Archiv für Dezember, 2020

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“Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt”

Günter Wallraff recherchierte einst investigativ und verdeckt als “Hans Esser” bei “Bild” und sorgte mit seinen Büchern “Der Aufmacher” (1977) und “Zeugen der Anklage” (1979) für viel Aufsehen. Jakob Buhre hat für BILDblog Wallraff am 12. Dezember in Köln getroffen und mit ihm einige Passagen der neuen Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” angeschaut.

Protokoll/Interview: Jakob Buhre

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Heiko Maas nach einem “Bild-Live”-Interview in der “Bild”-Redaktion, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eines der größten Printmedien in Deutschland, sie vermittelt einem Zugang zu der breiten Masse der Öffentlichkeit, und Politiker sind darauf angewiesen, dass sie kommunizieren können, in die Öffentlichkeit, mit dem was sie tun, mit dem was sie für richtig halten. Und dafür ist die ‘Bild’ ein richtig gutes Instrument.”

Wallraff: Man kann es schon fast als Unterwerfung deuten, wie staatstragende Politiker hier bei “Bild” ihre Aufwartung machen und antichambrieren. Aber hat unser Außenminister so etwas wirklich nötig?

Peter Tschentscher, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eine konservative Zeitung, ich bin ein konservativer Mensch und die Sozialdemokraten in Hamburg sind sehr bodenständig. Insofern passt das gut zusammen.”

Wallraff: Da bekennt ein Sozialdemokrat vor dem Springer-Hochhaus: “ich bin konservativ”. Ehrlich gesagt hat mich das jetzt erstmal verunsichert, ob Tschentscher nicht am Ende CDU-Mitglied ist. Warum dieser Kotau? Was passt denn da so gut zu zusammen?

Karl Lauterbach, Folge 3: “Es kommt drauf an, ob ich, um Hetze zu betreiben, kleine Unterschiede hochjazze und damit den Eindruck erwecke, die widersprechen sich alle, oder ob ich das Gemeinsame betone und einräume: an der Spitze gibt es noch unterschiedliche Bewertungen.”

Wallraff: Ich bin mit Karl Lauterbach befreundet. Für mich ist er ein Ausnahme-Politiker. Er hat kein sicheres Bundestagsmandat, redet keinem nach dem Mund und macht sich nicht gemein, sich denen anzubiedern. Er spricht hier davon, dass “Hetze betrieben wird”, das finde ich mutig. Und immerhin zeigen uns die Filmemacher das.


“Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.” (Foto: Christoph Michaelis)

Wie ist denn Ihr Eindruck insgesamt vom Filmischen her?

Wallraff: Da waren gerade sehr viele Zeitungen zu sehen. Können wir nochmal dahin spulen? – Hier, diese Stapel, das sind alles “Bild”-Exemplare. Entweder liegen in den Redaktionen auf den Schreibtischen wirklich keine anderen Zeitungen oder ist es eine plumpe Werbung?

Die Auswahl der Themen und Schauplätze wirkt auf mich sehr beliebig. Man erfährt nur wenig über den Durchschnitt der Artikel, die in der Zeitung erscheinen, welche Themen dort bevorzugt werden. Mir fehlen auch die “Bild”-Leserinnen und -Leser.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das alles sehr im gegenseitigen Einvernehmen von Amazon und “Bild” stattgefunden hat. Wären die Filmemacher unabhängig, hätten sie auch mit Opfern der “Bild”-Berichterstattung oder externen Medienkritikern gesprochen. So ist das die reinste “embedded”-Reportage.

Christian Lindner, von dem “Bild” einen Paparazzo-Abschuss druckte, äußert sich allerdings auch in der Doku.

Wallraff: Na, und. Aber wenn es um die namenlosen Opfer von “Bild” geht, das sehe ich hier nicht, dass die einmal zu Wort kommen. In Folge 7, von der Sie mir gerade Auszüge gezeigt haben, ist die Diskussion der Redaktion über Persönlichkeitsrechte zu sehen, immerhin. Allerdings vermute ich, dass die wenigsten Zuschauer sich diese ermüdende Serie bis zur letzten Folge antun werden.

Auch von Ihren Recherchen bei “Bild” gibt es Filmaufnahmen. Wie sind Sie damals mit Kameras in die “Bild”-Redaktion gekommen?

Wallraff: Das war gar nicht so einfach, es gab ja noch keine versteckten Kameras. Mir half damals ein Freund vom niederländischen Fernsehen, Jan Kuiper. Sein Sender hat vorgegeben, dass sie im Rahmen einer Städtepartnerschaft-Reportage auch in Hannovers Redaktionen filmen wollten. Die erste Anfrage hatte mein Redaktionsleiter abgelehnt. Also hat ein Team zwei bis drei andere Drehs simuliert und so getan, als würden sie zum Beispiel bei der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” Filmaufnahmen machen. Das hat bei “Bild” die Eitelkeit geweckt, und sie sind drauf angesprungen. Meine Freunde kamen schließlich mit zwei Teams. Die einen haben den Chefredakteur in ein Dauer-Interview verwickelt, die anderen haben im Großraumbüro das zynische Treiben gefilmt.


Günter Wallraff 1977 als “Hans Esser” in der “Bild”-Redaktion Hannover. (Foto: Günter Zint)

Zurück zur Amazon-Doku: Wie beurteilen Sie die Aussagen der Blattmacherinnen und Blattmacher, die Sie hier sehen?

Wallraff: Es kommen hier welche zu Wort, wo ich sagen würde: Diesen Typus gab es zu meiner Zeit höchst selten. Durchaus reflektierte, vielleicht auch entsprechend ausgebildete Journalisten, die in anderen Blättern vermutlich einen seriösen Journalismus vertreten würden, ihn hier aber nur schwerlich durchsetzen können.

Zu meiner Zeit gab es viel mehr den Drücker-Typ, der den Opfern halb-betrügerisch ins Haus einfiel. Und dann vor allem Machos: Mein Redaktionsleiter hatte einen Schießstand in seiner Penthouse-Wohnung, es wurde Blitzschach gespielt, und man musste sich als trinkfest beweisen. Es war sehr männerbündlerisch. Hier sehe ich, zumindest zwischendurch, auch vereinzelt Frauen, und die kommen eher nachdenklich zu Wort.

Ein großer Unterschied ist auch: Zu meiner Zeit bei “Bild” wurde dem Chef so gut wie nie widersprochen. Der Redaktionsleiter duzte alle, musste aber gesiezt werden.

Wir hatten damals auch viele Kettenraucher, und Whiskey war in der Redaktion das Leitgetränk. Es scheint doch einiges harmloser geworden zu sein, jetzt kaut der Chefredakteur seine Gummibärchen.

Redaktionskonferenz, Folge 1, Redakteur aus dem Off: “Wir wollen die Rede [von Angela Merkel] vernichten?” – Julian Reichelt: “Nein, ich will sie nicht vernichten.”

Wallraff: “Abschießen, vernichten” waren zu meiner Zeit bei “Bild” Alltagsbegriffe. Es ging oft darum, Menschen “fertig zu machen”. “Bring die Sau zur Strecke!” Es gab auch keine Trennung zwischen Berichterstattung und Meinung.

Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt. Dazu passt ja auch sein Feldbett im Büro. Man weiß von ihm, dass er sich als jemand sieht, der Politik macht – und nicht begleitet.

“Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Alexandra Würzbach in einer Redaktionskonferenz, Folge 4: “Wir haben gesagt ‘Refugees Welcome’ und haben es uns zwei, drei Jahre später anders überlegt.” […] – 
Julian Reichelt: “Wir haben uns ‘Refugess Welcome’ nicht anders überlegt, das ist falsch, das lasse ich so nicht stehen.” Es folgen Filmaufnahmen von Paul Ronzheimer im Flüchtlingslager Moria.

