Gift-Mais, Gruppensex, Gier

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Faszination des Deckels”
(begleitschreiben.net, Gregor Keuschnig)
Wie deutsche Medien die von den Schweizer Stimmbürgern angenommene Volksinitiative “gegen die Abzockerei”, eine Stärkung der Aktionärsrechte, als “Gesetz gegen Gier” darstellen.

2. “Der schärfste Special Effect, den das Schreiben zu bieten hat”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Ein guter Vergleich, schreibt Constantin Seibt, brauche als Rohmaterial “Verblüffung und präzise Beobachtung”: “Das entspricht ziemlich genau dem Blick eines Kindes. Und Kinder sind manchmal grausame Wesen.”

3. “A Day in the Life of a Freelance Journalist—2013”
(natethayer.wordpress.com, englisch)
Ein E-Mail-Wechsel zwischen einem freien Journalisten und der Redaktion von “The Atlantic”: “Maybe by the end of the week? 1,200 words? We unfortunately can’t pay you for it, but we do reach 13 million readers a month.”

4. “Futtermittelskandal: Der Skandal ist der Skandal selbst”
(novo-argumente.com, Georg Keckl)
“Noch zu keiner Zeit in der Geschichte gab es so wenig pilzbelastetes Getreide wie heute”, schreibt Agraringenieur Georg Keckl zu aktuellen Meldungen über “Gift-Mais”. Das eigentliche Problem sei “die öffentliche Skandalisierung”.

5. “Chronologie einer Berichtigung”
(hossli.com)
Mit Hartnäckigkeit bringt ein Twitterer die NZZ zu einer Berichtigung.

6. “Neue Episode im Gruppensex-Mem”
(gefaelltmir.sueddeutsche.de)
Die Quelle eines im Internet kursierenden Zeitungsausschnitts ist gefunden. Die Nachricht “Gruppensex am Mittag kein Kündigungsgrund” erschien am 10. Dezember 1982 im Lokalteil der “Süddeutschen Zeitung”. Siehe dazu auch die Texte “Nicht lustig” und “Skandal aus einer anderen Zeit”.

Übergriffe, Drachen, SWR3-Topthema

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1. “Wenn Politiker übergriffig werden”
(welchering.de)
Journalist Peter Welchering berichtet nach Recherchen über die Verwendung von Steuergeldern von Übergriffen durch Politiker: “Vollends irritiert hat mich, dass die vier Kollegen, die ähnliche Erfahrungen mit übergriffigen CDU-Politikern gemacht haben wie ich, von diesen Amtsträgern mit Bananenrepublikverständnis so eingeschüchtert waren, dass sie dringend um Anonymität gebeten haben.”

2. “SWR3 Flopthema – Mein Topthema”
(thorstenreimnitz.blogspot.de)
Thorsten Reimnitz kritisiert das “SWR3-Topthema”: “Ich will keine Phrasen (‘blühender Blödsinn’, ‘Neiddebatte’) oder gar Beleidigungen (‘Lügenbaron’) hören, ich will Argumente. Und eine Meinung will ich mir selber bilden, ansonsten kann ich auch eine Boulevardzeitung lesen.”

3. “In eigener Sache: Der Heise Zeitschriften Verlag und das Leistungsschutzrecht”
(heise.de)
Zum vom Bundestag letzte Woche verabschiedeten Leistungsschutzrecht für Presseverleger erklärt der Heise Zeitschriften Verlag: “Die Freiheit der Berichterstattung, der Verlinkung und des Zitierens, wer immer sie auch in Anspruch nimmt, darf keinesfalls gefährdet werden. Oder, um es allgemeiner zu formulieren: Wir akzeptieren keine Einschränkungen der Freiheiten und Möglichkeiten des Internet.”

4. “Ich blogge jetzt 8 Jahre und wollte euch was sagen”
(stadt-bremerhaven.de, Caschy)
Caschy bloggt “seit Jahren so 12 – 14 Stunden am Tag”: “Wie sich dieses Blog mit mir finanziert? Es gibt hier keine Schleichwerbung.”

