Das “Hallo”-Rätsel, Nach Kritik degradiert, TikToks Versagen

1. Aber Hallo
(rums.ms, Constanze Busch)
Warum bleiben in Münster jede Woche große Stapel der Gratiszeitung “Hallo” unverteilt an der Straße liegen? Dieser Frage sind die Digitaljournalistinnen und -journalisten von “Rums” (“Neuer Journalismus für Münster”) mit detektivischer Neugier nachgegangen und haben in einen der rumliegenden Stapel einen GPS-Tracker gesteckt. Die Recherche hat Spannendes zutage gefördert und die Erkenntnis gebracht, dass es wirtschaftlich interessant sein kann, ein Gratisblatt zu drucken und sofort danach zu vernichten.

2. Kulturchef nach Kritik am Verleger degradiert
(zeit.de, Johannes Schneider)
Als Ungarns Regierungschef Viktor Orbán kürzlich in Deutschland weilte, wurde er vom Verleger Holger Friedrich (“Berliner Zeitung”) zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Dies wurde von Hanno Hauenstein, bis dahin Leiter des Kulturressorts der “Berliner Zeitung”, auch auf Twitter kritisiert (“for the record: ich halte es nicht für sinnvoll, Viktor #Orbán zu Gesprächen einzuladen.”). Daraufhin habe Hauenstein seinen Posten als Ressortleiter verloren, dürfe jedoch weiterhin für “seine Themen” zuständig sein.

3. TikTok erlaubt Werbung mit Falschinformationen
(spiegel.de)
Die NGO Global Witness und Forscher der New York University haben untersucht, wie Social-Media-Plattformen mit Fake News in Anzeigen zur Wahl umgehen. Die Untersuchung habe große Mängel beim Umgang mit falschen Informationen in politischen Werbeanzeigen offenbart: “Die Kurzvideo-App TikTok etwa hat 90 Prozent aller getesteten Anzeigen freigeschaltet, obwohl diese den Richtlinien der Plattformen widersprachen.”

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4. Focus bewirbt ein Gespräch mit dem “Wildpflanzenexperten” Markus Strauß über Lieferengpässe und Blackouts
(twitter.com, Sebastian Lipp)
Der Journalist Sebastian Lipp kritisiert den “Focus”. Dieser habe ein Gespräch mit dem “Wildpflanzenexperten” Markus Strauß über Lieferengpässe und Blackouts veröffentlicht und dabei Entscheidendes nicht erwähnt: Strauß pflege eine Nähe zur rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung und anderen Rechten und vertrete selbst entsprechende Positionen. Und auch der Host der Show sei “nicht ganz ohne”.
In diesem Zusammenhang noch ein Hörtipp: Für ihre sechsteilige Podcast-Produktion “Seelenfänger” (BR) sind Emeli Glaser und Dennis Müller dem Anastasia-Kult nachgegangen: “Sie besuchen Anastasia-Landsitze, begleiten Aussteiger bei der schwierigen Rückkehr in die Normalität und kommen am Ende sogar in Kontakt mit dem Gründer des Kults, dem russischen Autor Wladimir Megre.”

5. Die ungewisse Zukunft von Mateschitz’ multimillionenschwerem Medienreich um Servus TV und Redbull.com
(derstandard.at, Harald Fidler)
Der österreichische Milliardär und Red-Bull-Inhaber Dietrich Mateschitz ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Mateschitz war nicht nur Brause-Produzent, sondern hinterlässt auch ein Hunderte Millionen Euro schweres Medienimperium – von der Streamingplattform redbull.com über das Magazin “Terra Mater” bis Servus TV. Wie geht es mit dem zweitgrößten Medienkonzern Österreichs weiter?

6. Politik-Vermittlung im Fernsehen: Geht das auch in leichter?
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader hat sich die “ProSieben Politik Show” mit Linda Zervakis und Louis Klamroth angeschaut. Er fragt sich: “Warum tun sich die Sender so schwer damit, neue Zielgruppen mit aufgelockerten Formaten zu erreichen, in denen relevante Themen diskutiert werden?”
Und noch etwas leichte Kost hinterher: Für web.de hat Christian Vock eine recht vergnüglich zu lesende Kritik der “RTL Wasserspiele” verfasst.

KW 42/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Die vierte Gewalt – Medien auf dem Prüfstand
(ardmediathek.de, Daniel Bouhs, Video: 52:21 Minuten)
Medienkritiker Stefan Niggemeier diskutiert auf der Buchmesse mit Richard David Precht und Harald Welzer über deren neuestes Buch “Die vierte Gewalt”. Dabei geht es unter anderem um eine “Hart-aber-fair”-Ausgabe zum Thema Impfpflicht, die von Precht angegriffen wird. Niggemeier, erklärtermaßen kein Fan der Sendung, kann dem Beispiel nicht folgen: “Diese Zuspitzung auf Schwarz-Weiß, die Sie den Medien vorwerfen, fand zum Beispiel in dieser ‘Hart-aber-fair’-Sendung nicht statt. Aber in Ihrem Buch in der Zusammenfassung. Was das so ironisch macht, weil ich an vielen Stellen das Gefühl hatte, dass Sie diese Mechanismen, die Sie da beschreiben, in einem viel stärkeren Maße selbst anwenden.”