Wallraff: Das überrascht mich und entspricht tatsächlich nicht dem Klischee. Vielleicht liegt es auch daran, dass Reichelt noch unter Kai Diekmann selbst in Kriegsgebieten war, in Afghanistan, in Syrien und im Irak, und sogar Flüchtlingen geholfen haben soll, nach Deutschland zu kommen, wie einst der “Spiegel” berichtete. So etwas prägt. Wenn “Bild” Not und Elend im Flüchtlingslager zeigt, könnte man daraus die Forderung an die Politik ableiten, dass sie sich des Themas annimmt.

Filipp Piatov in Folge 3: “Ich bin bei ‘Bild’, weil mir gewisse Grundlinien des Hauses sehr zusagen: Transatlantische Partnerschaft, gutes Verhältnis zu Israel, klares Verhältnis zur Marktwirtschaft, Ablehnung von linken und rechten extremen Ideologien.”

Wallraff: Naja, das sind so Gemeinplätze. Ein paar Gebetssäulen. Ich finde, das ist ein bisschen wenig.

Alexander von Schönburg in Folge 3: “Ich war früher bei der ‘FAZ’, bin jetzt bei der ‘Bild’ und empfinde das, was ich hier mache, als Aufstieg, auch als intellektuellen Aufstieg. […] Wer Wichtiges zu sagen hat, kann es in kurzen Sätzen sagen, dazu zwingt einen ‘Bild’. Darum habe ich persönlich profitiert, für mein eigenes Schreiben, dass man sich zwingt, kurz und präzise zu schreiben. Und nicht, wie das bei der ‘FAZ’ oder ‘SZ’ zum Teil ist: Du schreibst, um deine Kollegen zu beeindrucken.”

Wallraff: Ach, du Schande. Er tut mir richtig leid. Was muss der Mann erlitten haben, dass er sich hier so klein macht? Konnte er sich früher beim Schreiben nicht klar ausdrücken? Es gibt in der “FAZ” und der “SZ” doch genug Artikel, die eine deutliche und klare Sprache benutzen und trotzdem verständlich und differenziert sind.

Früher steckte in der “Bild”-Sprache sehr oft eine Aggression, Verächtlichmachung und Vernichtungswille bis hin zum Rufmord. Für mich benutzt “Bild” immer wieder eine in der Versimplung auch denunzierende Sprache.


“Das ist doch lächerlich und anmaßend.” (Foto: Christoph Michaelis)

Julian Reichelt in Folge 3: “Unser natürlicher Aggregatszustand ist zu hinterfragen. Und wie sehr wir hinterfragen, sieht man uns halt ein bisschen mehr an, weil unsere Überschriften größer sind und unsere Sprache klarer.”

Wallraff: Das ist doch lächerlich und anmaßend. Es klingt so, als würden andere Medien weniger hinterfragen, weil sie kleinere Buchstaben verwenden. Dabei sind es gerade sie, die differenzieren und auch zwischen Kommentar und Bericht zu trennen wissen.

Und zum “Hinterfragen”: Wenn sie Christian Drosten eine Stunde Zeit geben, um eine Anfrage zu seiner wissenschaftlichen Kompetenz abzuverlangen, nennen sie das “hinterfragen”? Ich fand, das war gegenüber Drosten eine Unverfrorenheit, eine Allmachtsallüre. Dass Drosten sich darauf nicht eingelassen hat, das ehrt ihn.

Die Causa Drosten wird in der Doku sehr ausführlich behandelt, mit vielen kritischen Stimmen von innerhalb und außerhalb der Redaktion.

Wallraff: Da blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. Ich habe da jetzt Redakteure gesehen, die sich als Opfer gerieren, keinerlei Reue zeigen, sich auch nicht entschuldigen. Und wenn es Reue gab: Wurde sie in der “Bild” zum Ausdruck gebracht? Ich habe nichts davon gehört.

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Wenn Sie einmal “Bild” 1977 und “Bild” 2020 vergleichen …

Wallraff: Die “Bild” hat heute nicht mehr die zerstörerische Kraft und Macht, auch längst nicht mehr das kriminelle Potential wie damals. “Harmlos” wäre der falsche Begriff, aber sie hat nicht mehr die Relevanz. Damals war es ein beherrschendes, flächendeckendes Medium. Und was ich erlebt habe, war ein Hetzblatt, das auch Menschen mit Falschberichterstattung in den Suizid getrieben hat wie zum Beispiel den Schauspieler Raimund Harmstorf. Ich meine, dass ich mit dazu beitragen habe, dass diese Ära überwunden wurde.

Es gab damals die Rubrik “Bild hilft”, die vielen Menschen aber gar nicht geholfen, sondern hilfsbedürftige Personen bis ins Privateste hinein vorgeführt hat. Ein Junge mit Schulproblemen wurde als “Deutschlands faulster Schüler” und eine Frau, die sich wegen Problemen mit ihrer Fahrschule an “Bild hilft” gewandt hatte, fast kampagnenartig als “Deutschlands schlimmste Fahrschülerin” abgestempelt. Ich habe einen Rechtshilfe-Fonds finanziert, durch den “Bild”-Opfern zu Gegendarstellungen und Unterlassungen verholfen wurde bis hin zu Schadenersatz und Schmerzensgeld: Zum Beispiel für die hinterbliebenen minderjährigen Söhne eines Mannes, der sich nach einem Verleumdungsartikel umbrachte. In seinem Abschiedsbrief rief er zum “Bild”-Boykott auf: “Diese Schande kann ich nicht überwinden, ich wollte zuerst diesen Verbrecher, der K. [der “Bild”-Reporter] heißt, umbringen. Aber ihr solltet keinen Mörder als Vater haben. Durch meinen Tod aber ist er zum Mörder geworden. Wer etwas Ehrgefühl und Verstand hat, der sollte dieses Lügenblatt nicht kaufen!”

Es gibt heute natürlich auch eine andere Gegenöffentlichkeit: Es gibt die Rügen des Presserats, “Bild” liegt hier mit weitem Abstand vorne, lehnt es aber häufig ab, sie abzudrucken. Es gibt die Kollegen vom BILDblog, einige Prominente boykottieren “Bild”, und viele Gerichte betrachten die Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht mehr als Kavaliersdelikt.

Mehmet Scholl, Folge 6: “Die ‘Bild’-Zeitung hat mich ein Jahr lang völlig zerlegt, weil ich nicht mit ihnen gesprochen habe. […] Wenn die “Bild” im Sport alles schreiben würde, was sie wissen … Das tun sie aber nicht, weil sie schlau genug sind, zu wissen: Wir bekommen andere Informationen im Austausch dafür.”

Wallraff: Das sagt natürlich sehr viel aus. Da wird jemand zum Feindbild, weil er nicht mit “Bild” spricht. Und dass man bestimmte Geheimnisse nutzt, um an andere Informationen zu gelangen, das ist eigentlich eine Geheimdienst-Strategie: Wenn bestimmte Dienste Material über Verfehlungen von Politikern besitzen, können sie diese bei Bedarf “gefügig” machen.

Mehmet Scholl: “Ich habe mit der ‘Bild’ die Abmachung: keine privaten Storys. Wenn eine kommt, fragt mich – und dann haben wir es immer gemeinsam entschieden.”

