Herbeigeböhmermannter Skandal, Meta auf der Terrorliste, Fußball

1. Der herbeigeböhmermannte Skandal
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo beschäftigt sich in seiner “Spiegel”-Kolumne kritisch mit den jüngsten Böhmermann-Enthüllungen über den Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik: “Die Schönbohm-Story ist in Wahrheit eine Böhmermann-Story. Sie handelt davon, dass eine zweifellos ungünstige, aber in erster Linie komplexe Situation zum Skandal vor allem einer einzelnen Person herbeigeböhmermannt wurde. Mit der möglichen Folge, dass durch das nach bisherigen Erkenntnissen stark übertriebene Skandalgebaren des ‘ZDF Magazin Royale’ früher oder später ein Überwachungsfreund an die Spitze des BSI gesetzt werden dürfte. Danke, Böhmi.”

2. Vor der Anhörung zum Hinweisgeberschutzgesetz
(whistleblower-net, Kosmas Zittel)
In mehreren Podcast-Interviews des Whistleblower-Netzwerks erläutern zwei Fachjuristen und ein Betroffener, warum sie beim Entwurf des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes deutlichen Nachbesserungsbedarf sehen. Die Gesellschaft müsse Whistleblowern durch entsprechende rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen signalisieren, dass ihr Wirken erwünscht sei, so das Whistleblower-Netzwerk. Der vorgelegte Regierungsentwurf müsse dringend nachgebessert werden.

3. Krisen-Fest
(kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Der Kopp Verlag gilt als der größte rechte Verlag in Deutschland, auch wenn einem im Onlineshop allerlei Unverfängliches über “Die Geheimnisvolle Zirbeldrüse” oder “Die Heilkraft des Sellerie-Safts” begegne. Ein paar Klicks weiter stecke man jedoch mitten im Sumpf von Verschwörungserzählungen, Hetzschriften und rechtem Gedankengut. Anna Hunger berichtet über einen Verlag, dessen Lebenselixier Angst und Unsicherheit seien.

Bildblog unterstuetzen

4. Beruf: Reporter
(jungewelt.de, Felix Bartels)
Felix Bartels hat sich Michael Herbigs Verfilmung des Relotius-Skandals (“Tausend Zeilen”) im Kino angeschaut. Bartels hat einige Kritikpunkte an dem Film, darunter auch einen gesellschaftspolitischen: Ihm fehlt der Aspekt, “dass auch der Fall Relotius nur möglich wurde, weil ein linksliberales Publikum vorhanden war, das genau diese Sorte Geschichten lesen wollte. Denn es gehört zum Glauben dieses Milieus, dass Fake News und Parallelwelten ausschließlich an den Rändern des politischen Spektrums entstehen.”

5. Meta auf der Terrorliste
(taz.de, Barbara Oertel)
Seit März dieses Jahres sind Facebook und Instagram in Russland verboten. Nun habe Moskau den übergeordneten Konzern Meta, zu dem auch der Messengerdienst WhatsApp gehört, als “terroristische Organisation” eingestuft. Ob die Nutzung der entsprechenden Sozialen Netzwerke in Russland gefährlich ist, werde von russischen Juristen unterschiedlich beurteilt.

6. Neue Heimat für die Fußball-Bundesliga der Frauen
(tagesspiegel.de)
Der Deutsche Fußball-Bund hat die Medienrechte für verschiedene Ligen neu verkauft. Einschränkungen gebe es ab 2023 für Fans der 3. Liga der Männer, während das Fernsehangebot zur Frauen-Bundesliga größer werde. Und auch das Nationalteam der Frauen kann weiter an prominenter Stelle im TV verfolgt werden: “Freunde der Frauen-Nationalmannschaft müssen sich nicht umstellen. ARD und ZDF werden auch zukünftig die DFB-Auswahl zeigen, die ihnen zuverlässig gute Quoten bringt und bei der EM Rekorde aufgestellt hatte. Die öffentlich-rechtlichen Sender sicherten sich ein neues Rechtepaket bis 2026/27.”

Ausblick auf Katar, Geschnittene Laudatio, Lust und Leid im Theater

1. Das umstrittenste Sportereignis der Geschichte
(journalist.de, Ronny Blaschke)
Der Journalist Ronny Blaschke recherchiert häufig zu politischen Themen im Sport. Für den “journalist” hat er seine Sicht auf die im November bevorstehende Fußballweltmeisterschaft in Katar aufgeschrieben. Der Staat verhalte sich auch Medienschaffenden gegenüber äußerst restriktiv und kontrollsüchtig. Blaschke fragt sich: “Kann die WM dafür sorgen, dass Sportredaktionen hierzulande politische Fragen mehr in den Blick nehmen? Oder führt sie zu orientalistischen Klischees und einem Überlegenheitsdenken gegenüber dem Nahen Osten?”

2. Was Pressefreiheit meint und was nicht
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber spannt im “Tagesspiegel” einen Bogen von der “‘Spiegel’-Affäre” im Jahr 1962 bis zur Situation der Pressefreiheit in der Jetztzeit sowie zur Diskussion um das Medienbuch der Autoren Richard David Precht und Harald Welzer: “Das Buch folgt der einer Emotionalisierungskultur, so wie die AfD jedwede Empörung aufgreift. All das fällt unter Meinungsfreiheit, die eine Schwester der Pressefreiheit ist. Aber wie Bilder der AfD-Anhänger und von Welzer/Precht in der Lanz-Show provozieren sie die Gegenbilder von 1962 herauf, als eben das fundamentiert wurde, worauf AfD und Precht/Welzer mit Lust herumspringen.”

