Josef Nyary kann so einiges: Der Mann, der bei “Bild” die Polit-Talkshows im TV guckt und dann darüber schreibt, kann Zitate so aus dem Zusammenhang reißen, dass aus Greta Thunberg eine Atomkraft-Aktivistin wird. Er kann Kehrtwenden hinlegen wie sonst nur Franz Josef Wagner. Und er kann sich völlig verblüfft zeigen über Aussagen, die eigentlich niemanden überraschen dürften.
Und er konnte gar nicht glauben, was Harbeck gleich zu Beginn der Sendung sagte. Unter der Zwischenzeile “Merkwürdigste Formulierung” schreibt der “Bild”-Autor:
Über den Einsatz der Bundeswehr sagt der Grüne: “Die Soldaten und Soldatinnen, die da gekämpft haben, müssen sich auch im Stich gelassen fühlen. Die Leute, die dort gestorben sind, Kameraden verloren haben, Leid erlebt haben und Leid zugefügt haben, auch die stehen ja jetzt vor dem Trauma, dass alles umsonst gewesen ist.”
Wie bitte? Wem haben die deutschen Soldaten denn “Leid zugefügt”? Dazu leider keine Nachfrage aus der Runde.
Nyarys Verwunderung ist verwunderlich. Es gab zahlreiche zivile Opfer beim langen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Vor allem bei der von der Bundeswehr veranlassten Bombardierung zweier Tanklaster in der Nähe von Kunduz im September 2009. Die Anzahl der damals Getöteten und Verletzten schwankt je nach Quelle. Sie liegt aber meist bei etwa 100 Menschen, darunter viele Zivilisten und wahrscheinlich auch Kinder und Jugendliche. Auch wenn es Josef Nyary nicht glauben kann – dass deutsche Soldaten Afghanen “Leid zugefügt” haben, zeigen nicht zuletzt die (freiwillig) gezahlten Entschädigungen Deutschlands an afghanische Familien.
Mit Dank an Oliver O. für den Hinweis!
Nachtrag, 31. August: Wie wir oben bereits geschrieben haben, schwankt die Anzahl der beim Luftangriff bei Kunduz Getöteten und Verletzten je nach Quelle. Ein BILDblog-Leser wies uns darauf hin, dass zwei Richter des Bundesgerichtshofs, wo es ein Verfahren zu dem Vorfall gab, von lediglich 30 bis 40 Opfern ausgehen, größtenteils Taliban und nicht Zivilisten. Sie beziehen sich unter anderem darauf, dass ISAF-Soldaten vor Ort Spuren von nur zwölf bis 13 getöteten Menschen gefunden hätten. Doch auch das ist kein sicherer Beweis. Der Generalbundesanwalt zum Beispiel schreibt, dass vor Eintreffen der Soldaten “die Leichen durch Einheimische und Waffenreste durch die afghanische Polizei bereits abtransportiert worden” waren.
1. RSF erinnert an verschwundene Journalisten (reporter-ohne-grenzen.de)
Anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Verschwundenen erinnert Reporter ohne Grenzen (RSF) an Medienschaffende, die zum Teil schon vor Jahrzehnten spurlos verschwunden sind. “Die Praxis des Verschwindenlassens soll Medienschaffende einschüchtern; es ist ein perfides Mittel, um kritische Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen”, so RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske: “Die meisten der seit Jahrzehnten zurückliegenden Fälle wurden bis heute nicht aufgeklärt.”
2. “Bild” wirbt mit Armin Laschet für neuen TV-Sender – Kritik in sozialen Medien (rnd.de)
Die “Bild am Sonntag” veröffentlichte am Wochenende eine ganzseitige Werbeanzeige für den Fernsehsender “Bild TV”. Prominentes Testimonial: der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Dies wurde vor allem in den Sozialen Medien stark kritisiert. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagte ein CDU-Sprecher: “Es gab von ‘Bild am Sonntag’ weder eine Anfrage für das Motiv, noch ist die Werbeanzeige von der CDU freigegeben worden.” Auf Twitter kommentiert der “6-vor-9”-Kurator: “In passiv-aggressivem Tonfall kommentiert die CDU, die ‘Bild’-Werbung mit Laschet sei nicht genehmigt worden. Nur mal ne Frage, CDU: Wen habt Ihr für Laschets Imagepflege angeheuert? Ja, genau: Ex-‘Bild’-Chefin Tanit Koch. Also spart Euch die Krododilstränen und das Opfer-Getue.”
3. Wortungetüme und Bandwurmsätze – Wahlprogramme laut Studie unverständlich (heise.de)
Die Wahlprogramm-Texte aus den Parteizentralen seien einer Studie (PDF) zufolge zwar so umfangreich wie nie zuvor – sie würden sich aber auch so schwer verstehen lassen wie kaum andere in der bundesdeutschen Geschichte. In den Programmen, so die Studienautoren der Universität Hohenheim, fanden sich Wortungetüme und Bandwurmsätze mit bis zu 79 Wörtern. Am formal verständlichsten sei laut “Hohenheimer Verständlichkeitsindex” das Wahlprogramm der Partei Die Linke, den letzten Platz belegen die Grünen.