Wallraff: Es gibt Prominente, die der “Bild” bis ins Intimleben hinein Dinge preisgeben, weil sie glauben, dass es ihnen nützt und dass sie geschont werden. Christian Wulff hat sich bis hin zur Home-Story zur Verfügung gestellt, aber es hat ihm nichts genützt. Er war für “Bild” irgendwann fällig, vermutlich aufgrund seiner Äußerung “Der Islam gehört zu Deutschland”. Da ging der Daumen nach unten, und es folgte eine der infamsten Rufmordkampagnen.

Was denken Sie heute über Journalisten, die für “Bild” arbeiten?

Wallraff: Ich differenziere. Wir haben jetzt einen gesehen, der von der “FAZ” zur “Bild” gegangen ist, die Mehrheit hat, glaube ich, eine Journalismus-Ausbildung. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen würde ich mich aber nicht auf ein Interview oder eine Home-Story einlassen. Und denjenigen, die es tun, würde ich einen Warnhinweis mitgeben: “Alles, was Sie fortan sagen oder auch nicht sagen, kann gegen Sie verwendet werden.”

Ich kenne auch Menschen, die, durch meine Aufdeckungen inspiriert, zur “Bild” gegangen sind, weil sie es selber wissen wollten. Sandra Maischberger zum Beispiel erzählte in einem “Tagesspiegel”-Interview [Ausgabe vom 10. Februar 2002], dass sie deswegen bei “Bild” ein Praktikum machte und dann ein bisschen enttäuscht gewesen sei, weil sie das “Über-Leichen-gehen” dort nicht erlebt habe. Sie wurde dann übrigens am Ende gefragt, wie oft sie in dem Interview gelogen habe, worauf sie antwortete: einmal. (lacht)

Sollten Politiker heute “Bild” boykottieren?

Wallraff: Das wagt doch kaum noch jemand, aber sie sollten der eigenen Glaubwürdigkeit wegen zumindest Distanz wahren.


Günter Wallraff heute als Günter Wallraff. (Foto: Privat)

Hat man Sie eigentlich für die Amazon-Dokumentation angefragt?

Wallraff: Nein, ich hätte da auch abgesagt. Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.

Sie selbst sagen von sich, dass Sie Amazon boykottieren. Warum kann man dann Ihre Bücher dort kaufen?

Wallraff: Das kann ich leider nicht verhindern. Ich habe meinen Verlag schon vor langer Zeit angewiesen, meine Bücher nicht an Amazon auszuliefern. Mir wurde gesagt, ich würde dadurch zehn bis 15 Prozent Umsatz verlieren – damit kann ich leben. Amazon unterläuft meinen Boykott, indem sie meine Bücher jetzt über Zwischenhändler ordern. Das kann ich nicht verhindern, aber so muss Amazon sie etwas teurer einkaufen, als wenn mein Verlag sie direkt beliefert. Für mich ist Amazon eine globale Seuche, gegen die auch kein Impfstoff hilft.

Seuche ist ein starkes Wort, nicht nur angesichts der aktuellen Situation, wo Menschen froh sind, wenn sie Geschenke online kaufen können.

Wallraff: Das ist das Tragisch-Vertrackte, so ist Amazon auch noch der größte Corona-Krisengewinner, kann seine Umsätze verdoppeln und durch Steuervermeidungsstrategien Milliarden am Staat vorbei einstreichen. Ich verstehe jeden, der keine Möglichkeit hat, in ein Geschäft zu gehen, und deswegen online etwas bestellt. Ich selbst kann und möchte dieses Allmachtstreben von Jeff Bezos nicht unterstützen, der sein Unternehmen ursprünglich “Relentless”, “Gnadenlos” nennen wollte und Konkurrenten als Gazellen bezeichnet, die man jagen müsse. Die Innenstädte sterben aus, die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind miserabel – es ist eine seelenlose, total überwachte Arbeitsorganisation. Ich kenne Menschen, die bei Amazon gearbeitet haben und von unheimlichem Druck erzählen. Wer nicht mindestens im Durchschnitt der übrigen Mitarbeiter liegt, fällt heraus. Und nach dem Weihnachtsgeschäft wird aussortiert. Dafür nutzt Amazon den Begriff “ramp down”, der aus dem Vieh-Transport stammt und so viel bedeutet wie “die Rampe runter treiben”. Diejenigen, die entlassen werden, können sich ja dann später neu bewerben, man will so ihre Festanstellung verhindern.

Zum Schluss: Haben Sie mit “Team Wallraff” aktuell jemanden bei “Bild” eingeschleust?

Wallraff: Kein Kommentar.

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Amazons peinliche “Bild”-Doku, Abmahnwesen, “Goldenes Brett”

1. So toll ist es also bei der “Bild”
(faz.net, Oliver Jungen)
Die ab heute abrufbare Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” verspricht “exklusive Einblicke in die Redaktion von Deutschlands bekanntester und größter Medienmarke”. Oliver Jungen hat sich das Werk angeschaut. Sein Fazit: “Amazons eingebettete, kritikfreie Reportage über die ‘Bild’-Zeitung ist journalistisch eine Nullnummer. Ein Kniefall. Peinlicher geht es kaum.”
Weiterer Lesehinweis: Bei der “taz” kritisiert Peter Weissenburger besonders zwei Dinge: “Die Postproduktion, die immer wieder dramatisch das Springer-Haus im Zeitraffer zeigt und sich bei Einblendungen am Design der Bild orientiert, als wäre es ein Imagefilm. Und die Recherche, die kaum andere Stimmen zu Wort kommen lässt, als Bild-Leute.” (Rumsitzen im Krawallklub, taz.de)
Weitere Hör-Empfehlung: Die Journalistin Ferda Ataman hat sich Amazons “Bild”-Beobachtung für Deutschlandfunk Kultur angesehen. Ihr Urteil: “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt habe sich mit der Serie keinen Gefallen getan. (Kampf mit allen Mitteln, deutschlandfunkkultur.de, Audio: 7:29 Minuten)

2. “Vielleicht Seite schließen?” – Troll-Kommentare aus dem RBB-Netz auf Planet Interview
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre ist nicht nur für seine gut vorbereiteten Interviews, sondern auch für seine nachfassenden Fragen bei Pressekonferenzen der Öffentlich-Rechtlichen bekannt. Sein kritisches Hinterfragen und seine wohltuende Unbequemlichkeit haben ihm dort anscheinend nicht nur Freunde beschert: Buhre berichtet, wie sich allerlei Negativkommentare verschiedenster Nutzerinnen und Nutzer auf seinem Blog ergießen. Allesamt von der IP-Adresse 192.108.72.0 versendet – ein Adressraum, der dem öffentlich-rechtlichen rbb zugeordnet ist.

3. Amtsgericht Hamburg: Abmahnungen von Christoph Scholz durch Rechtsanwalt Lutz Schroeder waren rechtsmissbräuchlich
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Der Creative-Commons-Foto-Abmahner Christoph Scholz hat lange Zeit ein lukratives Geschäft betrieben, doch nun habe das Amtsgericht Hamburg vier nahezu gleich lautende Urteile gegen ihn gesprochen. Das Gericht sehe in seinem Handeln einen Rechtsmissbrauch. Die Art und Weise der Organisation des Abmahnwesens habe das “Gepräge einer Einkommensgenerierung durch provozierte Rechtsverletzungen”. Der Jurist Markus Kompa fasst zusammen: “Herr Scholz hat damit weder Anspruch auf Ersatz eines Lizenzschadens noch auf Ersatz von Anwaltskosten. Umgekehrt muss Herr Scholz dem Abgemahnten die Kosten vorgerichtlicher Abmahnabwehr ersetzen sowie alle Prozesskosten.” Kompas Fazit: “Diese aktuellen Urteile sind weitere Sargnägel für das Abmahn-Business der Urheberrechtsfallensteller.”

