Archiv für September 5th, 2023

“Das ist kriminell”

Seit die Bundesregierung eine Erhöhung des Bürgergelds beschlossen hat, gibt sich die “Bild”-Redaktion große Mühe, ihrer Leserschaft einzuhämmern, wie falsch das alles ist:

Screenshot Bild.de - JU-Chef kritisiert Bürgergeld-Erhöhung - Politik für Arbeitslose, nicht für Arbeiter
Screenshot Bild.de - Bürgergeld steigt schneller als Mindestlohn - Lohnt Arbeiten in Deutschland überhaupt noch?
Screenshot Bild.de - Kommentar zur Anhebung des Bürgergelds - Vorfahrt für die Fleißigen
Screenshot Bild.de - Kommentar - Fleißige dürfen nicht betrogen werden

Unbedingt soll darüber diskutiert werden, ob die Leute, die für Mindestlohn oder knapp mehr schuften, damit überhaupt über die Runden kommen können. Und unbedingt sollen diese Leute vom Lohn ihrer harten Arbeit gut leben können. Nur findet man in der “Bild”-Berichterstattung kaum ein flammendes Plädoyer für mehr Mindestlohn, also für eine bessere Bezahlung für “die Fleißigen”. Stattdessen lautet die Schlagrichtung:

Screenshot Bild.de - Linnemann kritisiert Bürgergeld-Aufschlag - Das Stütze-System ist ungerecht

Die “Bild”-Medien spielen mal wieder die, die wenig haben, gegen die aus, die noch weniger haben.

Und jetzt kann sie zum “Bürgergeld-Irrsinn” endlich jemanden präsentieren, sozusagen einen Kronzeugen, der auf die von der Redaktion längst gestellte Frage “Lohnt Arbeiten in Deutschland überhaupt noch?” offenbar eine klare Antwort gefunden hat. Heute auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite - Mitarbeiter kündigt, weil er lieber Bürgergeld will

Unter der Überschrift steht noch ein kurzer Teaser:

Ein Lagerist Mitte 30 kündigt nach einem Dreivierteljahr plötzlich seinen Job. Die Begründung macht seinen Chef fassungslos: Mit dem Bürgergeld und ein paar Extras verdiene er mehr. Der unglaubliche Fall – SEITE 5

“Ein paar Extras”, die das Bürgergeld so attraktiv machen, dass man seinen Job kündigt? Was das wohl sein mag? Auf Seite 5 erfährt man das nicht direkt. Da geht es erstmal weiter nur ums Bürgergeld:

Ausriss Bild-Zeitung - Mein Mitarbeiter kündigt, weil er lieber Bürgergeld kassiert

Lohnt sich arbeiten überhaupt noch?

Bei Speditions-Chef Horst Kottmeyer (60, 350 Mitarbeiter) hat ein Mitarbeiter die Frage klar beantwortet: Nein!

Der Mann hat den Job hingeschmissen – und kassiert lieber Bürgergeld. Aktuell 502 Euro/Monat, dazu zahlt der Staat Miete, Heizung.

14 Euro soll der Mann pro Stunde verdient haben, bis er gekündigt hat. Da dürfte mehr rauskommen als “502 Euro/Monat”. Aber dann kommen sie, die “paar Extras”:

Seinen Kollegen habe der Mann gesagt, er wolle Stütze kassieren und nebenbei schwarz dazuverdienen. Er werde dadurch “300 Euro netto mehr verdienen”, hat der Ex-Mitarbeiter laut Kottmeyer den Kollegen erzählt.

Im Klartext: Stütze und ein bisschen Schwarzarbeit sind lukrativer als ein ordentlicher Job.

Ja, klar. Und Stütze und ein bisschen Drogen verkaufen ist noch lukrativer. Oder: Stütze und eine Bank überfallen – vermutlich am lukrativsten.

Für die “Bild”-Redaktion scheint das tatsächlich eine ernsthafte Argumentation in der Debatte um das Bürgergeld zu sein: Wir packen einfach noch irgendeinen verbotenen Zuverdienst obendrauf – und schon ist es doch ganz klar, dass sich Arbeiten in Deutschland nicht mehr lohnt!

Ein von “Bild” zu dem Fall befragter Lkw-Fahrer scheint da deutlich mehr Durchblick zu haben:

Bürgergeld kassieren und schwarzarbeiten – das ist kriminell.

Aber vielleicht ist das auch einfach das Bild, das die “Bild”-Redaktion von armen Menschen hat: Wer Bürgergeld kassiert, ist doch eigentlich eh schon kriminell.

