Diekmann, Döpfner, Google

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Kai Diekmann
(jetzt.sueddeutsche.de, Hans Leyendecker und Marc Felix Serrao)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann gibt einen aus seiner Sicht “grossen Fehler” von “Bild” zu: “Auf einem Demo-Foto von Jürgen Trittin fälschlich Schlagstock und Bolzenschneider erkannt zu haben, das war schon ziemlich bescheuert.” Geschehen ist das im Januar 2001, Diekmann erwähnt das Beispiel gerne immer wieder (BILDblog berichtete).

2. “Mangelnde Qualitätskontrolle bei Closed-Access-Zeitschriften”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
Eine PR-Agentur bringt Mediziner dazu, ihren Namen unter vorgefertigte Texte zu setzen. Gedruckt werden diese zwischen 1997 und 2003 unter anderem in den Elsevier-Zeitschriften “American Journal of Obstetrics and Gynecology” und “International Journal of Cardiology”. Siehe dazu auch “Questions over ghostwriting in drug industry” (nature.com, Ewen Callaway, englisch).

3. “Journalisten erfüllen Erwartungen nicht”
(akademie-fuer-publizistik.de, Kristin Marquart)
Eine Umfrage unter 1001 Deutschen ergibt, dass 62 Prozent von ihnen Journalisten für manipulativ halten. “Fast die Hälfte der Befragten (44 Prozent) ist zudem der Meinung, dass die Medien sich zu sehr mit Nebensächlichkeiten beschäftigen – und nicht die Themen und Probleme aufgreifen, die die Menschen in Deutschland wirklich bewegen.”

4. “Mathias Döpfner über das Netz”
(taz.de, Günter Bartsch)
Günter Bartsch notiert, dass Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags, allen Ernstes behauptet, “die Pressefreiheit werde durch das Internet selbst bedroht, sozusagen durch eine schlechte Angewohnheit des Internets: die ‘Gratis-Kultur'”.

5. “BP, Google und der Zürcher ‘Tages Anzeiger'”
(yourposition.ch, Lukas Stuber)
Hat BP Google tatsächlich dazu gebracht, seine Ergebnisse gegen Bezahlung anzupassen? Oder hat BP nur Google AdWords geschaltet?

6. “Das Alphabet laut Google Instant”
(netzfundbuero.de, Tom Hillenbrand)
Von A wie Amazon bis Z wie ZDF.

Weit vorbei ist auch daneben

Fast wären zwei Flugzeuge über London zusammengestoßen. Passiert ist das zwar vor mehr als einem Jahr, aber die dramatischen Details des Falls lassen heute immer noch erschauern und so berichtet Bild.de heute exklusive Fakten:

Erst als der Business-Jet nur noch um die 50 Meter entfernt war, sah ein Pilot der türkischen Boeing 777 das entgegenkommende Flugzeug, riss seine Maschine in letzter Sekunde zur Seite. Knapper geht es nicht.

In der Tat: Knapper geht es nicht. Richtig beeindruckend wird diese phänomenale Pilotenleistung, wenn man weiß, dass die Geschwindigkeit der Boeing zu diesem Zeitpunkt zirka 100 Meter pro Sekunde betrug, während der deutsche Business-Jet aus der Gegenrichtung kam. So hatte der Pilot nicht Mal eine Viertelsekunde Zeit, um die Gefahr zu erkennen und das Ausweichmanöver zu fliegen, das die 248 Menschen an Bord rettete.

Warum berichtet Bild.de exklusiv über die fantastische Leistung? Am mangelnden Interesse der Medien liegt es nicht, denn sowohl Reuters, als auch Sky News und die “Daily Mail” haben von dem Vorfall berichtet, unterschlagen aber das heldenhafte Flugmanöver des türkischen Piloten.

