Suchergebnisse für ‘privatsphäre’

Der Unfall, der keiner war, Idiotische Zeiten, Urheberrechts-Gezerre

1. Das war kein Unfall
(taz.de, Anne Fromm)
Vor einigen Tagen strahlte der WDR (erneut) seinen misslungenen Talk “Die letzte Instanz” über Rassismus und Sprache aus, der im Netz für viel Kritik sorgte. Anne Fromm fasst die Reaktionen der Betroffenen zusammen: “Großes Bedauern beim WDR, bei Micky Beisenherz und Janine Kunze. Man habe gelernt und werde es künftig besser machen. Das Problem ist nur: Die Sendung war kein Unfall. Sie hat einmal wieder gezeigt, wie sich mit billigen Klischees und dümmlichen Witzen Quote machen lässt. Aber ist es Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, das abzubilden?”
Weitere Lesehinweise: Bei “Zeit Online” kommentiert Matthias Dell: “Sollte es dem WDR mit dem Lernen ernst sein: Ich bin mir gar nicht sicher, ob es nur darum geht, dass hier Menschen mitreden dürfen, die durch rassistische Fremdzuschreibungen diskriminiert werden. Auch weil ich mir schwer vorstellen kann, wer Bock haben sollte, in so einer Runde, in der es überhaupt nicht darum geht, etwas zu verstehen, und in der Leute sitzen, die offenbar mit dem Nachdenken Probleme haben, noch einmal zu klären, wie Rassismus funktioniert und warum Rassismus nichts Gutes ist.”
Bei Stern.de schreibt Michel Abdollahi: “Vielleicht sollten wir Migrant*innen uns als Paprikasoße verkleiden, da würden mehr Menschen für uns in die Bresche springen.”
Und bei “Übermedien” empfiehlt Samira El Ouassil: “Eigentlich ist es ganz leicht: Nicht über Menschen sprechen, sondern mit ihnen”.

2. “Von jungen Influencern geht eine Gefahr für Kinder und Jugendliche aus”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Die Landesmedienanstalten haben mehr als 700 relevante Websites, Youtube-Kanäle und Social-Media-Angebote auf gefährliche Inhalte untersuchen lassen. Der Titel ihrer Analyse: “Alternative Medien und Influencer als Multiplikatoren von Hass, Desinformation und Verschwörungstheorien”. Bei mehr als einem Drittel der Fälle habe man einen Anfangsverdacht auf strafbare, jugendgefährdende oder entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte festgestellt. Dies beträfe vor allem Inhalte beim Netzwerk VK und beim Messenger Telegram. Medienpolitik.net hat mit dem Vorsitzenden der Kommission für Jugendmedienschutz, Marc Jan Eumann, über die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der Untersuchung gesprochen.

3. “Alles, was Erfolg hat, reden sie klein”
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 6:55 Minuten)
Mit deutlichen Worten kritisiert die Autorin Elke Heidenreich die öffentlich-rechtliche Literaturkritik. Die Sender würden das Thema von Grund auf falsch handhaben und die Beiträge zu “idiotischen Zeiten” wie 6:45 Uhr ausstrahlen, statt sie über den ganzen Tag zu verteilen. Sie wünsche sich Berichte über “viele Bücher, auf viele Sendungen über den Tag verteilt, in einfacher Sprache”.

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4. Facebook plant bildschirmfüllende Datenschutz-Hinweise
(spiegel.de)
Apple will Nutzerinnen und Nutzern seiner iPhones und iPads neue Möglichkeiten zur Kontrolle über ihre Privatsphäre geben. Sie sollen künftig selbst bestimmen können, ob Apps ihre Daten weitergeben dürfen. Facebook sieht darin eine Bedrohung seines Geschäftsmodells und plane großflächige Datenschutz-Hinweise, in denen man um Unterstützung für Werbeunternehmen bitten wolle.

5. Edit Policy: Lobbyismus und Kampagnen – neues Gezerre um die Urheberrechtsreform
(heise.de, Julia Reda)
Die Verabschiedung der Urheberrechtsreform durch das Bundeskabinett schien sicher, doch kurz zuvor kam es zu einem überraschenden Rückzieher. Die Digital-Expertin und ehemalige Europaabgeordnete Julia Reda erklärt die Hintergründe, die mit Wirtschaftsinteressen und Lobbyarbeit zu tun hätten.

6. Prinz Harry gewinnt
(sueddeutsche.de)
Ein Londoner Gericht hat einer Klage von Prinz Harry stattgegeben und verfügt, dass die Boulevardzeitung “Mail on Sunday” eine erneute Entschuldigung veröffentlichen muss. Darin müsse deutlich werden, dass die Aussage in einem beanstandeten Artikel falsch war.

Werbe-Apotheke “Bunte”, Mistel-Mist, Cookie- und Tracker-Plage

1. Ohne Markennamen können “Bunte”-Leser mit Gesundheits­tipps nichts anfangen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat im Gesundheitsteil der “Bunten” geblättert. Dort gibt es allerlei Tipps gegen Wehwehchen jeder Art, die auffällig oft von passenden Anzeigen begleitet werden. Ein gravierender Verstoß gegen das Trennungsgebot von Redaktion und Werbung, wie auch der Deutsche Presserat findet. Die “Bunte” hat eine Stellungnahme abgegeben, die zugleich nichts- und vielsagend ist.

2. Wir pfeifen auf Ihre Privatsphäre
(gutjahr.biz)
Richard Gutjahr beschäftigt sich mit einem Thema, das uns beim Surfen tagtäglich begleitet: Cookies und den unübersichtlichen und irreführenden Cookie-Dialogfenstern. Selbst seriöse Nachrichtenseiten würden die Code-Schnipsel im Übermaß einsetzen. Bei der “Süddeutschen Zeitung” beispielsweise sollen es 470 Tracker sein, die auf die Besucherinnen und Besucher losgelassen werden. Auf seine Nachfragen bei den Verlagen habe Gutjahr nur ausweichende oder falsche Antworten bekommen. Wenn ihm denn überhaupt geantwortet wurde.

3. Die Sendung mit dem Rudi
(twitter.com/AnthroBlogger, Oliver Rautenberg)
Die “Sendung mit der Maus” hat eine siebenminütige Sachgeschichte über die Mistel produziert, eine Pflanzensorte, die als Halbschmarotzer auf Bäumen oder Sträuchern wächst. Mit dabei ein “Mistel-Experte” aus dem Bereich der esoterischen Pseudomedizin. Anthroposophie-Kenner Oliver Rautenberg dröselt die Sache auf und erklärt, was an dem Mistel-Filmchen Mist ist.

