Correctiv-Kontroverse, DontFreeDeniz, Reichsbürger-Hymne

1. Correctiv macht Privatleben von AfD-Frau zum „Sexskandal”
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat auf “Übermedien” seine Sicht auf die Causa “Correctiv und der angebliche Sexskandal bei der AfD” aufgeschrieben. Er merkt u.a. an: “Eine besondere Ironie ist es, dass Correctiv der AfD vorwirft, ein „Frauenbild aus den 50er Jahren“ durchsetzen zu wollen, gleichzeitig aber fünfzigerjahrehaft die sexuelle Betätigung der Kandidatin beschreibt und geißelt („vermietete ihren Körper übers Internet“), um sie skandalisieren zu können.”
Niggemeier rätselt, was das Recherchebüro zu dieser Geschichte bewogen haben könnte: “Vielleicht hängt es mit der gewissen Breitbeinigkeit und Dickhodigkeit zusammen, mit der vor allem Correctiv-Chef David Schraven immer wieder auftritt, die der gewünschten Wahrnehmung als unabhängiges, grundsolides, seriöses Rechercheunternehmen im Wege steht. Vielleicht war es die Begeisterung dafür, das lukrative Hobby der AfD-Kandidatin sogar mit Screenshot vom Internetprofil dokumentieren zu können, die jede ernsthafte Abwägung verhinderte, ob diese Enthüllung von öffentlichem Interesse ist. Vielleicht ist es aber auch Ausdruck davon, wie sehr sich Correctiv dem – sicher gut gemeinten – Kampf gegen die AfD verschrieben hat – und diesem Ziel ethische Bedenken im Zweifel unterordnet.”

2. Flaggezeigen unerwünscht
(taz.de, René Martens)
Auf Anregung des “NDR” sollten die ARD-Intendanten am Internationalen Tag der Pressefreiheit einen offenen Brief für Deniz Yücel im Fernsehen vorlesen. Doch das Vorhaben kam, angeblich nach einer Intervention des ARD-Chefredakteurs, nicht zustande. René Martens kommentiert: “Dass die ARD nicht einmal in der Lage ist, sich auf etwas Selbstverständliches zu einigen und Flagge zu zeigen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen gegen einen Journalisten aus Deutschland geht, ist allemal besorgniserregend. Wie die Intendanten agieren, wenn wirklich einmal ein kontroverses Thema auf der Agenda steht, mag man sich gar nicht vorstellen.”

3. A!200 – Guten Morgen, Sigmund
(aufwachen-podcast.de, Video, 2:20 Stunden)
Tilo Jung und Stefan Schulz haben sich für die zweihundertste Folge ihres medienkritischen “Aufwachen Podcasts” etwas Besonderes einfallen lassen: Abweichend vom normalen Procedere haben sie vor Livepublikum aus Berlin gevideopodcastet. Als Überraschungsgast war der ehemalige BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb eingeladen.

4. Der „Freitag“ montiert aktuelle Fragen in fünf Wochen altes Interview
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Die Wochenzeitung „Der Freitag“ veröffentlichte ein Interview mit dem französischen Autor und Soziologen Didier Eribon, in dem es u.a. um die Präsidentschaftswahlen in Frankreich ging. Das Problem: Es handelt sich um ein altes Interview aus der Zeit vor der ersten Wahlrunde, bei dem “Der Freitag” die ersten beiden Fragen ohne Zustimmung des Interviewten verändert hat. Gegenüber “Übermedien” sagt Ebion, dass er anders geantwortet hätte, wenn das Interview nach der ersten Runde stattgefunden hätte.

5. “Pack dein Zeug und verschwinde!”
(deutschlandfunk.de)
Bei der Unterdrückung von Pressefreiheit denkt man oft automatisch an Repressionen durch den Staat. Dies trifft auch auf viele Länder zu. In Deutschland wird die Pressefreiheit an anderen Stellen unterdrückt. Zum Beispiel, wenn Journalisten eine Pegida-Demonstration in Dresden begleiten wollen. Gewalt und Drohungen seien dort an der Tagesordnung.

