Prominenzierungsmaschinerie, FSK, Kummer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Schnitzel’-Posse – Alter Aufreger statt neuer Fakten”
(ndr.de, Video, 6:09 Minuten)
“Zapp” besucht in der Causa “Schnitzelkrieg” Betzdorf und befragt unter anderem den Schulleiter der Christopherus-Schule, Alexander Waschow, von dem auch ein offener Brief veröffentlicht wird. Auf taz.de schreibt Cigdem Akyol dazu.

2. “Rangliste der Pressefreiheit weltweit”
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Rangliste zur weltweiten Situation der Pressefreiheit im Jahr 2010. Die Schweiz teilt sich mit Finnland, Island, Norwegen, Schweden und der Niederlande Platz 1. Österreich ist auf Platz 7, Deutschland auf Platz 17 zu finden. Die EU-Mitglieder Griechenland und Bulgarien teilen sich mit Kenia, Benin und den Komoren Platz 70. Am wenigsten Pressefreiheit gibt es in Nordkorea und Eritrea.

3. “Geht’s noch, FAS? Schon wieder eine Medienkampagne”
(epd.de, Sabine Horst)
Der Evangelische Pressedienst (!) findet die “Kampagne” der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” zu angeblich zu laschen Kontrollen der FSK übertrieben: “Ich bin auch Mutter. Und wenn Sie mich fragen: Ich schaue mit meinem Sohn, der wird demnächst zwölf, lieber einen großen, wilden, traurigen Film wie ‘There Will Be Blood’ oder einen erschütternden wie ‘Schindlers Liste’, als ihn im Nirwana der Toggo-Werbung und Primetime-Schmonzetten versacken zu lassen.” (…) “Die Aktion des Sonntagsblattes ließe sich vielleicht als bloße populistische Kampagne abtun, wären nicht so viele Medienpolitiker und sogar die Familienministerin flugs darauf eingestiegen.”

4. “Wie man Promis produziert”
(de.ejo.ch, Marlis Prinzing)
Marlis Prinzing stellt fest, dass die Prominenzierungsmaschinerie längst auch den Journalismus erfasst habe: “Die Bildschirmmedien inszenieren die Popularität von Ansagern, Moderatoren und Talkern, aber auch von exponierten Printjournalisten. Sie machen deren Gesichter prominent und erleichtern so deren Vermarktung. Bei Promi-Events und auf Podien begegnen die Klatsch-Reporter immer wieder denselben Gesichtern und reproduzieren immer wieder dieselben Gesichter und Geschichten.”

5. “Zehn Thesen zur Zukunft der Zeitung”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
“1. Das Zeitungssterben kommt schneller als angenommen. 2. Die Wochenzeitung wird die neue Tageszeitung – und nicht umgekehrt. 3. Die Tageszeitungen sparen sich zu Tode. 4. Die Tageszeitungen vergreisen in den Redaktionen. 5. Als nächstes wandert der Lokaljournalismus ins Netz ab. 6. Journalisten und Verleger haben das Netz nicht begriffen. 7. Tageszeitungen verschwinden in der Nische. 8. Das iPad beschleunigt den Niedergang. 9. Der generalistische Journalismus überholt sich. 10. Die Tageszeitung sitzt zwischen allen Stühlen — und hat nirgends mehr Platz.”

6. Interview mit Tom Kummer
(persoenlich.com, Adrian Schräder)
Tom Kummer spricht ausführlich mit Adrian Schräder: “Ich hab mich komplett sicher gefühlt, geschützt von einer Gruppe junger Journalisten, die sich selbstsicher als so eine Art Avantgarde des Neuen Journalismus in Deutschland bewegten.” Ein zweites Interview gibt es mit dem Regisseur von “Bad Boy Kummer”, Miklós Gimes.

Gala  

Til Schweigers Achselhaare des Bösen

Es ist an der Zeit, dass endlich einmal über die wirklich wichtigen Themen gesprochen wird: Sollten sich Männer die Achselhaare rasieren? Zu welcher Zeit trugen Frauen wie viel Intimbehaarung? Tut Haarentfernung mit Wachs wirklich so weh, wie alle sagen?