3. So viel Widerspruch
(arminwolf.at)
Auch der österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf hat das Buch “Die vierte Gewalt” von Precht/Welzer gelesen. Auf seinem Blog veröffentlicht Wolf eine eigentlich als Twitter-Thread geplante Rezension: “In dem Buch finden sich etliche bedenkenswerte Beobachtungen und Diagnosen und es ist sehr gut und flüssig geschrieben. Aber: Die Kernthese von den sich ‘selbstangleichenden’ Leitmedien ist schlicht unsinnig und die Argumentation voller Widersprüche.”

Bildblog unterstuetzen

4. ZDF schneidet Kritik an “AfD-Sympathisanten” aus Laudatio
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Der Pianist Igor Levit wurde am Sonntag mit dem “Opus Klassik 2022” ausgezeichnet. Die Gala wurde vom ZDF übertragen, die Laudatio auf Levit hielt der Musiker Danger Dan, der unter anderem für sein Lied “Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt” bekannt ist. Seine Laudatio endete mit einer Bemerkung über “AfD-Sympathisanten” (“Ihr seid Vollidioten”), die das ZDF anscheinend als nicht von der Kunstfreiheit gedeckt ansah und aus der Aufzeichnung herausschnitt.

5. Queer, migrantisch, Perlenkette: Wo ist das Problem?
(uebermedien.de, Olivia Samnick)
In einer Instagram-Liveschalte berichtete Atay Küçükler, ein junger Journalist der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung”, über die Landtagswahlen in Niedersachsen. Es folgten wütende Reaktionen, Beleidigungen, Hass. Gegenstand der Kommentare waren jedoch nicht inhaltliche Aspekte, es ging um Küçüklers Aussehen: Zum schwarzen Sakko trug er Perlenkette und Ringe. Olivia Samnick hat sich mit Atay Küçükler über die unangenehme Resonanz, aber auch den Zuspruch unterhalten.

6. Nichts für Feiglinge
(sueddeutsche.de, Christine Dössel)
“Ich führe mit dem Theater jetzt schon eine sehr lange Beziehung. Sie ist kinderlos geblieben und nicht unkompliziert. Oft treibt sie mich in den Wahnsinn. Aber es gibt auch nichts Besseres.” Die Theaterkritikerin Christine Dössel berichtet in der “Süddeutschen” von Freud und Leid ihrer Tätigkeit. En lesenswerter Einblick in eine journalistische Nische.

Plage mit der Chatkontrolle, Charmeoffensive, Botticellis “Venus”

1. EU-Kommissarin verteidigt Chatkontrolle mit unsinnigem Vergleich
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat gestern dem zuständigen Ausschuss des Europaparlaments den umstrittenen Gesetzentwurf zur Chatkontrolle vorgestellt. Die Fachleute sind entsetzt ob des Vorhabens und der Argumentation. Markus Reuter hat einige Stimmen zusammengetragen.
Gucktipp: Wer nur wenig Zeit hat, kann sich auch das knapp einminütige Fazit des Bürgerrechtlers, Digitalexperten und Europaabgeordneten der Piratenpartei Patrick Breyer ansehen (twitter.com).

2. “Wir benötigen eine Bullshit-Resilienz”
(journalist.de, Stephan Weichert)
In der neuen Ausgabe von “Mein Blick auf den Journalismus” plädiert Medienwissenschaftler Stephan Weichert für einen “digitalen Minimalismus”: “Ich glaube, dass die Zeit reif ist für eine Medien-Inventur, ein radikales Umdenken. In unser ganzheitliches Resilienzparadigma passt ein Journalismus, der den digitalen Minimalismus vorlebt. Dem es gelingt, die Nutzenden gerade in der Krise zu Gestaltern zu machen, der aber selbst nicht zum Gestalter wird.”

3. Just eine Journalistenzeitung empfiehlt Karrieren als PR-Profi
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Urs P. Gasche berichtet über eine Veranstaltung, die von der Fachzeitschrift “Schweizer Journalist:in” als “wichtigstes Event für den PR-Nachwuchs” empfohlen wird: das “PR Report Camp” in Berlin, organisiert vom Oberauer-Verlag. Gasche wollte wissen, was der Chefredakteur der Fachzeitschrift, die ebenfalls zum Oberauer-Verlag gehört, darüber denkt, dass sich ein Blatt für Journalistinnen und Journalisten für ein Event der PR-Branche starkmacht. Dieser habe eingeräumt, dass “die Kommunikationsabteilungen in den vergangenen Jahren aufgestockt haben, während in den Medienhäusern die Zahl der Journalistinnen und Journalisten zurückgeht”.

Bildblog unterstuetzen

4. Charmeoffensive bei den “Tagesthemen”
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Neuerdings duzen sich Moderatorin und Nachrichtensprecher im “Tagesthemen”-Studio. Markus Ehrenberg ist lediglich der Abschied zu schnöde (“Tschüß!”) und so spöttelt er: “Wir schlagen einen gemeinsamer Plausch im On vor: ‘Du, Constantin, Was machst du jetzt? Wollen wir noch zusammen einen Absacker trinken?'”

5. Ein Großmeister der Wortspiele
(sueddeutsche.de, Max Fellmann)
“Das SZ-Magazin hat einen Teil seiner Seele verloren. Unser Freund und Kollege, das Rätselgenie Curt Schneider, ist gestorben. Es ist ein unfassbarer Verlust.” So beginnt der Nachruf auf Curt Schneider, der sich seit mehr als 32 Jahren Woche für Woche neue Rätsel für die Magazin-Leser und -Leserinnen ausdacht hat.

