Archiv für August 21st, 2018

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Die Gedanken sind frei, nur bei Julian Reichelt sind sie strafbar

Manchmal ist “Bild”-Chef Julian Reichelt auch zuvorkommend. Denn eigentlich hätten wir zu seinem besorgniserregenden Tweet von gestern Abend erstmal den passenden Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch raussuchen müssen, um ihm die Falschheit seiner Überlegungen zeigen zu können. Reichelt war aber so freundlich, diesen Paragrafen, der ihm widerspricht, als vermeintliches Argument selbst mitzuliefern:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Es ist besorgniserregend, wie verbreitet die Lesart ist, terroristische Planspiele (oder Träume von Gefährdern in der Diktion der FAS) wären erlaubt und vom deutschen Rechtsstaat geschützt. Dazu ein Link zu Paragraf 89a Strafgesetzbuch

Natürlich sind “‘Träume’ von Gefährdern” vom deutschen Rechtsstaat geschützt, wie Träume jeder anderen Person vom deutschen Rechtsstaat geschützt sind. Das zeigt auch Paragraf 89a des Strafgesetzbuchs, den Reichelt in seinem Tweet verlinkt und der ziemlich klar regelt, wann es sich um eine strafbare “Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat” handelt. In Absatz 2 steht dazu:

Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er

1. eine andere Person unterweist oder sich unterweisen lässt in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der in Absatz 1 genannten Straftaten dienen,

2. Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt oder

3. Gegenstände oder Stoffe sich verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art wesentlich sind.

Das Träumen von einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wird in dem Paragrafen, den Julian Reichelt zum Beweis der Strafbarkeit vom Träumen von einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat anführt, nicht erwähnt.

Nach der Reicheltschen Selbstwiderlegung bleiben noch die “terroristischen Planspiele”, von denen er schreibt. Diesen Ausdruck hat allerdings nicht eine andere Person in die Debatte eingebracht, sondern Reichelt selbst.

Harald Staun schrieb in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” mit Bezug auf einen Reichelt-Text, der am vergangenen Freitag in “Bild” erschienen ist:

Besonders schlimm aber findet Reichelt das bekannte Dilemma, dass der Rechtsstaat auch jene schützt, die ihn verachten, solange sie nicht gegen die Gesetze verstoßen. Er schützt auch jene Menschen, die “das Bier in der Kneipe und die Bikinis an den Stränden” verachten, seien es Weintrinker, Kulturtouristen oder Islamisten. Und er verbietet nicht einmal, davon zu träumen, Busse, Bahnen oder Verlagshäuser in die Luft zu sprengen. Doch einen Rechtsstaat, der nicht schon böse Absichten bestraft, würde Reichelt gerne abschaffen

Reichelt ärgerte sich bei Twitter über Stauns Text und wandelte dabei innerhalb von zwei Sätzen das Träumen in “Planspiele” um:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Die FAS würdigt heute die Freiheit von Gefährdern, davon zu träumen, Verlagshäuser in die Luft zu sprengen. Ich glaube nicht, dass terroristische Planspiele von Gefährdern vom Rechtsstaat geschützt sind.

Nur haben Harald Staun und die “FAS” nie von “Planspielen” gesprochen — diese Umdeutung stammt allein von Julian Reichelt.

In den Antworten auf seinen Tweet von gestern versuchen andere Twitter-Nutzer, Julian Reichelt zu erklären, was bei seinen Überlegungen alles schiefläuft. Aber ob ihn überhaupt interessiert, was für einen Unsinn er verzapft?