Das People-Magazin “Gala” war so frei, sie mit dem Schauspieler und Brusthaarrasierer Til Schweiger zu diskutieren.

Zum Beispiel so:

Kommen wir zur Enthaarung bei Frauen. Eine Frau mit Achselhaaren hätte bei Ihnen vermutlich wenig Chancen, oder?
Achselhaare bei einer Frau finde ich jetzt nicht so prickelnd.Aber wenn ich die Frau total lieben würde und sie die lustigste und tollste Person wäre, die mir je begegnet ist, dann würde ich auch eine Zeitlang über die Achselhaare hinwegsehen. Irgendwann würde ich sie dann wahrscheinlich heimlich nachts im Bett abschneiden …(lacht)

Das etwas unmotiviert wirkende Interview ist mit dieser schwer unmotiviert wirkenden Fotomontage bebildert:

Zwei scharfe Superhelden: Schauspieler Til Schweiger und der "Braun Bodycruzer" (ca. 70 Euro).

Andererseits ist Schweiger Testimonial von Braun, was das ganze Interview in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt.

Und weil “Gala” ein paar Krumen aus dem Gespräch vorab von dapd weiterverteilen ließ, berichten auch “Spiegel Online”, abendblatt.de oder “Focus Online” davon, dass sich Schweiger seine Brusthaare entferne — “mit dem Rasierer”.

Mit Dank an Marcel Sch. und an Jeannine J. für den Ausriss.

Werbepost mit Expressversanten

Oliver Santen ist Wirtschaftschef bei “Bild” und kümmert sich meist sehr persönlich um die großen, tollen Unternehmen.

Vor zwei Tagen durfte Frank Appel, Vorstandschef der Deutschen Post und “Bild”-“Gewinner” am 4. August, im Gespräch mit Santen erklären, wie wichtig China für Deutschland und die Deutsche Post ist — und weil Santen eh schon in China war, hat er auch gleich noch ein kleines UrlaubsWerbevideo gedreht.

Die Deutsche Post sei schon seit über 24 Jahren hier (also auf dem Wachstumsmarkt China), erzählt eine Off-Sprecherin über wacklige Handkamera-Bilder, dann darf Frank Appel noch mal berichten, wie wichtig China für Deutschland ist und welche wichtige Rolle die Post für den Warenverkehr zwischen China und Deutschland spielt:

Dann widmet sich Santen dem Warenverkehr in Hongkong:

Einen Expresszusteller der deutschen Post werde man heute begleiten, erzählt Santen in die Kamera und stapelt dabei ordentlich tief. Denn es ist nicht irgendein Zusteller, Nein!

ER ist der schnellste Post-Flitzer der Welt – obwohl er täglich mit Taxis, Bussen, Stau und Chaos zu kämpfen hat!

Und da ist er auch schon: Barry Lau.

Ganz so schnell, wie Santen schreibt, ist Lau offenbar aber nicht — das Video von seiner Ankunft hat man vorsichtshalber mal beschleunigt. Lau ist stolz, für den wichtigen Bezirk Zentral-Hongkong verantwortlich zu sein. Für eine deutsche Firma zu arbeiten, mache für ihn “keinen großen Unterschied”, so Lau bzw. der Übersetzer.

Lau packt die Sendungen und Santen auf seinen Roller und dann geht’s los:

Doch schon bald meldet sich Santen zu Wort: Die Expresszustellung sei heute ein bisschen langsamer als sonst, “weil: ‘ne Menge Stau” (mit dem Lau doch angeblich jeden Tag zu kämpfen hat). Doch Santen ist sich “ziemlich sicher”, dass “Barry” “sein Zeug” rechtzeitig zustellen wird.

Damit es ein bisschen schneller geht, sind die folgenden Fahrszenen wieder mal beschleunigt:

Und dann sind “wir” endlich am Ziel: Ein Päckchen wird ausgeliefert, der Empfang bestätigt “und dann ist die Arbeit getan”.

Noch schneller wäre es vermutlich gegangen, wenn Santen und Lau nicht erst durch die ganze Stadt gegurkt wären, sondern das Päckchen direkt da abgegeben hätten, wo sie es auch abgeholt haben:

Abholung:

Auslieferung:

Mit Dank an Christopher K.

