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Alfred Draxlers Intensiv-Kumpanei

Schon bevor DFB-Präsident Wolfgang Niersbach heute am frühen Nachmittag bei einer Pressekonferenz erklärte, es habe rund um die Fußball-WM 2006 keine schwarzen Kassen und keinen Stimmenkauf gegeben, stand für Bild.de fest:

“Nachgehakt” hatte Alfred Draxler, “Bild”-Kolumnist und Chefredakteur der “Sport Bild”. Und er teilte — wie später auch Niersbach — mit, dass es rund um die Fußball-WM 2006 keine schwarzen Kassen und keinen Stimmenkauf gegeben habe.

Sowieso wirkte alles perfekt konzertiert: Um 12:32 Uhr veröffentlicht Bild.de Draxlers Artikel. Eine knappe halbe Stunde später setzt sich Wolfgang Niersbach auf seinen Platz bei der PK in Frankfurt. Er erzählt eine Geschichte, die so klingt, als hätte er sich Draxlers Text noch schnell ausgedruckt, dreimal durchgelesen und würde sie nun in eigenen Worten wiedergeben.

In Kurzform geht Draxlers (und Niersbachs) Begründung für die vom “Spiegel” aufgedeckte 6,7-Millionen-Euro-Überweisung des DFB an die FIFA so: Der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus sei 2002 für das deutsche WM-Organisationskomitee mit umgerechnet 6,7 Millionen Euro eingesprungen. Diese seien als eine Vorauszahlung an die FIFA nötig gewesen, um später “Organisationsunterstützung in Höhe von 250 Millionen Franken” zu bekommen. Das OK habe damals nicht zahlen können, daher die nötige Hilfe durch Louis-Dreyfus. Der habe sein Geld 2004 wiederhaben wollen, woraufhin das OK die Summe 2005 an die FIFA geschickt, und diese die 6,7 Millionen Euro dann an Louis-Dreyfus weitergeleitet habe.

Um so etwas herauszufinden, reicht natürlich keine normale Recherche. Draxler:

Darum habe ich in den vergangenen Tagen eine Intensiv-Recherche angestellt

Dabei sei ihm zugutegekommen …

dass ich handelnde Personen wie Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach, Günter Netzer, Fedor Radmann seit Jahren gut kenne, teilweise sogar sehr gut kenne. Sie haben lange und intensiv mit mir gesprochen.

Das ist für Draxler also eine “Intensiv-Recherche”: “lange und intensiv” mit guten und sehr guten Freunden sprechen; und dann aufschreiben, was die einem erzählt haben. Zum Beispiel dass an den Vorwürfen gegen sie nichts dran ist.

Dass die persönliche Nähe zu seinen Berichterstattungsobjekten als problematisch eingestuft werden könnte, scheint Draxler klar zu sein. Über ein Treffen mit Franz Beckenbauer schreibt er beispielsweise:

Bei der WM 2006, um die es hier geht, bin ich mit Beckenbauer im Hubschrauber zu einem Spiel geflogen. Ich sage dies, weil es teilweise bekannt ist, weil es Fotos gibt

Heißt im Umkehrschluss: Gäbe es diese Fotos nicht, und wäre der Hubschrauberflug nicht bekannt, würde Draxler ihn nicht erwähnen? Jedenfalls bleibt er dabei: “‘Vetternwirtschaft’ oder Beeinflussung” habe er “bei dieser Recherche trotzdem komplett ausgeschlossen”.

Mit dieser Unvoreingenommenheit sei er zu einem klaren Ergebnis gekommen:

Die alles entscheidende Frage aber ist, ob das Sommermärchen 2006 gekauft war. Nach meinen Recherchen war es das nicht! Und es gab auch keine “schwarzen Kassen”.

Danach kommt: nichts. Kein Beleg, kein Beweis. Alfred Draxler postuliert. Er beruft sich einzig auf Aussagen der Beschuldigten und Involvierten. Das ist das Draxler-Prinzip: Wenn Beckenbauer und Niersbach ihm sagen, die Anschuldigungen, die sich gegen sie richten, “seien a Kaas”, dann ist an ihnen auch nichts dran. Alfred Draxler, den an der “Spiegel”-Geschichte vor allem stört, dass dort einfach so Behauptungen aufgestellt würden, stellt einfach so Behauptungen auf.

“Bild”-Chef und “Sport Bild”-Herausgeber Kai Diekmann: begeistert.

Und selbst “Die Zeit” auch “Bild am Sonntag”-Chefin Marion Horn, die den Twitter-Account der “Zeit” für eine Woche übernommen hat, springt Draxler zur Seite:

Der Zuspruch der “Bild”-Chef-Kollegen könnte Alfred Draxler vielleicht etwas beruhigen. Denn er weiß, wie heikel die ganze Geschichte ist:

ICH BIN MIR BEWUSST, DASS ICH MIT DIESEM ARTIKEL MEINE REPUTATION ALS JOURNALIST UND REPORTER AUFS SPIEL SETZE.

Doch, doch, das hat er tatsächlich so geschrieben.

Inzwischen ist bekannt, dass die FIFA und auch ihr derzeit suspendierter Präsident Sepp Blatter Wolfgang Niersbachs Darstellung widersprechen — bei Bild.de eine “Breaking News”:

Dass damit automatisch auch die identische Argumentation ihres Kollegen Alfred Draxler ins Wanken gerät, war der Redaktion keine Erwähnung wert.

Lichterkette, Pirinçci, VfL Bochum

1. Früher war auch mehr Lichterkette: Wie alte Aufnahmen in einen aktuellen „Tagesschau“-Film kamen
(stefan-niggemeier.de)
Am Wochenende sollte sich eine Menschen- und Lichterkette quer durch Berlin ziehen, als Solidaritätsbekundung mit den Flüchtlingen in Deutschland. Statt mehrerer Zehtausend kamen nach Polizeiangaben allerdings “nur sieben– bis achttausend Leute”; die Lichterkette war recht lückenhaft. In einem Beitrag der “Tagesschau” sah es trotzdem nach viel mehr Teilnehmern aus, was vor allem daran lag, dass die Redaktion Bilder einer ähnlichen Aktion von 2003 untermischte. Stefan Niggemeier klärt die Frage: “Wie können in eine aktuelle Nachrichtensendung zwölf Jahre alte Archivaufnahmen rutschen?”