2. Auf welche Probleme stößt eine Investigativreporterin, wenn es um Tesla geht?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 24:39 Minuten)
Die “Verschlossene Auster”, ein vom Netzwerk Recherche verliehener Negativpreis für “den Informationsblockierer des Jahres” ging dieses Jahr an den Automobilhersteller Tesla. Das Unternehmen sei “seit Jahren dafür bekannt, Recherchen und Berichterstattung aktiv und aggressiv zu behindern”, so der Netzwerk-Recherche-Vorsitzende Daniel Drepper in der Begründung. Janine Richter, Investigativreporterin bei der “Märkischen Oderzeitung”, kann dies aus eigenem Erleben bestätigen: Teslas Fabrik in Grünheide bei Berlin ist ihr Themenschwerpunkt. Im Gespräch mit Holger Klein berichtet Richter über ihre Erfahrungen mit dem Unternehmen von Elon Musk, das noch nicht mal eine Pressestelle hat: Wie kommt sie dennoch an Informationen? Was erlebt sie bei ihren Recherchen? Wie nimmt sie Behörden und Politik im Umgang mit Tesla wahr? Und welche Risiken sieht sie für die Natur in der Umgebung?

3. IS-Prozesse: Welche Rolle spielen Journalisten?
(ndr.de, Mandy Mülling & Jochen Becker, Video: 19:12 Minuten)
Einige deutsche IS-Anhänger und -Anhängerinnen landeten in kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien und haben dort mit Medienschaffenden über ihre Geschichten gesprochen – auch in der Hoffnung, nach Deutschland zurückgeholt zu werden, und auch, wenn ihnen hier eine Anklage droht. Einigen IS-Frauen sei die Rückkehr mit ihren Kindern gelungen. “Für Ermittler und Staatsanwälte ist es interessant, was Journalisten über sie wissen. Aber sollen sich Journalisten aktiv an der juristischen Aufklärung von IS-Verbrechen beteiligen?”

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4. Jochen Wegner über persönliches und publizistisches Glück.
(turi2.de, Aline von Drateln & Markus Trantow, Audio: 54:57 Minuten)
Im Podcast “turi2 Clubraum” ist Jochen Wegner zu Gast, “Zeit-Online”-Chef­redakteur und mit “Alles gesagt” selbst Podcaster. In dem Gespräch geht es um die Finanzierbarkeit von Journalismus, Werbung als Geschäftsmodell und natürlich Wegners eigenes Hörformat. Außerdem spricht er über von Maschinen erzeugte Kunst, TikTok und die Frage, warum “Zeit Online”, anders als beispielsweise die Website des “Spiegel”, die Lesedauer der eigenen Artikel nicht ausweist.

5. Die Zerstörung des Buches
(hr-inforadio.de, Anne-Katrin Eutin & David Ahlf, Audio: 48:29 Minuten)
Anlässlich der Frankfurter Buchmesse hinterfragen Anne-Katrin Eutin und David Ahlf von “Studio Komplex” die Institution Buch samt dazugehörigem Buchmarkt: “Das Medium Buch ist wie kein anderes ein Kulturgut, das Intellekt und wahren Tiefgang garantiert. Bloß: Tut es das wirklich? Wir glauben nicht und gehen sogar noch weiter: Wir glauben, dieses Image schadet uns sogar als Gesellschaft.”

6. Kommunikationsstrategien zum Klimawandel
(soundcloud.com, DJV NRW, Sascha Fobbe, Audio: 38:04 Minuten)
Bei “Block und Bleistift” unterhält sich Sascha Fobbe mit Özden Terli, Journalist, Diplom-Meteorologe und Wettermoderator beim ZDF. Terli ist besorgt wegen der Klimathematik, sieht sich und seine Kollegen und Kolleginnen jedoch mehr denn je in der Pflicht: “Natürlich könnte man jetzt sagen, ich stecke den Kopf in den Sand und sage‚ es ist sowieso alles vorbei, aber nein: Wir müssen dafür kämpfen, dass es weitergeht und dafür sind wir Journalist:innen auch da, eben die Sachen richtig darzustellen.”

Presseunfreiheit im Iran, Massenentlassungen?, Papierkrise

1. Wer Journalist ist, wird weggesperrt
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die landesweiten Proteste im Iran und die Reaktionen des iranischen Regimes darauf gehen laut Reporter ohne Grenzen (RoG) damit einher, dass immer mehr Medienschaffende in Gefängnissen verschwinden. Nur in China und Myanmar gebe es mehr Inhaftierte: “Wer derzeit im Iran auch nur unter Verdacht steht, journalistisch zu arbeiten, wird weggesperrt”, so RoG-Geschäftsführer Christian Mihr: “Teheran geht in einem alarmierenden Tempo gegen unabhängige Medienschaffende vor, momentan sind so viele von ihnen inhaftiert wie seit über 20 Jahren nicht mehr.”

2. Erster Prüfbericht wirft Ex-Intendantin Schlesinger Verstöße vor
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz & Joachim Huber)
Die vom RBB beauftragte Anwaltskanzlei hat einen ersten Zwischenbericht zur Affäre um Ex-Intendantin Patricia Schlesinger vorgelegt. Demzufolge soll Schlesinger unter anderem eine private Reise über den Sender abgerechnet haben. In einer Presseerklärung des Senders heißt es dazu: “So wurde etwa bei einer aus [Sicht der Kanzlei] objektiv nicht als dienstlich zu begründenden Reise nach London festgestellt, dass die ehemalige Intendantin Patricia Schlesinger diese Reise inklusive Verpflegungs- und Übernachtungskosten trotz des insgesamt fehlenden dienstlichen Charakters über den rbb abgerechnet und dabei zudem verschwiegen hat, dass sie in Begleitung ihres Mannes verreist war.”

