Medien quälen Timoschenko

Am Freitag hatten wir darüber berichtet, dass sich Bild.de darüber empört hatte, dass in der Ukraine ein Video der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko an die Öffentlichkeit gekommen war, das offensichtlich gegen den Willen der Politikerin entstanden war — und Bild.de dann ein Standbild aus eben jenem Video veröffentlicht hatte.

Wir waren da vielleicht ein bisschen unfair, denn Bild.de war längst nicht das einzige Medium, das diesen intellektuellen Spagat hinbekommen hatte:

Focus.de zeigte ein Standbild unter der Überschrift “Nobel-Zelle für Julia Timoschenko” und brachte dieses bemerkenswerte Satzpaar:

In ukrainischen Medien war am Donnerstag von einer “Nobel-Zelle” im Stil eines Hotelzimmers die Rede. Auch gab es Spekulationen, ob es sich um eine Inszenierung für die Öffentlichkeit handele.

Morgenpost.de und welt.de zitierten Timoschenkos Anwalt Sergei Wlasenko fünf Zentimeter unter einem Screenshot des Videos mit den Worten, einen solchen Film könnten “nur Tiere aufnehmen”, wobei welt.de sicherheitshalber auch noch mal ein paar unkommentierte Ausschnitte des Videos online stellte.

derstandard.at zeigte das Video nicht, verlinkte es aber auf YouTube. Von dort hatten 20min.ch und krone.at (“Intimsphäre verletzt: Ukraine quält Timoschenko mit Video aus Spital”) den Clip direkt eingebunden.

Intimsphäre verletzt: Ukraine quält Timoschenko mit Video aus Spital

Anders als viele andere Medien hatte sich “Spiegel Online” die Mühe gemacht, das Rohmaterial weiterzuverarbeiten, weswegen der Off-Sprecher über das Video jetzt “dieses Video hat in der Ukraine einen handfesten Skandal ausgelöst” sagen kann. Bei euronews.net führt es spätestens dann zu einer gewissen Ironie, wenn der Off-Sprecher die Aufnahmen mit den Worten “die ehemalige Regierungschefin protestiert offensichtlich gegen diese Aufnahmen” kommentiert.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag/Korrektur: In der ursprünglichen Fassung des Artikels hatten wir Julia Timoschenko als “ehemalige Präsidentin” der Ukraine bezeichnet. Richtig ist, dass sie (zwei Mal) Ministerpräsidentin des Landes war.

19. Dezember

Vom Jahr, das in 13 Tagen zu Ende geht, wird vor allem jener 11. März in Erinnerung bleiben, als der Nordosten Japans vom größten Erdbeben in der Geschichte des Landes erschüttert wurde. In der Folge wurde die Region von einem Tsunami überrollt, bis es schließlich am Ende auch noch im Atomkraftwerk von Fukushima zu einem “katastrophalen Unfall” kam.

Man hätte das kommen sehen können, wenn man sich nur ein Jahr zuvor das Bild angesehen hätte, auf dem eine Schülerin die ganzen Katastrophen (und noch viele mehr) vorhergesagt hatte. Im BILDblog-Adventskalender erinnern wir deshalb an dieses prophetische Meisterwerk.

BILDblog vom 20. April 2011

Volkswagen, Paul Ronzheimer, Kladderadatsch

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Product Placement”
(youtube.com, Video, 6:40 Minuten)
Die Marke “Volkswagen” im “Tatort” “Schwarze Tiger, weiße Löwen” vom 11. Dezember.

2. “Lupenreiner Beschiss: Ausschnitt aus ‘ZDF heute show’ viral super erfolgreich – in Russland”
(andreas.de)
Ein Beitrag der satirischen “Heute-show” wird, mit russischen Untertiteln, zum Quotenerfolg: “Das Video hat innerhalb von nur 2 Tagen fast 1,4 Millionen Zuschauer gefunden und wird offensichtlich in den sozialen Netzwerken weitergereicht, denn anders sind gerade mal 8 Kommentare unter einem Clip mit so vielen Zugriffen ja kaum zu erklären.”

