie unglücklich gelaufen für “Bild”: Mitten in die immer noch laufende Berichterstattung zum Loveparade-Desaster und den Rosenkrieg bei Lothar Matthäus wurde am Donnerstag auch noch Jörg Kachelmann aus der U-Haft entlassen.

Aber zum Glück hat Kachelmann ja direkt am Freitag dem freien Journalisten Jan Mendelin ein Interview gegeben, das nicht nur bei “Brisant” und “Exklusiv” zu sehen war, sondern auch auch auf Bild.de.

Der Einfachheit halber hat Bild.de das knapp vierminütige Gespräch zu weiten Teilen exzerpiert und zusammengefasst:

Von der Frau, die ihn der Vergewaltigung bezichtigt, spricht Kachelmann nur von “dieser Person”: “Das wünsche ich niemand anderem auf der Welt, was diese Person mir angetan hat.”

Ja, äh … fast.

Was Kachelmann sagt (ab 1:40), ist:

Man kann ja selber nichts an seiner Situation ändern. Das ist etwas, was ich niemandem wünschen möchte, niemandem auf der Welt, was dieser Mensch mir auch angetan hat.

Oder für Bild.de-Mitarbeiter: Er wünscht es niemandem. Auch nicht Kai Diekmann oder Mathias Döpfner. Aber auf zwei Millionen Euro will er “Bild” Medienberichten zufolge trotzdem verklagen.

Mit Dank an Martin R. und Hauke W.

Warum Kerner so angenehm unaktuell ist

Sven Gantzkow hat sich für “Welt Online” die gesamte gestrige Ausgabe von “Kerner” auf Sat.1 angeschaut und ist bass erstaunt:

Wo alle über die 21 Opfer von Duisburg sprechen, sprach JBK über Lachforschung und Botox gegen Migräne. Von einer Aufarbeitung der Geschehnisse auf der Loveparade ließ der Gebrannte die Finger, was gemessen an seinen eben erwähnten schlechten Erfahrungen mit solchen Tragödien wahrscheinlich auch gut war.

Und obwohl Gantzkow es offensichtlich für eine gute Idee hält, dass Johannes B. Kerner, der mit einer Sondersendung nach dem Amoklauf von Erfurt vor acht Jahren unrühmlich aufgefallen war, diesmal auf eine Beschäftigung mit so einem ernsten Thema verzichtet, kommt er immer wieder darauf zurück:

Vielleicht wollte sich die Redaktion aber auch einfach nicht ihre gute Laune verderben lassen, die unzweifelhaft vorgeherrscht haben muss. Anders ist es nicht zu erklären, dass man einen Beitrag durchgehen ließ, in dem ein unerträglich aufgekratzter Außenreporter harmlose Pärchen in der Hamburger Fußgängerzone mit Fragen nach ihrem gegenseitigen Wissen über den Partner behelligte.

Im Vorspann erklärt “Welt Online” dann gar:

Überraschenderweise hat Kerner das Loveparade-Drama in seiner Sendung völlig verschwiegen.

Die Überraschung wird vielleicht ein bisschen kleiner, wenn man weiß, dass bis einschließlich 5. August noch “Kerner”-“Sommerausgaben” laufen, die bereits im Juni aufgezeichnet wurden, wie uns Sat.1 auf Anfrage bestätigte.

Mit Dank an Bernd V. und Bastian.

Wie der Vater so der Sohn

Ganz schön rüstig! Mit 57 Jahren tritt Wendelin Wiedeking, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Porsche, als Rennfahrer ausgerechnet beim Porsche Sports Cup an — zumindest meldete dies die Deutsche Presseagentur (dpa) am Donnerstag unter der Überschrift “Wiedeking gibt Gas”:

In der Öffentlichkeit hat sich Ex-Porsche- Chef Wendelin Wiedeking nach seinem dramatischen Abgang vor einem Jahr rargemacht. Der Spaß an schnellen Autos scheint dem Manager aber nicht vergangen zu sein: Der ehemalige Lenker der Sportwagenschmiede steht auf der Teilnehmerliste des Porsche Sports Cup in Oschersleben bei Magdeburg.