4. Historisches Fingerspitzengefühl (taz.de, Sabine Seifert)
Engelbert Reineke war von 1966 bis 2004 als Fotograf im Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung tätig, davon 36 Jahre fest angestellt. “taz”-Redakteurin Sabine Seifert hat die berufliche Karriere Reinekes nachgezeichnet und ihn am Ende gefragt, wie er Angela Merkel fotografieren würde: “Erst mal gar nicht, sagt Reineke. Sie möge sich von ihren Pflichten erholen, den Ruhestand genießen. Fotografieren würde er sie dann nach ihrem 75. Geburtstag, das wäre im Jahr 2029. An der Ostsee bei schmuddeligem Wetter.”
5. Eine kleine Geschichtsstunde für Springer (freitag.de, Karsten Krampitz)
Karsten Krampitz hat Texte von Sven Felix Kellerhoff, dem leitenden Redakteur Geschichte der “Welt”, gelesen und ist entsetzt. Bei der Springer-Tageszeitung wisse man nicht, wie Rosa Luxemburg aussah, und verbreite Falsches über einen verstorbenen SPD-Spitzenpolitiker: “Entweder hat der Kollege Kellerhoff völlig neue Quellen aufgetrieben – oder er verbreitet Lügen über einen toten SPD-Spitzenpolitiker, dessen Partei im Bundestagswahlkampf langsam aufholt.”
6. Tor, Tor, Tor: Fußball, Radio und viele Bilder im Kopf (dwdl.de, Jochen Rausch)
Viele empfinden die Fußball-Live-Reportage als Königsdisziplin für Radio-Reporter und -Reporterinnen, vor allem wenn es über die volle Spiellänge geht. Jochen Rausch huldigt dem Genre, ist sich aber nicht sicher, wie es weitergeht: “Welche Rolle Audio in der digitalen Zukunft spielen wird, ist schwer einzuschätzen, es hängt unter anderem auch davon ab, wer die Verwertungsrechte hält, ob die Fans das Audioangebot in ausreichender Zahl wahrnehmen und sich Live-Events als digitale Audio-Produkte durchsetzen können, wie sich das Image des Profi-Fußballs generell entwickelt.”
Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!
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1. Journalismus in Afghanistan (inforadio.de, Jörg Wagner, Audio: 15:40 Minuten)
Im “Medienmagazin Spezial Afghanistan” des rbb geht es um die Rolle der in- und ausländischen Medien in den vergangenen rund 20 Jahren. Jörg Wagner hat dazu mit Willi Steul gesprochen, der zeitgleich mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 ARD-Sonderkorrespondent in Afghanistan geworden war.
Weitere Hörtipps: Im Schweizer “Republik”-Podcast analysiert “Republik”-Autor Emran Feroz die dramatische Lage in Afghanistan: “Es gibt international keinen anderen Weg mehr, als mit den Taliban zu reden” (republik.ch, Marguerite Meyer, Audio: 36:20 Minuten). Und auch beim WDR5-Medienmagazin geht es in einem Beitrag um das Thema Afghanistan: Bangen um afghanische Ortskräfte; Schwieriges Berichten aus Kabul (wdr.de, Anja Backhaus, Audio: 41:21 Minuten). Außerdem interessant: Frauen in Afghanistan: Wie kann man Journalistinnen, Filmemacherinnen, Bloggerinnen schützen? (br.de, Audio: 28:00 Minuten). Und beim Deutschlandfunk kommt Saad Mohseni zu Wort, Chef der Moby Group, dem größten privaten Medien- und Nachrichtenunternehmen in Afghanistan: “Wir haben viele Mitarbeitende verloren” (deutschlandfunk.de, Katja Bigalke & Martin Böttcher, Audio: 17:27 Minuten).
2. Diskurs zur Wahl (play.acast.com, Audio)
In der Podcastreihe “Diskurs zur Wahl” geht es um die Frage, ob und wie der Wahlkampf 2021 von Online-Hass und Falschinformationen beeinflusst wird. Dazu spricht Gilda Sahebi mit Expertinnen und Experten aus Medien, Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft. Mittlerweile stehen sechs Folgen zur Verfügung, weitere vier sollen noch erscheinen.
3. BILD TV: Wie Julian Reichelt mit Emotionen Fernsehen macht (ndr.de, Daniel Bouhs, Video: 16:26 Minuten)
“Bild” hat einen eigenen Fernsehsender gestartet. Daniel Bouhs hat für das Medienmagazin “Zapp” hinter die Kulissen geschaut und mit “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt sowie “Bild-TV”-Programmchef Claus Strunz darüber geredet, mit welcher Strategie der neue Kanal andere Sender angreift. Bei dem früheren “Bild”-Journalisten Georg Streiter und dem ehemalige n-tv-Geschäftsführer Hans Demmel hält sich die Begeisterung über “Bild TV” in Grenzen. Streiter sieht ein großes Problem: “Es ist ein Verdienst der ‘Bild’-Zeitung, dass sie AfD-Politiker nie groß rausbringt, aber sie sprechen die Sprache der AfD.”
4. “Kulturzeit extra: Gefahr aus dem Netz – Wege, die Macht von Facebook, Twitter und Co. zu brechen” (3sat.de, Vivian Perkovic, Video: 38:04 Minuten)
Facebook, Twitter und Co. machen Daten zu ihrem Geschäft. Was wäre alles zu erreichen, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Hoheit über ihre Daten wieder übernähmen? Ein “Kulturzeit extra” berichtet über erfolgreiche Alternativen. Mit im Studio dabei: Michael Seemann, Kulturwissenschaftler, Sachbuchautor und Journalist.
