ZDF, Stuttgarter Zeitung, Brigitte Nielsen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Bescheidwisser”
(peter-schumacher.net)
Peter Schumacher liest “Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus” von Wolf Schneider und Paul-Josef Raue. “Der Bescheidwisser-Ton der beiden ist im neuen Kapitel Online-Journalismus noch mal eine Spur nerviger als in den alten Auflagen zu den alten Themen. In Anbetracht des Wandels im Journalismus sind vermeintliche Wahrheiten dieser Art ähnlich wie Bauernregeln: Man weiß zwar nicht, warum es um einen herum stürmt, zimmert sich aber ein paar Glaubensätze, die nicht immer eine innere Logik haben müssen. Und der Jungbauer staunt.” Siehe dazu auch “Schneider&Raue: Wenn Blinde über Farbe schreiben” (blog-cj.de, Christian Jakubetz) und “Steinzeitansichten über Zukunfts-Journalismus” (medialdigital.de, Ulrike Langer).

2. “ZDF-Mitarbeiter fordern: ‘Freiheit für das Zweite!'”
(carta.info)
“Carta” dokumentiert einen Brief von ZDF-Mitarbeitern: “Die Verhältnisse, die beim ORF den Protest auslösten, lassen sich ‘eins zu eins’ auf das ZDF übertragen. Auch hier gibt es politische Einflussnahme und eine übergroße Nähe mancher Journalisten zur Politik (allein zwei ZDFler wurden als Kandidaten für Sprecher-Posten in der Bundesregierung genannt – einer ist es ja dann geworden).”

3. “Twitter verbessert sich und alle schreien ‘Zensur'”
(zapp.blog.ndr.de, Daniel Bröckerhoff)
Daniel Bröckerhoff reagiert auf empörte Stimmen zum (inzwischen erweiterten) Blogeintrag “Tweets still must flow” (blog.twitter.com).

4. “In dubio pro Video”
(dradio.de, Nikolaus Steiner)
Michael Wegener erklärt, wie bei der “Tagesschau” die Echtheit von Videos geprüft wird: 1. Redaktionelle Verifikation, 2. Quellenverifikation, 3. Abgleich mit Experten, 4. Technische Verifikation.

5. “‘Stuttgarter Zeitung’ meldet Merkel-Rücktritt”
(spiegel.de)
In der Onlineausgabe der “Stuttgarter Zeitung” war am Freitagmittag während einiger Minuten ein fiktiver Text mit der Überschrift “Merkel tritt zurück” zu lesen. Die Redaktion bittet, “dieses Versehen zu entschuldigen”.

6. “Die Offenbarung des Schokokeksriegels”
(taz.de, Daniela Zinser)
Daniela Zinser schreibt über die Gewinnerin der 6. Staffel von “Ich bin ein Star – holt mich hier raus!”, “die erste wahre Dschungelkönigin”. “Brigitte Nielsen stand da, groß, braungebrannt, blond und durchtrainiert, eine Kämpferin, und sie strahlte Würde aus, unbedingten Willen und wirkte stets so, als sei es das, worauf sie die 49 Jahre ihres Lebens gewartet hat.”

Wenigstens die Haare schön

Aus der Sicht von Bild.de werden verurteilte Verbrecher ja häufig noch viel zu gut behandelt. Insofern sticht diese Geschichte von Freitag schon einmal hervor:

Weil er zwei Jahre im Knast verwahrloste 22 Mio. Dollar Entschädigung für US-Häftling
Justiz-Skandal in den USA: Ein Häftling wurde zwei Jahre in seiner Einzelzelle im Dona Ana County-Gefängnis vergessen. Jetzt wird der Knacki für die beiden verlorenen Jahre entlohnt: 22 Mio. Dollar (16,75 Mio. Euro) Schadensersatz.

Illustriert ist der Artikel mit einem Foto des völlig verwahrlosten Häftlings, der sich während der Haft sogar selbst schmerzende Zähne ziehen musste, weil ihm die Gefängnisleitung einen Arzt verweigerte.