2. “Bild” bei den Facebook-Hetzern
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez und Joachim Huber)
“Der ‘Bild’-Gerichtshof tagt weiter”, schreibt der “Tagesspiegel”: Nach dem “Pranger der Schande” haben “Bild”-Reporter die Facebook-Hetzer zu Hause besucht und nennen diesmal “neben den echten Namen auch noch die Wohnorte. Damit sind die Betroffen sehr leicht zu identifizieren, eine Tatsache, die die ‘Bild’-Leute nicht im Mindesten zu stören scheint.” Der „Bild“-„Pranger“ werde “Hass und Hetze im Netz nicht stoppen”, die Springer-Zeitung müsse sich aber “fragen, zu welchem Klima sie mit ihrer Berichterstattung beiträgt”.

3. 7 Medien, denen Akif Pirinçci nicht menschenverachtend genug war
(schantall-und-scharia.de, Fabian Köhler)
Seit seiner “Pegida”-Rede mit dem KZ-Spruch empören sich die Medien über Akif Pirinçci. “Gut so”, meint Fabian Köhler, allerdings viel zu spät: “Denn menschenverachtend sind die Auftritte und Bücher Pirinçcis schon seit Jahren. Hier sind sieben Medien, denen sie offenbar nicht menschenverachtend genug waren.” Siehe auch unseren Eintrag von gestern.

4. Freie Berichterstattung unmöglich
(freelens.com, Roland Geisheimer)
Ein Jahr rechte Parolen — “Pegida” feierte am Montag Geburtstag. Fotograf Roland Geisheimer hat seit Start der Kundgebungen immer wieder aus Dresden und von Ablegern in anderen Städten berichtet. So schlimm wie am Montagabend war es bisher nie: “Ich bekam Schubse und auch Tritte zu spüren, gepaart mit der Ansage, dass ich mich sofort verpissen solle, wenn ich heil nach Hause kommen wolle.” Geisheimers ernüchterndes Fazit: “Der Artikel 5 Grundgesetz ruht montagabends in der Landeshauptstadt Sachsens.” Dazu auch: “Reporter ohne Grenzen” verurteilt die Angriffe auf Journalisten.

5. Warum der Algorithmus der Retter des Qualitätsjournalismus ist
(journalist.de, Andreas Moring)
Der Medienwissenschaftler Andreas Moring findet die Skepsis vieler Journalisten gegenüber Algorithmen übertrieben. Statt die Medienwelt zu bedrohen, könnten sie den “Qualitätsjournalismus” fördern — denn Leser würden den Unterschied zwischen handgemacht und der Maschine leicht erkennen. Moring analysiert, woher die Ablehnung kommt.

6. Man muss nach vorne denken
(dirkvongehlen.de)
Bochum-Fan Dirk von Gehlen freut sich über die jüngsten Nachrichten von seinem VfL. Erst die Absage an die “Bild”-Aktion “Wir helfen”, dann eine Brandrede des Trainers gegen die Boulevardzeitung, und nun spricht eben jener Gertjan Verbeek im FAZ.net-Interview auch noch darüber, wie Journalisten mit dem Medienwandel umgehen könnten. Nunja, zumindest fast.

Springer gegen “Spiegel”, Gäste bei “Günther Jauch”, Sex-Tipp-Quiz

1. Eine gruselige Allianz
(taz.de, Jürn Kruse)
Die aktuelle Titelgeschichte des “Spiegel” zur angeblichen schwarzen DFB-Kasse wird heftig diskutiert, auch im “Sport1”-Fußballtalk “Doppelpass” und in der “Bild”-Zeitung. Um Aufklärung gehe es dabei aber nur vordergründig, schreibt Jürn Kruse: “Wichtiger ist das Unglaubwürdigmachen der Ausgangsgeschichte und das Reinwaschen der Beschuldigten.” Oliver Fritsch beobachtet ebenfalls, dass sich die Stimmung drehe: “Plötzlich muss der ‘Spiegel’ Fragen zur WM-Vergabe beantworten, nicht der DFB.” Eine gute Übersicht zum neu entflammten “Klassiker unter den deutschen Medienkonflikten” liefert Imre Grimm.

2. 58 Minuten Ratlosigkeit
(sueddeutsche.de, Ulrike Nimz)
AfD-Gründungsmitglied Alexander Gauland, Ex-Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel — und nun auch Björn Höcke, Fraktionschef der AfD in Thüringen. Zumindest eines kann man der Redaktion von “Günther Jauch” nicht vorwerfen: Dass sie einen Bogen um unbequeme Gäste mache oder gar die Meinungsfreiheit unterdrücke. Mit dem Auftritt Höckes am vergangenen Sonntagabend hat sich Jauch allerdings keinen Gefallen getan, da sind sich die Kommentatoren einig. Ulrike Nimz diagnostiziert dem Moderator Hilflosigkeit, der Publizist Christian Nürnberger warnt eindringlich davor, einem “rechtsradikalen Hetzer” wie Höcke eine Bühne zu geben, und Andrea Dernbach glaubt, dass Jauch und sein Team die eingangs gestellte Frage mit der Einladung selbst beantwortet hätten: “Pöbeln, hetzen, drohen — wird der Hass gesellschaftsfähig?” Offensichtlich: ja. Noch mehr Pressestimmen hat Knut Kuckel gesammelt.

3. Extremely Public Relations
(theawl.com, John Herrman, englisch)
Die “New York Times”-Recherche zu den katastrophalen Arbeitsbedingungen bei Amazon war eine der meistbeachtetsten und folgenreichsten Veröffentlichungen des Jahres. Zwei Monate nach dem Erscheinen wirft Amazons Jay Carney (ehemaliger Pressesprecher des Weißen Hauses) der “NYT” schlampige Recherche und fragwürdigen Umgang mit Quellen vor. Vier Stunden später antwortet ihm Dean Banquet, Chefredakteur der so gescholtenen Zeitung — was wiederum Carney nicht auf sich sitzen lassen will und seine Vorwürfe wiederholt. John Herrman nimmt diese eher absurd anmutende Auseinandersetzung als Anlass für einen klugen Text über das Verhältnis von Tech-Konzernen und Medien: Wer besitzt im Zeitalter der Digitalisierung die öffentliche Deutungshoheit?

4. Leuchten LEDs meistens blau und sind LED-Leuchten ökologisch bedenklich?
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Wolfgang Messer ärgert sich über zwei Zitate aus dpa-Berichten zu LEDs. Der Licht-Blogger erklärt, warum die Lampen nicht schlecht für die Augen sind und auch nicht per se ökologisch bedenklicher als normale Glühlampen sein dürften.

