Gratis-“Titanic” gegen Gratis-“Bild” reloaded

Morgen könnte, wir berichteten bereits gestern darüber, in Ihrem Briefkasten eine Gratis-“Bild” stecken. Bisher hatten sie dann vier Möglichkeiten bei Ihrem weiteren Vorgehen:

  • alles völlig egal finden
  • den Briefkasten nie wieder leeren
  • genüsslich die “Bild”-Zeitung lesen

Dank der Partei “Die PARTEI” gibt es seit heute aber noch eine fünfte Möglichkeit: Sie können Ihre Gratis-“Bild” gegen eine Gratis-“Titanic” tauschen. Zumindest, wenn Sie morgen zwischen 13 und 18 Uhr in Hannover sind (weitere Orte siehe “Nachtrag” weiter unten).

In einer Pressemitteilung von heute unterbreitet “Die PARTEI Hannover” folgenden Vorschlag, was Sie morgen mit Ihrem Gratis-“Bild”-Exemplar anfangen könnten:

Der Axel-Springer-Verlag wird am morgigen Donnerstag, den 22.06.2017, erneut an alle Haushalte in der BRD ungefragt eine Bildzeitung zustellen. Doch was tun mit einem Geschenk, das doch eigentlich keiner will? (…)

Eine wünschenswerte Heizstoffspende nach Syrien oder Irak kommt aus logistischen Gründen nicht in Frage, so dass sich Die PARTEI Hannover mit Hilfe ihres exklusiven Sponsors, dem Titanic-Magazin, eine praktikable Lösung des Papierproblems erdacht hat und der Bevölkerung folgendes großzügige Angebot unterbreitet:

Die PARTEI Hannover wird am morgigen Donnerstag, den 22.06.2017 (direkt am Kröpcke, zwischen 13.00 – 18.00h) jede* (in Versalien: JEDE*) “Gratisbild” gegen eine Ausgabe des Faktenmagazins der Marke “TITANIC” umtauschen. Ohne Wenn und Aber!*

* Solange der Vorrat reicht! Danach werden bereits eingenommene Gratis-BILD-Zeitungen gegen Gratis-BILD-Zeitungen getauscht. Abgabe nur in haushaltsüblichen Mengen, max. 3 pro Person!

Also, an alle Hannoveranerinnen und Hannoveraner: Morgen tagsüber ab zum Kröpcke und sich endlich mal ein ordentliches journalistisches Produkt sichern.

Und ja: Dieses Angebot ist ernst gemeint, wie uns auf Nachfrage bestätigt wurde. Vor knapp drei Jahren gab es schon einmal eine große, erfolgreiche “Bild”-gegen-“Titanic”-Tauschaktion.

Nachtrag: An folgenden Orten können Sie am Donnerstag, 22. Juni, ebenfalls die Gratis-“Bild” gegen eine Gartis-“Titanic” eintauschen:

  • Göttingen: 13:15 bis 16:45 Uhr, Reinhäuser Landstr. 4, Raum 232 P² Fraktion

Deutschland spricht, Football Leaks, Farbenlehre

1. Einen Mirko gibt es hier nicht
(zeit.de, Jochen Wegner)
“Die Zeit” hat die Aktion “Deutschland spricht” ins Leben gerufen, bei der Menschen ein Gesprächspartner mit politisch gegensätzlichen Ansichten vermittelt wurde: Für ein persönliches Treffen und politisches Zwiegespräch (hier der Werkstattbericht). Auch “Zeit Online”-Chef Jochen Wegner hat sich vom Matching-Algorithmus einen Gesprächspartner zuweisen lassen. Sein Bericht über die Begegnung mit seinem andersdenkenden Counterpart “Mirko” ist ein spannend zu lesendes Stück Journalismus.

2. Buhrows Farbenlehre
(sueddeutsche.de, Hans Hoff)
Beim gemeinsam von “ARD” und “ZDF” geführten Ereignis- und Dokumentationskanal “Phoenix” steht demnächst ein Wechsel an der Spitze an: Einer der zwei Chefposten wird neu besetzt. Hans Hoff erklärt, nach welchen Kriterien die Personalentscheidung läuft, und das hat viel mit “politischer Farbenlehre” zu tun.