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4. Schlecht bezahlt als Medienprofi – was soll man wegen anderer Vorteile hinnehmen, was nicht?
(kress.de, Attila Albert)
Medienschaffende verdienen oft wenig. Besonders hart treffe es Selbstständige (zum Beispiel freie Reporterinnen), Pauschalisten, Berufsanfängerinnen und junge Führungskräfte. Attila Albert gibt praktische Empfehlungen zu Einkommensanalyse und Einkommenssteigerung. Dabei nennt er auch konkrete Zahlen und gibt Tipps zur Verhandlungstaktik.

5. 8 Gründe warum Spiegel TV die Goldene Kartoffel verdient hat
(schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Der Negativpreis der Neuen deutschen Medienmacher*Innen, die “goldene Kartoffel”, ging dieses Jahr an “Spiegel TV”. Den Preis hätten sich die Reporter redlich verdient, findet Fabian Goldmann und hat dafür einige Argumente: “Spiegel TV” produziere Rassismus und verbreite gefährliche Verschwörungserzählungen. Die Redaktion verzichte selbst bei schweren Anschuldigungen auf Belege und übernehme unkritisch Angaben der Polizei. Betroffene und Beschuldigte kämen nicht ausreichend zu Wort, stattdessen biete “Spiegel TV” den Kriminellen eine Bühne zur Selbstinszenierung. Goldmann fühle sich bei den Reportagen eher an Scripted-Reality-Dokus erinnert.

6. “Dinner for One”: Ein Dutzend Fakten zum Silvesterkult
(rnd.de)
Bei vielen hat es sich zum Jahresausklangs-Ritual entwickelt: Silvester wird im Fernsehen “Dinner for one” geschaut. Natürlich gibt es den Schwarzweiß-Sketch um den 90. Geburtstag einer britischen Lady und die zunehmende Trunkenheit ihres Butlers auch 2020 wieder zu sehen. Wer mit Trivia zum Fernsehkult punkten will, sollte vorher die zwölf Hintergrund-Fakten überfliegen.

“Katapults” Erfolgsrezept, Facebooks Zerschlagung?, “Repolonisierung”

1. Was ist dein Erfolgsrezept für das Katapult-Magazin, Benjamin Fredrich?
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 1:11:24 Stunden)
Eine der bemerkenswertesten Medienstorys des Jahres ist die Entwicklung des Greifswalder Magazins “Katapult”. Der Gründer und Chefredakteur Benjamin Fredrich hat eine boomende Marke aufgebaut, um die ihn wegen der beeindruckenden Abo-Zuwächse selbst große Medienhäuser beneiden dürften. “Katapult” ist als gemeinnütziges Unternehmen aufgebaut, zahlt Einheitslöhne, betreibt ein Café und leistet sich den Luxus, sich ständig aufs Neue zu verzetteln. Ein lohnenswertes Gespräch, auch weil es Mut macht, aus dem Denken in althergebrachten Mustern auszubrechen.

2. Man nennt es “Repolonisierung”
(faz.net, Gerhard Gnauck)
Polens nationalkonservative Regierungspartei PiS freut sich über die “Repolonisierung” der Medien: Die Verlagsgruppe Passau hat ein Paket aus 140 in Polen erscheinenden Zeitungstiteln an den staatlichen Ölkonzern Orlen verkauft. Laut dem polnischen Entwicklungsminister werde damit ein Zustand beendet, “der unter dem Aspekt des Medienpluralismus skandalös war. Vor Jahren haben polnische Entscheidungsträger zugelassen, dass 98 Prozent der Lokalzeitungen ausländischen Verlagen gehören, fast alle einem einzigen Verlag.”

3. Dieselben News, anders gedreht
(taz.de, Steffen Grimberg)
Laut einer Untersuchung des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz bedienen sich Rechtsextremisten bei ihren Posts und Tweets mehrheitlich bei klassischen Medien, deren Meldungen sie für ihre Zwecke ausbeuten. Sogenannte alternative Medien hätten eine geringere Bedeutung als bislang angenommen. Steffen Grimberg erinnert die klassischen Medien daher an ihre Verantwortung: “Natürlich können sich Medien nicht davor schützen, dass man ihre Inhalte aus dem Zusammenhang reißt, verdreht und dann phänomenbereichsübergreifendend missbraucht. Sie sollten sich diese Möglichkeit aber stärker vor Augen führen.”

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4. Warum es so wenig Frauen im Sportjournalismus gibt
(fachjournalist.de, Michael Schaffrath)
An der TU München hat man in einer Studie die “Chancen und Herausforderungen von Frauen im Sportjournalismus” in den Blick genommen. Michael Schaffrath, an der Sportfakultät der TU für den Arbeitsbereich Medien und Kommunikation zuständig, fasst die Ergebnisse zusammen.

5. Facebook soll aufgespalten werden
(netzpolitik.org, Serafin Dinges)
Facebook droht in den USA die Zerschlagung. Dies verlangen jedenfalls die Justizbehörden von 48 US-Staaten sowie die Bundeshandelskommission FTC. Den Behörden seien vor allem die Übernahmen von Instagram und WhatsApp ein Dorn im Auge. New Yorks Generalstaatsanwältin gibt sich bei der Ankündigung ihrer Klage kämpferisch: “Heute senden wir eine deutliche Botschaft an Facebook und alle anderen Unternehmen, dass wir auf alle Versuche, Wettbewerb zu ersticken und kleinen Unternehmen zu schaden, Innovationen und Kreativität zu reduzieren oder den Schutz der Privatsphäre zu beschneiden, mit der vollen Kraft unserer Ämter reagieren werden.” Facebook habe in einem Statement jegliche Schuld von sich gewiesen.

6. Harter Lockdown
(uebermedien.de, Julian Hilgers)
Bei “Übermedien” schreiben Menschen über ihr persönliches “Hasswort”. Julian Hilgers ist zunehmend vom Begriff “Harter Lockdown” genervt: “Wer die hiesigen Corona-Einschränkungen als ‘Harten Lockdown’ beschreibt, wird Schwierigkeiten bekommen, die Zustände in China, Italien oder afrikanischen Staaten, wo tatsächlich wochenlang strenge Ausgangssperren herrschten, noch adäquat zu benennen.”