5. Wortfindungshilfe der neuen deutschen Medienmacher: Geflüchtete statt Asylanten
(deutschlandfunk.de, Swantje Unterberg, Audio, 3:27 Minuten)
In den Medien liest man häufig vom “Flüchtlingsstrom” oder einer “Flüchtlingswelle”, als rolle eine Naturkatastrophe auf Deutschland zu. Der Verein “Neue deutsche Medienmacher” will dafür sensibilisieren, auch bei diesem Thema genau auf die Sprache zu achten. Das Ziel: “präzise zu formulieren statt irgendeinen Begriff zu nehmen, der einem gerade in den Kopf komme.”

6. Entsorgt (10): What would Cosmo do? Ein Sex-Tipp-Quiz
(kioskforscher.wordpress.com, Markus Böhm)
Markus Böhm forscht wieder am Kiosk, dieses Mal zu Frauen- und Männerzeitschriften mit ihren Universal-Sex-und-Liebesratschlägen. “Beim Lesen mancher Artikel frage ich mich, ob auch nur ein Redaktionsmitglied die Tipps befolgt, die sein Magazin veröffentlicht.” Die Ergebnisse seiner Untersuchung hat er in ein Quiz gepackt.

Strafbare Retweets, literarische Medienkritik, Merkel-Plagiat

1. Hamiltons Sieg in Japan: Alles wie immer – nur die TV-Bilder nicht
(spiegel.de, Karin Sturm)
Sportlich gab es beim Formel-1-Rennen in Suzuka keine Überraschung: Lewis Hamilton gewann zum achten Mal in dieser Saison. Für Verwunderung sorgten aber die TV-Bilder: Das Mercedes-Spitzenduo war kaum zu sehen, stattdessen die Autos aus dem Mittelfeld. Jetzt vermuten manche, es könne sich um eine Strafaktion von Formel-1-Chef Ecclestone handeln, der für die Bildregie verantwortlich ist. René Hofmann kommentiert bei sueddeutsche.de: “Allein der Verdacht, dass es so laufen könnte, beschädigt das Vertrauen in die Darstellung und damit den Wert des Sports.”

2. Journalist landet nach “Dölf”-Tweet vor dem Richter
(nzz.ch, Pascal Hollenstein)
“Privat hier”, “Meinungen sind meine eigenen” und “RT doesn’t mean endorsement”, diese Phrasen gehören zum beliebten Twitter-Bio-Bullshit-Bingo. Zumindest letztere kann man sich künftig sparen: Ein Schweizer Journalist wurde wegen Verleumdung angeklagt — weil er einen beleidigenden Tweet weitervebreitet hatte. Übrigens: Auch das FBI hält Retweets für eine strafbare Meinungsäußerung.

3. Betreutes Recherchieren
(sueddeutsche.de, Korbinian Eisenberger)
“Recherchescout” will Unternehmen mit Journalisten vernetzen. Wer für ein bestimmtes Thema nach einem Experten sucht, findet auf der Plattform Vorschläge für Gesprächspartner. Die Firmen zahlen einen dreistelligen Monatsbeitrag, für die Journalisten ist das Angebot kostenlos. Das “Netzwerk Recherche” kritisiert fehlende Transparenz und meint: “Wer zahlt, erkauft sich Einfluss auf die Berichterstattung.”

4. Medienkritik in der Literatur: Reporterpack
(spiegel.de, Klaus Brinkbäumer)
In den neuen Romanen von Umberto Eco (“Nullnummer”) und Jonathan Franzen (“Unschuld”) geht es um Medien und Journalisten und in beiden Fällen kommen sie nicht besonders gut weg. Eine Doppelrezension von “Spiegel”-Chef Klaus Brinkbäumer. Dazu auch: Umberto Eco im Interview mit “DRadio Kultur” zu den “Schattenseiten der Medien” und im Interview mit der “SZ” zur überraschend simplen Namensgebung bei seinen Protagonisten.

5. The Wall Street Journal, reported.ly, Baltimore Sun and BBC News take home 2015 Online Journalism Awards
(journalists.org)
Die “Online News Association” hat ihre jährlichen Awards verliehen. Eine Übersicht mit allen Gewinnern und reichlich Links zu interessanten und — spätestens jetzt — prämierten Onlineprojekten.

6. EIL: Plagiat in Text von Angela Merkel gefunden
(twitter.com, Moritz Döbler)
Die Liste der (möglichen) Plagiatoren wird länger und länger: Guttenberg, Schavan, von der Leyen. Und jetzt auch noch die Bundeskanzlerin zum Geburtstag des “Tagesspiegel”.

Ein Schubser wie ein Schlag ins Gesicht

Auch wenn der VfL Osnabrück und Preußen Münster in der 3. Liga nicht auf der ganz großen Fußballbühne spielen — bei den Derbys zwischen beiden Vereinen ist immer richtig was los. Pyrotechnik, Stadionverbote, Strafen durch den Verband.

Gestern war es wieder soweit, Preußen Münster kam zum Duell nach Osnabrück. Und erneut ging es hoch her: 2:1-Führungstreffer in der 90. Minute für die Münsteraner. Großer Jubel. In der Nachspielzeit der 2:2-Ausgleich für Osnabrück. Noch größerer Jubel. In all dem Drunter und Drüber läuft auch Tom Merkens aufs Spielfeld. Merkens ist Profi beim VfL Osnabrück, nach einem Knöchelbruch im Derby gegen Preußen Münster vor eineinhalb Jahren aber kaum noch einsatzfähig. Seit der Verletzung und der anschließenden Operationen kam er lediglich auf zwei Kurzeinsätze. Auch gestern sitzt er nur auf der Tribüne.

Merkens läuft also in Jeans und VfL-Jacke aufs Spielfeld, erst zum 2:2-Torschützen, dann zu Münsters Amaury Bischoff. Bischoff war es, der Merkens im März 2014 so hart foulte, dass dessen Knöchel brach. Im Handgemenge gestern geht Amaury Bischoff zu Boden, nachdem Tom Merkens ihn geschubst hat.

“Bild” hat die Situation so interpretiert:

Eklat in der 3. Liga: Direkt nach dem Spiel Osnabrück gegen Münster (2:2) stürmt ein Zuschauer aufs Spielfeld, rennt direkt auf Münsters Spielmacher Amaury Bischoff (28) zu und streckt ihn mit einem Handschlag nieder. […] Der “Amok-Läufer” ist Tom Merkens

Und in der Bildunterschrift heißt es:

Osnabrücks Merkens stürmt in Zivil den Platz und schlägt Münsters Bischoff zu Boden

Der NDR hat das Spiel gestern im Internet live übertragen. Einen Großteil der zusammengeschnittenen Höhepunkte machen die Tumulte am Ende des Spiels aus (ab Minuten 1:50). Und da ist von einem “Handschlag” rein gar nichts zu sehen. Von “Faust-Rache” kann keine Rede sein. Und auch nicht davon, dass Tom Merkens Amaury Bischoff zu Boden schlägt.