3. “Spiegel”-Reporter Rafael Buschmann über Fußballjournalismus: “Bei regionalen Tageszeitungen besteht ein enormes Abhängigkeitsverhältnis”
(kress.de, Frank Hauke-Steller)
“Spiegel”-Reporter Rafael Buschmann hat zusammen mit seinem Kollegen Michael Wulzinger ein Buch über “Football Leaks” und die schmutzigen Geschäfte im Profifußball geschrieben. Der Whistleblower “John” hatte dem “Spiegel” ein Datenkonvolut von 1,9 Terabyte, umgerechnet 18,6 Millionen Dokumente, zukommen lassen. In Interview erzählt Buschmann von seinem Kontakt mit John und der Entscheidung, das Material mit den 60 EIC-Kollegen und den dahinterstehenden zwölf anderen europäischen Medienhäusern zu teilen. Und es geht natürlich um den Fußball und die Zukunft des Fußballs.

4. “Bundestag beschränkt Arbeit von Journalisten”
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Der Bundestag hat seine „Zugangs- und Verhaltensregeln“ überarbeitet und an zahlreichen Stellen die Möglichkeiten für Berichterstattung verschlechtert. Die Bundespressekonferenz (BPK), ein Zusammenschluss der Hauptstadtjournalisten, ist wegen der verschärften Regeln für Journalisten im Bundestag erzürnt und fordert eine Rücknahme beziehungsweise Neugestaltung. Der DJV sieht in den neuen Regelungen eine “weitgehende Verhinderung von Journalismus”.

5. Insel der Möglichkeiten
(taz.de, René Martens)
Das Monatsmagazin „Tempo“ ist vielen noch in Erinnerung, obwohl es nur in den zehn Jahren zwischen 1986 und 1996 erschien. Das liegt auch an prominenten Namen wie Christian Kracht, Maxim Biller oder Sibylle Berg, die man mit dem Magazin verbindet. Nun wird der Name des legendären Monatsmagazins von einem Verlag für ein neues Projekt genutzt. René Martens erinnert sich an die Zeiten, in denen er selbst in Hamburg für “Tempo” arbeitete.

6. Die wirklich sehr deutsche Geschichte vom Immer-Schlauer-Sein
(medium.com, Gerald Hensel)
Gerald Hensel hat den “Ramadan Friedensmarsch” von “#NichtMit uns – Muslime & Freunde gegen Gewalt und Terror” zum Anlass genommen, über den medialen Umgang mit politischen Ideen nachzudenken: “In nichts lernt man die Geringschätzigkeit auch großer deutscher Presseerzeugnisse so gut kennen, wie in ihrer Abschätzigkeit gegenüber jeder neuen politischen Idee. Die Methode ist simpel und hat für die, die sich dessen ausgesetzt sehen, einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Effekt: die rechte Bubble weidet sich an deinem vermeintlichen Fail, bildet das Narrativ. Danach ziehen meist einige große Medien nach.” Die Aktivisten ermuntert er, bei der Sache zu bleiben. “Gebt euch noch mehr Zeit, die Idee zu entwickeln und dann werdet ihr ganz schnell sehen, wie schnell die Meinungsopportunisten wieder die Seite wechseln.”

Bild  

“Bild” in die Tonne reloaded

Achtung, Achtung! Wichtige Durchsage: Übermorgen, am Donnerstag, 22. Juni, wird der Axel-Springer-Verlag wieder jeden Haushalt in Deutschland ungefragt mit einer “Bild”-Zeitung behelligen. Vermutlich will die Redaktion so sich und den 65. “Bild”-Geburtstag feiern. Und ordentlich Kohle machen: Der Preis für eine ganzseitige Anzeige dürfte, wie schon bei vergangenen “Bild für alle”-Aktionen, bei rund vier Millionen Euro liegen.

Wir haben blöderweise auch erst Ende vergangener Woche von der neuerlichen Belästigung im Briefkasten erfahren. Andernfalls hätten wir früher hier davon berichtet — dann hätten Sie noch rechtzeitig Einspruch gegen die unliebsame “Bild”-Zustellung einlegen können. Dafür ist es jetzt leider zu spät.

Lassen Sie uns also das Beste draus machen und gemeinsam “Bild” ganz herzlich zum 65. gratulieren: Wie schon vor zwei Jahren soll #BILDindieTonne!

Und das geht so: Zerknüllen Sie am Donnerstag Ihre ungelesene Gratis-“Bild” und werfen Sie sie direkt in den nächsten Mülleimer. Machen Sie ein Foto davon und posten Sie es bei Facebook (entweder hier oder bei dieser Facebook-Veranstaltung), bei Twitter (mit dem Hashtag #BILDindieTonne) oder bei Instagram (ebenfalls mit dem Hashtag #BILDindieTonne).