“Voldemort-Journalismus”, Grabtourismus, Trittbrettfahrer-Bio

1. “Dieser Voldemort-Journalismus ist doch magisches Denken”
(uebermedien.de, Jürn Kruse)
Anfang November tötete ein Attentäter in der Wiener Altstadt vier Menschen und verletzte viele weitere. In unmittelbarer Nähe befand sich “Falter”-Chefredakteur Florian Klenk, der aus den Redaktionsräumen des Wochenmagazins seine 300.000 Twitter-Follower mit Informationen zum Tathergang versorgte. Klenk verbreitete dabei auch einen Falschalarm der Polizei. Jürn Kruse hat Klenk interviewt: “Für die einen bin ich ein wichtigtuerischer Vollhonk und die anderen meinen, dass das vorbildlich gewesen sei. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.” Ein Gespräch, das nicht nur spannende Fragen zu dem konkreten Fall aufwirft, sondern die Schwierigkeiten von Live-Berichterstattung bei ähnlichen Situationen aufzeigt.

2. Viel Pfeffer, kein Salz
(taz.de, Simone Schmollack)
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ist ein Medienphänomen: Als Politiker und Mediziner ist er derzeit auf nahezu allen Kanälen präsent – ob als Dauergast bei Anne Will, Markus Lanz, Sandra Maischberger oder Maybrit Illner, in den klassischen Medien oder auf Twitter. Wer ist dieser Mann, der seit 30 Jahren in jedem Restaurant darauf besteht, ungesalzenes Essen serviert zu bekommen, der von Termin zu Termin hetzt und sich erheblicher Kritik (bis hin zu Morddrohungen) aussetzt? Simone Schmollacks Porträt bringt einem den omnipräsenten Lauterbach etwas näher und versucht zu ergründen, warum er derart polarisiert: “Lauterbach ist beides, Rechthaber und Spielverderber.”

3. Presse darf Schaulust am Grab des Kopiloten nicht fördern
(faz.net)
“Bild” berichtete 2015 über die nichtöffentliche Beerdigung des für das Germanwings-Unglück verantwortlichen Co-Piloten. Dabei veröffentlichte die Redaktion auch Fotos des Grabs. Dies wurde nun vom Bundesgerichtshof beanstandet, es würde einen “Grabtourismus” fördern: “Privatheit und die berechtigte Erwartung, nicht zum Objekt von Schaulust und Sensationsgier in Momenten der Trauer beim Besuch des Grabes eines nahestehenden Verstorbenen zu werden, bestehen auch auf einem öffentlichen Friedhof und haben am Schutz des Rechts auf Privatsphäre teil.”

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4. Hohe Hürden für Beschlagnahme der Kamera
(verdi.de)
Ein nebenberuflicher Fotojournalist begleitete im Sommer eine Demo. Er habe dabei, wie von Seiten der Polizei behauptet, durch Aufnahmen nichtöffentlicher Gespräche “die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes” verletzt. Daraufhin beschlagnahmten die Beamten seine Kamera mitsamt der Ausrüstung. Die Klage auf Herausgabe wurde zunächst von Amtsgericht und Landgericht abgewiesen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht anders entschieden, für den Fotojournalisten.

5. 15 Jahre Metaebene
(metaebene.me, Tim Pritlove)
Man kann Tim Pritlove getrost als Podcast-Pionier bezeichnen: Lange bevor sich in Deutschland Medienhäuser überhaupt nur Gedanken darüber machten, startete er eine ganze Reihe von Podcasts. Aktuell feiert Pritlove sein 15-jähriges Schaffen in dem Bereich und erzählt, was in den vergangenen fünf Jahren alles bei ihm passiert ist. Eine Übersicht zu den ersten zehn Jahre gibt es in einem früheren Resümee. Dieser Beitrag liegt zwar fünf Jahre zurück, kann Interessierten aber immer noch empfohlen werden, da er ein Stück deutsche Podcast-Geschichte abbildet.

6. Die verdächtige Trittbrettfahrer-Biografie über Obama
(welt.de, Christian Meier)
Bei Amazon erfreut sich eine zweifelhafte Obama-Biografie eines obskuren Verlags großer Beliebtheit. Es bestehe der Verdacht, die Biografie sei mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) zusammengestöpselt worden. Christian Meier erklärt den Fall, der viele spannende Aspekte hat. Sein Fazit: “Eins ist klar – völlig unabhängig davon, ob das ‘Barack Obama Book’ nun von einer KI geschrieben wurde oder nicht: computergenerierte Texte werden besser, und die Technologie dahinter ist ein Geschäftsmodell.”

Nicht nur Trump kämpft gegen Biden

Donald Trump hat es nicht leicht. Nicht nur mit seinem Widersacher Joe Biden hat es der US-Präsident zu tun, er kämpft auch mit der liberalen US-amerikanischen Presse und mit Tech-Firmen wie Twitter. So schreibt es Alexander von Schönburg in einem Kommentar in “Bild” und bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Kommentar zur US-Wahl - Trump kämpft nicht nur gegen Biden

Wenn Joe Biden die Wahl gewinnt, darf er sich auch bei Tech-Giganten wie Facebook und Twitter – und der liberalen Presse – bedanken.

Genau die Leitmedien – von “Atlantic” bis “Washington Post” – die bedenkenlos jede Anti-Trump-Story verbreiten, unabhängig von Belegbarkeit und Quellenlage (man denke an Trumps angebliche Beleidigung gefallener Soldaten), haben keine Hemmung, Storys, die Biden unangenehm werden könnten, unter den Tisch zu kehren.

Nun ist es kein Geheimnis, dass Kommentare nur die Meinung des Autors widerspiegeln. Sie dürfen subjektiv und auch zugespitzt sein. Doch was Alexander von Schönburg hier macht, ist mehr als legitime Subjektivität: Er führt die Leserschaft durch Auslassungen in die Irre. Er raunt herum und setzt Verschwörungen in die Welt. Und er plappert eine Falschinformation nach.

Die Artikel, auf die sich von Schönburg bezieht, wenn er schreibt, dass “Atlantic” und “Washington Post” unabhängig von Belegbarkeit und Quellenlage Anti-Trump-Storys verbreiten, sind tatsächlich nicht mit letzter Sicherheit zu beweisen. Das heißt allerdings nicht, dass sie im Umkehrschluss unplausibel sind. Für die Behauptung, Trump habe US-Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen und auf einem Friedhof in Frankreich beerdigt sind, als “Loser” und “Sucker” bezeichnet, führt “The Atlantic” durchaus Quellen an – allerdings anonyme: “vier Personen mit Wissen aus erster Hand über die Diskussionen an diesem Tag”. Recherchen anderer Redaktionen, darunter auch Trumps (einstiger) Haussender Fox News, bestätigten die Aussagen dieser Quellen. Aber es gab auch Widerspruch: Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton etwa sagte, er könne nicht bestätigen, dass Trump sich derart despektierlich geäußert hat. Bolton steht Trump inzwischen kritisch gegenüber und damit nicht im Verdacht, den US-Präsidenten blind zu verteidigen.