5. “Die Finanzkrise im Spiegel der Medien”
(nzz.ch, Helena Hamann und Stephan Russ-Mohl)
Eine Gruppe von Forschern untersucht die Medien während der Finanzkrise: “Überraschend war für die Forscher, dass in den Nachrichten zwar von staatlichen Eingriffen berichtet und ihr Nutzen diskutiert worden sei, die Medien jedoch die Einmischung des Staates generell nicht mehr in Frage gestellt hätten. Auch die redaktionellen Linien der untersuchten Medien hätten ihre Gesamtberichterstattung nicht beeinflusst. ”

6. “#6 Chinabildblog: Medien machen Angst”
(doppelpod.com)
China als Drache auf den Titelseiten von “Spiegel” und “Focus”: “Ist das den Korrespondenten denn nicht langsam peinlich, für Magazine zu arbeiten, die mit ihrer Bildersprache da weiter machen, wo Wilhelm II mit seiner Hunnenrede aufgehört hat? Merken die denn gar nicht, dass sie mit diesen Bildern den Verdacht vieler Chinesen, westliche Medien würden anti-chinesische Propaganda betreiben, immer weiter erhärten?”

Apropos Trash

Da absolviert man eine langjährige journalistische Ausbildung, um dann auf der Internetseite des “Handelsblatts” eine Bildergalerie mit dem Titel “Das sind die schlimmsten Trash-Sendungen” (“Anlass”: Der Sendestart von RTL 2 vor 20 Jahren) zusammenzustellen. Das wünscht man tatsächlich niemandem.

Andererseits hätte das routinierte Abfrühstücken vermeintlich minderwertiger TV-Ware von “Big Brother” über “Frauentausch” bis hin zu “Toto & Harry” dann doch ein bisschen gewissenhafter ausfallen können:

Wer? Nie gehört! Prominente, die eigentlich keine sind, sich aber so schimpfen, kochen füreinander und müssen sich gegenseitig bewerten. Das ist "Das perfekte Promi-Dinner" auf dem Nischensender Vox. Die einzelnen Folgen dauern brutto zweieinhalb Stunden. Für eine Kochsendung im deutschen Fernsehen ist das Rekord.

Nun ist es ja wirklich nicht so, dass all die Kandidaten, die sich “Prominente” “schimpfen”, immer auch einem größeren Publikum bekannt sind. Aber wenn die Redakteure vom “Handelsblatt” keinen der Abgebildeten kennen, könnte das natürlich auch daran liegen, dass es sich nicht um ein Szenenbild aus “Das perfekte Promi-Dinner” (vier Kandidaten pro Sendung) handelt, sondern um eines der in jedem Fall Promi-freien Sendung “Das perfekte Dinner” (fünf Kandidaten pro Sendewoche).

Es geht aber noch trauriger:

Wenn es um Trash-TV geht, darf natürlich "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" nicht fehlen. Moderiert wurde die RTL-Sendung unter anderem von Dirk Bach, der im letzten Jahr verstorben ist. Co-Moderatorin Sonja Zietlow führt seitdem mit Daniel Hartwig "das Erbe" weiter. Das Grundkonzept der Sendung ist Schadenfreude, gespickt mit ekelerregenden Strafen. Zuschauer rufen für den jeweiligen Star an, der eine Dschungelprüfung durchlaufen muss. Meist müssen irgendwelche stark eiweißhaltigen Käfer oder Genitalien von größeren Tieren verspeist werden. Die letzte Staffel sahen im Schnitt immerhin 7,3 Millionen Zuschauer. Eine traurige Zahl. Doch viel trauriger ist die Tatsache, dass "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" 2013 für den Grimme-Preis in der Kategorie "Unterhaltung" nominiert wurde.

Ja, “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus” wurde “unter anderem” von Dirk Bach moderiert, der im letzten Jahr verstorben ist, und von Sonja Zietlow. Doch das auf dem Foto sind Bernhard Hoëcker und Susanne Pätzold als Dirk Bach und Sonja Zietlow.

Wenn handelsblatt.com jetzt eine Parodie aus “Switch Reloaded” mit der Originalsendung verwechselt, befindet sich die Seite allerdings in guter passender Gesellschaft: Bild.de ist das bisher drei Mal passiert.

