Wir haben unser Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” geschrieben, weil wir – wie schon immer mit dem BILDblog – möglichst vielen Leuten zeigen wollen, wie “Bild” arbeitet, damit sie diese Zeitung (wenn überhaupt) differenziert und mit einer angemessenen Portion Skepsis lesen können. Nun wissen wir allerdings auch, dass die 18 Euro, die das Buch kostet, für viele nicht einfach so locker sitzen.
Deswegen haben wir den BILDblog-Lesefonds gestartet: Allen, die das Buch gerne lesen (oder der “Bild”-lesenden Verwandtschaft geben) wollen, es sich momentan aber nicht leisten können, wollen wir ein Exemplar schenken.
Unser Budget ist natürlich begrenzt, das heißt, wir können nur eine bestimmte Anzahl von Exemplaren verschenken. Wir warten jetzt eine Weile ab und schauen, wie viele Leute das Formular weiter unten ausfüllen. Sollten es mehr sein, als wir Exemplare haben, werden wir die Bücher unter allen, die sich gemeldet haben, verlosen. Daher noch eine Bitte: Nutzt dieses Angebot bitte nicht aus, wenn ihr euch das Buch eigentlich leisten könntet, und lasst die Exemplare für die, an die wir bei dieser Aktion gedacht haben. Danke!
Nachtrag: Uns freut sehr, dass es mehrere Anfragen gab, ob und wie man die Aktion finanziell unterstützen kann, sozusagen als Lesepate. Der einfachste Weg dürfte sein, wenn ihr mal hier schaut. Da gibt es alle Infos, wie man das BILDblog allgemein finanziell unterstützen kann. Solltet ihr eine normale Banküberweisung wählen, dann schreibt in den Verwendungszweck einfach “Buch”. Solltet ihr Paypal oder Steady nutzen wollen, dann schickt uns am besten noch eine kurze Mail, von der E-Mail-Adresse, mit der ihr bei Paypal/Steady angemeldet seid, an [email protected] hinterher. Dann können wir eure Unterstützung dem Lesefonds zuordnen. Vielen lieben Dank!
Die aktuelle Ausgabe eines internen Newsletters an “Bild”-Mitarbeiter (“Die Woche bei BILD”), den Julian Reichelt und Alexandra Würzbach aus der “Bild”-Chefredaktion seit Kurzem regelmäßig verschicken, beginnt so:
Liebe Kollegen und Kolleginnen, dear all,
und weiter geht’s mit “Die Woche bei BILD”. Und wie immer, war auch die bunt und aufregend, spannend und emotional – so, wie wir es kennen und (meistens) lieben. Ob Seilbahn-Unglück oder Lukaschenko-Flieger, Killer-Zahnarzt, DHL-Erpresser, Herz für Kinder, ESC, Werder Bremen und viele, viele andere Geschichten, die toll aufgeschrieben, super fotografiert/gefilmt und bebildert, schön layoutet, top konvertiert und überragend geklickt waren. Danke für die hervorragende Teamleistung in der ganzen Republik!
1. Gruner + Jahr – das bittere Ende der Story (freitag.de, Wolfgang Michal)
Gruner + Jahr war einst ein bedeutendes Verlagshaus und Europas größter Zeitschriftenverlag. Fast 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produzierten über 100 Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie “Stern”, “Geo”, “Brigitte”, “Capital” und “Schöner Wohnen” sowie Tageszeitungen wie “Financial Times Deutschland” und “Berliner Zeitung”. Doch irgendwann setzte der Niedergang ein: “Wird demnächst auch das Frankreich-Geschäft verscherbelt, ist Gruner + Jahr vollständig auf den deutschen Markt zurückgeworfen. Dann droht im Herbst der Todesstoß. Die RTL-Group, der umsatzstarke Fernsehboulevard-Riese, könnte den angeschlagenen Verlag übernehmen, inhaltlich ausschlachten und schließlich liquidieren.” Wolfgang Michal macht sich auf die Suche nach der Antwort auf die Frage, wie es zu diesem beispiellosen Absturz kommen konnte.
2. Schwarm-Recherche – der Bürger als Informant (fachjournalist.de, Gunter Becker)
In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland verschiedene Recherchen, die ohne Schwarmintelligenz und die Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen so nicht möglich gewesen wären. Gunter Becker berichtet von zwei besonders eindrucksvollen Beispielen: dem Projekt “Wem gehört Lüneburg” der “Lüneburger Zeitung” sowie dem Projekt “Radmesser” des Berliner “Tagesspiegels”. “Die beiden Fallbeispiele zeigen, wie aufwendig und komplex, aber auch, wie journalistisch ergiebig und wie publikumswirksam solche Kollaborationen zwischen Redaktion und Publikum sein können.”
3. Die Reality-Falle: Was hat dich bloß so ruiniert, Sat.1? (dwdl.de. Peer Schader)
Der Privatsender Sat.1 hat bei seinen Trash-TV- und Reality-Formaten zum wiederholten Male danebengelangt. Im April war es der Homophobie-Eklat bei “Promis unter Palmen”, im Mai die Produktion “Plötzlich arm, plötzlich reich”. Beide Serien beziehungsweise Staffeln sind mittlerweile abgesetzt. In seiner lesenswerten Analyse kommentiert Peer Schader: “37 Jahre nach seiner Gründung wirkt der Kanal, der einst die Ära des Privatfernsehens in Deutschland begründete, vor allem: kaputtversucht. Die vor einigen Jahren getroffene Entscheidung, mit dem einstigen Familiensender in Richtung Reality abzubiegen, hat diesen Verfall massiv beschleunigt. Mag sein, dass sich so kurzfristig wieder Quoten erzielen ließen, die längst Vergangenheit schienen. Nachhaltig war das – bis auf wenige Ausnahmen – jedoch nicht.”
