Innenministerkonferenz, Klagen der Hohenzollern, Halbes China-Bild

1. Neuregelungen in Sicht
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider)
Anlässlich der dieser Tage stattfindenden Innenministerkonferenz fordert der Presserat: Die “Innenminister müssen sich zu gemeinsamen Regeln für Medien- und Polizeiarbeit bekennen”. Ob die Innenminister sich dieses Themas annehmen werden, sei unklar. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) will jedoch erfahren haben, dass auf der Konferenz ein eigenes Papier diskutiert werde. DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner kommentiert: “Die ministerielle Geheimniskrämerei erinnert an feudales Regierungsgebaren bei Hofe. Um Informationen zu bekommen, braucht man Kontaktleute. Auf diese Weise drang durch, dass die Innenminister ein eigenes Papier fabriziert haben, in dem es um das Verhältnis von Polizei und Journalisten gehen soll. Das kann gut oder schlecht sein, wahrscheinlich gibt es mehr zu kritisieren als zu begrüßen. Denn auf die Expertise des Presserats und seiner Verbände glaubten die Innenminister verzichten zu können.”

2. Wiki über die Klagen der Hohenzollern
(verdi.de, Susanne Stracke-Neumann)
Anfang der Woche hat der Verband der Historikerinnen und Historiker sein “Hohenzollern-Klage-Wiki” vorgestellt. Seit im November 2019 die Verhandlungen um mögliche Restitutionen öffentlich geworden sind, sei Georg Friedrich Prinz von Preußen in über 70 Fällen juristisch gegen Historikerinnen und Journalisten vorgegangen. Die Dokumentation bietet einen Überblick der historischen und juristischen Aspekte des Streits.

3. Was soll die Polemik?
(djv.de, Ina Knobloch)
Ina Knobloch antwortet auf einen “Tagesthemen”-Kommentar der Studioleiterin des Hessischen Rundfunks gegen gendergerechte Sprache: “Wer sich an Sternchen und Unterstrich abarbeitet, hat weder die Problematik verstanden, noch Studien zum Thema gelesen und begibt sich auf ein gefährliches, rechtes Stammtischniveau, wo es viel Zustimmung für derartige Polemik gibt.”

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4. Christoph Kramer über seinen ZDF-Job: “Was soll schon passieren?”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Der Fußballprofi Christoph Kramer ist bei der Fußball-Europameisterschaft für das ZDF als Experte im Einsatz. Im Gespräch mit “DWDL” erzählt er von seinen TV-Einsätzen und verrät, welche Fragen von Journalisten ihn als Fußballspieler besonders nerven: “Ich habe manchmal das Gefühl, dass es einen geheimen Fragenkatalog gibt, der unabhängig vom Spielverlauf abgearbeitet wird – wenn beispielsweise über Emotion und Wille geredet wird. In der einen Woche wird mir der Wille zugesprochen, in der nächsten wird er mir wieder abgesprochen.”

5. Das halbe Bild: Phoenix zeigt eine Doku über Xinjiang – und lässt das Leid der Uiguren weg
(uebermedien.de, Hinnerk Feldwisch-Drentrup)
In einer China-Doku auf Phoenix ging es um die im Nordwesten des Landes gelegene Region Xinjiang, die dortige Landschaft und deren Bewohner. Etwa die Hälfte der 23 Millionen Einwohner Xinjiangs zählen zum Volk der Uiguren, das von der chinesischen Regierung in vielfacher Weise unterdrückt und drangsaliert wird. Dieser Aspekt taucht im Phoenix-Film jedoch nicht auf. Wissenschaftsjournalist Hinnerk Feldwisch-Drentrup, selbst ein China-Liebhaber, erklärt die Hintergründe und lässt Sender und Experten zu Wort kommen.

6. Lasst uns auf eine Reise gehen
(sueddeutsche.de, Christine Dössel)
Christine Drössel ist aufgefallen, wie oft in Castingshows oder Sportsendungen die Metapher von der “Reise” verwendet wird: “Ersetze Arbeit, Anstrengung, Transformation, Prozess, das leidige Auf und Ab von Erfolg, Frust und Niederlage durch ‘Reise’, und schon klingt es wie ein Erlebnisurlaub.”

Jeder 1. Tatverdächtige wird in “Bild”-Überschriften zum “Täter”

Mit einer falschen Überschrift und möglichst wenig Einordnung haben es die “Bild”-Medien gestern mal wieder geschafft, rechten Scharfmachern Munition zu liefern.

Die “Bild”-Zeitung schrieb:

Ausriss Bild-Zeitung - Sexual-Delikte in Bahnhöfen - Jeder 2. Täter ist Ausländer

Und bei Bild.de hieß es genauso:

Screenshot Bild.de - Sexual-Delikte in Bahnhöfen - Jeder 2. Täter ist Ausländer

Die Überschrift ist deswegen falsch, weil die interne Statistik der Bundespolizei, auf der der ganze “Bild”-Artikel beruht, gar nicht von “Tätern” spricht, sondern von Tatverdächtigen. Das ist in einem Land, in dem die Unschuldsvermutung gilt, ein bedeutender Unterschied.

Die “Bild”-Redaktion reagierte gestern zumindest teilweise auf die Kritik an der Überschrift – online änderte sie sie heimlich in:

Screenshot Bild.de - Sexual-Delikte in Bahnhöfen - Jeder 2. Tatverdächtige ist Ausländer

Wir haben uns die Statistik der Bundespolizei ebenfalls besorgt. Ein Blick darauf zeigt, dass die Zahlen die inzwischen geänderte Bild.de-Überschrift durchaus stützen: 2019 konnte die Bundespolizei im Zusammenhang mit “Sexualdelikten auf Bahnanlagen” 693 Tatverdächtige ermitteln. Davon hatten 371 Personen “eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit”. 2020 waren es 346 von insgesamt 621. Und im ersten Quartal 2021 80 von 137. Also jeweils mehr als 50 Prozent.