Mit Dank an L.

Nachtrag, 5. März: handelsblatt.com hat das Szenenbild aus “Switch Reloaded” durch ein Foto von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich (echt) ersetzt und darunter geschrieben:

Hinweis: Ursprünglich wurde an dieser Stelle ein Bild aus der Satire-Sendung “Switch Reloaded” gezeigt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

“Das perfekte Promi-Dinner” ist komplett aus der Galerie geflogen.

Berliner Mauer, Piraterie, Unwörter

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1. “Desinformation: Mauer in Geiselhaft”
(taz.de, Sebastian Heiser)
Haben Bauarbeiter damit begonnen, einen der letzten Reste der Berliner Mauer niederzureißen, “damit dort Luxuswohnungen entstehen können”? “An dieser Botschaft stimmt so gut wie nichts. Aber sie zündet. Und sie wird von Journalisten inzwischen weltweit weiterverbreitet.”

2. “Zweierlei Maß?”
(dradio.de, Audio, 43:40 Minuten)
Walter van Rossum vergleicht Berichte und Kommentare deutscher Medien über Russland und die USA (auch als PDF-Datei oder Text): “In den deutschen Mainstream-Medien, die über das russische Adoptionsverbot berichten, macht sich kein Journalist die Mühe, die offizielle russische Version darzustellen, um sie anschließend zu überprüfen. Fast alle Medien erzählen bis in die Details der Formulierungen dieselbe Geschichte, mit denselben unbelegten Behauptungen, denselben Auslassungen, einseitigen und simplen Stereotypen: hier die eisige russische Nomenklatura, da der freundlich lächelnde american way of life.”

3. “Gezielt vorbei: Mein Problem mit dem ZEIT-Dossier ‘Filmpiraten: Aufnahme läuft!'”
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Torsten Dewi kritisiert den “Zeit”-Artikel “Aufnahme läuft!” von Kerstin Kohlenberg: “So, wie ich das sehe, bastelt Produzent Stefan Arndt an seiner eigenen Legende, um das Versagen von ‘Cloud Atlas’ zu rechtfertigen – und eine Journalistin hat sich für den intimen Einblick in die Szene genau diese Narrative füttern lassen, ohne sie je zu hinterfragen.”

4. “Im publizistischen Würgegriff”
(mspr0.de)
Am 1. März verabschiedete der Bundestag das Leistungsschutzrecht für Presseverleger: “Während beinahe alle Verbände, Aktivisten, Experten und Wissenschaftler kein gutes Haar an den Gesetzesentwürfen zum Leistungsschutzrecht ließen, ignorierte die Presse diese Stimmen eisern und hörte nicht auf, das Gegenteil zu verkünden. Und noch schlimmer als das journalistische Totalversagen: es gab nur wenige Politiker, die sich trauten, dieser interessengeleiteten Kampagne öffentlich zu widersprechen.”

5. “Wer darf das Wort ‘Zensur’ im Munde führen?”
(alexanderlasch.wordpress.com)
Mitglieder der Nationalen Armutskonferenz sammeln “irreführende und abwertende Begriffe” – und stellen eine “Liste der sozialen Unwörter” zusammen. Die FAZ greift die Liste auf und stuft sie als Zensurvorhaben ein. “Die Entstehungsgeschichte der ‘Liste’ wird mit keiner Silbe erwähnt, statt dessen werden die einzelnen Begriffe kurz aufgegriffen und hinsichtlich ihres Diskriminierungspotentials als unbedenklich eingestuft.”

6. “Blogger, Sponsoren und die Transparenz – Kommentar”
(mobilegeeks.de, Sascha Pallenberg)
“Persönlich bis ins Mark” treffen Sascha Pallenberg Vorwürfe wie “du schreibst doch den Artikel nur um deine Amazon Links unterzubringen” oder “der Testbericht fällt so positiv aus weil Firma XYZ dich zu einem Event eingeladen hat”, weshalb er nun “sämtliche Zuwendungen und Sponsorings” öffentlich macht.