Hier noch einmal das Wichtigste zusammengefasst:

Ach, und noch ein Vorschlag von uns: Beschränken Sie sich wirklich nur aufs Zerknüllen der “Bild”-Zeitung. Das kollektive Verbrennen des Blatts kann schnell etwas von der Bücherverbrennung haben. Und außerdem wollen wir nicht, dass sich “Bild”-Oberchef Julian Reichelt deswegen wieder so aufregen muss.

Sollten Sie bei dem Gedanken, eine “Bild”-Zeitung in Ihrem Briefkasten liegen zu haben, schon jetzt spontan Herpes bekommen, gibt es noch eine Möglichkeit, schlimmere körperliche Schäden am Donnerstag zu vermeiden (allerdings können Sie dann nicht bei unserer #BILDindieTonne-Aktion mitmachen): Die Post, die die Zustellung der vielen Millionen “Bild”-Exemplare in ganz Deutschland übernimmt, hat ihre Mitarbeiter angewiesen, nach Aufklebern auf den Briefkästen zu schauen. Ein Sticker mit “Bitte keine Werbung einwerfen” hilft gegen die Gratis-“Bild” nicht; Sticker mit dem Hinweis, dass man keine kostenlosen Zeitungen oder Anzeigenblätter erhalten will — oder noch besser: dass man keine “Bild”-Zeitung erhalten will –, sollen hingegen vor unerwünschten “Bild”-Einwürfen schützen.

Gerne können Sie dafür diese …


(Draufklicken für größere Version.)

… oder diese Vorlage …


(Draufklicken für größere Version.)

… benutzen. Oder Sie kleben einfach einen kleinen Zettel mit “Hier keine ‘Bild’ einwerfen” auf ihren Briefkasten.

Nachtrag, 21. Juni: Sollten Sie morgen zwischen 13 und 18 Uhr in Hannover sein, hätten wir noch ein tolles Tauschangebot für Sie: Gratis-“Bild” gegen Gratis-“Titanic”.

“Maria W. hat ihre Geschichte frei erfunden”

Es verdichten sich die Hinweise, dass “Bild” auf eine Betrügerin reingefallen ist.

Am 28. März 2015, vier Tage nach dem Absturz des “Germanwings”-Flugs 4U9525 in den französischen Alpen, veröffentlichte die “Bild”-Zeitung diese Titelgeschichte, die auch Bild.de aufgriff:



Die angebliche “Ex-Freundin” von “Germanwings”-Co-Pilot Andreas Lubitz lieferte “Bild”-Reporter John Puthenpurackal genau die Bausteine, die wenige Tage nach dem Unglück für das Psychogramm eines Wahnsinnigen noch fehlten: Ausraster, Drohungen, die Ankündigung einer aufsehenerregenden Tat. Es passte alles wunderbar in das Bild, das Puthenpurackals Redaktion die Tage zuvor gezeichnet hatte.

In dem Artikel vom 28. März 2015 schrieb “Bild”:

Die Stewardess Maria W. (26) war eine zeitlang die Freundin von Todes-Pilot Andreas Lubitz (27).

Fünf Monate lang flogen sie im vergangenen Jahr zusammen durch Europa und übernachteten heimlich gemeinsam in Hotels.

BILD-Reporter John Puthenpurackal hat ihre Identität überprüft. Er ließ sich u.a. ein Foto zeigen, das die Stewardess und den Amok-Piloten bei einem Flug in derselben Crew zeigt.

Bereits im März dieses Jahres schrieb die Journalistin Petra Sorge in der “Zeit”, dass es trotz der Identitätsprüfung durch “Bild” erhebliche Zweifel an der Geschichte von Maria W. gebe. Der für den “Germanwings”-Absturz zuständige Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa sagte damals: “Ich gehe davon aus, dass ihre Geschichte erfunden ist.” “Bild”-Oberchef Julian Reichelt startete daraufhin eine ganz beachtliche Twitter-Kampagne gegen Sorge.

Heute liefert Petra Sorge in einem Artikel für “Buzzfeed” neue Indizien dafür, dass Maria W. eine Hochstaplerin ist, und dass die “Bild”-Medien auf sie reingefallen sind.

Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass die Einsatzpläne bei “Germanwings” aus Kostengründen so konzipiert waren, dass die Piloten am Ende eines Diensttages so gut wie immer in ihren Heimatflughafen zurückkehrten. Das Personal schlief dann meist in der eigenen Wohnung. Das passt kaum mit der Aussage von Maria W. zusammen, dass sie mit Andreas Lubitz durch Europa geflogen sei und heimlich mit ihm in Hotels übernachtet habe.