Allerdings fehlt in der Berichterstattung der “Bild”-Medien in diesem Zusammenhang ein Detail: Bei den von “Bild” und Bild.de angegebenen Tatverdächtigen handelt es sich um ermittelte Tatverdächtige. Es gibt allerdings zahlreiche “Sexualdelikte auf Bahnanlagen”, bei denen der Täter überhaupt nicht bekannt ist: 2019 konnte die Bundespolizei bei 682 Delikten einen Verdächtigen ermitteln. Insgesamt gab es aber 1.184 Delikte. 2020 waren es insgesamt 1.215 Delikte – nur bei 680 gibt es einen Tatverdächtigen. Und im ersten Quartal dieses Jahres sieht es ähnlich aus: Bei 143 von 274 Delikten gibt es einen Verdächtigen. Das heißt: Bei jeweils über 40 Prozent der Delikte weiß man nicht, woher die Verdächtigen/Täter stammen. Natürlich kann es sein, dass auch in diesen Fällen die Verteilung zwischen Personen mit deutscher und mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit ganz ähnlich ist. Sicher ist das aber nicht. In den “Bild”-Medien liest man von dieser Einordnung kein Wort.

Genauso bei der Frage, um welche Delikte es sich konkret handelt. Dazu schreibt “Bild” nur allgemein:

Die Delikte: Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, Nötigung, Belästigung, exhibitionistische Handlungen und andere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Die Bundespolizei liefert in ihrer Statistik die genaue Verteilung: Sowohl 2019 als auch 2020 als auch im ersten Quartal 2021 entfielen rund 92 Prozent der Delikte auf die zwei Bereiche “exhibitionistische Handlungen” und “sexuelle Belästigung”. Auch diese Delikte können für Opfer zweifelsohne traumatische Folgen haben. Die in der Regel härter bestraften Delikte “sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen” sowie “sexuelle Nötigung/Vergewaltigung” kommen vergleichsweise allerdings deutlich seltener vor. Bei “Bild” liest man auch von dieser Einordnung nichts, obwohl die Zahlen der Redaktion laut Bundespolizei vorlagen.

Und auch mit Blick auf den größeren Zusammenhang geben sich die “Bild”-Medien keinerlei Mühe, irgendeinen Kontext herzustellen. Schaut man in die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts, in der nicht nur das Geschehen an Bahnhöfen und in Bahnen dokumentiert wird, sondern jenes im gesamten Land, erkennt man, dass der von “Bild” gesetzte Fokus nur einen kleinen Teil aller Sexualdelikte ausmacht. Zur Erinnerung: 2019 gab es laut Bundespolizei 1.184 “Sexualdelikte auf Bahnanlagen”. In ganz Deutschland gab es im selben Jahr laut PKS (PDF) insgesamt 69.881 erfasste “Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung” (wir wählen in diesem Fall bewusst das Jahr 2019, weil es dafür die aktuellste PKS gibt). Auch hier gilt: Eine derartige Einordnung liefern “Bild” und Bild.de nicht.

Das Bundeskriminalamt gibt in seiner PKS auch an, wie groß der Anteil “nichtdeutscher Tatverdächtiger” im Bereich der “Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung” ist: 26,8 Prozent. Verglichen mit dem Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in Deutschland ist das immer noch überproportional viel*, aber eben auch deutlich niedriger als die “Jeder-2.”-Schlagzeile von “Bild”.

Und so stellt sich schon die Frage: Warum setzt die “Bild”-Redaktion diesen sehr speziellen Fokus auf die Sexualdelikte in Bahnhöfen und Bahnen? Doch nicht etwa nur, um ihrer Leserschaft einen möglichst großen Anteil krimineller Ausländer (oder genauer: ausländischer Tatverdächtiger) präsentieren zu können?

Mit ihrem Beitrag kommt sie in bestimmten Kreisen jedenfalls gut an: Den Bild.de-Artikel haben unter anderem die AfD-Politikerinnen und Politiker Beatrix von Storch, Joana Cotar, Markus Buchheit, Martin Sichert, Bernhard Zimniok, Martin Hess, Rainer Kraft, Tobias Peterka, Sebastian Wippel und Jörg Dornau, die AfD-Verbände Nordrhein-Westfalen, Hannover, Köln, Landkreis Leipzig, Emmendingen, Ravensburg, Weserbergland, Erding, Traunstein, Bergisch Gladbach, Straubing-Regen, Neustadt an der Weinstraße und Kleve sowie Gruppen mit Namen wie “WIR SIND DAS VOLK”, “Gegen Masseneinwanderung”, “Gutmenschen im Endstadium” und “Dr Hans-Georg Maaßen für Kanzler” bei Facebook geteilt. Es dürfte ein erfolgreicher Tag für die “Bild”-Redaktion gewesen sein.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

*Nachtrag, 17. Juni: Mehrere Leserinnen und Leser weisen uns berechtigterweise darauf hin, dass der Vergleich mit dem Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in Deutschland problematisch ist, da in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) Personen auch dann als “nichtdeutsche Tatverdächtige” gezählt werden, wenn sie den Delikt zwar in Deutschland begangen haben sollen, aber aus dem Ausland stammen und dort auch wohnen. So werden beispielsweise auch Grenzpendler, denen in Deutschland eine Straftat vorgeworfen wird, die aber in Österreich wohnen, als “nichtdeutsche Tatverdächtige” in der Statistik des Bundeskriminalamts gezählt. Damit sind die Zahlen der PKS nicht direkt vergleichbar mit der Wohnbevölkerung in Deutschland. Gerade bei Bahnhöfen, wo die Reisebewegung qua Definition dazugehört, könnte das eine größere Rolle spielen.

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BMI vs. Linksextremismus-Definition, Islam-Umfrage, Geldregen in MV

1. Seehofers Haus diktierte Definition
(taz.de, Volkan Ağar)
In der Einleitung des Linksextremismus-Onlinedossiers der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) stand ein Satz, mit dem bestimmte konservative Kreise ihre Probleme hatten. Ein renommierter Wissenschaftler hatte wie folgt geschrieben: “Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.” Auf Anweisung des Bundesinnenministeriums sei dieser Satz durch eine unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition des Verfassungsschutzes ersetzt worden, schreibt Volkan Ağar. Der “taz” liegt die Mailkorrespondenz zwischen Bundeszentrale und Bundesministerium vor: “Aus dieser Kommunikation geht einerseits hervor, welch zentrale Rolle die Bild-Zeitung und der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des bpb-Kuratoriums, beim Eingriff des BMI gespielt haben.”

2. Schlecht angelegt: Was aus zwei Millionen Euro Corona-Hilfe für die Presse wurde
(uebermedien.de, Anne Haeming)
Vergangenen August schüttete das Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern zwei Millionen Euro aus dem Corona-Schutzfonds an die “Ostsee-Zeitung”, die “Schweriner Volkszeitung” und den “Nordkurier” aus. Was ist mit dem Geld geschehen, und was hat es bewirkt? Anne Haeming hat sich bei den zuständigen Stellen auf Verlags- und Ministeriumsseite erkundigt und zieht ein ernüchterndes Fazit: “Die Geschichte von der Presseförderung in Mecklenburg-Vorpommern ist damit ein Paradebeispiel dafür, wie es eben nicht funktioniert. Die Verlage nutzen das Geld nicht nachhaltig für die eigene Zukunft.”