Helium, Blumenverkäufer, Gruppensex

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1. “My little corner of the world”
(juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier schreibt für Online und das Lokale, was bei Kollegen oft Geringschätzung hervorruft (“Juliane, warum greifst Du eigentlich mit beiden Händen ins Klo?”). Dabei verzeiht Lokaljournalismus weniger Fehler: “Selbst im Politikteil der SZ dürfte ich ziemlichen Quatsch über Barack Obama schreiben können, ohne dass es irgendwelche Folgen hat. Versuchen Sie das mal mit dem örtlichen Bürgermeister, den sie morgen nochmal wegen des neuen Spielplatzes anrufen müssen.”

2. “‘Einmaliger Gruppensex’ nicht auffindbar”
(gefaelltmir.sueddeutsche.de, Dirk von Gehlen)
Was ist dran an der Story, dass “einmaliger Gruppensex” während einer Arbeitspause “kein Kündigungsgrund” sei? “Die Archiv-Recherche liefert zu dem angeblichen Fall keinen Zeitungsartikel und auch beim Arbeitsgericht München kann man sich an ein solches Urteil nicht erinnern.”

3. “‘Heute’ brennt, Helium nicht.”
(kobuk.at, Helge Fahrnberger)
Besnik Delija, Schüler der HTL Donaustadt, prüft einen Artikel der Tageszeitung “Heute” auf “fachliche Fehler”.

4. “Foreign correspondents in China call for inquiry into assault on German TV crew”
(guardian.co.uk, englisch)
Ein Team um ARD-China-Korrespondentin Christine Adelhardt wird angegriffen, berichtete der Foreign Correspondents’ Club of China (FCCC): “They forced the ARD driver to stop at one point, whereupon five or six men surrounded the car, attempted to get in, and hammered on the windows with their fists. The crew got away, but were pursued, forced off the road and onto the sidewalk, rammed, and made to stop. Two men from the pursuing vehicles attacked the minivan with baseball bats, shattering its windscreen, before the ARD driver was able to get away again by bulldozing his way past a car parked in front of the ARD van.”

5. “Wie der Amoklauf von Menznau mehrere Medien schlichtweg überforderte”
(lu-wahlen.ch, Herbert Fischer)
Herbert Fischer schreibt über die Berichterstattung zu einer Schießerei in Menznau, die Todesopfer und Verletzte forderte. Siehe dazu auch die Titelseite der “Neuen Luzerner Zeitung” vom 28. Februar.

6. “Im Namen der Rose”
(tagesspiegel.de, Katja Reimann)
Korim, Blumenverkäufer in Berlin: “Wenn das Geschäft mit den Blumen nicht genug abwirft, dann arbeitet er als Aushilfe in einem Restaurant. Auf 500 Euro komme er zusammengerechnet in einem Monat, in Bangladesch entspricht das in etwa einem durchschnittlichen Jahreseinkommen. Für 100 Euro kauft er Lebensmittel, 200 Euro zahlt er für ein Zimmer, das er sich mit einem anderen Mann teilt. ‘Alles gut’, sagt Korim. Ein schlechtes Leben in Europa ist immer noch besser als ein nicht ganz so schlechtes in Bangladesch.”

Who Cares About Glorious? (SZ-Remix)

Die deutschen Medien werden einfach nicht warm mit “Glorious” von Cascada. Seit zwei Wochen suchen sie nach Argumenten, mit denen sie den deutschen Beitrag zum diesjährigen Eurovision Songcontest torpedieren können. Doch nachdem die von ihnen selbst angestoßene Plagiatsdiskussion (BILDblog berichtete) nun endgültig begraben sein dürfte, müssen sie andere Dinge finden, die sie dem Lied vorwerfen können.

Die “Süddeutsche Zeitung” wagte gestern den Versuch, die angebliche Unbeliebtheit des Songs anhand nackter Zahlen zu belegen:

Wer wissen will, wie wichtig die deutschen Musikkäufer das Werk nehmen, werfe einen Blick auf die Hitparaden. So rangiert der Song in den Amazon-Downloadcharts gerade einmal auf Platz 26, und in den von Media Control ermittelten Singlecharts vom 22. Februar, also acht Tage nach dem Gewinn des nationalen Vorentscheids, reicht es auch nur für einen Einstieg auf Rang 36.