5. Wie habt ihr Krautreporter neu erfunden, Leon Fryszer? (wasmitmedien.de, Daniel Fiene & Sebastian Pähler, Audio: 50:35 Minuten)
Das Online-Magazin “Krautreporter” hat in den vergangenen Jahren Höhen und Tiefen erlebt. Leon Fryszer ist seit 2020 “Krautreporter”-Vorstand und verrät bei “Was mit Medien”, wie sich die “Krautreporter” neu erfunden haben, was er über durch Mitgliedschaften finanzierte Medienangebote gelernt hat, und was die “Krautreporter” für die Zukunft planen.
6. Die Zerstörung der ARD Mediathek (youtube.com, Walulis Story, Philip Walulis, Video: 15:16 Minuten)
Schlechte Suchmöglichkeiten, abbrechende Streams, keine Livefunktion, ein fehlender Abo-Button, Ausweispflicht für FSK16-Inhalte … “Wir finden, es ist Zeit, mal en Detail zu klären, warum die ARD-Mediathek so scheiße ist. Und wir wollen wissen, wer ist schuld. Wer hat dieses Desaster zu verantworten?” Philipp Walulis und sein Team klären die Sache mit einem Beitrag, der Anklage und Verteidigung in einem ist.
1. US-Armee schiebt SPIEGEL-Reporter aus Kabul ab (spiegel.de)
Der “Spiegel”-Reporter und Afghanistan-Spezialist Christoph Reuter ist nach Kabul gereist, um über die Situation in Afghanistan zu berichten. Doch wenige Stunden nach seiner Ankunft am Flughafen habe die US-Armee ihn (und zwei weitere deutsche Journalisten) gegen seinen Willen vom Kabuler Flughafen nach Doha ausgeflogen. “Spiegel”-Chefredakteur Steffen Klusmann protestiert: “Es kann nicht sein, dass Journalisten von staatlichen Stellen an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden.”
2. Journalist oder Gaffer mit Kamera? (deutschlandfunk.de, Thomas Wagner, Audio: 5:16 Minuten)
Warum erschleichen sich immer wieder falsche Blaulicht-Reporter den Zugang zu Unfällen oder Katastrophenereignissen und behindern dort nicht selten die Arbeit der Einsatzkräfte? “Der Reiz ist natürlich schwer an die Aufmerksamkeit gekoppelt, die man damit generieren kann”, sagt Jan Söffner, Professor für Kulturtheorie und Kulturanalyse an der Universität Friedrichshafen: “Wer Aufmerksamkeit hat, hat viele Facebook-Freunde und viele Likes. Sicherlich spielt aber auch eine Rolle, dass man Held sein will: Der Adrenalin-Spiegel steigt, wenn man nah an so etwas rangeht. Man will wichtig sein.”
3. Rekordsumme für Politico (sueddeutsche.de, Björn Finke)
Der Medienkonzern Axel Springer erwirbt das US-amerikanische Nachrichtenunternehmen “Politico”. Der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner habe den Deal laut “Handelsblatt” als “vom Volumen her die größte Akquisition” in der Geschichte des Unternehmens bezeichnet. Demnach müsste “Politico” mehr als 630 Millionen Euro gekostet haben – so teuer kam dem Springer-Konzern der Kauf des französischen Immobilienportals “SeLoger”.
4. Ein Medienjournalist berichtet: Wie Bertelsmann kritische Recherchen verhindern wollte (kress.de)
Im Juni erschien bei Bertelsmann ein Buch über den “Jahrhundertunternehmer” Reinhard Mohn, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Aus Sicht des Journalisten und Mohn-Kenners Thomas Schuler zeige das Buch neue Details aus Mohns Leben, es verschweige aber vieles. Für den “Wirtschaftsjournalist” hat Schuler aus diesem Anlass aufgeschrieben, wie der Konzern häufig versucht habe, seine Recherchen zu behindern. kress.de veröffentlicht einen Auszug aus seinem Text.
Bei “Übermedien” ist bereits vor einigen Tagen ein weiterer Text von Thomas Schuler zur neuen Reinhard-Mohn-Biografie erschienen: Bertelsmann klittert schon wieder die eigene Geschichte.
5. “Die Zeit der Katzenvideos ist lange vorbei!” (chrismon.evangelisch.de, Christine Holch & Nils Husmann)
“Chrismon” hat sich mit der Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim und der Virologin Melanie Brinkmann zum Gespräch getroffen. Wie muss Wissenschaftsvermittlung aussehen, damit so gut wie alle Menschen etwas verstehen? Sind Youtube-Videos ein besseres Format dafür als Talkshows? Und was haben die beiden Wissensvermittlerinnen während der Pandemie über die Menschen hierzulande gelernt?
6. Werden Influencer jetzt politisch? (freitag.de, Wolfgang M. Schmitt)
Wolfgang M. Schmitt steht dem Influencertum normalerweise kritisch gegenüber, findet jedoch lobende Worte für das neueste Video des Youtubers Rezo: “Während Rezo sonst nur Quatsch sendet, gönnt er sich alle zwölf Monate politische Aufklärung. Immerhin. Diesen journalistischen Anspruch haben seine Kollegen allesamt nicht. Als politisch geltende Influencer wie Louisa Dellert oder Diana zur Löwen – sie geben sich pseudo-politisch, arbeiten dezidiert nicht journalistisch. Sie verknüpfen bloß ihre gefilterte ‘Personality’ mit Lifestyle-Politik und sonnen sich bei lammfrommen Politikerinterviews im Glanz des Ruhms.”