6. Botticellis “Venus”: Uffizien klagen gegen Jean-Paul Gaultier
(br.de, Peter Jungblut)
Die Nutzung von Aufnahmen, die abfotografierte Gemälde zeigen, wirft immer wieder neue juristische Probleme auf, selbst wenn die Gemälde als “gemeinfrei” (also urheberrechtsfrei) gelten. Ein interessanter Rechtsstreit entwickelt sich gerade zwischen den Uffizien, dem berühmten Museum in Florenz, und dem französischen Star-Designer Jean Paul Gaultier. Dieser hatte Hosen, Pullis und Kleider mit Motiven aus dem berühmten Renaissance-Gemälde “Geburt der Venus” bedruckt und wird vom Museum dafür nun zur Kasse gebeten.

Viel Energie fürs Zitateverkürzen

Vergangene Woche meinte die “Bild”-Redaktion, bei ihrer Suche nach Argumenten und Mitstreitern gegen die Energiewende mal wieder fündig geworden zu sein:

Screenshot Bild.de - Chemie-Chef rechnet mit Habecks Strompolitik ab - Vom Industrieland zum Industriemuseum

Die beiden “Bild”-Autoren Jan Schäfer und Carl-Victor Wachs schrieben:

Knallhart-Abrechnung mit der Energiepolitik von Robert Habeck (53, Grüne)!

Der neue Präsident des Chemieverbands VCI, Markus Steilemann (52), warnt den Wirtschaftsminister vor dem Kollaps des Industriestandorts Deutschland. Es drohe gigantischer Strommangel, da der geplante Ausbau der Windkraft nicht zu stemmen sei.

Konkret warnt Steilemann: Um Habecks Energieziele bis 2030 zu erreichen, bräuchte man “jeden Tag zehn Windkraftanlagen. Eine davon braucht 4000 Tonnen Stahl; das ist ein halber Eiffelturm. Das heißt: fünf Eiffeltürme jeden Tag. Und das für die nächsten 8 Jahre.”

Steilemann knallhart: “Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen.” Deutschland drohe der Absturz “vom Industrieland zum Industriemuseum”.

An dem Eiffelturm-Vergleich von Markus Steilemann ist so ziemlich alles falsch, was falsch sein kann. Der Bundesverband WindEnergie hat das in einem Twitter-Thread wunderbar aufgedröselt: Steilemanns Angabe zum benötigten Stahl ist viel zu hoch (den Fehler hat er selbst auch längst eingeräumt), die Anzahl der täglich neu benötigten Windenergieanlagen soll ebenfalls zu hoch sein, und das Gesamtgewicht des Eiffelturm-Stahls hat Steilemann in seiner Rechnung auch eher grob angegeben. “Wir brauchen also weniger als einen halben Eiffelturm pro Tag – nicht fünf”, so das Fazit des Bundesverbands WindEnergie.

Das alles hätte man mit ein wenig Recherche herausfinden können. Aber darauf haben die zwei “Bild”-Autoren offensichtlich verzichtet.

Interessant ist, wie sie die Stelle zitieren, die es zum Teil auch in die Überschrift bei Bild.de geschafft hat. Schäfer und Wachs schreiben:

Steilemann knallhart: “Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen.” Deutschland drohe der Absturz “vom Industrieland zum Industriemuseum”.

Das gesamte Steilemann-Zitat ist etwas länger. Es ist in einer Diskussionsrunde des Verbands der Chemischen Industrie zum Thema “Energie und Klima” gefallen, bezieht sich auf die falsche Eiffelturm-Rechnung sowie die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien und lautet:

Das möchte ich mal sehen, wie wir das auf den Weg kriegen. Da müssen wir hin. Weil ansonsten wird alles, was wir hier heute diskutieren, Makulatur bleiben. Und Deutschland wird sich von einer Industrienation in ein Industriemuseum verwandeln, und zwar schneller, als wir uns das vorstellen.

Die Forderung “Da müssen wir hin.” haben die “Bild”-Autoren einfach weggelassen. Stattdessen schreiben sie, Steilemann wäre der Ansicht, dass “der geplante Ausbau der Windkraft nicht zu stemmen sei.” Tatsächlich aber fordert er – selbst unter dem Eindruck seiner viel zu hohen Stahl-Annahme -, die Herausforderung anzunehmen und den Ausbau der Windkraft voranzutreiben. Das passt auch vielmehr zu früheren Aussagen Steilemanns. So sprach er sich beispielsweise 2019 in einem Interview mit dem “Tagesspiegel” für eine Beschleunigung beim Ausbau der Erneuerbaren und der dazugehörigen Infrastruktur aus.

Der Artikel bei Bild.de wurde inzwischen überarbeitet. Nun weist ein “Update” auf den Fehler bei der Stahl-Rechnung hin, eine Aussage des Bundesverbands WindEnergie wurde hinzugefügt. Das verkürzte Zitat wurde kommentarlos gestrichen, dafür steht im Text aber noch immer fälschlicherweise, dass Markus Steilemann der Meinung ist, der geplante Ausbau der Windkraft sei nicht zu stemmen.

Bildblog unterstuetzen

“Cum-Ex”-Meinungsmache, Kauflands rechter Sumpf, RTL in synthetisch?

1. Einflussnahme auf Medien? Wie der Kanzleramtschef zu “Cum Ex” Meinung macht
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Nach Informationen des “Tagesspiegel” soll Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) versucht haben, mit als vertraulich deklarierten Stellungnahmen zum Cum-Ex-Skandal Einfluss auf Medienberichte zu nehmen. “Der Austausch mit Journalistinnen und Journalisten gehört zu meinem Geschäft”, habe Schmidt verlautbaren lassen – und zu konkreten Fragen zu seinen Kontakten geschwiegen. Jost Müller-Neuhof, rechtspolitischer Korrespondent des “Tagesspiegel”, schreibt: “Viel spricht deshalb dafür, dass Schmidt sein Einwirken auf Medien zugunsten des Bundeskanzlers gar nicht als dienstliche Tätigkeit betrachtet, sondern als eine Art Privatsache, bei der er freie Hand und niemandem gegenüber Rechenschaft abzulegen hat.”