Bild.de schließt den ausführlichen Bericht über das Martyrium des Mannes mit diesen denkwürdigen Worten:

Wobei die 22 Mio. Dollar auch ein nettes Trostpflaster sein dürften. Die Friseurbesuche wird er bis ans Lebensende davon locker bezahlen können.

Dieser Schlusssatz ist noch zynischer, als er auf den ersten Blick sowieso schon aussieht. Wie aus dem Originalvideo des US-Fernsehsenders KOB hervorgeht, den Bild.de auch verlinkt hat, wird der Mann wohl nie etwas von dem Geld sehen. Er kämpft nämlich gerade gegen Lungenkrebs.

Mit Dank an Mirko und Stefan G.

AFP  

AFP sieht Sterne

Nachdem die meisten Journalisten inzwischen einigermaßen begriffen haben, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kein “EU-Gericht” ist, können wir uns dem nächsten Thema der Medienerziehung widmen: Hollywood.

Der “Walk of Fame” besteht aus mehr als 2.400 Terrazzo-Sternen, mit denen verdiente Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie ausgezeichnet werden. Hand- und Fußabdrücke werden traditionell in der Umgebung des Kinos “Grauman’s Chinese Theatre” hinterlassen und haben – neben der vergleichbaren Ehre und der räumlichen Nähe – nichts mit dem “Walk of Fame” zu tun.

(BILDblog vom 21. Februar 2011)

Das muss man nicht wissen, aber es ist vielleicht hilfreich, wenn man als Reporter über eines von beiden berichten soll.

Die Agentur AFP hat es trotzdem probiert:

Rund zweieinhalb Jahre nach seinem Tod hat US-Popstar Michael Jackson einen Stern auf dem berühmten Walk of Fame erhalten. Jacksons Kinder Paris, Prince und Blanket verewigten am Donnerstag bei der Zeremonie mit Schuhen und den berühmten perlenbesetzten Handschuhen ihres Vaters dessen Fuß- und Handabdrücke im Zement auf dem Hollywood Boulevard im kalifornischen Los Angeles.

Ja, die zwei Sätze mit “Stern” und “Fuß- und Handabdrücke im Zement” stehen da direkt hintereinander. Nein, das scheint bei AFP niemand gewundert zu haben.

Schon am 6. Januar hatte die Agentur verkündet:

PARIS, PRINCE und BLANKET, Michael Jacksons Kinder, wollen dafür sorgen, dass ihr Vater rund zweieinhalb Jahre nach seinem Tod einen Stern auf dem berühmten Walk of Fame erhält. Mit Hilfe von Schuhen und der berühmten Handschuhe des King of Pop werden sie bei der Zeremonie am 26. Januar dessen Fuß- und Handabdrücke im Zement auf dem Hollywood Boulevard verewigen, teilten die Organisatoren mit.

Jetzt schafft AFP es sogar, in einem Video noch einen Schritt weiter zu gehen:

Während Jacksons Kinder mit betonverschmierten Händen zu sehen sind, sagt der Off-Sprecher “ein Stern für Michael Jackson”.

Und zu den Bildern des noch feuchten Betons mit den frischen Abdrücken darin erklärt er ungerührt: “Der Stern von Michael Jackson liegt in der Nähe der Sterne von Hollywoodlegenden wie Marilyn Monroe, Humphrey Bogart und Bette Davis.” Man muss schon sehr ahnungslos sein, um so einen Clip zu veröffentlichen.

Der AFP-Unsinn steht jetzt etwa bei der “Frankfurter Rundschau”, dem “Donaukurier” und dem ORF online.

Bei “Welt Online” haben sie immerhin irgendwann gemerkt, dass das mit dem Stern ziemlicher Unsinn ist, faseln aber immer noch vom “Walk of Fame”. Einen klaren Schnitt hat “Spiegel Online” vollzogen und den AFP-Text durch eine treffende dpa-Meldung ersetzt.

Den Stern auf dem tatsächlichen “Walk of Fame” hat Michael Jackson übrigens schon 1984 bekommen.

Mit Dank an Basti, Simon P., Dennis M. und AW.