3. Wie Katar vor der Fußball-WM mit der Presse umgeht
(deutschlandfunk.de, Maximilian Rieger, Audio: 5:15 Minuten)
Deutschlandfunk-Sportredakteur Maximilian Rieger berichtet von einer Recherchereise nach Katar. Vom Glanz der Metropole Doha und der WM-Glitzerwelt sei wenige Kilometer entfernt in der sogenannten Industrial Area nichts zu sehen und zu spüren. Und dann war da noch das Fahrzeug, das Rieger und weitere Journalistinnen und Journalisten gefolgt sei. Auf die engmaschige Überwachung reagiert die ARD, die während der WM aus Katar berichten wird, mit einem besonderen Tipp: “Wir raten grundsätzlich, keine privaten und dienstlichen Geräte mitzunehmen. Wir stellen allen Mitarbeitenden der ARD dienstliche Laptops und Handys vom SWR zur Verfügung, und die werden dann hinterher auch alle wieder plattgemacht.”

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4. Musk soll Massenentlassungen planen, Twitter beruhigt Mitarbeiter
(zeit.de)
Einem Bericht der “Washington Post” zufolge will Twitter-Eigentümer in spe Elon Musk bei dem Unternehmen etwa drei Viertel der Stellen streichen. Twitter selbst hatte einen Abbau von einem Viertel der Belegschaft ins Auge gefasst. Die Übernahme durch den Tech-Milliardär ist aber anscheinend immer noch nicht rechtsgültig vollzogen. Die von einer Richterin dafür verhängte Deadline läuft in einer Woche ab.

5. Newsletter Netzwerk Recherche 214
(netzwerkrecherche.org, Kuno Haberbusch & Albrecht Ude)
Stets eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche (NR). Die neueste Ausgabe liefert einen Überblick über aktuelle Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Außerdem gibt es eine Nachlese zur NR-Jahreskonferenz (Schwerpunkt: Recherche in Krisenzeiten) mit vielfältigem Material, Videos und Fotoeindrücken.

6. Mangelwirtschaft
(journalist.de, Anna Friedrich)
Die Verlage leiden unter steigenden Stromkosten, müssen sich aber auch noch mit dem Problem der Papierknappheit herumschlagen. Die Papiernachfrage steige auf dem gesamten Weltmarkt. Gleichzeitig hätten viele Papierfabriken ihre Produktion auf Verpackungsmaterial umgestellt. Anna Friedrich erklärt das erstaunlich vielschichtige Phänomen und hat bei Verlagen und Druckereien nachgefragt, wie sie mit der Papierkrise umgehen wollen.

Nüsschen für die Intendanz, Chatkontrolle, Geheimhaltung

1. Ausnahmen von der Regel
(rbb24.de)
Das RBB-Rechercheteam, aktuell bestehend aus René Althammer und Jo Goll, hat sich durch die Bewirtungs- und Spesenabrechnungen der früheren RBB-Spitze um Patricia Schlesinger gewühlt und dabei allerlei interessante Posten zu Tage gefördert: Neben opulenten Arbeitsessen und Champagner seien bei der Intendanz-Abrechnung auch Kleinigkeiten wie “Sweeties (Nüsse, Schokolade) für die Fahrt nach Hamburg” aufgetaucht. Die Rechercheure kommentieren: “Ist ein Jahressalär von 303.000 Euro (plus Boni) nicht ausreichend, um persönliche Bedürfnisse nach einem Snack zwischendurch aus der eigenen Geldbörse zu befriedigen? Auch auf diese Frage dürfte der Beitragszahler eine klare Antwort haben.”

2. Europaweite Kampagne gegen Chatkontrolle gestartet
(netzpolitik.org, Emilia Ferrarese)
Ein Bündnis aus Bürgerrechtsorganisationen wendet sich mit einer Kampagne (“Stop scanning me!”) gegen die geplante europaweite Chatkontrolle. Das Vorhaben der EU-Kommission sei weder zielführend noch mit dem europäischen Recht vereinbar.
Gucktipp für weitere Informationen zur Chatkontrolle: “Alexander Lehmann hat für die Kampagne ‘Chatkontrolle stoppen!’ ein Erklärvideo produziert, das kurz und verständlich zeigt, warum das geplante EU-Gesetz wenig gegen die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen hilft, aber auf der anderen Seite gefährlich für unsere private Kommunikation ist.”

3. Wie sich Medienunternehmen vor Hackern schützen
(sueddeutsche.de, Max Muth)
Am vergangenen Montag musste die “Heilbronner Stimme” ohne gedruckte Ausgabe auskommen. Sie war Opfer eines Ransomware-Angriffs geworden, bei dem kriminelle Hacker das System verschlüsselten, um eine Art Lösegeld zu erpressen. Max Muth erklärt, wie wichtig es für Medienunternehmen ist, sich vor derartigen Angriffen zu schützen, da nicht nur Ransomware-Angriffe, sondern auch politisch motivierte Cyber-Attacken drohen.

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4. Nachdenkseiten: Einst links, jetzt Propaganda für Rechtsradikale
(volksverpetzer.de, Matthias Meisner)
Matthias Meisner beobachtet bei den “Nachdenkseiten” eine aus seiner Sicht unheilvolle Entwicklung: Das einst eher linke Portal lasse neuerdings auch deutlich Sympathien für die extreme Rechte durchblicken. Meisner geht der Frage nach, wie es dazu kommen konnte.

5. Geheimhaltungsbedürfnis der Arbeitgeber schwächt Whistleblowerschutz und demokratischen Diskurs
(whistleblower-net.de)
Das Whistleblower-Netzwerk kritisiert den Regierungsentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz. Dieser stelle zwar eine Verbesserung gegenüber dem Status quo dar, werde aber der Bedeutung von Whistleblowern für Demokratie und Rechtsstaat nicht gerecht: “Nicht nur bei den privaten, sondern auch bei den öffentlichen Arbeitgebern scheint das Misstrauen gegenüber Whistleblowern tief verankert zu sein. Daher plant die Bundesregierung beträchtliche Teile der öffentlichen Verwaltung gegen Whistleblowing zu ‘immunisieren’.”