Rang 36 ist für ein Lied, das Deutschland beim weltweit größten Trällerwettbewerb vertreten soll, jämmerlich, beinahe so etwas wie die nachträgliche Disqualifikation. Erst recht, wenn man bedenkt, dass dieser Tage manchmal schon zehntausend verkaufte Einheiten für eine Spitzenplatzierung reichen.

Das Fazit der “SZ”:

Was schon am Abend des Sieges deutlich wurde, verfestigt sich nun in Zahlen. Es ist den Menschen hierzulande schlichtweg egal, wer da nach Malmö fährt.

Der letzte Satz ist interessant. Vor allem, weil er in einem Text zu finden ist, der sich, genauso wie unzählige weitere Artikel der letzten zwei Wochen, ausgiebig damit beschäftigt, “wer da nach Malmö fährt”. Und auch sonst hält sich die “Süddeutsche” hier allenfalls an die halbe Wahrheit. Denn es mag zwar stimmen, dass der Song in den Downloadcharts bei Amazon auf Rang 26 (momentan sogar noch schlechter) platziert ist. Bei iTunes stand er hingegen zeitweise in den Top 20, bei Musicload belegt er Platz 14. Im Text wird das verschwiegen.

Die restliche Charts-Argumentation ist schlichtweg falsch. Denn die “jämmerlich[e]” Platzierung in den Singlecharts, von der die Zeitung hier spricht und die belegen soll, wie unbeliebt, wie egal das Lied doch eigentlich ist, dieser läppische Rang 36, der “beinahe so etwas [ist] wie die nachträgliche Disqualifikation” – ist in Wirklichkeit eine Fehlinformation. Denn wie uns Media Control auf Anfrage bestätigte, stand “Glorious” zwar tatsächlich auf Rang 36 – diese Platzierung ergab sich aber aus den Verkaufszahlen vom 8. bis 14. Februar, also aus der Zeit vor dem nationalen Vorentscheid. In der Woche danach verkaufte sich der Titel dann so gut, dass er von Platz 36 direkt auf Platz 6 sprang. Das hatte Media Control am Montag, einen Tag vor Erscheinen des “SZ”-Artikels, auch offiziell mitgeteilt.

Wer also wissen will, wie wichtig die deutschen Musikkäufer das Werk nehmen, und wer das dann auch noch als zentrales Argument in einen Text einbauen will, der werfe, liebe “SZ”, doch auch bitte einen Blick auf die richtigen Hitparaden.

Mit Dank an tisch.

Serien, Journalistinnen, Neues Deutschland

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1. “45 Jahre DDR-Zeitungen online durchstöbern”
(staatsbibliothek-berlin.de)
Unter der nicht ganz so handlichen Adresse zefys.staatsbibliothek-berlin.de/ddr-presse finden sich nun auch “alle Ausgaben der Jahre 1946-1990” von der DDR-Zeitung “Neues Deutschland”: “So kann man rasch ergründen, ob es auch im DDR-Sprachgebrauch ‘Volksschädlinge’ gab, welche Codes sich hinter ‘lang anhaltender stürmischer Beifall’ und ‘lebhafter Meinungsaustausch’ verbargen, wie Versorgungsmängel sprachlich in ein positives Licht gerückt wurden oder wer als treibende Kräfte bei Sabotageakten beschuldigt wurde.”

2. “Neue Deutsche Serien im Internet”
(couchmonster.de, Denis Krah)
Es sei ein Fehler, anzunehmen, “dass es in Deutschland keine guten Autoren und Produktionsfirmen mit Ideen gibt”, schreibt Denis Krah. Er schlägt die Gründung einer unabhängigen Produktionsfirma vor, “die ihre Inhalte selbst im Netz via Stream und/oder Download verkauft und vermarktet.” Siehe dazu auch “Warum das Fernsehen keine Zukunft hat” (blog.barnabas-crocker.de).

3. “‘hart aber fair’-Redaktion: Zitat ‘in keiner Weise […] entstellt'”
(stigma-videospiele.de, Rey Alp)
Die Redaktion von “hart aber fair” nimmt Stellung zur Kritik an der Verwendung eines Zitats von Prinz Harry von Wales.