Nachtrag, 19.55 Uhr: So “klar” wie von uns behauptet war der Schnitt bei “Spiegel Online” leider doch nicht: Zwar ist die dort verwendete dpa-Meldung richtig, aber “Spiegel Online” hat auch einen fehlerhaften AFP-Absatz stehen lassen:

Der Stern des King of Pop befindet sich in Nachbarschaft zu den Sternen von Filmlegenden wie Marilyn Monroe, Humphrey Bogart und Bette Davis. (…)

AFP selbst hat unterdessen um 19.17 Uhr eine Berichtigung verschickt:

+++ Berichtigung: Durchgehend heißt es nun richtig, dass Jackson nicht mit einem Stern auf dem Walk of Fame, sondern mit Hand- und Fußabdrücken auf dem Hollywood Boulevard geehrt wurde. +++

2. Nachtrag, 28. Januar: AFP hat das Video bei YouTube entfernt. Dafür hat sich “Bild” heute auf den “Walk of Fame” verlaufen:

In den (Hand)schuhen des Vaters!
Los Angeles. Für die Ehrung von Michael Jackson (verstorben 50) auf dem "Walk of Fame" nahm Tochter Paris (13) seine berühmten Pailletten-Handschuhe und verewigte den Abdruck auf dem Hollywood Boulevard. "Walk of Fame": Paris verewigt die Handschuhe ihres toten Vaters Michael Jackson

Weltwoche, Merkur, Feinschmecker

6 vor 9

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1. “Dschungelcamp und das ‘Leben danach'”
(sueddeutsche.de, Andreas Bernard)
Andreas Bernard beleuchtet das Leben der Kandidaten nach “Ich bin ein Star – holt mich hier raus!”. “Die eigentliche Krise droht, wenn ein Kandidat nach seiner Abwahl ins mondäne Hotel Palazzo Versace zurückkehrt, gut hundert Kilometer vom Drehort entfernt, und erfahren muss, wie weit seine eigene Wahrnehmung der vergangenen Tage von der kunstvoll zusammengeschnittenen Fernsehrealität abweicht.”

2. “Ab-Turner”
(kessel.tv, Thorsten W.)
Thorsten W. macht auf einen sich durch viele Medien ziehenden Fehler aufmerksam, der den Kandidaten für das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters betrifft: “Schuld ist wahrscheinlich wie so oft eine ungeprüft übernommene Agenturmeldung.”

3. “Ein trautes Paar”
(zeit.de, Peer Teuwsen und Ralph Pöhner)
Zwei ehemalige Mitarbeiter schreiben über die Schweizer “Weltwoche”: “Parteipolitisch engagiert ist die Weltwoche, und ihre Gesinnung teilt sie mit der Volkspartei. Aber ein schlichtes SVP-Blatt ist sie schon deshalb nicht, weil ihre Loyalität eher Christoph Blocher gilt – nicht der Organisation.”

4. “Stark durch Widerspruch”
(freitag.de, Michael Angele)
Michael Angele spricht mit Christian Demand und Ekkehard Knörer von der Zeitschrift “Merkur”. “Schirrmacher marschiert mit dem FAZ-Feuilleton moral­trompetend nach links – und morgen vermutlich wieder in die andere Richtung. Eine solche Kurzatmigkeit ist nichts für den Merkur, obwohl wir natürlich immer auch auf die Diskurslagen in den Feuilletons reagieren werden.”

5. “Von den Vorzügen, ein Feinschmecker zu sein”
(magda.de, Philipp Maußhardt)
Gastrokritiker Philipp Maußhardt wird von seinen Freunden nicht mehr zum Essen eingeladen. “Und wenn es dann doch einmal gelingt, jemanden zu überreden, dann werde ich meist schon an der Haustüre abgepasst, und der Gastgeber macht ein zerknirschtes Gesicht. Die Kartoffeln seien leider zu weich gekocht oder der Schmorbraten angebrannt. Ich rede dann beruhigend auf ihn ein und sage Sätze wie ‘Passiert mir auch ständig’ oder ‘Hauptsache, der Wein ist gut’.”