6. Xavier Naidoo hat eine Reichsbürger-Hymne geschrieben
(faz.net, Leonie Feuerbach)
Leonie Feuerbach hat sich den Text von Xavier Naidoos neuem Lied “Marionetten” genauer angeschaut. Der Song stecke voller Anspielungen auf rechtspopulistische Themen wie Lügenpresse und Volksverrat, aber auch auf handfeste Verschwörungstheorien wie pädophile Politiker und die Reichsbürger-Ideologie. Und ein paar möglicherweise antisemitische Anspielungen seien auch dabei. Feuerbach erklärt die im Song verwendeten Anspielungen und bezieht auch die Wortmeldungen von Bandmitgliedern in ihre Analyse ein. Die Sache sei mehr als offensichtlich: “Inzwischen ist aber ein Punkt erreicht, an dem keiner der Käufer und Zuschauer sagen kann, Naidoo werde bloß falsch verstanden. Denn es ist ziemlich offensichtlich, dass er das, was er schreibt und singt, auch genau so meint.”

BILDblog dankt

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Politisches Facebook, “Sexskandal”, Emotionsanalyse

1. Von AfD bis Linkspartei – so politisch ist Facebook
(sueddeutsche.de, Katharina Brunner & Sabrina Ebitsch)
Eine bemerkenswerte Kraftanstrengung hat die “Süddeutsche” mit ihrer Datenrecherche zur politischen Landschaft auf Facebook unternommen: Über Monate hat man eine Million öffentliche Likes von Nutzern untersucht, die auf den Facebookseiten der sieben großen Parteien interagiert haben. Ein schönes Stück Datenjournalismus, das unter “Der Facebook-Faktor” nochmal in Textform und mit Animationen aufbereitet wurde.
Weiterführender Link: Politikjournalismus im Superwahljahr 2017 mit einem Gespräch mit der Journalistik-Professorin und Politikexpertin Marlis Prinzing.

2. Nazi! Hure! AfD!
(salonkolumnisten.com, Martin Niewendick)
Für allgemeines Kopfschütteln sorgt derzeit ein Artikel des gemeinnützigen Recherchezentrums “Correctiv”. Dort ist man mit einer Exklusiv-Meldung an die Öffentlichkeit gegangen, nach der eine AfD-Politikerin als “Teilzeitprostituierte” gearbeitet haben soll. “Salonkolumnist” Martin Niewendick hält “Correctiv” für ein wichtiges Netzwerk, das gemeinhin gute Arbeit leiste und den selbst gesteckten Ansprüchen in der Regel gerecht werde. Jedoch: “Der journalistisch-investigative Background der Recherche-Profis ist ein scharfes Schwert. Mit voyeuristischen und letztlich sexistischen Beiträgen wie diesem droht es, zu einem labbrigen Gummi-Dildo zu werden.”

3. Verhaltensbasierte Werbung: Facebook identifiziert emotional verletzliche Jugendliche
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Kann Facebook seine Daten tatsächlich mit “Emotionsanalyse-Tools” durchsuchen lassen? Um emotional verletzliche Jugendlichen aufzuspüren, denen man daraufhin zielgerichtete Werbung unterjubeln kann? Dies wollen jedenfalls Journalisten der australischen Tageszeitung “The Australian” herausgefunden haben, die behaupten im Besitz entsprechender Beweise zu sein. Laut “Australian” habe sich Facebook zunächst entschuldigt, dann jedoch ein eigenes Statement veröffentlicht und den Text der Zeitung als irreführend bezeichnet.

4. Eines der gefährlichsten Länder für Journalisten
(deutschlandfunk.de, Christoph Dreyer & Brigitte Baetz, Audio, 4:16 Minuten)
Der Jemen zählt zu einem der gefährlichsten Länder für Journalisten. Gefährlicher ist es nur noch im Irak, in Mexiko, in Afghanistan und in Syrien. Mittlerweile gibt es nur noch wenige unabhängige Journalisten vor Ort. Es gebe eigentlich nur noch parteilich berichtende Medien – für die Regierung oder für die Huthis, die weite Teile des Landes und die Hauptstadt kontrollieren. (Für den Hörbeitrag auf die Schaltfläche rechts im Beitragsbild klicken.)