Impfentscheidung im Kino, Schlechter Polizei-Tipp, Sport-Dokus auf Netflix

1. Der Printjournalismus ist lebendig
(sueddeutsche.de, Heribert Prantl)
“SZ”-Chefredaktionsmitglied Heribert Prantl beschäftigt sich in seiner “politischen Wochenvorschau” mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Printjournalismus. Prantl plädiert für ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Print und Online, ist aber immer noch sehr in der Papier-Denke verhaftet. Was sich unter anderem in Sätzen wie diesen zeigt: “Weil es das Internet, also bessere und schnellere Methoden bloßer Informationsvermittlung gibt, kann die gedruckte Zeitung sich auf anderes konzentrieren: auf Analyse, Hintergrund, Kommentierung, Sprachkraft, Gründlichkeit und Tiefgang — auf all das, was sich in der Hetze der Echtzeit im Internet nicht leisten lässt.” Eine Argumentation, die auf Twitter sogleich für Stirnrunzeln sorgte.

2. Schlechter Rat von der Münchner Polizei
(lawblog.de, Udo Vetter)
Die Polizei München hat eine aktive Social-Media-Mannschaft. Auf Twitter versorgt das Polizei-Team mehr als 450.000 ihr folgende Bürgerinnen und Bürger mit Presseberichten, Fahndungsmitteilungen und sonstigen Infos. Außerdem beantwortet sie Rückfragen und gibt Tipps. Tipps, deren Befolgung jedoch jede Menge juristischen Ärger bedeuten kann, wie Strafrechtler und Lawblogger Udo Vetter erklärt.

3. Präsident Erdogan hat sich verzockt
(spiegel.de, Maximilian Popp)
Fast eineinhalb Jahre saß die Journalistin Mesale Tolu in der Türkei im Gefängnis, dann durfte sie monatelang das Land nicht verlassen. Jetzt die erlösende Nachricht: Tolu darf endlich ausreisen. Maximilian Popp hält den Fall für eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats, die zeige, dass Präsident Erdogans Geiseldiplomatie kaum noch wirke. Am Ende seiner Betrachtungen zitiert Popp einen amerikanischen Analysten, der Ankaras Politik folgendermaßen zusammenfasst: “Du entlässt die einen Gefangenen, um den diplomatischen Schaden zu begrenzen, den du durch die Verhaftung der anderen angerichtet hast.”

4. “So beantworte ich keine Fragen, so arbeiten Verschwörungstheoretiker”
(zeit.de, Alina Schadwinkel)
Am 13. September erscheint ein Dokumentarfilm in Deutschlands Kinos, der bereits jetzt für heftige Diskussionen sorgt. In David Sievekings Film “Eingeimpft” geht es um die Impfentscheidung. “Zeit Online” hat mit der Wissenschaftlerin Cornelia Betsch gesprochen, die unter anderem zu Risikowahrnehmung und -kommunikation am Beispiel der Impfentscheidung forscht. Es geht darum, welche Schwächen der Film hat, welche Auswirkungen er haben könnte und welche Maßnahmen zur Maserneliminierung beitragen könnten.
Weiterer Lesetipp: Wer sich darüberhinaus mit dem Thema beschäftigen will, kann dies beim “Science Media Center” tun. Dort gibt es zahlreiche Stellungnahmen von Experten, die sich den Film bereits angeschaut haben: Dokumentation “Eingeimpft” und eine Art wissenschaftliche Rezension.

5. GlobaLeaks: Darknet-Postfach leicht gemacht
(get.torial.com, Stefan Mey)
“GlobaLeaks” will Whistleblower mit Darknet-Technologie schützen. Stefan Mey stellt die Software vor, die das Einrichten von geschützten Postfächern erlaubt. Etwa 20 solcher kleinen “Darknet-Wikileaks” gebe es derzeit. Darunter seien auch Gemeinschaftspostfächer von afrikanischen Medien sowie von Redaktionen in Frankreich und den Niederlanden.

6. Nicht mit Journalismus zu verwechseln
(deutschlandfunk.de, Matthis Jungblut, Audio, 4:34 Minuten)
Sportdokumentationen stehen bei Streamingdiensten wie Netflix und Amazon Prime hoch im Kurs. Viele der Produktionen seien inszeniert, glorifizierten Sport und Protagonisten und hätten wenig mit Journalismus zu tun, so Sebastian Uhrich, Professor für Sportbetriebswirtschaftslehre an der Sporthochschule Köln. Doch es gibt auch Ausnahmen.