Außerdem ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass Andreas Lubitz und Maria W. “fünf Monate lang” zusammen flogen. Bei “Buzzfeed” sagt ein Sprecher von Lubitz’ früherer Fluggesellschaft, dass die Crew täglich wechsle und man nur in Ausnahmefällen und durch Zufall mehrere Tage hintereinander gemeinsam fliege.

Schwerwiegender als diese Indizien ist eine Stellungnahme von RTL zu dem Fall. Maria W. hat sich nach der Veröffentlichung bei “Bild” mit ihrem Anliegen nämlich auch bei dem TV-Sender gemeldet. Nach fünf Monaten Recherche stand für die Redaktion fest: Maria W. ist eine Betrügerin. Petra Sorge zitiert in ihrem “Buzzfeed”-Text einen RTL-Pressesprecher: “‘Wir können vollumfänglich bestätigen, dass Maria W. ihre Geschichte frei erfunden hat. Dies hat sie bei einem 4. Treffen im Dezember 2015 explizit zugegeben'”.

Bei diesem vierten Treffen soll Maria W. laut eines RTL-Abteilungsleiters auch gesagt haben, dass sie überrascht gewesen sei, wie viel Arbeit sich der Sender mit der Recherche gemacht hat. Das kannte sie von ihrem Kontakt mit der “Bild”-Redaktion und John Puthenpurackal offenbar nicht.

Kohl-Interview, “Bild”-Hochstaplerin, Paranoia-Jones

1. Helmut Kohl – im Halbdunkel
(dbate.de, Stephan Lamby)
Im Jahr 2003 fand Helmut Kohls letztes großes TV-Interview statt. Das Interview zog sich über vier Tage – zwei Tage im Frühjahr, zwei Tage im Herbst. Dokumentarfilmer Stephan Lamby erinnert sich an das ungewöhnliche Gespräch, das er und sein Co-Autor Michael Rutz mit dem Ex-Kanzler führten. Wer sich nach der Lektüre für das Gespräch interessiert: “dbate” zeigt das Interview in sechs einstündigen Folgen.

2. Dieses BILD-Interview über Germanwings-Pilot Andreas Lubitz ist offenbar erfunden
(buzzfeed.com, Petra Sorge)
Drei Tage nach dem Absturz des Germanwings-Fluges 4U9525 im März 2015, bei dem 150 Menschen starben, brachte “Bild” ein Interview mit der angeblichen Geliebten des Co-Piloten. Nachdem die “Zeit” schon Zweifel geäußert hatte, scheint sich nun zu bestätigen, dass “Bild” offenbar einer Hochstaplerin Gehör geschenkt und eine frei erfundene Geschichte abgedruckt hat.

3. “Zeitungen werden nicht überleben”
(swissinfo.ch, Roger Nickl & Thomas Gull)
Zwei Medienexperten aus der Schweiz sprechen über die Zukunft der Medien: Otfried Jarren, Professor für Publizistik an der Universität Zürich (UZH) und der lange Jahre als Auslandskorrespondent und Chefredakteur und nunmehr als freie Journalist tätige Casper Selg. Einig sind sich beide, dass die klassischen Nachrichtenmedien nicht überleben werden: “Zeitungen sind Produkte, die Themen aus Politik, Unterhaltung, Kultur mit Werbung kuppeln und integral zu einem Preis verkaufen. Diesen Markt gibt es so nicht mehr, weil die Digitalisierung es erlaubt, journalistische Inhalte anders abzusetzen und individuell und selektiv zu konsumieren. Die Werbung und die Nutzerinnen und Nutzer werden bestimmen, wohin die Reise geht.” (Otfried Jarren)

4. Der paranoideste Mensch in Amerika?
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz)
Der Amerikaner Alex Jones ist ein berühmt-berüchtigter Moderator einer täglichen Radiosendung, in der er regelmäßig wilde Verschwörungstheorien verbreitet, oft von wilden Wutausbrüchen und Schreiattacken begleitet. Außerdem betreibt er die umstrittene Webseite “infowars.com”. Nun hat sich Star-Moderatorin Megyn Kelly (vormals “FoxNews”, jetzt “NBC”) mit dem Schreihals getroffen, um ihn zu interviewen. Dies ruft vielerlei Kritik hervor. Für weitere Diskussionen sorgt, dass Alex Jones die unerlaubt mitgeschnitten Vorgespräche veröffentlicht hat. US-Zeitungen und Online-Dienste seien sich weitgehend einig, dass das Medienevent ein Fehler von Kelly und NBC war.