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4. Floskel des Monats: durchstarten
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl sind die Initiatoren des sprach- und medienkritischen Projekts “Floskelwolke”, in dem sie Floskeln, Phrasen und Formulierungen in deutschsprachigen Nachrichtentexten analysieren. Im Fachmagazin “journalist” stellen sie regelmäßig die “Floskel des Monats” vor. Aktuell: “durchstarten”.

5. In der Druckkammer
(taz.de, Anne Fromm)
Die Corona-Pandemie hat viele Medienhäuser in Bedrängnis gebracht. Die “Süddeutsche Zeitung” begegnet dem mit einem rigorosen Sparprogramm. Trotz steigender Abozahlen und erhöhtem Arbeitsaufkommen sei die Redaktion in Kurzarbeit geschickt worden. Nun wolle der Verlag sich von 50 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen trennen. Gleichzeitig ändere sich die Unternehmenskultur: Die Chefs würden neuerdings duzen und sprächen von “Town Hall Meetings” und “Lunch mit Christian”.
Weiterer Lesehinweis: “Süddeutsche”-Autorin Aurelie von Blazekovic hat sich in der Medienbranche umgehört, ob und wie die Verlage ihre Mitarbeitenden in dem Corona-Jahr unterstützt haben. Bei Condé Nast habe es in Deutschland eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.000 Euro gegeben, bei der “Süddeutschen Zeitung” soll eine “Corona Beihilfe” von 100 Euro ausgezahlt werden (Ein freier Tag und schönen Dank, sueddeutsche.de).

6. Das Goldene Brett 2020 für Sucharit Bhakdi: “Noch nie gab es einen passenderen Kandidaten”
(blog.gwup.net)
Mit dem Negativpreis “Das goldene Brett” prämiert die Gesellschaft für kritisches Denken Personen oder Institutionen, die “mit wissenschaftlich widerlegten oder unsinnigen Behauptungen Medienpräsenz anstreben, Angst machen oder Geld verdienen wollen.” Diesjähriger Preisträger ist der Arzt Sucharit Bhakdi, der für seine Äußerungen zur Corona-Pandemie, nun ja, ausgezeichnet wird: “Es gab vielleicht noch nie einen Kandidaten, auf den das ‘Goldene Brett vorm Kopf’ so perfekt gepasst hat wie auf ihn.” Der Preis fürs “Lebenswerk” geht an Ken Jebsen und dessen Kanal KenFM. Dieses Jahr fand die Verleihung nicht live statt, es gibt jedoch ein Video mit den Laudationen von Katharina Nocun (Ballweg), “Hoaxilla” (Hildmann) und Krista Federspiel (Bhakdi) (youtube.com, 44:35 Minuten).
(Transparenzhinweis: Der “6 vor 9”-Kurator war im Jahr 2016 selbst Laudator des “Goldenen Bretts”.)

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Dies ist die letzte “6 vor 9”-Ausgabe in diesem Jahr (mit dem sonstigen BILDblog-Programm geht es noch ein paar Tage weiter). Wir bedanken uns für Eure Treue und verabschieden uns in die “6v9”-Winterpause. Allen Leserinnen und Lesern unserer morgendlichen Medienrundschau frohe Festtage und ein gesundes Wiedersehen im kommenden Jahr!

“Bild” findet heraus: Menschen schlafen nachts

Mit drei Fotos will die “Bild”-Redaktion zeigen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) entgegen anderslautender Versprechen gar nicht “rund um die Uhr” arbeiten, obwohl sie doch über die Zulassung des Corona-Impfstoffs in der EU entscheiden müssen. Gestern Abend auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Angeblich arbeitet die EU-Arzneiaufsicht rund um die Uhr - Licht aus bei der EMA! Behörde ist für die Zulassung des Corona-Impfstoffs zuständig

Und auch heute in der Zeitung kann man den Versuch beobachten, eine Institution zu diskreditieren und Verunsicherung zu verbreiten:

Ausriss Bild-Zeitung - Impfstoff-Zulassung - Licht aus bei der EMA - Dabei arbeitet sie angeblich rund um die Uhr

Weil auf den Fotos die meisten Büros, die um 21 Uhr noch hell erleuchtet waren, um 23 Uhr dunkel sind, urteilt die “Bild”-Redaktion: “‘Rund um die Uhr’ ist dann doch etwas anderes …”. Dass Menschen, die derart bedeutende und weitreichende Entscheidungen treffen müssen und von denen viele offenbar mindestens von 8 Uhr morgens bis 21 Uhr abends arbeiten, auch mal schlafen sollten, zählt offenbar nicht. Dass manche von ihnen sich Arbeit mit nach Hause genommen haben könnten oder sich gänzlich im Homeoffice befinden (schon vor der Corona-Pandemie fand bei der EMA ein beachtlicher Teil der jeweiligen Zualssungsverfahren per Videokonferenzen statt), zählt offenbar auch nicht. Stattdessen:

Am Dienstagabend brannte bis kurz vor 23 Uhr noch in einigen Büros Licht. Dann war alles dunkel. Die letzten Mitarbeiter offenbar auch zu Hause. Um 7 Uhr morgens kehrten die ersten zurück in die Büros. “Rund um die Uhr” ist dann doch etwas anderes …

Es stimmt natürlich nicht, dass “alles dunkel” war, und “die letzten Mitarbeiter offenbar auch zu Hause” waren. Man sieht auf der 23-Uhr-Aufnahme schließlich noch Licht in manchen Büros. Bild.de änderte den Absatz später klammheimlich in:

Am Dienstagabend brannte bis kurz vor 23 Uhr noch in einigen Büros Licht. Dann sind fast alle Lichter aus. Ab 7 Uhr gehen in vielen Büros die Lichter wieder an. Und es wird weiter an der Zulassung des Corona-Impfstoffs gearbeitet…

Ralf Schuler, Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros, findet, die EMA-“Entscheider” sollten sich ein Beispiel an den “Autobahn-Bauern” nehmen: “Autobahn-Bauer arbeiten nachts, die Entscheider in der Krise nicht”, schreibt Schuler bei Twitter. Nun sind die Autoahn-Bauer, die nachts arbeiten, ja in der Regel nicht dieselben, die auch schon tagsüber gearbeitet haben. Auch diese Nachtarbeiter haben mal Pause und dürfen irgendwann mal schlafen. Und allein das Einführen eines Schichtbetriebs mit beispielsweise zwei Schichten bringt nicht von selbst eine Verdoppelung der Arbeitsleistung. Wenn die eine Hälfte tagsüber zwölf Stunden arbeitet, und die andere Hälfte nachts zwölf Stunden arbeitet, dann ist zwar die ganze Zeit das Gebäude erleuchtet, und “Bild” könnte nicht polemisieren, am Ende haben aber immer noch alle zwölf Stunden gearbeitet. Man müsste schon die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöhen, um auch die Arbeitsleistung zu erhöhen.

Außerdem haben eine ganze Reihe von Abteilungen der EMA überhaupt nichts mit der Zulassung des Covid-19-Impfstoffs zu tun. Oder sollte aus “Bild”-Sicht etwa auch der Ausschuss für Tierarzneimittel in der aktuellen Lage besser nachts die Stellung im Büro halten?