6. “Das können Sie halten, wie du willst”
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek)
Vor Kurzem spöttelte Markus Ehrenberg im “Tagesspiegel” über das “Du” bei den “Tagesthemen” und sprach von einer “Charmeoffensive”. Nun nimmt Arno Orzessek das Thema in seiner Glosse auf. Sein Fazit: “Wirklich egalitär und kuschelig wird es ohnehin erst, wenn Judith Rakers in der ‘Tagesschau’ den Kanzler fragt: ‘Was meinst Du, Olaf, sollen wir Selenskyi unsere Leopards geben?'”

Panne in der Causa Hildmann, Totalversagen, Zukunft von G+J

1. Attila Hildmann könnte ausgeliefert werden – Berliner Staatsanwaltschaft muss peinlichen Fehler zugeben
(stern.de, Tina Kaiser)
Wie der “Stern” berichtet, muss die Berliner Staatsanwaltschaft einen folgenschweren Ermittlungsfehler im Fall um Attila Hildmann eingestehen. Entgegen früherer Aussagen habe der flüchtige Rechtsextremist Hildmann doch nicht die türkische Staatsbürgerschaft und hätte von der Türkei nach Deutschland ausgeliefert werden können. Doppelt peinlich: Dies sei der Behörde bereits seit Ende März 2022 bekannt gewesen, ohne dass die notwendigen Schritte unternommen wurden.

2. “Das Berghain schließt für immer!” – Nope. Über ein journalistisches Totalversagen mit Ansage
(groove.de, Kristoffer Cornils)
Ein vermeintlicher “Insider” hatte das Gerücht gestreut, der bekannte Berliner Technoclub Berghain werde bald schließen. Zahlreiche Medien haben die Falschmeldung übernommen und verbreitet. Kristoffer Cornils ist der Frage nachgegangen, wie es zu diesem “journalistischen Totalversagen mit Ansage” kommen konnte.

3. Öffentlich-rechtlicher Systemfehler
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Ex-ZDF-Intendant Thomas Bellut könne mit 5,8 Millionen Euro Altersversorgung rechnen, eine RBB-Direktorin verdiene mehr als Brandenburgs Ministerpräsident. Bei den Bezügen in der obersten öffentlich-rechtlichen Ebene laufe etwas gewaltig schief, findet Joachim Huber im “Tagesspiegel”: “Da liegt kein Rechenfehler vor, das ist ein Systemfehler. Ein öffentlich-rechtlicher.”

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4. Rückschläge für große Pläne bei Bertelsmann
(verdi.de, Günther Herkel)
Bertelsmann, immerhin Deutschlands größter Medienkonzern, hat einen rigorosen Sparkurs angekündigt. Dies betreffe vor allem das einstige Flaggschiff Gruner+Jahr. Das Zeitschriftengeschäft stehe aktuell besonders unter Druck, so Konzernchef Thomas Rabe. Man werde “das Titelportfolio überprüfen und nur solche Titel mit RTL zusammenführen, die wirklich synergetisch sind”. Medienjournalist Günther Herkel interpretiert die Aussage so, dass nur Titel eine Chance haben, die sich für ein TV-Format eignen.

5. Wie Erdoğan das Internet zensieren will
(netzpolitik.org, Julien Schat)
In der Türkei ist ein neues Gesetz gegen “Desinformation” in Kraft getreten, das die Pressefreiheit auf dramatische Weise einschränke und weitreichende Folgen für die bevorstehenden Wahlen habe, wie Julien Schat berichtet. Die Opposition wolle zwar gegen das Gesetz vor das türkische Verfassungsgericht ziehen, mit einer richterlichen Entscheidung sei jedoch nicht vor dem Wahltermin zu rechnen: “Damit dürfte Erdoğans Plan, die öffentliche Meinung im Lande auch online unter seine Kontrolle zu bringen, zumindest vorläufig aufgehen.”

6. Telegram muss mehr als fünf Millionen Euro Strafe zahlen
(faz.net)
Das Bundesamt für Justiz hat hohe Bußgelder gegen den Messengerdienst Telegram erlassen: 4,25 Millionen Euro wegen Verstößen gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sowie 875 .000 Euro wegen der Nichtbenennung des Zustellungsbevollmächtigten. Die Bußgeldbescheide seien jedoch noch nicht rechtskräftig, Telegram könne noch Einspruch einlegen.

Ohrenkneiferschorle als Enkeltrick?, Owsjannikowa, WM der Schande

1. #ohrenkneiferschorle: das ZDF Magazin Royale als Enkeltrick unter den TV-Magazinen
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Vergangene Woche (siehe die “6-vor-9”-Ausgabe vom 13. Oktober) beschäftigte sich Sascha Lobo in seiner “Spiegel”-Kolumne kritisch mit den jüngsten Böhmermann-Enthüllungen zum Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Nun schaut Thomas Knüwer kritisch auf die neueste Folge des “ZDF Magazin Royale” über Weingenuss und Weinanbau. Er wirft den Magazin-Machern und -Macherinnen schlechte Recherche, Falschinformation und fragwürdige Methoden vor: “Das ZDF Magazin Royale ist nicht das einzige Medienprodukt, das so agiert. Allen voran ist dies die Vorgehensweise des Axel Springer Konzerns, egal ob bei ‘Bild’, ‘Welt’ oder ‘Business Insider’. Doch auch andere Redaktionen tragen dazu bei, wenn sie inflationär von ‘Chaos’ schreiben, fragen wie ‘irre’ etwas ist oder dass eine Entwicklung Wahnsinn’ sei.”