5. NetzDG: Grundlegend neuer Ansatz nötig
(www.reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” appelliert an den Bundestag, das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz in seiner aktuellen Form abzulehnen: „Strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken sind ein reales Problem und sollten gelöscht werden. Aber dieser Gesetzentwurf vermischt ganz verschiedenartige Rechtsprobleme, setzt auf untaugliche Mittel und ist schlecht begründet“, so der Geschäftsführer der Organisation. Weitere Leseempfehlung: Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Experten haben gravierende verfassungsrechtliche Bedenken bei “Heise Online”.

6. Von Postergirls und Dunklen Rittern – Wie man über die Neue Rechte schreiben sollte und wie nicht
(blog.zeit.de, Michael Barthel)
Michael Barthel berichtet im “Störungsmelder”-Blog der “Zeit” von der Schwierigkeit, über die Neue Rechte zu schreiben. Schaue man sich den Journalismus zum „Institut für Staatspolitik“ und „Identitärer Bewegung“ an, so entdecke man neben einigen guten Artikeln etliche, die auf die Selbstinszenierung der „Neuen Rechten“ reinfallen: “Die unverhältnismäßige Aufmerksamkeit durch die Medien hat dazu geführt, dass sich die Protagonisten der IB mittlerweile wie Popstars — oder eben Postergirls — vorkommen müssen.”

Heiße “Bild”-Altherren könnten Finger nicht von Frauen-Body lassen

Manchmal reicht eine einzige Zeile unter einem Foto, und schon schüttelt’s einen vor lauter “Bild”-Breitbeinigkeit. Zum Beispiel diese hier:

Aber mal ehrlich: An Jörns Stelle könnten wir auch nicht die Finger von diesem knattergeilen Body lassen

Die Frau mit dem “knattergeilen Body”, von der die ehrlichen “Bild”-Redakteure die Finger nicht lassen könnten, war mit dem Schauspieler Jörn Schlönvoigt im Urlaub. Die “Bild”-Zeitung brachte am vergangenen Freitag eine ganze Fotoserie mit Bildern der beiden — er in Badehose, sie im silbernen Bikini –, die sie auf einer Jacht vor der Küste Mallorcas zeigen:

Ausriss Bild-Zeitung - Schauspieler Jörn Schlönvoigt mit neuer Freundin - Sexy Silber-Nixe geht GZSZ-Star ins Netz
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Bild.de berichtete bereits am späten Donnerstagabend:

Ausriss Bild.de - Sexy Silber-Nixe geht GZSZ-Star ins Netz

Die acht (“Bild”) beziehungsweise 14 (Bild.de) Fotos, die in “Bild” riesig ausgebreitet werden und bei Bild.de nur mit einem “Bild plus”-Abo zu sehen sind, haben alle eine gewisse Paparazzo-Ästhetik; wir wollen aber nicht ausschließen, dass sie gestellt sind. Da wir nicht sicher sein können, ob die Aufnahmen mit den Personen, die sie zeigen, abgesprochen waren, haben wir sie lieber verpixelt.

Die Fotos und die eventuelle, damit zusammenhängende Verletzung der Privatsphäre sind eine Sache. Eine andere sind der dazugehörige Text und vor allem die Bildunterschriften. Dort gibt es neben der “knattergeil”-Zeile die gesammelte Altherrenwitzigkeit der “Bild”-Medien:

Jörn Schlönvoigt und seine brünette Sex-Bombe — schwer verliebt auf Mallorca

Alle J-ACHTung: Jörn Schlönvoigt und seine Hanna bei Hoppe-Hoppe-Reiter-Spielen an Deck

Der Silberpfeil will geölt werden: Jörn Schlönvoigt cremt seine neue Freundin Hanna ein

Kaum zusammen, da nimmt sich Jörn seine Hanna schon zur Brust

Aufschwung zur Liebe. So schön kann Nahkampf sein

Gemeinsames Sonnenbaden — da wird uns schon beim Zuschauen ganz heiß

Auf ihrem Tagesprogramm: DECKungsarbeit an Bord! Es wird getätschelt, geplanscht und gaaanz viel geknutscht.

Ein bisschen planschen im kalten Wasser würde auch den Altherren von “Bild” und Bild.de ganz gut tun.

Mit Dank an @Fluxcompensator, @RA_Conrad und Lukas H. für die Hinweise!

Missglückte taz-Landschaften, Assange-Doku, Gläserne Gesetze

1. Das ging daneben
(taz.de, Georg Löwisch)
Der “taz”-Titel zu Helmut Kohls Tod (“Blühende Landschaften”) hat viele kritische Reaktionen hervorgerufen. Auch “taz”-Chefredakteur Georg Löwisch hält den Titel für missglückt. Man hätte einen Kontrapunkt zu all den verklärenden Lobhudeleien setzen wollen. Das sei jedoch danebengegangen.