Im Suicide Club, einem Berliner Techno-Club, wurde in der Nacht zum vergangenen Montag eine Frau aus Irland regungslos auf einer Toilette gefunden. Sie starb später in einem Krankenhaus. Angeblich soll sie zuvor die Partydroge GHB, auch bekannt als Liquid Ecstasy, genommen haben, was die Polizei bisher aber nicht offiziell bestätigt hat.
1. Drohungen und Gewalt gegen Journalisten (reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen hat schlechte Nachrichten aus Afghanistan, was die Pressefreiheit anbelangt: “Seit der Machtübernahme der Taliban haben rund 100 private Lokalmedien insbesondere in den Provinzen fernab der Hauptstadt ihre Arbeit eingestellt. Die Zukunft der in den vergangenen 20 Jahren entstandenen lebendigen und durchaus pluralen Medienlandschaft Afghanistans mit Dutzenden TV- und Radiosendern und nahezu 200 Printmedien ist mehr als ungewiss.” Auf der Rangliste der Pressefreiheit (PDF) steht Afghanistan derzeit auf Platz 122 von 180 Staaten.
2. Wer gut fragt, wird weise (deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:10 Minuten)
Die öffentlich-rechtlichen TV-Moderatorinnen Marietta Slomka und Tina Hassel haben ihre Interviewgäste jüngst mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Doch während es für Slomka im Nachgang vor allem Lob gab, regnete auf Hassel Kritik nieder. In seiner Deutschlandfunk-Glosse schreibt Arno Orzessek darüber, was Fragen über die Fragenden verraten: “Wären die Interviews ein TV-Fernduell gewesen, Slomka hätte Hassel haushoch besiegt. Aber lässt sich daraus mehr ableiten, als dass der Tonfall auch beim Fragen-Stellen die Musik macht? Der Schriftsteller Nagib Mahfus meinte, ob ein Mensch klug ist, erkenne man an seinen Antworten, ob er er weise ist, an seinen Fragen.”
3. Rechtsextreme Inhalte schön verpackt (belltower.news, Kira Ayyadi)
Schon seit einiger Zeit haben Aktivistinnen der rechtsextremen Szene Instagram als Propaganda- und Rekrutierungsplattform für sich entdeckt. Kira Ayyadi erklärt, wie die Rechtsinfluencerinnen ihre Inhalte mit Backtipps, Flechtfrisuren und Landschaftsbildern verpacken. Und sie macht auf eine Besonderheit aufmerksam: “Influencerinnen richten sich auf Instagram normalerweise an eine weibliche Zielgruppe. Nicht so jedoch rechtsextreme Influencerinnen, sie sprechen sowohl Frauen wie auch Männer an.”
4. Daten “zum Wucherpreis” (taz.de, Christian Rath)
Die österreichische Datenschutzorganisation noyb (Slogan: “My Privacy is None of Your Business”) des Wiener Aktivisten Max Schrems hat gegen mehrere deutsche Onlineportale wie Spiegel.de, “Zeit Online” und FAZ.net Beschwerde erhoben. Die Leser und Leserinnen würden gezwungen, ihre Daten “zum Wucherpreis” zurückzukaufen, so der Vorwurf. Christian Rath, rechtspolitischer Korrespondent der “taz”, glaubt jedoch nicht an einen Erfolg der Beschwerde.
5. Mode oder Medienwandel? (sueddeutsche.de, Stefan Fischer)
Die Otto-Brenner-Stiftung hat den deutschen Podcast-Markt untersuchen lassen. Dieser stehe vor entscheidenden Weichenstellungen. Stefan Fischer fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Tipp des “6-vor-9”-Kurators: Wer sich für das Thema interessiert, aber nur begrenzt Zeit hat, sollte sich das Fazit der Studie im Original (PDF) durchlesen. Darin geht es unter anderem um die Frage, wie sich die zeitgenössische Podcast-Kultur bewahren lässt. Außerdem gibt es einen strategischen Ausblick.
6. Die “NDR Talk Show” und die Sprache der jungen Generation (dwdl.de, Alexander Krei)
Die mehr als 40 Jahre alte “NDR Talk Show” hat vergangenes Jahr einen jungen Ableger bekommen: Bei “deep und deutlich” geht es vor allem um Influencerinnen und Influencer sowie Stars aus der Pop-, Kunst- und Kulturszene. Moderiert wird “deep und deutlich” von der Journalistin Aminata Belli, dem Rapper MoTrip, dem Moderator Tarik Tesfu und der Nachhaltigkeits-Influencerin Louisa Dellert. In der zweiten Staffel soll das Format noch enger an die “NDR Talk Show” heranrücken. Gesendet werde nämlich nicht nur in der ARD-Mediathek und in diversen Sozialen Netzwerken, sondern auch direkt im Anschluss an das große Schwesterformat.
Warnung: In diesem Beitrag geht es um einen Suizid.
Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichen kannst.
