Handelsblatt, Hoodiejournalisten, Beamtworter

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Meinungsschlacht um die Krim: Manipulation in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie?”
(wiesaussieht.de, F. Luebberding)
Frank Lübberding befasst sich mit Aufmerksamkeitsökonomie: “Nach der Logik der Onlineökonomie ist der Inhalt eines Artikels völlig egal, solange er sich im Wettbewerb durchetzen kann. Relevant ist die Reichweite des einzelnen Artikels und nicht mehr, wie früher, etwa die Vertriebserlöse des Gesamtprodukts Zeitung. Das Misstrauen gegen die Massenmedien befördert somit heute vor allem deren schon immer vorhandene Skandalisierungsneigung. Abgewogene Artikel, oder solche, die sich auf Berichterstattung und Einordnung beschränken, werden nicht in gleicher Weise gelesen.”

2. “Hoodiejournalisten als Manager von morgen oder: Welche Führungskräfte braucht die Medienbranche?”
(kress.de, Marcus Hochhaus)
Sind “Hoodiejournalisten” die erfolgreichen Medienmanager von morgen? “Sie sind (zumeist aus budgetärer Not) sehr ziel- und ergebnisorientiert, verstehen Medien als Ecosystem, das sich schnell verändert und in dem man selber flexibel bleiben und sich strategisch positionieren muss. Sie wissen, sich gegen interne und externe Widerstände durchzusetzen, beachten aber auch, dass die Wettbewerber von heute die Partner von morgen sein können.”

3. “Verdacht auf Schleichwerbung: Wofür das ‘Handelsblatt’ 5000 Euro nimmt”
(wuv.de, Frank Zimmer)
Das “Handelsblatt” weist Schleichwerbe-Vorwürfe zurück: “Laut VHB ist die umstrittene Angebotspraxis Anfang März im Verlag aufgefallen und sei ‘sofort unterbunden’ worden.”

4. “Das Jenke-Experiment auf RTL – Reaktionen”
(leidmedien.de)
Leidmedien.de sammelt Reaktionen zur RTL-Sendung “Das Jenke-Experiment: Welche Probleme haben Rollstuhlfahrer im Alltag?”.

5. “FragDenStaat sucht den ‘Beamtworter des Jahres'”
(blog.fragdenstaat.de)
Die Website “Frag den Staat” will “vorbildliches Verhalten von informationsfreiheitsfreundlichen BehördenmitarbeiterInnen” mit dem Titel “Beamtworter des Jahres” auszeichnen.

6. “Der deutsche Way of Life”
(zeit.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein denkt nach über das Leben in Deutschland und den USA: “Bei allen staatlichen oder offiziellen Sachen ist Deutschland extrem freundlich, friedlich, unaggressiv und verständnisvoll. Sämtliche Aggressions- und Unfreundlichkeitspotentiale kommen im persönlichen Miteinander zum Einsatz.”

Am Undercut herbeigezogen

So ganz sicher sind sich die Medien ja nicht, ob es wirklich stimmt, was da gerade wieder Verrücktes über Nordkorea berichtet wird. Die dpa hat am Ende ihrer Meldung sogar extra geschrieben:

Es ist sehr schwierig, Angaben aus Nordkorea zu überprüfen.

Aber wie immer in solchen Fällen, hält das die Journalisten natürlich auch diesmal nicht davon ab, die Geschichte trotzdem zu verbreiten.

Und wie!

Screenshots: diverse

In fast allen Überschriften und Teasern wird der angebliche “Frisurenzwang” kurzerhand zur Tatsache erklärt, auch in einigen Artikeln ist kaum ein Zweifel an der Story zu spüren.

Als erstes großes Medium hatte die BBC über die Geschichte berichtet, aufgeschnappt hatte die sie wiederum bei “Radio Free Asia”. In Deutschland war “Focus Online” zuerst darauf angesprungen, später dann dpa und Dutzende andere Medien.