2. Welchen Fakten können wir trauen?
(philomag.de, Philipp Felsch)
Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston und der Investigativjournalist Georg Mascolo haben sich über die Krise der Wahrheit in der Ära Trump unterhalten. Ein Gespräch, für das man sich etwas Zeit nehmen sollte und das viele interessante historische und philosophische Themen anschneidet wie den Vergleich der Historikerin: “Die Flugblätter der Reformationszeit lassen sich mit einer Webseite wie Breitbart News vergleichen. Es hat über 200 Jahre, also bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts gedauert, bis Verfahren etabliert waren, mit denen sich wahre von falschen Informationen unterscheiden ließen. Ich hoffe, wir sind in der Lage, heute schneller an dieses Ziel zu gelangen.”

3. Neues Transparenz-Portal eine wahre Fundgrube
(djv.de, Anna-Maria Wagner)
Als eine wahre Fundgrube für recherchierende Journalisten und alle anderen, die sich beruflich oder privat für Lobbyismus interessieren, bezeichnet Anna-Maria Wagner das neue Transparenz-Portal “Gläserne Gesetze”, eine Gemeinschaftsproduktion von “fragDenStaat.de” und “abgeordnetenwatch.de”. Das Ziel der Datenbank: Den Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung transparent machen und sichtbar machen, wenn Forderungen von Interessenvertretern in Gesetzestexte übernommen wurden. Bereits jetzt gäbe es dort 17.000 dokumentierte Fälle, in denen Lobbyisten an Gesetzen mitgewirkt hätten.

4. Landespolizei kontrolliert Beamte
(kn-online.de, Bastian Modrow)
Die Schleswig-Holsteinische Landespolizei hat im Zuge der sogenannten “Rocker-Affäre” die Kontrolle ihrer Beamten massiv ausgeweitet. Angeblich wird die gesamte Internetkommunikation im Bereich des Innenministeriums seit Anfang April protokolliert. Darüber hinaus würden Polizisten überprüft, die in Verdacht stehen, Kontakt mit kritischen Journalisten, Politikern und Rechtsanwälten zu pflegen. Nach Angaben von leitenden Polizisten ginge es vornehmlich darum, „singende Ratten“ zu identifizieren – so würden demnach im Führungsstab des Landeskriminalamts (LKA) Kiel jene Beamte genannt, die im Zuge der Rocker-Affäre mit Presse und Politikern Kontakt haben.

5. Standortfrage
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Europa gerät dort an seine Grenzen, wo Wirtschaftsinteressen berührt sind. Nachdem die EU schon Schritte gegen Roaminggebühren und Geoblocking unternommen hat, will sie nun den grenzüberschreitenden Zugriff auf Mediatheken von TV-Sendern erleichtern. Dagegen protestiert die Filmwirtschaft, die ihr Geschäftsmodell bedroht sieht.

6. Kein normaler Mensch
(zeit.de, Monika Ermert)
Die oscarprämierte Filmemacherin Laura Poitras hat eine neue Doku gedreht, in der es um Wikileaks und das Gesicht der Enthüllungsplattform geht: Julian Assange. Wie nicht anders zu erwarten, gab es auch Kritik an dem Film beziehungsweise an der Darstellung der porträtierten Personen. Für “Zeit”-Autorin Monika Ermert jedoch kein Grund, dem Kino fernzubleiben: “Auch wenn Poitras schon viel Schelte für den Film bezogen hat, sehenswert ist das Stück für alle, die sich für die Figuren rund um WikiLeaks interessieren, allemal.”

Igitte

“Brigitte” war mal eine ganz respektable Frauenzeitschrift. Bei Facebook ist “Brigitte” zu einer Klickmaschine mutiert, die mit effekthascherischen oder gefühligen oder andeutenden oder irreführenden Überschriften und Teasern möglichst viele Leserinnen und Leser auf Brigitte.de locken will.

Die Mitarbeiter rufen ihren aktuell 617.606 Fans beispielsweise zu: “Schaut mal — hier gibt’s die Lösung gegen das nervige Unter-den-Brüsten-Schwitzen”.

Worin “Dieser Wasch-Fehler” aber genau besteht, erfährt man erst, wenn man dem Link zu Brigitte.de folgt. Klassische Klickköder eben.

Deswegen wollten wir — nach längerer Pause mal wieder — unsere Clickbait-Taskforce losschicken, die sich durch die “Brigitte”-Facebook-Seite wühlen sollte. Doch das, was die “Brigitten” dort macht, ist mitunter so ekelig, dass allein die folgenden drei Clickbait-Beispiele aus den vergangenen Tagen reichen dürften, um die ganze Niedertracht zu begreifen.