3. Umfrage von Islamgegnern: Wer nicht islamfeindlich ist, wird islamfeindlich gemacht
(schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Fabian Goldmann hat sich eine neue Umfrage zum Thema Islam und Islamismus angeschaut und ist einigermaßen entsetzt. Die Erhebung zeige, wie man durch manipulative Fragen und Antwortvorgaben zum gewünschten Ergebnis kommt: “Frageformulierungen und Antwortvorgaben, die ein islamkritisches Setting erzeugen, ziehen sich durch den ganzen Fragebogen. Manche Passagen der Umfrage erinnern fast schon an Polemiken rechter Politiker als eine wissenschaftliche Untersuchung, deren Ziel es sein sollte, die Befragten möglichst unbeeinflusst zu lassen.” Leider hätten viele Medien kritiklos die aus seiner Sicht fragwürdigen Ergebnisse und Deutungen übernommen und damit den Auftraggebern der Studie geholfen, “unter dem Deckmantel (pseudo)empirischer Meinungsforschung ihre islamfeindliche Lobbyarbeit zu betreiben.”

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4. Viel Angstmache, wenig Aufklärung
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 4:40 Minuten)
Als der “Spiegel” vor 40 Jahren über Aids berichtete, sei dies in einer äußerst apokalyptischen Weise geschehen, erklärt Medienjournalist Stefan Niggemeier im Deutschlandfunk. Aids sei als eine Krankheit beschrieben worden, die mit Sicherheit zum Tod führe und gegen die nichts helfe. “Und das in Kombination mit Geschichten, auch wirklich mit einer merkwürdigen Lust erzählten Geschichten, Schauergeschichten von der Promiskuität von Schwulen, die diese Seuche verbreiten.” Laut dem aktuellen “Spiegel”-Ressortleiter, denke man darüber nach, diese Phase noch einmal aufzuarbeiten.

5. Herr Rosemann, was haben Sie vor mit Sat.1 und ProSieben?
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
ProSieben-Senderchef Daniel Rosemann hat im Mai auch die Leitung über Sat.1 übernommen. In der kurzen Zeit musste er bereits zweimal eingreifen, einmal beim neuen Trash-Format “Plötzlich arm, plötzlich reich”, einmal bei “Promis unter Palmen”. Beide Formate sind seitdem Sendergeschichte. “DWDL”-Chefredakteur Thomas Lückerath hat sich mit Rosemann über die künftige Ausrichtung der Sender unterhalten.

6. “Kleber hat was Cooles”
(spiegel.de, Alexander Kühn, Video: 4:07 Minuten)
Gestern wurde bekannt, dass Claus Kleber zum Ende des Jahres die Moderation des “heute Journals” abgibt. Für “Spiegel”-Redakteur Alexander Kühn ein willkommener Anlass, Kleber eine Video-Hommage zu widmen.

Geld vernebelt den Verstand, “Sun”, Verunsicherung als Geschäftsmodell

1. Geld vernebelt den Verstand
(t-online.de, Florian Harms)
Vergangenen Freitag startete der Marktwirtschafts-Lobby-Verband INSM eine Anzeigenkampagne, die für breite Empörung sorgte: Die von Arbeitgeberverbänden getragene wirtschaftsliberale Denkfabrik hatte das Gesicht der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auf den biblischen Moses retuschieren lassen, der zwei Steintafeln mit den zehn “grünen Geboten” trägt. Dazu hieß es wechselnd: “Wir brauchen keine Staatsreligion” oder “Warum uns grüne Verbote nicht ins Gelobte Land führen”. Florian Harms erinnert die Anzeige an Schmutzkampagnen in US-amerikanischen Wahlkämpfen. Er zeigt sich dabei weniger vom Vorgehen der Lobbyisten, sondern der Beteiligung vieler Medien überrascht: “Die ‘Süddeutsche Zeitung’ gehört dazu, die ‘Frankfurter Allgemeine Zeitung’ und ‘Die Zeit’. Alle diese Medien haben kluge Redaktionen und scharfsinnige Chefredakteure. Aber alle diese Medien sind durch den digitalen Wandel unter Druck geraten und kämpfen daher um jeden Anzeigenkunden. Wozu diese Entwicklung führt, dokumentiert die Anti-Baerbock-Anzeige: Selbst der schärfste Verstand scheint nicht dagegen gefeit zu sein, vom Dunst des Geldes vernebelt zu werden.”

2. Gegen die Lügen
(merkur-zeitschrift.de)
In einem offenen Brief stellen sich zahlreiche Kulturschaffende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinter die Publizistin und Philosophin Carolin Emcke, der Springer-Medien und CDU Antisemitismus vorgeworfen hatten: “Wir kritisieren scharf die Form der Angriffe auf die Publizistin, die exakt das vollziehen, was Carolin Emcke in ihrem Redebeitrag formuliert und wovor sie zu Recht eindrücklich gewarnt hat: Die Beschädigung der politischen Öffentlichkeit durch mutwillig verzerrte Halbwahrheiten und bösartige Verdrehungen von Sinn, mit dem politischer Streit nicht ausgetragen, sondern ausgehöhlt wird.”

3. Verunsicherung als Geschäftsmodell
(belltower.news, Stefan Lauer)
Boris Reitschuster erfreut sich in rechten Kreisen und im “Querdenker”-Milieu besonderer Beliebtheit und hat einen prominenten Fan: Til Schweiger. Der hatte unlängst ein Selfie von sich und Reitschuster gepostet und diesen als seinen Helden bezeichnet. Für Stefan Lauer Anlass, die Methode Reitschuster näher unter die Lupe zu nehmen: “Boris Reitschuster betreibt populistischen Journalismus. Die Meinung ist klar, dann müssen nur noch die Fakten entsprechend angepasst werden. Das passiert immer mehr oder weniger unangreifbar. Konjunktive, Vermutungen und fehlender Kontext. Die Geschichte, die Reitschuster erzählt, ist immer die gleiche: die Regierung weiß nicht, was sie tut. Genausowenig wie Opposition, Forschung und Medien. Damit ist seine Strategie sehr ähnlich zu der von russischen Trollen, die er eigentlich so stark kritisiert: Verunsicherung schaffen statt aufzuklären.”