4. Tracking: Deutsche Forschungsgemeinschaft warnt vor “Verlagstrojanern” (heise.de, Stefan Krempl)
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft beklagt den Umgang der dominierenden Wissenschaftsverlage mit deren Kundinnen und Kunden. Die Branchenriesen Elsevier und Springer würden durch Aggregation, den Weiterverkauf von Daten und den Einsatz von Spyware zu Datenkraken mutieren. Stefan Krempl erklärt, worum es dabei im Einzelnen geht.
5. Der ganz normale Hass bei Facebook (blog.clickomania.ch, Matthias Schüssler)
Matthias Schüssler kritisiert die Redaktion der “NZZ”. Diese habe einen seiner Meinung nach differenzierten Beitrag über die “Klimajugend” reißerisch auf Facebook beworben und einen darauf folgenden Hasskommentar zu spät und intransparent gelöscht: “Ich finde es nicht gut, dass in so einem Fall der ganze Ast des Threads verschwindet, ohne dass für die Beteiligten der Grund dafür ersichtlich ist. Ich fände es besser, wenn mit Hinweis auf den Verstoss gegen die Netiquette der Inhalt geschwärzt würde, die Diskussion um den Kommentar aber ersichtlich bliebe – das hätte auch eine erzieherische Wirkung.”
6. Mehr Realität wagen (taz.de, Anne Haeming)
Die Fernsehreihe “Polizeiruf 110” wurde ursprünglich vom DDR-Fernsehen als Gegenstück zum westdeutschen “Tatort” produziert. Seit vielen Jahren wird die beliebte Sendung von der ARD fortgesetzt und feiert dieses Jahr ihren 50. Geburtstag. In der “taz” kommentiert Anne Haeming: “Der ‘Polizeiruf’ hat das Potenzial, ein weiterer Baustein zu sein, die mediale Teilung zu überwinden, in der dieses Land immer noch festhängt. Auch weil es vielen Westdeutschen zu lange zu wurscht war, mehr zu erfahren.”
7. “Nennt mir einen beliebigen Ort, eine Person und eine Farbe” (twitter.com, Lorenz Meyer)
Und noch ein zusätzlicher Link, da aus der Feder des “6-vor-9”-Kurators. Für eine Persiflage von Reportage-Anfängen habe ich auf Twitter um Einsendungen gebeten: “Nennt mir einen beliebigen #Ort, eine #Person und eine #Farbe, und ich schreibe Euch einen szenischen Einstieg für eine Reportage, mit der Ihr Journalismus-Preise abräumen könnt.” Die Vorschläge und Antworten darauf können in dem Thread nachgelesen werden. In diesem Zusammenhang noch einmal ein Dank an alle, die sich dort eingebracht und die notwendige Inspiration geliefert haben.
Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!
***
1. Auf die Ohren: Milliardenmarkt Podcasts (swr.de, Tobias Frey, Audio: 27:42 Minuten)
Im SWR2-Wirtschaftsmagazin geht es um den “Milliardenmarkt Podcasts”: Wie sehen die Podcastoffensiven von Apple und Spotify aus? Wie entsteht der aktuell erfolgreichste deutsche Podcast – das “Coronavirus-Update” von NDR Info? Was gibt es über das Phänomen Joe Rogan zu sagen? Und wer hört das denn alles überhaupt? Unter anderem zu diesen Themen hat sich Tobias Frey Experten und Expertinnen herangeholt.
Dazu noch der folgende Lesetipp aus 2020: Weiche Kante: “Joe Rogan ist der wohl berühmteste US-Entertainer, den in Europa kaum jemand kennt: Seinem Podcast lauschen zig Millionen Amerikaner, jetzt auf Spotify. Wer ist der Typ?” (zeit.de, Jörg Wimasalena)
2. Das Gespräch – Gast: Henning Lobin (ndr.de, Ulrich Kühn, Audio: 26:43 Minuten)
Henning Lobin ist Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim und Autor des Buchs “Sprachkampf”. Im Gespräch mit NDR Kultur erzählt er, “mit welchen Mitteln dieser Kampf ausgetragen wird, erklärt, weshalb die Schönheit der Sprache – und ihre angebliche ‘Verschandelung’ – oft mit Metaphern aus der Biologie umschrieben wird, und plädiert mit Nachdruck dafür, Menschen nicht auf politisch-gesellschaftliche Einstellungen festzulegen, nur weil sie für oder gegen das Gendersternchen sind”.
3. “Kulturzeit” vom 28.05.2021 (3sat.de, Lillian Moschen & Laura Beck, Video: 36:32 Minuten)
Anlässlich des 500. Hefts des Satiremagazins “Titanic” hat die 3Sat-“Kulturzeit” die “Titanic”-Redaktion in Frankfurt am Main besucht und persönlich gratuliert (ab Minute 26:57). Weitere Themen der Sendung: Leipziger Buchpreis an Iris Hanika, Comicbuchtipps, Moby im Interview und ein Nachruf auf den Kinderbuchautor Eric Carle.