Aber zurück zu den Fotos vom EMA-Gebäude. Die Perspektive, die die “Bild”-Medien gewählt haben, zeigt die Ostseite des sogenannten Vivaldi Buildings. Neben einer schmaleren Nord- und einer schmaleren Südseite gibt es natürlich auch noch eine Westseite, die bei “Bild” nicht zu sehen ist. Sie ist größer als die Ostseite, denn um das Gebäude herum liegt eine Art Hufeisen – allerdings nur auf der Westseite. Dort befinden sich laut Grundriss (PDF) beispielsweise auch alle großen Konferenzräume. Ob auf der Westseite am Dienstag um 23 Uhr noch die Lichter brannten, wissen wir selbstverständlich auch nicht. Es zeigt sich aber, wie unvollständig das Bild ist, das die “Bild”-Medien für ihre Artikel nutzen.

Hinzu kommt: Bei der 23-Uhr-Aufnahme, die auf der Bild.de-Startseite zu sehen war, hat die Redaktion getrickst, damit das Gebäude noch dunkler aussieht. In den unteren Stockwerken brannte durchaus großflächig Licht. Das ist im Bild.de-Artikel klar zu erkennen. Bei der Version auf der Startseite hat die Redaktion offenbar selbst nachgedunkelt. Hier der Vergleich:

Screenshot Bild.de - zu sehen sind zwei Aufnahmen des EMA-Gebäudes um 23 Uhr, eine von der Bild.de-Startseite, eine aus dem Bild.de-Artikel.
(links von der Bild.de-Startseite, rechts aus dem Bild.de-Artikel)

Bei einem Foto, bei dem es ausschließlich darum geht, wie viele Büros erleuchtet sind und wie viele dunkel, selbst per Photoshop Büros abzudunkeln – den Willen, auf so eine Idee zu kommen, muss man erstmal haben.

Mit Dank an Moritz K. für den Hinweis!

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Geheimdienst-Überwachung, Corona trifft Medien, “Tagesschau”-Beta

1. Bundesregierung beschließt Geheimdienst-Überwachung wie zu Snowden-Zeiten
(netzpolitik.org, Andre Meister)
Die Bundesregierung will die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes ausweiten, trotz vielfacher Kritik von Thinktanks, Journalistinnen und Journalisten, Pressefreiheits-NGOs, Internet-Verbänden und dem Bundesdatenschutzbeauftragten. Der Auslandsgeheimdienst dürfe eigentlich keine Deutschen überwachen, doch das neue Gesetz eröffne dafür vielfältige Möglichkeiten. Andre Meister kommentiert: “Als Edward Snowden nachwies, dass Geheimdienste so handeln, war das ein weltweiter Skandal. Heute legalisiert die Bundesregierung dieses Treiben. Und weitet es aus: Im Snowden-Jahr 2013 bekam der BND noch 531 Millionen Euro Steuergelder, nächstes Jahr bekommt er erstmals mehr als eine Milliarde Euro.”

2. Rums ist Preisträger des #Netzwende-Award
(vocer.org)
Der von der Rudolf Augstein Stiftung, der “Zeit”-Stiftung und dem Medien-Thinktank “Vocer” vergebene Netzwende-Award geht dieses Jahr an das lokaljournalistische Digitalangebot “Rums” aus Münster (Transparenzhinweis: BILDblog-Autor Ralf Heimann ist dort federführend tätig). Der erstmals vergebene Netzwende-Konzeptpreis geht an das Hamburger Newsletter-Magazin “Flip”.

3. Wirtschaftlich unbedeutend
(kontextwochenzeitung.de, Minh Schredle)
Der mit der “Badischen Zeitung” verbundenen Wochenzeitung “Der Sonntag” lag unlängst ein zwölfseitiges Blättchen namens “Stadt im Blick” bei. Erst im Impressum tauchte der Hinweis auf, dass die AfD hinter der Beilage stecke. Minh Schredle hat sich das Blatt näher angeschaut und dabei ein Interview mit Dubravko Mandic entdeckt: “Der Mann, der seit Mai 2019 für die AfD im Gemeinderat sitzt, ist in Freiburg und darüber hinaus kein Unbekannter. Umso sonderbarer erscheint die Entscheidung des Badischen Verlags, dem wohl bekanntesten Rechtsextremisten der Region eine Plattform in gut getarnter Anzeigenform zu geben. Weniger verwunderlich ist dagegen der Shitstorm, den sich die Zeitung bei ihrem Publikum eingehandelt hat.”

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4. Es gibt deutlich zu viele Mitläufer.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre führt sein Gespräch mit dem Journalisten Stephan Anpalagan fort, das er bei web.de begonnen hat. Anpalagan setzt sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein und engagiert sich als Mitgründer bei der Initiative Demokratie in Arbeit. Im Interview geht es um den medialen Umgang mit der AfD, um Antifa-Methoden und -Verdienste sowie um die teils menschenverachtende Sprache von manchen Politikerinnen und Politikern.

5. Die Corona-Krise trifft Europas Medien hart
(de.ejo-online.eu)
Die Corona-Pandemie hat erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf Medien in ganz Europa. Die einbrechenden Werbeeinnahmen führen vielfach zu Kurzarbeit und Entlassungen. Beim “European Journalism Observatory” hat man sich angeschaut, wie sich die Krise in den Ländern Deutschland, Georgien, Großbritannien, Italien, Lettland, Polen, Portugal, Spanien und der Ukraine auswirkt, und wie es für die Medien dort weitergehen könnte.

6. Ein frischer Anstrich und mehr Börsen-Nachrichten für tagesschau.de
(blog.tagesschau.de, Juliane Leopold)
Die “Tagesschau” überarbeitet ihre Onlinepräsenz: “Heller, luftiger und optimiert für die mobile Nutzung”, heißt das Motto. Außerdem wolle man das Angebot von boerse.ARD.de integrieren und die Wirtschaftsberichterstattung ausbauen (was allerdings gleichzeitig heißt, dass das einst eigenständige Börsen-Portal geschlossen wird). Wer neugierig ist: Einen ersten Eindruck liefert die Beta-Version unter beta.tagesschau.de. Ein wie immer aufmerksamer Beobachter ist anscheinend der Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger, wie Daniel Bouhs auf Twitter kommentiert: “Dem @BdzvPresse ist ‘auf den ersten Blick’ aufgefallen, dass Audio/Video entweder gleichberechtigt mit den Texten dargestellt werde oder ‘bloß Beiwerk’ sei. Vom Verband heißt es, man sehe sich das nun näher an: ‘Das werden unsere Mitglieder prüfen und dann sicher auch das Gespräch mit der ARD suchen.'”

Große und kleine Architekten, RTL und der Lynchmob, Location-Gambit

1. “Er zieht Ihr Niveau ins Unendliche hinab”
(sueddeutsche.de, Elisa Britzelmeier)
Auch große Architekten können zuweilen ganz klein sein: Weil einem Architekten des Berliner Stadtschlosses und Sitzes des Humboldt-Forums eine Kritik in der “FAZ” nicht gefällt, fordert er die “Entfernung” des Kritikers. Elisa Britzelmeier kommentiert: “Dass Kritisierte mitunter das Maß verlieren, kennen Journalistinnen und Journalisten. Beim Thema Humboldt-Forum sind die Emotionen besonders heftig, erst recht, wenn die Berichterstattung schlosskritisch ausfällt. (…) Es geht aber im Kern nicht um mehr oder weniger berechtigte Kritik, sondern darum, dass offensichtlich Außenstehende so weit gehen, Einfluss darauf nehmen zu wollen, wer in der Redaktion wie über sie schreibt.”