2. Owsjannikowa aus Russland geflohen
(tagesschau.de)
Die russische TV-Journalistin Marina Owsjannikowa hatte Mitte März in einer Nachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens ein Anti-Kriegs-Plakat in die Kamera gehalten und war danach in einem ersten Schritt zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Im August folgte eine Anklage, sie wurde unter Hausarrest gestellt, ihr drohen bis zu zehn Jahren Haft. Owsjannikowa sei nun mit ihrer Tochter aus Russland geflohen.

3. Wie der Fußball in die Wüste kam
(faz.net, Christoph Becker)
“FAZ”-Sportredakteur Christoph Becker findet lobende Worte für die “Sport-Inside”-Redaktion des WDR. Mit ihrer vierteiligen Doku-Serie “Katar – WM der Schande” offenbare sie die tatsächlichen Fakten und Bilder hinter der Heile-Welt-Inszenierung der Veranstalter.

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4. Online-Buchhandel in Deutschland legt weiter zu
(spiegel.de)
Pünktlich zum Start der morgen beginnenden Frankfurter Buchmesse gibt es neue Zahlen zu den Buchverkäufen in Deutschland. Der Umsatz im Internetbuchhandel sei im vergangenen Jahr deutlich gestiegen: Er habe mehr als ein Viertel des Gesamtumsatzes der Buchbranche ausgemacht. Gelitten habe jedoch erneut der stationäre Buchhandel, dessen Umsatzanteil auf 39 Prozent geschrumpft sei.

5. Die BBC wird 100: Vergangenheit groß, Zukunft ungewiss
(tagesspiegel.de)
Die renommierte und weltweit bekannte BBC, die “Mutter aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten”, wird 100 Jahre alt. Doch die Freude über das Jubiläum ist getrübt. Die britische Regierung zeige immer weniger Interesse an der Institution BBC: “Ihr runder Geburtstag markiert, bei allen schönen Worten, eine Zukunft auf ganz ungewissem Terrain.”

6. musste sterben
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl werfen im Rahmen ihres Projekts “Floskelwolke” einen sprach- und medienkritischen Blick auf vielbenutzte Formulierungen. Die oft in Überschriften verwendete Frage, warum eine bestimmte Person “sterben musste”, wird von ihnen als besonders zynisch empfunden: “1. Wie erwähnt muss niemand aus unnatürlichen Gründen sterben. Den suggerierten kausalen Zusammenhang gibt es nicht. 2. Die Frage ist suggestiv und deshalb manipulativ. Und 3. wird bei einer Tötung oft das Wording oder die Intention des Täters übernommen und die eigentlich betroffene Person wird ausgeblendet.”

Chatkontrolle, Owning the libs, Cyber-Angriff auf “Heilbronner Stimme”

1. Chatkontrolle darf so nicht in Kraft treten
(netzpolitik.org, Anna Biselli & Andre Meister)
Einige zivilgesellschaftliche Organisationen monierten bereits, dass die geplante EU-Verordnung zur Chatkontrolle tief in Grundrechte eingreife und von den Gerichten gekippt werden könnte. Zu dieser Einsicht ist nun auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags im Rahmen eines Gutachtens gekommen. netzpolitik.org hat die Ausführungen der Experten eingeordnet und das Gutachten im Volltext angehängt.

2. Kontrolle komplett
(taz.de, Jürgen Gottschlich)
Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat ein neues Mediengesetz verabschiedet, das vorsehe, dass Menschen, die “falsche oder irreführende Informationen über die innere und äußere Sicherheit des Landes” verbreiten oder durch ihre Nachrichten “die öffentliche Ordnung stören sowie Angst und Panik in der Bevölkerung verbreiten”, für bis zu drei Jahren in Haft kommen können. Journalistenorganisationen, Anwaltsvereine und Amnesty International seien entsetzt.

3. “Heilbronner Stimme” erscheint nach Cyber-Angriff nicht gedruckt
(sueddeutsche.de)
Die “Heilbronner Stimme” ist Opfer einer Cyberattacke geworden und erscheint am heutigen Montag nicht als gedruckte Ausgabe. Etliche Systeme der Stimme Mediengruppe seien bei dem Angriff in der Nacht auf Freitag verschlüsselt worden. Dem Unternehmen liege ein Bekennerschreiben vor, das auf einen Erpressungsversuch hindeute.

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4. Owning the libs mit Dieter Nuhr
(setup-punchline.de, Bernhard Hiergeist)
Anhand der Kabarett- und Comedysendung “Nuhr im Ersten” erklärt Bernhard Hiergeist die aus den Vereinigten Staaten bekannte “owning-the-libs”-Strategie: “Mit ‘owning the libs’ wird vor allem in den USA die Strategie bezeichnet, gesellschaftspolitisch liberal gesinnte Politiker:innen um jeden Preis zu ärgern, zu brüskieren oder (bei ihrer politischen Arbeit) zu sabotieren. Egal wie sinnvoll die Projekte oder Ansichten, sei es, Schulen oder Zufahrtsrampen für Rollstuhlfahrer zu bauen, die Grundsicherung und Löhne zu erhöhen oder Minderheiten zu schützen: Wenn es von der falschen Seite kommt, ist es abzulehnen und zu trollen. Ohne Wenn und Aber. Nuhr im Ersten hat das einfach auf Comedy übertragen.”