***

Ende vergangener Woche wurde bekannt, dass der Schauspieler Adam West gestorben ist. West hat unter anderem Batman gespielt.

Selbst mit dem Krebstod von Menschen versucht das “Brigitte”-Team knallhart, Klicks zu generieren. Auf der Facebookseite schrieb die Redaktion am Montag nicht etwa, dass Adam West tot ist, sondern nur:

“Mehr erfahren” die Leserinnen und Leser dann erst nach dem Klick auf den Link.

***

Noch eine Ecke perfider war dieser Facebook-Beitrag auf der “Brigitte”-Seite aus dieser Woche:

Sowohl Mick Jagger als auch Keith Richards sind aktuell 73 Jahre alt, aber keiner von beiden ist tot. Niemand der aktuellen Rolling-Stones-Besetzung ist tot. Die Meldung bezieht sich auf Schauspielerin und Model Anita Pallenberg, die mit Keith Richards drei Kinder hatte und am vergangenen Dienstag gestorben ist.

***

Am selben Tag postete das “Brigitte”-Team diese “EILMELDUNG”:

Anstatt zu schreiben, was genau in London passiert ist — ein Hochhausbrand –, lassen die “Brigitte”-Mitarbeiter alles möglichst vage, damit möglichst viele Leute dem Teaser folgen. Sie nutzen “Tote und Verletzte” und die falsche Assoziation mit den jüngsten Terroranschläge in der englischen Hauptstadt (“Schon wieder London”), um Leserinnen und Leser auf Brigitte.de zu locken.

Alles für ein paar billige Klicks.

Mit Dank an Marcel für den Hinweis und an Lorenz für den Titel!

“Bild” im Reggae-Rasta-Klischee-Rausch

In Schleswig-Holstein dürfte bald eine sogenannte Jamaika-Koalition die Regierung bilden. Die Vertreter von CDU, Grünen und FDP haben sich am Dienstagabend auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt. Und weil in der Nationalflagge von Jamaika eben die Farben Schwarz, Grün und Gelb vorkommen, spricht man von einer Jamaika-Koalition.

Die erfolgreichen Verhandlungen in Schleswig-Holstein brachten die “Bild”-Zeitung auf die Idee, in der gestrigen Ausgabe der Frage nachzugehen, ob ein solches Dreierbündnis auch in der Bundespolitik klappen könnte. Da müssen sie im Axel-Springer-Hochhaus in der Redaktionskonferenz zusammengesessen und überlegt haben, wie man das illustrieren könnte. Und dann dürften ungefähr solche Vorschläge gekommen sein:

Lass uns dem Lindner mal einen Joint in den Mund shoppen!

Ja, geil! Und die Merkel machen wir so’n bisschen exotisch, mit Ketten und Blumenkleid und Rastas und so.

Ha, genau. Und der Özdemir spielt wie so ein Wilder Trommel!

Pahaha! Und dann färben wir alle drei noch dunkler, sollen ja Jamaikaner sein.

Super! Und in die Überschrift packen wir noch irgendeine Kiffer-Anspielung!

Haben sie dann auch genau so gemacht:

Ausriss Bild-Zeitung - Nach Schwarz-Geld-Grün in Schleswig-Holstein - Kommt für Merkel die Jamaika-Koalition in die Tüte?

Auf der Startseite von Bild.de war diese “BILD-Montage” gestern ebenfalls erschienen:

Ausriss Bild.de - Nach Schwarz-Geld-Grün in Schleswig-Holstein - Kommt für Merkel die Jamaika-Koalition in die Tüte?

Im Text geht das volle Stereotypenprogramm dann weiter:

Auch in Berlin wird offen über ein Dreier-Bündnis spekuliert. Reggae, Rausch und Rasta — kommt das für Merkel (und die anderen Parteien) in die Tüte?

So stellt sich die “Bild”-Redaktion eben einen typischen Jamaikaner vor: jointrauchend, trommelspielend, rastazöpfig.

Wir können nur hoffen, dass nicht irgendwo bald wieder eine sogenannte Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen entsteht. Sonst muss der bemitleidenswerte “Bild”-Photoshopper noch Angela Merkel digitalen Massai-Schmuck um den Hals binden, Martin Schulz einen Speer in die Hand drücken und beim Blackfacing voll aufdrehen, nur um das Klischeeverlangen seiner Kollegen zu stillen.