2. RBB entbindet Juristische Direktorin vom Dienst
(sueddeutsche.de)
Bei den Untersuchungen zu möglicher Vetternwirtschaft und Verschwendung im RBB rückt nun auch die Juristische Direktorin Susann Lange in den Fokus. Der Sender habe Lange im gegenseitigen Einvernehmen und bis zur Klärung der Vorwürfe vom Dienst entbunden. Dem vorausgegangen waren Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft, die vergangene Woche auf Mitglieder des aktuellen Vorstands ausgeweitet worden seien, zu denen auch Lange zählt. RBB-Interims-Intendantin Katrin Vernau betont, dass es sich bei dem Vorgang nicht um ein Schuldeingeständnis handele, auch bei Susann Lange gelte die Unschuldsvermutung.

3. Das Regime schnürt den Medien die Luft ab
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisiert die Angriffe des iranischen Regimes auf Journalistinnen und Journalisten: “Der freie Zugang zu Informationen sollte ein grundlegendes Menschenrecht sein, auch im Iran. Gerade in Phasen von Umbrüchen und Protesten ist es wichtig, sich ungehindert informieren zu können. Dass das iranische Regime diese Lebensader einfach durchtrennen will, zeigt seine Brutalität. Es zeigt aber auch, dass die Herrscher mit dem Rücken zur Wand stehen. Denn die Wahrheit lässt sich niemals komplett unterdrücken.”

Bildblog unterstuetzen

4. Kaufland wegen rechtsradikaler Bücher in der Kritik
(spiegel.de)
Auf dem Onlinemarktplatz von Kaufland werden Bücher von Rechtsradikalen und Holocaustleugnern angeboten. Das ist insofern bemerkenswert, als die Supermarktkette zuvor Produkte mit Antifa-Logo aus ihrem Onlineshop verbannt hat. Die Debatte über das Kaufland-Verhalten war durch einen Twitter-Thread von Leo Schneider ausgelöst worden, der sich “mal nach rechten Kram im Onlineshop von @kaufland umgeschaut” hatte. Das Unternehmen habe nun begonnen, einzelne Produkte aus dem Angebot zu werfen, und weitere Prüfungen in Aussicht gestellt: “Wir werden in den kommenden Tagen unsere Prozesse sowie unser Sortiment auf den Prüfstand stellen und entscheiden, ob und welche weiteren Produkte wir aus dem Angebot nehmen werden.”

5. DJV verurteilt RTL-Pläne für synthetische Nachrichtenstimmen
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
RTL arbeite gemeinsam mit Microsoft an einem Projekt zur Erzeugung von synthetischen Nachrichtenstimmen. Das Vorhaben werfe ethische Fragen auf, schreibt Thomas Lückerath bei “DWDL”. “Das geht gegen alle Prinzipien des glaubwürdigen Journalismus, auf die unser Berufsstand aufbaut”, habe der Deutsche Journalisten-Verband Lückerath gegenüber erklärt. Auch RTL-Moderator Maik Meuser, der die stimmliche Vorlage bei dem Projekt liefert, sei skeptisch: “Etwas zu hören, was ich selber nie gesagt habe mit meiner Stimme. Das fühlt sich nicht so besonders gut an”, so Meuser: “Das kann ich schon mal unterschreiben. Weil die Stimme natürlich schon ein bisschen sehr persönlich ist und wenn das genutzt wird, um etwas komplett anderes zu sagen, als es meinem Leben entspricht, dann finde ich das schon sehr bedenklich.”

6. Wie die Kronen Zeitung Leserbriefe missbraucht, um Tassilo Wallentin zu pushen
(kobuk.at, Tobias Kachelmeier)
Bei der österreichischen “Kronen Zeitung” häufen sich auffällig Leserbriefe, die sich für Tassilo Wallentin als zukünftigen Bundespräsidenten aussprechen. Pikant: Bei eben jenem Tassilo Wallentin handelt es sich um einen langjährigen Kolumnisten der Zeitung. Das Medien-Watchblog “Kobuk” hat sich die Sache näher angeschaut und hat einen Verdacht: “Eine offene Kampagne in der regulären Berichterstattung war wohl keine Option, weil zu offensichtlich.”

KW 40/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Was bleibt von den Vorwürfen gegen den NDR Kiel?
(ndr.de, Kathrin Drehkopf, Video: 29:50 Minuten)
In einem “Zapp spezial” geht es um die Vorwürfe im NDR-Landesfunkhaus in Kiel hinsichtlich einer eventuellen politischen Einflussnahme auf die Berichterstattung und den in Auftrag gegebenen internen Prüfungsbericht. Das NDR-Medienmagazin “Zapp” war bei der Vorstellung des Berichts dabei und hat mit einem Senderverantwortlichen sowie mit Mitarbeitenden über die Untersuchung gesprochen. Außerdem reden Julia Stein und Norbert Lorenzen, die ihre Posten als Redaktionsleiterin beziehungsweise Chefredakteur nun räumen müssen, erstmals über die Vorwürfe und darüber, wie sie die Aufarbeitung erleben.

2. Wie glaubwürdig sind die Medien? – Friedrich Küppersbusch im Hotel Matze
(mitvergnuegen.com, Matze Hielscher, Audio: 2:22:26 Stunden)
Älteren Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern dürfte Friedrich Küppersbusch noch als schlagfertiger Moderator der TV-Show “ZAK” bekannt sein. Heute betätigt er sich vornehmlich als TV-Produzent, aktuell beispielsweise für “Chez Krömer”. Im Podcast “Hotel Matze” geht es um Küppersbuschs Werdegang, seinen Blick auf die deutsche Medienlandschaft und all das, was er sonst noch erlebt hat.