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Im aktuellen “Spiegel” ist eine große Geschichte über die letzten Tage im Leben von Kasia Lenhardt erschienen (online nur mit Abo lesbar). Die 25-Jährige nahm sich Anfang Februar dieses Jahres das Leben. Kasia Lenhardt war unter anderem durch eine Teilnahme in der TV-Show “Germany’s Next Topmodel” bekannt geworden. Im “Spiegel”-Text geht es auch um die Rolle ihres Ex-Freundes, Fußballprofi Jérôme Boateng, und die Bedeutung der dem Suizid vorangegangenen medialen Berichterstattung über die Trennung des Paares, vor allem die der “Bild”-Medien.
Die “Spiegel”-Autorinnen zitieren in ihrem Artikel auch einen Sprecher des Springer-Verlages:
Auf SPIEGEL-Anfrage erklärt ein Sprecher des Springer-Verlages, dass Boulevardmedien Themen “grundsätzlich anders, pointierter und emotionaler” aufbereiten. Dass Kasia Lenhardt bereits vor dem Erscheinen des Boateng-Interviews über soziale Netzwerke den Weg in die Öffentlichkeit gesucht habe. Dass man ihr mehrmals angeboten habe, sich auch in “Bild” zu äußern, doch sie sich nicht zu einer Stellungnahme habe entschließen können. Und weiter: “Aber so tragisch und bedauerlich der konkrete Fall auch ist, uns ist wichtig: Wer prominent ist und auf Plattformen wie Instagram private Dinge öffentlich macht, muss natürlich damit rechnen, dass Aussagen auch von Medien wie ‘Bild’ aufgegriffen werden.”
Viel stärker kann der Springer-Sprecher das Agieren der “Bild”-Medien nicht herunterspielen. Dass sie lediglich das aufgegriffen haben, was Kasia Lenhardt zuvor bei Instagram gepostet hat, stimmt schlicht nicht. Die “Bild”-Redaktion hat die Geschichte selbst immer weiter vorangetrieben, ihr Publikum mit immer neuem Schmutz über Lenhardt gefüttert: Sie hat private Nachrichten Lenhardts ohne deren Einverständnis veröffentlicht, sie hat unwidersprochen und ohne Einordnung Vorwürfe Boatengs abgedruckt, zu denen Medienrechtler sagen, dass sie einer Verleumdung gleichkommen, sie hat eine angebliche frühere Freundin das Model als miese Intrigantin darstellen lassen. Keinen dieser Aspekte hat Kasia Lenhardt zuvor bei Instagram veröffentlicht.
Weil sie sich beim Springer-Verlag an all das offenbar nicht mehr erinnern können (oder wollen), erinnern wir hier noch einmal daran, wie grässlich die “Bild”-Berichterstattung im Februar war.
Sucht man im Bild.de-Archiv nach den letzten Artikeln über Kasia Lenhardt vor deren Tod, sieht die Ergebnisliste so aus:
“JETZT WIRD’S SCHMUTZIG – Die privaten Nachrichten von Kasia an Boatengs Ex”
“KASIAS EX-BESTE FREUNDIN – ‘Ich bin schuld am Liebes-Chaos mit Boateng'”
“KASIAS LIEBES-TATTOO – Noch trägt sie Jérôme auf der Haut”
“BOATENG-EX – Kasia Lenhardt gönnte sich Generalüberholung”
“2012 WAR SIE BEI GNTM – Model Kasia Lenhardt (†25) tot”
“JETZT WIRD’S RICHTIG SCHMUTZIG”, schreibt Bild.de fünf Tage vor Kasia Lenhardts Tod. Dazu veröffentlicht die Redaktion “private Nachrichten von Kasia an Boatengs Ex”, nachzulesen nur für zahlenden “Bild-plus”-Kunden. Diese Nachrichten – wohlgemerkt: auch laut Bild.de “private Nachrichten” – hat eine frühere Partnerin Boatengs bei Instagram veröffentlicht, um damit gegen Kasia Lenhardt auszuteilen. Ganz offensichtlich hatte Lenhardt dieser Veröffentlichung nicht zugestimmt, weder durch “Boatengs Ex” noch durch Bild.de. Vom Presserat bekommt Bild.de dafür eine Rüge, die die Redaktion auch unter dem entsprechenden Artikel veröffentlicht. Sie schreibt dazu:
Obwohl diese Nachrichten über Instagram frei abrufbar waren, sieht der Presserat einen Verstoß gegen Ziff. 8 des Pressekodex (Achtung des Privatlebens und informationelle Selbstbestimmung).
Das ist ein bemerkenswerter Ansatz einer Gegenargumentation. Nur mal theoretisch: Was würde “Bild”-Chef Julian Reichelt wohl sagen, wenn man beispielsweise private Details zu seiner Familie auf größtmöglicher Bühne veröffentlicht und bei Kritik darauf hinweist, dass man das ja nur von irgendeinem Instagram-Heiopei abgeschrieben habe?
Einen Tag nach den “privaten Nachrichten” präsentiert Bild.de “KASIAS EHEMALS BESTE FREUNDIN”, die jetzt auspacke (“In BILD schildert Diana nun ihre Sicht auf die Beziehung und das Kennenlernen von Kasia und Boateng.”). Sie zeichnet ein Bild einer hinterhältigen und undankbaren, manipulativen und arroganten Person. Die Redaktion interviewt sie auch bei “Bild TV”. Kasia Lenhardt kommt nicht zu Wort.