4. “Als Knut Reinhardt und Alois Reinhardt plötzlich Brüder waren”
(11freunde.de, Knut Reinhardt und Stephan Reich)
Wie eine Dortmunder Lokalzeitung 1992 zwei Fußballspieler zu Brüdern machte: “Im Artikel kam sogar eine Frau zu Wort, unsere angebliche Mutter, die sich in mehreren Zitaten über mich und Alois geäußert hatte – eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte.”

5. “5 Easy Ways to Spot a B.S. News Story on the Internet”
(cracked.com, David Wong, englisch)
Wie man eine Story, die man weder lesen noch teilen sollte, erkennt.

6. “Said to Lady Journos”
(saidtoladyjournos.tumblr.com, englisch)
Was Menschen zu Journalistinnen sagen. Eine Sammlung von Zitaten.

Zeitungen, Babys, Castingshows

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1. “Die Strategie für die Zeitung von Morgen, Teil 2: Das Wagnis”
(blog.tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Zeitungen als “Produkte einer Vergangenheit, entworfen für ein Publikum, das aufhört, zu existieren”, müssen sich neu erfinden. Constantin Seibt liefert einige Vorschläge, wie das gelingen könnte.

2. “RTL-Baby-Doku: Boulevard-Bericht schreckt Politik auf”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
“Die Filmaufnahmen auf der Entbindungsstation im Klinikum Friedrichshain der Vivantes GmbH sollen ausgesetzt werden”, teilt die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales in einer Pressemitteilung mit – eine Produktion von RTL könnte “die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Kinder und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer” gefährden. Uwe Mantel schreibt dazu: “Bekannt ist das Format nun also schon über eine Woche, erst die Berichte in Boulevardzeitungen sorgten nun aber für Aufregung in der Politik.”

3. “Damit Migranten Zeitungsartikel verstehen: ‘Schreibt nicht so kompliziert!'”
(newsroom.de, Bülend Ürük)
Christian Sauer weiß, wie “Migranten als Leser, User und Kunden zu gewinnen” wären: “Liebe Redaktionen, bitte nehmt Bürger mit ausländischen Wurzeln genau so Ernst und genau so auf den Arm wie alle anderen auch. Macht Euch die gleichen Gedanken über sie wie über den Rest der Bürger in Eurem Verbreitungsgebiet. Schaut hin, wie und wo sie wohnen, was sie arbeiten, wie sie leben. Welche Schulen sie besuchen, welche Firmen sie gründen, welche Feste sie feiern. Aber bitte, schaut wirklich hin, denn diese Menschen artikulieren sich nicht von allein in der Zeitung.”

4. “Leistungsschutzrecht: Die Eigentorheit der Verlage”
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger werde niemandem mehr schaden als den Presseverlegern selbst: “Fast hat man sich daran gewöhnt, dass gutgemeinte Gesetze nicht wirksam sind. Aber dieses wird zum exakten Gegenteil des gewünschten Ziels führen.” Siehe dazu auch “Lügen fürs Leistungsschutzrecht (4)” (stefan-niggemeier.de).

5. “Showbiz, bis die Tränen fließen”
(zeit.de, Solmaz Khorsand)
Ein Blick auf Castingshows in Österreich: “Für die Sender sind solche Castingformate ein gutes Geschäft. Viele Kandidaten müssen nach dem Ende der Talentshow noch jahrelang Tantiemen an den Sender zahlen. Über Details der Verträge will kein Kandidat sprechen, es drohen hohe Strafen, wenn sie zu viel ausplaudern.”

6. “Trainer Frank Gentges bekennt: ‘Ich habe Angst vor der Bild'”
(eishockeynews.de)

Bild  etc.

Beim Abschreiben erwischt

Die neue niedersächsische Landesregierung möchte das sogenannte Sitzenbleiben, also die Wiederholung eines Schuljahrs wegen schlechter Leistungen, abschaffen. So stand es vor einer Woche in “Bild”.

Dekoriert war die Meldung mit einer Galerie berühmter Sitzenbleiber. Auf der Liste befanden sich unter anderem der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, der frühere Reichskanzler Otto von Bismarck, der Ex-Fußballprofi Mehmet Scholl und Johannes B. Kerner — also Menschen, die sonst nicht allzu viel gemein haben.