6. “Wie Apple zukünftige Journalisten kauft”
(deutsche-mittelstands-nachrichten.de)
Ein Foto, das Studenten in einem Hörsaal mit Apple-Laptops zeigt, stammt ursprünglich aus dem Jahr 2007. “Kein anderes Unternehmen versteht es so gut, sich in den Köpfen von Verlagen und Journalisten so festzusetzen wie Apple.”

In 80 Fehlern um die Welt (5)

Vom früheren Nationalspieler Andreas Möller ist der Ausspruch überliefert, es sei ihm ein Stückweit egal, bei welchem Verein er als nächstes spiele: “Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!”

Offenbar arbeitet Möller inzwischen für “Focus Online”:

Italien. Clásico: Real und Özil ausgeschieden. Für die deutschen Fußball-Nationalspieler Mesut Özil und Sami Khedira ist der erste Traum vom Titel nach einem 2:2 (0:2) beim FC Barcelona ausgeträumt.

Wenn Real Madrid gegen den FC Barcelona im sogenannten Clásico spielt, dann natürlich immer noch in Spanien.

Mit Dank an Klaus B.

Nachtrag, 13.35 Uhr: Auch bei 11freunde.de und bei handelsblatt.com fand der Clásico in Italien statt. Sie haben (wie auch “Focus Online”) die dazugehörige Meldung über den Sportinformationsdienst sid bezogen, der allerdings überall “Spanien” geschrieben hatte.

2. Nachtrag, 18.05 Uhr: handelsblatt.com hat die Dachzeile in “Spanischer Pokal” geändert. Bei “Focus Online” steht immer noch “Italien”.

Und 11freunde.de hat sich für diese kreative Lösung entschieden:

Bulgarien: Clásico: Real und Özil ausgeschieden

3. Nachtrag, 27. Januar: “Focus Online” hat die Dachzeile in “Barcelona reicht Remis im Clásico” geändert. Dafür steht beim “Handelsblatt” jetzt wieder “Fußball Italien” über dem Artikel. Wir brechen unsere Beobachtung an dieser Stelle ab.

E-Mail und die Journalisten

Weil die Wahlkreismitarbeiterin einer Bundestagsabgeordneten eine E-Mail “an alle” geschickt hatte und ihre zahlreichen Kollegen darauf “an alle” geantwortet haben, ging der Mailserver des Bundestags gestern zwischendurch in die Knie.

Bild.de illustriert den Vorfall mit diesem Bild:

Das ist sicher eine andere E-Mail, die sich Kanzlerin Merkel und Fraktionschef Kauder hier angucken. Lustig scheint sie aber allemal ...

Also gut, dann illustriert Bild.de eben nicht den Vorfall.

Aber wenn man Bild.de Glauben schenken darf (was man erfahrungsgemäß besser nicht tut), zeigt das Foto sowieso nicht die Kanzlerin beim E-Mail-Lesen, sondern in einer ganz anderen Situation.

Bild.de zeigte das Foto im vergangenen November nämlich schon einmal:

Der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag im Bundestag

Zu sehen war darauf nach eigenen Angaben das hier:

Wie BILD.de erfuhr, zeigte Merkel Kauder auch ganz stolz, welche APPs sie alle hat.

Zum Beispiel eine Spracherkennungs-App. Die verwandelt gesprochene Sprache in schriftlichen Text.

Das probierten die Beiden aus. Es führte aber zu “kuriosen Ergebnissen”.

Merkel und Kauder kringelten sich vor Lachen.

In Wahrheit zeigt das Foto natürlich Merkel und Kauder beim Betrachten von Bild.de und die Kanzlerin sagt gerade: “Guck mal, was die wieder unter unser Foto geschrieben haben!”

Mit Dank an Matthew L.

Korrektur, 11.45 Uhr: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir geschrieben, die Verursacherin der E-Mail-Welle sei eine Mitarbeiterin des Deutschen Bundestags gewesen. In Wahrheit ist sie Wahlkreismitarbeiterin einer Grünen-Abgeordneten.