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4. Der wichtigste Ort für Journalisten? Ihr Schreibtisch!
(uebermedien.de, Olaf Storbeck)
“Achten Sie darauf, dass Ihr Büro leer ist!” Oft wird jungen Journalistinnen und Journalisten in pathetischen Worten empfohlen, ihr Büro zu verlassen und hinaus in die Welt zu ziehen, so auch in einer Rede des Schriftstellers Ferdinand von Schirach. Dabei handele es sich um einen in vielen Teilen falschen Mythos, findet “Financial-Times”-Korrespondent Olaf Storbeck: “Die wichtigste Arbeit findet am Ende eben doch am Schreibtisch statt. Das mag in den Ohren junger Journalisten langweilig klingen. Doch wer nur immer nur vor Ort ist, wessen Büro immer leer ist, der arbeitet wie ein Zehnkämpfer, der nur in einer Disziplin glänzt.”

5. Bundesamt für Justiz geht mit Bußgeldverfahren gegen Telegram vor
(zeit.de)
Das Bundesjustizministerium geht mit zwei Bußgeldverfahren gegen den Messengerdienst Telegram vor. Laut Netzwerkdurchsetzungsgesetz müsse es leicht erkennbare und erreichbare Möglichkeiten zur Beschwerde über strafbare Inhalte geben. Dies sei bei Telegram jedoch nicht der Fall. Ebenso sei unklar, wohin sich Gerichte wenden könnten, wenn jemand juristisch gegen das Unternehmen vorgehen wolle. Das Bundesamt für Justiz habe zwei Schreiben an den Unternehmenssitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten verschickt. Es bleibt spannend, ob Telegram auf eine derartige Korrespondenz reagiert.

6. Das Gift von gestern
(sueddeutsche.de, Alexander Menden)
Rupert Murdochs britisches Krawallblatt “Sun” befindet sich im wirtschaftlichen Sinkflug. Das habe mit den Folgen der Covid-19-Pandemie zu tun, wie Alexander Menden erklärt, sei aber auch den erheblichen Entschädigungszahlungen für Abhöropfer geschuldet: “Allein im Jahr 2020 zahlte News Group Newspapers Abhöropfern umgerechnet mehr als 60 Millionen Euro an Prozesskosten und Entschädigung. Im Jahr zuvor hatten sich diese Zahlungen, welche die Bilanz als ‘britische Zeitungsangelegenheiten’ auswies, auf die Hälfte belaufen.” Außerdem seien weitere Klagen anhängig, darunter eine von Prinz Harry.

“Für Geld kommen sie alle nach Katar”

In der “Bild”-Redaktion haben sie am Wochenende offenbar viel Fußball-Europameisterschaft geschaut und dabei besonders auf die Bandenwerbung in den Stadien geachtet:

Screenshot Bild.de - Rassisten! Terroristen! Schwulenfeinde! Warum lässt sich die EM von diesen Horror-Regimen bezahlen?

… fragen heute “Bild” und Bild.de. Neben der Bandenwerbung für den russischen Energiekonzern Gazprom, das chinesische Unternehmen Hisense und die ebenfalls aus China stammende Social-Media-App TikTok geht es den “Bild”-Medien vor allem um die Werbung für Qatar Airways:

“Qatar Airways” ist die nationale Fluggesellschaft und das bekannteste Unternehmen Katars.

Doch der superreiche Golf-Staat tritt Menschenrechte mit Füßen: Für den Bau von Fußballstadien für die WM 2022 holten die Scheichs Tausende Gastarbeiter v. a. aus Indien, Pakistan und Bangladesch. Dutzende sollen bereits aufgrund gefährlicher Arbeitsbedingungen gestorben sein, eine Studie geht sogar von bis zu 1200 Toten aus. Homosexualität steht in Katar unter Strafe.

Mehr noch: Der Golfstaat unterstützt die islamistische Terror-Organisation Hamas in Gaza. Sie lässt Homosexuelle ermorden, schießt Raketen auf Israel.

Im März erklärte Bild.de zur Taktik Katars:

Screenshot Bild.de - Die unheimliche Entwicklung in der Wüste - Wie Katar mit Sportwashing nach der Macht greift

Das reiche ­Emirat am Persischen Golf kauft sich nicht nur hochkarätigste Sport-Veranstaltungen, sondern auch internationalen Einfluss. (…)

Was den herrschenden Scheichs fehlte, war internationale Anerkennung. Die erkaufen sie sich nun mithilfe des Sports – eine Entwicklung, die als “Sportswashing” bekannt ist.

Dr. Jürgen Mittag, Politikwissenschaftler an der Sporthochschule Köln: “Der Sport wird als zentrales Instrument genutzt, um die Entwicklung des Emirats, vor allem dessen Infrastruktur und Image in der Welt, von der bisherigen Ausrichtung auf Erdöl- und Erdgas auf ein neues Fundament zu heben.”

Folge: Über 500 internationale Sportveranstaltungen haben die Katarer in den letzten 15 Jahren ausgerichtet, dabei Milliarden in Stadien und Trainingszentren gepumpt.

“Für Geld”, so Bild.de, “kommen sie alle nach Katar”.

Einen Monat zuvor, im Februar, fand in Katar solch ein “Sportwashing”-Event statt: die Fußball-Klub-WM. Mit dabei: “Bild”.

Screenshot Bild.de - Klub-WM in Katar - Live und umsonst - Bild überträgt die Bayern-Spiele
Screenshot Bild.de - FIFA Klub-WM - Bayerns Titel-Jagd Montag ab 18 Uhr live und gratis bei Bild
Screenshot Bild.de - Klub-WM in Katar - Lewy schießt Bayern ins Live-Finale bei Bild

Wenn die “Bild”-Redaktion von den Milliarden, die Katar für die Imagepflege in den Sport pumpt, profitieren kann; wenn sie dabei ihre großen TV-Pläne vorantreiben kann, scheint es ihr erstmal egal zu sein, dass in dem “Horror-Regime” Menschenrechte mit Füßen getreten werden, dass Homosexualität unter Strafe steht, dass Terroristen unterstützt werden. Dann ergreift “Bild” die sich bietende Chance und macht einfach mit. Die Stadien, aus denen die Redaktion im Februar die zwei Klub-WM-Spiele des FC Bayern München übertragen hat, gehören zu den acht Stadien der Fußball-WM 2022, zu denen “Bild” nun zurecht kritisiert, dass Dutzende Gastarbeiter “bereits aufgrund gefährlicher Arbeitsbedingungen gestorben sein” sollen.