Wie aber die Seite “NK News” bereits gestern berichtet hat, ist auch an dieser Story offensichtlich nicht allzu viel dran. Das in den USA ansässige Nachrichtenportal hat sich auf Nordkorea spezialisiert; Quellen sind oftmals NGO-Mitarbeiter, im Ausland lebende Nordkoreaner oder Menschen, die erst kürzlich von einer Nordkorea-Reise zurückgekehrt sind. So wie auch in diesem Fall:

“Ich bin mir ziemlich sicher, dass [die Geschichte vom Frisurenzwang] Quatsch ist. Letzte Woche hatten alle noch typische Haarschnitte”, sagte Andray Abrahamian, Executive Director der NGO “Choson Exchange” in Singapur, der regelmäßig mit jungen Nordkoreanern arbeitet.

Gareth Johnson, General Manager der “Young Pioneer Tours” in Peking, sagt NK News ebenfalls, dass — Stand: letzte Woche — keiner seiner Kollegen Beweise für die neue Frisurenverordnung entdeckt habe. “Wir waren letzte Woche in Nordkorea und haben niemanden mit besagtem Haarschnitt gesehen. Es scheint, als müsse die BBC jede Woche eine neue Nordkorea-Geschichte finden”, sagte Johnson […].

(Übersetzung von uns.)

Das Portal zitiert noch weitere Quellen, die in Nordkorea leben oder arbeiten und ebenfalls davon ausgehen, dass an der Meldung nichts dran ist. Zwar habe sich der Staat in der Vergangenheit bei diesem Thema tatsächlich eingemischt, indem er bestimmte Haarschnitte empfohlen habe, doch inzwischen seien die Mode-Richtlinien gelockert worden. Außerdem würden Verstöße gegen solche Richtlinien nur selten geahndet.

Auch eine andere haarige Geschichte, über die in diesem Zusammenhang (auch von deutschen Medien) gerne berichtet wird, entspricht laut “NK News” nicht der Wahrheit: Seit einiger Zeit geistere der Mythos umher, dass

Frauen aus einer bestimmten Palette von zugelassenen Haarschnitten auswählen müssen. Doch die Fotos, die in der Regel genutzt werden, um diese Behauptung zu untermauern, zeigen oft Poster mit einer Auswahl von Haarschnitten, die in Friseurläden in Pjöngjang hängen — und die den Kunden in Wirklichkeit nur eine Idee von den möglichen Optionen geben sollen, keine verpflichtende Auswahl.

Aber wie das nun mal so ist:

Gerüchte über Nordkorea, die auf anonymen Quellen basieren, tauchen oft in den Maintream-Medien auf — und führen zu einem “echo chamber effect”.

Mit Dank an Stefan S., Marvin S. und Christoph A.

Scotusblog, Daniel Bröckerhoff, Webradio

6 vor 9

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1. “Warum die NASA nicht sagt, dass die Welt untergeht”
(scilogs.de, Thomas Grüter)
Eine Studie, die angeblich von der NASA stammt, soll gemäß Medienberichten den Untergang der Menschheit prophezeien. “Nach einigen Recherchen wurde mir klar, dass in den meisten Berichten kaum etwas stimmt.”

2. “Die Erfüllung muss das Honorar ersetzen”
(faz.net, Patrick Bahners)
Patrick Bahners berichtet über das Scotusblog: “Scotusblog ist für alle Interessierten und Beteiligten die wichtigste Informationsquelle über den Supreme Court of the United States (Scotus) – für alle, das heißt: auch für die Anwälte, für die Zuarbeiter der Richter und mutmaßlich auch für die Richter selbst.”

3. “ZDF: Mehr Staatsferne für die Gremien”
(ndr.de, Video, 6:28 Minuten)
Ein “Zapp”-Beitrag zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den ZDF-Staatsvertrag: “Dass überhaupt Staatsvertreter über das ZDF wachen, im Verwaltungsrat sogar amtierende oder Ex-Ministerpräsidenten, störte das Gericht aber nicht. Die Politik sei halt Teil des Gemeinwesens.”

4. “Daniel Bröckerhoff: Der Selbstvermarkter”
(vocer.org, Philipp Löwe)
Ein Interview mit “Zapp”-Mitarbeiter Daniel Bröckerhoff: “(…) wenn du vom privaten Fernsehen ins öffentlich-rechtliche wechselst, ist sehr, sehr viel sehr, sehr anders.”