ESM, Superhirn, Sexualstraftäter

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ex-Sicherungsverwahrte: von den Medien gehetzt?”
(ndr.de, Video, 6:25 Minuten)
Boulevardzeitungen jagen den entlassenen und neu in Hamburg-Jenfeld wohnhaften Sexualstraftäter Hans-Peter W.: “Ein perfides Wechselspiel zwischen Anwohnerangst und Medienberichten.”

2. “Falsches Tortenstückchen”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Die ARD-Tagesschau stellt die Beteiligung Deutsch­lands am Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM in einer Grafik falsch dar.

3. “Rangliste der Pressefreiheit 2011”
(reporter-ohne-grenzen.de)
Den ersten Platz teilen sich Finnland und Norwegen, Österreich ist auf Platz 5, die Schweiz auf Platz 8, Deutschland gemeinsam mit Jamaika und Zypern auf Platz 16. Am wenigsten Pressefreiheit können Menschen in China, Iran, Syrien, Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea für sich beanspruchen (Pressemitteilung).

4. “Tricks beim Superhirn (ZDF)”
(youtube.com, Video, 7:45 Minuten, 16. Januar 2012)
Was auf Fernsehkritik.tv schon am 10. Januar zu erfahren war, berichtet nun auch “Spiegel Online”. In der ZDF-Sendung “Deutschlands Superhirn” behauptete ein Lehrer, erkennen zu können, welche aus einem Orchester herausgenommenen Musiker fehlten. “Warum verschweigt uns Jörg Pilawa, dass neben der Herausnahme der Musiker sich die Noten der anderen Spieler ändern?”

5. “Wulff schickte Weihnachtspost”
(taz.de, Felix Dachsel)
Die Pressestelle des Axel-Springer-Verlags schickt der taz-Redaktion haufenweise Informationen zur Causa Wulff. Felix Dachsel fragt: “Ist das nun ein Beitrag zur Transparenz in der Mailbox-Affäre oder eher Stoff für das legendäre ‘Handbuch des nutzlosen Wissens’?”

6. “Der Tag, an dem nichts wirklich passiert ist”
(marinaslied.de)
Marina Weisband kommentiert die Reaktion von Medien auf ihre Ankündigung, “aller Wahrscheinlichkeit nach nicht für eine zweite Amtsperiode als Bundesvorstand der Piratenpartei zu kandidieren”.

dapd  

Auf halber Flamme

In Los Angeles steht zur Zeit ein Deutscher vor Gericht, dem vorgeworfen wird, in Hollywood zahlreiche Brände gelegt zu haben. Insgesamt werden ihm inzwischen 49 Feuer (anfangs nur 37) angelastet, weswegen die Justiz nun in 100 Punkten Anklage (felony charges) gegen ihn erhebt. Zumindest berichten das die Nachrichtenagenturen AFP und dpa sowie die “LA Times”.

Einzig der Nachrichtenagentur dapd scheint der Unterschied zwischen der Anzahl der Anklagepunkte und der Anzahl der gelegten Feuer nicht so ganz klar zu sein. Am Dienstag um 19:24 Uhr meldete sie:

Neue Vorwürfe gegen mutmaßlichen deutschen Brandstifter – 24-Jähriger soll insgesamt 100 Feuer gelegt haben

Los Angeles (dapd). Ein in den USA wegen Brandstiftung in 37 Fällen angeklagter Deutscher wird sich wegen weiterer Feuer verantworten müssen. Dem 24-Jährigen würden weitere 63 Brände zur Last gelegt, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Los Angeles am Dienstag. Damit wirft ihm die Anklage Brandstiftungen in insgesamt 100 Fällen vor.

Obwohl der mutmaßliche Brandstifter in Wirklichkeit “nur” 49 Feuer gelegt haben soll, haben zahlreiche Medien wie etwa Bild.de, “Spiegel Online” und “RP Online” den Inhalt dieser Meldung übernommen.

Neue Meldung, neues Glück? Denkste. In einer aktuelleren Mitteilung, die heute um 1:21 Uhr veröffentlicht wurde, zeigt sich dapd noch verwirrter. Diesmal heißt es:

Ein in den USA wegen Brandstiftung in 100 Fällen angeklagter Deutscher hat sich vor einem Gericht in Los Angeles für nicht schuldig erklärt. (…) Zuvor hatte die Anklage dem 24-jährigen Harry B. weitere Brände zur Last gelegt, nachdem zunächst lediglich von 49 Feuern die Rede gewesen war.