3. “Ich arbeite auf der dunklen Seite”
(zeit.de, Lars Gaede)
Paul Ronzheimer redet über seine Tätigkeit für “Bild”: “Sicher werden sich Menschen schon von ‘Bild’ überrumpelt gefühlt haben. Es gibt immer einen harten Wettbewerb um die besten, emotionalsten Geschichten. Trotzdem habe ich bisher die Erfahrung gemacht, dass gerade bei ‘Bild’ sehr gewissenhaft gearbeitet wird.”

4. “Werde selbst Dein bester Werbekunde!”
(avatter.de)
André Vatter schreibt über den Verkauf des “Bild”-Mini-Handy. “Mit der Zeitung hat sich Axel Springer ein Perpetuum Mobile geschaffen, das informiert und gleichzeitig eigene Produkte verkauft.”

5. “Cartoon Regularly Featured On Big Journalism Connected To Nazi-Era Magazine”
(mediamatters.org, Kevin Zieber, englisch)
Ein von der Website “Big Journalism” mehrfach eingesetzter Cartoon stammt ursprünglich aus einer “Kladderadatsch”-Ausgabe von 1942.

6. “Hackers (According to Stock Photo Sites)”
(sadanduseless.com, Fotos)

18. Dezember

Auch nach längerem Überlegen ist uns nichts eingefallen, was wir zur Anmoderation des heutigen Türchens im BILDblog-Adventskalender hätten schreiben könnten.

Also sehen Sie einfach selbst:

BILDblog vom 4. Dezember 2006

17. Dezember

Die alten Beiträge, die wir hier im BILDblog-Adventskalender präsentieren, sind natürlich schon so ausgewählt, dass sie eher zum Schmunzeln sind. Unser heutiger Klassiker (und es ist tatsächlich ein echter Klassiker aus unserer Frühphase) ist da einerseits keine Ausnahme — es ist eine komplett absurde Geschichte, über die man beherzt lachen kann.

Andererseits zeigt die Geschichte auch auf, wie schnell man sich in einer großen “Bild”-Geschichte wieder finden kann, die nicht mehr viel mit der Wirklichkeit zu tun hat, aber die persönliche Reputation gefährden kann.

BILDblog vom 14. September 2005

Bild.de demütigt Timoschenko

Diese Aufnahme sorgt für einen Sturm der Entrüstung in der Ukraine. Darauf zu sehen: die inhaftierte Julia Timoschenko.

Sie liegt in einem Krankenbett im berüchtigten Lukjaniwska-Gefängnis in Kiew. Offenbar wurde sie gegen ihren Willen gefilmt.

Sie hebt die Arme, als wollte sie sagen: Lasst mich in Ruhe! Müsst ihr mich auch noch demütigen?

So weit die Ausführungen der Menschenrechtsaktivisten von Bild.de.

Das Demonstrativpronomen “diese” im ersten Satz ist dabei bewusst gewählt: Der Satz steht unterhalb eines Screenshots aus einem Video, in dem die inhaftierte Julia Timoschenko offenbar gegen ihren Willen gefilmt wurde.

Inhaftierte Oppositionspolitikerin: Ukraine demütigt Timoschenko mit Video-Aufnahme. Politikerin gegen ihren Willen im Krankenbett gefilmt. Diese Aufnahme sorgt für einen Sturm der Entrüstung in der Ukraine. Darauf zu sehen: die inhaftierte Julia Timoschenko.

Wir sind uns nicht sicher, ob die Redakteure von Bild.de den Rouge-Test bestehen würden.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

16. Dezember

Wie oft steht man nicht in einer kalten, klaren Winternacht am offenen Fenster oder auf der Straße, schaut hinauf in den Sternenhimmel und ruft laut aus: “Und Ihr verdammten Viecher seid Schuld, dass ich ein Rückenleiden habe und kurzsichtig bin!”