4. Wie Innovation den Journalismus stärken kann (mdr.de, Christopher Buschow, Video: 28:20 Minuten)
Christopher Buschow ist Juniorprofessor für Organisation und vernetzte Medien an der Universität Weimar und einer der Autoren eines Gutachtens über Innovationsförderung im Journalismus (PDF). Am 18. Mai hielt Buschow einen halbstündigen Impulsvortrag über Innovationsförderung in deutschen Medienunternehmen, den es beim MDR zum Nachschauen gibt.
5. Scheitern – aber bitte mit Anlauf! (druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 38:19 Minuten)
In der aktuellen Ausgabe von “Druckausgleich”, dem Podcast mit und für junge(n) Medienschaffende(n) geht es um das Scheitern: “Wie gerne würden wir manchmal unsere Lebensläufe begradigen. Die Misserfolge sollen gar nicht erst erwähnt werden. Aber warum eigentlich? Kritik, Redigaturen und Feedback können Wachstumsschmerz sein, ein Zeichen für Weiterentwicklung. Bei einem echten Misserfolg sieht das schon anders aus. Dass Scheitern schmerzhaft, aber nicht endgültig sein kann – und manchmal nicht mal auf die eigene Leistung zurückzuführen ist – erörtern wir gemeinsam mit unseren Gäst:innen.”
6. Wie macht man einen Eurovision Song Contest in Corona-Zeiten? (uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 24:35 Minuten)
Der ehemalige BILDblog-Chef Lukas Heinser ist seit 2013 als redaktionelle Unterstützung Teil der deutschen Delegation beim Eurovision Song Contest. Holger Klein hat Heinser direkt am Austragungsort in Rotterdam erreicht und zu dessen Eindrücken befragt: “Er erzählt, welche verschiedenen Pläne die Veranstalter hatten, um trotz Corona in jedem Fall eine Sendung auf die Beine stellen zu können, warum die Vorsichtsmaßnahmen bedeuten, dass er fast nichts von der Stadt sieht, und wie es sich anfühlt, plötzlich wieder in einer Halle mit mehreren Tausend Leuten im Publikum zu sein.”
“Das Grundeigentum” ist laut Eigenbeschreibung eine “Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft”, also etwas vereinfacht ausgedrückt: eine Publikation für Vermieterinnen und Vermieter, vor allem für jene aus Berlin. Damit gehört sie inhaltlich nicht unbedingt zu den Medien, über die wir hier im BILDblog schreiben. Mit etwas mehr als 6.000 gedruckten Exemplaren pro Ausgabe (PDF) ist “Das Grundeigentum” auch nicht gerade das reichweitenstärkste Blatt Deutschlands. Doch wenn in der aktuellen Ausgabe ein Text veröffentlicht wird, der einen nur fassungslos zurücklassen kann, ist das auch ein Thema für uns.
Wir schlittern in ein politisches System hinein, das erschreckende Ähnlichkeiten mit dem von Ernst Fraenkel beschriebenen “Doppelstaat” aufweist. Fraenkel unterscheidet in seiner 1940/41 erschienenen Arbeit den an Normen gebunden Rechtsstaat, dessen Handeln sich an Gesetzen orientiert, vom Maßnahmenstaat, der sich an politischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen ausrichtet.
Ernst Fraenkel schrieb in “Der Doppelstaat” über den NS-Staat. In seiner Studie geht es vor allem auch um die (fehlenden) Rechte von Juden und deren Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Dieter Blümmel überträgt Fraenkels Analyse auf die heutige Lage der Vermieterinnen und Vermieter in Deutschland. Er sieht sie in einer ganz ähnlichen Situation wie Juden während des Nationalsozialismus:
Das Privateigentum [im NS-Staat] war geschützt – aber nicht das der Juden. Auch in der Bundesrepublik scheint das Privateigentum geschützt – aber nicht jedermanns.
1. “Wir staunen bis heute”: Das Portal “Mannheim24” und die Klicks mit Jan Hahns Tod (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Dem Portal “Mannheim24” ist offenbar jedes Mittel Recht, an Klicks und Reichweite zu kommen, und beutet dazu auf – man muss es leider so sagen – scheinheilige und verabscheuungswürdige Weise den Tod eines TV-Moderators aus. Boris Rosenkranz ist der Sache für “Übermedien” nachgegangen und hat sich an den verantwortlichen Geschäftsführer gewandt. Und der hat Rosenkranz sogar partiell Recht gegeben: “Sie haben in der Grundrichtung ihrer Vorhaltung recht: In der Gesamtbetrachtung mutet es in der Tat seltsam an, dass wir den Vorwurf erheben, dass Instagramer:innen den Tod von Jan Hahn für Reichweite ausnutzen, und wir ebenfalls mit der Berichterstattung Reichweite erzielen.”
2. “Die Medienaufsicht ist ein zahnloser Tiger” (deutschlandfunkkultur.de, Stephan Karkowsky, Audio: 8:20 Minuten)
Der Partyschlager-Sänger Ikke Hüftgold aka Matthias Distel erhob vor einigen Tagen schwere Vorwürfe gegen den Fernsehsender Sat.1 und die Produktionsfirma Imago TV. Es ging dabei um das Ausnutzen der Not von psychisch vorbelasteten Kindern aus einer prekär lebenden Familie für ein “Frauentausch”-ähnliches TV-Format. Bei Deutschlandfunk Kultur kommentiert Medienwissenschaftler Bernd Gäbler den Vorgang. Gäbler weiß, wovon er spricht: Er ist der Autor der Studie “Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt”.