5. “Die neue Webradio-Quote”
(sebastian-pertsch.de)
Die AGMA veröffentlicht erstmals eine Webradio-Quote. Sebastian Pertsch schreibt dazu: “Mit der ma IP Audio hat die agma einen Meilenstein gelegt, der künftig nicht mehr wegzudenken sein wird. Bleibt zu hoffen, dass sich bald deutlich mehr Radios an der Webradio-Quote beteiligen, die Metriken facettenreicher sind, die Quoten vereint werden und endlich die Mobilfunkdaten in die Statistik mit einfließen.”

6. “Eine schrecklich private Familie”
(sueddeutsche.de, Ekkehard Müller-Jentsch)
Die Familie Geiss – bekannt aus “Die Geissens” – streitet sich mit Klatschzeitschriften vor Gericht: “In gleich fünf Prozessen haben sich Robert sowie Carmen Geiss samt ihrer Töchter Davina Shakira und Shania Tyra Maria am Mittwoch vor dem Landgericht München I gegen Berichte von zwei Klatschblättern gewandt, die sich mit vermeintlich dunklen Seiten der Geissens befassten.”

Focus  

“Vorwürfe gegen Tebartz-van Elst ausgeräumt”

Für Leser des “Focus” brachte der Mittwoch überraschende Neuigkeiten. Der Abschlussbericht einer Prüfungskommission für die Deutsche Bischofskonferenz stellte fest, dass Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst beim Bauprojekt auf dem Limburger Domberg systematisch zu niedrige Kosten angegeben, Kontrollen verhindert und kirchliche Vorschriften umgangen habe. Papst Franziskus nahm daraufhin den Amtsverzicht des Bischofs an.

Das hatte das vermeintliche “Nachrichtenmagazin” nicht kommen sehen. Am 26. Januar 2014 hatte es exklusiv gemeldet, der Abschlussbericht der Prüfkommission werde Tebartz-van Elst entlasten: Die Vorwürfe gegen ihn seien weitgehend ausgeräumt.

Verbreitet wurde die Ente nicht nur vom “Focus” selbst und seiner Schwesterpublikation, der “Huffington Post”. Die Nachrichtenagenturen AFP und epd übernahmen die Nachricht, wie bei solchen Vorabmeldungen üblich, ungeprüft unter Berufung auf die Zeitschrift.

AFP:

Kommission sieht Vorwürfe gegen Tebartz laut Bericht ausgeräumt

München, 26. Januar (AFP) – Eine von der Bischofskonferenz eingesetzte Kommission betrachtet die Vorwürfe gegen den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst offenbar als weitgehend ausgeräumt. Das Gremium kam zu dem Ergebnis, dass dem umstrittenen Bischof beim 31 Millionen Euro teuren Bau seiner Residenz weder Geldverschwendung noch das Übergehen von Kontrollgremien vorzuhalten sei, berichtet das Magazin “Focus” in seiner neuen Ausgabe. Angeblich werde in dem aus drei Geistlichen und zwei Wirtschaftsprüfern bestehenden Gremium noch um abschließende Formulierungen gerungen.

epd:

“Focus”: Bischof Tebartz-van Elst angeblich entlastet

Limburg/München (epd). Der umstrittene Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst ist offenbar weitgehend entlastet. Nach einem Bericht des Münchner Nachrichtenmagazins “Focus” hat eine Prüfkommission die Vorwürfe gegen ihn weitgehend ausgeräumt. Die von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Kommission ist nach diesen Informationen zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Bischof beim Bau seiner Residenz weder Geldverschwendung noch das Übergehen von Kontrollgremien vorzuhalten sei.

Die Meldung der evangelischen Nachrichtenagentur epd an jenem Sonntag war von 16:56 Uhr — zwei bis drei Stunden vorher hatten dpa und die katholische Nachrichtenagentur KNA bereits berichtet, dass einen Sprecher der Bischofskonferenz der “Focus”-Meldung widersprach.

Im gedruckten “Focus” stand von dem Dementi bis heute nichts.

Bunte  

Schwarze Stunde für die “Bunte”

Ginge es nach der “Bunten”, würden sich alle frischgebackenen Promi-Mütter so verhalten wie Charlotte Casiraghi. Denn die …

versteckt Baby Raphaël nicht! Kein nerviges Tarnspiel mit Wickeltuch über dem Maxi-Cosi oder krampfhafte Klammerhaltung, damit bloß keiner das Gesichtchen sieht.