Wie bitte, das tun Sie nicht? Nun gut, es wäre auch komplett albern. Aber man kann’s ja mal versuchen. So wie “Bild” beim Versuch, eine wissenschaftliche Studie zu verstehen — vor fast fünf Jahren auf der Titelseite und heute noch einmal bei uns im BILDblog-Adventskalender.

BILDblog vom 18. Februar 2007

Scripted Reality, Junge Industrie, Thomas Steg

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wenn der Zottel-Lehrer mit der Messie-Mutter…”
(spiegel.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier über von Laiendarstellern gespielte, aber wie Dokumentationen inszenierte TV-Sendungen wie “Verdachtsfälle”, “Betrugsfälle” oder “Die Schulermittler”. “Nur winzige Einblendungen am Anfang und Ende weisen darauf hin, dass alles frei erfunden ist. In der Branche wird das Format Scripted Reality genannt. (…) Vor allem jüngere Kinder und Hauptschüler erkennen laut der Umfrage den fiktiven Charakter der ‘Familien im Brennpunkt’-Folgen nicht. Wer die Sendung häufiger guckt, hält das Gezeigte mit größerer Wahrscheinlichkeit für ‘echt’.”

2. “Wa(h)re Information – interessant geht vor relevant”
(netzwerkrecherche.de, PDF-Datei, 1.9 MB)
Auch eine Studie von Fritz Wolf widmet sich der Methode “Scripted Reality”: “Hier ist der Betrug im Namen der Unterhaltung immanent. Die Formate sind zynisch gegenüber den Protagonisten, die für billige Programmware ausgenutzt werden und zynisch gegenüber Zuschauern, die getäuscht werden.”

3. “Sexschule: Was die Junge Industrie erreichen wollte”
(diepresse.com)
Hinter der Gruppe “The Birdbase” steckt die Junge Industrie, die Jugendabteilung der Industriellenvereinigung. “Man wollte die heimische Debattenkultur in Gang bringen – ‘aber nicht als Junge Industrie, weil alles, was wir machen, sofort in ein bestimmtes parteipolitisches Eck gestellt wird, und das stört uns’.”

4. “Der unbekannte Riese”
(taz.de, Steffen Grimberg)
Steffen Grimberg betrachtet die aktuelle Struktur der Südwestdeutschen Medien Holding (SWMH): “Formal ist die SWMH allerdings kein geschlossener Block, sondern ein kompliziertes Geflecht aus selbstständigen Verlagen.”

5. Interview mit Thomas Steg
(swr.de, Audio, 29 Minuten)
Ein Gespräch mit Thomas Steg, stellvertretender Regierungssprecher von 2002 bis 2009.

6. “Samuel Schmid wird von Hund verfolgt”
(glanzundgloria.sf.tv, Isabelle Mathys und Martina Ziesack)
Der Schweizer Ex-Bundesrat Samuel Schmid hat gar keinen Hund. “‘Die Medien haben dieses Gerücht in die Welt gesetzt – und ich habe es nicht aus der Welt geschafft. Man kann ja nicht dauernd widersprechen’, sagt Samuel Schmid schmunzelnd. Auf die ewig wiederkehrende Frage, wie es nun seinem Hund ginge, antwortete er zeitweise einfach mit ‘gut’.”

Mutter, der Kurier mit der Strafe ist da (2)

In Deutschland gelten sogenannte Gesetze. Die regeln z.B., dass ein Mann, der alkoholisiert einen Autounfall verursacht und dann vom Tatort flieht, eine bestimmte Strafe bekommt. Diese wird auf Grundlage der Gesetze von einem Gericht verhängt.

Zugegeben: Das haben wir schon mal geschrieben. Es war im August, als der “Berliner Kurier” sich zu dieser Kombination von Foto und Überschrift hinreißen ließ.

Alkohol-Crash: Zur Strafe zeigt der KURIER den Suffkopf mit heruntergelassener Hose

Wir haben uns über diese Berichterstattung beim Deutschen Presserat beschwert, weil wir darin eine Verletzung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte des Unfallfahrers sahen und der “Berliner Kurier” sich unserer Ansicht nach in der Überschrift als strafende Instanz inszenierte.