Weiterer Lesehinweis: Der Streit zwischen dem Partyschlager-Sänger und der Produktionsfirma geht weiter. Distel habe seine Ankündigung wahr gemacht und Strafanzeige gegen Sat.1 und Imago TV gestellt. Die Produktionsfirma gehe ihrerseits mit einer Unterlassungsaufforderung gegen den Entertainer vor: Imago verlangt Unterlassung von Distel, der erstattet Anzeige (dwdl.de, Timo Niemeier).
3. Facebook News in Deutschland, Kampagne gegen Biontech, Wie Influencer Geld verdienen, Aufmerksamkeitsmaschine TikTok (socialmediawatchblog.de, Simon Hurtz)
Im “Social Media Watchblog” analysiert Simon Hurtz den Facebook-News-Deal vieler deutscher Verlage: Warum machen fast alle großen Verlage mit? Was bezweckt Facebook mit seinem News-Angebot? Warum sollten Verlage vorsichtig sein? Und welche Rolle spielt der Axel-Springer-Konzern? Hurtz bricht das weite Themenfeld im bewährten Analysestil auf die wesentlichen Fakten herunter und endet mit einer überraschenden Schlussbemerkung.
4. ARD führt “Sprüche vor acht” am Vorabend ein (dwdl.de, Uwe Mantel)
Die ARD führt ein neues Format ein: Immer Freitags gegen 19:45 Uhr sollen in der Mini-Sendung “Sprüche vor acht” Redensarten erklärt werden. Die Initiative “Klima vor Acht” hatte lange Zeit (und bislang erfolglos) mit der ARD um ein paar Sendeminuten für Klimaberichterstattung gerungen und ist nun wenig begeistert: “Kein Witz: Das Erste führt nun ‘Sprüche vor acht’ zur besten Sendezeit ein. In jeder Sendung soll eine Redensart anschaulich erklärt werden. Seit Monaten werben wir und tausende Unterstützer:innen für #KlimaVor8. Aber die ARD muss halt Prioritäten setzen.”
Zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der “Sprüche-vor-acht”-Entscheidung der ARD, aber inhaltlich doch nah dran – ein weiterer Lesehinweis: Hände mit Sekundenkleber festgeklebt: Klimaaktivisten protestieren bei mehreren ARD-Anstalten (dwdl.de, Timo Niemeier).
5. “KenFM” unter Beobachtung (tagesschau.de, Florian Flade & Georg Mascolo)
Wie die “tagesschau” berichtet, wird die Plattform “KenFM” nun vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet: Die Seite verbreite Falsch- und Desinformation und treibe damit die Radikalisierung der sogenannten “Querdenker”-Szene voran. Das Vorgehen der Behörde sei nicht unumstritten: “Kritiker merken an, der Inlandsnachrichtendienst dürfe sich nicht mit immer mehr Beobachtungsobjekten übernehmen, schließlich gebe es vor allem in den Landesbehörden nur begrenzt Ressourcen. Zudem drohe das Risiko von Klagen. Der Verfassungsschutz müsse außerdem im Bereich von Medien besonders sensibel agieren. Mangelnde Qualität in der Berichterstattung könne beispielsweise kein Grund für eine Überwachung sein.”
6. Faszination “Germany’s Next Topmodel” (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 6:02 Minuten))
Gestern Abend ging die 16. Staffel der Castingshow “Germany’s Next Topmodel” bei ProSieben zu Ende. Was macht die Faszination dieses vielfach kritisierten Formats aus? Der Deutschlandfunk hat dazu zwei Experten befragt, die Journalistikprofessorin Margreth Lünenborg und den Regisseur Kai Tilgen, der selbst für ähnliche Formate gearbeitet hat. Tilgen sagt: “Beim Privatfernsehen erzählt man manchmal halt auch Geschichten, die es gar nicht gegeben hat. Oder die es mit diesem Ende nicht gegeben hat, oder die es mit der Konnotation nicht gegeben hat. Das kann man prima machen.”
Weiterer Lesehinweis: Bei der “Süddeutschen Zeitung” kommentiert Ulrike Nimz das Staffelfinale: “Aufgewachsen mit Instagram, Tiktok, Youtube sind die jungen Frauen längst Profis der Selbstvermarktung. Nach 16 Staffeln ist keine mehr überrascht, wenn sie eine Kakerlake aufs Dekolleté gesetzt oder die Haare abrasiert bekommt, was immer Heidi Klum auch anstellt, um zu verschleiern, dass die Show sich von ernstzunehmender Talentsuche abgewandt hat wie Wolfgang Joop vom natürlichen Alterungsprozess.”
1. Warum “indische Mutante” kein guter Begriff ist (deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4:40 Minuten)
Im Deutschlandfunk erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Samira El Ouassil, warum es ihrer Ansicht nach unter Diskriminierungsaspekten einen Unterschied macht, ob man vom “chinesischen Virus” oder von der “britischen Mutante” spricht: “Nun – dass die eine Formulierung für manche Menschen gefährlich sein kann und für andere nicht, liegt daran, wie Rassismus historisch betrachtet, aber auch praktisch im Alltag funktioniert. Denn Menschen können asiatisch gelesen werden und werden aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale rassistisch diskriminiert. Jemanden jedoch rein phänotypisch als ‘britisch’ zu lesen und ihn deshalb zu diskriminieren – das ist schwer möglich.”