Deshalb musste auch nur noch ein Paparazzo im richtigen Moment draufhalten, und schon konnte die “Bunte” Anfang dieses Monats die Fotos vom royalen Nachwuchs groß aufs Cover drucken und verkünden:

CHARLOTTE CASIRAGHI
zeigt stolz und zum ersten Mal Söhnchen Raphael. So süüüüß!

Der Umstand, dass Charlotte Casiraghi ihr Kind nicht 24 Stunden am Tag in eine blickdichte Decke hüllt, um es vor möglicherweise irgendwo lauernden Paparazzi zu schützen, wird von der “Bunten” sogar als bewusster Akt gedeutet. Als habe Casiraghi damit gerechnet — oder vielleicht sogar darauf gewartet –, dass ihr Kind fotografiert wird und die Bilder um die Welt gehen. Richtig so!, findet die Redaktion:

Charlotte scheint verstanden zu haben […] dass Raphaël mitnichten ein rein privates Baby ist.

Inzwischen dürfte aber auch bei der “Bunten” angekommen sein, dass das völliger Blödsinn ist. Dafür muss sie nur ein Blick auf ihr eigenes Cover werfen, denn das sieht, wenn man sich die Ausgabe in den vergangenen Tagen als e-Paper gekauft hat, mittlerweile so aus:Charlotte Casiraghi - Das ist ihr süßes Baby!

Und so das Foto im Innenteil:Hallo, ich bin Monacos SCHUTZENGEL!

Die Bilder, auf denen ursprünglich Charlotte Casiraghi mit ihrem Baby zu sehen war, sind samt Bildunterschriften nachträglich unkenntlich gemacht worden (ebenso online). Auch über zwei Textpassagen liegen jetzt schwarze Balken. Sie bezogen sich auf die Fotos und darauf, dass Charlotte Casiraghi ihr Kind womöglich bewusst so offen gezeigt habe.

Es ist also jemand — vermutlich Casiraghi selbst — gegen die “Bunte” vorgegangen. Der Burda-Verlag hat uns bestätigt, dass eine juristische Auseinandersetzung dahintersteckt. Mehr wollte man dazu nicht sagen.

Tja, doof für die “Bunte”. Dabei hatte sie sich doch solche Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, als habe Charlotte Casiraghi endlich ein Einsehen gehabt und ihr Kind freiwillig und bewusst der Weltöffentlichkeit präsentiert.

Aber sei’s drum, schließlich gibt es ja noch eine Menge anderer royaler Babys auf der Welt, über die die “Bunte” berichten kann. Zum Beispiel das hier:LEONORE - SCHLAFENDE ENGELSPRINZESSIN - Am 20. Februar nahm Papa Chris dieses Foto von seiner Tochter Leonore auf

Das Foto zeigt die Tochter von Madeleine von Schweden und wird vom Königshaus selbst verbreitet. Es wurde in derselben Ausgabe der “Bunten” gedruckt, in der auch die geschwärzten Casiraghi-Fotos zu finden sind. Die Überschrift des Artikels lautet:

Madeleine von Schweden: Royales Tauziehen mit König Carl Gustaf um Babyprinzessin Leonore

Zumindest steht das so im Inhaltsverzeichnis. Und im Artikel selbst? Nun ja:-

Tatsächlich: Auch dieses Paparazzi-Foto — es zeigte Madeleine von Schweden, ihren Mann und ihre Schwiegermutter, die mit dem Baby (versteckt im Maxi-Cosi) unterwegs sind — musste die “Bunte” samt Schlagzeile und Bildunterschrift nachträglich schwärzen. Auch hier ist der Grund eine juristische Auseinandersetzung, wie uns der Verlag bestätigte, und auch hier wollte er sich nicht weiter dazu äußern.

Zwei Rechtsstreite, ein zensiertes Cover, mehrere geschwärzte Fotos und Textpassagen in ein und derselben Ausgabe — ob die “Bunte” nun ahnt, dass auch Mitglieder von Königshäusern ihr privates Kinderglück nicht jederzeit mit der Welt (und irgendwelchen Promiblättchen) teilen müssen? Vermutlich nicht.

Mit großem Dank auch an Ralf K.