3. Die mediale Karriere eines verurteilten Doppelmörders
(deutschlandfunk.de, Matthias Dell, Audio: 27:57 Minuten)
“Der Diplomatensohn Jens Söring wurde in den USA wegen Doppelmordes verurteilt. Mehr als drei Jahrzehnte später ist er frei und ein gefragter Interviewpartner in den Medien seiner Heimat – auch im Deutschlandfunk. Doch Experten zweifeln an der Geschichte, die er in den Medien erzählt. Und kritisieren die Rolle der Journalisten dabei.” Matthias Dell mit einem spannenden Deutschlandfunk-Feature über die “mediale Karriere eines verurteilten Doppelmörders”.
Weiterer Hörtipp: Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich unbedingt die überaus empfehlenswerte achtteilige Podcastproduktion “Das System Söring” anhören.
Und noch ein Lesetipp: In aller Gründlichkeit und Tiefe hat Stefan Niggemeier das Thema bei “Übermedien” aufbereitet: Die erstaunliche Medienkarriere des verurteilten Doppelmörders Jens Söring.

Bildblog unterstuetzen

4. Marieke Reimann über Außenwirkung und Eigenwerbung der ARD
(turi2clubraum.podigee.io, Markus Trantow & Aline von Drateln, Audio: 57:51 Minuten)
Im “turi2 Clubraum” ist Marieke Reimann zu Gast, die seit 2021 als zweite Chefredakteurin beim öffentlich-rechtlichen SWR tätig ist. Die 35-jährige Reimann kennt die Medienlandschaft aus unterschiedlichen Perspektiven: “Nach dem Studium arbeitet sie zunächst als Autorin für ‘Süddeutsche’ und ’11 Freunde’ und baut dann bei der ‘Zeit’ das Jugendmagazin ze.tt mit auf. Als ze.tt zu einem Ressort von Zeit Online wird, nimmt sie sich eine Auszeit und wechselt dann zum SWR.”

5. Hört auf uns mit New Work zu verarschen !
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 53:23 Minuten)
Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz haben sich bei Journalistinnen und Journalisten nach deren Erfahrungen mit “New Work” umgehört: Sind Obstkorb, Tischkicker und Feierabendbier Errungenschaften einer neuen Arbeitskultur? Oder ist die Sache nur eine große “Verarsche”? Mit als Gast dabei: Patrick Breitenbach, einer der Köpfe des “Soziopod”.

6. Wie RTL, Sat.1 und Co. jetzt die Retro-Welle reiten
(funk.net, Walulis Daily, Video: 9:22 Minuten)
RTL hat die “Grande Dame des deutschen Nachmittags-Trash”, Richterin Barbara Salesch, zurück auf die Bildschirme geholt. Philipp Walulis erklärt, “wie großartig trashig die Neuauflage ist, warum RTL damit richtig Erfolg hat, und wie die komplette TV-Landschaft gerade wieder auf Retro setzt”.

“Bild” macht sich mit Foto von Dieter Schwarz zum Otto

Wenn irgendwo in Deutschland jemand ums Leben kommt, und “Bild” will darüber berichten, hat aber kein Foto der Person parat, dann zieht die Redaktion los, sucht nach Facebook-Profilen mit dem entsprechenden Namen und schnappt sich das zu schnappende Fotomaterial.

Wenn irgendwo in Deutschland jemand zur reichsten Person des Landes erklärt wird, und “Bild” will darüber berichten, hat aber kein Foto der Person parat, dann zieht die Redaktion los, sucht nach Facebook-Profilen mit dem entsprechenden Namen und schnappt sich das zu schnappende Fotomaterial.

Das Ergebnis sieht dann so aus:

Screenshot Bild.de - Wechsel an der Spitzenposition - Er ist jetzt der reichste Deutsche

Es geht um Lidl-Gründer Dieter Schwarz, der dem gestern erschienenen “Manager-Magazin”-Ranking zufolge der reichste Deutsche sein soll. Schwarz sei das “Phantom der Hochfinanzen”, “der geheimnisvollste Milliardär Deutschlands”, wie “Bild” vor zwei Jahren schrieb: “Keine Fotos, keine Interviews – aber 43 Milliarden Euro Vermögen”. Umso erstaunlicher ist, wo die “Bild”-Redaktion das Foto von Dieter Schwarz her hat. Als Quelle gibt sie an:

Dieter Schwarz/Facebook

Ein Mensch, der phantomartig zurückgezogen lebt, von dem es nur ganz wenige Aufnahmen gibt, der aber gleichzeitig ein Foto von sich bei Facebook postet?

Tatsächlich gibt es eine Facebook-Seite mit dem Namen “Dieter Schwarz”, auf dem das von Bild.de verwendete Foto zu sehen ist. Steckbrief: “Businessman”, 203 “Gefällt-mir”-Angaben, der letzte Post vor gut einem Jahr. Wer die Seite ins Leben gerufen hat, ist nicht klar. Jedenfalls zeigt die Aufnahme nicht Dieter Schwarz, sondern Unternehmer Michael Otto.

Die “Bild”-Redaktion hat das Foto inzwischen ausgetauscht. Nun ist im Artikel die “vom Thron gestoßene” BMW-Erbin Susanne Klatten zu sehen.

Wie gesagt: Auch bei Menschen, die ums Leben gekommen sind, gehen die “Bild”-Medien regelmäßig auf Facebook-Beutezug (was schon verachtenswert genug ist). Und auch bei ihnen liegen sie viel zu oft daneben.

Mit Dank an Alex für den Hinweis!