Nachtrag/Hinweis, 18.50 Uhr: Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass Santen und Lau in einer ganz anderen Straße losfahren, als sie ankommen. Andererseits trifft der Reporter den Kurier (“Und hier kommt schon Barry Lau”) scheinbar schon vor der Fahrt am Ziel.

Schnitzelkrieg, Glenn Beck, 9Live

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Schule tritt Flucht nach vorne an”
(siegener-zeitung.de)
Der angebliche “Schnitzelkrieg” (BILDblog berichtete) hat Folgen für den Leiter der Christophorus-Grundschule in Betzdorf. Er hat rund 250 E-Mails erhalten, “in denen er bedroht oder beleidigt wird”. Weiter klärt der Artikel auf über die Rolle von “Bild” und RTL. Eine Stellungnahme (von Schulleitung, Schulelternbeirat, Personalrat) ist auf der Website der Schule zu lesen.

2. “Lauterkeit der Recherche”
(presserat.ch)
In einem ausführlichen Bericht behandelt der Schweizer Presserat eine Beschwerde eines Amateurfußballers gegen die Boulevardzeitung “Blick”, in der es unter anderem darum geht, ob die Recherchen auf Facebook korrekt waren oder nicht (Zusammenfassung).

3. “Bewegung im Presserecht”
(faz-community.faz.net/blogs/wort, Joachim Jahn)
Joachim Jahn kommentiert ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem es um die Wort- und Bildberichterstattung über prominente Personen geht. Zu “Promianwälten”, “die die Medien gerne schrotflintenartig verklagen”, schreibt er: “Die Aversion gegenüber der Nennung des eigenen Namens erlischt übrigens auch dann schlagartig, wenn diese Advokaten von wohlmeinenden oder ahnungslosen Journalisten als vermeintlich objektive ‘Experten’ befragt werden, etwa zur (natürlich zu beherzigenden) Unschuldsvermutung für Verdächtige.”

4. “Crazy-Con”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
Peter Mühlbauer porträtiert den US-amerikanischen TV- und Radiomoderator Glenn Beck. “Die hohen Einschaltquoten erklären sich unter anderem daraus, dass Beck unbestreitbar unterhaltsam ist. Und diese Unterhaltsamkeit rührt zu einem großen Teil aus seiner Unberechenbarkeit und aus Tabubrüchen.”

5. “Der Köder muss dem Fisch schmecken: Was denkt Deutschland über 9Live?”
(dwdl.de, Video, 3:38 Minuten)
Daniel Aßmann befragt Fußgänger, was sie von Call-In-Gewinnspielen halten.

6. “Wie intelligent sich Kinder vorkommen (im Vergleich zu den Eltern)”
(graphitti-blog.de, okuhn)

Bild  

“…nur weil ‘Menschenrechte’ verletzt würden”

Zur guten Tradition der “Bild”-Zeitung gehört es, die Erfolge ihrer Kampagnen immer gleich in der Leserbriefspalte zu dokumentieren. Heute geht es dort natürlich um die außerhalb des Blattes umstrittene Sendung “Tatort Internet”, die potentielle Kinderschänder in die Falle lockt und vorgibt, vor den Gefahren von Chaträumen für Kinder zu warnen.

Die Strategie von “Bild”, Kritik an der Sendung zu marginalisieren und Stephanie zu Guttenberg, die in der ersten Folge als Gast auftrat, zu heroisieren, scheint aufgegangen zu sein:

Leser schreiben in BILD / Zu: Stephanie zu Guttenberg entsetzt über Art der Debatte / Ich finde es ganz supertoll, dass Frau zu Guttenberg als einzige Person den Mut gefunden hat, diese Sendung mit ins Leben zu rufen und allen zu zeigen, wie leicht unsere Kinder Kinderschändern ins Netz gehen können. Bitte machen Sie weiter so, Frau zu Guttenberg, und lassen Sie sich nicht von falscher Kritik entmutigen. Man sollte sich fragen, wieso Presserechtler gegen diese Sendung vorgehen? Es geht um den Schutz der Kinder und wenn die Strafen so lasch sind, muss man halt die möglichen Straftaten von Anfang an vereiteln. / BITTE, BITTE helfen Sie alle mit, die Menschen wachzurütteln, helfen Sie Stefanie zu Guttenberg! Es darf nicht sein, dass eine so gute Sache verschwindet, nur weil

Auch am heutigen Dienstag erweckt “Bild” den falschen Eindruck, zu Guttenberg sei an der Produktion der Sendung oder der “Enttarnung” der “Sex-Ekel” beteiligt. Die wachsende Kritik an der Sendung auch von Kinderschützern wird nicht erwähnt.