In der Berichterstattung von heute zitiert “Bild” auch mehrere Politiker. Darunter:

FDP-Außenexperte Bijan Djir-Sarai (45) kritisiert in BILD, dass “Despoten und Terrorunterstützer durch ihre Finanzierungsmöglichkeiten die sportliche Bühne für Propaganda und Imageverbesserung missbrauchen können”.

Und dann gibt es auch noch Medien, die durch ihre Übertragungen dabei helfen.

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Emcke absichtlich missverstanden, Regie-Versagen, Jebsen-Podcast

1. Carolin Emcke wird gezielt verunglimpft
(sueddeutsche.de, Ronen Steinke)
Die Autorin Carolin Emcke hat auf dem Parteitag der Grünen eine kurze Gastrede gehalten, die von CDU und “Bild”-Redaktion kritisiert und skandalisiert wurde: Angeblich habe Emcke Klimaforscher mit Holocaust-Opfern verglichen. “SZ”-Redakteur Ronen Steinke widerspricht: “Nirgends in ihrer Rede hat sie vom Holocaust gesprochen. Auch nicht indirekt. Die Idee, Kritik an heutigen Virologen oder Klimaforschern ernsthaft mit dem Holocaust gleichzusetzen, ist Carolin Emcke, soweit ersichtlich, auch nicht ansatzweise in den Sinn gekommen, und auch beim Zuhören konnte man auf diese Idee nur kommen, wenn man denn wirklich, wirklich einen ‘Eklat’ konstruieren wollte. Zum Beispiel, weil Wahlkampf ist.”
Judith Liere kommt in ihrem Kommentar bei “Zeit Online” zu einer ähnlichen Feststellung: “Man muss nicht einmal laut ‘Kontext, Kontext!’ rufen, um klarzustellen, dass sie nie gemeint hat, was ihr da unterstellt wird. Sie hat es nämlich nicht nur nicht gemeint, sondern schlichtweg nicht gesagt.”
Weiterer Lesehinweis: In einem Twitter-Thread erklärt Matthias Meisner: “Was den von BILD, WELTAMSONNTAG, CDU, Generalsekretär Paul Ziemiak, Martenstein und anderen angezettelten Shitstorm gegen Carolin Emcke so bösartig und perfide macht: Die Kritiker vermischen unzulässig Vergleich und Aufzählung.”
Weiterer Hinweis: Wer die entsprechenden Passagen nachhören will: Der “Spiegel” hat ebenfalls über den Nicht-Skandal berichtet und Emckes Rede in einem eingebundenen Video dokumentiert.

2. Bange Minuten bei der EM: Das Regie-Versagen der UEFA
(dwdl.de, Alexander Krei)
Am Samstag konnten Millionen Menschen vor dem Fernseher mit anschauen, wie in der Fußball-EM-Partie zwischen Dänemark und Finnland der Däne Christian Eriksen auf dem Spielfeld reanimiert werden musste. Alexander Krei kommentiert: “Dass diese Bilder mehr als nur einmal in den weltweiten Live-Übertragungen gezeigt wurden, ist ein krasses Versagen der UEFA, deren Zentralregie in diesen bangen Minuten komplett daran scheiterte, Eriksens Privatsphäre zu schützen. Stattdessen gingen sogar noch die Bilder der weinenden Ehefrau des Fußballstars um die Welt. Die fehlende Empathie des europäischen Fußballverbands ist nichts weniger als ein handfester Skandal – erst recht, wenn man bedenkt, dass in der Vergangenheit schon harmlose Flitzer genügten, um dafür zu sorgen, dass die großen Verbände blitzschnell den Blick abseits des Spielfelds lenkten.”
(Ergänzender Hinweis auf einen Beitrag bei uns im BILDblog: Bild.de zeigt kollabierten Christian Eriksen.)
Weiterer Lesehinweis: Das übertragende ZDF weist Vorwürfe zurück: “Wir mussten auch dem Informationsbedürfnis der Zuschauer gerecht werden.”
An anderer EM-Stelle gibt es positive Nachrichten: Die russischen Behörden haben eingelenkt und den ARD-Journalisten Robert Kempe auch für St. Petersburg akkreditiert (faz.net).

3. Des Schwurblers Kern
(zeit.de, Daniel Hornuff)
Ab heute sind die ersten zwei Teile einer Podcast-Produktion über den Werdegang des Verschwörungserzählers Ken Jebsen verfügbar (zum Beispiel in der ARD-Audiothek: “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?”). David Hornuff ist begeistert. Der Podcast sei fantastisch gemacht, erzeuge dennoch Unbehagen: “So bewundernswert sorgfältig der Podcast arrangiert und inszeniert ist: Der Fokus auf die eine ausgewählte Person erzeugt eine unfreiwillige Stilisierung, eine überhöhende Psychologisierung – was wiederum eine seltsam umschmeichelnde Aufwertung nach sich zieht, die passagenweise ins Heroisierende kippt.”
Weiterer Lesehinweis: Anonymous hackt Ken-Jebsen-Website: “Anonymous hat Ken Jebsen ins Visier genommen: Der ehemalige Journalist gilt als Schlüsselfigur der ‘Querdenker’-Szene. Jetzt wollen Hacker die Namen seiner Spender erbeutet haben.” (spiegel.de, Frank Patalong)

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4. Ist der Begriff “Doku” noch immer nicht ausgehöhlt genug?
(medienkorrespondenz.de, Christian Bartels)
Der Medienexperte Christian Bartels hat sich die ARD-Doku “Der Milliardenraub” angeschaut. Missfallen hat ihm, dass die 45-minütige “Doku” rund zur Hälfte aus nachgestellten (wenn auch gekennzeichneten) Szenen bestanden habe: “Bedenken ‘Doku’-Autoren überhaupt noch, dass nachgestellte Szenen die Glaubwürdigkeit ihrer Filme immer beeinträchtigen und zumindest alle im Publikum, die die Überzeugungen der Autoren nicht von vornherein teilen, skeptisch machen? Wenn Reenactments in einem Ausmaß eingesetzt werden, das günstigenfalls ermüdet oder gar lächerlich erscheint, müsste Mut, auch mal unbewegte Bilder zu zeigen, leichtfallen.”