Bildblog unterstuetzen

Iran-Berichterstattung, Viel Wind um Eiffeltürme, Putins “Atomzug”

1. “Das ist eine Revolution”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Gilda Sahebi & Sebastian Wellendorf, Audio: 5:45 Minuten)
Die Journalistin Gilda Sahebi kritisiert die deutschen Medien für ihre Berichterstattung über die aktuellen Geschehnisse im Iran. Die Angriffe des iranischen Regimes auf Studierende seien einmalig. Es sei angemessen, bei den Protesten von einer “Revolution” zu sprechen. Man müsse sich dem, was im Iran passiere, so gut wie möglich annähern: “Sonst bleibt es im Dunkeln, was dort passiert.”
Weiterer Hörtipp: Bei “Übermedien” unterhält sich Holger Klein mit der ARD-Journalistin Natalie Amiri, die ähnlicher Ansicht wie Gilda Sahebi ist: “Es gab ja noch nicht einmal einen einzigen ‘Brennpunkt’, und die Menschen sind seit drei Wochen auf der Straße.” (uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 38:08 Minuten)

2. Fördert endlich Anti-Zensur-Tools!
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Angesichts der Ereignisse im Iran setzt sich Markus Beckedahl auf netzpolitik.org für den Ausbau und die Förderung von “Anti-Zensur-Tools” ein. Eine “menschenrechtszentrierte Außenpolitik” müsse diese Werkzeuge fördern, “indem bestimmte Open-Source-Werkzeuge in die Richtung weiterentwickelt werden, dass sie einfacher von vielen Menschen zu nutzen sind. Und Werkzeuge zur digitalen Selbstverteidigung nicht nur privilegierten und gebildeten Menschen zur Verfügung stehen, sondern möglichst allen, die sie in solchen Krisensituationen benötigen.”

3. Ein Zug voller Atompanik
(uebermedien.de, Gerald Hensel)
Seit Anfang der Woche schreiben einige deutsche Medien über Wladimir Putins “Atomzug”. Gerald Hensel ist der Sache nachgegangen und hat sich zuallererst die Frage gestellt, wovon genau die Rede ist: “Die Definition und die Einschätzung, was so ein ‘Atomzug’ ist und tut, variierten beträchtlich. Man raunte, spekulierte, vermutete – wie man das dieser Tage gerne macht.”

Bildblog unterstuetzen

4. In der @BILD wurde gestern behauptet …
(twitter.com, Bundesverband WindEnergie e.V.)
Der Bundesverband WindEnergie betätigt sich auf Twitter als Faktenchecker in eigener Sache: “In der @BILD wurde gestern behauptet, es gäbe nicht genug Stahl für die Windenergie. Wir bräuchten ‘5 Eiffeltürme jeden Tag’. Daran stimmt schlichtweg nichts.” Mittlerweile ist der von “Bild” ins Spiel gebrachte Präsident des Chemieverbands zurückgerudert und hat seine Angaben auf Twitter korrigiert: “Dass 4000 Tonnen Stahl für nur eine Windkraftanlage benötigt werden, ist falsch. Diesen Fehler bedauere ich sehr, weil ich damit meinen eigenen Anspruch an die Faktentreue nicht erfüllt habe.”

5. Aktuelle Nutzung leicht unter Coronajahr 2021
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
ARD und ZDF haben eine neue Studie zu den aktuellen Trends bei der Mediennutzung vorgestellt: die “ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2022” (PDF). “Die Mediennutzungsdauer nimmt nur geringfügig ab und bleibt mit sieben Stunden täglich weiterhin hoch. Die meiste Zeit wird mit Bewegtbild verbracht, dahinter folgen Audio und Text. Die Reichweiten von Fernsehen und Radio liegen stabil an der Spitze. Digitale Ausspielwege gewinnen bei Audio und Video weiter an Bedeutung”, so eine Erkenntnis der Untersuchung.

6. Richterin setzt Elon Musk Frist für Twitter-Übernahme
(zeit.de)
Im Streit um die Twitter-Übernahme hat Tech-Milliardär Elon Musk eine erstaunliche Kehrtwende hingelegt. Nachdem er von seinem ursprünglichen Kaufangebot nichts mehr wissen wollte, will er den Deal nun anscheinend doch. Twitter sei jedoch skeptisch, was die Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit Musks anbelangt. Eine Richterin sieht das anscheinend ähnlich und hat Musk für die Abwicklung der Übernahme eine vergleichsweise enge Frist gesetzt.

TikToks Wortfilter, Ermittlungen ausgeweitet, NDR wehrt sich

1. TikTok schränkt Meinungsfreiheit ein
(tagesschau.de, Svea Eckert & Catharina Felke & Oskar Vitlif)
Tagesschau.de berichtet, dass die chinesische Videoplattform TikTok in Deutschland systematisch Wortfilter einsetzt. Recherchen von NDR, WDR und “Tagesschau” zufolge blockiere der hinter TikTok stehende Konzern mindestens 20 Wörter, darunter “Nazi”, “Sklaven” und “Gas”, aber auch “LGBTQ” und “schwul”. Die “Tagesschau” ist selbst bei TikTok mit einem Kanal vertreten.
Weiterer Lesehinweis: Bei “Message” fragen Florian Görres und Yaejun Rhee: “Immer mehr Medienhäuser platzieren journalistische Inhalte auf Tiktok – doch zu welchem Preis?” In Anspielung auf die aktuellen Enthüllungen zitieren sie “Tagesschau”-Chefredakteur Markus Bornheim, der 2019 gesagt habe: “Wenn wir merken, dass unsere Inhalte rausgenommen werden durch irgendeine Form von Moderation von TikTok, dann werden wir den Kanal sofort zumachen.”