All das lässt Alexander von Schönburg weg.

Die Geschichte, die “die Leitmedien” von Schönburg zufolge “unter den Tisch kehren”, ist ein Artikel aus dem Boulevardblatt “New York Post”, der nahelegt, dass Joe Bidens Sohn Hunter sich durch die Position seines Vaters bei Geschäftsleuten in der Ukraine und in China Vorteile verschafft haben soll. Und: Joe Biden selbst soll als Vizepräsident außenpolitisch Einfluss genommen habe, um seinem Sohn Vorteile zu verschaffen. Laut “New York Post” gehe das aus E-Mails hervor, die auf einer Kopie der Festplatte von Hunter Bidens Laptop gespeichert sein sollen. Nach Angaben der “New York Post” ist die Redaktion auf abenteuerlichem Weg an diese Kopie gekommen: Im April 2019 habe eine Person den Laptop bei einem Computerladen in Wilmington, Delaware zur Reparatur abgegeben. Der Besitzer des Ladens, der blind ist, sagt nun, er sei sich “fast sicher”, dass Hunter Biden diese Person war. Der Laptop sei allerdings nie abgeholt worden, daraufhin habe sich der Ladenbesitzer an die US-Behörden gewandt. Außerdem hat er auch Rudy Giuliani, Trumps persönlichem Anwalt, eine Kopie zukommen lassen. Der wiederum hatte sich an die “New York Post” gewandt.

Die Plausibilität der Geschichte wurde von verschiedenen Medien infrage gestellt, wobei weder “New York Times” oder “Washington Post” noch das “Wall Street Journal” die Möglichkeit hatten, das Material zu überprüfen. In einem Statement haben zahlreiche ehemalige US-Geheimdienstbeamte erklärt, die Geschichte der “New York Post” beinhalte alle klassischen Merkmale einer russischen Desinformationskampagne. Der Director of National Intelligence, John Ratcliffe, bestritt hingegen, dass es sich bei der Geschichte um eine russische Einmischung handele. Das FBI sagte dem Kongress am Mittwoch, es habe Ratcliffes Aussage zurzeit nichts hinzuzufügen. Die “New York Times” wiederum veröffentlichte einen Artikel, laut dem sich ein Redakteur der “New York Post”, der maßgeblich an der Geschichte beteiligt war, weigerte, als Autor des Textes aufgeführt zu werden. Mehrere Redaktionsmitglieder der “New York Post” hätten Zweifel geäußert, ob die Authentizität des Materials ausreichend belegt sei, und außerdem die Glaubwürdigkeit der Quellen angezweifelt. Twitter sperrte den Link zum “New York Post”-Artikel zwischenzeitlich mit der Begründung, der Artikel verletze die Privatsphäre-Richtlinien von Twitter. Zudem sei es möglich, dass das Material durch einen Hack an die “New York Post” gelangt sei und öffentlich gemacht wurde, was ebenfalls den Twitter-Richtlinien widerspräche. In der Kommunikation nach außen, warum man das Posten des Links zum “New York Post”-Artikel gesperrt hat, gab der Konzern kein gutes Bild ab.

All das lässt Alexander von Schönburg weg.

Der “Bild”-Autor erwähnt die Ungereimtheiten mit keinem Wort, nicht einmal eine kleine Bemerkung, dass es Zweifel an der Authentizität des Materials gibt, ist drin. Stattdessen stellt er die Geschichte als bombensicher dar. Und behauptet, US-amerikanische Leitmedien würden die Story, die “Joe Biden schwer belastet”, einfach “unter den Tisch kehren”. Dieser Verschwörungsmurks ist genau das: Verschwörungsmurks. Tatsächlich beschäftigten sich Medien wie die “New York Times” und die “Washington Post” ausgiebig mit dem Material, nur eben auf kritische Art und Weise.

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Schließlich wendet sich von Schönburg noch der TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden zu, die heute Nacht stattfinden wird:

Morgen steigt die nächste TV-Debatte. Die zuständige Kommission hat kurzfristig die Themen der Debatte geändert. Wieder soll Corona im Mittelpunkt stehen. Und Rassenkonflikte.

Das Thema Außenpolitik – und damit China – ist gestrichen. Außerdem sollen diesmal die Debattierenden stumm geschaltet werden, wenn sie nicht dran sind. Um ein Chaos wie beim letzten Mal zu verhindern.

Alexander von Schönburg gibt hier, ob bewusst oder unbewusst, eine Falschinformation wieder, die von Trump und dessen Team verbreitet wurde. Tatsächlich wurden die Themen der Debatte nicht geändert. Vergangenen Freitag kündigte die unabhängige Debattenkommission die Themen an, die die Moderatorin Kristen Welker ausgewählt hatte. Außenpolitik stand nicht auf der Liste. Von einer kurzfristigen Änderung kann also nicht die Rede sein. Das Trump-Team hatte sich jedoch bei der Debattenkommission beschwert, dass das Thema Außenpolitik nicht mit auf der Liste stand, mit dem Verweis, in der letzten Debatte vor der Wahl gebe es traditionell einen Fokus auf außenpolitische Themen. Darauf stützt sich auch Trumps Behauptung, die Kommission habe die Themen “geändert”. Dabei hatten beide Seiten im Vorfeld zugestimmt, dass die Moderatorin die Themenauswahl bestimmt. Trumps Team behauptete nun, man habe sich schon Monate im Voraus auf die Themen geeinigt. Eine Behauptung, die Bidens Team wie auch die Debattenkommission zurückwies.

Zu den Mikrofonen, die bei der Debatte stummgeschaltet werden können, raunt von Schönburg ganz am Ende seines Kommentar, versehen mit einem unschuldigen Fragezeichen:

Um Themen wie Bidens Verstrickungen mit China auszublenden?

Es ist nicht nur von Schönburgs Scharfsinn, der Verschwörung wittert, Trumps Wahlkampfteam hatte diese Behauptung ebenfalls in die Welt gesetzt. Es zielt damit vermutlich auf Geschäfte Hunter Bidens mit chinesischen Firmen ab. Vielmehr als die Tatsache, dass Hunter Biden Geschäfte in China und mit chinesischen Firmen gemacht hat, gibt es da allerdings nicht. Außer eben das Material der “New York Post”. Diese zitiert aus einer E-Mail, dass Hunter Biden einen Vertrag mit einem chinesischen Geschäftsmann abgeschlossen habe, der ihm “allein für Bekanntmachungen” Millionen zahlen wolle. Ob das Material echt ist, ist, wie erwähnt, fraglich.