Diese und ähnliche Listen, die sitzengebliebenen Kindern womöglich als Trost dienen sollen, finden sich immer wieder in den Medien, wenn es um schlechte Schulleistungen geht.

Auch diese beiden sind häufig dabei — auch bei “Bild”:

Klaus Wowereit, Guido Westerwelle

Allein: Weder Klaus Wowereit noch Guido Westerwelle haben je eine “Ehrenrunde” gedreht.

Das Presse- und Informationsamt des Landes Berlin erklärte uns auf Anfrage, dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit mit 6 Jahren und 9 Monaten eingeschult worden sei und seine Schullaufbahn nach den regulären 13 Jahren mit dem Abitur abgeschlossen habe. Auch Guido Westerwelle, der sein Abitur mit nicht einmal 19 Jahren abgelegt hat, ist ganz normal 13 Jahre zur Schule gegangen, wie uns aus seinem Umfeld bestätigt wurde.

Aber woher stammen dann die Geschichten von den beiden vermeintlichen prominenten Sitzenbleibern? Die Suche nach dem Ursprung dieser Gerüchte gleicht einem Ausflug ins Spiegellabyrinth: Irgendjemand muss mal eine Liste veröffentlicht haben, von der seitdem alle anderen abschreiben. Bei t-online.de, das in der Wikipedia teilweise als Quelle fürs Sitzenbleiben angegeben ist, wird eine 2008 veröffentlichte Bildergalerie offenbar ständig überarbeitet (der im Oktober 2012 verstorbene Dirk Bach wird dort als “der erst kürzlich verstorbene Dirk Bach” anmoderiert).

Die Namen Wowereit und Westerwelle finden sich etwa beim “Westen” (Juli 2011), in aktuellen Texten bei den “Lübecker Nachrichten” und auf n-tv.de.

Westerwelle gilt bei der “Berliner Zeitung” und wdr2.de als Sitzenbleiber, Wowereit bei der “Welt” und gemeinsam schmücken sie eine Klickstrecke bei “Spiegel Online”.

Beim Presse- und Informationsamt des Landes Berlin konnte sich niemand so recht erklären, wie Klaus Wowereit auf diesen Listen gelandet sei. Man wolle jetzt aber gegen dieses Gerücht vorgehen. In der Online-Version des “Bild”-Artikels fehlt Wowereit inzwischen. Offenbar ein erster Erfolg auf einem langen Weg.

Mit großem Dank an Markus B.

Bild  

Eine Herzensangelegenheit des Hauses

Bevorzugt nach der Ausstrahlung eines TV-Films (gefühlt: nach jedem verdammten “Tatort”), manchmal aber schon davor, beantwortet “Bild” die drängende Frage, wer denn die manchmal “geheimnisvolle”, häufig “tote”, aber immer “schöne” junge Frau da auf dem Bildschirm gewesen sei. Mal gibt es dazu ein Interview, mal nur ein großes Foto mit einem Hinweis auf den aktuellen Beziehungsstatus der Abgebildeten.

Heute schwärmt die Zeitung von “Kino-Darling” Jennifer Ulrich, die eine “Mega-Rolle” habe:

Das heißt: Mehr noch schwärmt “Bild” von dem Film, in dem Jennifer Ulrich diese Mega-Rolle spielt:

Dieser Film wird jedes Zuschauer-Herz höherschlagen lassen!

Sat.1 zeigt heute um 20.15 Uhr die Dahinschmelz-Komödie “Herztöne”, produziert von der Hit-Schmiede “Teamworx”.

Es sei “der Film zum Bestseller”, erklärt “Bild”.

Oder genauer:

Bezaubernder Bestseller: "Herztöne" von Katja Kessler

Bei all dem Alliterationsamok und dem Komposita-Overkill war in “Bild” offenbar kein Platz mehr, um zu erklären, wer diese Katja Kessler eigentlich ist, die diesen “bezaubernden Bestseller” da geschrieben hat: Langzeit-Kolumnistin und Chefredakteursgattin.

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