2. NDR erwirkt einstweilige Verfügungen gegen “BI”, “Bild” und “Stern”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Das Landgericht Hamburg hat in mehreren Entscheidungen Verdachtsäußerungen von “Business Insider”, “Bild” und “Stern” in Bezug auf den NDR als unzulässig beanstandet. Der Springer-Konzern habe sich zwischenzeitlich rechtsverbindlich gegenüber dem NDR verpflichtet, nicht mehr zu verbreiten, dass der Chefredakteur und die Politik-Chefin im Landesfunkhaus Kiel ihre Jobs wegen Vorwürfen der Einflussnahme auf politische Berichte verlören.

3. Generalstaatsanwaltschaft weitet Ermittlungen aus
(sueddeutsche.de)
In der Affäre um den RBB hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin laut einem Behördensprecher die Ermittlungen ausgeweitet. Diese würden sich gegen zwei Führungskräfte aus der aktuellen Geschäftsleitung des Senders richten und den Verdacht der Untreue sowie der Beihilfe zur Untreue betreffen.

Bildblog unterstuetzen

4. “Es braucht eine Umverteilung”
(journalist.de, Jan Freitag)
Wer sich für die Hintergründe und die Arbeitsbedingungen in einem Sender wie dem RBB interessiert, sollte unbedingt das “journalist”-Interview mit der “Abendschau”-Moderatorin Eva-Maria Lemke und dem Investigativjournalisten Olaf Sundermeyer lesen. Beide sprechen in schonungsloser Offenheit, kritisieren die Senderführung und mahnen notwendige Reformen an.

5. “Tod auf Raten”
(taz.de, Ralf Leonhard)
Wie Ralf Leonhard aus Österreich berichtet, habe der dortige Ministerrat beschlossen, dass die bisherige Tageszeitung “Wiener Zeitung” nur noch monatlich erscheinen soll. Diese Entscheidung werde heftig kritisiert, sowohl von der Belegschaft als auch von der journalistischen Konkurrenz.

6. »Du bist ein Tyrann und eine Witzfigur«
(spiegel.de)
Der “Spiegel” berichtet von einem Fall, der in der Modewelt für viel Empörung sorgt: Eine Modejournalistin habe Kanye Wests Shirt mit dem Slogan “White Lives Matter” kritisiert. Daraufhin habe der Rapper sie auf Instagram beleidigt und spöttische und beleidigende Kommentare über sie veröffentlicht.

“Die Widerlich-Botschaft von K.I.Z” und “unser Oktoberfest, wie es wirklich ist”

Einst war die Rap-Crew K.I.Z für die “Bild”-Redaktion eine “Berliner Hip-Hop-Band” mit “Kultstatus”, ihre Live-Auftritte galten als “absolute Weltspitze”, und die Gruppe sei “schon länger dafür bekannt, sich zu Gesellschaftsthemen zu äußern.” Aber nun, wo sich Tarek, Maxim und Nico in einem neuen Song dem Oktoberfest gewidmet haben, ist alles anders:

Screenshot Bild.de - Song-Video stellt Wiesn als Suff-Koks-Kotz-Party dar - Berliner Deppen-Rapper verärgern Stadt und Wirte
(Der Vollständigkeit halber: Auf dem Weg vom “Kultstatus” zu den “Deppen-Rappern” gab es noch den Zwischenschritt “Gewalt-Verherrlicher”.)

K.I.Z und das Frankfurter Rap-Duo Mehnersmoos haben kürzlich einen Song mit dem Titel “Oktoberfest” veröffentlicht. Das dazugehörige Video, eine Collage mit allerlei Saufeireien, Pinkeleien, Torkeleien, Kotzereien, Prügeleien, Koksereien und Fummeleien vom Oktoberfest, wurde erst bei Youtube hochgeladen, dann von Youtube gesperrt, genauso wie der gesamte K.I.Z-Kanal, der inzwischen wieder erreichbar ist, allerdings ohne das “Oktoberfest”-Video. Und nun ist die “Bild”-Redaktion wütend, aber nicht, weil sie wie sonst immer, wenn etwas Künstlerisches gelöscht wurde, irgendwas mit “Cancel Culture” vermutet, sondern weil “unsere Wiesn” von den “Berliner Deppen-Rappern” besudelt werden:

Das Video, das die Berliner Rapper Tarek, Maxim und Nico (“K.I.Z”) zu ihrem neuen Song “Oktoberfest” auf YouTube hochgeladen hatten, zeigt unsere Wiesn als Suff-Koks-Kotz-Vergewaltigungs-Arie.

Die Widerlich-Botschaft von K.I.Z: Oktoberfest heißt knutschen mit Uli Hoeneß, koksen mit Markus Söder, vollgepisste Lederhosen, tausende bayerische Frauenschläger, überall Schnapsleichen. Ein mit 3 Promille tot gefahrenes Kind.

Die “Bild”-Autorin zitiert einen empörten “Wiesn-Wirte-Sprecher” (und auch nur den, sonst niemanden) und gibt sich große Mühe, das Bild vom Oktoberfest geradezurücken:

“Billige Effekthascherei”, schimpft Wiesn-Wirte-Sprecher Peter Inselkammer. “Die Bilder und Worte entsprechen nicht der Realität. Es ist leider ein Trend, dass Menschen die Wiesn benutzen, um selbst Aufmerksamkeit zu bekommen.”

Aber dass die Tatsachen falsch dargestellt werden, das ist eine neue, unschöne Variante der Oktoberfest-Sonnen-Mitnutzer. Die Wiesn 2022 war eine friedliche, fröhliche, ausgelassene. Es gab keine Schnapsleichen unter Tischen in Zelten. Es flogen keine Bierkrüge durch die Menge. Keine Koks-Linien auf den Biertischen.