Online hat “Bild” den Artikel inzwischen unauffällig entschärft, und auch die Überschrift geändert:

Nur beim “‘Amok-Läufer'” bleibt die Redaktion.

Die Print-Geschichte ließ sich naturgemäß nicht mehr ändern und klingt damit nach wie vor wie ein aufgebauschter Fanbericht aus dem Preußen-Lager. Joachim Schuth, der Autor des Artikels, hat übrigens eine “ganz besondere Leidenschaft”: Preußen Münster.

Mit Dank an Fabian P. und Rüdiger!

Stimmungsbarometer, “Auto Bild”, Todesdrohung vom Kaiser

1. Wechsel auf die wirklich dunkle Seite der Macht
(medienwoche.ch, Carmen Epp)
Wechselt ein Journalist in die PR, ist die Empörung gewiss. Wenn dagegen der Presseausweis durch ein Parteibuch oder ein Abgeordnetenmandat ersetzt wird, ertönt die Kritik ungleich leiser oder bleibt gleich ganz aus. “Ist denn der Gang in die Politik so viel anders als derjenige in die PR?”, fragt sich Carmen Epp — und antwortet: “Ein Journalist, der fortan in aller Öffentlichkeit als Politiker für eine Position einsteht, unterscheidet sich kaum vom Journalisten, der im Auftrag einer PR-Agentur für eine Sache wirbt.”

2. How “mood meters” impact reader responses to online news
(journalistsresource.org, Denise-Marie Ordway, englisch)
Viele Online-Medien, darunter bis vor Kurzem auch Bild.de, bieten ihren Lesern an, per Mausklick ihre Reaktion auf den jeweiligen Artikel auszudrücken. Das führt bisweilen zu bizarren Situationen, wenn etwa Hunderte Leser über ein brennendes Flüchtlingsheim “Lachen”. Überhaupt scheinen die “Mood Meters” keine allzu gute Idee zu sein, wie eine Studie herausgefunden hat: Ohne Stimmungs-Buttons erinnern sich die Leser besser an die Inhalte des Textes, empfinden mehr Emotionen und haben nach dem Lesen ein besseres Gefühl.

3. Sport Bild Watch
(der-letzte-zehner.de, Cihan Acar)
Cihan Acar pflegte früher ein inniges Verhältnis zur “Sport Bild”. Dann war lange Pause, doch jetzt wärmte er die Beziehung noch einmal auf: “Diese Woche strahlte sie mich dann beim Vorübergehen an einem Kiosk an, und ich griff spontan zu. Das lag vor allem an Neugier: Ist Sport Bild in der Zwischenzeit vielleicht etwas zur Vernunft gekommen? Hat sie sich in all den Jahren gemäßigt, oder poltert und hetzt und verdreht sie Tatsachen wie damals?” Achtung, Spoiler: Es hat sich nicht viel getan.

4. Atemlos bei Auto-Bild
(1300ccm.de, Tom Schwede)
Das Arbeiten als Journalist bei “Auto Bild” ist kein leichtes, vor allem seit diese Blogger auch über PS-Neuvorstellungen schreiben: Da muss man bei der IAA erstmal “vier Leute wegschubsen” und dann auch noch den “Blogger mit dem Handy ausbremsen”, bis man zum neuen Alfa Romeo vorgedrungen ist. Tom Schwede, auch so ein Blogger, ärgert sich über einen “Auto Bild”-Artikel, genau wie die Seite “Fredericken”. Zu den Spannungen zwischen Autojournalisten und Autobloggern hat auch “bigblogg” etwas aufgeschrieben.

5. “Dann wäre er jetzt schon tot!”
(11freunde.de, Tobias Zwior)
Bei der Fußballweltmeisterschaft 1986 in Mexiko drohte Franz Beckenbauer vor laufenden ZDF-Kameras einem Journalisten mit dem Tod: Miguel Hirsch erzählt im Interview, wie ein einziger Nebensatz in einem seiner Artikel sein Leben in Gefahr brachte und was die “Bild”-Zeitung damit zu tun hatte.

6. Der Stand der Flüchtlingskrise im Überblick
(nzz.ch, Nina Belz, Ivo Mijnssen und Benjamin Schudel)
Die “NZZ” hat — inspiriert von der “New York Times” — ein Dossier zur Lage der Refugees in Europa erstellt. Vorangestellt ist eine interaktive Grafik, die zeigt, wie viele Asylanträge in jedem europäischen Land gestellt werden — allerdings nicht in absoluten Zahlen, sondern gemessen an der Bevölkerung des jeweiligen Staates. Dadurch relativiert sich die vermeintlich überproportionale Belastung Deutschlands. Einen ähnlichen Vergleich gibt es bei “Vox”: Während auf 1000 Einwohner in Deutschland 2,6 Refugees kommen, sind es im Libanon 232.

“Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße?”

Der VfL Bochum ist Tabellenführer in der 2. Fußballbundesliga. Nun sind gerade einmal sieben von 34 Spieltagen absolviert, aber laut Ruhrgebiets-“Bild” und Bild.de steht das Saisonziel für VfL-Trainer Gertjan Verbeek schon fest:

Klartext nach 1:1 gegen Fortuna. Verbeek spricht vom Meister-Titel!

Im Interview mit SPORT1 stellte der Holländer bereits klar: “Wir sind angetreten, um Meister zu werden!”

Hoppla! Der ehrgeizige Coach legt die Latte selbst hoch, sagt weiter: “Die Ambition muss immer sein: Raus aus der 2. Liga und aufsteigen in die Bundesliga. Aber das wird schwer.”

Morgen steht bereits das nächste Spiel auf dem Programm, die Bochumer treten in Bielefeld an. Daher gab es heute beim VfL die übliche Vor-dem-Spiel-Pressekonferenz. Großes Thema dort: die “Bild”-Schlagzeile und Verbeeks vermeintlicher Titeltraum.

Ein Reporter der “Ruhr Nachrichten” fragt:

Herr Verbeek, ich habe gelesen und gehört, dass Sie den Meistertitel jetzt als Ziel ausgegeben haben. Ist das so?

Gertjan Verbeek ist offenbar klar, wo der Reporter das gelesen hat. Er antwortet:

Das ist so unglaublich kindisch von “Bild”, immer wieder so zu schreiben. […] Die Ambition hier beim VfL ist, den Aufstieg zu machen. Das kann man erreichen, um Meister zu werden, Zweiter zu werden oder Dritter zu werden. Und wir wollen kein Ziel ausgeben. Und das ärgert die “Bild”. Und darum schreiben sie so. Weil ich habe nicht gesagt, dass wir Meister werden. Jeder sieht, dass wir die Qualität nicht haben, um Meister zu werden in der 2. Liga. […] Also was wollt ihr, “Bild”?