2. “Bild”-Reinfall: genau ein Jahr später stellt Drosten die “Bild” schon wieder bloß (volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Die “Bild”-Redaktion scheint nach wie vor ein Problem mit dem Virologen Christian Drosten zu haben: “Drosten-Studie immer noch nicht veröffentlicht”, hieß es in einer aktuellen Schlagzeile. Das Peinliche: Die Headline erschien exakt an dem Tag, an dem die Studie im renommierten Fachblatt “Science” veröffentlicht wurde. Thomas Laschyk kommentiert: “Die veröffentlichte Studie bestätigt genau, was Drosten bereits im April letzten Jahres sagte: Kinder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene. Was für ein Mega-Fail der BILD! Noch am selben Tag wird sie von einem der größten Wissenschaftsmagazine der Welt an ihren Platz verwiesen. Neben dem Science Magazine wirkt die BILD halt wie ein schreiendes Kleinkind.”
3. Youtube löscht Kanal der Gruppierung “Querdenken 711” (stuttgarter-zeitung.de)
Youtube hat den Kanal der umstrittenen Gruppierung “Querdenken 711” nunmehr endgültig gelöscht. In einem ersten Schritt sei der Kanal “eingefroren” worden, es konnten also keine weiteren Videos mehr hochgeladen worden. “Während dieser Suspendierung versuchten sie, die Vollstreckung zu umgehen, indem sie einen anderen Kanal benutzten, und als Ergebnis wurden beide Kanäle gelöscht”, erklärt Youtube. Laut “Stuttgarter Zeitung” bestreite Michael Ballweg, Sprecher von “Querdenken 711”, dass man ein blockiertes Video ein zweites Mal auf einem anderen Kanal hochgeladen habe.
4. Instagram und Facebook blenden Likes aus – aber nur auf Wunsch (spiegel.de)
Für viele Social-Media-User sind Likes die entscheidende Währung, um Erfolg zu messen. Diese Zahlengetriebenheit kann teilweise unangenehme Begleiteffekte haben. Nun wollen Instagram und Facebook eine Möglichkeit anbieten, auf die Anzeige von Like-Zahlen zu verzichten. Damit wolle man erreichen, “dass die Leute sich mehr auf den Kontakt zu Freunden und Inspiration fokussieren können, statt darauf, wie viele Likes sie oder andere Leute bekommen”, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens.
5. RSF stellt Strafanzeige gegen Lukaschenko (reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat beim litauischen Generalstaatsanwalt Strafanzeige gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko gestellt. Grund sei die erzwungene Umleitung eines Ryanair-Flugs am vergangenen Sonntag und die anschließende Verhaftung eines kritischen Journalisten: “Wir zeigen Alexander Lukaschenko persönlich an, weil diese Entführung mit terroristischem Hintergrund direkt und offenkundig auf sein Betreiben geschehen ist.”
6. Amazon kauft Hollywood-Filmstudio MGM (zeit.de)
Der weltgrößte Onlinehändler Amazon will sich das Hollywood-Studio MGM einverleiben und ist bereit, dafür 8,45 Milliarden US-Dollar zu zahlen. Amazon könnte damit ein Filmportfolio von etwa 4.000 Titeln übernehmen, darunter Hollywood-Klassiker wie Ben Hur, Rocky und RoboCop oder die James-Bond-Reihe. Die Übernahme müsse nur noch von den US-amerikanischen Regulierungsbehörden genehmigt werden.
Vielleicht könnte es ein Warnsignal für eine Redaktion sein, dass in ihrer (geplanten) Berichterstattung etwas mächtig schiefläuft, wenn sie in einer Bildunterschrift einen Satz einfügen muss, mit dem sie offenbar zeigen will, dass das, was sie da macht, immerhin nicht rechtlich, sondern nur ethisch höchst zweifelhaft ist. “Die Familie hat das Foto freigegeben”, schreibt “Bild” heute extra zu einer Aufnahme, die riesig in der gedruckten Ausgabe und auch auf der Bild.de-Startseite zu sehen ist:
Die Unkenntlichmachung haben wir eingefügt – in den “Bild”-Medien sind die vier Personen gänzlich unverpixelt abgebildet, ihre vollen Namen werden genannt. Drei von ihnen, die Mutter, der Vater und das zweijährige Kind, sind am vergangenen Sonntag bei dem Seilbahnunfall in Italien gestorben. Der fünfjährige Sohn hat schwerverletzt überlebt. Seine Urgroßeltern, die auf dem Foto nicht zu sehen sind, sind bei dem Unglück ebenfalls ums Leben gekommen.
Muss eine Redaktion wirklich alles zeigen, was sie zeigen darf? Sollte sie nicht, ob nun aus Rücksichtnahme, aus Respekt vor Persönlichkeitsrechten und Verstorbenen oder schlicht aus Mitgefühl, freiwillig eine Verpixelung einfügen? Wenigstens bei dem Zwei- und dem Fünfjährigen? Wie sehr sollte sie die Freigabe einer Familie ausnutzen, die diese offensichtlich in einer emotionalen Extremsituation ausgesprochen hat? Und entbindet eine solche Freigabe von jeglicher redaktioneller Verantwortung?
Die “Bild”-Medien haben ihre Antworten auf diese Fragen anscheinend gefunden. In einem anderen Artikel zeigt Bild.de ein weiteres Foto des fünfjährigen Jungen, ebenfalls ohne Unkenntlichmachung. Als Quelle gibt die Redaktion an: “Foto: Facebook”. Andere Medien haben sich dazu entschlossen, in ihrer Berichterstattung die Gesichter der Familie zu verpixeln.