Für die “Bild”-Redaktion steht fest:

Von Skandal keine Spur: die Wiesn 2022 waren fröhlich, friedlich und herzlich

So lautet eine Bildunterschrift. Und eine andere:

Wiesnchef Clemens Baumgärtner ist zu Recht stolz auf unser Oktoberfest, wie es wirklich ist

Wie das gerade zu Ende gegangene Oktoberfest “wirklich” war, kann man unter anderem herausfinden, indem man in die “Wiesn-Abschlussbilanz der Münchner Polizei” (PDF) schaut: Die Gesamtzahl der Straftaten sei im Vergleich zum Oktoberfest 2019 “etwa gleichbleibend”. Bei den Gewaltdelikten habe es einen Rückgang gegeben, bei den angezeigten Sexualdelikten einen leichten Anstieg. Im direkten Umfeld des Oktoberfests kam es zu einem versuchten Totschlag.

Wenn “Bild” schreibt, es seien keine Bierkrüge durch die Menge geflogen, ist das entweder völlig unwissend oder gelogen, jedenfalls schlicht falsch. 35 Fälle zählte die Polizei, in denen es zu Körperverletzungen mit dem Tatwerkzeug Maßkrug kam, drei mehr als 2019. Ein Beispiel aus einem Polizeibericht:

Zeitgleich kam ein dritter Täter hinzu, der mit voller Wucht dem immer noch am Boden liegenden 23-jährigen Geschädigten einen Maßkrug auf den Kopf schlug.

Ein weiterer beispielhafter Fall:

Am Samstag, 24.09.2022, gegen 22:00 Uhr, gerieten ein 25-Jähriger mit Wohnsitz in München und ein 22-Jähriger aus dem Landkreis Schwandorf in Streit. Im weiteren Verlauf des Streites warf der 25-Jährige dem 22-Jährigen einen Maßkrug ins Gesicht.

Und noch einer:

Am Mittwoch, 28.09.2022, gegen 19:00 Uhr, kam es in einem Festzelt zwischen einem 38-jährigen Franzosen und seinen Begleitern zunächst zu einem verbalen Streit mit einem 25-jährigen Australier. Im Laufe der Auseinandersetzung griff der Franzose nacheinander mehrere auf dem Biertisch stehende Maßkrüge und warf diese in Richtung des 25-Jährigen. Durch die Würfe wurde der 25-Jährige am Kopf getroffen und ging daraufhin mit einer Platzwunde zu Boden. Ein weiterer Maßkrug traf einen bislang unbekannten Geschädigten, der sich jedoch anschließend unerkannt entfernte.

Wenn es im Song von K.I.Z und Mehnersmoos also heißt “Heute schieß’ ich mir die Birne weg, Bierkrüge fliegen durchs Wiesn-Zelt” oder “Ich haue einem Bauern die Augen lila, mit einem Bierkrug von Augustiner” oder “Ich steh’ mit Motorradhelm, mitten im Bierkrughagel, werd’ dir das Riesenmaß, über die Rübe schlagen” ist das nicht völlig entkoppelt von der Realität.

Genauso die Textzeile “Bin hacke und mache den Hitlergruß”. Die Polizei berichtet von mehreren Fällen, in denen Personen den Hitlergruß gezeigt oder Äußerungen mit Bezug zur NS-Zeit getätigt haben sollen.

Und auch zur Songpassage “Heut begeh’ ich einen sexuellen Übergriff, Spießer sagen: ‘Vergewaltigung’, wir nennen es einfach nur ‘Tradition'” findet man Zahlen in der “Wiesn-Abschlussbilanz der Münchner Polizei”: Es gab in diesem Jahr Anzeigen zu drei Vergewaltigungen und einer versuchten Vergewaltigung auf dem Oktoberfestgelände. Insgesamt hat die Polizei 55 Sexualdelikte gezählt (2019: 47).

Dass es, wie “Bild” schreibt, “keine Koks-Linien auf den Biertischen” gegeben hat, ist eher unwahrscheinlich. Die Polizei schreibt in ihrer Abschlussbilanz:

Im Bereich der Aufgriffe von Betäubungsmittel wurde ein Rückgang festgestellt. Die Polizei leitete hier 184 (-22,7%; 2019: 238) Ermittlungsverfahren ein (Festnahmen: 2022: 174; 2019: 242). Hauptsächlich handelte es sich dabei um den unerlaubten Besitz von geringen Mengen von illegalen Betäubungsmitteln. Vorwiegend konnte Cannabis und Kokain festgestellt werden. Der Rückgang der Aufgriffe im Vergleich zu 2019 lässt sich vermutlich ebenfalls auf die schlechte Witterung zurückführen.

Angesichts der völligen Leugnung aller negativen Aspekte am Oktoberfest durch “Bild”, wo es noch nicht mal “Schnapsleichen unter Tischen in Zelten” geben darf, scheint ein Song mit dem gegrölten Refrain “O, o, o’zapft is, wenn du mich suchst, ich liege unterm Tisch, O, o, o’zapft is, die Lederhosen san vollgepisst” einer Band, die sich wahlweise als “Kannibalen in zivil” oder “Klosterschüler im Zölibat” bezeichnet, der Realität deutlich näher zu kommen als der Artikel einer Redaktion, die vorgibt, journalistisch zu arbeiten.

Auf der heutigen “Bild”-Titelseite findet man übrigens diese Geschichte:

Ausriss Bild-Titelseite - Er spricht von Raub. Er wurde gefesselt und festgesetzt - FDP-Politiker schlägt Frau ins Gesicht
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Wo das passiert sein soll? Auf dem “fröhlichen, friedlichen und herzlichen” Oktoberfest.

Bildblog unterstuetzen

Blättern:  1 ... 65 66 67 ... 1141