5. Le Pen klaut bei Fillon
(faktenfinder.tagesschau.de, Nele Pasch)
Der “Faktenfinder” der “Tagesschau” beschäftigt sich mit der Frage, ob sich die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen bei ihrer Wahlkampfrede fremder Inhalte bedient hat: Mindestens sechs Passagen würden mit einer Rede übereinstimmen, die der konservative Kandidat Fillon gehalten hat.

6. Lasst die Zeitung leben!
(taz.de, Mark-Stefan Tietze)
Mark-Stefan Tietze, Satireautor und langjähriges Besatzungsmitglied der “Titanic”, schreibt in der “taz” über die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Diesmal über die Nachteile des Digitalen und die unschlagbaren Vorteile von Printprodukten (z.B. für Wohnungslose, die darauf ihr Nachtlager bereiten).

Note 6

Im Dezember 2010, ein knappes Jahr nach dem Suizid von Fußballtorwart Robert Enke, schrieb Johannes Aumüller bei süddeutsche.de:

Seit dem Enke-Tod beginnt in Sportredaktionen ein Nachdenken über die Vergabe von Spielernoten: Selbst Bild will sensibler werden.

Bei diesem “Nachdenken” gehe es auch um “den Umgang mit Tabus oder die Frage nach dem öffentlichen Druck auf einen Profispieler”. Aumüller zitierte in seinem Artikel unter anderem Walter M. Straten, der damals noch stellvertretender Sportressortleiter bei “Bild” war und heute Sportchef bei dem Boulevardblatt ist:

Über vieles sei diskutiert worden, auch über Noten, und man sei schließlich zu dem Ergebnis gekommen, bei der Benotung so weiter zu machen wie bisher, sagt Straten. Auch in seiner Redaktion soll es zu einem etwas sensibleren Umgang mit den Zensuren kommen: “Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.

Sechseinhalb Jahre später scheint sich weder Straten noch irgendjemand sonst bei “Bild” daran zu erinnern, dass man “etwas vorsichtiger sein” wollte bei der Notenvergabe. Für die 0:4-Niederlage des HSV am vergangenen Sonntag verteilt die Sportredaktion heute zwölf Sechsen:

Und es bleibt nicht bei der Abstrafung mit “extremen Noten”. Auf der Titelseite macht die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung die HSV-Fußballer sprachlich wie optisch zu “Flaschen”:

Im Innenteil gibt es dann noch eine komplette Seite voller Spott:

Und Bild.de macht auf der Startseite auch mit:

Im dazugehörigen Artikel schreiben die zwei Autoren:

IHR FLASCHEN!

Vier Pleiten in den letzten fünf Spielen. Absturz auf Platz 16. In vier Jahren droht dem HSV zum dritten Mal die Relegation.

Krass, wie die komplette Truppe versagte (12-mal BILD-Note 6).

Na klar darf “Bild” Profisportler für schwache Leistungen kritisieren. Es geht darum, wie das passiert. Und darum, dass Walter M. Straten vor einigen Jahren noch so getan hat, als wäre es ihm wirklich wichtig, dass seine Redaktion ordentlich mit Menschen umgeht.

Mit Dank an @MoDeutschmann und Timo W. für den Hinweis!

Republik-Analyse, lügende Bilder, Kandidatencheck

1. Brillant orchestriert aus dem Ex-Puff
(medium.com, Peter Hogenkamp)
Peter Hogenkamp hat den Crowdfunding-Erfolg des Schweizer Journalismusprojekts “Republik” analysiert (mehr als 10.000 Unterstützer, mehr als 2,5 Millionen CHF) und dabei viele Aspekte zusammengetragen. Und er hat einen Ratschlag an die Gründer: “Freut Euch ruhig noch paar Tage weiter unbändig, nagelt Euch danach einen Lorbeerkranz an die Wand zu, unter dem steht: «Memento moriendum esse», «Bedenke, dass du sterblich bist», wie es im alten Rom bei Triumphzügen dem siegreichen Feldherrn zugeflüstert wurde, damit dieser die Bodenhaftung nicht verlor — und dann versucht bitte, schnell wieder möglichst unbeschwert an das Zeug heranzugehen.”