Nur wenige Tage zuvor bringt “Bild” ein Interview mit Jérôme Boateng: “TRENNUNG VON KLUM-MODEL – Boateng rechnet mit seiner Ex ab – Es geht um Alkohol, Druck und Erpressung”. Der Fußballer darf darin heftige Vorwürfe gegen Kasia Lenhardt erheben, von “massiven Alkoholproblemen” über eine angebliche Erpressung bis zur Schuld Lenhardts an Boatengs zerstörter Beziehung zu dessen Familie. Ganz am Ende des Interviews schreibt die Redaktion lediglich: “Kasia Lenhardt wollte sich auf BILD-Anfrage nicht äußern.” Nichts wird von “Bild” hinterfragt. Bereits da sind die Rollen klar verteilt.
Körperliche und psychische Erkrankungen gehören nach Ziffer 8, Richtlinie 8.6 jedoch zur Privatsphäre, über die nicht ohne Zustimmung der Betroffenen berichtet werden soll. Die Redaktion hatte nach eigenen Angaben Lenhardt zwar mit dem Interview konfrontiert, jedoch keine Äußerung dazu von ihr erhalten. Die Redaktion hätte daher ihrer Eigenverantwortung nachkommen müssen und auf die Veröffentlichung des unbelegten Alkoholismus-Vorwurfs verzichten sollen, zumal dieser dazu geeignet war, die persönliche Ehre der Betroffenen nach Ziffer 9 des Pressekodex zu verletzen.
In einem Beitrag des NDR-Medienmagazins “Zapp” bewertet Medienrechtler Matthias Prinz dieses “Bild”-Interview. Er habe an dem Fall persönlich Interesse, weil er zeige, “wo Persönlichkeitsrechtsverletzungen möglicherweise hinführen können.” Die “Gefährdung einer Gesundheit und eines Lebens” durch solche Veröffentlichungen sei “ja nicht von der Hand zu weisen.” Prinz hält das Interview mit Jérôme Boateng für “eindeutig rechtswidrig”: “Er behauptet, die hätte ihn erpresst. Das ist ja Verleumdung.” Die Veröffentlichung verletze aus Prinz’ Sicht so viele verschiedene Aspekte, “dass man sich erstmal überlegen muss: Was macht man überhaupt? Presseratsbeschwerde, Landgericht, sonst irgendwas?” Er würde “in erster Linie die Alkoholvorwürfe nehmen”, weil er die “schon als intimsphärenverletzend sehen würde und damit eindeutig rechtswidrig.”
1. Journalismus – gefangen zwischen Nullen und Einsen (medienwoche.ch, Anna Miller)
Anna Miller hat sich den Frust über den heutigen Journalismus und dessen Bedingungen von der Seele geschrieben: “Wir Journalistinnen und Journalisten wollen sauber recherchieren, mit Menschen sprechen, die Realität abbilden. Doch stattdessen sind wir immer öfter Sklavinnen von Klicks, Zeitdruck und digitalem Optimierungswahn.” Es sei höchste Zeit für einen kulturellen Wandel. Ein Lesetipp nicht nur für die Chefetagen der Verlags- und Medienhäuser.
2. Zwischen Übertreibung und Desinteresse (deutschlandfunk.de, Ronny Blaschke, Audio: 5:39 Minuten)
Während sportlicher Großveranstaltungen wie den Paralympics gibt es ein breites Interesse am Behindertensport, doch abseits dieser Events ist es deutlich kleiner. Auch in anderer Hinsicht sei die Berichterstattung unausgewogen, so Ronny Blaschke: “Worüber in den Medien überverhältnismäßig berichtet wird, ist der technische Aspekt bei den Paralympics. Dazu gehören Reportagen aus den Technikwerkstätten. Details über teure Hightechprothesen und Rennrollstühle. Was kaum erwähnt wird: Viele Menschen mit Behinderung wollen oder können nicht sportlich aktiv sein. Weil Sportunterricht häufig nicht inklusiv ist. Weil vielen Trainern und Physiotherapeuten die nötige Ausbildung fehlt. Und weil der nächste paralympische Trainingsstützpunkt eventuell 100 Kilometer entfernt ist.”
3. WDR beauftragt Prüferin zur Bewertung des “Kulturwandels” im Sender (rnd.de)
Im Frühjahr 2018 soll es beim WDR mutmaßliche Fälle sexueller Belästigung gegeben haben. Der Sender ließ die Vorwürfe daraufhin intern untersuchen und schaltete die frühere EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies als externe Gutachterin ein. Diese bescheinigte dem WDR in ihrem Abschlussbericht eine fehlende Kultur gegenseitiger Wertschätzung, “strukturelle Defizite” und empfahl einen “Kulturwandel”. Nun soll Wulf-Mathies den Fortschritt dieses Kulturwandels überprüfen.
4. Politiker und Top-Manager fürchten Fake News und Datenklau (faz.net)
Gestern wurde der “Cyber Security Report 2021” veröffentlicht. Laut dem vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach und dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte herausgegebenen Bericht sei die digitale Bedrohungslage auf einem Rekordniveau: 75 Prozent der Befragten sähen ein Risiko, dass die öffentliche Meinung durch gefälschte oder unrichtige Nachrichten manipuliert wird. Knapp jeder zweite Abgeordnete (49 Prozent) habe mindestens einmal im Zentrum eines Shitstorms gestanden.