5. Wieso ich nicht mehr über “Querdenken” berichten werde
(gaebler.blog, Paul Gäbler)
“Ein Jahr lang ‘Querdenken’ hieß für mich: einmal pro Woche auf eine Demo, Gespräche führen, Fotos machen – und mich beschimpfen lassen. Damit ist jetzt Schluss.” Paul Gäbler zieht ein nachdenkliches Fazit seiner journalistischen Beobachtung unzähliger “Querdenker”- und Coronaleugner-Demos, bei dem er sich auch unangenehmen Fragen stellt: “Heute, wo ‘Querdenken’ massiv an Zulauf verliert, frage ich mich: habe ich das ganze von Anfang an überschätzt? Ist ‘Querdenken’ nur ein Misthaufen in der Geschichte – und ich habe sie mit meiner Twitter-Reichweite auch noch bekannter gemacht?”

6. Georg Thiel: Der Mann, der ins Gefängnis ging, um “GEZ-Rebell” zu werden
(uebermedien.de, Susanne Lang)
Als “GEZ-Rebell” feiert die “Bild am Sonntag” den 53-Jährigen Georg Thiel, der “lieber in den Knast ging, als jeden Monat 17,50 Euro GEZ-Gebühren zu zahlen”. Eine Behauptung, die zwar nicht ganz falsch sei, bei der aber eine wichtige Information ausgeblendet werde: “Thiel hätte seine Inhaftierung selbst verhindern können. Er hätte dafür nicht einmal die Beiträge plus Bußgelder begleichen, sondern bloß seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.” Susanne Lang hat den Vorgang aufgearbeitet, der von verschiedenen Seiten – vor allem von rechtsaußen – für die eigene Agenda instrumentalisiert wird.

Bild.de zeigt kollabierten Christian Eriksen

Beim Gruppenspiel der Fußball-Europameisterschaft zwischen Dänemark und Finnland ist der Däne Christian Eriksen auf dem Platz zusammengebrochen, lebensrettende Maßnahmen waren nötig. Laut Uefa ist Eriksen inzwischen wieder in einem stabilen Zustand, er befindet sich im Krankenhaus.

Während er auf dem Platz behandelt wurde, stellten sich Eriksens Mitspieler um ihn herum. Bild.de schreibt dazu in einer Bildunterschrift:

Schützend stehen die Dänen-Profis vor den medizinischen Maßnahmen an Eriksen

Als er vom Platz getragen wird, wird extra ein Sichtschutz aufgebaut. Bild.de:

Eriksen wird geschützt von Decken vom Platz getragen

Und obwohl sie weiß, dass alles mögliche dafür getan wurde, um den Spieler vor Blicken und Kameras zu schützen, zeigt die “Bild”-Redaktion online auf der Startseite ein großes Foto des gerade reanimierten Christian Eriksen auf der Trage:

Screenshot Bild.de - Nach Wiederbelebung auf dem Platz - Dänen-Star Eriksen stabil im Krankenhaus

Die Unkenntlichmachung stammt von uns, auf der Bild.de-Startseite, im Bild.de-Artikel und in einer “Bild-live”-Sondersendung ist Eriksens Gesicht unverpixelt zu sehen. t-online.de und n-tv.de verwenden die Aufnahme ebenfalls.

Zuvor hatte die “Bild”-Redaktion auch schon die ersten Momente nach Eriksens Zusammenbruch gezeigt: Auf einem Foto liegt der 29-Jährige regungslos auf dem Boden, seine Mitspieler sind zu ihm geeilt, einer von ihnen beugt sich runter und schaut nach, was mit Eriksen los ist. Die Aufnahme veröffentlichte die Redaktion in einem Artikel bei Bild.de und bei Twitter:

Screenshot eines Tweets der Bild-Redaktion - Grausame Bilder bei der EM: Dänemark-Star kämpft um sein Leben
(Diese Unkenntlichmachung ist ebenfalls von uns.)

Auch dieses Foto haben die “Bild”-Leute ohne jegliche Verpixelung veröffentlicht. Den Tweet haben sie inzwischen gelöscht, das Foto bei Bild.de ersetzt – durch jenes, das Christian Eriksen auf der Trage zeigt.

Nachtrag, 13. Juni: Noch als Ergänzung: Neben den oben genannten Aufnahmen veröffentlichte Bild.de auf der Startseite auch ein Foto auf dem aus etwas Entfernung die Reanimation zu sehen ist. Dazu die Überschrift: “Grausame Bilder bei der EM – Dänemark-Star kämpft um sein Leben”. “Der Westen” zeigt ein ähnliches Foto, auf dem auch Eriksens schockierte Mitspieler zu sehen sind, die sich als Sichtschutz vor ihren Teamkollegen positioniert haben, und schreibt dazu: “Spieler und Fans konnten nicht hinsehen, als Christian Eriksen wiederbelebt wurde.”

KW 23: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Wie kann man noch aus Belarus berichten?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 36:57 Minuten)
Holger Klein hat sich mit Demian von Osten unterhalten, dem Korrespondenten im Moskauer ARD-Studio, der als einer der wenigen Journalisten überhaupt noch aus Belarus berichten kann und darf. Wie lässt es sich in einer Diktatur als Journalist arbeiten, und welche Folgen haben die Einschränkungen für von Ostens Arbeit? Der ARD-Reporter antwortet abwägend: “Die Menschen vor Ort stehen viel mehr unter Druck als wir. Das Schlimmste, was mir passieren kann, als privilegiertem Westeuropäer, ist, dass ich ausgewiesen werde und die Akkreditierung verliere. Aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen, dass man es riskieren würde, jetzt einen westlichen Journalisten ewig lang festzuhalten und sozusagen als Geisel zu benutzen.”

2. MW166 – die Rückkehr des Claas Relotius
(soundcloud.com, Medien-Woche, Christian Meier & Stefan Winterbauer, Audio: 56:15 Minuten)
In der aktuellen Folge des Podcasts “Die Medien-Woche” sprechen Christian Meier und Stefan Winterbauer schwerpunktmäßig über das “Reportagen”-Interview mit Claas Relotius (nur nach Registrierung lesbar): Was folgt daraus? Wie ist es einzuschätzen? Und ist das Kapitel Relotius für den Journalismus damit erledigt? Im Gespräch entstehen gute Gedanken und weiterführende Fragen, die auch den Kern des ursprünglichen Skandals betreffen.

3. Zwei Herren mit Hund #68: Das Medium unterwirft sich
(podcastc82418.podigee.io, Audio: 50:00 Minuten)
In der neuesten Ausgabe von “Zwei Herren mit Hund” beschäftigen sich Werbefachmann Thomas Koch und TV-Experte Kai Blasberg unter anderem mit den Veränderungen bei RTL sowie ProSieben und Sat.1. Die Sender schrauben an ihrem jeweiligen Image und wollen ernster werden. Aber den zwei Herren geht es auch um die Öffentlich-Rechtlichen: Vor allem dem ZDF werfen sie eine “Quotenfixierung” vor – das Zweite verhalte sich wie ein Privatsender.