Das ist so natürlich auch nicht richtig. Es bleibt dabei, dass dem Deutschen insgesamt 49 Brandstiftungen vorgeworfen werden — nachdem zunächst lediglich von 37 Feuern die Rede war. Dennoch wurde die zweite dpad-Falschmeldung im Onlineauftritt der “Mitteldeutschen Zeitung” und auf nh24.de veröffentlicht.

Doch damit nicht genug. Ebenfalls heute um 11:03 Uhr versuchte sich dapd an einer dritten Meldung. :

(…) hatte die Anklage weitere Vorwürfe gegen den 24-jährigen Harry B. erhoben. Insgesamt umfasst die Anklageschrift nun 100 Punkte, darunter Brandstiftung und Besitz von brennbarem Material. Zuvor war der Angeklagte lediglich für 49 Feuer verantwortlich gemacht worden.

Zwar hat dapd nun verstanden, dass die Anklageschrift 100 Punkte umfasst, und erklärt sogar, dass auch der Besitz von brennbarem Material strafbar ist, der letzte Satz zeigt jedoch wieder deutlich, dass dapd immer noch von 100 gelegten Bränden ausgeht — ein Fehler, der jetzt natürlich genau so beispielsweise im Online-Auftritt des “Hamburger Abendblattes” steht.

Wir wünschen viel Glück beim vierten Anlauf.

Mit Dank an Horst P.

Hawaii Fünf-Null

Es ist eine große Überraschung, die die “Hamburger Morgenpost” da in ihrer Online-Ausgabe verkündet:

"The-Guardian"-Ranking: St. Pauli ist lebenswerter als Hawaii. "Berlin ist langweilig", so befand die britische Tageszeitung "The Guardian". Jetzt ist Hamburg - genauer gesagt St. Pauli - dran! Der alternative Stadtteil mit dem Schmuddel-Image steht beim "Guardian"-Redakteur Tom Dyckhoff ganz hoch im Kurs. Deshalb wählte die Redaktion das Hamburger Viertel auf den zweiten Platz der fünf lebenswertesten Orte weltweit - vor Maui, Istanbul und Teneriffa!

Eine Überraschung wohl vor allem für Tom Dyckhoff und den “Guardian”, denn die Liste, die mopo.de dankenswerterweise direkt verlinkt hat, ist eben genau kein Ranking mit Ordnungszahlen, sondern lediglich eine (recht subjektive) Liste der “fünf besten Orte, an denen man auf der Welt leben kann”. St. Pauli ist einer dieser fünf Orte, aber dass er an zweiter Stelle steht, bedeutet nicht zwangsläufig, dass es dort lebenswerter ist als an der Nordküste von Maui, die danach gelobt wird.

Die dpa hat das zum Beispiel richtig verstanden.

Mit Dank an Philip H.

Nachtrag, 26. Januar: mopo.de hat den Artikel überarbeitet: Die Überschrift lautet nun “St. Pauli ist so geil wie Hawaii” und der Text wurde auch an die Realität angepasst.

Bild  

School’s Out

Vor zwei Wochen hat “Bild” ihren Lesern ein Buch ans Herz gelegt:

Tatort Klassenzimmer: Eine Schülerin klagt an. Muslimische Machos schikanieren die christliche Minderheit. "Mono-Kulti" hat "Multi-Kulti" abgelöst. Und die deutschen Lehrer schweigen hilflos.

In vier Folgen zitiert “Bild” die Abiturientin und Jung-Autorin Viviane Cismak damit, dass es kein Schweinefleisch in der Schul-Cafeteria gegeben habe, dass man auf dem Schulhof als “Schlampe” beschimpft wurde, wenn man als 18-Jährige einen Freund hatte, dass die Qualität des Unterrichts an ihrem Gymnasium “noch einmal erheblich” nachließ, wenn die muslimischen Mitschüler im Fastenmonat Ramadan ausgehungert in der Schule saßen und dass Hartz-IV-Empfänger bei Studienfahrten ins Ausland Zuschüsse erhielten.