Ein Zwischenruf, vermutlich vom anwesenden “Bild”-Reporter:

Nö, gar nichts.

Dann wieder Verbeek:

Nee. Warum schreibt ihr dann immer solche Scheiße? Warum spielt ihr immer zwei Parteien gegeneinander aus? Selbst mit Flüchtlingen dazwischen. Ihr seid ja Arschlocher. Das seid ihr.

Wieder ein schwer zu verstehender Zwischenruf, irgendwas mit:

Das geht an die Berliner Adresse. Den Schuh zieh’ ich mir nicht an.

Darauf Verbeek:

Du arbeitest für “Bild”, oder nicht? Du sitzt hier für “Bild”. Und du schreibst immer falsch. Ja, ja, ja, ja, ja. Jetzt sind auch die Fans schon. Du bist unglaublich, immer wieder. Immer wieder willst du gerne zwei Parteien haben, die gegenüber einander stehen. Immer. Und ihr lügt auch noch. Das ist die “Bild”.

Zwischenfrage:

Hat “Sport 1” gelogen? Das steht auf der Homepage.

Verbeek:

Ja, dasselbe. Hör mal zu, was ich vor der Kamera gesagt habe. Die Ambition des VfL ist, Aufstieg zu machen. […] Man muss die Ambition haben, und das erkläre ich dir noch mal, schlechten Lehrlingen muss man immer viele Male dasselbe gesagt haben: Wir wollen gerne den Aufstieg machen. Wir haben die Ambition, den Aufstieg zu machen. Aber das Ziel ist nicht, den Aufstieg zu machen. Das ist ganz was anderes.

Die Pressekonferenz widmet sich anschließend einem Definitionsversuch der Worte Ambition und Ziel, bis die Themen Aufsichtsratssitzung und eine dort mögliche Vertragsverlängerung angesprochen werden. Und auch da ist Gertjan Verbeek nicht glücklich — mit der Berichterstattung im Allgemeinen und konkret mit der von “Bild”:

Ich verstehe nicht, dass ihr wisst, was besprochen wird, weil ich das selber noch gar nicht weiß. […] Es ist mir sehr fremd, dass ihr wisst, dass es heute Abend um meine Kontraktverlängerung geht. Ich habe gerade verlängert, im Mai habe ich gesagt, ich bleibe noch ein Jahr. Und jetzt sind wir vier Monate weiter und ich muss wieder reden über eine Verlängerung von meinem Kontrakt? Das hat “Bild” auch schon geschrieben. Das war letzte Saison im Mai. Haben die auch wieder falsch.

So langsam beruhigt sich die Lage. Es werden noch ein paar Personalien für das anstehende Spiel in Bielefeld besprochen. Dann aber doch noch einmal Gertjan Verbeek:

Und dann noch eine falsche Aussage: Letztes Mal war Piotr Cwielong nicht dabei, weil ich ihn nicht in den Kader gestellt habe, er war verletzt. Also kann er nicht im Kader sein. […] Der Trainer konnte ihn nicht fragen und er war verletzt. “Bild”, schreibst du mit?

Antwort vom “Bild”-Reporter:

Hier hat gerade eine Legende angerufen. Das war wichtiger.

Verbeek:

Ja, das ist wichtiger, natürlich. Wir können auch ohne Pressekonferenz, ohne “Bild”.

Hier die gesamte Pressekonferenz (um “Bild” geht’s ab Minute 2:20):

Mit Dank an Christian H. und Matthias S.

Nachtrag, 22. September, 13:47 Uhr: Der Vorstand des VfL Bochum hat sich heute in einer Stellungnahme zu den Aussagen von Trainer Gertjan Verbeek geäußert: “Fußball lebt von Emotionen, die manchmal in Aussagen gipfeln, die zwar Anklang und Nachhall finden, zuweilen in der Tonalität aber daneben liegen.” Man habe mit Verbeek gesprochen, der sich für die Kraftausdrücke entschuldige. Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht sagen allerdings auch:

Die Kernaussagen bleiben davon aber unberührt und in dieser Sache hat Gertjan Verbeek unserer Meinung nach vollkommen Recht

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (3)

Dass Fans des Hamburger SV dem FC St. Pauli Respekt zollen und sich wünschen, ihr Verein würde genauso handeln wie der Kiezklub, kommt nicht häufig vor. Auch nicht, dass Anhänger des FC Schalke 04 und von Borussia Dortmund voller Neid auf die kleineren Nachbarn VfL Bochum und MSV Duisburg schauen. “Bild”-Chef Kai Diekmann hat mit seinen zwei Pöbeltweets zu St. Paulis Entscheidung, sich nicht als Werbetransmitter der “Wir helfen”-Aktion benutzen zu lassen, also das geschafft, was sonst nur Reizthemen wie Stadionverbote oder zu hohe Ticketpreise schaffen: Er hat Fans vereint, die sich sonst nicht besonders leiden können, mitunter sogar regelrecht bekriegen.

Es waren nämlich vor allem die Anhänger der deutschen Fußballvereine, die seit Mittwoch mächtig mobil machten. Fangruppen forderten die Vereinsbosse in offenen Briefen auf, sich der “Bild”-Hermes-DFL-Werbekampagne zu verweigern. Viele Fans haben bei Twitter das Hashtag #BILDnotwelcome tagelang in den sogenannten Trending Topics gehalten. Manche von ihnen kündigten dabei recht drastische Maßnahmen an.

Und ihr Protest hatte Wirkung: Bis zum Ende des vergangenen Spieltags in der 1. und 2. Bundesliga hatten sich zehn Vereine dem FC St. Pauli angeschlossen. Manche verzichteten ebenfalls komplett auf das “Wir helfen”-Logo, andere klebten nur das darin beinhaltete “Bild”-Logo ab; alle elf spielen in der 2. Liga, damit gab es lediglich sieben Zweitligisten, die sich der “Bild”-Aktion komplett angeschlossen haben. In der 1. Liga waren es alle 18 Klubs.