2. Diese Bilder lügen schon
(spiegel.de, Martin U. Müller)
Bild.de war bereits vor dem Landgericht Köln unterlegen, nun kam es zur nächsten Niederlage: Das OLG Köln hat ein von Bild.de veröffentlichtes Video verboten, in dem Herbert Grönemeyer mit einem Kameramann und einem Fotografen am Flughafen Köln/Bonn aneinander gerät. Der Grund: Das Video suggeriere durch Weglassen des Vorgeschehens einen anderen Hergang des Vorfalls. Das Videomaterial sei “bewusst manipuliert”.

3. Lieber nicht verscherzen
(taz.de, Peter Weissenburger)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” hat offenbar kurz vor Erscheinen ein Porträt über den Chefredakteur der “Neuen Zürcher Zeitung” zurückgezogen. Der Porträtierte hatte den Text vorher zu lesen bekommen und interveniert. Der Vorgang ist heikel, denn es geht nicht zuletzt um journalistische Distanz und die stets prekäre Grenze zur PR, wie Peter Weissenburger in der “taz” anmerkt.

4. Wenig Freude an Design-Ausgabe von «20 Minuten»
(persoenlich.com, Christian Beck)
Die kostenlose Schweizer Pendlerzeitung “20 Minuten” aus dem Hause “Tamedia” hat sich eine Werbeaktion einfallen lassen, die ihr viel Kritik beschert hat. Zum Verkaufsstart eines neuen Smartphones hat man breite Farbschlieren über Text und Bilder gelegt. Viele Leser haben sich über die schlecht lesbare “Designausgabe” geärgert. Die “20 Minuten”-Redaktion gibt sich geläutert und will das “Experiment” nicht wiederholen.

5. Schlank in die Zukunft
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Die ARD hat laut einer Zwischenbilanz noch mehr gespart, als es die “Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten” (KEF) verlangt hat. Claudia Tieschky fragt sich auf süddeutsche.de, wieso das auf einmal geht und wieso die Haushaltsabgabe 2021 voraussichtlich trotzdem deutlich steigen wird.

6. Macht WDR Wahlwerbung für Rechtsextremisten?
(antimedien.de, Hektor Haarkötter)
Macht der WDR tatsächlich Wahlwerbung für Rechtsextremisten? Zumindest stellt er ihnen im Rahmen des “WDR-Kandidatenchecks” eine Plattform zur Verfügung, ihre Inhalte zu verbreiten. Journalismus-Professor Hektor Haarkötter dazu: “Was also den WDR geritten hat, Nazis und Rechtsextremisten eine Plattform zur Verfügung zu stellen, bleibt rätselhaft. Ein Sender treibt mit Entsetzen Scherz. Es ist die Aufgabe von JournalistInnen, Sachverhalte nicht nur wiederzugeben, sondern einzuordnen, kritisch zu hinterfragen und in einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu setzen. Nichts von alldem geschieht beim WDR-Kandidatencheck: eine journalistische Minderleistung sondergleichen.”

“Bild” setzt spezielle Schwerpunkte

Frau und Mann lernen sich kennen. Frau schickt Mann Nacktfotos. Mann droht, Nacktfotos ins Internet zu stellen. Frau zahlt Geld, damit das nicht passiert. Frau zeigt Mann an. Es kommt zum Prozess. Das Urteil: 15 Monate auf Bewährung wegen Erpressung.

So nüchtern könnte man den Fall beschreiben, der vor wenigen Tagen vor dem Amtsgericht Dresden verhandelt wurde. Ob der Mann und die Frau groß oder klein sind, dick oder dünn, kurze Nasen und große Füße oder kleine Hände und ein orangenes Gesicht haben, ist dabei völlig irrelevant. Große und Dicke können genauso wie Dünne und Kleine Nacktfotos machen, sie verschicken, drohen, sie ins Internet zu stellen, Leute damit erpressen.