Wie ist das, wenn mehr als 80 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben? Abiturientin Viviane Cismak (20) beschreibt in “Schulfrust” den Alltag an einem Kreuzberger Gymnasium. BILD druckt Auszüge.

“Auszüge” trifft es ganz gut: Drei Viertel Stimmungsmache gegen Menschen mit Migrationshintergrund, ein Viertel gegen Hartz-IV-Empfänger — die perfekte Mischung für “Bild”. Die erhofften Reaktionen der Leser ließen auch nicht lange auf sich warten, wie “Bild” schon am Tag nach der Veröffentlichung des ersten Teils dokumentierte:

Zu: Tatort Klassenzimmer. Das ist der Fluch des Multikulti, auch wenn es viele Politiker nicht wahrhaben wollen. Spricht man Türken auf diese Probleme an, werden sie einfach abgestritten. Von anderen Glaubensrichtungen verlangen Muslime Toleranz, aber sie selbst sind intolerant. Volker Sch. Großen Respekt vor dieser Schülerin. Ich hoffe nur, sie überlebt, dass sie die Wahrheit sagt. Die Verantwortlichen werden wieder Ausreden finden oder die Schülerin in die rechte Ecke stellen. Holger H. Sehr, sehr gut. Es wird Zeit, die Wahrheit auf den Tisch zu bringen. Mein Sohn ist in einem katholischen Kindergarten, in dem keine christlichen Feste mehr gefeiert werden, aus Rücksicht auf die moslemischen Kinder. In der Klasse meiner Tochter hängt eine türkische Flagge. Wie weit soll das noch gehen? Oliver-Peter H. Es wird langsam Zeit, dass sich unsere Politiker, allen voran die Multikulti-Grünen und die Gabriel-SPD, Gedanken über ein Gesetz zum Schutz der Deutschen ohne Migrationshintergrund machen. Thilo Sarrazin hat doch recht! Ralf Sch. Endlich wagt eine deutsche Zeitung, über die Realität in Deutschland zu berichten! Bernd Sch.

Doch wer gleich loszog, um sich “Schulfrust” zu kaufen und auf eine junge Thiletta Sarrazin gehofft hatte, dürfte von der Lektüre ziemlich enttäuscht worden sein: Von den zehn Kapiteln des Buches handelt gerade eines davon, dass “Sexismus und Chauvinismus [in der Schule] toleriert und mit kulturrelativistischen Theorien erklärt” werde, ein weiteres davon, dass “Kinder von Geringverdienern schlechte Chancen auf eine gute Ausbildung haben”.

Insgesamt geht es in dem Buch eher darum, dass Cismak aus eigenen schlechten Erfahrungen eine Kritik an Lehrern und am Bildungssystem ableitet, die mal berechtigt, mal unberechtigt erscheint. Alle Punkte, die sie aufführt, haben durchaus mediale Aufmerksamkeit verdient — und auch bekommen, als diverse Medien bei Veröffentlichung über das Buch berichteten. Im vergangenen September.

So lange hat es gedauert, bis “Bild” sich des Themas annahm und es als Steinbruch für die eigenen Skandalgeschichten benutzte. Nicht funktionierendes “Multikulti” ist eben immer ein Thema für “Bild”, wohingegen nicht eingehaltene Lehrpläne, willkürliche Notengebung und undurchdachte Schulreformen zwar ein Problem für Millionen Schüler sein mögen, aber kein Thema für diese Boulevardzeitung.

Vor mehr als einer Woche haben wir dem Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, bei dem “Schulfrust” erschienen ist, eine E-Mail mit mehreren Fragen geschrieben. Unter anderem wollten wir wissen, ob die Schwerpunkt-Setzung von “Bild” im Vorfeld klar gewesen sei und was Verlag und Autorin von der Darstellung in “Bild” halten. Wir haben, trotz nochmaliger Nachfrage, keine Antwort erhalten.

Mit Dank an Christopher und Stitch.

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