5. Wir haben eine Stichprobe von gut 5.000 Accounts untersucht
(twitter.com, Kontraste)
Das Politmagazin “Kontraste” hat eine Stichprobe von gut 5.000 Twitter-Accounts untersucht, die seit Beginn des Kriegs in der Ukraine Tweets von Sahra Wagenknecht geteilt haben. Man habe feststellen wollen, welche Inhalte diese Nutzerinnen und Nutzer sonst noch geteilt haben: “Am häufigsten wurde der #Querdenker-Ideologe Stefan Homburg geteilt. 56 % der Nutzer retweeteten ihn. Tweets des rechtsradikalen YouTubers Niklas Lotz teilten 44 %. Und von Alice #Weidel, der #AfD-Fraktionsvorsitzenden, waren es 32 %.” Mehr dazu gibt es in dem dazugehörigen “Kontraste”-Beitrag (Video: 8:44 Minuten).

6. Gemälde im Kanzleramt könnte ungewöhnliche Kosten verursachen
(spiegel.de)
Wenn Olaf Scholz im Kanzleramt eine Pressekonferenz abhält, ist hinter dem Podium ein großformatiges Gemälde des Malers Ernst Wilhelm Nay (Titel: “Augenbilder”) zu sehen. Zu Zeiten von Angela Merkel im Kanzleramt sei das Bild durch einen blauen Hintergrund mit Bundesadler verdeckt gewesen – darauf habe man nun verzichtet, “um einen anderen optischen Eindruck zu erreichen”. Ein Eindruck, der für Medien und Medienschaffende teuer werden könnte: “Laut der VG Bild-Kunst, die für die Wahrnehmung der Rechte zuständig ist, dürfen Fotos der Pressekonferenzen, auf denen ‘Augenbilder’ zu sehen ist, im Rahmen aktueller Berichterstattung online nur sechs Wochen gezeigt werden. Anschließend müssten sie entweder käuflich lizenziert oder gelöscht werden.”

KW 41/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Hinter den Schlagzeilen
(zdf.de.de, Daniel Andreas Sager, Video: 1:27:40 Stunden)
Ob “Panama Papers” oder “Suisse Secrets”, “Bahamas-Leaks” oder “Paradise Papers” – bei den großen journalistischen Enthüllungen der vergangenen Jahre waren Bastian Obermayer und Frederik Obermaier so gut wie immer dabei, wenn nicht gar federführend. So auch bei der “Ibiza-Affäre” um den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache. Genau zu der Zeit, als Obermayer und Obermaier an der Strache-Geschichte saßen, die später die österreichische Regierung zu Fall brachte, konnte Regisseur Daniel Andreas Sager die beiden über mehrere Monate begleiten. Herausgekommen ist eine sehenswerte Doku über zwei der wichtigsten Investigativjournalisten Deutschlands.

2. Unter Druck: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine Kritiker
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 32:07 Minuten)
Nadia Zaboura und Nils Minkmar beschäftigen sich im Medienpodcast “quoted” mit der Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen: “Wie steht es um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach den Skandalen bei rbb und NDR? Und warum ist der ÖRR trotz diverser Verfehlungen und Fehlentwicklungen immer noch relevant?”

3. Die Fernsehzuschauer sterben uns weg – mit Claus Kleber
(die-zeitraffer.podigee.io, Richard Gutjahr, Audio: 40:53 Minuten)
In der ersten Folge von “Die Zeitraffer” spricht Richard Gutjahr mit dem langjährigen Fernsehmoderator (“heute journal”) und USA-Kenner Claus Kleber. Es geht um Klebers Dokumentation “Utopia – Irre Visionen in Silicon Valley”, die Frage, warum er dabei fast an einem Interview mit Internet-Guru Jaron Lanier scheiterte, und Mark Zuckerbergs neues Metaverse, das ein Rückschritt sein könnte.

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4. Talking Digital: Journalismus für die Gen Z – mit Tessniem Kadiri (Episode 92)
(talkingdigital.de, Audio: 42:46 Minuten)
Bei “Talking Digital” ist die 21-jährige Nachwuchsjournalistin Tessniem Kadiri zu Gast, die bereits zahlreiche Erfahrungen bei verschiedene Medien sammeln konnte. “Wie blickt eine junge Berufsanfängerin auf die Medienbranche? Wird der Nachwuchs eigentlich ansprechend gefördert? Wie divers ist die Branche aufgestellt? Und wie ist die Zauberformel für guten Gen-Z-Journalismus?”

5. Pressereisen – die Hintergründe …
(freienpodcast.letscast.fm, Geraldine Friedrich & Francoise Hauser, Audio: 25:17 Minuten)
“Vor allem Reisejournalisten kommen ohne Pressereisen kaum über die Runden. Doch wie kommt man auf die ‘Liste’, worauf kommt es an und was kann man von einer Pressereise erwarten? Und wie sieht es umgekehrt aus, was wünschen sich die Fremdenverkehrsämter im Gegenzug?” Im “Freien-Podcast” ist Barbara Buchholz von “Belgien-Tourismus Wallonie” zu Gast, so dass auch die andere Seite zu Wort kommt.

6. Al Jazeera als Machtinstrument – Katar und die Medien
(zeit.de, Yassin Musharbash & Pune Djalilevand & Benedikt Nabben & Lena Petersen, Audio: 34:33 Minuten)
Mit Al Jazeera verfüge das Emirat Katar über einen der wichtigsten und einflussreichsten Nachrichtensender der arabischen Welt. Doch der Übergang zwischen Journalismus und Propaganda sei fließend, berichtet ein Team von Journalistinnen und Journalisten von RBB, BR und “Zeit”. Es hat monatelang in und zu Katar recherchiert und sich dabei auch mit der Rolle des bekannten Nachrichtensenders auseinandergesetzt. Eine Übersicht der weiteren Folgen des insgesamt achtteiligen Podcasts “Geld Macht Katar” gibt es hier.