Unabhängig davon, ob ihr Verein mit oder ohne “Wir helfen”-Aufnäher auf dem Spielfeld stand, haben viele Fangruppen ihren Protest aus dem Internet auf die Stadionränge getragen. In Nürnberg zum Beispiel …



(Danke an @Ilja_FCN)

… oder in Paderborn durch die Gästefans aus Karlsruhe …


(Danke an @Doering_Stefan)

… oder beim SC Freiburg, wo die Heimfans Transparente mit “Refugees welcome — Bild nicht” und “Erst die Hetze angefacht — wird’s mit Fußball wieder gut gemacht?” hochhielten …



(Danke an Fotografin Friederike Bauer und @HulaLena)

… oder in Darmstadt …


(Danke an @DaTagblatt-Fotograf Arthur Schönbein)

… oder in Köln …


(Danke an @Lollipop2701 und die #SektionTwitter)

… oder in Mainz …



(Danke an @ne_ratte)

… oder in München, wo die 1860-Fans “Scheinheiligkeit und Doppelmoral als PR-Strategie — das bringt nur Blöd #BILDnotwelcome” aufs Banner schrieben …


(Danke an @Komissarov95)

… oder in Bremen durch die Gäste aus Ingolstadt …


(Danke an fuba tour)

… oder in Stuttgart …




(Danke an die Cannstatter Kurve)

… oder auf beiden Seiten beim Spiel zwischen dem VfL Bochum und Fortuna Düsseldorf …


(Danke an @mistadangee)



(Danke an turus)

… oder in Wolfsburg durch die Fans von Hertha BSC Berlin …


(Danke an La Familia)

… oder bei der Partie Union Berlin gegen Greuther Fürth von beiden Fanlagern …



(Danke an @NN_Online-Redakteur @chribenesch)

… oder mit Stickern beim BVB:


(Danke an @Doering_Stefan)

In Dortmund gab es bereits beim Spiel in der Europa League am Donnerstagabend Proteste gegen “Bild”. Die Fans auf der legendären Südtribüne hatten zahlreiche Banner gespannt:





(Danke an @schwatzgelbde)

Damit stellten sich genau die Fans mit Zitaten aus der neuen “Bild”-Imagekampagne gegen das Blatt, die noch vor wenigen Tagen von “Bild” für die neue Imagekampagne instrumentalisiert wurden:

Nun liest man derzeit immer wieder, dass Kai Diekmann genau das wollte: Aufmerksamkeit, für sich, für “Bild”, für die “Wir helfen”-Aktion.

Klar, mit seiner Twitterei zum FC St. Pauli dürfte er genau darauf ausgewesen sein. Jedenfalls wären so seine unsinnig-steilen Thesen zum Kiezklub zu erklären (weitere Erklärungsversuche: Warnschuss für mögliche Wackelkandidaten, bloß nicht auch noch abzuspringen; spezielles Weltbild: Wer nicht mit “Bild” kooperiert, kann nicht ganz sauber sein). Aber dieses Mal scheint der Aufmerksamkeitsprofi Diekmann die Folgen falsch eingeschätzt zu haben. Die Heftigkeit und die Vielfältigkeit der Reaktionen dürften auch für ihn überraschend gewesen sein. Unzählige Medien berichteten, kleinere Blogs, die großen Onlineportale, selbst die “Tagesthemen”. Und bei so gut wie allen Beiträgen konnte man das Unverständnis über die Äußerungen des “Bild”-Chefs herauslesen und -hören. In Interviews durften Sprecher von Faninitiativen ihren Ärger darüber äußern, dass ihr Verein möglicherweise mit Diekmanns Blatt paktiert, und sich über den scheinheiligen Wandel der “Bild” beim Thema Flüchtlinge auslassen.

Der sonst so tweetselige Diekmann wurde in der Folge auffallend still und twitterte stundenlang überhaupt nichts. Auch dem “Spiegel” wollte er nichts sagen. Gut möglich, dass er mit nur zwei Kurznachrichten eine ganze Menge zerstört hat — nicht nur beim Verhältnis zu den Fußballvereinen, sondern auch am mühsam aufgebauten Image der freundlichen “Bild”.

Damit sich der Schaden einigermaßen in Grenzen hält, schwenkte die Redaktion in ihrer Berichterstattung schnell um: Während sie am Donnerstag noch vorwurfsvoll-beleidigt meldete

… war sie bereits einen Tag später ganz handzahm und einsichtig:


Wir helfen — das haben alle Vereine bereits vorher schon mit zahlreichen Aktionen und Projekten bewiesen. Die Bundesliga ist Meister im Helfen. […] Beispiel St. Pauli: Sach- und Geldspenden des Vereins, seiner Mitarbeiter und Fans. Aktionen beim Test gegen Dortmund. Die Warmmach-T-Shirts und Refugees-Welcome-Banner werden versteigert. Profis besuchen Flüchtlingslager. Es gibt Trainingsangebote für die Kinder.

Nur zur Erinnerung: Das schreibt das Blatt, dessen Chefredakteur zwei Tag zuvor noch polterte, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”, und den Verein in die Nähe der AfD rückte.

Wie heuchlerisch dieser neue “Bild”-Ton vom Freitag ist, zeigt auch ein Blick in die anderen Regionalausgaben:

Einen Tag später, als bei einigen Klubs noch nicht endgültig feststand, ob sie sich an der “Wir helfen”-Kampagne beteiligen oder nicht, ging das Gutwettermachen auf der Titelseite weiter:

Und das Erstligaduell am Freitagabend zwischen dem FSV Mainz 05 und der TSG Hoffenheim nutzte die Redaktion für ihre Samstagsausgabe so:

Also alles wie gehabt: Die Bundesliga steht im Mittelpunkt, genauso die “Bild” selbst mit ihrer “Wir helfen”-Aktion. Die Flüchtlinge, um die es eigentlich gehen soll, bleiben eine Randerscheinung.

Eine Überraschung gab es dann aber doch noch: Die “Bild am Sonntag” titelte im Sportteil mit Blick auf die Spiele in Liga eins und zwei:

Dabei klopfte sie ganz sicher auch sich selbst und ihrem Schwesterblatt auf die Schultern. Aber immerhin: Die Flüchtlinge haben es in die Überschrift geschafft.

Damit war heute allerdings direkt wieder Schluss, als Kai Diekmann das redaktionelle Sagen zurück hatte — bei “Bild am Sonntag” ist er lediglich Herausgeber –, und seine “Wir helfen”-Aktion wieder die wichtigste Rolle in diesem Schmierentheater bekam:

Mit Dank an alle Fotografen für die Bilder aus den Stadien!

Nachtrag, 22. September, 13:29 Uhr: Auch die Fans des FC Schalke 04 haben sich am Wochenende per Banner zur “Bild”-Aktion geäußert …


(Danke an die Cannstatter Kurve)

… genauso wie die des 1. FC Kaiserslautern.