2. Warum die Nutzung von öffentlich-rechtlichen Videos schwierig bleibt
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:23 Minuten)
Viele Schulen und Bildungseinrichtungen möchten gerne gebührenfinanzierte Inhalte aus dem ARD- oder ZDF-Portfolio nutzen – dem stehen jedoch oftmals rechtliche Hürden im Weg. So müsse jedes Mal überprüft werden, ob der Sender die hundertprozentigen Rechte besitzt. Fast alle Beiträge mit Archivbildern oder Musiken fallen dabei heraus. Das verhindere oft auch die Nutzung in der Online-Enzyklopädie Wikipedia.

3. Filmfolgen: Anklage gegen ein RTL-Team
(verdi.de, Eckhard Stengel)
Eine schier unfassbare Geschichte: RTL strahlte einen Bericht über “eine neue Masche von Pädophilen” aus und gab dabei indirekte Hinweise auf einen angeblichen Täter und den von ihm bewohnten Mietsblock. Daraufhin habe ein Lynchmob von fünf bis zehn Männern das Gebäude gestürmt, die Wohnungstür des vermeintlich Verdächtigen eingetreten und ihn halb totgeschlagen. “Was die Schläger nicht ahnten: Ihr Opfer war gar nicht der im Fernsehen verpixelt gezeigte Mann, sondern wohnte wohl nur im selben Haus. Aber auch der Mann aus dem Film war völlig unschuldig, wie die Ermittler schnell herausfanden. Eine doppelte Verwechslung also.”

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4. Es bleibt ein ze.tt!
(blog.zeit.de, Leonie Seifert)
Vor fünfeinhalb Jahren startete die “Zeit”-Verlagsgruppe ihr zunächst eigenständiges Jugendportal “ze.tt”. Nun wandert das Angebot ins Mutterhaus. Die “ökonomische Basis” habe sich in den vergangenen Jahren nicht so entwickelt, wie es sich der Verlag erhofft habe (Mitbewerbern ist es mit ihren Jugendangeboten ähnlich ergangen – siehe: “Spiegel” stampft junges Angebot “bento” ein). Die neuen Inhalte sind über zeit.de/zett erreichbar.

5. Irische Datenschützer verhängen Strafe gegen Twitter
(spiegel.de)
Mit Twitter wurde erstmals eine US-amerikanische Internetfirma wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung zu einer Geldstrafe verdonnert. Anfang 2019 seien wegen eines Programmierfehlers zeitweilig einige geschützte Tweets für jedermann lesbar gewesen. Twitter hatte es damals versäumt, die irische Datenschutzbehörde innerhalb der vorgeschriebenen Frist von drei Tagen über das Problem zu informieren. Das kostet den Kurznachrichtendienst nun 450.000 Euro.

6. “Die Fassade passt”
(freitag.de, Thomas Abeltshauser)
Achtung, Spoiler-Gefahr zur Serie “Das Damengambit”: Im Oktober erschien auf Netflix die sechsteilige Drama-Miniserie “Das Damengambit”, die den Aufstieg einer Frau in die Schach-Elite nachzeichnet: Vom Wunderkind im Waisenhaus bis hin zur jungen Erwachsenen, die gegen Medikamenten- und Alkoholmissbrauch ankämpft. Die Serie punktet nicht nur mit guten Schauspielerinnen und Schauspielern sowie einer spannenden Geschichte, sondern auch mit ihrer äußerst liebevollen, detailversessenen Ausstattung und Nachempfindung der 50er-Jahre. “Der Freitag” hat sich mit Locationscout Stefan Wöhleke unterhalten, der die halbe Welt von Mexiko über Paris bis Moskau in einer einzigen Stadt gefunden hat: Berlin.
Tipp des “6 vor 9”-Kurators: Erst die (eh empfehlenswerte) Serie anschauen und dann, quasi als Auflösung, den Artikel lesen. Das verspricht doppelten Genuss.

B.Z., Bild  

Die peinliche Präsentkorb-Frechheit von “Bild” und “B.Z.”

Sie brauchen nicht viel. Den Redaktionen von “Bild” und “B.Z.” reicht schon ein gelöschter Tweet eines gelöschten, anonymen Accounts, um ordentlich auszuteilen:

Ausriss BZ - Kondome, Warnweste, Slipeinlage ... Diese absurden Überraschungen sollen Ärzte und Schwestern bekommen haben - Der peinliche Präsentkorb der Charite

… berichtet die “B.Z.” gestern fast auf einer kompletten Seite. Und bei den Springer-Kollegen der “Bild”-Zeitung heißt es in der Berlin-Ausgabe:

Ausriss Bild-Zeitung - Kondom, Warnweste, Slipeinalge - Das Weihnachts-Goodie-Bag der Charite ist eine Frechheit

Der Autor (in beiden Blättern derselbe) schreibt:

Slipeinlage, Kondom, Motivations-Tipps … Haben Sie sich das auch als Weihnachtsgeschenk gewünscht? Nein? Die Ärzteschaft auf den Intensivstationen der Charié sicher auch nicht!

Und trotzdem sollen die Mediziner, die täglich bis an die Belastungsgrenzen gehen, um Menschenleben zu retten, von der Charité mit solch einem Peinlich-Präsent beglückt worden sein.

Das zumindest behauptet auf Twitter ein Nutzer namens “Doc Bab”. Zum geposteten Foto mit dem angeblichen Charité-Mitgebsel heißt es (inklusive Rechtschreibfehler): “Das ist der einzige Coronabonus der Charité für uns ÄrztInnen auf den Intensivstationen – nicht mal Weihnachtsgeld gibt im größten Uniklinikum Europas für die Belegschaft!”

Inzwischen ist der Tweet gelöscht.

Man hätte sich natürlich schon mal fragen können, warum die Charité ausgerechnet eine Ausgabe des Hochschulmagazins “Unicum” in das “Peinlich-Präsent” für die Intensivmediziner gelegt haben soll. Und dann hätte man mal auf der “Unicum”-Website nachschauen können und wäre auf die sogenannten “Wundertüten” gestoßen, die das Magazin jedes Semester an Universitäten verteilt und die ziemlich genau aus den Werbeartikeln bestehen, die auf dem Foto zu sehen sind. Und dann hätte man mal die “Unicum”-Facebookseite besuchen können und hätte dort gesehen, dass es erst vor wenigen Tagen eine Verteilaktion mit diesen “Wundertüten” vor “dem ein oder anderen Universitätsklinikum” gegeben hat: “Nicht nur das STUDENTISCHE PERSONAL hat sich sehr über unsere Wundertüten gefreut!”

Oder kurz gesagt: “Slipeinlage, Kondom, Motivations-Tipps …” haben nichts mit irgendeinem “PRÄSENTKORB DER CHARITÉ” zu tun. Was besonders traurig ist: Der “B.Z.”-und-“Bild”-Autor wusste das alles, zumindest so halb. In seinen Artikeln zitiert er einen weiteren Twitter-Nutzer:

Aber es gibt auch andere Töne. “Was man da sieht, ist nicht von der Charité ausgegeben worden”, schreibt ein Personalrat des Klinikums. Die Charité habe im Frühjahr eine Prämie gezahlt, “einfach so, als alle noch redeten”, schreibt er. “Und es gab Jahressonderzahlung und TVÖD-Prämie im Dezember.”

Doch was ist mit Slipeinlage, Kondom und Co.? Auch darauf hat der User eine Antwort. Das seien Tüten des Hochschulmagazin “Unicum” gewesen, die sonst immer direkt an Studenten ausgegeben worden seien.

Auf der einen Seite ein anonymer Twitterer, der böswillig Lügen verbreitet und seinen Poltertweet sowie seinen ganzen Account löscht. Auf der anderen ein Personalrat der Charité, der seinen kompletten Namen nennt und Fakten liefert. Dass “Bild” und “B.Z.” diese Artikel überhaupt gebracht haben, und dann noch mit den gewählten Überschriften, zeigt, wem die Redaktionen auf ihrer Suche nach Krawallgeschichten mehr Glauben schenken wollen.