Aufklärung bietet die Air Accidents Investigation Branch, die Bild.de praktischerweise verlinkt. Deren Bericht liest sich ein wenig anders als die Bild.de-Meldung:

D-ITAN […] passierte TC-JJA in fast exakt entgegengesetzter Richtung ungefähr 0,5 nautische Meilen entfernt und 30 bis 60 Meter darunter […]

(Übersetzung von uns)

Eine halbe nautische Meile, also mehr als 900 Meter, trennten die beiden Flugzeuge. Ein ernster Vorfall für die britischen Behörden, für die Bild.de aber offenbar nicht dramatisch genug. Statt eines wagemutigen Ausweichmanövers weiß die britische Luftaufsicht übrigens nur von Funksprüchen zwischen Cockpit und Tower zu berichten, die einen potenziellen Zusammenstoß verhinderten.

Mit Dank an Uli und Thomas.

Bild  

Sturzreden

“Bild”-Kolumnist Hugo Müller-Vogg gilt als genauer Kenner der politischen Szene. Er weiß, wie Politiker ihre Krankheiten tarnen, verriet der Öffentlichkeit, wie die Kanzlerin ihre SMS unterzeichnet, und greift besonders gerne Oskar Lafontaine an.

Anscheinend will Müller-Vogg Lafontaine jetzt auch aus der Geschichtsschreibung löschen. Immerhin schrieb er gestern in seiner Kolumne “Berlin intern”:

Sie konnten sich nicht ausstehen: Gerhard Schröder und der 1995 von ihm gestürzte SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping.

Andererseits könnte es natürlich auch sein, dass Müller-Vogg schlichtweg nicht wusste, dass Scharping beim berühmt gewordenen Mannheimer Parteitag 1995 nicht von Schröder gestürzt wurde, sondern von Lafontaine.

Bild  

Zwei Meinungen über die Meinungsfreiheit

Merkels mutigster Auftritt! Sie ehrt den Mann, der wegen einer Mohammed-Karikatur um sein Leben bangen mussFür “Bild” war es Angela Merkels “mutigster Auftritt”: Die Kanzlerin verlieh den “M100 Medienpreis”, der “Verdienste um den Schutz der freien Meinungsäußerung” würdigt, an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard. Die Zeitung würdigt Merkels “großes Bekenntnis zur Freiheit der Presse und der Meinungen” und dokumentiert ihre “wichtige Rede” und zieht in einem Kommentar Parallelen zum Fall Sarrazin.

Nur: Merkel sagte ausdrücklich, das Thema Sarrazin sei “gerade kein Thema der Gefährdung der Meinungsfreiheit”. Sie hat sogar noch Dinge über “Bild” und die Axel Springer AG gesagt, auf deren Wiedergabe “Bild” lieber verzichtete.

Die ganze Geschichte steht bei “Carta”:

Wenn alle Deichmänner brechen

Was sehen wir hier?

Werbung für Deichmann?

Nur fast. Es handelt sich das Making-Of der neuen Werbekampagne des Schuhhändlers, das aber wie redaktioneller Inhalt auf abendblatt.de steht, schön eingebunden in die Meldung, dass Cindy Crawford für Deichmann wirbt. (Falls Sie sich fragen, ob das überhaupt eine Nachricht ist: Anscheinend schon — und nicht zum ersten Mal.)

Eingeordnet wird das nicht unter “Werbung” und auch nicht unter “Berichterstattung über Werbung”. Sondern so:

Nachrichten: Aus aller Welt: Leute

So richtig angebracht ist das Making-Of-Video eigentlich nur an einem Ort: Im “trendblog” auf deichmann.com.

Mit Dank an die Hinweisgeberin.

Fahndung über Bande

Kriminalfälle in Mittelamerika werden üblicherweise nicht von deutschen Online-Medien aufgeklärt. Bild.de versucht es aber trotzdem mal:

Honduras: Richten Tattoo-Killer das Massaker an? Gehörte er zu dem Killer-Kommando? Ein 23-jähriges Mitglied einer Mara-Bande aus Guatemala – die Tattoos sind das Kennzeichen der brutalen Gangs

Nun ist nicht auszuschließen, dass tatsächlich ein Bandenmitglied aus Guatemala im Nachbarland Honduras an einem Massenmord beteiligt ist. Es wäre aber ein sensationeller Zufall, denn das Foto stammt aus einer Serie, die vor drei Jahren in einem Gefängnis entstanden ist. Der Mann war damals übrigens schon 23.