Mit Dank an Johannes S. für den Link.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein (2)

Gestern wurde bekannt, dass die Fußballer des FC St. Pauli am kommenden Wochenende bei der “Bild”-Aktion “Wir helfen” nicht mitmachen werden. Damit war der Verein der erste der 36 Erst- und Zweitligisten, der beim “Bild”-Hermes-DFL-Theater nicht mitspielt. (Inzwischen hat sich der 1. FC Union Berlin den Hamburgern angeschlossen, genauso der SC Freiburg, der VfL Bochum, der MSV Duisburg, die SpVgg Greuther Fürth, der 1. FC Kaiserslautern, Eintracht Braunschweig, der TSV 1860 München und Fortuna Düsseldorf teilweise und womöglich auch der 1. FC Nürnberg.)*

“Bild”-Chef Kai Diekmann polterte daraufhin bei Twitter los, behauptete, am Millerntor seien “#refugeesnotwelcome”, und rückte den Verein in die Nähe der AfD. Seine “Bild”-Kumpels fanden das gut, viele andere eher nicht. Im Blog des DJV schreibt Hendrik Zörner heute, Diekmanns Verhalten sei “eine ausgemachte Sauerei”, und fordert ihn auf, Flüchtlinge nicht zu instrumentalisieren. Und selbst der Kai-Diekmann-Fanklub “Meedia” spricht von “offenkundig ungerechtfertigten Vorwürfe[n]” in Richtung FC St. Pauli.

Wie falsch der “Bild”-Chef mit seinem Angriff liegt, zeigt ein Blick in seine eigene Zeitung. Die Hamburg-Ausgabe berichtete am vorletzten Mittwoch, nach St. Paulis Freundschaftsspiel gegen den BVB, das der Klub unter das Motto “Refugees welcome” gestellt hatte, so:

Und auch Bild.de erkannte, dass beim FC St. Pauli “REFUGEES WELCOME” sind:

Immerhin: In der heutigen Printausgabe gibt es nicht den großen publizistischen Gegenschlag der “Bild”. Zur Weigerung des FC St. Pauli findet man lediglich eine kleine Überschrift …

… und diese vier Sätze:

Schade nur, dass einer der 36 Klubs aus der Solidaritäts-Aktion ausschert.

Der FC St. Pauli macht nicht mit bei „Wir helfen“ und wird stattdessen mit den normalen Firmenzeichen des Logistik-Unternehmens spielen. Das teilte der Hamburger Zweitligist den Beteiligten mit. Man tue schon genug für Flüchtlinge.

Der letzte Satz lässt sich allerdings als eine ziemlich böse Interpretation dessen verstehen, was St. Paulis kaufmännischer Geschäftsleiter Andreas Rettig gestern zu Diekmanns Vorwürfen sagte:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. […] Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen.

“Bild” macht daraus eine beleidigt klingende Absage, als wollte Rettig sagen: “Irgendwann ist auch mal gut hier mit der ganzen Hilfe für diese Flüchtlinge.”

Im Gegensatz zu dieser vermeintlichen Haltung steht für die “Bild”-Leute ihre “Wir helfen”-Aktion. Doch wohlgemerkt: Wofür sich das Blatt (und auch die Deutsche Fußball Liga) seit Tagen feiert, ist nicht etwa die komplette Umbenennung des Bundesligaspieltags oder der Verzicht aller Trikot-Hauptsponsoren zugunsten eines großen “Refugees welcome”-Schriftzugs auf der Brust der Mannschaften (wie zum Beispiel beim Zweitligisten MSV Duisburg), sondern ein ein paar Quadratzentimeter großer Badge, bei dem optisch diejenigen im Mittelpunkt stehen, die helfen, und die Flüchtlinge wortwörtlich zur Randerscheinung werden.

Schon möglich, dass am Wochenende einige Fußballfans vor dem Fernseher sitzen, den Aufnäher sehen und denken werden: “Boah, toll, was mein Verein und die ‘Bild’ und Hermes und die Bundesliga so für Flüchtlinge machen.” Spätestens dann ist Kai Diekmanns Werbeplan aufgegangen.

Mit Dank an Michael P.

*Nachtrag, 19:41 Uhr: Nicht nur der 1. FC Union Berlin schließt sich dem FC St. Pauli an, sondern mindestens zwei weitere Zweitligaklubs: der SC Freiburg und der VfL Bochum.

Die Freiburger schreiben:

Für uns ist klar, dass es vor allem das glaubwürdige Engagement vieler lokaler Initiativen ist, das Flüchtlingen jetzt in enger Absprache mit örtlichen Behörden und überregionalen Hilfswerken ganz konkret hilft. Wir haben uns entschieden, morgen ohne den veränderten Ärmel-Aufnäher „Wir helfen” gegen die Bielefelder Arminia auf den Platz zu gehen.

Und beim VfL Bochum heißt es von Seiten des Vorstands:

Die VfL-Vorstände Christian Hochstätter und Wilken Engelbracht erklären hierzu: „Gegen Engagement ist nichts einzuwenden, im Gegenteil: Der VfL Bochum 1848 begrüßt sämtliche Hilfsmaßnahmen, die in Not geratene Menschen unterstützen. Wenn es also um die Sache gegangen wäre, wären wir kompromissbereit gewesen und hätten eine Aktion, die von der BILD mitgetragen wird, unterstützt. Allerdings hat uns die scharfe Reaktion seitens der BILD-Chefredaktion ob der Absage eines anderen Clubs an die Aktion dazu gebracht, sich mit diesem Verein solidarisch zu zeigen. Es darf unserer Ansicht nach nicht sein, dass jemand einem Verein die Solidarität mit Flüchtlingen abspricht, nur weil dieser nicht bereit ist, eine u.a. von der BILD initiierte Aktion zu unterstützen.

Ähnlich argumentiert auch ein fünfter Zweitligist, der 1. FC Nürnberg. Aus der Vereinsmitteilung wird unserer Meinung nach allerdings nicht zu 100 Prozent klar, ob die Mannschaft nun mit oder ohne “Wr helfen”-Aufnäher spielen wird:

Der 1. FC Nürnberg begrüßt die ligaweite Aktion für Flüchtlinge. Sie ist sinnvoll und unterstützenswert. Weil der 1. FC Nürnberg aber den Umgang mit den Vereinen, die an der freiwilligen Aktion nicht teilnehmen, für unangebracht hält, wird der Club auf eine besondere Promotion des Medienpartners verzichten.

Damit haben schon mal die drei aktuell besten Vereine der 2. Bundesliga der “Bild”-Werbeaktion abgesagt. Was noch fehlt ist der erste Erstligist. Ein bisschen Zeit ist ja aber noch.