Ebola, MH370, Staatsferne

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ebola löst Panik-Epidemie in Redaktionen aus”
(udostiehl.wordpress.com)
Wie Medien mit einem Verdachtsfall einer Ebola-Infektion in Kanada umgehen. Siehe dazu auch “Entwarnung in Kanada: Erkrankter hatte kein Ebola” (tagesschau.de).

2. “Kämpfen Konzerne mit unsauberen Mitteln um jugendliche Kunden?”
(mediathek.daserste.de, Video, 6:06 Minuten)
“Report Mainz” recherchiert am Beispiel von Y-Titty zur gebotenen Trennung zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten bei YouTube-Videos.

3. “Flight MH370: the relatives should have been told the worst in private”
(theguardian.com, Joanna Moorhead, englisch)
Die Hinterbliebenen der Passagiere des nun von den Behörden als abgestürzt deklarierten Flugs MH370. “As the 10 O’Clock News beamed all this into my sitting room last night, there was only one thought in my mind: we shouldn’t be seeing this. No reporter, no camera, no prying eyes, no public should have been allowed into the room through which the grieving relatives, who had just been told the Malaysian plane has definitely been lost with no survivors, had to walk.”

4. “Kapitulation des Gerichts vor der Politik”
(berliner-zeitung.de, Christian Bommarius)
Christian Bommarius kommentiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF-Staatsvertrag: “Natürlich, wer es als Erfolg betrachtet, wenn ein Vier-Zentner-Mann nach mehrmonatiger Diät zwei Pfund verliert, wer dem Alkoholiker gratuliert, dem es endlich gelingt, von dem Kasten Bier, den er gewöhnlich an jedem Tage zu trinken pflegt, einmal in der Woche eine Flasche ungeleert zu lassen, der wird auch das 14. Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts als Meilenstein auf dem Weg zur verfassungsrechtlich verlangten Staatsferne des Senders beklatschen.” Siehe dazu auch “Triumph des Staatsfunks” (cicero.de, Alexander Kissler).

5. “Alters-Schwäche”
(theeuropean.de, Thore Barfuss)
Der Graben im Journalismus verlaufe nicht so sehr zwischen Online und Print als zwischen jüngeren und älteren Journalisten: “Aus Sicht der alten Hasen gehört Plöchinger mit seinen 37 Jahren einfach noch zu den jungen Hüpfern.” Siehe dazu auch “Hoodie-Journalisten rudern lachend die Galeeren” (jensrehlaender.tumblr.com) und “Es war Sonntag. Und es regnete” (medium.com, Simon Hurtz).

6. “Ein halbes Jahrhundert lang Doktorand”
(zeit.de, Hans-Dieter Eberhard)

“Haut endlich ab!”

Gestern Nachmittag schrieb Bild.de im MH370-Liveticker:

Bei den Angehörigen kochen die Emotionen hoch. Im Pekinger Lido Hotel kommt es zu Tumulten. Wütende Verwandte gehen auf wartende Medienvertreter los. Eine Frau schlägt mit der Tasche auf Kameras ein. “Haut ab!”, schreit sie.
Zuvor waren mehrere Verwandte mit tränenüberströmten Gesichtern aus dem Raum gekommen und von Reportern gejagt worden. Einige brachen vor laufenden Kameras auf dem Weg zusammen. Mehrere mussten mit Krankenwagen weggebracht werden.

Und was macht man bei Bild.de mit Menschen, die voller Verzweiflung auf Kameras einprügeln, weil sie endlich in Ruhe gelassen werden wollen, die von Reportern gejagt werden und vor laufenden Kameras tränenüberströmt zusammenbrechen? Genau: Man zeigt ohne Ende die unter diesen Umständen gemachten Fotos von ihnen.

Drei Stunden nach der Ticker-Nachricht veröffentlichte Bild.de über ein Dutzend solcher Aufnahmen — in einem einzigen Artikel.