Wes Brot ich ess, des Brot ich back

Ruth Moschner ist eine deutsche Fernsehmoderatorin, Schauspielerin und Buchautorin, sagt die Wikipedia.

Außerdem ist Frau Moschner Markenbotschafterin für norwegischen Fisch, die Informationsgemeinschaft Deutsches Geflügel, das Bundesprogramm Ökologischer Landbau, das Deutsche Tiefkühlinstitut, die Initiative “Dein vitaler Tag” von Tetra Pak und für Tetra Pak direkt. Ihre Aufgabe dabei ist es, die Produkte ihres jeweiligen Partners prominent ins Bild zu rücken, wenn sie etwa auf Bild.de kocht (BILDblog berichtete).

Neu auf abendzeitung.de: Ruth Moschners Koch-Kolumne

Seit gestern führt Frau Moschner eine “Koch-Kolumne” im Internetangebot der Münchener “Abendzeitung” und schon der erste Teil macht klar, wo die Reise hingehen wird.

Der Kolumnen-Teil liest sich ungefähr so:

Ein Fünf-Gänge-Menü für Freunde kochen? Lächerlich! Zumindest im Vergleich zu den logistischen Herausforderungen, die das Kochen mit Kindern mit sich bringt. Ich spreche aus Erfahrung… Neulich wollte ich mittags meine Freundin und ihre zwei Kids besuchen. Völlig abgehetzt öffnete sie mir die Tür: “Hallo… Bin… gerade… am Kochen… Philipp, Finger weg!”

Aber Moschner, Expertin für Geflügel wie für Tiefkühlprodukte, weiß Abhilfe:

Chicken Nuggets.

Und damit man nicht versehentlich zu den falschen greift, ist das dazugehörige Rezept sehr eindeutig:

 iglo Chicken Cheese Nuggets mit Tomatenreis (...) Tipp: Kann alternativ auch mit den iglo Chicken Nuggets angerichtet werden. Weitere leckere Tipps & Rezepte gibt’s auf www.iglo.de/chicken-initiative und im iglo Chicken Club auf Facebook unter www.facebook.com/iglochickenclub .

Da steht also ein sprachlich leicht verändertes Rezept von Iglo selbst auf abendzeitung.de, garniert mit einem Iglo-Pressefoto und Links zu Iglo, aber einen Hinweis, dass es sich um “Werbung”, eine “Anzeige” oder auch nur eine “Sonderveröffentlichung” handeln könnte, sucht der Leser vergeblich.

Mit Dank an Ben N.

Symbolbill

Bild.de hat eine ganz besondere Entdeckung gemacht:

Eine neue Anwendung (App) für das iPhone misst, wie schön oder hässlich ein Gesicht ist.

“Ugly Meter” heißt die App, die laut Bild.de “ganz sicher eher Party-Spaß als seriöse Anwendung” ist:

Bei mehreren Scans des gleichen Menschen hat die App im BILD.de-Test unterschiedliche Ergebnisse ausgegeben.

Darüber beschweren sich auch die Kunden im deutschen und amerikanischen iTunes-Store und fordern ihr Geld zurück.

Dieses kleine Detail hat Bild.de nicht davon abgehalten, “einige bekannte Prominente” durch das Programm zu jagen und ihren “Hässlichkeits-Wert” zu veröffentlichen. Darunter Iris Berben (9,4 von 10 möglichen Hässlichkeitspunkten), Lena Meyer-Landrut (6,0), Menowin Fröhlich (0,0), Dieter Bohlen (10,0) und …

Die zweite Höchstnote im Test bekommt Bill Kaulitz. Der Sänger von Tokio Hotel schafft wie auch Dieter Bohlen eine glatte 10.0. Kommentar der App "Ugly Meter": "Du bist so hässlich, Leute können sich nur an Halloween so anziehen wie du"

Auch hier übergeht Bild.de ein kleines Detail: Das Foto, das die Redakteure durch das “Ugly Meter” gejagt haben, zeigt gar nicht Bill Kaulitz.