1. Freilassung gefordert (reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen reagiert auf die erzwungene Umleitung eines Passagierfluges nach Belarus, um den regimekritischen Journalisten und Blogger Roman Protasewitsch zu verhaften: “Ein Flugzeug zu einer ungeplanten Landung zu zwingen, um einen Journalisten und Blogger zu verhaften, markiert eine extreme Eskalation der Verbrechen des Regimes von Alexander Lukaschenko in Belarus. Reporter ohne Grenzen fordert von der Europäischen Union als Reaktion auf diesen perfiden Gewaltakt angemessene und deutliche Sanktionen. Der in Minsk verhaftete Blogger Roman Protasewitsch muss auf der Stelle freigelassen werden.”
Weiterer Lesehinweis: “Der festgenommene Blogger Roman Protassewitsch wird in Belarus in den Staatsmedien vorgeführt. Vieles deutet dabei jedoch auf Folter hin.” – Erst schlagen, dann schminken (taz.de, Barbara Oertel).
2. “Eine Subvention der Zustellung gedruckter Zeitungen ist nicht funktional” (medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Christopher Buschow ist Juniorprofessor für Organisation und vernetzte Medien an der Universität Weimar und einer der Autoren eines Gutachtens über Innovationsförderung im Journalismus (PDF). Im Interview mit medienpolitik.net spricht Buschow über das Scheitern der Presseförderung und mögliche Schlussfolgerungen daraus.
3. Soaps, Magazine, Trielle: Das planen die Privaten zur Wahl (dwdl.de, Timo Niemeier)
Die Privatsender bereiten sich mit viel Einsatz und einiger Akribie auf die bevorstehende Bundestagswahl vor. Sie dürften im Wahlkampf wohl eine größere Rolle spielen als noch 2017, glaubt Timo Niemeier. Vor allem RTL und ProSieben gäben sich ambitioniert, aber auch RTL2 wolle in der Berichterstattung zur Wahl mitmischen.
Weiterer Lesehinweis: “Wenn Deutschlands beliebtester Polit-Talk ‘Anne Will’ demnächst pausiert, laufen an seiner Stelle Krimis. Politik schiebt die ARD in die Nacht.” – Morde im Wahlsommer (taz.de, René Martens).
4. Petra Gerster vor ihrer letzten “heute”-Sendung (faz.net)
Heute präsentiert Petra Gerster zum letzten Mal die ZDF-Nachrichten, dann wolle sie sich in den Ruhestand verabschieden. Gerster arbeitet seit 1989 für das ZDF. Viele Jahre lang war sie Redakteurin und Moderatorin beim Frauenjournal “ML Mona Lisa”, später führte sie durch die “heute”-Nachrichten. Wer mehr über Gerster erfahren will, kann sich anschauen, wie sie im Jahr 2005 porträtiert wurde: Und dann deutet sie ein Lächeln an (faz.net, Felicitas von Lovenberg).
5. Nach Trump-Verbannung: Florida verbietet sozialen Netzen Sperrung von Politikern (heise.de, Martin Holland)
Der republikanisch regierte US-Bundesstaat Florida hat es Sozialen Netzwerken untersagt, Kandidaten und Kandidatinnen für öffentliche Ämter länger als 14 Tage zu sperren. Das Gesetz sei eine direkte Antwort auf das Vorgehen von Twitter, Facebook und Co. gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Ob das Gesetz Bestand haben wird, sei jedoch fraglich. Laut “New York Times” seien ähnliche Gesetzesvorhaben in anderen US-Bundesstaaten inzwischen im Sande verlaufen.
Wie “Bild” berichtet, hängt in weiten Teilen davon ab, wer Freund der Redaktion ist und wer Feind, wer Gegner und wer Gefährte. Das war schon lange so, bevor Julian Reichelt Chefredakteur wurde; unter ihm hat sich diese Einteilung in Gut und Böse aber wieder verstärkt. Wie unterschiedlich die “Bild”-Medien, je nach Gunst, ähnliches Handeln verschiedener Menschen beurteilen, kann man gut an der aktuellen Berichterstattung über Franziska Giffey beobachten.
“Bild am Sonntag” nennt die wegen der Affäre um ihre Doktorarbeit zurückgetretene Familienministerin bereits nur noch “Schummelministerin”; Bild.de stellt sie gewissermaßen als Abkassiererin dar (“57 000 Euro nach Rücktritt wegen Doktortitel”), obwohl ihr das Geld dem Gesetz zufolge schlicht zusteht; und dann lasse Giffey durch ihren Rücktritt laut “Bild”-Redaktion auch noch “ein wichtiges Ressort im Kampf gegen die Corona-Pandemie und deren Folgen im Stich”. Egal, wie sie es macht: Rücktritt – falsch, kein Rücktritt – ebenfalls falsch.
Am kräftigsten teilt “Bild”-Chefkolumnist Alfred Draxler gegen Franziska Giffey aus:
Jetzt ist die SPD-Politikerin ausgerechnet wegen ihrer Doktorarbeit als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. In ihrer Dissertation liegt an 27 (!) Stellen eine objektive Täuschung vor. Heißt: Sie hat ohne Quellenangaben abgekupfert.
Sie hat geschummelt, gemogelt und betrogen!
Und jetzt will sie auch noch weiter tricksen!