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4. ARD und ZDF reformieren – so plant die Politik
(youtube.com, Zapp – Das Medienmagazin, Video: 29:49 Minuten)
“Zapp”-Autor Daniel Bouhs hat die Verantwortlichen für Medienpolitik nach der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befragt: Was ist zeitgemäß? Und was kann nach gut 70 Jahren ARD weg? In den Staatskanzleien kursiere bereits ein erster grober Entwurf für einen neuen Medienstaatsvertrag. Demnach sollen sich die Sender stärker abgrenzen von den Privaten und teilweise selbst entscheiden, welche Kanäle sie noch klassisch bespielen und welche nicht.

5. Wahl in Sachsen-Anhalt und Medien-Druck auf Sportler
(wdr.de, Sebastian Sonntag, 41:01 Minuten)
Im WDR5-Medienmagazin geht es um folgende Themen: Wenn aus Umfragen Schlagzeilen werden; “Ostdeutsche Perspektiven fehlen”; Sportler unter medialem Druck; Vorsicht bei Cookie-Abfragen; Mit Sehbehinderung auf Instagram; Medienphänomen Kim Kardashian. Und natürlich gibt es zum Schluss, wie gewohnt, die Medienschelte. Diesmal heißt es dort: “Sommer, Sonne, Sendepause”.

6. Wie Lanz “reihenweise Leute auseinanderf*ckt”
(youtube.com, Walulis Story, Video: 15:11 Minuten)
Philipp Walulis preist den ZDF-Talkmaster Markus Lanz: “Der Moderator wurde lange als Witzfigur verschrien, aber spätestens seit dem Armin-Laschet-Interview ist er Talkmaster Nummer eins in Deutschland.”

“It may also be wrong data”, aber “Bild” ist sich schon sicher

Vergangene Woche kramten die gedruckte “Bild” und Bild.de einen China-Besuch der Bundeskanzlerin aus dem Archiv:

Ausriss Bild-Zeitung - Asien-Reise im September 2019 - Als Merkel Wuhan besuchte, war die Seuche schon im Anflug

Damals, im September 2019, hatten die allermeisten Menschen auf diesem Planeten wohl noch nie etwas von Coronaviren gehört, die Begriffe “Corona” und “Astra” vermutlich vor allem mit Biermarken in Verbindung gebracht. “Bild” fragt sich nun:

Grassierte Corona schon, als die Kanzlerin in Wuhan war?

Kurze Antwort: Es ist kompliziert. Manche Wissenschaftler sind der Ansicht, dass es schon deutlich früher Fälle von Corona-Infektionen gegeben haben könnte als allgemein bekannt. Eine italienische Studie, die nahelegt, das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 sei schon im September 2019 in Italien unterwegs gewesen, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Peter Forster, der an einer phylogenetischen Analyse des Virus beteiligt gewesen ist, ist laut Deutsche Welle der Ansicht, dass es “zwischen Mitte September und Dezember 2019 zu einer erfolgreichen Ausbreitung beim Menschen gekommen sein muss”. Auch Forsters Untersuchung ist unter Wissenschaftlern umstritten.

Während die Wissenschafts-Community also noch diskutiert, sind sie sich bei “Bild” schon sicher: Im September 2019 habe sich “eine 61-jährige Frau in Wuhan” mit Corona infiziert – “nur 1500 Meter vom virologischen Institut entfernt”, schreibt die Redaktion.

Sie bezieht sich dabei auf einen Text aus dem britischen Boulevardblatt “Daily Mail”. Denn das berichtet von einem Interview der chinesischen Zeitschrift “Health Times” mit einem chinesischen Wissenschaftler, das kurz nach der Veröffentlichung von der staatlichen Zensur kassiert worden sein soll. Die “Daily Mail” erwähnt in ihrem Artikel drei mögliche Corona-Fälle, die in diesem Interview zur Sprache kommen sollen: zwei im November 2019, einer im September desselben Jahres. Zum Fall im September geht aus dem Text der “Daily Mail” allerdings weder das Geschlecht der betroffenen Person noch deren Wohnort oder Alter hervor.

Es scheint, als hätte die “Bild”-Redaktion den Text der “Daily Mail” schlicht nicht richtig gelesen: Darin ist durchaus die Rede von einer 61-jährigen Patientin, die angeblich in der Nähe eines Labors in Wuhan lebte. Dabei handelt es sich laut “Daily Mail” aber um einen der Fälle aus dem November 2019. Diese Patientin vermischt “Bild” einfach mit dem angeblichen Verdachtsfall aus dem September 2019. Inhaltlich also schon mal falsch, aber dafür laut “Bild” ganz sicher:

Am Wochenende enthüllte die britische Zeitung “Daily Mail”, dass sich bereits am 29. September eine 61-jährige Frau in Wuhan mit Corona infizierte. Nur 1500 Meter vom virologischen Institut entfernt.

Was bei “Bild” mit keinem Wort zu lesen ist: Die “Daily Mail” schreibt bei allen drei Fällen von “suspected cases”, Verdachtsfällen also, bei denen nicht gesichert ist, ob es sich tatsächlich um Corona-Fälle handelt. Besonders deutlich wird das beim angeblichen Fall aus dem September 2019, aus dem die “Bild”-Redaktion ihre Schlagzeile ableitet, und zu dem die “Daily Mail” den chinesischen Wissenschaftler mit der Aussage zitiert, dass die infizierte Person nicht getestet worden sei. Und: “The data has not been confirmed”. (Übrigens, kurzer Exkurs: Bild.de und auch bz-berlin.de betiteln weitere Texte zum “Daily-Mail”-Bericht mit: “China wusste schon seit September 2019 von Corona”. Nur gibt der “Daily-Mail”-Artikel eine derartige Schlussfolgerung gar nicht her – sondern sagt lediglich, dass ein Wissenschaftler nachträglich einen Verdachtsfall im September 2019 identifiziert haben soll.)