Von Schönburgs Geraune ist an dieser Stelle nicht mehr als unbelegtes Verschwörungsgeschwurbel: dass die unabhängige Debattenkommission Joe Biden einen Vorteil verschaffen will. In Sachen China-Verstrickungen wäre allerdings auch Donald Trumps Rolle von Interesse für die Debatte: Er selbst wie auch seine Tochter Ivanka haben während Trumps Zeit als US-Präsident Marken in China registrieren lassen. Das brachte beiden den Vorwurf ein, in Interessenskonflikte zu geraten.

Und, genau: All das lässt Alexander von Schönburg weg.

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Voyeuristische Hausführung, Digitaler Faschismus, Fünf Franken pro Tag

1. An der Grenze zur Pornografie
(taz.de, Gereon Asmuth)
Einen “ekelerregender Verstoß gegen das Recht auf Privatsphäre” nennt Gereon Asmuth die Aufnahmen aus dem mittlerweile geräumten Haus in der Berliner Liebigstraße 34: “Der Zustand im Inneren des Hauses war für den Polizeieinsatz vollkommen irrelevant. Wenn die Polizei dennoch aktiv dafür sorgt, dass Bilder aus den Wohnungen für jeden zugänglich werden, dann dient das allein der öffentlichen Erregung, auf dass sich die feine Gesellschaft in einem orgastischen Ah-Oh-Ih-Gestöhne ergötzen kann. Mithin: Es ist an der Grenze zur Pornografie. Gefördert von der Berliner Polizei, die eigentlich wissen sollte, dass selbst frisch geräumte Vielleicht-Besetzer*innen noch einen Anspruch auf Privatsphäre haben.”
Weiterer Lesehinweis: Der Gewerkschafter Jörg Reichel kritisiert die Polizei für körperliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten, die Rote Zone sowie die voyeuristische Hausführung: “Pressearbeit massiv behindert”.

2. ProSieben-Reporter Thilo Mischke: Stellvertreter in Sneakers
(dwdl.de, Peer Schader)
Unlängst hat der Reporter Thilo Mischke eine vielbeachtete Doku zur Ausbreitung rechtsnationaler Einflüsse vorgelegt. ProSieben schob vor wenigen Tagen Mischkes neueste Reportage hinterher, die sich mit dem Thema Armut beschäftigt. Wer ist dieser Thilo Mischke und was ist von seiner Arbeitsweise zu halten? Peer Schauer schreibt über eine andere Form von Journalismus, mit der sich viele Kolleginnen und Kollegen Mischkes noch schwer täten.

3. “Ohne soziale Medien wäre die rechtsextreme Welle nicht denkbar”
(spiegel.de, Angela Gruber & Ayla Kiran)
Holger Marcks und Maik Fielitz forschen unter anderem zu Prozessen der Online-Radikalisierung. Heute erscheint ihr Buch “Digitaler Faschismus – die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus”. Der “Spiegel” hat sich mit den beiden Autoren über Rechtsradikale im Netz, Digitaldynamiken und Fragen der Verantwortung unterhalten.

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4. In 5 Schritten zum eigenen Home-Studio
(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Richard Gutjahr hat sich zu Hause ein Podcast- und Video-Studio eingerichtet, bei dem er nichts dem Zufall überlassen hat. Auf seinem Blog berichtet er von seinen ersten Überlegungen, der Möblierung und der verwendeten Technik. Das Ergebnis ist ein stylisches und multifunktionales Home-Studio, bestehend aus einem Mix von State-of-the-Art-Technik und Budgetentscheidungen. Wegen der vielen Anregungen auch für weniger ambitionierte Podcaster und Podcasterinnen lesenswert.

5. NZZ-Präsident Etienne Jornod: «Fünf Franken pro Tag für Qualitätsjournalismus? Das müsste doch drinliegen!»
(luzernerzeitung.ch, Patrik Müller & Andreas Möckli)
Die “Luzerner Zeitung” hat mit Etienne Jornod gesprochen, dem Präsidenten der Mediengruppe der “Neuen Zürcher Zeitung”. Natürlich geht es dabei um die weitere Entwicklung der bekannten Schweizer Tageszeitung. Jornod spielt mit dem Gedanken, den Preis der Zeitung deutlich anzuheben: “Fünf Franken pro Tag liegen drin, um klüger zu sein. Bislang waren wir und andere Verlage zu wenig mutig. Wir hatten auch zu wenig Argumente, um mehr Geld für Journalismus zu verlangen. Das ändert sich. Die ­Coronakrise hat vielen Leuten bewusst gemacht, wie wichtig fundierte, überprüfte, sachliche Information ist.”
Nachtrag: Für die Einordnung des Interviews wohl nicht ganz unwichtig: Die “Luzerner Zeitung” wird von CH Media herausgegeben, was wiederum ein Joint Venture von AZ Medien und der “NZZ”-Mediengruppe ist.

6. Vier Fäuste gegen die lausige Gegenwart
(sueddeutsche.de, Holger Gertz)
Holger Gertz kommentiert die Rückkehr des Boxsports in der ARD, und das liest sich recht unterhaltsam: “Boxen im Fernsehen lebt vom Überraschungsmoment, das in ihm schlummert, aber Boxen im Fernsehen lebt auch vom Gegenteil der Überraschung, von Tradition, Ritual, Wiedererkennung. Es ist wie bei SPD-Wählern, die nach wie vor SPD wählen – aber eigentlich wählen sie immer noch Willy Brandt.”

Amerikanische Katastrophe, Unzulässige Bilder, Jabadabaduuuu!

1. Die Fairness aufgegeben
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Anfang der Woche ist das Buch “Im Wahn. Die amerikanische Katastrophe” des ehemaligen “Spiegel”-Chefredakteurs Klaus Brinkbäumer und des Dokumentarfilmers Stephan Lamby erschienen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht Lamby über die Entwicklung der US-amerikanischen Medien. Bis zum Jahr 1987 habe die “fairness doctrine” gegolten, nach der bei politischen Kontroversen immer auch die Gegenseite gehört werden solle. In den Jahren der Deregulierung sei dies aufgegeben worden, mit schädlichen Auswirkungen bis in die Gegenwart: “Diese Entwicklungen, die da 1987/88 etwa ihren Anfang nahmen, die sehen wir in voller Blüte heute, so dass da nicht nur Republikaner und Demokraten gegeneinanderstehen, sondern auch ‘Fox News’ und ‘CNN’. Das ist wirklich mit Händen zu greifen im Moment.”
Weiterer Lesehinweis: Die US-Korrespondenten des “Spiegel” haben sich die erste TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden angeschaut: Der Schreikampf (spiegel.de, Roland Nelles & Marc Pitzke).