Wir beschränken uns hier auf die Bildunterschriften:
Schreie der Verzweiflung Viele Angehörige brechen nach der Todesnachricht im Hotel Lido zusammen Wut bei diesem Angehörigen Ein Hinterbliebener nach der Hiobsbotschaft Nach zwei Wochen verlassen gebrochene Angehörige das Hotel Lido in Peking Verwandte von vermissten Passagieren rücken in ihrer Trauer zusammen Unerträglichen Leid Verzweifelt schlägt die junge Frau die Hände vor das Gesicht Tränen bei dieser Hinterbliebenen
 Schmerz
 Eine Angehörige bricht zusammen Eine ohnmächtige Frau wird zu einem Rettungswagen geschoben Trauer
Bild.de ist nicht das einzige Medium, das darin offenbar keinen Widerspruch sieht — oder ihn schlicht ignoriert. Auch “RP Online” schrieb gestern Abend:

Empörung lösen auch die vielen Medienvertreter aus. Sie machen in dem Hotel geradezu Jagd auf die trauernden Verwandten, sobald sie aus dem Saal herauskommen. Es kommt zu Tumulten zwischen verärgerten Angehörigen und Reportern. Mehrere Verwandte schlagen auf Kamerateams ein. “Haut ab, haut ab, haut endlich ab!”, kreischt eine Frau mit verweintem Gesicht. Sie schlägt mit der Tasche gegen eine Kamera. “Lasst uns endlich in Ruhe!”, ruft wütend eine andere Frau.

… und als hätte es diesen Absatz niemals gegeben, werden in der dazugehörigen Klickstrecke auf sieben von acht Fotos trauernde Angehörige gezeigt. Auch “T-Online”, “FR Online”, N24.de, die Münchner “Abendzeitung” und viele andere Medien haben solche Klickstrecken veröffentlicht.

Sicher: Fotos von Trauernden sind nicht per se zu verurteilen. Der Presserat befand etwa nach dem Amoklauf von Winnenden, dass die Veröffentlichung eines Fotos von zwei weinenden Schülerinnen nicht gegen den Pressekodex verstoße — es dokumentiere, im Gegenteil, “auf eindrucksvolle Weise die Trauer und die Verzweiflung”, die nach der Tat herrschten (PDF, S. 20).

Aber gleich zig Bilder von verzweifelten Menschen zeigen, von denen man genau weiß, dass sie nicht fotografiert werden wollen?

Selbst die “Tagesschau” hat damit kein Problem. In der Ausgabe am gestrigen Abend waren fast 30 Sekunden am Stück ausschließlich trauernde und zusammenbrechende Angehörige zu sehen, und Menschen, die sich verzweifelt dagegen wehren, gefilmt zu werden, was offenbar besonders reizvoll-dramatische Aufnahmen produziert. Screenshot: "Tagesschau" vom 24. März 2014, 20 Uhr
Die Sequenz endet damit, wie der Kameramann mit einem hektischen Zoom versucht, noch einen letzten Blick ins Innere des Hotels zu erhaschen, bevor die Tür endlich zugemacht wird.

Mit Dank auch an Daniel.

Nachtrag, 26. März: Auf Anfrage erklärte uns “Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke: “Wir haben in der Nachbesprechung der Sendung diese Szene kritisch diskutiert. Im Nachhinein fanden wir es problematisch, diese Menschen zu zeigen unmittelbar nachdem sie die Todesbestätigung ihrer Angehörigen erhalten haben. In einer vergleichbaren Situation würden wir die Szene wesentlich kürzer zu zeigen und auf Großeinstellungen der Trauernden verzichten.”

Uli Hoeneß, taz, Equal Pay Day

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1. “Der Medienfall des Ulrich Hoeneß”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, Dietrich Leder)
Mit Verwunderung blickt Dietrich Leder zurück auf jene “bizarre Fernsehwoche”, in der in deutschen Medien so über den Prozess gegen Uli Hoeneß berichtet wurde, “als geschehe nichts anderes auf der Welt und in der Bundesrepublik Deutschland”. “Erst das Fernsehen machte aus Ulrich Hoeneß jene Medienmarke, jenen Medienakteur und jenen Medienprofiteur, der spätestens seit den 1990er Jahren zur Spitze der bundesrepublikanischen Gesellschaft zählte. Was dazu führte, dass ihn das Fernsehen seither auch außerhalb des Sports hofierte und ihn zu jedem und allem befragte. Hoeneß gehörte zum Stammpersonal der Talkshows, in denen er als Marke und Akteur gleichermaßen saß, um seinen Ruf weiter zu pflegen und gleichzeitig zu vermarkten. (…) Die eigene Rolle hat das Fernsehen in diesen Tagen des Hoeneß-Hypes nicht angesprochen, geschweige denn kritisch aufgearbeitet.”