Nachtrag, 18. Juni: Bei “SpiegelKritik” gibt es Kritik an diesem Beitrag.

200-Mio-Diebstahl, Schleichwerbungs-Cabrio, Guardian auf Sparkurs

1. Gespaltene Erlöse, seltsame Geschäfte
(sueddeutsche.de, Klaus Ott)
“ARD” und “ZDF” und weitere öffentlich-rechtliche Anstalten betreiben in München das Institut für Rundfunktechnik (IRT). Zweck der Einrichtung ist die Vermarktung von Erfindungen, Patenten und Lizenzrechten. Einem IRT-Patentanwalt ist es offenbar gelungen, bei der Vermarktung von wertvollen MPEG-Rechten über Jahre hinweg 200 Millionen Euro in die eigene Tasche zu wirtschaften. Nun beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft München I mit dem Wirtschaftskrimi.

2. Schleichwerbung bei RTL. Medienanstalt ermahnt Sender.
(fair-radio.net, Sandra Müller)
Der Radiosender “RTL 104.6” hat in einem Gewinnspiel über Wochen Schleichwerbung für einen Autohersteller gemacht. Daraufhin hat sich “fair radio” mit einer Beschwerde an die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gewandt, welche den Sender nun ermahnt hat. Bei “fair radio” sieht man die Sache mit gemischten Gefühlen: Einerseits freut man sich über die relativ schnelle Reaktion, andererseits sei der zweite Kritikpunkt am Gewinnspiel außen vor geblieben. Man halte das missverständliche Gewinnversprechen ebenfalls für beanstandungswürdig. Und dieses sei von der Medienanstalt nicht gerügt worden.

3. 20 Prozent wegschneiden
(taz.de, Ralf Sotschek)
Bei der britischen linksliberalen Tageszeitung “Guardian” gibt es weitere Einschnitte, denn die letzten beiden Geschäftsjahre haben dem Blatt trotz Sparkurs deftige Verluste beschert. In den letzten 12 Jahren sank die Auflage von 380.000 auf 160.000. Eine Weboffensive sorgte zwar dafür, dass der Online-“Guardian” zu den drei meistgelesenen englischsprachige Zeitungen der Welt gehört. Doch die freiwilligen Beiträge der Online-Leser reichen nicht, um das Unternehmen in die Gewinnzone zu führen. Nun will man bei der Printausgabe vom „Berliner Format“ auf das kleinere „Tabloid“-Format umsteigen, um Papier und Druckkosten zu sparen.

4. Wieviel Fernsehen darf Youtube?
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Der “Tagesspiegel” hat mit Dokumentarfilmer Stephan Lamby (letzter Film: ” Nervöse Republik – Ein Jahr Deutschland”) über seine Haltung zu Youtube gesprochen: “Ich ärgere mich, wenn ein Youtube-Nutzer ohne jedes Recht und ohne Absprache in einen Film Werbung davor- und dazwischenschaltet, um Geld mit unserer Arbeit zu verdienen. Die Budgets gerade bei Fernsehproduktionen stehen nach wie vor unter Druck, die Autoren bekommen häufig ohnehin nicht das, was sie bekommen sollten. Das ist es etwas Anderes, als wenn jemand etwas auf Youtube veröffentlicht, um es nach der TV-Ausstrahlung der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Das kann in Einzelfällen eine lässliche Sünde sein, die kommerzielle Nutzung ohne Genehmigung ist es hingegen nicht.”

5. „Warum vertuscht ihr denn diesen Skandal?“
(falter.at, Florian Klenk)
Florian Klenk erklärt, warum beim “Falter” im Fall eines tödlichen Bootsunfalls nicht über den Namen eines prominenten Beschuldigten gesprochen wird: “Wir beachten den Identitätsschutz des Mediengesetzes und sehen kein öffentliches Interesse darin, den Mann, der kein öffentliches Amt mehr bekleidet, nach dem Drama auch noch an den Medienpranger zu ketten.” Mit Vertuschung habe das nichts zu tun, sondern mit Verantwortung und Persönlichkeitsschutz auch gegenüber Beschuldigten. Das unterscheide Journalismus von der “Meute im Netz”.

6. Olli Dittrich feat. Jan Böhmermann – “Life In The Streets (Journalism!)”
(youtube.com, Olli Dittrich & Jan Böhmermann)
“Die Journalisten der Welt riskieren täglich ihr Leben, arbeiten eingepfercht in Käfighaltung für einen Hungerlohn – und werden dafür auch noch verachtet. Es ist an der Zeit, dass diesem geächteten Berufsstand endlich ein musikalisches Denkmal gesetzt wird!”

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