Bei dpa hat man mittlerweile gemerkt, dass nicht der Ex-Porsche-Chef auf der Teilnehmerliste steht, sondern sein 25-jähriger Sohn gleichen Namens, und heute morgen um 11:50 Uhr eine Korrektur mit der Überschrift “Sohn von Wiedeking gibt Gas” verschickt. Darin heißt es jetzt:

(…) Der Spaß an schnellen Autos scheint zumindest seinem gleichnamigen Sohn aber nicht vergangen zu sein (…)

Bis zu Volksstimme.de, Ortsdienst.de oder Bild.de hat sich die Korrektur aber noch nicht herumgesprochen. Andererseits ist sie auch bei weitem nicht so spannend wie die Ursprungsversion.

Mit Dank an Thomas L.

Nachtrag, 31. Juli: Bei Volksstimme.de darf mittlerweile der Sohn Gas geben.

Löschdebatte

Seit am 20. April die Bohrinsel “Deepwater Horizon” explodierte und zwei Tage später unterging, sprudelt nicht nur das Öl — auch die Mutmaßungen über Ursachen und Verantwortlichkeit wollen nicht versiegen. Es ist ein Schwarzer-Peter-Spiel für Fortgeschrittene — keiner will’s gewesen sein und alle Parteien versuchen den jeweiligen Widersacher verantwortlich zu machen, immerhin handelt es sich um die größte Umweltkatastrophe der Vereinigten Staaten.

Seit zwei Tagen ist dieses Spielchen nun in einer neuen Runde (mehr dazu bei Mediamatters) — und glaubt man der Berichterstattung auf Bild.de, dann hat eine “neue Enthüllung zur Öl-Pest im Golf von Mexiko” ergeben, dass die “explodierte Plattform (…) möglicherweise durch Löschwasser versenkt” wurde.

Weiter schreibt Bild.de über das Löschen mit Salzwasser:

Offenbar ein folgenschwerer Fehler! Denn durch die enorme Last des Löschwassers geriet die brennende Plattform zunehmend aus dem Gleichgewicht, kippte zur Seite – und versank zwei Tage später im Meer.

Nun hat das US-amerikanische “Center for Public Integrity“, eine Nichtregierungsorganisation für kritischen Journalismus, tatsächlich vor zwei Tagen einen recht ausführlichen Bericht über den Einfluss der Löschschiffe veröffentlicht, der in der Tat den Verdacht erweckt, ohne das Löschwasser wäre die Plattform nicht gesunken — zumindest dann, wenn man den Beitrag nicht ganz bis zum Ende liest.

Dort stellen die Autoren des “Center for Public Integrity” nämlich einen Dozenten der Universität Texas vor, der im Grunde alle Vermutungen, Mutmaßungen und all das Geraune zuvor ganz grundsätzlich in Frage stellt:

“Ich glaube nicht, dass irgendjemand geglaubt hat, das Feuer sei mit Schaum oder Wasser zu löschen,” sagt jener Paul Bommer da, “das Feuer war zu groß und zu heiß.”

(Übersetzung von uns.)

Was genau an diesem 20. April geschah — das wissen also selbst die Experten nicht so recht und stochern mehr oder minder im Dunkeln, erwägen, mutmaßen und raten. Für die Redaktion von Bild.de aber, für die der Beitrag des “Center for Public Integrity” zu lang und zu kompliziert war, sieht die Sache recht eindeutig aus — und so können die Leser von Bild.de jetzt annehmen, dass all das Öl im Golf von Mexiko letztlich der Unfähigkeit der Löschschiffe anzulasten sei. Und der Schwarze Peter? Macht weiter munter die Runde.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Leserreporter, Hamburger, Migrationsthemen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Kuranyi! Im Urlaub!! Auf Ibiza!!!”
(fr-online.de, Daniel Bouhs)
Seit vier Jahren arbeitet “Bild” mit Leserreportern zusammen. Daniel Bouhs zieht ein vorläufiges Fazit. “Das Unglück von Duisburg zeigt: In Zeiten, in denen Handys jeder Preisklasse mit Foto- und Videokameras ausgerüstet sind, entgeht der Öffentlichkeit nichts mehr. Das wollen auch professionelle Medienmacher für sich nutzen – allen voran die Bild-Zeitung.”