Nachtrag, 16. Dezember: Sowohl die “B.Z” als auch die Berlin-Ausgabe der “Bild”-Zeitung haben heute Richtigstellungen veröffentlicht:

Ausriss BZ - Richtigstellung - Am Montag, den 14. Dezember, berichteten wir unter der Überschrift Der peinliche Präsentkorb der Charite über Kritik an einer Präsenttütet für Klinikpersonal. Der Artikel vermittelte fälschlicherweise den Eindruck, der Absender der abgebildeten Präsentsammlung sei das Klinikum Charite. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen. Ausriss Bild-Zeitung - Richtigstellung - Am Montag, den 14. Dezember, berichteten wir in der Berliner Regionalausgabe der Bild unter der Überschrift Kondom, Warnweste, Slipeinlage. Das Weihnachts-Goodie-Bag der Charite ist eine Frechheit über Kritik an einer Präsenttüte für Klinikpersonal. Der Artikel vermittelte fälschlicherweise den Eindruck, der Absender der angeblichen Präsentsammlung sei das Klinikum Charite. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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Mighty Mai Thi, Jahresbilanz der Pressefreiheit, Hinweisgeberschutz

1. Mai Thi Nguyen-Kim ist Journalistin des Jahres 2020
(mediummagazin.de)
Die über 100-köpfige unabhängige Fachjury der Branchenzeitschrift “medium magazin” hat entschieden: Journalistin des Jahres 2020 ist Mai Thi Nguyen-Kim. In der Begründung heißt es: “Die promovierte Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin verbindet die Expertise einer Wissenschaftlerin mit der Gestaltungsfantasie von Youtubern. Sie hat das alles dominierende Thema des Jahres 2020 ‘Corona’ ebenso kenntnisreich wie originell aufbereitet – sei es in ihrem Youtube-Kanal MaiLab (Funk), als Moderatorin von Quarks (WDR), als Autorin, Talkgast oder Kommentatorin.”
Weiterer Hinweis: Unser Autor Ralf Heimann hat bei der Wahl zum Journalisten des Jahres in der Kategorie “Chefredakteur regional” mit dem Portal rums.ms den 3. Platz belegt. Wir gratulieren und erinnern an Ralfs BILDblog-Serie “Kleine Wissenschaft des Fehlers”.

2. Jahresbilanz der Pressefreiheit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Zum Jahresende sitzen laut Reporter ohne Grenzen (RoG) mindestens 387 Journalistinnen, Journalisten und andere Medienschaffende wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Mehr als die Hälfte davon verteile sich auf nur fünf Länder: China, Saudi-Arabien, Ägypten, Vietnam und Syrien. Über 130 Personen seien in allen Teilen der Welt wegen ihrer Corona-Berichterstattung verhaftet worden. Diese und weitere Zahlen gibt es in der ausführlichen RoG-Jahresbilanz (PDF).

3. Lambrecht will Whistleblower schützen
(sueddeutsche.de, Robert Roßmann)
Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf für ein “Hinweisgeberschutzgesetz” vorgelegt, der die Richtlinie der Europäischen Union nicht nur umsetze, sondern in einem wichtigen Punkt über sie hinausgehe: “Der Anwendungsbereich der EU-Richtlinie ist auf das Unionsrecht beschränkt, die Richtlinie schützt also nur die Hinweisgeber, die Verstöße gegen EU-Recht anprangern. Das bedeutet zum Beispiel: Wer ein Datenleck meldet, wäre geschützt – wer Schmiergeldzahlungen aufdeckt, aber nicht. Deshalb bezieht sich der Gesetzentwurf des Justizministeriums nicht nur auf Verstöße gegen europäisches Recht, sondern auch auf Verstöße gegen deutsches Recht.”

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4. Diversität in den Medien: Es braucht Motivation von innen
(de.ejo-online.eu, Philipp Vogt)
Bei der von der UNESCO veranstalteten World Press Freedom Conference 2020 erzählten fünf Medienmacherinnen und -macher von ihren Erfahrungen mit der Diversität in Redaktionen und sprachen darüber, was sich aus ihrer Sicht in diesem Feld noch ändern müsse. Eines der bezeichnenden Zitate der Diskussion: “Ich wünschte, wir könnten aufhören, in Diskussionsrunden über dieses Thema zu sprechen.”

5. Rivva: Ohne eure Spende geht es nicht mehr
(blog.rivva.de, Frank Westphal)
Set mehr als einem Jahrzehnt filtert Frank Westphal bei seinem Projekt “Rivva” das Social Web nach den meist empfohlenen Artikeln und debattierten Themen. Immer mal wieder konnte er auf die Unterstützung von Sponsoren setzen, doch momentan ist es um die Finanzierung des nützlichen Dienstes nicht gut bestellt. Westphal ruft zu Spenden auf, denn “2020 hat mich (wie viele) voll erwischt. Im Frühjahr habe ich meine letzten Aufträge verloren: Projekte, die von Rivva-Technologien profitiert und sie teils mitfinanziert haben.”

6. “Ich bin ja nicht weg von der Welt”
(deutschlandfunk.de, Ada von der Decken, Audio: 5:32 Minuten)
Gestern Abend hat sich Jan Hofer von der “Tagesschau” verabschiedet. 35 Jahre war er dort als Sprecher tätig, für viele war er das Gesicht der Nachrichtensendung. Langweilig dürfte es ihm jedoch nicht werden: Zu Hause habe Hofer sich ein eigenes Studio eingerichtet, von dem aus er seine privaten Kanäle auf Instagram, Youtube und TikTok bespielen will.

Bild.de lässt sich eine Story nicht von sowas wie Fakten kaputtmachen

Spätestens seit in Großbritannien gegen Boris Becker ein Insolvenzverfahren läuft, hat sich die “Bild”-Redaktion auf den ehemaligen Tennisstar eingeschossen (zum Beispiel: “Jetzt wird’s ernst für Boris! Diese Horror-Liste kann ihn in den Knast bringen”). Und Becker schießt zurück: Er lasse es nicht zu, dass “Julian Reichelt und sein Blatt” versuchen, “einen Menschen kaputt zu machen …mich!”

Ende November hatte “Bild” den nächsten Knaller ausgegraben:

Screenshot Bild.de - Britischer Rechtsexperte erstaunt - Boris Becker fährt Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand

Was für ein Auto wird Boris Becker wohl wie so ein richtiger Dax-Vorstand fahren? Den größten BMW, den man kriegen kann? Den dicksten Audi auf dem Markt? Einen Ferrari wie der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess? “Bild”-Chefreporter John Puthenpurackal schrieb:

Auch nach der Privatinsolvenz gibt Boris Becker privat weiter Gas – mit einer Luxus-Limousine.

Vor und nach der Verhandlung wurde die Tennis-Legende in einer anthrazit-farbenen E-Klasse der Marke “Mercedes-Benz” gesichtet. Das Fahrzeug gehört laut Experten hinter der S-Klasse zur oberen Kategorie der Limousinen.

Die E-Klasse, die in der einfachsten Ausstattung aktuell knapp unter 50.000 Euro kostet, ist für die meisten sicher ein teurer Spaß. Möglich, dass es auch Dax-Vorstände gibt, die E-Klasse fahren. Allerdings dürfte sich jeder von ihnen auch deutlich teurere Modelle (eine S-Klasse ist erst ab etwa 95.000 Euro zu haben) leisten können: 2019 lag das Durchschnittsgehalt eines Mitglieds im Vorstand eines im Dax gelisteten Unternehmens bei 3,4 Millionen Euro. Ob man also wirklich sagen kann, dass Boris Becker ein “Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand” fährt?