5. “Fernsehkameraleute sind Urheber” (medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Auch Fernsehkameraleute können Urheber sein – so das Fazit eines Gutachtens, das der Bundesverband der Fernsehkameraleute (BVFK) in Auftrag gegeben hat: Im modernen Verständnis der Bildgestaltung liege die Urheberschaft bei professionellen Bildaufnahmen typischerweise vor, und umgekehrt würden professionelle Bildaufnahmen Urheberrechte generieren. Im Interview äußert sich der BVFK-Vorsitzende zu den möglichen Folgen: “Die Frage ist, was sind diese Rechte wert und wie müssen sie vergütet werden.”
6. Goldgräber am rechten Rand (blog.zeit.de, Dominik Lenze)
“Erst bringen sie Verschwörungstheorien unters Volk – dann Goldbarren: Ein Netzwerk von Edelmetallhändlern und Influencern verdient Geld mit rechter Hetze.” Dominik Lenze berichtet über ein lukratives Geschäftsmodell, das Meinungsmache und Hetze mit Profitgier und Bereicherung verbindet.
1. Fernsehen ohne Ruhepuls: Bild hetzt durchs Programm (dwdl.de, Alexander Krei & Thomas Lückerath)
Alexander Krei und Thomas Lückerath haben ihre ersten Eindrücke vom neuen “Bild”-Fernsehsender aufgeschrieben. Zur Ruhe gekommen sind sie beim TV-Gucken nicht: “In einem Moment beschimpft CDU-Generalsekretär Ziemiak den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz als politischen Hütchenspieler, im nächsten Moment wird über eine blutige Auseinandersetzung berichtet, in die die Influencerin Georgina Fleur involviert ist. Mal fabuliert Meinungschef Filipp Piatov über das ‘Inzidenz-Regime’ der Regierung, dann leitet Detlef Soost plötzlich zu Sit-Ups im Studio an, und im Gespräch mit einem Augenarzt geht es schließlich um die Tatsache, dass Fußball-Trainer Jürgen Klopp neuerdings keine Brille mehr trägt – mitsamt der wichtigen Abschlussfrage: ‘Ist das eine Kassenleistung?'”
2. Die Klimakrise ist nicht ein weiteres Problem auf der Bühne. Sie bedroht die ganze Bühne. (uebermedien.de, Sara Schurmann & Lea Dohm)
In einem Gastbeitrag für “Übermedien” setzen sich Sara Schurmann und Lea Dohm für mehr Klimaberichterstattung ein: “Wenn Menschen viel und oft von der Klimakrise lesen, können sie das Problem besser verstehen. Dafür müssen alle Medien ganz oft darüber berichten. Das Problem muss auch immer wieder als erstes in den Nachrichten kommen. Um die Klimakrise gut zu verstehen, ist es wichtig, sie zu fühlen. Zeitungen, Radio- und Fernsehsender können uns dabei helfen.” Der Text ist ein Vorabdruck aus dem heute erscheinenden Buch “Climate Action – Psychologie der Klimakrise”.
3. “Die Taliban haben mir alles genommen” (deutschlandfunk.de, Christoph Sterz, Audio: 9:01 Minuten)
Fast zwei Jahrzehnte lang hat der Fotojournalist und Pulitzer-Preisträger Massoud Hossaini aus Afghanistan berichtet, doch nun muss er seine Heimat verlassen. Den Taliban sei es gelungen, die Welt zu blenden, so Hossaini: “Sie selbst stiften das Chaos, das wir gerade erleben, und erklären dann: Seht her, was der Westen angerichtet hat, gemeinsam mit einem Präsidenten, den der Westen unterstützt hat. Die Situation am Flughafen von Kabul haben die Taliban orchestriert – und instrumentalisieren jetzt die Medien dafür, darüber zu berichten. Die Taliban lenken damit von einer Wirklichkeit ab, außerhalb vom Flughafen, außerhalb von Kabul – einer Wirklichkeit, über die die internationale Gemeinschaft unbedingt mehr erfahren müsste.”
4. Lobbytransparenz schaffen (netzwerkrecherche.org)
Mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern in einem gemeinsamen Appell strengere Lobbyregeln. Als zentrale Maßnahmen von der Politik nennen sie, Einflussnahmen transparent zu machen, die Parteienfinanzierung zu reformieren und Lobbykontakte offenzulegen. “Wir brauchen eine politische Kultur, in der alle Teile der Gesellschaft gehört werden und in der Integrität, Unabhängigkeit und Transparenz von Politik und Verwaltung selbstverständlich sind.” Auch das Netzwerk Recherche schließt sich den Forderungen an. Eine Umsetzung hätte sicher positive Auswirkungen auf die mediale Berichterstattung über parlamentarische Entscheidungen oder Gesetzesvorhaben.
5. Lob des Zweifels (journalist.de, Christian Meier)
In der Reihe “Wie wir den Journalismus widerstandsfähiger machen” meldet sich “Welt”-Medienredakteur Christian Meier mit einem Plädoyer für den Zweifel zu Wort: “Die schöne Regel, dass man bei jedem Thema für einen Moment davon ausgehen sollte, dass die ‘andere Seite’ (schon wieder so ein problematischer Begriff, denn auf welcher Seite sollte ein Journalist überhaupt stehen?) Recht haben könnte – gilt sie noch? Ist sie in den Redaktionen akzeptiert? Und wie selbstverständlich ist es, eine auch in der eigenen Redaktion unpopuläre Position zu vertreten, notfalls gegen Kritik und Widerstände? Ich glaube, der Zweifel sollte unser ständiger Begleiter sein. Und das ist, ich merke es schon beim ersten Nachlesen, schon wieder so ein Besserwissersatz. Ich kann nur um Verzeihung bitten, wir sitzen alle im Glashaus.”