Es zeigt die Komödiantin Martina Hill (“Switch Reloaded”) als Bill Kaulitz. Zu finden z.B. in einer Bildergalerie auf … Bild.de:

Hill als Bill Kaulitz: "Nach der Verwandlung hat mich meine Mutter nicht mehr erkannt!"

Damit steht es zwischen Bild.de und “Switch Reloaded” jetzt 0:2.

Mit Dank an Jörg F.

Nachtrag, 17.25 Uhr: Bei Bild.de ist der komplette Artikel verschwunden.

Guttenberg, Markus Schächter, iPad

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Ich bin Urheber’ – Journalismus frei von Allem”
(gonzosophie.de, Friedhelm Robben)
Friedhelm Robben kritisiert die Faktenarmut von konkreten Artikeln auf “Zeit Online” und “Welt Online”. “Journalismus sollte doch eigentlich dazu da sein, unsere Wahrnehmung und die zugrunde liegenden Fakten zu überprüfen und zwar dahingehend, ob sie deckungsgleich sind.”

2. “Der Reserve-Kanzler und das Medien-Biest”
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
Stefan Winterbauer kommentiert den Medienhype um das Ehepaar Karl Theodor und Stephanie zu Guttenberg: “Als tristes Gegenbild muss dabei stets die Immer-Noch-Kanzlerin Angela Merkel herhalten. Sie hält keine schönen Reden, hat meistens heruntergezogene Mundwinkel und ihr Ehemann hält sich vor den Medien versteckt (was sein gutes Recht und wahrscheinlich keine so dumme Idee ist).”

3. “Der seltsame Fall des iPad”
(nzz.ch/blogs/betablog, Nico Luchsinger)
Nico Luchsinger bemerkt, dass iPad-Apps hauptsächlich bei der Aufbereitung der Inhalte innovativ sind, dagegen ignorieren, dass die Geräte mit dem Web verbunden sind. Es würden “eingezäunte Gärten” geschaffen: “Damit setzen die Inhaltsanbieter auf Besitzstandswahrung; im Freudentaumel darüber, dass es endlich wieder eine Möglichkeit gibt, dass Konsumenten für ihre Inhalte bezahlen, blenden sie die Entwicklungen der letzten Jahre fast komplett aus.”

4. “Reden wie Markus Schächter (5)”
(medienpiraten.tv, Peer Schader)
Eine weitere Folge mit Übersetzungen der blumigen Worte von ZDF-Intendant Markus Schächter.

5. “Türkischstämmiger Deutscher oder ein in Deutschland lebender Türke”
(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Roberto J. De Lapuente kommentiert den Bild.de-Artikel “Wenn aus Türken Deutsche werden…”.

6. “Wie Hitler Deutscher wurde”
(einestages.spiegel.de, Johanna Lutteroth)
“Sieben Jahre lang bemühte sich Adolf Hitler um die deutsche Staatsbürgerschaft – immer wieder scheiterte er am Widerstand demokratischer Institutionen.”

Und täglich grüßt die KFN-Studie

Alles begann, als Familienministerin Kristina Schröder vergangene Woche in einem Interview mit der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” die Frage “Wie weit verbreitet ist das Phänomen Deutschenfeindlichkeit?” so beantwortete:

Es gibt bisher kaum Untersuchungen. Eine jüngste Studie besagt, dass knapp ein Viertel der befragten ausländischen Jugendlichen Deutsche beschimpft und ein Teil davon sogar geschlagen hat, nur weil sie Deutsche sind.

Die jüngste Studie, auf die sich Schröder bezieht, stammt vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) und war bereits im Juni dieses Jahres erschienen. Schon damals berichteten zahlreiche Medien fälschlicherweise, zwischen Religiösität und Gewaltbereitschaft bestünde ein signifikanter Zusammenhang, nachdem die “Süddeutsche Zeitung” KFN-Direktor Christian Pfeiffer verkürzt zitiert hatte (BILDblog berichtete).