Mit anderen Worten: Was Bild.de da zeigt, ist kein Fahndungs- sondern ein Symbolfoto.

Mit Dank an Joachim B.

Bild  

Falsche Beispiele für schlechte Integration

BUNDESREPUBLIK ABSURDISTAN So schlecht funktioniert Integration in Deutschland

Dafür, dass es um die Integration von Ausländern in Deutschland so miserabel stehen soll, ist es der “Bild”-Zeitung erstaunlich schwer gefallen, drastische Beispiele dafür zu finden. Eine Auswahl der “schlimmsten Fälle verfehlter Integrationspolitik” präsentierte das Blatt gestern und prangert zum Beispiel, im Gleichschritt mit dem rechtsextremen Ring Nationaler Frauen, den wöchentlichen Frauenbadetag in einem Münchner Hallenbad an.

“Bild” stellt sich auch auf die Seite eines Arztes aus dem hessischen Wächtersbach, der es “satt hatte”, dass verschleierte Patientinnen sich geweigert hätten, ihre Kopftücher zur Untersuchung abzunehmen. Der Mann hatte in einem Aushang unter anderem bekannt gegeben: “Kinderreiche islamistische [sic!] Familien mit mehr als 5 leiblichen Kindern werden in dieser Arztpraxis nicht behandelt!” Der Arzt hat sich inzwischen dafür entschuldigt, dass er mit seinen Formulierungen über das Ziel hinausgeschossen sei und Menschen verletzt habe.

Das untauglichste Beispiel für misslungene Integration aber ist gleich das erste, das “Bild” nennt:

Frauen nicht anschauen!

Im Klinikum Stuttgart kursiert eine “Handlungsanweisung internationale Patienten” für das Pflegepersonal. Darin heißt es: “Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben!”

Die Handlungsanweisung gibt es tatsächlich; der entsprechende Absatz lautet vollständig:

Eine Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben und ganz wichtig – bitte nicht in ein Zimmer reinplatzen ohne auf das Herein nach dem Klopfen zu warten!!! – Patientin könnte beten oder sich gerade umziehen!

Wie der Begriff “internationale Patienten” schon nahelegt, geht es dabei aber um Menschen, die nicht in Deutschland leben. Die Handlungsanweisung betrifft ausschließlich “Patienten, die zum Zweck der medizinischen Behandlung aus dem Ausland einreisen”, also zum Beispiel die Angehörigen eines Scheichs, die das Klinikum für eine spezielle Operation wählen und dafür selbst zahlen.

Noch einmal: Die Empfehlung für den Umgang mit muslimischen Patientinnen, die “Bild” als Beispiel schlechter Integration in Deutschland anprangert, gilt für Menschen, die anreisen, sich behandeln lassen, wieder abreisen.

Aber es stimmt schon: Ausländer, die gar nicht in Deutschland leben, sind bei uns wirklich empörend schlecht integriert.

Kleine Gegendarstellungen unter Feinden (2)

Um irgendetwas über die frisch gebackene Grand-Prix-Siegerin Lena Meyer-Landrut schreiben zu können, haben sich “Bild” und Bild.de, die von der jungen Sängerin konsequent gemieden werden, Anfang Juni an einer Exegese ihres CD-Booklets versucht.

Dabei kam es zu einigen Ungenauigkeiten und nur wenige Tage später mussten Zeitung und Internetseite eine Gegendarstellung bringen, in der Stefan Raab feststellte, “die Brainpool TV GmbH nicht 1994 mitbegründet” zu haben (BILDblog berichtete).

Deutlich länger brauchte eine andere Gegendarstellung zum selben Artikel. Sie wurde erst letzte Woche, mit fast dreimonatiger Verspätung veröffentlicht:

Gegendarstellung: BILD online veröffentlichte am 03.06.2010 den Artikel "So sagt Lena Danke", in welchem Lena aus dem Booklet ihrer CD "My Cassette Player" wie folgt zitiert wurde: "Und Danke der Liebsten, der Claudili, die als Letztes kommt (...)". Klickte man auf "Claudili", öffnete sich ein Fenster, in dem es erklärend hieß: "Claudia ist Redaktionsleiterin (...)" Hierzu stelle ich fest, dass ich nicht Redaktionsleiterin bei der Brainpool TV GmbH bin. Köln, den 07.06.2010 Claudia Gliedt

Hombach, Kalttext, Volontäre

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Magazine machen Leute”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
“Fearne Cotton. Rebecca Gayheart. Brittany Snow. Adrienne Bailon. Amy Smart. January Jones. Lauter junge Damen, die diese Woche in den Magazinen Intouch und Life & Style (Nr.36/2010) auftauchen. Kennen Sie nicht? Ich auch nicht.”