Torpedierte Kontrolle?, TikToks Betriebsrat, Üppiges Ruhegeld

1. Direktorin lebenslang abgesichert
(tagesschau.de, Gabi Probst)
Sollte der RBB den Vertrag mit der derzeit freigestellten Juristischen Direktorin beenden, stehe dieser ein lebenslanges “Ruhegeld” von über 100.000 Euro jährlich zu: “Sollte die Direktorin das Ruhegeld beziehen, bevor sie in Rente geht, werden ihr auch ‘Einkünfte aus selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit’ ermöglicht. So könnte die Juristin beispielsweise als Rechtanwältin nebenbei arbeiten und Einkünfte bis zu einer Höhe von 50 Prozent des Nettobetrages aus der zuletzt vereinbarten Gesamtvergütung erzielen – ohne dass eine Anrechnungspflicht besteht.” Dazu ein Kommentar des “6-vor-9”-Kurators: “Wenn die Öffentlich-Rechtlichen so weitermachen, munitionieren sie nicht nur ihre Gegner, sondern machen es auch ihren Fürsprecher:innen immer schwerer, sie zu verteidigen. Dann fliegt ihnen irgendwann der ganze gebührenfinanzierte Rundfunk um die Ohren. Was äußerst schade wäre.”

2. “Unabhängigkeit eingeschränkt”: Ein vertraulicher RBB-Bericht wirft Ex-Intendantin Patricia Schlesinger vor, die internen Kontrollsysteme torpediert zu haben
(businessinsider.de, Tobias Fuchs & Jan C. Wehmeyer)
Ein “Business Insider” vorliegender vertraulicher RBB-Bericht soll Ex-Intendantin Patricia Schlesinger vorwerfen, die internen Kontrollsysteme torpediert zu haben. “Business Insider” wollte Schlesinger dazu befragen, diese ließ ihren Anwalt Ralf Höcker telefonieren. Das Gespräch sei jedoch eskaliert: “Der Bitte, die Antworten von Business Insider schriftlich zu beantworten, erteilte Höcker lautstark eine Absage, legte auf und schrieb wütende E-Mails.” Höcker sagt dazu bei Twitter: “Stimmt nicht.”

3. Verschwörungstheoretiker muss fast eine Milliarde Dollar zahlen
(faz.net)
Jahrelang hatte der rechte US-Radiomoderator und prominente Verschwörungserzähler Alex Jones behauptet, das Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule mit insgesamt 26 Toten sei inszeniert gewesen. Nun wurde der einst schwerreiche Hetzer zur Zahlung von insgesamt 965 Millionen US-Dollar an die Hinterbliebenen verurteilt. Wie viel davon tatsächlich fließen wird, erscheint jedoch unklar. Jones’ berühmt-berüchtigtes Unternehmen “Infowars” habe bereits vor Monaten Insolvenz angemeldet.

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4. Meinungsfreiheit in Deutschland: Ist sie in Gefahr?
(hateaid.org)
Die Organisation HateAid bietet Betroffenen digitaler Gewalt kostenlose Beratungen an und übernimmt teilweise auch die Finanzierung von Prozessen. In einem aktuellen Beitrag geht es um das Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und möglicherweise strafrechtlich relevanten Äußerungen: “Wir erklären, was es mit der Meinungsfreiheit auf sich hat. Und warum sie nicht bedeutet, dass man einfach uneingeschränkt alles sagen oder schreiben darf.”

5. TikTok hat erstmals einen Betriebsrat
(verdi.de)
Wie die Gewerkschaft ver.di mitteilt, haben die 450 Mitarbeiter und Mitaerbeiterinnen der Berliner TikTok-Dependance erstmalig einen Betriebsrat gewählt: “Er soll dabei helfen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und einen Dialog zwischen Mitarbeitenden und Geschäftsführung zu etablieren. Unter den Beschäftigten am Standort Berlin und insbesondere in den Teams der Inhaltsmoderator*innen herrscht wegen schlechter Bezahlung und stark belastenden Arbeitsbedingungen große Unzufriedenheit.”
Weiterer Lesetipp: TikTok kassiert angeblich 70 Prozent der Spenden aus Charity-Livestreams (spiegel.de).

6. Der Standard schreibt PR-Aussendung voller Fehler ab
(kobuk.at, Thomas Pichler)
Das österreichische Medienwatchblog “Kobuk” wirft dem “Standard” vor, “recht unverschämt” eine PR-Mitteilung eines Autovermieters abgeschrieben zu haben, die noch dazu voller Fehler sei: Von zehn im Artikel genannten Beispielen für rekordverdächtige Straßen seien drei falsch.

Ohne Hinweis auf Alter des Textes und Leichte Sprache

“Bild” hat es heute mal wieder hinbekommen, der eigenen Leserschaft neues Futter für die Wut auf die Grünen und deren Gefährdung “unserer Kinder” zu liefern. Die Redaktion ist damit lediglich ein paar Jahre zu spät und liegt bei der Partei daneben.

Heute groß im Blatt auf Seite 2:

Ausriss Bild-Zeitung - Ohne Hinweis auf Risiken und Folgen - Familienministerium rät Kindern zu Pubertäts-Blockern

Albert Link, Nikolaus Harbusch und Marta Ways schreiben:

Kopfschütteln über Familien- und Jugendministerin Lisa Paus (54, Grüne).

Mit offiziellem Logo und aus Steuergeldern finanziert wendet sich ihr Ministerium im Internet an Kinder, die “merken: Ich bin gar kein Mädchen. Oder: Ich bin gar kein Junge”.