2. “Künstlicher Name für eine Kunstfigur”
(faz.net)
Die neue Frankfurter “Tatort”-Kommissarin wird nun doch nicht nach dem Holocaust-Opfer Selma Jacobi benannt: “Die Fernsehspielchefin des Hessischen Rundfunks, Liane Jessen, sagte: ‘Die Diskussion um die Namensgebung unserer Kommissarin hat uns überrascht. Der Rollenname war als eine kleine Geste gegen das Vergessen gemeint. Uns tut es leid, mit der angestoßenen Diskussion die Gefühle einzelner verletzt zu haben’. Nach dieser Diskussion ist die Namensänderung aber auch aus künstlerischer Sicht notwendig geworden: ‘Die Rolle wäre immer mit dem Holocaust-Opfer Selma Jacobi in Verbindung gebracht worden. Eine freie Weiterentwicklung der Figur wäre unter diesem Aspekt nicht mehr möglich.'”

3. “Der Equal Pay Day und die 22 Prozent”
(heise.de/tp, Alexander Durin)
Hat es mit Diskriminierung zu tun, dass “Frauen 22 Prozent weniger als Männer verdienen”? Alexander Durin hält das für Unsinn: “Die statistischen Untersuchungen zeigten, dass Frauen eine wesentlich engere Berufswahl als Männer bevorzugten und konsequent in Berufen tätig sind, die geringer entlohnt sind als die von Männern. Nicht das Geschlecht per se, sondern die Berufswahl der Vertreter des Geschlechts ist ausschlaggebend.”

4. “Warum die taz sich ein neues Haus baut”
(blogs.taz.de/hausblog, Sebastian Heiser)
Aufgrund “stabiler Werbeeinnahmen”, “neuer Angebote” und einem “einzigartigen Geschäftsmodell” steigen die Einnahmen der “taz” kontinuierlich: “In den letzten 20 Jahren um 110 Prozent (und damit deutlich überhalb des inflationsbedingten Preisanstiegs von 42 Prozent in diesem Zeitraum). Derzeit nehmen wir rund 26 Millionen Euro pro Jahr ein.”

5. “Warum ich um CC-NC einen großen Bogen mache”
(kaffeeringe.de, Stef­fen Voß)
Warum Stef­fen Voß die Creative-Commons-Lizenz “Non-Commercial” meidet.

6. “Was passiert eigentlich, wenn man einen Mörder und Vergewaltiger foult? Zu Besuch im Strafraum der JVA Lenzburg”
(watson.ch, Alex Dutler)

Sie lieben es!

Kiffer in der Schweiz, aufgepasst! Es gibt zwei tolle Neuigkeiten:Titelschlagzeile 1: "Bergbauern sollen Drogenhanf anbauen" - Titelschlagzeile Nr. 2: "Premium-Bruerg bei fast-Food-Kette"

Demnächst kann man sich das Zeug also frisch von der Alm holen — und den anschließenden Heißhunger gleich mit dem neuen Superburger bekämpfen.

Na gut, ob das mit den Hanf-Plänen tatsächlich was wird, sei mal dahingestellt (unterstützt wird die Idee bisher lediglich von einem “Experten”, und der hat sie selbst vorgeschlagen). Aber den Burger wird es auf jeden Fall geben, wie die Gratiszeitung “20 Minuten” verkündet:

Seit heute hat McDonald’s eine Luxus-Linie im Angebot. Der Fast-Food-Riese will so neue Kunden fangen.

Und um den “Fast-Food-Riesen” dabei ein wenig zu unterstützen, wird den Lesern die neue Produktpalette im Wirtschafts-Ressort ausführlich vorgestellt:

McDonald’s Schweiz betritt neue Wege und bietet dem Kunden unter dem Namen “Signature Line” eine Premiumkarte an. Das Aushängeschild ist der Burger “The Prime”. Dieser enthält neben einer 180-Gramm-Scheibe Rindfleisch auch Berner Bergkäse, Speck, Coleslaw und Rucola. […]

Ebenfalls zur Premium-Linie gehören Chips aus Schweizer Kartoffeln (Fr. 4.50) und drei neue Salate mit Kohlstreifen, Ebly oder Kartoffeln (4.30 bis Fr. 4.90).