Denn Giffey hält trotz der Plagiatsvorwürfe an ihrem Plan fest, im September Bürgermeisterin von Berlin werden zu wollen. Draxler:
Die großen Berliner Bürgermeister Ernst Reuter, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker würden sich bei solch einer Nachfolgerin im Grabe umdrehen.
Zweifelsohne gibt es gute Gründe dafür, Franziska Giffeys Verhalten – sowohl in Bezug auf ihre Doktorarbeit als auch mit Blick auf ihre Berlin-Pläne – ausgesprochen kritisch zu sehen. In einem ähnlichen Fall legte Alfred Draxler allerdings völlig andere Maßstäbe an. Er ließ nicht gleich tote Politik-Größen im Grab rotieren. Im Gegenteil. Er fieberte schon dem Comeback eines Schummelministers (den Draxler und “Bild” natürlich nicht so nannten) entgegen: Im August 2017 sieht er bei einer Wahlkampfveranstaltung eine Rede von Karl-Theodor zu Guttenberg. Und ist hin und weg:
Sechseinhalb Jahre nach seiner Abdankung (wegen teilweise abgeschriebener Doktorarbeit) hat Ex-Wirtschafts- und Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (45) gestern Abend in seinem alten Wahlkreis seinen ersten öffentlichen politischen Auftritt.
Bei Franziska Giffey setzt Draxler für die “objektive Täuschung” an 27 Stellen ein Extra-Ausrufezeichen, bei Karl-Theodor zu Guttenberg und dessen 1218 Plagiatsfragmenten reicht ihm ein abschwächendes “teilweise”. Aber bei Guttenberg gab es ja auch diesen tobende Saal, die ständigen “KaTe, KaTe”-Rufe, das “überschäumende Bad im Jubel”. Hach, der Karl-Theodor:
Er in Jeans, blauem Sakko, offenem weißen Hemd, Ein-Tage-Bart. Seine schöne Frau Stephanie an seiner Seite, neben ihr Guttenbergs Vater Enoch. “Klartext” versprachen die Plakate draußen.
Und KT liefert: Klartext
Draxler sieht den Ex-Minister schon zurück in höchsten politischen Ämtern – und Guttenbergs einstiges Schummeln, Mogeln, Betrügen so gar nicht als Hindernis:
Es drängt sich der Eindruck auf: Hier läuft sich einer warm für neue politische Aufgaben. Charismatische Politiker wie KT sind rar. Er hat die Unterstützung von CSU-Chef Seehofer (“Wir können ihn sehr gut gebrauchen.”). Und: Die Basis hat ihm längst vergeben. (…)
Einer wie KT drängt sich nicht auf. Er muss sich in Demut üben – um eines Tages gerufen zu WERDEN. Als Minister? Seine Rede klang wie eine Bewerbung fürs Außenministerium.
Oder für etwas anderes?
Nach dem, was ich gestern Abend in Kulmbach erlebt habe, halte ich nichts mehr für undenkbar …
Unser Buch ist seit dem 11. Mai überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.
Alfred Draxlers Jubel über Karl-Theodor zu Guttenberg ist die konsequente Fortführung einer seit Jahren andauernden “Bild”-Kampagne für den Liebling des Hauses. In unserem kürzlich erschienenen Buch über “Bild” haben wir ein ganzes Kapitel zu den Feind- und Freundbildern der Redaktion geschrieben. Die Berichterstattung über Guttenberg spielt darin eine zentrale Rolle. Hier ein Auszug:
Mit wie viel Energie und Einfallsreichtum “Bild” für Freunde in die Bresche springt, lässt sich seit mehr als zehn Jahren an der Berichterstattung über einen Mann beobachten, mit dem Julian Reichelt eine ganz persönliche Geschichte verbindet: “Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Wilhelm Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg”, wie “Bild” ihn nach seiner Ernennung zum Wirtschaftsminister groß auf der Titelseite nennt, ohne zu merken, dass einer der Namen frei erfunden ist (Wilhelm; er stammt aus einem manipulierten Wikipedia-Eintrag).1 Solche Nachlässigkeiten sollten der Redaktion in Zukunft aber nicht mehr passieren, denn schnell wird Guttenberg in den “Bild”-Medien zum glänzenden “Einhorn der deutschen Politik”2 erklärt. Ein “Aufklärer und Erneuerer”, “attraktiv, bescheiden, voller Power”3.