Pfeiffer war auch diesmal nicht mit den Schlussfolgerungen aus seiner Studie zufrieden, was er am nächsten Tag dann auch der “Financial Times Deutschland” sagte:

Der Kriminologe aber will (…) kein Kronzeuge sein: “Eine generelle Deutschenfeindlichkeit gibt es nicht”, sagte er FTD.de. (…)

Pfeiffer verweist unter anderem auf einen Teil der Untersuchung, in dem Migranten gefragt wurden, welche Gruppen sie gerne zum Nachbarn hätten. Abgesehen von den eigenen Landsleuten kamen Deutsche dabei fast immer an erster Stelle, auch bei türkischen Befragten. “Niemand liebt die Deutschen so wie die Türken”, glaubt Pfeiffer. Umgekehrt landeten Türken bei den befragten Deutschen aber an letzter Stelle. Aus solchen und anderen Indikatoren folgert Pfeiffer, dass die vermeintliche Deutschenfeindlichkeit vor allem mit Enttäuschung über mangelnde Integration zu tun hat. “Wenn wir ihnen die kalte Schulter zeigen, kriegen wir es richtig zurück.”

Wohlgemerkt, Pfeiffer wiederholte gegenüber der “FTD” eine Erkenntnis, die seit über vier Monaten in der Studie einsehbar ist. Da aber gerade hysterisch über Integration debattiert wird, kam eine Lawine des Unfugs ins Rollen.

Die “Süddeutsche Zeitung” titelte am Dienstag “Türken bei deutschen Jugendlichen unbeliebt” und behauptete:

Die Integrationsdebatte in Deutschland erhält durch eine Umfrage unter deutschen und türkischen Jugendlichen neue Nahrung.

Und auf sueddeutsche.de steht derselbe Artikel unter dieser Überschrift:

Neue Studie: Die unbeliebten Türken

Dass die angeblich “neue Nahrung” aus der vier Monate alten “neuen Studie” stammt, ist der “Süddeutschen Zeitung” nicht aufgefallen, und das obwohl ganze vier Autoren für den Artikel verantwortlich zeichnen.

Die Nachrichtenagentur dapd (auch dpa berichtete) nahm die gar nicht neuen Erkenntnisse, von denen die “Süddeutsche Zeitung” berichtete, in einer besser recherchierten Meldung auf und wies darauf hin, dass die Studie bereits im Juni vorgestellt wurde. Außerdem ergänzte dapd folgendes Ergebnis der Studie:

Das Kriminologische Forschungsinstitut fand bei seiner Befragung auch klare Hinweise auf “Deutschenfeindlichkeit” bei Jugendlichen aus Einwandererfamilien. Von den befragten nichtdeutschen Jugendlichen in Westdeutschland sagte fast ein Viertel (23,7 Prozent), sie hätten schon einmal einen Deutschen beschimpft; 4,7 Prozent sagten, sie hätten schon einmal absichtlich einen Deutschen geschlagen und 2,1 Prozent räumten ein, ein von Deutschen bewohntes Haus beschädigt zu haben.

Die Nachrichtenagentur wies aber auch darauf hin, dass die sogenannte “Deutschenfeindlichkeit” oft auf eigene schlechte Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit zurückzuführen ist:

Diese Feindschaft gegen Deutsche trete allerdings bei gut integrierten türkischen Jugendlichen, die die Realschule oder das Gymnasium besuchten, kaum noch auf, sagte Pfeiffer ergänzend. Zudem gebe es bei “deutschenfeindlichen Delikten” oft einen Zusammenhang zu eigener Erfahrung von Fremdenfeindlichkeit: 41,4 Prozent der Jugendlichen, die selbst schon einen Übergriff erlebt hatten, räumten ein “deutschfeindliches Delikt” ein; von denen ohne “Opfererfahrung” waren es 14,2 Prozent.

Dies wiederum nahmen zahlreiche Medien als Startschuss, selbst zu berichten.

Im “Berliner Kurier” etwa stand am Mittwoch:

Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst der “Islamophobie” – die Angst vor muslimischer Überfremdung. Zwei neue Studien befeuern die aktuelle Debatte: (…) Eine (…) Studie besagt, Türken seien bei jungen Deutschen besonders unbeliebt.