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CSU-Pressesprecher als Störer, Lindemann-Streit, Kampagne?

1. Während Söder-Rede: CSU-Pressesprecher behindert Reporter
(t-online.de, Alexander Spöri & Jannik Läkamp)
Beim politischen Frühschoppen der CSU auf dem Gillamoos sollen ein Pressesprecher der Partei und zwei Sicherheitsleute die Arbeit von Journalisten behindert haben. Nachdem ein Journalist eine Protestaktion von Klimaschützern gefilmt hatte, habe sich der Pressesprecher neben die Journalisten an den Pressetisch gesetzt und versucht, die Veröffentlichung des Videos zu verhindern.

2. “Im Grunde eine Medienkampagne-Kampagne”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Sebastian Wellendorf, Audio: 7:38 Minuten)
Der Deutschlandfunk beschäftigt sich mit der Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger, den stellvertretenden Ministerpräsidenten Bayerns und Bundesvorsitzenden der Freien Wähler. Aiwanger und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kritisieren die Medien und werfen ihnen eine “Schmutzkampagne” vor. Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje sowie Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, betonen jedoch die Bedeutung kritischer Berichterstattung und warnen vor einer “Medienopfer-Erzählung”.

3. RBB: Kein Anspruch auf Ruhegeld
(verdi.de)
Der ehemalige Verwaltungsdirektor des öffentlich-rechtlichen RBB, Hagen Brandstäter, ist nach Angaben der Gewerkschaft Verdi mit einer Klage gegen seine Kündigung gescheitert. Das Arbeitsgericht Berlin habe entschieden, dass Brandstäters Vertrag von 2018 wegen der Pensionsregelungen sittenwidrig und damit nichtig sei. Dadurch bestehe auch kein Anspruch auf Ruhegeldzahlungen und Hinterbliebenenversorgung. Finanzielle Ansprüche des RBB gegen Brandstäter wies das Gericht ebenfalls zurück. Das erstinstanzliche Urteil ist noch nicht rechtskräftig, beide Parteien können noch Berufung einlegen.

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4. Spiegel siegt in Runde 2 gegen Lin­de­mann-Kanzlei
(lto.de, Max Kolter)
Wie “Legal Tribune Online” (“LTO”) berichtet, hat das Landgericht Hamburg auf Antrag des “Spiegel” eine Pressemitteilung der Anwälte des Rammstein-Sängers Till Lindemann teilweise untersagt. Die Kanzlei Schertz Bergmann dürfe nicht mehr behaupten, dem “Spiegel” seien zwei Tatsachenbehauptungen untersagt worden. Die Entscheidung ist Teil eines größeren Rechtsstreits zwischen dem “Spiegel” und der Kanzlei, die gegen die Entscheidung Berufung einlegen wolle. “LTO”-Redakteur Max Kolter erläutert die rechtlichen und prozesstaktischen Implikationen der juristischen Auseinandersetzung

5. Wie westliche Medien TikTok nutzen um die Generation Z zu erreichen
(de.ejo-online.eu, Tamar Merabishvili)
Der Artikel des “European Journalism Observatory” diskutiert, wie westliche Medien TikTok nutzen, um die Generation Z zu erreichen. Traditionelle Medienorganisationen wie die Deutsche Welle hätten TikTok-Strategien entwickelt, um Inhalte zu präsentieren, die speziell auf die Interessen der jüngeren Generation zugeschnitten sind. Trotz des rasanten Wachstums von TikTok gebe es Bedenken hinsichtlich Fehlinformationen und der chinesischen Eigentümerschaft der Plattform.

6. Twitter wegen angeblicher Hilfe für Saudi-Arabien verklagt
(spiegel.de)
Nach Informationen des “Guardian” werde Twitter beziehungsweise X von einer Frau verklagt, die behauptet, das Unternehmen habe der saudischen Regierung bei der Identifizierung ihres Bruders geholfen, der später zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Zwei ehemalige saudische Mitarbeiter des Kurznachrichtendienstes sollen – lange Zeit vor der Twitter-Übernahme durch Elon Musk – Nutzerdaten an die Behörden ihres Landes weitergegeben haben. Einer von ihnen wurde bereits in den USA zu einer Haftstrafe verurteilt, der andere hatte sich rechtzeitig nach Saudi-Arabien abgesetzt. Bei dem Vorgang könnten womöglich finanzielle Interessen eine Rolle spielen: “Saudi-Arabien ist bis heute über die Kingdom Holding Company (KHC) und das Büro von Prinz Alwaleed bin Talal einer der wichtigsten Geldgeber von Twitter.”