Die Fat-Shaming-Abteilung bei Bild.de und der Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung fanden die Figuren der beiden Protagonisten aber offenbar doch ziemlich wichtig im Zusammenhang mit der Verhandlung.

Die dämlichen Witzeleien fangen schon in der Dachzeile an …

ERST DICKE LIEBE, DANN FETTE ERPRESSUNG - ER wollte IHRE Sex-Bilder ins Internet stellen

… gehen im Artikeleinstieg direkt weiter …

Eine dicke Internet-Liebe endete am Dienstag in einem schmutzigen Prozess vor dem Amtsgericht Dresden.

… und schaffen es bis in die Bildunterschrift:

Einst dicke verliebt, jetzt einfach nur dicke Feinde: Ingmar K. (36) und Renate M. (43, Name geändert)

Eine weitere Bildunterschrift nutzen “Bild” und Bild.de, um den Lesern noch einmal klarzumachen, wie die Figur des Angeklagten zu bewerten ist:

Schwergewicht Ingmar K. (36) entschuldigte sich bei seiner Ex-Freundin

Und für alle, die es bis hierhin immer noch nicht geschnallt haben, schreibt der Autor im Text:

2014 hatte Ingmar K. die ebenfalls arbeitslose Renate M.* (43, Name geändert) aus Dresden im Internet kennen gelernt. Beide sind schwer übergewichtig, bringen locker zusammen über 300 Kilo auf die Waage.

Komisch — wir wussten bisher gar nicht, dass auch das Körpergewicht einer angeklagten Person bei einem Gerichtsprozess eine Rolle spielt.

Mit Dank an Thomas A. für den Hinweis!

Oberstes “Bild”-Gericht hat “BVB-Bomber” längst schuldig gesprochen

Die “Süddeutsche Zeitung”, NDR und WDR berichten heute, dass der Mann, der verdächtigt wird, die drei Bomben neben dem Mannschaftsbus des BVB gezündet zu haben, sagt, er sei es nicht gewesen:

“Mein Mandant bestreitet die Tat”, erklärt der Tübinger Anwalt Reinhard Treimer, der den 28-jährigen Mann vertritt. Sergej W. habe auch gegenüber dem Haftrichter des Bundesgerichtshofs bestritten, dass er der Täter gewesen sei.

Auch die weiteren Ermittlungen der zuständigen Behörden sollen bislang kein weiteres belastendes Material zutage gefördert haben:

Die bisherige Auswertung des bei Durchsuchungen sichergestellten Materials hat nach Recherchen von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR keine weiteren eindeutigen Belege für die Tat gebracht.

Dennoch seien sich die Ermittler “weiterhin sicher, dass der wegen dringenden Tatverdachts festgenommene 28-jährige Sergej W. den Anschlag auf den Bus verübt hat.” In dem Fall geht es um versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion.

Bild.de berichtet, mit Bezug auf die “Süddeutsche Zeitung”, ebenfalls über die neueste Entwicklung:

Moment mal! “Mutmaßlicher Attentäter”? Warum denn auf einmal diese Zweifel, liebe “Bild”-Richter? Ihr wart doch schon vor Tagen sicher:


(Diese und alle weiteren Unkenntlichmachungen im Beitrag von uns.)

Wozu auf eine offizielle Verurteilung warten, wenn man medial schon mal vorverurteilen kann? Warum nicht einfach schon mal schreiben, dass es sich um “seinen 30-fachen Mordversuch” handelt?

Warum nicht jemanden schon mal ohne jeden Zweifel zum “Dortmund-Attentäter” erklären?

Warum nicht immer und immer wieder vom “BVB-Bomber” beziehungsweise, wenn man in besonderer Alliterationslaune ist, vom “BVB-Bus-Bomber” schreiben und ein unverpixeltes Foto des Tatverdächtigen danebenpacken, als hätte ein Gericht bereits rechtskräftig festgestellt, dass es sich bei dem Mann um den Attentäter handelt?