6. Impfgegner stürmen Foyer von TV-Nachrichtenproduzent ITN in London (rnd.de)
Dutzende Impfgegnerinnen und -gegner haben gestern die Zentrale des britischen Nachrichtenproduzenten ITN in London gestürmt. Dabei skandierten sie Parolen gegen Impfungen und Corona-Maßnahmen, belegten einen Nachrichtensprecher mit wüsten Beschimpfungen und widersetzten sich Polizisten, die versuchten, die Menschen von einem weiteren Eindringen in die Redaktionsräume abzuhalten.
Vergangene Woche hat die “Bild”-Redaktion entdeckt, dass der Twitter-Kanal “WDR aktuell” eine Aussage Armin Laschets zumindest verzerrt wiedergegeben (und später“klargestellt”) hat, dass die WDR-Sendung “Monitor” einen Beitrag gebracht hat, in dem sie zeigt, dass Laschet als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen “beim Klimaschutz eher auf der Bremse steht”, und dass der ARD-“Faktenfinder” eine Aussage des Union-Kanzlerkandidaten (“Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen”) kritisch auf deren Inhalt überprüft hat. Und schon witterte “Bild” eine große ARD-übergreifende Verhinderungskampagne:
Mit den Aussagen “Wahlkampf ist Sache der Parteien, nicht des öffentlichen Rundfunks” und “Der WDR entwickelt sich vom Rot-Funk zum Grün-TV” konnte die “Bild”-Redaktion sogar Unterstützung aus der Politik für die eigene These zur Anti-Laschet-ARD einsammeln (mehr Politiker kamen im “Bild”-Artikel nicht zu Wort). Das eine Zitat stammt von einer CDU-Politikerin, der die Kritik an ihrem Spitzenkandidaten offenbar nicht schmeckt, das andere von einem CSU-Politiker, dem die Kritik an seinem Spitzenkandidaten offenbar nicht schmeckt. Überraschung.
Aber wie sieht’s denn bei der “Bild”-Berichterstattung über Armin Laschet aus?
Da gab es am Samstag einen interessanten Vorgang. Kurz nach Ende des Wahlkampfauftakts von CDU und CSU in Berlin, erschien auf der Bild.de-Startseite dieser Artikel:
Laut “Gnutiez”, einer Seite, die Änderungen von Überschriften verschiedener Medien trackt, soll die Schlagzeile zuvor noch schärfer gewesen sein:
LASCHET-REDE SOLLTE TURBO ZÜNDEN
Netter Versuch
Dazu hieß es im Artikel:
Schafft CDU-Chef Armin Laschet (60) noch die Wende? Auch nach seiner Rede bleiben Zweifel.
Der gesamte Beitrag verschwand dann plötzlich und ohne irgendeinen Hinweis von Bild.de. Wer die URL heute aufruft, sieht keinerlei Inhalt. Stattdessen erschien auf der Bild.de-Startseite ein neuer Artikel. Und auf einmal konnte Armin Laschet laut “Bild”-Redaktion doch den “Wahlkampf-Turbo” zünden:
Noch einmal etwas später übernahm dann “Bild”-Parlamentsbüroleiter Ralf Schuler die Deutungshoheit zum Laschet-Auftritt:
Und weil das vielleicht doch etwas zu kryptisch war (zumindest wir rätseln noch immer, ob ein ausbleibendes “Halleluja” nun was Positives oder Negatives ist), schob die Redaktion auch hier noch mal eine Überarbeitung nach:
Und so wurde innerhalb kürzester Zeit auf der Bild.de-Startseite aus dem “netten Versuch” Laschets, der angeblich Flut und Corona als Ausreden nutzte, ein kämpferischer Union-Spitzenkandidat mit “Wahlkampf-Turbo”. Wir haben beim “Bild”-Sprecher nachgefragt, warum der Laschet-kritische Artikel gelöscht wurde, haben bisher aber keine Antwort erhalten.
Eine besondere Nähe zwischen Armin Laschet und dessen Wahlkampfteam auf der einen Seite und der “Bild”-Redaktion auf der anderen konnte man übrigens sechs Tage zuvor beobachten. Der stellvertretende “Bild”-Chefredakteur Paul Ronzheimer schrieb bei Bild.de über “Laschets Plan für Afghanistan”, veröffentlicht um 18:42 Uhr. Erst 43 Minuten später, um 19:25 Uhr, veröffentlichte auch Laschet diesen Plan bei Twitter – interessanterweise mit demselben Rechtschreibfehler wie im Ronzheimer-Artikel. Man fühlte sich beim Lesen an die verräterischen Fehler beim Abschreiben in der Schule erinnert. Oder anders gesagt: Das Laschet-Team muss den Afghanistan-Plan vorab an die “Bild”-Redaktion gegeben haben. Nur zur Erinnerung: Seit Juni dieses Jahres gehört Tanit Koch, Ex-“Bild”-Chefredakteurin, zu Armin Laschets Beraterteam.