Und auch die “Daily Mail” lässt eine wichtige Aussage des chinesischen Wissenschaftlers weg. Das Blatt bezieht sich in seinem Artikel auf ein Mitglied der Recherchegruppe “Drastic”. Dieser Blogger sagt, er habe zumindest Teile des inzwischen zensierten Interviews der chinesischen Zeitschrift sichern können (Hinweis: Die Echtheit des Interviews beziehungsweise der Übersetzung durch das “Drastic”-Mitglied können wir nicht verifizieren). Darin auch eine nicht ganz unbedeutende Einordnung, die weder in der “Daily Mail” noch bei “Bild” zu lesen ist: “It may also be wrong data”, zitiert die chinesische Zeitschrift laut “Drastic” den Wissenschaftler, der damit die Daten der möglicherweise infizierten Person aus dem September 2019 meint.

Im “Bild”-Artikel kommt außerdem noch der renommierte Nano-Physiker Roland Wiesendanger (der sich allerdings bis zur Coronapandemie noch nie wissenschaftlich mit Viren befasst hat) zu Wort, der davon ausgeht, dass sich das Coronavirus schon im September 2019 in Wuhan verbreitet hat. “Bild” verweist auf eine Veröffentlichung Wiesendangers, die allerdings umstritten ist, weil sie, so der Vorwurf, nicht wissenschaftlichen Standards entspreche und beispielsweise keinen Peer-Review durchlaufen hat. Wiesendanger greift in seinem Paper die sogenannte Labortheorie auf, die davon ausgeht, das Coronavirus komme aus einem Labor in Wuhan. Das Dekanat der Uni Hamburg, an der auch der Physiker tätig ist, distanzierte sich von dem Papier und sprach sich dagegen aus, es überhaupt als “Studie” zu bezeichnen, sondern eher als “nichtwissenschaftlichen Aufsatz oder Meinungsäußerung”.

Das heißt nicht, dass die Labortheorie widerlegt wäre. Es gibt aber momentan eben keine handfesten Beweise dafür (und plausibel klingende Argumente dagegen). Um mehr Klarheit zu schaffen, hat US-Präsident Joe Biden unlängst die US-amerikanische Intelligence Community beauftragt zu untersuchen, ob das Virus aus einem Labor stammt. Die “Bild”-Redaktion ist sich hingegen schon jetzt ziemlich sicher:

Doch nun wurde bekannt: Corona wütete bereits lange VOR den offiziellen Meldungen in Wuhan.

Weil das Virus offenbar nicht – wie von Peking behauptet – plötzlich vom Tier auf den Menschen übersprang, sondern aus dem Labor kam.

Die US-Geheimdienste sind sich über den Ursprung des Virus hingegen nicht im Klaren, wie Joe Biden in einer Presseerklärung bekannt gab. Aber vielleicht ist die “Bild”-Redaktion der CIA ja auch einfach zwei Schritte voraus.

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Unglaubliche Podcast-Umfragen, Staatstrojaner, Kreml unsportlich

1. Russland verweigert ARD-Journalist Zugang zu EM-Spielen
(sueddeutsche.de)
Dem ARD-Journalisten Robert Kempe wurde nach Angaben des WDR die Zulassung zu den Fußball-EM-Spielen in St. Petersburg entzogen. Anscheinend ist man im Kreml äußerst nachtragend: Kempe hatte in der Vergangenheit kritisch über die WM 2018 in Russland und über das Wirken des Internationalen Olympischen Komitees berichtet. Für den Reporter sei es nicht das erste Mal, dass ihm die Berichterstattung bei Sportereignissen erschwert beziehungsweise unmöglich gemacht wird. Vor ein paar Jahren habe ihm Bahrain die Einreise und den Besuch eines anderen Fußball-Events verweigert.

2. RSF strebt Verfassungsbeschwerde an
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen (RoG) hat Verfassungsbeschwerde gegen den gestern im Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition genehmigten Einsatz von Staatstrojanern angekündigt: “Ungeachtet aller Warnungen der Sachverständigen wollen die Regierungsfraktionen nun allen Nachrichtendiensten die Möglichkeit zum Hacking vertraulicher Kommunikation und Daten einräumen. Journalistinnen und Journalisten schließen sie dabei als potenzielle Ziele bewusst nicht aus”, so RoG-Geschäftsführer Christian Mihr: “Einen so massiven Angriff auf die Vertraulichkeit journalistischer Recherchen und die Anonymität von Quellen dürfen wir nicht hinnehmen.”

3. Unglaubliche Umfragen und trickige Schlüsse
(verdi.de, Kai Rüsberg)
Der Podcastmarkt ist schwierig einzuschätzen und noch schwieriger zu messen, da es verschiedenste Verbreitungswege und Plattformen gibt. Der Erfolg von Podcasts werde daher gerne über Umfragen von Meinungsforschungsinstituten wie YouGov abgefragt. Kai Rüsberg sind dabei interessante Dinge aufgefallen: Die “Wirtschaftswoche” habe in ihrer Kolumne “Digitale Welt” wortwörtlich YouGov-Formulierungen verwendet, und das sei in diesem speziellen Fall besonders bemerkenswert, so Rüsberg: “Wer ist Autor? Unglaublich: Philipp Schneider, Kolumnist der Wiwo ist Marketing-Chef bei YouGov.”

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4. “Natürlich wird es satirische Angebote weiterhin geben”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 7:59 Minuten)
Am 1. Januar 2023 soll der neue Medienstaatsvertrag in Kraft treten. Dirk Schrödter (CDU) war als Chef der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein von Anfang an beteiligt am Gesetzentwurf und sei “für mehr Information, Bildung und Kultur und weniger Unterhaltungsangebote”. Der Deutschlandfunk hat mit Schrödter über die anstehenden Änderungen des Staatsvertrags gesprochen.

5. “Klima Update”: RTL arbeitet für neues Format mit Klimainitiative zusammen
(rnd.de)
Der Privatsender RTL strahlt ab dem 8. Juli zweimal wöchentlich das Format “Klima Update” aus. Das Format soll in Partnerschaft mit der Zeitschrift “Geo” und der im August 2020 gegründeten Initiative “Klima vor acht” entstehen. Letztere hatte sich bei der ARD lange Zeit vergeblich für ein eigenes Klimaformat eingesetzt.

6. Wo keine Villa ist, ist auch kein Weg
(uebermedien.de, Olivier David)
Nach langem Kampf sollen ab dem 1. Juli alle ZDF-Praktika mit 350 Euro pro Monat vergütet werden. Immer noch zu wenig, findet Olivier David: “Liebe Kolleg*innen des ZDF, ich habe eine schlechte Nachricht für euch: Wer Vielfalt will, sollte bereit sein mehr zu zahlen als die Miete eines 13 Quadratmeter großen Zimmers in Mainz-Bretzenheim.”

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