Zumal Becker auf dem Foto, auf das sich Bild.de bezieht, gar nicht in einer E-Klasse sitzt, sondern in einer kleineren C-Klasse. Die ist ab knapp 35.000 Euro zu haben und ein Modell der Mittelklasse.

Es ist bezeichnend, wie die “Bild”-Redaktion mit ihrer falschen Darstellung umgeht.

Ein Twitter-User wies John Puthenpurackal auf den Fehler hin, wofür sich der “Bild”-Autor bedankte. Er habe seinen Artikel aktualisiert, schrieb Puthenpurackal.

Tatsächlich hat Bild.de den Fehler transparent korrigiert (“Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand anstelle der C-Klasse die E-Klasse als Fahrzeugtyp. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.”), was gut ist. Der Rest ist schlecht. Trotz der deutlich veränderten Faktenlage bleibt die “Bild”-Redaktion einfach bei ihrer Überschrift “Boris Becker fährt Luxus-Auto wie ein Dax-Vorstand” und bei ihrer “Luxus-Limousinen”-Geschichte:

Auch nach der Privatinsolvenz gibt Boris Becker privat weiter Gas – mit einer Luxus-Limousine.

Denn: Vor und nach der Verhandlung wurde die Tennis-Legende in einem anthrazitfarbenen Mercedes-Benz, einer C-Klasse, gesichtet.

Das Fahrzeug gehört hinter der S-Klasse und der E-Klasse zu der höheren Kategorien der Limousinen. Listenpreis: mindestens 34.000 Euro.

Dass preislich zwischen E- und C-Klasse einiges liegt – na und? Und dass damit die ursprüngliche Grundannahme futsch ist – egal. Von sowas wie Fakten hat sich die “Bild”-Redaktion noch nie eine Geschichte kaputtmachen lassen.

Mit Dank an @nutzwerker für den Hinweis!

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Werbe-Apotheke “Bunte”, Mistel-Mist, Cookie- und Tracker-Plage

1. Ohne Markennamen können “Bunte”-Leser mit Gesundheits­tipps nichts anfangen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat im Gesundheitsteil der “Bunten” geblättert. Dort gibt es allerlei Tipps gegen Wehwehchen jeder Art, die auffällig oft von passenden Anzeigen begleitet werden. Ein gravierender Verstoß gegen das Trennungsgebot von Redaktion und Werbung, wie auch der Deutsche Presserat findet. Die “Bunte” hat eine Stellungnahme abgegeben, die zugleich nichts- und vielsagend ist.

2. Wir pfeifen auf Ihre Privatsphäre
(gutjahr.biz)
Richard Gutjahr beschäftigt sich mit einem Thema, das uns beim Surfen tagtäglich begleitet: Cookies und den unübersichtlichen und irreführenden Cookie-Dialogfenstern. Selbst seriöse Nachrichtenseiten würden die Code-Schnipsel im Übermaß einsetzen. Bei der “Süddeutschen Zeitung” beispielsweise sollen es 470 Tracker sein, die auf die Besucherinnen und Besucher losgelassen werden. Auf seine Nachfragen bei den Verlagen habe Gutjahr nur ausweichende oder falsche Antworten bekommen. Wenn ihm denn überhaupt geantwortet wurde.

3. Die Sendung mit dem Rudi
(twitter.com/AnthroBlogger, Oliver Rautenberg)
Die “Sendung mit der Maus” hat eine siebenminütige Sachgeschichte über die Mistel produziert, eine Pflanzensorte, die als Halbschmarotzer auf Bäumen oder Sträuchern wächst. Mit dabei ein “Mistel-Experte” aus dem Bereich der esoterischen Pseudomedizin. Anthroposophie-Kenner Oliver Rautenberg dröselt die Sache auf und erklärt, was an dem Mistel-Filmchen Mist ist.

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4. Schlecht bezahlt als Medienprofi – was soll man wegen anderer Vorteile hinnehmen, was nicht?
(kress.de, Attila Albert)
Medienschaffende verdienen oft wenig. Besonders hart treffe es Selbstständige (zum Beispiel freie Reporterinnen), Pauschalisten, Berufsanfängerinnen und junge Führungskräfte. Attila Albert gibt praktische Empfehlungen zu Einkommensanalyse und Einkommenssteigerung. Dabei nennt er auch konkrete Zahlen und gibt Tipps zur Verhandlungstaktik.

5. 8 Gründe warum Spiegel TV die Goldene Kartoffel verdient hat
(schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Der Negativpreis der Neuen deutschen Medienmacher*Innen, die “goldene Kartoffel”, ging dieses Jahr an “Spiegel TV”. Den Preis hätten sich die Reporter redlich verdient, findet Fabian Goldmann und hat dafür einige Argumente: “Spiegel TV” produziere Rassismus und verbreite gefährliche Verschwörungserzählungen. Die Redaktion verzichte selbst bei schweren Anschuldigungen auf Belege und übernehme unkritisch Angaben der Polizei. Betroffene und Beschuldigte kämen nicht ausreichend zu Wort, stattdessen biete “Spiegel TV” den Kriminellen eine Bühne zur Selbstinszenierung. Goldmann fühle sich bei den Reportagen eher an Scripted-Reality-Dokus erinnert.

6. “Dinner for One”: Ein Dutzend Fakten zum Silvesterkult
(rnd.de)
Bei vielen hat es sich zum Jahresausklangs-Ritual entwickelt: Silvester wird im Fernsehen “Dinner for one” geschaut. Natürlich gibt es den Schwarzweiß-Sketch um den 90. Geburtstag einer britischen Lady und die zunehmende Trunkenheit ihres Butlers auch 2020 wieder zu sehen. Wer mit Trivia zum Fernsehkult punkten will, sollte vorher die zwölf Hintergrund-Fakten überfliegen.

Kooperiert man mit “Bild”, wächst das Kleid

Wenn Helene Fischer in einer Fernsehshow aufklärt, dass sie auf dem Foto, das auf dem Cover ihres neuen Albums zu sehen ist, sehr wohl eine Unterhose getragen hat, wählt die “Bild”-Redaktion aus den vielen, vielen Helene-Fischer-Fotos, die man bei Agenturen finden kann, eine Unter-den-Rock-guck-Aufnahme zur Illustration der Geschichte (was sicher nichts damit zu tun hat, dass die “Bild”-Redaktion ein paar Tage zuvor eine Gegendarstellung von Fischer auf der Titelseite drucken musste):

Screenshot Bild.de - Schlüppilos durch die Nacht? Helene Fischer - zu sehen ist ein Foto von Helene Fischer bei einem Auftritt. Das Kleid ist im Schritt so hochgerutscht, dass man ihre Unterwäsche sehen kann
(Die Unkenntlichmachung stammt von uns.)

Wenn Helene Fischer bei der “Bild”-Charity-Aktion “Ein Herz für Kinder” mitmacht, wählt die Redaktion das gleiche Foto – allerdings ist das Kleid der Sängerin wie durch Photoshop von Zauberhand an einer entscheidenden Stelle gewachsen:

Screenshot Bild.de - Ein Herz für Kinder - Diese Stars sitzen heute für Sie am Spendentelefon - zu sehen ist das gleiche Foto vom Fischer-Auftritt. Nun bedeckt das Kleid allerdings den Bereich, an dem zuvor die Unterwäsche zu sehen war

Mit Dank an @rock_galore!

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