2. “Das Lachen nach dem Schluss”
(stijlroyal.de, Huck Haas)
Huck Haas denkt nach über die Privataufnahmen von der Loveparade in Duisburg und ihre Aufnahme bei Twitternutzern. Trotz aller Härte hält er die “Demokratisierung der Bilder von der Basis” wichtig. “Wir Zuschauer können nicht die ganze Verzweiflung begreifen und nachvollziehen, aber so ist sie ein bisschen gegenwärtig, man versteht ein bisschen warum selbst gestandene Sanitäter weinend zusammengebrochen sind. Man kann es erahnen.”

3. “Daily Mail and Sun pay out to Tamil hunger striker”
(guardian.co.uk, Sam Jones, englisch)
Auf den Online-Portalen entschuldigen sich “Sun” und “Daily Mail” bei Parameswaran Subramanyam, dem sie 2009 unterstellt haben, während eines Hungerstreiks Hamburger gegessen zu haben. Der Hungerstreikende dazu: “I have been shunned, publicly abused and received numerous extremely distressing and frightening telephone calls and text messages. I have received death threats and on occasions felt unable to leave my home for fear that I may be attacked.”

4. “Brad Pitt und die Kochprofis”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
Schauspieler Brad Pitt schneidet sich den Bart ab und begleitet seine Frau zu einer Filmpremiere. Eine Ausgangslage, die Klatschmagazine zu Spekulationen anregt, die in alle Richtungen gehen.

5. “Journalistin mit Migrationshintergrund”
(taz.de, Cigdem Akyol)
Cigdem Akyol fragt sich, warum Journalisten aufgrund ihres Migrationshintergrunds von ihr immer wieder Texte über Migrationsthemen fordern. Sie habe “Völkerrecht studiert, nicht Einwandererdasein”. – “Ja aber, sie müssen doch mehr dazu sagen können, gerade Sie, mit ihrem Namen”.

6. “Best Leak Ever”
(thedailyshow.com, Video, 8:59 Minuten, englisch)
Jon Stewart begutachtet die investigativen Fähigkeiten, mit denen US-amerikanische TV-Sender Informationen zu den Afghanistan-Protokollen von Wikileaks verarbeiten.

Reisen bild.det

Christoph Driessen hat für die Deutsche Presseagentur (dpa) einen Artikel darüber geschrieben, worauf sich Engländer im Deutschlandurlaub vorbereiten sollten und dazu Beispiele aus englischsprachigen “Reiseführern und anderen landeskundlichen Beschreibungen” zitiert.

Mal mit, mal ohne entsprechende Namensnennung und dpa-Kennzeichnung erschien sein Beitrag in zahlreichen Online-Medien. Bei Bild.de dürfte sich der Autor aber ganz besonders freuen, dass sein Name nicht darunter steht:

Briten warnen in Reiseführern vor deutschen Unsitten

Die lockere Einleitung Driessens wurde weggelassen, dafür schreibt Bild.de das:

Es geht schon wieder los: Zur schönsten Ferienzeit schießen britische Reiseführer gegen die Deutschen! Sie warnen, worauf sich ausländische Touristen in Deutschland gefasst machen sollten. Man kann entsetzt sein – oder über diesen Unsinn lachen.

Zum tatsächlichen Inhalt des Artikels passt das nicht. Die zitierten Reiseführer sind nämlich größtenteils weder britisch noch gerade erst “zur schönsten Ferienzeit” aufgetaucht.

Ein Beispiel:

Die erste Enttäuschung der Briten: Leider sehen die Deutschen nicht wie Deutsche aus. Keine Dirndl, keine Lederhosen. “Am ehesten bekommt man diesen Anblick noch in Bayern zu Gesicht”, informiert der Klassiker “Culture Shock Germany” (Kulturschock Deutschland).

Die erste Auflage von “Culture Shock Germany” erschien bereits 1996 und der betreffende Lederhosentext ist wohl seitdem – spätestens aber seit der Auflage von 2005 – darin enthalten. Der Autor ist Amerikaner und kein Engländer.

“Planet Germany” von Cathy Dobson wurde 2007 und damit lange vor der “schönsten Ferienzeit” veröffentlicht. Zwar ist die Autorin Britin, dafür ist ihr Buch kein Reiseführer, sondern ein Erlebnisbericht in Romanform – oder wie sie es selbst auf ihrer Homepage nennt: “a crazy tale of an ex pat’s adventures settling into the Rhineland in Germany”

Es wird noch besser:

Selbst der renommierte “Lonely Planet” schreibt in seiner Deutschland-Ausgabe: Deutsche erscheinen beim ersten Kontakt nicht übermäßig freundlich, aber das müsse man nicht persönlich nehmen, untereinander sind sie genauso kurz angebunden.