2. Artikel über Scheidung von Anke Engelke nur ohne Bilder zulässig
(urheberrecht.org)
Die “Bild”-Zeitung und Bild.de hatten über das Scheidungsverfahren der TV-Unterhalterin und Schauspielerin Anke Engelke berichtet und dabei auch Fotos verwendet, die auf dem Weg zum Amtsgericht geschossen wurden. Letzteres sei laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs unzulässig: Die Bilder würden nicht zum Bereich der Zeitgeschichte gehören, sondern seien Teil der Privatsphäre.

3. “Die ARD gibt selbst fürs Wetter mehr aus als für Dokumentarfilme”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Freie Doku-Produzentinnen und -Produzenten hätten in Hessen so gut wie keine Chance, ihre Arbeiten bei der dortigen ARD-Tochter unterzubekommen. Im Gespräch mit “DWDL” erklären zwei langjährige Dokumentarfilmer die für sie unbefriedigende Situation: “Der HR ist der einzige ARD-Sender, der eine sehr strikte Eigenproduktionspolitik fährt. 97 Prozent aller Produktionen des HR stammen direkt aus dem Haus. Freie Dokumentarfilmer oder Nachwuchsfilmer kommen so überhaupt nicht zum Zuge. Das ist kein Zufall, sondern die erklärte Politik des Hauses, die auch vom Rundfunkrat abgesegnet ist. Für uns Dokumentarfilmer ist das existenzbedrohend, gerade jetzt in der Coronakrise.”

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4. Arktis statt Aktien, Dürre statt Dividende: Initiative will ARD-Sendung “Börse vor acht” ersetzen
(klimafakten.de, Nick Reimer)
Eine Gruppe von Klima-Aktivisten will die Börseninformationen im Ersten kurz vor der “Tagesschau” durch Klima-Berichterstattung ersetzen. Das Crowdfunding für eine Testausgabe war äußerst erfolgreich: Statt der ursprünglich anvisierten 20.000 Euro seien mehr als 40.000 Euro zusammengekommen. Nun werde eine sechsteilige Testreihe produziert. Dass diese dann auch bei einem ARD-Sender ausgestrahlt werde, sei eher unwahrscheinlich, aber darum gehe es auch nicht: “Wir wollen zeigen, was gute Klimaberichterstattung ist – und dass es geht.”

5. Forschung, Strategie, Umsetzung: Wie sich der SPIEGEL für junge Leser*innen verändert
(medium.com/@devspiegel)
Nachdem der “Spiegel” mit seinem Jugendportal “Bento” gescheitert ist, unternimmt er einen neuerlichen Versuch, die junge Zielgruppe zu erreichen: “Spiegel Start” heißt das neue “Service- und Orientierungsangebot rund um Ausbildung, Studium und Berufseinstieg”, das in dieser Woche anläuft. Im hauseigenen Entwicklerblog verraten die Macherinnen und Macher, welche Analysen und Überlegungen sie im Vorfeld angestellt haben.

6. Jabadabaduuuu!
(sueddeutsche.de, Fritz Göttler)
Fritz Göttler erinnert an die erste Zeichentrickfilmserie, die es ins US-amerikanische Primetime-Fernsehen schaffte: “The Flintstones” (in Deutschland: “Familie Feuerstein”). Sie wurde von den Animationskünstlern William Hanna und Joseph Barbera entwickelt, die zuvor bei MGM lange Zeit “Tom und Jerry” betreut hatten. Die Serie war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich, und vielen klingt Fred Feuersteins Urschrei noch heute in den Ohren: “Jabadabaduuuu!”

Berichterstattung aus Solingen: “Bild”-Chef erkennt keine Fehler

“Bild”-Chef Julian Reichelt hat eine Verteidigungsstrategie entworfen, mit der er derzeit versucht zu rechtfertigen, wie seine Redaktion aus Solingen berichtet hat, und die geht so: Die da haben das aber auch gemacht. Die da, das sind einerseits RTL und andererseits die Ermittlungsbehörden.

Reichelts Team hatte vergangene Woche bei Bild.de einen inzwischen gelöschten Artikel veröffentlicht, in dem ein Zwölfjähriger über private WhatsApp-Nachrichten eines elfjährigen Freundes spricht. Fünf Geschwister des Elfjährigen wurden kurz zuvor getötet. Bild.de zeigte auch einen Screenshot dieser Nachrichten, sogar auf der Startseite. Außerdem berichtete der Zwölfjährige von einem Telefonat mit seinem Kumpel. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Reichelt gestern:

Und wir orientieren uns natürlich auch daran, was zum Beispiel Ermittlungsbehörden tun und wie sie mit so einem Fall verfahren. Und in diesem Fall war es zum Beispiel so – das ist in der Berichterstattung oder in der Meinungsäußerung über Bild in den letzten Tagen ein bisschen verloren gegangen – dass auch die Polizei auf ihrer Pressekonferenz, aus dem Chat, oder aus einem Chat, den es gegeben hat, mit diesem überlebenden Jungen, dem unser tiefes, tiefes Mitgefühl gilt, Chats von diesem Jungen thematisiert hat und aus diesen Chats zitiert hat. Also, nicht nur wir sind zu der Einschätzung gelangt, dass diese Nachrichten, die dort im Verlauf dieser Katastrophe, kann man ja sagen, geschrieben wurden, von überragendem Interesse sind, sondern auch die Ermittlungsbehörden. Dort hat der Leiter der Ermittlungsgruppe auf der Pressekonferenz eben thematisiert, was der überlebende Junge aus dieser Familie in einem schulischen Gruppenchat geschrieben hat.

Immer wieder bezieht sich Julian Reichelt in dem Gespräch auf das Verhalten der Ermittlungsbehörden: Das, was seine “Bild”-Redaktion gemacht hat, sei eigentlich nicht viel anders gewesen als das, was Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Pressekonferenz gemacht haben.

