Achtung, Gefahr!
Cannabis ist eine der beliebtesten, illegalen Drogen in Deutschland. Oft verharmlost, ist sie viel gefährlicher, als die meisten denken.
… schrieb Bild.de gestern. Denn:
Schon ein oder zwei Joints verändern das Gehirn eines Jugendlichen merkbar, hat jetzt eine internationale Forschergruppe mit deutscher Beteiligung herausgefunden und ihre Ergebnisse im “Journal of Neuroscience” veröffentlicht.
Das “jetzt” ist an dieser Stelle recht großzügig ausgelegt: Die Studie, auf die sich Bild.de bezieht und die das Portal im Artikel verlinkt*, ist bereits am 28. Januar 2015 im “Journal of Neuroscience” erschienen — und damit geschmeidige vier Jahre alt. Noch interessanter aber ist die Überschrift, die die “internationale Forschergruppe mit deutscher Beteiligung” ihrer Untersuchung damals gab:
“Is Not Associated”.
Schon im “Abstract” steht:
No statistically significant differences were found between daily users and nonusers on volume or shape in the regions of interest. Effect sizes suggest that the failure to find differences was not due to a lack of statistical power, but rather was due to the lack of even a modest effect. In sum, the results indicate that, when carefully controlling for alcohol use, gender, age, and other variables, there is no association between marijuana use and standard volumetric or shape measurements of subcortical structures.
Das übersetzt Bild.de ins Gegenteil:
Die Wissenschaftler beobachteten bei 14-Jährigen, die nur ein- oder zweimal Cannabis konsumiert hatten, mithilfe eines modernen Bildgebungsverfahrens, der sogenannten Voxel-basierten Morphometrie, eine Zunahme der grauen Hirnsubstanz. Bedeutet: Ein Ungleichgewicht zwischen weißer und grauer Hirnsubstanz entsteht.
Dazu steht in der “Discussion” der Studie:
The lack of significant differences between marijuana users and control subjects in the present study is consistent with the observation that the mean effect size across previously published studies suggests no clear effect of marijuana on gray matter volumes.
Bei Twitter haben einige User die “Bild”-Redaktion auf den Fehler hingewiesen. Die juckt das aber ganz offensichtlich nicht.
Mit Dank an @Goettergattin42 für den Hinweis!
*Nachtrag, 19:13 Uhr: Bei FAZ.net ist ein Artikel zum selben Thema mit recht ähnlicher Überschrift erschienen. Im Gegensatz zu Bild.de verlinkt Autor Joachim Müller-Jung dort auf eine aktuelle Studie aus dem “Journal of Neuroscience” (erschienen am 14. Januar 2019). Es gibt die aktuellen Erkenntnisse, von denen Bild.de berichtet, also tatsächlich. Allerdings nennt und verlinkt die Bild.de-Redaktion die falsche, veraltete Studie.
Wir haben daher unsere Überschrift von “Bild.de bringt falsches Zeug in Umlauf” in “Bild.de bringt veraltetes Zeug in Umlauf” geändert.