Keine Frage: Aufgrund der Indizien — zum Beispiel die Börsenwette des Tatverdächtigen auf einen fallenden BVB-Aktienkurs oder sein Bestehen auf ein Hotelzimmer mit Blick auf den Anschlagsort — kann man der Meinung sein, dass der Mann etwas mit dem Attentat zu tun hat. Aber es sind eben nur Indizien. Und ein “mutmaßlich” oder “angeblich” oder “wahrscheinlich” in die Berichterstattung einzubauen, ist kein großer Akt. Wenn eine Redaktion es denn will.

Die Mitarbeiter von “Focus Online” schrieben übrigens auch schon vom “BVB-Attentäter”. Aber im Gegensatz zu ihren “Bild”-Kollegen hatten sie auch schon ein Geständnis des Tatverdächtigen gehört. Jedenfalls meinten sie vor einer Woche, eins gehört zu haben:

Die “dpa” griff die “Focus Online”-Hinhör-Geschichte damals auf und machte eine Meldung daraus. Diese tauchte dann erneut bei “Focus Online” auf:

Heute veröffentlichte “Focus Online” diese Eilmeldung:

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an @LSAwesome und @ziesmannmedia für den Hinweis!

Bild.de sprach zuerst mit der Entschädigung

Erinnern Sie sich noch an David Dao, den Arzt, der brutal aus einem “United Airlines”-Flugzeug gezogen wurde? Dao hat sich mit “United” nun in einem außergerichtlichen Vergleich geeinigt und bekommt eine Entschädigung von dem Unternehmen.

Und was für eine: laut Bild.de handelt es sich um eine “Mega-Entschädigung”.

Wie viel mag das wohl sein? Eine Million Dollar? Zehn Millionen Dollar? 100 Millionen Dollar? Na, Bild.de?

Für eine dicke Schlagzeile weiß Bild.de mal wieder mehr nichts als alle anderen.

Lügenstatistiken, Republik-Rekord, CSU-Bot

1. Manipulierte Statistiken entlarven
(faktenfinder.tagesschau.de, Verena Stöckigt)
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auch deshalb sind Kurven- und Balkendiagramme so beliebt, wenn es um die Darstellung komplexer Informationen geht. Kein Wunder, dass sie besonders in sozialen Netzwerken so gern geteilt werden. Doch oft sind die Bilder fehlerbehaftet oder verfälscht. Verena Stöckigt erklärt, wie man “manipulierte Statistiken” entlarven kann. Eine Wortwahl, die Blogger Fefe übrigens für ungeeignet hält, stattdessen eher von “manipulativen grafischen Darstellungen von Statistiken” sprechen würde. Fefe weiter: “Ich bin irritiert, dass jemand, der den Anspruch an sich selbst erhebt, die Bevölkerung über Irreführung zu informieren, dann schon bei der Nomenklatur solche Schwächen zeigt.”

2. Weltrekord für journalistisches Crowdfunding
(republik.ch)
Ein neues journalistisches Projekt will die Schweizer Medienlandschaft umkrempeln: “Republik”. Es sieht so aus, als ob das Vorhaben bei den zukünftigen Lesern und Leserinnen gut ankommt: Per Crowdfunding hat man die Rekordsumme von mehr als zwei Millionen Franken eingesammelt.

3. Schlechtes von gestern
(sueddeutsche.de, Susan Vahabzadeh)
Als eine “schwarze Woche für Frauen” bezeichnet Susan Vahabzadeh die vergangenen Tage in Medien und Politik. Besonders auf die Nerven seien ihr die “Rollenzuweisungen aus den Untiefen des vorigen Jahrtausends” gegangen. Das Frauenbild sei auf dem Rückschritt in die Fünfziger. Zu den Wochenaufregern gehören für sie Ivanka Trumps angeblicher Feminismus im Blümchenkleid, die zum Umsatztöter erklärte “dicke” Barbie und der französische Präsidentschaftskandidat François Fillon. Sogar bei den nichtexistenten, aber gut dotierten Scheinjobs von Sohn und Tochter des konservativen Politikers hätte es ein Gender Pay Gap gegeben.