Wer nun glaubt, die Ermittlungsbehörden hätten bei der Pressekonferenz in Solingen den privaten Chatverlauf zwischen dem Elf- und dem Zwölfjährigen ausgedruckt und den anwesenden Journalistinnen und Journalisten in die Hände gedrückt oder einen Zwölfjährigen auf die Bühne gezerrt, der dann vom Inhalt des Telefonats mit seinem Freund berichtete, sollte sich die Pressekonferenz angucken.

Zu Beginn der PK zeichnet Einsatzleiter Robert Gereci einen Zeitstrahl nach und sagt dabei:

Gegen 14:08 Uhr ging bei uns der Hinweis ein, dass der Sohn, der Sohn […], der für uns noch nicht lokalisiert war, in einem schulischen Gruppenchat mitgeteilt habe, dass all seine Geschwister tot seien.

Das ist alles. Das ist das Fundament für Reichelts großes Ablenkungsmanöver. Mehr sagen Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Pressekonferenz nicht zu den WhatsApp-Chats des Jungen. Es geht um eine Nachricht (und nicht um “Nachrichten”, wie Reichelt behauptet) in einem Chat (und nicht in “Chats”, wie Reichelt teilweise behauptet), die nicht direkt zitiert wird und deren Inhalt nicht über das hinausgeht, was sowieso schon alle Anwesenden bei der Pressekonferenz wussten.

Bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft sagt man uns auf Nachfrage, dass man der Argumentation des “Bild”-Chefs nicht so recht folgen könne. Man habe bewusst nicht direkt zitiert. Man habe bewusst keinen direkten Empfänger genannt. Das sei vor allem wegen der Privatsphäre und der Vertraulichkeit des Inhalts der Ermittlungsakte so geschehen. Der Informationsanspruch der Öffentlichkeit habe bei den WhatsApp-Nachrichten des Kindes aus Sicht der Ermittlungsbehörden nicht überwogen.

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Julian Reichelt wirft noch eine zweite Nebelkerze. Bereits vor “Bild” hatte auch RTL den Zwölfjährigen interviewt, der vor der Kamera über die WhatsApp-Nachrichten seines elfjährigen Freundes sprach. In einer internen Mitteilung an seine Belegschaft, in der er zur massiven Kritik an dem Bild.de-Artikel Stellung nimmt, schreibt Reichelt:

Wichtig ist mir noch ein Punkt: Als wir über diese Geschichte berichtet haben, war sie schon millionenfach gesehen, gelesen, angeklickt. Wir haben berichtet, was längst bekannt war. Der Zorn richtet sich gegen “Bild”, aber eine “Bild”-Geschichte war das nicht.

Gemeint sind die Beiträge von RTL und RTL.de. Der Gedanke dahinter muss sein: Weil dort das alles schon gelaufen ist, konnte “Bild” ja gar nicht anders und musste sich geradezu an ein Kind heranwanzen, um an private WhatsApp-Nachrichten eines anderen Kindes, das gerade fünf Geschwister verloren hatte, zu kommen. Wenn vorher schon RTL berichtet hat, gehört es bei “Bild” offenbar zur Chronistenpflicht, einen Screenshot dieses WhatsApp-Chats zu veröffentlichen und dem Zwölfjährigen noch ein paar Details zu einem Telefonat mit seinem verzweifelten Freund zu entlocken.

Julian Reichelt sagte mal über sich selbst:

Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.

Das setzt natürlich voraus, eigene Fehler überhaupt erkennen zu wollen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Prof. Dr. Verschwörung, “Bild” am Gartenzaun, Evas Telegram-Protest

1. Prof. Dr. Verschwörung
(sueddeutsche.de, Bastian Brinkmann)
Der Finanzwissenschaftler und Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz-Universität Hannover Stefan Homburg ist während der Corona-Krise zur Medienfigur geworden. Bekannt gemacht haben ihn jedoch nicht seine wirtschaftspolitischen Forschungen, sondern seine öffentlichen Äußerungen zu der angeblichen Wirkungslosigkeit von Kontaktbeschränkungen, einer angeblich bevorstehenden “Zwangsimpfung” und den “Sklaven-Masken, mit denen die Bevölkerung psychisch niedergehalten werden soll”. “SZ”-Redakteur Bastian Brinkmann hat sich fast zwei Stunden mit dem Professor unterhalten, den er bei aller Kritik als durchaus eloquent empfand.
Weiterer Lesehinweis: Homburgs Reaktion auf Twitter fiel weniger eloquent aus: “Medienprostitution vom Feinsten. Wenn Sie Ihr Abo kündigen, tut das der Süddeutschen wegen der neuen Subventionen für Linientreue nicht weh. Wer einem ‘Bastian Brinkmann’ ein Wort glaubt, ist selbst schuld. Schreiben Sie ihn an!”

2. “Bild” filmt Sidos Garten – Rapper geht auf Kamerateam los
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Ein “Bild”-Kamerateam hat dem Rapper Sido vor dessen Haus aufgelauert, um ihn über den Gartenzaun zu seinen verschwörerischen Äußerungen zu befragen. In dem Zusammenhang kommt es zu einem Wortgefecht, Sido geht auf das Kamerateam los, es scheint ein Gerangel zu geben. Ein Vorfall, den “Bild” samt Video gleich gewinnbringend hinter der Bezahlschranke verkauft. Matthias Schwarzer kommentiert: “Medienrechtlich ist die Aktion der ‘Bild’-Zeitung derweil mindestens heikel. Denn auch Prominente haben das Recht auf Privatsphäre und müssen es keineswegs hinnehmen, mit jedem Teil ihres Lebens in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden — dazu zählt zum Beispiel auch das private Grundstück.”

3. Follower bei der Arbeit
(deutschlandfunk.de, Mirjam Kid & Michael Borgers)
Deutschlandfunk-Autor Stefan Römermann berichtete vor einigen Tagen über die Wirkmächtigkeit des Messengerdienstes Telegram für die Verschwörungsszene (Audio: 6:31 Minuten). Er zitierte dabei auch die ehemalige Moderatorin Eva Herman, die sich missverstanden fühlte und an ihre mehr als 100.000 Accounts umfassende Telegram-Gefolgschaft schrieb: “Deutschlandfunk hört meinen Telegram-Kanal ab und reißt meine Äußerungen willkürlich aus dem Zusammenhang. So arbeiten die zwangsgebührenfinanzierten Sender”. Wie zur Bestätigung der These von der enormen Wirkmächtigkeit des Messengerdienstes hätten sich daraufhin unzählige Telegram-Nutzerinnen und -Nutzer bei Römermann gemeldet.