Als Verteidigungsminister – “Minister Liebling”4 – wird Guttenberg bei fast jeder seiner Auslandsreisen von “Bild” begleitet, genauer: vom damaligen “Bild”-Reporter Julian Reichelt, der den Kurs des “Klartext-Ministers” immer wieder lobt und sich für die deutschen Soldaten freut, die “nun endlich den Minister” hätten, “den sie verdienen”.5 (Im Sommer 2010 kommt der Verteidigungsminister dann auch persönlich zur Vorstellung von Reichelts neuem Buch.6) Die Inszenierung des Ministers geht so weit, dass “Bild” ein exklusives Foto – Guttenberg in “Top-Gun”-Pose vor einem Kampfjet – fast seitenhoch auf die Titelseite druckt und sogar eine 3D-Brille dazulegt: “Exklusiv in 3D: Minister Guttenberg fliegt im Kampfjet”.7 Immer wieder erscheinen Zeilen wie “Guttenberg auch in China ein Star”8 oder “Karl-Theodor und Stephanie zu Guttenberg: Total verschossen auf der Wiesn!”9 oder “Sind Adelige die besseren Politiker?”10 Ende 2010 träumt Bild schon von Kanzler Guttenberg: “CSU-Chef, Ministerpräsident oder sogar Kanzler … In welches Amt stürmt Guttenberg 2011?”11 Als Guttenbergs “hinreißende Frau Stephanie”12 eine Sendung bei RTL2 moderiert, machen die “Bild”-Medien in großem Stil Werbung dafür, lobpreisen die Show und ihre Macherin – “Deutschlands heimliche First Lady”13 – wochenlang auf allen Kanälen (“Bravo, Stephanie zu Guttenberg!”, “Respekt, Frau zu Guttenberg!”)14, und als sie im Dezember 2010 mit ihrem Mann deutsche Truppen in Afghanistan besucht, erklärt “Bild” auf der Titelseite in großen Lettern: “Wir finden die GUTT! Nörgler, Neider, Niederschreiber: Einfach mal die Klappe halten!”15
Zwei Monate später, an einem Samstagabend, macht es sich der Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano mit einem Glas Rotwein vor seinem Computer gemütlich. Auf dem Monitor vor ihm: die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg. Er hat die 475 Seiten bereits gelesen, jetzt will er eine Rezension für eine Fachzeitschrift schreiben. Bei einer routinemäßigen Google-Suche merkt er plötzlich, dass einige Passagen der Arbeit wortwörtlich aus anderen Publikationen übernommen wurden.16
Vier Tage später titelt die “Süddeutsche Zeitung”: “Plagiatsvorwurf gegen Guttenberg”.17 Sofort stürzen sich nationale und internationale Medien auf die Enthüllung, nennen Guttenberg den “Lügenbaron”18. Rücktrittsforderungen kommen von allen Seiten. “Bild” aber geht mit voller Kraft in den Verteidigungsministerverteidigungsmodus. “Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor”19, schreibt “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner am Tag nach Bekanntwerden der Vorwürfe (obwohl er knapp zwei Jahre zuvor noch gegen jene “Uni-Luschen” gewettert hatte, die sich einen Doktortitel erkaufen: “Sich ein falsches Gehirn einpflanzen zu lassen, muss per Gesetz bestraft werden. Ein Doktortitel ist kein Busen, kein Facelifting und keine Straffung des Popos”20). Als Guttenberg kurz darauf verkündet, er wolle im Amt bleiben, titelt “Bild”: “GUT! Guttenberg bleibt!” Was hier geschehe, sei eine “Hetzjagd auf den beliebtesten Minister der Republik”.21
“Bild”-Redakteure treten in Talkshows auf, um dem Minister beizuspringen; Nikolaus Blome, damals Leiter des “Bild”-Hauptstadtbüros (dessen Buch der Minister eigentlich auch vorstellen wollte, bis die Plagiatsaffäre dazwischenkam22), wiegelt bei “Hart aber Fair” ab: “Der Untergang des Abendlandes fällt aus, trotz dieser Doktorarbeit.” Bei “Maischberger” ringt eine “Bild-am-Sonntag”-Redakteurin, so beschreibt es der “Spiegel” später, “wie eine Ehefrau um Verständnis für den jungen Familienvater, der in siebenjähriger Nachtarbeit seine Doktorarbeit erstellt, dabei ein paar Fehler gemacht und nun als großartiger Minister Ziel einer Kampagne geworden sei. Aber: ‘Er ist auch ein Mensch.'”23 Der “Spiegel” nennt “Bild” damals die “Leibgarde von Karl-Theodor zu Guttenberg”.24
Kurz darauf startet “Bild” eine große Leseraktion. Auf der Titelseite wird dazu aufgerufen, per Telefon und Fax (kostenpflichtig) darüber abzustimmen, ob Guttenberg Minister bleiben oder zurücktreten solle. Auch online kann man abstimmen. Als sich dort eine Mehrheit gegen den Minister abzeichnet, verschwindet die Umfrage von der Seite. Sie erscheint erst wieder, als Journalisten sich nach dem Ergebnis erkundigen – das da lautet: 56 Prozent wollen den Rücktritt; nur 35 Prozent finden, er mache seinen Job gut.25 Tags darauf titelt “Bild”: “87% Ja-Stimmen beim BILD-Entscheid – ‘Ja, wir stehen zu Guttenberg!'”26 Die Zahl, behauptet die Zeitung, stamme aus dem Telefon- und Fax-Voting; die Online-Umfrage wird gar nicht erwähnt und in den Tiefen der Website versteckt.27
Sogar nach dessen Rücktritt ist “Bild” offenkundig bemüht, Guttenbergs Ansehen zu beschützen: Am Tag nach der Rücktrittserklärung beschreibt Julian Reichelt unter der Überschrift “Ich war mit dem Minister im Krieg” in herzerwärmenden Worten, wie Guttenberg einmal in ein brennendes Flugzeug kletterte, um für seinen Piloten, der Geburtstag hatte, eine Kiste Bier zu holen. Er habe oft von “Pflicht” und “Anstand” gesprochen, und Reichelt könne “bezeugen, dass seine Taten zu seinen Worten passten”.28
Bis heute berichten die “Bild”-Medien (oft exklusiv) über Guttenbergs Projekte29 und Aussagen30, lassen ihn Gastkommentare schreiben31, feiern auf der Wiesn “große Gaudi mit Guttenbergs”32. 2017, gerade mal einen Tag nach seinem ersten öffentlichen politischen Auftritt seit der Plagiatsaffäre, bringen “Bild” und Alfred Draxler ihn schon wieder als Kanzler ins Spiel.33