2. “Bodos Tierleben”
(zeit.de, Stefan Willeke)
Unterwegs in Kanada mit Bodo Hombach, dem Geschäftsführer der Mediengruppe “Westdeutsche Allgemeine Zeitung”: “Hombachs Leben ist wie ein Reißverschluss. Mal zog ihn die Politik nach oben, mal die Wirtschaft, anschließend die Politik und so weiter.”

3. “Das Löschen von Internet-Archiven”
(ndr.de, Video, 7:38 Minuten, Maik Gizinski)
Dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wegen müssen die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Inhalte im Web nach einer bestimmten Zeitspanne wieder offline stellen. “Zapp” berichtet über die konkreten Auswirkungen und befragt dazu Betroffene.

4. “Volontariat: Wenn der Ausgebildete eine Ausbildung sucht…”
(griess.wordpress.com, Andreas Grieß)
Andreas Grieß hält Abgänger von Journalistenschulen für voll ausgebildet und kann nicht verstehen, warum sie “auf die Schiene ‘Volo’ gedrängt werden”: “Solche Leute brauchen kein Volontariat, sondern eine Festanstellung. Dass man das Volontariat damit erklärt, Leute in ein Unternehmen einarbeiten zu wollen, geht an der Sache vorbei. Dann müsste ja jeder, der z.B. die Zeitung wechselt, wieder als Volontär anfangen. Nein, dafür gibt es die Probezeit.”

5. “Deutsch – Redakteur/Redakteur – Deutsch”
(markheywinkel.de)
Mark Heywinkel übersetzt “Begriffe aus dem Redaktionsalltag” wie “Phoner”, “Kalttext” und “bartern”.

6. “Pocher narrt ‘Österreich'”
(kobuk.at, Hans Kirch​meyr)
Wen Oliver Pocher und Jörg Kachelmann küssen oder auch nicht.

Kommt ‘n Mann zum Gericht

Das mit dem Humor ist ja so eine Sache: Die Deutschen sind international nicht gerade dafür berühmt. Mario Barth füllt das Berliner Olympiastadion, obwohl niemand irgendjemanden kennt, der Barths Witze lustig fände. Und dann gibt es auch noch Oliver Pocher.

Der fuhr am Montag als Jörg Kachelmann verkleidet vor dem Mannheimer Landgericht vor und lieferte den wartenden Journalisten die Show, auf die sie gehofft hatten (zumindest von den Ausmaßen her).

Die “Hamburger Morgenpost” fand den Auftritt nicht lustig (ließ es sich anderseits selbst nicht nehmen, ihren Artikel mit “Pochers peinliche Parodie” zu überschreiben), wusste aber immerhin zu berichten:

Pocher selbst “entschuldigte” sich später. “Es sei eine Notlösung gewesen. Er sei als Dominik Brunner (das Totschlagopfer aus München) “nicht lustig genug” gewesen. Aber auch das dürfte Klamauk gewesen sein.

Klamauk ja, aber nicht von Pocher. Die “Entschuldigung” wurde Pocher nämlich von “Glasauge”, der Satire-Rubrik von “Welt Online”, in den Mund gelegt:

Star-Comedian Oliver Pocher entschuldigt sich dafür, dass er sich mit einer Kachelmann-Parodie vor dem Mannheimer Gericht über Vergewaltigungsopfer lustig gemacht hat: “Es war eine pure Notlösung – Sat 1 fand mich in meiner Verkleidung als Dominik Brunner nicht lustig genug.”

Andererseits: Wer rechnet bei “Welt Online” schon mit Humor?

Mit Dank an Sascha B.

Blättern:  1 ... 650 651 652 ... 1126