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4. Sechs Tipps für den Umgang mit Verschwörungstheoretiker*innen
(editionf.com, Dana Buchzik)
Die Journalistin Dana Buchzik ist in einer radikalen Sekte aufgewachsen und lebte einige Zeit in einem Umfeld radikaler Meinungen. In ihrem Beitrag verrät sie sechs Tipps, wie man mit davon betroffenen Personen umgehen kann, denn: “Wenn wir verstehen, wie Radikalisierungsprozesse ablaufen, können wir im Gespräch nicht nur uns selbst besser schützen, sondern auch unserem Gegenüber vermitteln, dass es noch immer einen gemeinsamen Boden humanistischer Werte gibt, auf den sie*er zurückkehren kann.”

5. Das sind die Corona-Unwörter
(spiegel.de, Samira El Ouassil)
Samira El Ouassil beschäftigt sich in ihrer neuen “Spiegel”-Kolumne mit Sprache in der Krise: “Wörter wie ‘Grenzöffnung’, ‘Klimahysterie’ und ‘Lockdown’ ermöglichen auf geradezu magische Weise die Beschreibungen einer Gegenwart, die nicht stattgefunden hat, von der wir jedoch glauben, dass wir sie so wahrgenommen und erlebt haben.”

6. “Man muss den Leuten etwas erzählen und erklären wollen”
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Silke Hansen ist als Leiterin des ARD-Wetterkompetenzzentrums unter anderem für den Wetterbericht in der “Tagesschau” verantwortlich. Im Interview mit dem “Fachjournalist” schildert sie ihren Alltag als Wettermoderatorin, spricht über spannende Wetterphänomene und erzählt, was sie mit der Formel 1 und dem Rallyesport verbindet.

Missbrauchsverdacht, Twitter stoppt Polit-Werbung, “Entkräfter Pro Max”

1. Viele Worte für einen Missbrauchsverdacht
(sueddeutsche.de, Hannah Beitzer)
Die Portale “Vice” und “BuzzFeed” haben über einen Berliner Arzt berichtet, der homosexuelle Patienten in seiner Praxis sexuell missbraucht haben soll. Nun hat ein Gericht die Berichterstattung auf Betreiben des Arztes untersagt. Obwohl zahlreiche Zeugenaussagen vorliegen, bei der Berichterstattung unzählige Male vom Konjunktiv Gebrauch gemacht wurde und einschränkende Formulierungen eingeflochten wurden.
Weitere Lesehinweise: “BuzzFeedNews”-Reporter Marcus Engert kommentiert auf Twitter: “Stell dir vor, dein Artikel ist voller “mutmaßlich, “angeblich” + Konjunktiven, aber du hast so viele Quellen & Belege, dass ein Gericht sagt: Genau darum kann dein Leser zu keinem anderen Urteil kommen als dass all das stimmt, und darum verbieten wir das.” “BuzzFeedNews”-Chef Daniel Drepper erklärt seine Sicht auf den Fall in einem lesenswerten Twitter-Thread und fragt: “Wie viele Belege braucht man, um Vorwürfe sexualisierter Gewalt zu veröffentlichen?” Und auch “BuzzFeedNews”-Reporterin Juliane Löffler, die an der Recherche mitgewirkt und den Fall mit ihrem Kollegen Thomas Vorreyer aufgeschrieben hat, kommentiert die juristische Niederlage: “Ich bin ernüchtert, enttäuscht, verwirrt.”

2. Inhaltliche statt technische Konkurrenz
(tvdiskurs.de, Sebastian Pertsch)
Sebastian Pertsch hat sich mit dem Medienwissenschaftler Bertram Gugel über die derzeitigen Probleme der Medienbranche und mögliche Auswege unterhalten. Gugel schlägt eine gemeinsame deutsche Videoplattform vor (“Deutschland Pass”), auf der die sonst im Wettbewerb stehenden Anbieter ihre Kräfte bündeln. Interessant sind auch seine Gedanken zu Social Media: “Wir haben bekanntlich Kommentarfunktionen auf den meisten Websites und in allen sozialen Netzwerken. Ich kann überall etwas kommentieren. Mittlerweile bin ich der Meinung: Nein, lasst doch “Social” “Social” sein.”

3. Twitter stoppt politische Werbung
(tagesschau.de)
“Wir glauben, dass Reichweite für politische Botschaften verdient werden muss, statt erkauft zu werden.” So begründet Twitter-Chef Jack Dorsey, warum Twitter zukünftig keine politische Werbung zulässt — und zwar weltweit. Damit hebt sich der Kurznachrichtendienst deutlich von Facebook ab, wo man derlei Werbung gestattet und sie auch keinem Faktencheck unterzieht.

4. Politikerinnen verurteilen “geschmacklose” Berichterstattung über Meghan
(spiegel.de)
In Großbritannien muss sich Herzogin Meghan gegen übergriffige Nachstellungen der Boulevardpresse wehren, um ihre Privatsphäre zu schützen. Nun haben 72 weibliche Abgeordnete in einem offenen Brief ihre Solidarität mit der Herzogin erklärt: “Als weibliche Abgeordnete sämtlicher politischer Richtungen möchten wir unsere Solidarität mit Ihnen zum Ausdruck bringen, indem wir uns gegen die oft geschmacklose und irreführende Natur der Geschichten aussprechen, die in einer Reihe unserer nationalen Zeitungen über Sie, Ihren Charakter und Ihre Familie abgedruckt sind.”

5. Neue Pläne gegen den Hass im Netz
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 8:15 Minuten)
Seit mehr als zwei Jahren gilt in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das die Betreiber Sozialer Netzwerke verpflichtet, Hasskommentare zu löschen. Auf den Hass im Netz hat sich das jedoch nur unzureichend bis gar nicht ausgewirkt. Nun will die Bundesregierung das NetzDG verschärfen und legt dazu ein “Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität” vor. Der Deutschlandfunk hat sich mit dem Medienrechtsanwalt Jonas Kahl über das Vorhaben unterhalten, der von “erheblichen Herausforderungen” für die Justiz spricht.

6. Joko und Klaas: 15 besondere Minuten gegen Rechtspopulismus
(rnd.de)
Bei “Joko und Klaas gegen ProSieben” können die Protagonisten 15 Minuten Sendezeit gewinnen. Eine Viertelstunde, die von den Moderatoren gestern Abend für den Kampf gegen Rechts genutzt wurde: Zunächst gab es einen Zusammenschnitt rechtspopulistischer Parolen, danach ein Angebot für den “Entkräfter Pro Max”, den “Automaten von heute gegen die Parolen von gestern”.

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