Auch hier schießt kein “britischer Reiseführer gegen die Deutschen”: Die in Los Angeles wohnhafte Autorin Andrea Schulte-Peevers ist sogar selbst Deutsche, der “Lonely Planet”-Verlag wiederum sitzt in Australien.

Auch das letzte Buch, aus dem Bild.de zitiert, stammt – wen wundert’s noch? – von einem Amerikaner. Greg Nees’ “Germany Unravelling an Enigma” erschien 2000.

Na, hoffentlich titelt jetzt keine englische Zeitung: “Zur schönsten Ferienzeit schießt eine deutsche Boulevardzeitung ungerechtfertigt gegen die Briten!”

Mit Dank an Pekka R. und Clemens W.

Fähnlein Videoschweif

Regelmäßig ist Bild.de in den vergangenen Wochen und Monaten dadurch aufgefallen, Videoclips von Internetplattformen wie YouTube herunterzuladen und auf der eigenen Website zu veröffentlichen. Das hat den Vorteil, dass man kurze Clips mit Wiederholungen, Zeitlupen und teilnahmslosen Off-Kommentaren verlängern und mit der davor geschalteten Werbung (sog. Pre-Roll-Werbung) auch noch Geld verdienen kann.

Weil aber selbst die eifrigsten Redakteure nicht das ganze Internet im Blick haben können, sind “Bild” und Bild.de vor kurzem auf eine neue Idee gekommen: Den “BILD-Leser-Scout”.

Schicken Sie alles, was Ihnen spannend, neu oder originell erscheint, an uns. Wird aus Ihrer Anregung eine Geschichte in BILD, gibt’s dafür 20 Euro Honorar!

Schon am ersten Tag bekam Bild.de “zwei Hinweise auf tolle Videos im Netz”:

BILD-Leser-Scout Markus T. fand das 1. Interview dem “DJ der guten Laune”.

(Anonymisierung von uns.)

Erstaunlich, dass Bild.de das Video nicht selbst entdeckt hat — stammt es doch vom gleichen YouTube-Nutzer wie der inzwischen legendäre Auftritt des DJs, den Bild.de kurz zuvor “gefunden” hatte (BILDblog berichtete).

Auch Leser-Scout Horst W. wurde belohnt: Er hatte “sehr witzige” Fußball-Videos “aufgespürt”.

Eigentor beim Elfmeter.

“So einen Elfmeter haben Sie noch nie gesehen”, verkündet der Offsprecher stolz und hat damit natürlich Recht — es sei denn, man war seit April 2008 zufällig mal auf Bild.de und kennt das Video vom Eigentor nach einem Elfmeter deshalb schon.

Eigentor beim Elfmeter.

Auch viele andere Einsendungen sind nicht unbedingt “neu”.

Da die Axel Springer AG, zu der “Bild” und Bild.de gehören, sich ja bekanntlich seit längerem dafür einsetzt, die Urheberrechte im Internet besser zu schützen, haben wir ihrem Sprecher einige Fragen geschickt:

  • Werden die Urheber der Videos vorher von Bild.de um Erlaubnis gebeten und anschließend am Gewinn durch die Pre-Roll-Werbung beteiligt?
  • Falls nicht: Wie passt dieses Vorgehen zur Forderung der Axel Springer AG nach mehr Respekt vor dem Urheberrecht?
  • Wie würde Bild.de reagieren, wenn Videoclips von Bild.de heruntergeladen und auf anderen kommerziellen Seiten wiederveröffentlicht würden?
  • Im Zusammenhang mit Urheberrechten ist häufig vom “Diebstahl geistigen Eigentums” die Rede. Wäre die “BILD-Leser-Scout”-Aktion dann nicht analog dazu Hehlerei?

Unsere Anfrage stammt vom 21. Juli. Irgendwie haben wir nicht das Gefühl, noch eine Antwort zu bekommen.

Mit Dank auch an United und Ellen L.

Nachtrag/Korrektur: Auf unserem Screenshot war zunächst der Name des “Leser-Scouts” zu lesen, den wir im Text abgekürzt hatten. Das war natürlich dämlich. Entschuldigung!

Blättern:  1 ... 658 659 660 ... 1125