Auch die Angriffe türkischer Jugendlicher auf deutsche Jugendliche tauchen auf, nicht jedoch, dass die meisten “deutschenfeindlichen” Handlungen mit eigener Opfererfahrung im Zusammenhang stehen. So beschwört man tatsächlich das “Gespenst der Islamophobie” und befeuert die “aktuelle Debatte” selbst aktiv.

Noch einseitiger ist ein Artikel auf T-Online.de, in dem die KFN-Studie ebenfalls als “aktuell” bezeichnet wird. Auch hier werden “Jugendliche nichtdeutscher Herkunft”, die angeben, “schon einmal einen Deutschen beschimpft zu haben”, ins Feld geführt, ohne auf die Hintergründe einzugehen.

Am Mittwoch beteiligte sich auch “RP Online” daran, die “Debatte über das Verhältnis zwischen Einheimischen, Zuwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund” anzuheizen:

Eine Jugend-Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen heizt die Debatte über das Verhältnis zwischen Einheimischen, Zuwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund weiter an.

Doch damit nicht genug: Auf der österreichischen Seite nachrichten.at ist genauso von einer “neuen Studie” die Rede, die “den Integrationsstreit in Deutschland weiter anheizt” wie bei Bild.de und “Welt Online”.

Nur dass der Autor des letztgenannten Artikels sogar glaubt, es handele sich um zwei verschiedene KFN-Studien. Er schreibt einerseits über “Neue Erkenntnisse im großen Streitthema Integration”, andererseits berichtet er das:

Im Juni hatte ein Forschungsbericht seines Instituts gezeigt, dass ein Viertel der befragten Nichtdeutschen schon einmal bewusst einen Deutschen beschimpft hatte, 4,7 Prozent hatten schon einmal einen Deutschen geschlagen.

Weder bei “Welt Online”, noch bei Bild.de oder nachrichten.at findet sich ein Hinweis darauf, dass Übergriffe von türkischen Jugendlichen auf Deutsche oft in Zusammenhang mit zuvor erlebter Ausländerfeindlichkeit stehen.

Mindestens genauso weit daneben liegt Thomas Pany von “Telepolis”, der zwar etwas differenzierter berichtet, aber ebenfalls von zwei verschiedenen Studien ausgeht — und das, obwohl er selbst im Juni zwei Artikel darüber verfasst hat.

Dass es auch anders geht, zum Beispiel mit Recherche, zeigt übrigens ein herrlich unaufgeregter Artikel der Onlineausgabe der “Frankfurter Rundschau” mit dem Titel “Gemobbt wird immer die Minderheit”.

Nachtrag, 19. Oktober: Auf “Telepolis” wurde der Fehler inzwischen transparent mit einem Update korrigiert.

Old Before They Die

Die häufigste Todesursache in Deutschland war in den vergangenen Jahren eine Erkrankung des Herz-/Kreislauf-Systems, das hat das statistische Bundesamt heute mitgeteilt.

Bild.de fasst zusammen:

Insgesamt verstarben 2009 in Deutschland 854 544 Menschen, davon 404 969 Männer und 449 575 Frauen. Im Vergleich zu 2008 stieg die Zahl der Todesfälle um 1,2 Prozent. Das durchschnittliche Sterbealter betrug 55 Jahre bei Männern und 58 Jahre bei Frauen.

Ein durchschnittliches Sterbealter, das um mehr als 20 Jahre von der durchschnittlichen Lebenserwartung abweicht, ist einigermaßen unwahrscheinlich. Dafür bräuchte es in der Regel Kriege oder verheerende Naturkatastrophen. Oder eben Bild.de.

Dabei stehen die zitierten Zahlen wirklich in der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes. Nur in einem etwas anderen Kontext:

9 571 Personen schieden im Jahr 2009 freiwillig aus dem Leben. (…) Das durchschnittliche Sterbealter betrug hier 55 Jahre bei Männern und 58 Jahre bei Frauen.

Mit Dank an Heitmeier, Mario S., Hannes Sch. und Nicolaj.

Nachtrag, 19. Oktober: Bild.de hat das mit dem Alter vorsichtshalber ganz aus dem Artikel entfernt.

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