Die Rechtsabteilung des Kuriers erklärte in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Presserat, sie könne keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte erkennen, da das Gesicht des Mannes nicht zu erkennen und der Name vollständig geändert worden sei.

Auch werde durch das Foto nicht die Menschenwürde verletzt, da die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem ein Mann mit heruntergelassener Hose zu sehen sei, “nicht a priori als menschenverachtend zu bewerten” sei.

Besonders kreativ reagierten die Juristen des “Kurier” auf unseren Vorwurf, die Zeitung geriere sich als “strafende Instanz”, den sie als unbegründet zurückwiesen: Die Formulierung “Zur Strafe zeigt der Kurier den Suffkopf mit heruntergelassener Hose” lasse verschiedene Deutungen zu. Der “verständige Leser” würde sie so auffassen, dass darin keine Anmaßung der Ausübung von Befugnissen der Strafjustiz zu sehen sein, sondern eine “soziale Ächtung von Trunkenheit im Straßenverkehr” zum Ausdruck kommen solle. Der Ton des Artikels sei durch die Verwendung von Wörtern wie “Suffkopp” und “bedröppelt” “eher milde gehalten”. Der Artikel bringe demnach insgesamt zum Ausdruck, dass “Trunkenheit am Steuer gesellschaftlich nicht zu billigen” sei, und stelle insofern “einen Beitrag zur Stärkung des Bewusstseins für Normen und gesellschaftliche Werte” dar und trage “zur öffentlichen Meinungsbildung” bei.

(Falls demnächst irgendeine Bürgerinitiative die Wiedereinführung von Prangern auf deutschen Marktplätzen fordern wollen sollte, möchten wir ihr jetzt schon die Formulierungen der “Kurier”-Rechtsabteilung als Argumentationshilfe ans Herz legen.)

Bei den vermeintlichen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schloss sich der Beschwerdeausschuss des Presserats der Meinung des “Kuriers” an und erklärte, dass der Mann nicht identifizierbar sei. Wohl aber werde der unbekannte Mann durch die Abbildung in seiner Menschenwürde verletzt. Auch wenn er offensichtlich Fahrerflucht begangen habe, sei es nicht gerechtfertigt, ihn “in dieser herabwürdigenden Situation” abzubilden.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Deutlicher wurde der Beschwerdeausschuss noch im Bezug auf die Überschrift, die er in Kombination mit dem Foto für geeignet hält, “das Ansehen der Presse in Gefahr” zu bringen. Es sei zwar Aufgabe der Zeitungen, ihre Leser über solche Vorkommnisse zu informieren, allerdings müsse dies “in einer sachlichen Art und Weise” geschehen. Im vorliegenden Fall trete die Redaktion jedoch quasi “als strafende Institution” auf, die den Betroffenen an den Pranger stelle. Dies sei mit dem Ansehen der Presse nicht vereinbar.

Insgesamt wertete der Beschwerdeausschuss den “Verstoß gegen die publizistischen Grundsätze” als so schwerwiegend, dass er eine “Missbilligung” aussprach (s. Kasten). Nach § 15 Beschwerdeordnung besteht zwar keine Pflicht, Missbilligungen zu veröffentlichen. Als Ausdruck fairer Berichterstattung “empfiehlt” der Beschwerdeausschuss jedoch die Veröffentlichung.

15. Dezember

Irgendwann muss jedes Kind enttäuscht einsehen, dass es drei Dinge nicht gibt: Weihnachtsmann, Christkind und Lothar Matthäus als Bundesligatrainer.

Bei “Bild” kann es allerdings noch etwas dauern, bis die Redakteure das mit Matthäus eingesehen haben, und so lange kann die Zeitung immer und immer wieder ihren Liebling ins Gespräch bringen. Und wir haben im BILDblog-Adventskalender was zum Lachen.

BILDblog vom 29. September 2009

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