Nachtrag, 18. September, 11:15 Uhr: Der Zweitligist MSV Duisburg sagt mit Blick auf die eigenen geplanten Aktionen der “Bild” ebenfalls ab:

Wir Zebras möchten den Einsatz der Menschen in Duisburg, unserer Fans und des Vereins für Flüchtlinge in den Vordergrund stellen. Angesichts der tief entbrannten und kontrovers geführten Diskussion um die Aktion “Wir helfen” befürchten wir einen Schatten über die von uns vorbereiteten Aktionen am Sonntag und in den kommenden Wochen. Das wollen wir vermeiden, deshalb verzichten wir auf das angebotene Aktions-Badge auf dem Trikotärmel.

Nachtrag, 17:26 Uhr: Im morgigen Zweitligaspiel zwischen dem TSV 1860 München und dem 1. FC Kaiserslautern wird kein “Bild” auf den Trikots zu sehen geben. 1860 wird zwar mit dem “Wir helfen”-Badge auf dem Ärmel auflaufen, aber das “Bild”-Logo mit einem weißen Herz überkleben. Kaiserslautern verzichtet komplett auf den Werbeaufnäher:

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen mussten die Verantwortlichen des FCK feststellen, dass es in dieser Sache inzwischen leider nicht mehr um das Thema Hilfe für Flüchtlinge geht, sondern nur noch um die Haltung der Vereine zu einzelnen Medien. Daher hat sich der 1. FC Kaiserslautern nun entschlossen, nicht wie ursprünglich geplant mit dem entsprechenden Badge, sondern mit dem klassischen Logo des Partners Hermes aufzulaufen. Der FCK reagiert damit auf die Tatsache, dass durch die öffentliche Diskussion die eigentliche Botschaft in den Hintergrund gerückt ist.

Nachtrag, 18:56 Uhr: Fortuna Düsseldorf macht es wie 1860 München und klebt das “Bild”-Logo ab:

Damit ist auch das Spiel zwischen dem VfL Bochum und der Fortuna frei von “Bild”-Werbung auf den Trikots der Mannschaften.

Nachtrag, 19. September, 00:11 Uhr: Die “Braunschweiger Zeitung” meldet, dass Eintracht Braunschweig ebenfalls nicht an der “Wir helfen”-Aktion teilnehmen wird, und zitiert Eintracht-Präsident Sebastian Ebel:

“Im Vordergrund stehen die Motive und was Vereine für Flüchtlinge tun. Das sollte bewertet werden”, sagte Eintracht-Präsident Sebastian Ebel.

Nachtrag, 20. September, 14:59 Uhr: Zweitligist Greuther Fürth ist beim Auswärtsspiel bei Union Berlin — etwas überraschend — ohne die “Wir helfen”-Werbung der “Bild” aufgelaufen. Eine Anküdigung des Vereins gab es im Vorfeld nicht.

Wer nicht für “Bild” werben will, muss gegen Flüchtlinge sein

Auf die Frage, wie man Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen kann, hat Kai Diekmann eine ziemlich klare Antwort: Man schließt sich der “Bild”-Kampagne “Wir helfen” an. Derjenige, der das nicht tut, kann im Diekmann’schen Umkehrschluss nur gegen Flüchtlinge sein:

Hintergrund ist der kommende Spieltag in der ersten und zweiten Fußballbundesliga. Normalerweise laufen die 36 Profiklubs mit einem Hermes-Werbeaufnäher auf dem Trikotärmel auf. Dieses Wochenende wird stattdessen das “Wir helfen”-Logo der “Bild” hundertfach zu sehen sein. Für diesen werbetechnischen Coup beweihräuchern sich Diekmann und seine Mitarbeiter fleißig selbst, Hermes-Chef Hanjo Schneider bekam heute als Lohn den Titel “Gewinner des Tages” in der “Bild”-Zeitung verliehen.

Nur der FC St. Pauli, als Zweitligist ebenfalls betroffen von der Hermes-“Bild”-Bundesliga-Kooperation, will bei dem ganzen Bohei laut Bild.de nicht mitmachen.

Auf dieser Verweigerung basiert nun offenbar Kai Diekmanns steile Twitterthese, beim FC St. Pauli seien “#refugeesnotwelcome”. Gerade dem Kiezklub aus Hamburg vorzuwerfen, sie würden Flüchtlinge nicht willkommen heißen, ist selbst für Diekmannverhältnisse ausgesprochen dreist.

Fans des FC St. Pauli standen schon mit “Refugees welcome”-Aufnähern und -Transparenten im Stadion, als “Bild” und Bild.de noch gegen Ausländer und Asylbewerber zündelten. Und auch der Verein ist aktiv. Nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit: Das Freundschaftsspiel vor rund einer Woche gegen den BVB stand unter dem Motto “Refugees welcome”, der Verein lud dazu 1000 Flüchtlinge ins Millerntor ein; und vor der Zweitligapartie am Montag sammelte der Klub Hygieneartikel für Geflüchtete. Über das Engagement hat vor Kurzem erst die “New York Times” berichtet.

Für Kai Diekmann reicht das alles anscheinend nicht. Solidarität mit Flüchtlingen bedeutet für ihn, sich seinem Blatt zu beugen.

Mit Dank an all die Hinweisgeber!

Nachtrag, 15:50 Uhr: Inzwischen hat sich auch der FC St. Pauli geäußert. Man wundere sich, “dass das vertrauliche Schreiben an die Bild-Zeitung von dieser genutzt wurde, die Absage des FC St. Pauli negativ in der Öffentlichkeit darzustellen.” Der kaufmännische Geschäftsleiter Andreas Rettig zu den Vorwürfen der “Bild”:

Der FC St. Pauli ist seit vielen Wochen auf verschiedenen Ebenen zu einem Thema, das seit Monaten alle emotional bewegt, aktiv, um den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, zu helfen. Unser Testspiel gegen Borussia Dortmund, das private Engagement unserer Spieler sowie verschiedenste Aktionen unserer Fans und Abteilungen für die Flüchtlinge in Hamburg sind Beleg dafür. Daher sehen wir für uns nicht die Notwendigkeit, an der geplanten, für alle Clubs freiwilligen Aktion der DFL teilzunehmen. Hierüber haben wir vorab alle Beteiligten informiert. Der FC St. Pauli steht für eine Willkommenskultur und wir handeln damit auf eine Art und Weise, die unseren Club schon seit Jahrzehnten ausmacht. Wir leisten ganz praktische und direkte Hilfe dort, wo sie gebraucht wird.

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