4. Alles schick
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm stellt „SZ Familie“ vor, ein Heft für Eltern und Kinder. Sie findet insgesamt lobende Worte für die Zeitschrift, die man sich jedoch leisten können müsse. “Am stärksten ist das Magazin, wenn deutlich wird, dass es aus der SZ-Redaktion stammt: bei den anspruchsvollen Geschichten. Ein Text beleuchtet das konservative Familienbild der AfD, an anderer Stelle erzählen Paartherapeuten, woran Beziehungen zerbrechen, wenn Kinder dazukommen. Star-Geiger und Leistungssportler berichten, wie früh sie ihre Kinder fördern (sehr früh). Das liest sich alles schön weg, transportiert aber immer auch ein exklusives Familienbild.”

5. Die „Öffentlich-Rechtlichen“ und das Internet
(boell.de, Oliver Passek)
Die Frage „Was dürfen ARD und ZDF eigentlich im Netz?“ ließe sich gar nicht so schnell beantworten, findet Oliver Passek und beschreibt die teilweise verworrene Lage mit ihren unterschiedlichen Verfahren: “All diese Regelungen kratzen am Image der Öffentlich-Rechtlichen und stehen einer für die Zukunft des Systems unverzichtbaren Weiterentwicklung im Wege. Deshalb brauchen wir einheitliche Online-Regelungen bei ARD und ZDF für alle gängigen Formate. Abweichungen sollten in der Mediathek per Klick kurz erklärt werden.”

6. Ich habe mit dem neuen CSU-Bot gechattet, damit ihr es nicht müsst
(motherboard.vice.com, Gregor Thomanek)
Ein Gesprächsversuch mit dem Facebook-Chatbot der CSU: “Mit allen Mitteln habe ich versucht, mit dem christsozialen Facebook-Roboter ein ernsthaftes Gespräch über Politik und Markus Söder zu führen — und alles, was ich bekam, waren diese lausigen Memes.”

Axel Springer gibt sich neue alte Grundsätze

Wenn wir hier im BILDblog über “Bild” oder die “Welt” oder ein anderes Blatt aus dem Axel-Springer-Verlag schreiben, gibt es bei Facebook und Twitter häufiger mal Antworten wie “Ach, die müssen ja positiv über Israel schreiben” oder “Die Mitarbeiter haben doch eh in ihren Verträgen stehen, dass sie die USA loben müssen”.

Ganz so ist es nicht. Es gibt aber die sogenannten “Unternehmensgrundsätze” oder “Essentials” im Axel-Springer-Verlag. Diesen sind die Mitarbeiter, also auch die Redakteure und Journalisten, verpflichtet. Gestern wurden die “Grundsätze der Unternehmensführung” bei der Hauptversammlung des Konzern erneuert. Man habe sie “etwas grundsätzlicher formuliert, damit international nachvollziehbarer”, und sprachlich vereinfacht, sagte der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner in seiner Rede (Videomitschnitt der Hauptversammlung, ab Minute 20:22).

Die Springer-“Unternehmensgrundsätze”, die Axel Springer 1967 eingeführt hat, wurden bereits mehrfach geändert. Nach der deutschen Wiedervereinigung zum Beispiel und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (die Döpfner in seiner Ansprache auf den “9. September” umdatierte). Die erneute Änderung sei vor allem eine Folge der Internationalisierung des Konzern. So sei beispielsweise die Passage zu Israel und dem jüdischen Volk geändert worden, weil die bisherige Version “nicht ganz plausibel für Kollegen” sein könnte, “die mit dem Holocaust entweder nichts zu tun haben oder ihn auf der Opferseite erlebt haben”.

Hier die Änderungen (PDF) im Überblick:

Bisherige Grundsätze Neue Grundsätze
Das unbedingte Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft und die Förderung der Einigungsbemühungen der Völker Europas. Wir treten ein für Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und ein vereinigtes Europa.
Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes. Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel.
Die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir zeigen unsere Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft. Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein.
Die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus. Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus ab.
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