Zwar geht das Blatt auch auf die gepfefferten Preise ein (“Diese Zutaten haben aber ihren Preis”), doch das bleibt die einzige Stelle im gesamten Text, an der zumindest ein kleiner Hauch von journalistischer Distanz zu spüren ist. Ansonsten darf die McDonald’s-Sprecherin noch erzählen, dass “grosse strukturelle Umstellungen” nötig waren, dass die Arbeitsabläufe “im Vorfeld im McDonald’s-eigenen Innovationscenter in Chicago optimiert” wurden und dass deshalb “keine längere Wartezeit” für die Kunden entsteht — und das war sie auch schon, die große Titelstory der “20 Minuten”.

Die Bebilderung kommt übrigens direkt von McDonald’s selbst. Und wer jetzt glaubt, dass der Konzern auch auf andere Weise seine fettigen Finger im Spiel haben könnte, der irrt. Denn natürlich beruht der Text (wie man in der Online-Version nachlesen kann) nicht einfach nur auf PR-Material, sondern auf akribischer journalistischer Recherche:

Die 20 Minuten-Redaktion konnte den neuen Burger bereits im Vorfeld verköstigen. Das Urteil der Redakteure: “Es schmeckt.”

Mit Dank an Pascal W.

Russland, Mondlicht, Hoodies

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1. “This is propaganda”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.de)
Die Berichterstattung deutscher Medien über Russland und die Ukraine: “Es ist natürlich offensichtlich, daß Emotionen leicht in die gewünschte Richtung gelenkt werden können, wenn nahtlos an schon bestehende Vorurteile angeknüpft werden kann. Und im Falle Russlands ist dies so unverschämt einfach, jeder Praktikant könnte das übernehmen.”

2. “Krim-Krise: Russland ist nicht der Feind”
(schwaebische.de, Alexei Makartsev)
Der Leiter der Online-Redaktion der “Schwäbischen Zeitung”, Alexei Makartsev, ruft seinen Vater in Moskau an: “‘Uns geht es bestens’, hörte ich am anderen Ende der Leitung. ‘Die Menschen sind erleichtert darüber, dass ein Stück russischer Erde endlich in den russischen Mutterleib zurückgekehrt ist. Putin hat dazu eine glänzende Rede gehalten, im Saal haben sogar manche vor Freude geweint.’ Ich solle mich nicht von der einseitigen Berichterstattung in den westlichen Medien täuschen lassen, wünschte sich zum Schluss mein Vater, ebenfalls ein Journalist. ‘Europa versteht Russland nicht, weil ihr nicht gut genug informiert seid.'”

3. “Wir Serienmuffel”
(brandeins.de, Jochen Förster)
In einem ausführlichen Artikel über Fernsehserien beantwortet Medienforscher Lothar Mikos die Frage, warum es in Deutschland keinen Sender wie HBO gibt: “Deutsche Fernsehsender werden dominiert von risikoscheuen, selbstzufriedenen Typen mit Provinzhorizont und dem Hauptanliegen, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Also setzen sie auf Seilschaften und Rezepte, hinter denen sie ihre Unfähigkeit verbergen. Um es mal etwas zu verkürzen: Hauptsache Ferres, Berben oder Furtwängler sind dabei.”

4. “Mondlicht-Fotozellen und ‘Small Data'”
(scilogs.de, Markus Pössel)
Markus Pössel wimet sich Berichten über die Energiequelle Mondlicht: “Selbst bei einer um einen Faktor vier gesteigerten Effizienz der Solarzellen – es bleibt ein Missverhältnis Sonne zu Mond von im besten Falle rund einhunderttausend.”

5. “Eine unglückliche Frau”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Wie das VOX-Boulevardmagazin “Prominent!” den Tod von L’Wren Scott verarbeitet.

6. “Journalisten & Hoodies”
(journalisten-hoodies.tumblr.com)
Ein Absatz in der FAS (twitter.com/dvg) führt zu Selfies von deutschen Journalisten in Hoodies. Siehe dazu auch “Twitter-Solidarität unter Journalisten: Kapuzenpullis für Plöchinger” (taz.de, Paul Wrusch) und “Nach Plöchinger-Kritik: Die Stunde des #Hoodiejournalismus” (meedia.de, Christian Meier).

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