► Wörtlich heißt es auf dem “Regenbogenportal” – laut Ministerium gedacht als “Informationsplattform für die LSBTIQ*-Community”: “Bist du noch sehr jung? Und bist du noch nicht in der Pubertät? Dann kannst du Pubertäts-Blocker nehmen (…) So hast du mehr Zeit zum Nachdenken. Und du kannst in Ruhe überlegen: Welcher Körper passt zu mir?”

Und dies OHNE Hinweis auf die erheblichen Risiken, Nebenwirkungen und Folgen, vor denen Mediziner warnen.

Im dazugehörigen Kommentar schreibt “Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler:

Diese Ministerin gefährdet die Gesundheit unserer Kinder!

Gemeint ist auch hier Familienministerin Lisa Paus, seit April 2022 im Amt.

Es stimmt, dass das “Regenbogenportal” ein Projekt des von Paus geführten Familienministeriums ist. Laut Impressum wird es “herausgegeben von der Internetredaktion des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend”. Es war allerdings nicht Lisa Paus, die es ins Leben gerufen hat. Das Portal ging im Mai 2019 online, initiiert von der damals amtierenden Familienministerin und SPD-Politikerin Franziska Giffey. Paus hat es sozusagen geerbt. Auch der Text über die Pubertätsblocker, den “Bild” zitiert, ist nicht in Paus’ Amtszeit entstanden. Er ist mindestens seit August 2020 auf der Seite zu finden. Auch damals war Giffey Familienministerin, die Regierung stellte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Die Grünen und Lisa Paus hatten damit nichts zu tun.

Wenn man also der Meinung sein sollte, dass der Pubertätsblocker-Text problematisch ist, dann wäre der einzige Vorwurf, den man Paus machen kann, dass sie nicht dafür gesorgt hat, ihn zu löschen oder zu ändern. Im Laufe des gestrigen Tages, wohl nach einer Anfrage der “Bild”-Redaktion, wurde das “Regenbogenprotal” überarbeitet. Der Satz “Dann kannst du Pubertäts-Blocker nehmen” wurde gestrichen, dafür ein Hinweis auf eine ärztliche Beratung hinzugefügt:

Pubertäts-Blocker nehmen
Bist du noch sehr jung?
Und bist du noch nicht in der Pubertät?
So kannst du deinen Arzt / deine Ärztin fragen,
ob dir Pubertätsblocker vielleicht helfen könnten.

Pubertäts-Blocker sind besondere Medikamente.
Das Wort Blocker heißt: etwas stoppen.
Diese Medikamente sorgen dafür,
dass du nicht in die Pubertät kommst.
Das heißt: Dein Körper entwickelt sich erst mal nicht weiter.
Weder in Richtung Frau.
Noch in Richtung Mann.
So hast du mehr Zeit zum Nachdenken.
Und du kannst in Ruhe überlegen:
Welcher Körper passt zu mir?

Die Aussage zu den “besonderen Medikamenten” und die Erklärung, was Pubertätsblocker mit dem Körper machen, fanden sich auch in der alten Version des Textes. Im “Bild”-Artikel wurde die Passage aber per Auslassungszeichen weggelassen.

Was die “Bild”-Redaktion ebenfalls an keiner Stelle erwähnt: Es handelt sich sowohl bei der alten Version als auch bei der neuen um einen Text in Leichter Sprache. Daher ist schon qua Definition die Komplexität niedriger. Vermutlich wäre auch in Leichter Sprache ein deutlicherer Hinweis auf die weitreichenden Folgen einer Behandlung mit Pubertätsblockern möglich. Aber es bleibt dabei: Die inhaltlichen und sprachlichen Vorwürfe von “Bild” richten sich gegen einen Text in Leichter Sprache.

Und dann ist da noch die Frage, ob das Familienministerium Kindern wirklich zu Pubertätsblockern “rät”, wie “Bild” titelt. Immerhin steht am Anfang des Textes im “Regenbogenportal”:

Manche Kinder oder Jugendliche merken:
Ich bin gar kein Mädchen.
Oder: Ich bin gar kein Junge.
Auch wenn die anderen mich so sehen.
Wir haben Tipps für euch.

Aber handelt es sich bei diesen “Tipps” nicht eher um Aufklärung und Informationen über mögliche Behandlungsformen? Schließlich erhält man die entsprechenden Medikamente nicht einfach nach Lektüre des “Regenbogenportals” rezeptfrei in der Apotheke. Es sind Arztbesuche, bei denen sicher auch Risiken, Nebenwirkungen und Folgen angesprochen werden, und eine Diagnose nötig. So schreibt auch “Bild” in einem zusätzlichen Infotext:

Das Medikament Leuprorelin wird nur nach genauer medizinischer Indikation durch den Arzt als Pubertätsblocker gespritzt

Am Ende des “Bild”-Artikels können Albert Link, Nikolaus Harbusch und Marta Ways noch eine Politikerin präsentieren, die sich über die ganze Geschichte mächtig aufregt:

Empört auf die Kinder-“Tipps” reagierte Ex-CDU-Ministerin und Bundesvorstand Julia Klöckner (49). Klöckner zu BILD: “Pubertätsblocker sind ein großer und schwerwiegender Eingriff in die Entwicklung der Kinder. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung diese Medikamente empfiehlt wie Hustenbonbons!”

Hätte das “Bild”-Trio gewollt, dann hätte es auf Klöckner antworten können, dass es sich bei der Bundesregierung, die den Text zu den Pubertätsblockern ins Internet gestellt hat, um jene handelt, von der Klöckner selbst Teil war.

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